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„…ES BLIEB

KEIN
ANDERER WEG…”
Zeitzeugenberichte und
Dokumente aus dem
Südtiroler Freiheitskampf
Gedruckt mit Unterstützung von

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der Kulturabteilung für die deutsche und ladinische Volksgruppe


in der Südtiroler Landesregierung

Impressum
Herausgeber: Sepp Mitterhofer, Günther Obwegs
Gestaltung, Satz: Hauger-Fritz, Meran
Druck: Varesco, Auer
ISBN-Nummer: 88-8300-008-0
DIE WAHRHEIT
KANN MAN
NICHT VERBRENNEN,
DENN DIE WAHRHEIT
IST DAS FEUER!

Das wiederholte Lesen der Berichte und Dokumentationen, die das vorlie-
gende Manuskript enthält, bot mir ein aufwühlendens Erlebnis. Die Ausführun-
gen wirkten auf mich wie ein Heldenepos, das in realistischer, dokumentarisch
untermauerter und zugleich packender Weise dem Leser ein wahrheitsgetreues
Bild vor Augen hält.
Das hier Gebotene muss unbedingt als Buch jedermann zugänglich gemacht
werden. Es hält nicht nur die Erinnerung an eine Tiroler Heldenzeit wach, sondern
stärkt auch das Tiroler Landesbewusstsein, für das es nicht die «Länder Tirol und
Südtirol», sondern nur das eine Land Tirol geben darf, wenn es auch auf zwei
Staaten aufgeteilt ist.
Dr. Egon Kühebacher
INHALTSVERZEICHNIS
Geleitwort Dr. Bruno Hosp ............................................................................................................................. 7
Geleitwort der unterfertigten Freiheitskämpfer ............................................................................................... 9
Vorwort der Herausgeber ............................................................................................................................. 13
Einleitung ...................................................................................................................................................... 15

Die Wurzeln des Widerstandes


Hans Stieler .................................................................................................................................................. 21
Warum wir nicht zusehen konnten
Sepp Mitterhofer .......................................................................................................................................... 35
Für uns galt es, die Heimat zu retten…
Luis Steinegger ............................................................................................................................................. 59
Die «Cura speciale»
Luis Gutmann ............................................................................................................................................... 65
Die Freiheit nicht haben und… Sorgen
Helmut Kritzinger ......................................................................................................................................... 99
Das Gefängnsleben als politischer Häftling
Sepp Mitterhofer ........................................................................................................................................ 107
Mit 32 Jahren ist man halt noch belastbar
Johanna Clementi ....................................................................................................................................... 135
Man sah ihm deutlich die Misshandlung an
Maria Mitterhofer ....................................................................................................................................... 143
Wie viele Tränen flossen, blieb verborgen
Midl von Sölder .......................................................................................................................................... 151
«Ihr Mann, wo ist er?»
Rosa Klotz .................................................................................................................................................. 161
Grüß mir die Heimat, die ich mehr geliebt als mein Leben
Franz Amplatz und Günther Obwegs ......................................................................................................... 191
Wir Tiroler wollen selber frei entscheiden
Ein Rundschreiben von Sepp Kerschbaumer ............................................................................................... 211
Das Leben des Sepp Kerschbaumer
Sepp Mitterhofer ........................................................................................................................................ 219
Die Nacht und die Berge gehörten ihnen… – Eine Stimme aus dem Exil
Siegfried Steger .......................................................................................................................................... 241
Südtiroler Freiheitskampf – Als Österreicher im Dienst der Sache
Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung – Innsbruck ................................................................................................ 257
Die Urteile .................................................................................................................................................. 301
Die Toten .................................................................................................................................................... 325
Und noch kein Ende? ................................................................................................................................. 331
Das Buch und die Wahrheit des Prof. Rolf Steininger ............................................................................... 339
Ein letztes Wort und Dank ......................................................................................................................... 357
GELEITWORT
Dr. Bruno Hosp

