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Wolfgang Ullrich

Adolf Hitler als Anlageberater

Albert Speer, der zur Zeit ja wieder überall im Gespräch ist, gab einmal den
Ratschlag, daß, wer das Wesen Hitlers verstehen wolle, seine Kulturreden
lesen müsse.1 Aber zur Lektüre dieser Reden kann es auch andere – und
vermutlich sogar bessere – Gründe geben. Ich möchte einen davon nennen
und in meinem Beitrag plausibel zu machen versuchen. So nähere ich mich
den Reden zur Kunst- und Kulturpolitik, die Robert Eikmeyer erstmals alle
gesammelt hat2, um mehr über Kunst als Wertgegenstand zu erfahren –
genauer: um besser zu begreifen, warum und mit welchen Argumenten Kunst
von Anlageberatern immer wieder empfohlen wird.
Am 10. Juli 1938 eröffnete Hitler zum zweiten Mal die Große Deutsche
Kunstausstellung in München; seine Rede stand unter dem Titel "Das
Bekenntnis des Führers zu Kunst und Künstler". Das war doppeldeutig:
Einerseits bedeutete es eine Verneigung vor der Kunst, zu der man sich
bekennt wie zu einem Glauben – zu etwas Höherem. Andererseits hieß es
aber auch, daß Hitler der Kunst mit seinem damals wahrhaft guten Namen
sein Vertrauen aussprach. Indem er sich zu ihr bekannte, verlieh er ihr Kredit.
Tatächlich gab er innerhalb seiner Rede eine Vertrauenserklärung ab, als er
dem deutschen Volk nämlich versicherte, "daß sich in dieser Ausstellung kein
Bild befindet, das zu besitzen bedenklich ist oder gar später einmal vielleicht
als unmöglich empfunden werden würde!" (185) Das sollte als
Kaufaufforderung oder aber als Anlageberatung verstanden werden, zumal
die Große Deutsche Kunstaustellung ausdrücklich eine Verkaufsausstellung
war. Hitler bezeichnete es in derselben Rede sogar als seine Pflicht, dem
deutschen Volk zu ermöglichen, "die Werke seiner Künstler (...) zu kaufen"
(ebd.). In Lagerräumen standen auch schon Werke bereit, welche die Lücken
schließen sollten, die durch Verkäufe entstünden, und der Führer gab sich
überzeugt davon, daß die Ausstellung, wie schon die im Jahr davor, "mit
einem überragenden wirtschaftlichen Erfolg" (ebd.) enden würde.
Auch in anderen Reden beschwor Hitler den Wert der Kunst als
Anlageobjekt und Wirtschaftswert. Die Kulturrede auf dem Reichsparteitag
des Jahres 1936 schloß sogar mit dem – wiederum bekenntnishaften – Satz:
"...die einzig wahrhaft unvergängliche Anlage der menschlichen Arbeitskraft
und Arbeitsleistung ist die Kunst" (115). Im Jahr darauf konkretisierte Hitler
diese Aussage und verkündete, daß das "nationale Vermögen (...)
zusammengerechnet zu 95 % in seinen kulturellen Leistungen und noch nicht
einmal zu 5 % in seinen sogenannten rein materiellen Werten liegt" (152).
Das kulturelle Kapital war für Hitler als völkische Gemeinschaftsleistung
erwirtschaftet worden, und es galt: Je lebendiger die Volksgemeinschaft ist,
desto mehr Kunst ist zu erwarten, und je besser der Staat für eine Ordnung

1 Vgl. Joachim Fest: Die unbeantwortbaren Fragen. Gespräche mit Albert Speer, Reinbek
2005, S. 51f.
2 Adolf Hitler: Reden zur Kunst- und Kulturpolitik 1933-1939, hg. v. R. Eikmeyer,
Frankfurt/Main 2004.

1
des Gemeinschaftslebens sorgt, desto produktiver und nachhaltiger arbeiten
die Kulturschaffenden (vgl. 84, 104, 109).