Die Aufarbeitung von Geschichte ist nen Gesichtspunkt und eine Leseart ein,
nicht immer einfach – vor allem dann die bisher nicht im Vordergrund der öf-
nicht, wenn es sich um eine leidvolle fentlichen Diskussion stand, aber doch
und bewegte Geschichte handelt. Im mit gesehen werden sollte. Denn jene
Rückblick sind viele Ereignisse verschie- Südtiroler, die um 1961 – Ende der 50er
den interpretierbar. Geschichtsschrei- und Anfang der 60er Jahre – versucht
bung gewinnt dann an Wert, wenn die haben, mit spektakulären Mitteln das
Geschichte nicht nur von einem Ge- Weltgewissen auf das Unrecht an ihrer
sichtspunkt, sondern aus verschiedenen Heimat aufmerksam zu machen, haben
Sichtweisen beschrieben und für die bei all ihren Aktionen darauf abgezielt,
Nachwelt festgehalten wird. Das Rin- Menschenleben nicht nur nicht als Mit-
gen um Wahrheit spricht sich in einer tel der politischen Erpressung einzuset-
solchen Pluralität an Sichtweisen in ei- zen, sondern sie überhaupt zu scho-
ner demokratischen und gerechten nen. Eine Vorgangsweise, die sich haus-
Weise aus; und es bleibt den nachfol- hoch über den politischen Terrorismus
genden Generationen überlassen, sich unserer Tage hinaushebt. Und sie ha-
aus den verschiedenen Quellen ein um- ben zumeist harte und lange Gefäng-
fassendes und objektives Urteil über die nisstrafen verbüßt, nachdem sie in der
Geschehnisse zu formen, von denen Voruntersuchungsphase zum allergröß-
ihre eigene Welt mit abhängt. ten Teil Misshandlungen zu erdulden
Das vorliegende Buch schildert ei- hatten, die einer modernen demokrati-
nen Abschnitt der jüngeren Geschichte schen Rechtspflege unwürdig waren.
7
Südtirols aus der Sicht von ehemaligen Ich halte es daher für sehr angebracht,
politischen Häftlingen und deren Frau- dass ihre Erlebnisschilderungen und
en, die selbst an den damaligen Ereig- jene ihrer Frauen, die mitgelitten ha-
nissen Teil hatten. Es bringt damit ei- ben, der Nachwelt überliefert werden.
Auch einige eingefügte Lebensbilder diese Kapitel Tiroler Geschichte gebun-
von Aktivisten der Sechzigerjahre ma- den waren und zum Teil auch noch im-
chen Geschichte von der menschlichen mer gebunden sind, machen das vorlie-
Seite her erfahrbar und das ist wichtig, gende Buch für viele Interessierte zu ei-
wenn man ihre eigentliche Dimension nem lesenswerten, ja spannenden Do-
begreifen will. Die Schicksale, die an kument.