Immer wieder betonte Hitler aber vor allem den Ewigkeitswert der
Kunst und verstieg sich sogar zu dem unmöglichen Superlativ, kulturelle
Güter seien die "unsterblichsten Leistungen" (109). Das muß vor dem
Hintergrund einer Zeit gelesen werden, in der sich viele Menschen nichts
sehnsüchtiger wünschten als Wertbeständigkeit und Anlagesicherheit. Viele
hatten durch die Inflation der frühen 1920er Jahre ihre gesamten Ersparnisse
verloren, und im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 waren die meisten
Aktien wertlos geworden. Insofern besaßen übliche Formen der Geldanlage
kaum noch Reputation; um so mehr mußte auf Interesse stoßen, wer eine
vermeintlich krisensichere Anlageform anbieten konnte.
Der Ewigkeitswert der Kunst bedeutete für Hitler aber auch, daß sie
nicht von Zeittypischem geprägt ist, sondern sich im Gegenteil frei von
Moden, ja sogar frei von bestimmten Stilmerkmalen halten kann (vgl. 76).
Der Zeitgeist ist gerade nicht der Geist der Kunst! Nur solange diese statt der
Zeit dem Raum, genauer: Blut und Boden und damit einer stabilen Größe,
verpflichtet ist, gilt Hitlers Garantie auf Wertbeständigkeit. Wohlgemerkt: Er
empfahl die Kunst nicht wegen der Rendite; er versprach keine
Wertsteigerung und keine Gewinne, sondern vertrat einen ganz und gar
statischen – eben zeitunabhängigen – Wertbegriff. Das läßt auch bereits
ahnen, daß er den Wert der Kunst nicht als Marktwert verstanden wissen
wollte, der ja allein aufgrund wechselnder Angebots- und Nachfragelagen
Schwankungen unterworfen ist und daher gerade zu den besten Indikatoren
des Zeitgeists gehört. Dem Markt – dem "erbärmlichen Marktbetrieb" (132) –
gilt deshalb sogar sein ganzes Mißtrauen; er war für Hitler der Ort der Moden
und der Modemacher, die Konjunkturen erzeugen und ausnützen.
Hitler offenbart sich, wie viele ökonomische Laien, als Anhänger von
'fair trade'; für ihn gibt es jeweils einen 'gerechten Preis', der so fest steht
wie eine platonische Idee – und dagegen Kräfte – die Kräfte des Marktes –,
welche daran manipulieren und die Wahrheit verschleiern. Bekannter als sein
Wirken als Anlageberater ist auch seine immer wieder erneuerte Polemik
gegen den Kunsthandel, gegen Kunstspekulanten und Galeristen. Diese
Polemik ist zugleich Teil seines antisemitischen Programms, deklariert er
doch den Kapitalismus im allgemeinen und den Kunsthandel im besonderen
kurzum als jüdisch.
Das Jüdische – genauso: das Bolschewistische oder andere Formen von
Internationalismus – muß sich aus Hitlers Sicht mit dem Zeitgeist verbünden,
da es keine feste Heimat hat und nicht erdverbunden ist. Ewigkeitswerte sind
dem Internationalen somit fremd, vor allem aber kann der Jude oder
Bolschewist – als wurzelloses Wesen – selbst keine hervorbringen (vgl. 89);
das Jüdische war für Hitler "gänzlich amusisch" (105). Und noch schlimmer:
Er unterstellte den Juden Neid auf die Völker mit Heimatboden, weshalb sie
angeblich versuchten, deren Kunst und Kultur zu zerstören. Daher würden sie
auch alles daran setzen, Kunst von einem Ewigkeitswert zu einem
"Zeiterlebnis" (127) umzudefinieren. Ausdrücklich sprach Hitler von der
"jüdischen Entdeckung der Zeitgebundenheit der Kunst" (128). Seither gibt

2
es eine 'moderne' Kunst – für Hitler gleichbedeutend einer Abfolge von
Kunstmoden. Gefährlich an ihnen sei, daß die Künstler krampfhaft nach
immer wieder Neuem, Anderem suchten, weshalb Extremes und
Exzentrisches, Abnormes und Abstruses in den Mittelpunkt schöpferischen
Interesses gelange. Statt alles Idiosynkratische – jeglichen eigenen Stil –
abzuschütteln, um das Ewige freizulegen und etwas zu schaffen, was der
gesamten Volksgemeinschaft gefalle, wollten Künstler dann lieber den Trends
der Saison genügen und einer Minderheit, die an der Kunst verdient,
zuarbeiten. Folge sei eine Inflation der Stile – und damit eine "Entwertung (...)
unserer Kunst" (196).
Doch war der Kunsthandel aus Hitlers Sicht nicht nur ein Instrument der
Destruktion; vielmehr würden die rasch wechselnden Moden und Ismen auch
deshalb ausgerufen, damit die Geschäfte am Laufen blieben: Jeder neue
Kunststil bedeute einen neuen Markt und neue Umsatzchancen. Je schneller
die Hypes aufeinander folgten, desto mehr lasse sich verdienen. Natürlich ist
es dem Kunsthändler, wie Hitler ihn darstellt, völlig egal, ob das, was er
verkauft, auch noch in ein paar Jahren Wert besitzt. Er setzt vielleicht sogar
darauf, so die verschwörungstheoretische Erwägung, ahnungslosen
Neureichen schlechte Ware teuer zu verkaufen, zumal diese sich vornehmlich
am Preis orientieren und der Maxime folgen, daß, was viel kostet, auch viel
wert sein muß. Eine Triebfeder von Hitlers Kritik am Kunstbetrieb war gewiß
die Schadenfreude über gehörnte Kunstkäufer, die die Kunst als
Statussymbol behandeln und unverständliche Werke für besonders relevant
halten, weil sie damit ihre Nachbarn einschüchtern können. Der Unruhe
des Markts mit all seinen Unabwägbarkeiten setzt Hitler also den "absoluten
Wert" der Kunst entgegen, der, losgelöst von Aktualitäten und
Äußerlichkeiten, ewig derselbe bleibt (159). Wie hoch aber ist dieser Wert,
wollte man ihn in Geld ausdrücken? Für Hitler ist diese Frage unsinnig oder
sogar verboten: Etwas Ewiges läßt sich nicht in materiellen – und damit
vergänglichen Gütern – aufwiegen – es ist "unabwägbar" (111). Das
Unendliche kennt keine Wechselkurse. Zwar bekommen die Künstler ein
Honorar für ihre Leistung, doch entspricht der Preis für ein Werk nicht seinem
Wert qua Kunst.
Tatsächlich gab es im Nationalsozialismus keine Preisrekorde für Kunst.
Das ist deshalb bemerkenswert, als das Regime sich sonst ja durch eine
Vergötzung der Superlative hervortat und gerade die Kunst pathetisch
feierte: Die Gebäude sollten größer, die Skulpturen höher werden als jemals
in der Geschichte, man wollte Ausstellungen mit immer noch mehr Besuchern
haben. Doch die Künstler wurden eher wie besonders gute Facharbeiter
bezahlt. Ihre Verdienstmöglichkeiten waren nicht abgekoppelt vom
Einkommen der übrigen arbeitenden Bevölkerung. Diese sollte, selbst soweit
sie über kein Kunstverständnis verfügte, immer noch nachvollziehen können,
warum ein Bild oder eine Skulptur einen bestimmten Preis kostete, der sich
entsprechend nach dem Aufwand, vor allem nach Fleiß und technischem
Können des Künstlers richtete.