Bozen, am 10.04.2000 Dr. Bruno Hosp


Landesrat für Kultur

8
GELEITWORT DER UNTERFERTIGTEN FREIHEITSKÄMPFER

Nachdem die Zeitzeugen – die Frei- auch für deren Familien. Besonders die
heitskämpfer der 50er- und 60er Jahre – Frauen und Mütter litten schwer darun-
immer weniger werden, hat sich der Süd- ter, weil viele den Vater und Familiener-
tiroler Heimatbund (SHB), als Vertretung nährer von einem Tag auf den anderen
der Südtiroler politischen Häftlinge zu verloren und so die ganze Last der Erzie-
seinem 25-jährigen Bestandsjubiläum hung zu tragen hatten und den Lebens-
entschlossen, ein Symposium über den unterhalt alleine bestreiten mussten.
Freiheitskampf abzuhalten. Diese Veran- Wenn sie auch viel Solidarität und
staltung im Grieser Kulturheim übertraf Hilfe von Verwandten und Bekannten er-
alle Erwartungen, vor allem viele Jugend- fuhren, so waren sie letztendlich doch
liche hatten sich eingefunden und reges auf sich allein gestellt und die Sorge um
Interesse gezeigt. Auch das Echo in den den geliebten Mann oder Sohn blieb Tag
Medien war sehr positiv. So wurde die und Nacht eine große Last. Außerdem
Idee geboren, die Referate der Zeitzeu- schlug den betroffenen Familien nicht
gen mit Berichten von Häftlingsfrauen, von allen Leuten Solidarität entgegen; es
Dokumenten und Fotos von Beteiligten gab genug Personen, welche einen
der Sechzigerjahre zu erweitern und ein Bogen um sie machten und offen ihre
Buch herauszugeben. Abneigung zeigten.
Wenn auch noch nicht alles gesagt Die Tatsache, dass auf unseren Höfen
werden kann, so sind die unterfertigten und Besitzungen (1961) eine Hypothek
Freiheitskämpfer doch der Meinung, dass von einer Milliarde und dreihundert Mil-
es notwendig und richtig ist, der näch- lionen Lire lastete, war für uns und un-
sten Generation, vor allem aber der Ju- sere Angehörigen noch eine zusätzliche
gend, ihre persönlichen Erlebnisse und moralische Bürde. Sie wurde erst Mitte
die Ereignisse dieser schicksalsschweren der neunziger Jahre nach mühevoller
Zeit des Freiheitskampfes in Südtirol und Kleinarbeit von Pepi Fontana – auch ein
die Gründe, die dazu geführt haben, politischer Häftling – gelöscht.
9
weiterzugeben. Dieser Lebensabschnitt Ebenso hat Pepi Fontana bei der Re-
war nicht nur für die Betroffenen selbst, habilitierung vieler politischer Häftlinge
die ja Folter und Gefängnis erdulden mitgearbeitet und, wie auch Dr. Karl
mussten, eine schwere Zeit, sondern Zeller, die mühevolle Arbeit kostenlos
durchgeführt. Dafür gebührt beiden ein Gasthöfe wurden für polizeiliche Zwecke
aufrichtiger Dank der politischen Häftlin- beschlagnahmt, es herrschte regelrech-
ge. ter Ausnahmezustand.
Auch jene Südtiroler dürfen nicht ver- Immer wieder ließ sich der italieni-
gessen werden, welche wegen ihres Ein- sche Staat, vertreten durch Carabinieri,
satzes für unsere bedrohte Heimat flüch- Polizei und Geheimdienst, zu brutalen
ten mussten und selbst in Österreich da- Übergriffen hinreissen. Der Meuchelmord
mals polizeilich verfolgt wurden und da- an Luis Amplatz, ausgeführt von Christi-
her ständig auf der Flucht waren. Heute an Kerbler, war vom italienischen Ge-
sind sie in Nordtirol ansässig, dürfen aber heimdienst gesteuert. Oder die un-
nicht mehr in die eigene Heimat zurück- menschlichen Repressalien in Tesselberg
kehren. bei Bruneck, wo es nur einem mutigen
Auch für ganz Südtirol war dieser Offizier, Oberstleutnant Giudici, zu ver-
Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit danken war, dass nicht fünfzehn Tessel-
eine harte Zeit, denn der italienische berger unschuldig erschossen worden
Staat reagierte mit brutalen Methoden sind. Das sind nur zwei Beispiele von
auf die Anschläge. Neben den schweren vielen.
Misshandlungen an den politischen Häft- Auch die Südtiroler Volkspartei geriet
lingen – mit Todesfolge bei Franz Höfler unter Druck und lief Gefahr, aufgelöst zu
und Toni Gostner – hatten die Bewacher werden, denn die Italiener glaubten, dass
öffentlicher Einrichtungen den Befehl, sie die Hände bei den Anschlägen mit im
ohne Vorwarnung zu schießen. Spiel hatte. Wenn wir bei den Verhören
So wurden am 19. Juni 1961, eine den Mund aufgemacht hätten, dann wä-
Woche nach der Feuernacht, zwei junge ren wohl mehrere Spitzenfunktionäre der
Männer, Hubert Sprenger (Mals) und SVP mit uns hinter Gitter gewandert.
Sepp Locher (Sarnthein), unschuldig er- Aber wir haben trotz Folterungen in die-
schossen. Auch Peter Thaler, der beim ser Hinsicht dicht gehalten und das war
italienischen Heer im Dienst war, wurde auch besser so. Allerdings hat es uns die