Aber nicht nur die einfachen Volksgenossen stimmten Hitlers
Kunstpolitik – der Gleichstellung der Kunst mit Arbeit – gerne zu. So fand eine

3
bildungsbürgerlich und kunstreligiös geprägte Schicht Gefallen daran, daß
Hitler die Kunst klar von allem Materiellen abhob und zum Absolutum
erklärte. Für sie war ebenfalls nicht strittig, in der Kunst etwas Ewiges zu
sehen. Daß ihre Werke in Museen oder Sammlungen “für die Ewigkeit
aufbewahret” werden, ließ sich nicht nur bei Wackenroder, sondern ganz
ähnlich bei vielen Autoren seit dem späten 18. Jahrhundert nachlesen. Allein
der Versuch von Kunsthändlern, den ideellen Wert der Kunst in Preisen
auszudrücken und diese daher nach oben zu treiben, galt den Anhängern der
Kunstreligion als Sakrileg und ungehörige Profanisierung. Sie hatten auch die
Mahnung des kunstliebenden Klosterbruders im Ohr, wonach
Ausstellungsräume nicht als "Jahrmärkte", sondern als "Tempel" zu begreifen
seien, in denen es um "Gebet" und nicht um "neue[n] Waren" gehe. Und
weiter: "Kunstwerke passen in ihrer Art so wenig als der Gedanke an Gott in
den gemeinen Fortfluß des Lebens; sie gehen über das Ordentliche und
Gewöhnliche hinaus...".3 Auch weniger ehrfürchtige Geister teilten die
Vorstellung, daß Kunst inkompatibel mit üblichen Werteskalen sei. So meinte
Oscar Wilde 1883 in einem Vortrag vor Kuntstundenten, ein großes
Kunstwerk sei "goldener (...) als Gold" – und damit in materiellen Werten
nicht mehr zu messen.4 Und selbst in der Antike scheint es bereits Vertreter
der Überzeugung gegeben haben, wonach die Kunst ohne materielles
Äquivalent bleiben muß. Von Zeuxis wird berichtet, er habe sich brüskiert
gefühlt, wenn jemand eines seiner Bilder mit Silber oder Gold bezahlen
wollte. Um die Erniedrigung der Kunst zu etwas Endlichem zu vermeiden,
verschenkte er die Werke lieber.5
Aktuell gab Rolf E. Breuer, ehemaliger Vorstandssprecher und
Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, die Losung aus: "Gute Kunst ist
unbezahlbar".6 Doch leitet der Banker und Kapitalist aus diesem Befund ab,
daß der Preis für ein Kunstwerk überhaupt nicht zu hoch sein kann, um
seinen Kauf nicht doch noch ökonomisch sinnvoll erscheinen zu lassen.
Genau genommen ist selbst das teuerste Werk – sofern es wirklich gute
Kunst ist! – ein Schnäppchen, bekommt man dafür doch etwas, das eigentlich
unbezahlbar – d. h. unendlich in seinem Wert – ist. Die Hypes des
Kunstmarkts werden hier zum Beleg für den Wunsch der Kapitalisten, sich
vom Dauerzwang profitabler Wiederanlage zu erlösen. Das kann ihnen aber
nur gelingen, wenn sie den Sprung in eine höhere Dimension schaffen – und
für endlich viel Geld unendlich viel Wert erwerben. Allein die Kunst bietet
ihnen die Chance auf eine Rendite, die nicht mehr in Prozent gemessen
werden kann.
Zeuxis, Hitler, Breuer: Mit diesen drei Namen verbinden sich drei
Strategien, um dem jeweils als absolut unterstellten Wert der Kunst zu
begegnen. Eigentlich handelt es sich hierbei um ein theologisches Problem,
nämlich um die Frage, ob und wie etwas Unendliches in der endlich-irdischen
3 Wilhelm Heinrich Wackenroder/ Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden
Klosterbruders (1797), Stuttgart 1997, S. 71ff.
4 Oscar Wilde: "Vortrag vor Kunststudenten" (1883), in: ders.: Essays I, Sämtliche Werke Bd.
6, hg. v. N. Kohl, Frankfurt/Main 1982, S. 138.
5 Vgl. Plinius: Naturalis Historia, XXXV, 62.
6 Zit. nach Kunstzeitung Nr. 103 (März 2005), S. 7.

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Welt repräsentiert werden kann. Breuer gibt eine katholische Antwort:
Materielle Superlative, die auf den Kunstmärkten generiert werden, können
zwar den wahren Wert der Kunst nicht aufwiegen, doch vermitteln sie
immerhin eine Andeutung des transzendenten Glamours, der sie auszeichnet.
Preisrekorde und Starkult besitzen wie ehedem bunte Kirchenfenster und
leuchtende Altarbilder eine anagogische Funktion: sie nähern dem Glanz der
Kunst an.
Hitler verhält sich hingegen wie ein Protestant. Für ihn ist a priori
ausgeschlossen, daß der absolute Wert der Kunst mit materiellen Mitteln
darzustellen ist. Nicht einmal eine Ahnung von der unendlichen Leistung der
Kunst ließe sich gewinnen, wenn man etwa die Künstler exorbitant hoch
dafür entlohnte. Es wäre töricht und vermessen, wollte man sich mit
Materiellem und Vergänglichem dem Immateriellen und Ewigen annähern.
Die Inkompatibilität der zwei Reiche anzuerkennen, führt aber
notwendigerweise dazu, daß man Künstler auch nur für ihren materiellen
Aufwand entlohnt. Man zahlt sie als Handerker und Arbeiter, nicht als
Künstler.
Zeuxis hatte offenbar eine noch schlechtere Meinung vom Materiellen.
Für ihn war es nicht nur unfähig, absolute Werte zu repräsentieren, sondern
drohte das Immaterielle sogar zu beschmutzen oder zu überlagern. Der
entlohnte Künstler ist der erniedrigte Künstler, könnte doch der Eindruck
entstehen, damit sei sein Werk tatsächlich aufgewogen. Um dem
vorzubauen, war das Verschenken der Kunst ein raffinierter Zug, kam der
Künstler dadurch nämlich doch noch in den Genuß einer unendlichen
Gegengabe. Genauer: Der Beschenkte stand in einer unendlichen –
untilgbaren – Schuld beim Künstler. Diese ergab sich allein aus dem Akt des
Schenkens. Denn während das Geschenk eine freiwillige Großzügigkeit
darstellt, hat jede Gegengabe, so groß sie auch sein mag, den Beigeschmack
einer bloßen Reaktion darauf; ihr fehlt die Freiwilligkeit – und diese ist durch
nichts aufzuwiegen. Das Geschenk als Geschenk muß also unerwidert
bleiben. Georg Simmel arbeitete diese tückische Dimension des Schenkens
wohl am besten heraus und zeigte, daß der Beschenkte aus dem Empfinden
heraus, kein Äquivalent für die ihm widerfahrene Gabe finden zu können, ein
Gefühl der Dankbarkeit entwickelt, das ihn "in einen gewissen Dauerzustand"
dem Schenkenden gegenüber versetzt, also kein Ende kennt. So wird der
Beschenkte zur "inneren Unendlichkeit eines Verhältnisses" genötigt, "das
durch keine endliche Betätigung vollkommen erschöpft oder verwirklicht
werden kann".7 Bezogen auf Zeuxis heißt das: Dieser ließ sich die
Unendlichkeit des Kunstwerts durch eine unendliche Dankbarkeit vergelten.
Das führt zu der Frage, was genau für die Künstler bei den beiden
anderen Strategien abfällt, die es gibt, um dem als absolut unterstellten Wert
der Kunst zu begegnen. Breuers katholisch-kapitalistische Variante macht sie
zu Superreichen, die sich jeden irdischen Wunsch erfüllen können und die –
auch wegen ihres Gelds – zu den begehrtesten Celebrities der Gesellschaft
gehören. Hitlers protestantisch-antiökonomistischer Spielart liegt die
7 Georg Simmel: "Dankbarkeit. Ein soziologischer Versuch", in: Der Morgen. Wochenschrift
für deutsche Kultur, 1/19 (1907), S. 596.

5
Überlegung zugrunde, daß der Künstler in dem Maße, in dem er ewige Kunst
hervorbringt, seinerseits Unsterblichkeit erlangt. Das macht die Sache
einfach: Daß man ihn materiell und zu Lebzeiten nur völlig unzureichend
entlohnen kann, braucht nicht zu beunruhigen, denn wenn er es verdient hat,
bekommt er mit der Unsterblichkeit den ohnehin einzig angemessenen – da
seinerseits unendlichen – Lohn.