eine Woche später in Welsberg von ei- SVP nachher nicht gedankt, denn sie hat
nem italienischen Offizier «versehentlich» uns Selbstbestimmungsbefürworter be-
erschossen. kämpft, wo sie nur konnte, und das stellt
10
Zahllose Hausdurchsuchungen – wo- den Vertretern dieser Partei kein gutes
bei es immer wieder zu menschenrechts- Zeugnis aus.
widrigen Übergriffen kam – wurden im 1976 bei der Landesversammlung der
ganzen Land durchgeführt. Mehrere SVP in Meran hat uns dann der Obmann,
Dr. Silvius Magnago, moralisch rehabili- Ob wir durch die verbesserte Auto-
tiert. Ein Jahr zuvor hatte der damalige nomie eine größere Chance haben, süd-
Ortsobmann der SVP und Bürgermeister lich des Brenners als Tiroler zu überle-
von Ritten, Dr. Bruno Hosp, bei der Lan- ben, ist absolut offen. Der Geldsegen aus
desversammlung der SVP in einer patrio- Rom wird gezielt eingesetzt und der
tischen Rede die Rehabilitierung der po- Wohlstand macht die Südtiroler satt und
litischen Häftlinge gefordert. müde.
Die Gründe, welche zu diesem Auf- Der Wille zum Volkstumskampf wird
bzw. Widerstand in Südtirol gegen die geschwächt, die Werte verschieben sich
italienische Staatsmacht geführt haben, immer mehr, der Idealismus geht vielfach
werden im Buch selbst ausführlich dar- verloren und der Materialismus mit all
gelegt. Es war nicht möglich, alle Betei- seinen Nachteilen rückt in den Vorder-
ligten zu Wort kommen zu lassen, denn grund. Die Grenzen zwischen deutscher
das würde einerseits den Rahmen spren- und italienischer Kultur und Mentalität
gen und andererseits sind viele nicht werden immer mehr verschoben und ver-
bereit, über diesen schweren Zeitab- mischt. Unser Ziel muss nach wie vor ein
schnitt ihres Lebens zu reden, weil ihre vereintes Tirol sein, denn es soll wieder
Erlebnisse so einschneidend waren, dass zusammenwachsen, was zusammenge-
sie sich ganz zurückgezogen haben. hört.
Dieses Buch soll nur einen bescheide- Noch ein Wort an jene Personen,
nen Einblick in die schicksalhafte Zeit der welche heute, 40 Jahre nach den geschil-
Sechzigerjahre geben und ist ein Versuch, derten Ereignissen, glauben, alles besser
den nachfolgenden Generationen zu zei- zu wissen und versuchen, die Freiheits-
gen, dass wir nicht aus Abenteuerlust, kämpfer von damals in «Brave» und
sondern aus Idealismus gehandelt haben. «Böse» einzuteilen, ohne genaue Kennt-
Es war ein verzweifeltes Ringen, um nis der damaligen Lage und Ereignisse
unserem Volk, das sich sozial und volks- zu besitzen.: Es ist zu einfach und anma-
tumspolitisch in einem Notstand befand, ßend nebenbei, heute über diese Män-
ein besseres Leben zu ermöglichen. ner ein Urteil zu fällen, welche um der
Wenn wir unser Ziel – die Wiedervereini- Freiheit unseres Landes willen Leib und
gung Tirols – auch nicht erreicht haben, Leben aufs Spiel gesetzt haben.
11
so glauben wir doch, durch unseren da- Wo waren denn diese Kritiker da-
maligen Einsatz einen wichtigen Beitrag mals, als es den Südtirolern politisch und
geleistet zu haben, dass es uns Südtiro- sozial so dreckig ging, dass viele Tausen-
lern heute wesentlich besser geht. de junge Männer ins Ausland gehen
mussten, weil in der Heimat die öffent- ein gerechtes Urteil über diese Männer
lichen Stellen zu 90% von Italienern be- bilden.
setzt waren? Wo waren sie, die heute so Eine Aussage von Dr. Silvius Magna-
leichtfertig über die Freiheitskämpfer ur- go klingt für die damalige Zeit sehr tref-
teilen, als wir von menschlichen Bestien fend: «Eine außerordentliche Situation
gefoltert wurden? Haben sie unsere erfordert außerordentliche Maßnah-
Schreie aus den Kasernen nicht gehört men!»
oder wollten sie sie nicht hören? Haben Abschließend möchten wir Univ. Pro-
sie sich damals für uns, unsere stark fessor Dr. Erhard Hartung einen aufrich-
bedrohte Volksgruppe und für die Südti- tigen Dank aussprechen für die Mitge-
roler, die flüchten mussten, auch so en- staltung dieses Buches und für die gute
ergisch eingesetzt, wie sie jetzt darüber Zusammenarbeit der Südtiroler und
urteilen? Nordtiroler Freiheitskämpfer.
Jene, die damals zu jung waren, kön- Einen herzlichen Dank aussprechen
nen zwar nichts dafür, sie können sich möchten wir auch all jenen Frauen und
aber heute bei ihren Eltern oder bei den Männern in Südtirol, Österreich und
noch lebenden Zeitzeugen informieren, Deutschland, welche uns und unseren
in welch bedrohlicher Lage sich unsere Familien in den 60er Jahren beigestan-
Heimat befand. Nur so können sie sich den sind und unterstützt haben!