Hitler will die Künstler somit gemäß einer Ökonomie der
Aufmerksamkeit honoriert wissen, wie er am Beispiel der antiken Kunst
ausführte: "Die größten Meisterwerke der antiken Baukunst, die Leistungen
ihrer Bildhauerei und Malerei galten als Nationaleigentum, (...) aber nicht
infolge irgendeines kaufmännischen Wertes, der etwa den von den heutigen
Händlern gemachten Marktpreisen entsprochen haben könnte, nein, sondern
infolge der inneren Anteilnahme, in der ein ganzes Volk (...) Geburt und
Werden eines solchen Werkes verfolgt und erlebt hatte" (194).
Dieses Entlohnungssystem ist nicht nur sehr einfach, sondern aus
Hitlers Sicht auch höchst gerecht, sind Anteilnahme und Aufmerksamkeit des
Volkes doch direkte Folge der Qualität eines Kunstwerks: Was besser ist,
findet mehr Resonanz, und was nicht ganz so gut ist, wird früher oder später
vergessen. Hitler braucht somit auch keine weiteren Kriterien, um
festzustellen, ob etwas große – ewige – oder weniger große – modische –
Kunst ist. Vielmehr argumentiert er evolutionsbiologisch, wobei sich immer
erst in einer indefiniten Zukunft herausstellt, was am besten – am stärksten –
war und alles andere überlebt hat. Daß man so lange – genau genommen:
immer – warten muß, bis der Wert eines Kunstwerks feststeht, ist für Hitler
aber insofern kein Manko, als der Künstler den Lohn dafür ja ohnehin nicht in
der Gegenwart bekommen kann.
Hitler hat so volles Vertrauen in den Lauf der Welt als Prüfinstanz, daß
ihm die Kunstkritik – jegliche Diskussion über Kriterien für Kunst – unnötig, ja
sogar verfeht erscheint. Wie man Zukunft nicht vorwegnehmen kann, ist es
auch unmöglich, bereits in der Gegenwart den Rang eines Künstlers zu
ermitteln. Interesse daran können nur diejenigen haben, die an der Kunst
auch verdienen wollen. Ein Händler "organisiert" Kunstkritiker, deren Aufgabe
"in der Vorbereitung der Marktfähigkeit des Produktes" besteht, die aber
genauso den Marktwert von Künstlern der Konkurrenz niederschreiben
können (193). Kunstkritik ist für Hitler damit gleichbedeutend einer
Manipulation des wahren Kunsturteils. Für ihn gilt: Nur wer die Zukunft nicht
abwarten kann, sucht nach Kriterien für Kunst.
Allerdings kann, wer mit dem Wert der Kunst im Sinne von Zeuxis oder
Breuer umgehen will, die Zukunft wirklich nicht abwarten, soll der Künstler ja
jeweils bereits in der Gegenwart entlohnt werden. Der eine muß daher die
Frage beantworten können, ob er überhaupt zu Dankbarkeit verpflichtet ist –
oder ob er vielleicht ein wertloses Geschenk bekommen hat –, den anderen
treibt die Sorge um, ob er sein – vieles – Geld nicht an einen Scharlatan oder
Blender gezahlt hat. Hitler hingegen ist das egal, verausgabt er sich doch
nicht gegenüber dem Künstler. Ihn kann es sogar unbekümmert lassen, wenn
ein großer Künstler zu Lebzeiten unerkannt bleibt und arm und vergessen
stirbt: Die Nachwelt wird zwangsläufig Gerechtigkeit walten lassen, und nur

6
wer in der Ewigkeit nicht berühmt wird, hat es auch nicht verdient. Selbst
eventuelle Skrupel wegen der Kampagnen gegen die ‘Entartete Kunst’ lassen
sich mit dem einfachen Verweis auf die Ewigkeit auflösen: Sollten die
Künstler des Expressionismus oder Dadaismus doch etwas Bedeutendes
geschaffen haben, dann könnte die Verfolgung zu Lebzeiten ihrem ewigen
Ruhm nicht wirklich etwas anhaben.
Es ist unschwer zu erkennen: Die Ewigkeit zum Maßstab der Kunst zu
erklären, macht zwar vieles verblüffend einfach, führt aber auch zu einem
Verlust von ‘irdischen’ Maßstäben und damit von Verantwortlichkeit. Es ist
bequem – unendlich bequem –, alles an die Zukunft zu delegieren, ja es ist
eine Form von Fatalismus, dem man sich damit ausliefert: Man kann selbst
nicht wissen, was die Zukunft über einen urteilen wird, also braucht man
auch nicht gewissenhaft zu prüfen, wie man handelt.
Es wäre allerdings eine Verzerrung, unterstellte man der Kunstreligion
insgesamt, sie habe mit ihrer Beschwörung von Ewigkeit der
Unverantwortlichkeit Hitlers Tür und Tor geöffnet. Genau genommen war das
Ewigkeits-Postulat nur eine Art und Weise, den unterstellten absoluten Wert
der Kunst zu verstehen. Deren Unendlichkeit wurde genauso – oder sogar
noch eher – als Unerschöpflichkeit oder Deutungsoffenheit behauptet. Um
festzustellen, daß ein Kunstwerk immer wieder neue Deutungen offenbaren
kann, braucht es zwar auch Zeit, doch muß sie nicht zur Ewigkeit werden.
Daß verschiedene Rezipienten anderes an einem Werk wahrnehmen und
ganz Unterschiedliches aus ihm ziehen, genügt im allgemeinen schon zur
Hypothese, es mit etwas zu tun zu haben, das die Endlichkeit transzendiert.
Vielleicht erschöpft sich ein solches Werk zwar nach einigen Jahren oder
Jahrhunderten, doch in der Gegenwart könnte es beliebig vielen Menschen
beliebig viel Bereicherung bieten: Es scheint eine solche “Unendlichkeit von
Absichten” zu enthalten, daß “kein endlicher Verstand” sie erschließen
könnte, wie Schelling es formulierte.8
Hitler vermied diese Variante von Kunst-Unendlichkeit konsequent,
denn wer Vieldeutigkeit preist, muß auch zulassen, daß viel gedeutet wird.
Dann ist es aber die Kunstkritik und nicht die Zukunft, die über die Qualität
eines Werks entscheidet. Es geht dann auch um individuelle
Kunstverhältnisse und Deutungswege, während Hitler nur das Volk – einen
kollektiven Körper – als Rezipienten kannte, der in der Kunst vor allem die
eigene Identität erfahren sollte. Diese aber war nicht nur nicht unendlich,
sondern im Gegenteil ein singulare tantum: Aus einem Blut und einem Boden
kann nur eine – eindeutige – Kunst kommen. (Ob das ewig Eindeutige aber
nicht etwas langweilig wäre, blieb von Hitler unerörtert.)
Hitlers Version von Kunstreligion spielt heute keine Rolle mehr. Dabei
dürfte das nicht einmal primär daran liegen, daß er sie durch die Koppelung
von Ewigkeit an Blut und Boden diskreditiert hat. Vielmehr paßt das Credo
einer Unerschöpflichkeit und Offenheit so gut zur postmodernen Faszination
am Pluralen, daß sich, wer Kunst loben will, heute bevorzugt in diesen
Kategorien äußert. Das heißt auch: Unter postmodernem Gewand lebt die
8 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800),
Hamburg 1957, S. 289, 288.

7
romantische Kunstreligion einfach fort. Die Lust, einer Deutung eine andere
entgegenzusetzen, um das vermeintlich Feste zum Schweben zu bringen und
sich selbst immer mehr zu differenzieren, zu erweitern, in seiner
Beschränktheit zu transzendieren, schätzten schon Romantiker wie Friedrich
Schlegel als Ironie, und propagieren inzwischen Leitfiguren der Postmoderne
wie Richard Rorty unter demselben Begriff.