Die Freiheitskämpfer

12
VORWORT DER HERAUSGEBER

Als wir uns die Aufgabe gestellt Dem geschätzten Leser möchten wir
haben, dieses Buch zu schreiben, er- schon jetzt mitteilen, dass wir durch die-
schien es uns zuerst ein Leichtes. Doch ses Buch zwei Ziele erreichen wollen.
bald mussten wir feststellen, dass es Einmal sollten die beschriebenen Ereig-
eine harte Arbeit werden würde. An- nisse der heutigen Jugend vermittelt und
gespornt von der Hilfe all unserer Freun- für künftige Generationen aufbewahrt
de und angetrieben vom Bewusstsein, werden.
etwas Wichtiges und Gutes für unsere Weiters sollte den vielen Lügen und
Heimat zu tun, haben wir das Aben- Unwahrheiten, welche in den letzten
teuer der Herausgabe gemeinsam ge- Jahren über den Freiheitskampf der 60er
wagt. Jahre gesagt und geschrieben wurden,
Ausgangspunkt dieses Buches war endlich die Wahrheit gegenübergestellt
das im November 1999 vom Südtiroler werden. Endlich die Betroffenen selbst
Heimatbund in Bozen abgehaltene Sym- zu Wort kommen zu lassen, eine Re-
posium zum Thema «Der Südtiroler Frei- cherche vor Ort, das galt uns als ober-
heitskampf in den 60er Jahren». Anläss- ster Grundsatz.
lich dieser Veranstaltung erhielten zum Für das Buch können wir nicht den
ersten Mal die direkt Betroffenen das Anspruch der Vollständigkeit erheben.
Wort. Einer der ersten vorgeschlagenen Titel
So entstand eine Sammlung von per- lautete «Die Wahrheit», aber bald mus-
sönlichen Erinnerungen, Wissen und sten wir feststellen, dass zur «Wahrheit»
Schicksalen von Menschen, die, als es der gute Wille unsererseits niemals ge-
um Südtirol nicht gut stand, direkt oder nügen könnte. Erst wenn der italieni-
indirekt in den Widerstand gegen den sche Staat als der Mächtigere in diesem
fremden Staat verwickelt waren. ungleichen Kampf von seinen finsteren
Ergänzt wurden diese Berichte durch Methoden der Geheimpolitik, der fehl-
Informationen und Dokumente, die jah- geleiteten Geheimdienste Abstand neh-
13
relang gesammelt wurden und durch men und alle Geheimarchive öffnen
Notizen aus zahllosen Gesprächen und wird, wird es möglich sein, die gesamte
Treffen, gemeinsam aufgewärmte gute Wahrheit zu erfahren. Dies wäre auch
und böse Erinnerungen. eine grundlegende Voraussetzung, ein
gutes und festes Fundament zu bauen, Alt und Jung, zwischen Erfahrung und
auf dem man einen wahren Frieden in Wissensdurst aufs Beste bewährt.
unserer Heimat verwirklichen kann. Es war unsere Absicht, das Buch –
«Es blieb kein anderer Weg …» war soweit es möglich war – leicht und für
dann der Titel, auf den wir uns einig- alle verständlich zu schreiben – ohne
ten. Ein Zitat aus einem Brief von Jörg umständliche Floskeln oder mit vielen
Pircher, der 1966 aus dem Gefängnis schönen, aber leeren Worten, wie es
geschmuggelt wurde und zeigt, wie heute oft üblich ist – , denn es soll ein
ungebrochen der Wille der inhaftierten, Lesebuch für alle werden, die dem
verfolgten und noch aktiven Freiheits- Schicksal ihrer Heimat nicht gleichgül-
kämpfer bis zuletzt blieb. tig gegenüberstehen und aus der
Es war nicht immer leicht, verschie- Vergangenheit für die Zukunft lernen
dene Erinnerungen, Erfahrungen und wollen.
Meinungen in Einklang zu bringen; aber
dabei hat sich die Mischung zwischen Sepp Mitterhofer & Günther Obwegs