Der Konjunktur, die Unerschöpflichkeit und Deutungsoffenheit
heutzutage genießen, entspricht die aktuelle Dominanz des katholisch-
kapitalistischen Umgangs mit Kunst: Wer in der Gegenwart möglichst viel –
Verschiedenes – von ihr haben will, ist auch bereit, dem Künstler möglichst
viel dafür zu zahlen. Daß Galeristen und Art Consultants zu denen gehören,
die besonders engagiert von den unerschöpflichen Quellen der Kunst – dem
Geheimnis ihrer Bedeutungsfülle – schwärmen, liegt dabei auf der Hand.
Die Abkehr vom Wunsch nach Ewigkeit ist hingegen so entschieden
vollzogen worden, daß auch kaum noch ein Künstler die eigene
Unsterblichkeit als Ziel hat. Vieldeutig zu sein, ist attraktiv genug, zumal
wenn sich damit reich werden läßt. Kaum noch denkbar wäre, daß ein
zeitgenössischer Künstler mit dem Argument, seine Arbeit werde über
Jahrhunderte hinweg haltbar bleiben, um mehr Geld bei seinem Kunden
bittet. Die Überzeugung, etwas würde über einen so langen Zeitraum gelten
und müßte allein deshalb so gründlich ausgeführt werden, ist verschwunden.
Oft kümmern sich Künstler nicht einmal darum, ob ihre Werke auch nur fünf
oder zehn Jahre überdauern. Über Alterungsprozesse von Materialien machen
sie sich kaum einmal Gedanken. Während Albert Speer noch eine “Theorie
vom Ruinenwert” aufstellte, um sicherzugehen, daß die NS-Bauten selbst
nach tausend Jahren, im fragmentierten Zustand, eine gute Figur abgeben9,
ist die heutige Kunst postmoderner Ironie und der Eventkultur so nahe
gerückt, daß sie zu großen Teilen ebenso temporär angelegt ist wie ein
Festival oder eine Messe.
Wie lange diese Abkehr von der Ewigkeit allerdings noch währen wird,
ist ungewiß. Daß viele Arbeiten moderner und aktueller Kunst nämlich schon
nach kurzer Zeit Verfallsspuren ausweisen, dürfte bald Konsequenzen haben.
Immerhin handelt es sich hier häufig um Schadensfälle für die
Versicherungen. So ist die AXA-Kunstversicherung, Marktführer auf ihrem
Gebiet, schon dabei, die Haltbarkeit verschiedenster Materialien zu prüfen,
welche in der modernen Kunst eine Rolle spielen. Sobald diese Prüfungen
abgeschlossen sind, soll ein zusätzliches Kriterium bei der Berechnung von
Versicherungs-Policen eingeführt werden: die Halbwertszeit. Das heißt: Wer
Arbeiten von Künstlern kauft, die mit altersanfälligen Materialien arbeiten
(und die der “Theorie vom Ruinenwert” nicht entsprechen), sich aber gegen
jegliche Art von Verlust des Kunstwerks versichern will, muß künftig eine
deutlich höhere Versicherungsgebühr zahlen. Das wird den Kunstmarkt nicht
unbeeinflußt lassen. Denn wer will schon zuerst viel Geld für einen angeblich
absoluten Wert zahlen, und dann noch einmal viel ausgeben, weil dieser
absolute Wert schon nach wenigen Jahren zu verschwinden droht? Und so
werden auch künftige Anlageberater, sofern es um Kunst geht, wieder mit
9 Vgl. Albert Speer: Erinnerungen, Berlin 1969, S. 69.

8
der Wertbeständigkeit argumentieren. Sie werden zwar nicht gleich die
Ewigkeit beschwören, müssen aber zumindest handwerkliche Tugenden
hervorheben.

(Vortrag am 6. Mai 2005 im ZKM-Karlsruhe im Rahmen des Symposions


"Kulturkrieg – Adolf Hitlers Kulturreden)

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