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EINLEITUNG

Sofort nach Kriegsende am 8. Mai Vertrag, sollte der deutschen Volksgrup-


1945 versuchten verschiedene Südtiro- pe (die ladinische wurde vollkommen
ler Kontakt zu den alliierten Streitkräf- ignoriert) Sicherheit und Überleben ge-
ten aufzunehmen, um eine Wiederan- währleistet werden. Den Südtirolern
gliederung Südtirols an Österreich zu er- wurden dadurch zwar einige Grundrech-
reichen. Man hoffte auf die Durchset- te zugestanden, aber Italien hatte nur
zung des Selbstbestimmungsrechtes, unter dem Druck der Alliierten der Auf-
das den Südtirolern bereits 1918 ver- nahme dieses Minderheitenschutzvertra-
wehrt worden war. Die gesamte Bevöl- ges – dem Friedensvertrag – zugestimmt
kerung richtete ihre Aufmerksamkeit auf und, obwohl es sich um einen interna-
die Alliierten in der Erwartung, dass die- tionalen Vertrag handelte, war es von
se nicht die Augen vor der offenen Ti- Beginn an nicht gewillt, sich daran zu
rol- bzw. Südtirolfrage verschließen halten.
würden, sondern für sie und nicht für Italien ging es hauptsächlich darum,
die italienischen Nationalisten Partei er- sich durch den Friedensvertrag den ter-
greifen würden. ritorialen Besitz Südtirols zu sichern. Als
Zu diesem Zwecke wurden kurz Rom sich wieder gestärkt fühlte, wur-
nach Kriegsende im ganzen Land Un- den die Italienisierungspläne des faschis-
terschriften für die Selbstbestimmung tischen Regimes vielerorts wieder auf-
und für die Wiedervereinigung mit gegriffen und fortgeführt. Dazu gehör-
Österreich gesammelt. Fast jeder wahl- te besonders die Bestrebung, die deut-
berechtigte Südtiroler unterstützte die- sche Bevölkerung durch die staatlich ge-
se Forderung mit seiner Unterschrift. Der förderte Massenzuwanderung von Ita-
Volkswille blieb jedoch von der hohen lienern zu minorisieren. Im Sinne dieser
Politik unbeachtet. Aktionen wurde der Pariser Vertrag bzw.
Die nach dem Diktatfrieden von St. die Autonomie nicht nur auf Südtirol
Germain an Tirol verübte Teilung wurde und die angrenzenden deutschen Ge-
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nicht behoben, die Südtiroler mussten meinden (einige Gemeinden des Unter-
sich mit einer Kompromisslösung zufrie- landes gehörten damals noch zur Pro-
den geben. Durch ein internationales vinz Trient) beschränkt, sondern auf die
Abkommen, dem sogenannten Pariser gesamte Region Trentino-Tiroler Etsch-
land ausgeweitet. Dadurch stellten die ren. In der Zwischenzeit begann sich
Südtiroler deutscher und ladinischer jedoch auch ein anderer, vom Volk aus-
Muttersprache eine Minderheit in der gehender Widerstand zu bilden. Im Lau-
Region dar. fe ihres Rückzuges hatten die deutschen
Die Bevölkerung Südtirols verfolgte Truppenverbände viele Waffen, Muniti-
diese Entwicklung mit größter Aufmerk- on und anderes Kriegsgerät in Südtirol
samkeit. Groß war damals das Interesse zurückgelassen. Ein Teil des Südtiroler
auch der kleinen Leute am politischen Polizeiregiments Alpenvorland wäre be-
Geschehen. Bereits am 8. Mai 1945 reit gewesen, die nachrückenden Italie-
gründeten einige Südtiroler mit der Ge- ner mit Waffengewalt aufzuhalten, um
nehmigung der alliierten Streitkräfte die den Alliierten ein Südtirol mit deutscher
Südtiroler Volkspartei, unter der Führung Verwaltung zu übergeben. Aber es fand
von Erich Ammon. Ihr oberstes Ziel war sich keine Persönlichkeit in der Politik
die Erlangung des Selbstbestimmungs- die dafür die Verantwortung überneh-
rechtes für Südtirol. men wollte. Einzelne Südtiroler, ehema-
Neben den alliierten Truppen wurde lige Frontkämpfer vor allem, begannen
Südtirol nach Kriegsende auch von klei- bereits in jenen Jahren, solche Waffen
neren italienischen Partisaneneinheiten für einen eventuellen Notfall zu horten.
aus anderen Provinzen und den soge- Wären in dieser ersten Zeit nach der
nannten «Badoglio-Truppen» besetzt. Kapitulation und dem Kriegsende nicht
Der CLN (Comitato di liberazione nazio- die alliierten Truppen anwesend gewe-
nale) erhob sofort wieder Anspruch auf sen, die für Ruhe und Ordnung sorgten,
die Brennergrenze. Immer wieder kam so wäre es wahrscheinlich schon damals
es zu einzelnen, schweren und weniger zu einem gewalttätigen bzw. bewaffne-
schweren Übergriffen dieser italieni- ten Konflikt zwischen den italienischen
schen Militäreinheiten. Vor allem Solda- Besatzungstruppen und Südtirolern ge-
ten der «Folgore» (eine Fallschirmjäger- kommen.
einheit der Badoglio-Truppen), die erst Die Südtiroler Bevölkerung setzte ihr
kurz vor Kriegsende dem Faschismus Vertrauen in die Wirkung politischer Ver-
den Rücken gekehrt hatte, beteiligte handlungen und hoffte weiterhin, ge-
sich an diesen Ausschreitungen. waltlos die gerechte Durchführung des
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Die SVP organisierte zahlreiche Pariser Vertrages und der damit zugesi-
Kundgebungen für die Selbstbestim- cherten Rechte zu erlangen.
mung. Man wollte versuchen, eine fried- Aber immer augenscheinlicher wur-
liche Lösung des Problems herbeizufüh- de auch für den einzelnen Südtiroler die
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Auszug aus der „Alto Adige« vom 24. Jänner1957


Missachtung der zugesicherten Rechte. 1956 wurden in Bozen 4.100 Volkswoh-
Es war damals für einen Südtiroler sehr nungen gebaut, von denen 3.854 an
schwer, eine Arbeit zu finden und gera- Italiener und 246 an Südtiroler gingen –
dezu unmöglich, eine Stelle im das sind ganze 6%.
öffentlichen Dienst anzutreten. Diese Diskriminiert wurden die Südtiroler
Arbeitsplätze waren fast ausnahmslos auch von der italienischen Justiz und
den zugewanderten Italienern vorbe- Polizei: Es gab zum Beispiel zahlreiche
halten. Oft zögerten die Südtiroler auch, Geld- und Gefängnisstrafen für unbe-
sich um einen derartigen Posten zu be- deutendste Dinge, wie etwa das Anma-
werben, da die Polizei-, Carabinieri-, len der Fensterläden in den Tiroler Lan-
Steuerbeamte und andere, verhasste desfarben, die Beleidigung der italieni-
Personen waren. schen Streitkräfte durch die Magenwin-
Genauso aussichtslos war es für de eines ahnungslosen Tiroler Bauern,
einen Südtiroler, eine Volkswohnung zu das Hissen der Landesfahne usw.
erhalten. Josef Fontana schreibt dazu: In dieser Zeit warnte Kanonikus Mi-
«…Ein Neumarkter wollte von einem chael Gamper, damaliger Chefredakteur
ihm bekannten Beamten erfahren, ob der Tageszeitung «Dolomiten» und geis-
er die Voraussetzung für die Zuteilung tiger Führer der Südtiroler, immer wie-
einer solchen Wohnung erfülle. Der Be- der vor einem neuen Todesmarsch der
amte meinte, vom sozialen Standpunkt Südtiroler Volksgruppe. Im Jahre 1953
aus gesehen sicher, vom politischen aber schrieb er in einem Artikel der «Dolomi-
nur vielleicht. Sein Fall sei nicht ganz ten»: «…Zu vielen Zehntausenden sind
aussichtslos, weil er einen italienischen nach 1945 und nach Abschluss des Pa-
Familienname trage, doch müsse er ihm riser Vertrages Italiener aus den südli-
raten, ja nicht als Deutscher aufzufal- chen Provinzen in unser Land eingewan-
len, denn sonst sei jede Chance ver- dert, während zur gleichen Zeit die
tan…» Rückkehr von einigen Tausenden unse-
Aus diesen Gründen gingen viele rer umgesiedelten Landsleute unterbun-
nach Deutschland, Österreich oder in die den wurde. Fast mit mathematischer Si-
Schweiz, um Arbeit zu finden. Eine gro- cherheit können wir den Zeitpunkt er-
ße Anzahl Italiener kam in derselben Zeit rechnen, zu dem wir nicht bloß inner-
18
ins Land, da ihnen eine sichere Arbeit halb der zu unserer Majorisierung ge-
und auch eine Wohnung versprochen schaffenen Region, sondern auch inner-
worden waren. Die Italienisierung des halb der engeren Landesgrenzen eine
Landes ging stetig voran. Von 1946 bis wehrlose Minderheit bilden werden… Es
ist ein Todesmarsch, auf dem wir Süd- Auer, Kaltern und Atzwang, 1947 in
tiroler uns befinden, wenn nicht noch Gargazon, Mals, Waidbruck und Mon-
in letzter Stunde Rettung kommt…» tan. Doch handelte es sich hierbei um
1945 kam es landesweit zu einer Taten von einzelnen Südtiroler Patrioten.
gut organisierten «Schmieraktion». In- Die sogenannte Stieler-Gruppe stell-
nerhalb einer Nacht wurden im gesam- te die erste, größere und organisierte
ten Land auf Mauern, Häusern usw. Pa- Widerstandsgruppe in Südtirol dar.
rolen wie «Laßt uns frei!», «Freiheit für Nachdem die Gruppe 1956 durch Ver-
Südtirol!» oder «Nieder mit De Gaspe- haftung und Verurteilung der meisten
ri!» geschrieben. Diese Aktionen wur- Mitglieder, welche fast ausschließlich aus
den anschließend immer wieder im klei- dem Bozner Raum stammten, zerschla-
neren Rahmen wiederholt. In den ers- gen wurde, begannen andere, landes-
ten Nachkriegsjahren kam es auch zu weit eine Widerstandsorganisation auf-
einzelnen demonstrativen Sprengstoff- zubauen, welche dann zum BAS–Befrei-
anschlägen: So zum Beispiel 1946 in ungsausschuss Südtirol wurde.

19
DIE WURZELN DES WIDERSTANDES
von Hans Stieler

Hans Stieler wurde im Jahre 1926 in tiroler Kinder da-


Gries bei Bozen geboren. Schon kurz mals prägten.
nach seiner Geburt begann für ihn der 1939 kam es
Zwang der Fremdherrschaft: Anstatt ei- zum unseligen Ab-
nes Johannes oder Hans wurde aus ihm kommen zwischen
Hans Stieler
amtlich ein Giovanni. Seine Kindheit und den zwei Diktato-
früheste Jugend wurden vom Existenz- ren Hitler und Mussolini, die dem leidi-
kampf der Südtiroler Volksgruppe gegen gen Südtirolproblem, welches ihrer
das faschistische Regime geprägt, das mit Zweckfreundschaft und Waffenbrüder-
allen Mitteln aus den neu eroberten schaft im Wege stand, ein Ende setzen
Gebieten südlich des Brenners ein rein wollten. Im Rahmen der Option wurden
italienisches Gebiet – das Alto Adige – die Südtiroler gezwungen, sich entweder
machen wollte. Es war damals ein all- für ihr Volkstum zu entscheiden, aber auf
täglicher Kampf, den jeder einzelne, so ihre angestammte Heimat zu verzichten
wie auch die gesamte deutsche und la- oder vielleicht in der Heimat bleiben, aber
dinische Bevölkerung, bestehen musste. dann die eigene Volkszugehörigkeit und
Das Leben war ein ständiges sich Be- Herkunft zu verleugnen.
haupten gegen faschistische Übergriffe Was damals geschah, was damals in
und Schikanen. den Herzen der Menschen vorging, wie
In Bozen war damals der Druck ge- groß der innere Zwist und die Zweifel
gen alles Deutsche und Tirolerische be- waren, ist heute schwer nachvollziehbar.
sonders widerlich und unerträglich. In- Genauso schwer ist es, darüber zu urtei-
nerhalb weniger Jahre wurde diese Stadt len, auch wenn gerade heute sich man-
auf Betreiben des faschistischen Staates che im schnellen Urteilen leicht tun und
umgewandelt und verlor immer schnel- so manches scheinbar sachliche und ge-
ler seinen ursprünglichen Charakter. schichtliche Urteil oft nichts anderes als
Rein italienische Schulen sowie die ein reines Vorurteil ist.
21
Katakombenschule nebenher zur Not- Stielers Eltern entschieden sich fürs
wehr, um sich als Tiroler behaupten zu Deutschbleiben. 1944 wurde Hans zum
können, das sind die ersten Erlebnisse, Wehrdienst eingezogen. 1945 geriet er
die Hans Stieler, wie viele andere Süd- in Gefangenschaft und Ende 1945 kehr-
te er heim. Fünf Stunden vor seiner seinen Brüdern Toni und Karl eine Baufir-
Heimkehr war sein Vater infolge eines ma auf.
Arbeitsunfalles gestorben. Es folgte für 1974 wurde die Schicksalsgemein-
ihn die erste große Herausforderung, der schaft der politischen Häftlinge als Süd-
Wiederaufbau des von neun Bomben tiroler Heimatbund gegründet. Bis 1990
zerstörten Pachthofes seiner Eltern. 1948 war Hans Stieler dessen Obmann, seit
begann er nebenher als Kraftfahrzeug- 1990 ist er Obmannstellvertreter. Seit
fahrer bei Athesia, da die Besitzer des Gründung der Union für Südtirol 1989
Pachthofes Verkaufsabsichten äußerten. ist er im Hauptausschuss und immer an
1949 bot ihm, bei einer Heimfahrt vorderster politischer Front tätig.
nach Redaktionsschluss, Kanonikus Mi- Viele interessante politische Begeg-
chael Gamper die Schulung zum Buch- nungen mit österreichischen, italieni-
drucker an. Hans nahm an und übte schen und anderen Politikern sowie Per-
dann bis zu seiner Verhaftung diesen sönlichkeiten haben in seinem Leben eine
Beruf aus. Er war damals auch acht Jah- prägende Rolle gespielt und ihm so man-
re lang Mitglied der Musikkapelle Zwölf- che ernüchternde Erkenntnis erbracht.
malgrein. Genau wie sein Leben vom Einsatz für
Selbst vom Schicksal seiner Heimat die Heimat geprägt wurde, so sind auch
gezeichnet, war es für ihn immer eine seine Gedanken und seine Sprache von
Selbstverständlichkeit, sich für die Belan- diesem Eifer gezeichnet:
ge und Nöte der Heimat einzusetzen.
Diesen Einsatz verfolgte er bis zur letzten «Michail Gorbatschow sagte am 6.
Konsequenz und mit der festen Überzeu- März 1992 in München: «Bestehende
gung, einzig und allein dem Wohle der Probleme sollten bis an ihre Wurzeln
Heimat zu dienen. Die Folgen dieser gelöst werden.» Die Wurzel des Südtirol-
Überzeugung waren drei Verhaftungen Problems ist und bleibt der nach dem
(1957 – 1962 – 1987), fünf Prozesse, Ersten Weltkrieg erfolgte Zugriff Italiens
drei Jahre Gefängnis, unzählige Haus- auf das südliche Tirol und der imperialis-
durchsuchungen und Verhöre durch Po- tische Expansionstrieb dieser Nation. Bei
lizei, Carabinieri und Geheimdienstleute. den Friedensverhandlungen 1919 trafen
Hans Stieler war immer ein Mann der die «Siegermächte», in ihrem Rausch von
22
Tat. Als 34-Jähriger setzte er sich ab 1964 Selbstherrlichkeit und Machtgier, unge-
für drei Jahre wieder auf die Schulbank, rechte und verantwortungslose Entschei-
um seinen dritten Beruf zu erlernen. Mit dungen. Gebietszuteilungen und neue
37 Jahren baute er dann gemeinsam mit Grenzen wurden willkürlich festgelegt,
ohne Rücksicht auf den Willen oder das Die wehrpflichtigen Südtiroler wur-
Mitentscheidungsrecht der jeweils betrof- den von Anfang an zum italienischen
fenen Bevölkerung und deren volkliches Wehrdienst gezwungen und in den 30er
wie territoriales Zusammengehörigkeits- Jahren sogar nach Abessinien geschickt,
empfinden. um ein weiteres Volk unterjochen zu
So wurde 1919, mittels Annexion, helfen. Ziemlich bald nach der Annexion
Südtirol an Italien verschachert und da- wurden sämtliche Vereinigungen und
mit der Grundstein eines politischen Verbände aufgelöst und ihr Vermögen
Unrechtes im Herzen Europas gelegt, einfach beschlagnahmt. Alle deutschen
welches für Land und Volk unvorstellba- Bürgermeister wurden durch italienische
re Folgen mitsichbrachte und die bis
heute anhalten. Kanonikus Michael Gamper galt bis zu seinem Tod als
Leitfigur des Südtiroler Widerstandes gegen die Italieni-
Fortan musste man schon damals sierungsversuche Südtirols. Unermüdlich arbeitete er mit
Worten und Schriften für die Rechte seiner Heimat. Er starb
feststellen und zusehen, wie die frem- 1956 und die Südtiroler verloren mit ihm eine wichtige
den und unerwünschten Machthaber Leitfigur in jener harten Zeit.
versuchten, den annektierten Teil Tirols
zu italienisieren und dessen angestamm-
te Bevölkerung zu zwingen, etwas ande-
res zu sein, als sie waren; man wollte sie
ganz einfach in Italiener verwandeln.
Man begann mit der Abschaffung der
geschichtlich gewachsenen Ortsbezeich-
nungen, der Name «Tirol» wurde verbo-
ten.
Es folgte die Abschaffung der deut-
schen Schulen, die Tiroler Lehrer wurden
in die welschen Provinzen versetzt und
bei Weigerung drohte ihnen das Berufs-
verbot. Gar einige wurden «confiniert»
oder sie wanderten schon damals nach
Österreich aus. Deutsche Taufnamen und
23
vieles andere mehr wurden nicht mehr
zugelassen. Aus diesem Zwang heraus
entstanden dann die Katakombenschu-
len.
«podestà» ersetzt, die Amtssprache war «avanguardista» werden, die Uniform
nur mehr italienisch, und wer noch ein wurde gratis zur Verfügung gestellt.
öffentliches Amt bekleidete, den zwang Dieser ständige Druck und die Unter-
man, seinen Familiennamen zu italieni- drückung alles Tirolerischen wurde im-
sieren; sonst drohte ihm die Entlassung. mer unerträglicher. Das Ziel der damali-
Die Umerziehung zum Faschisten be- gen Machthaber war die ethnische Säu-
gann in der Schule. Vom «figlio della berung Südtirols, ein lang ersehnter
lupa» sollte man «ballila» und dann zum Wunsch der Tolomei-Politik. 1939, vor

Unser Appell an die Friedenskonferenz


Wir richten daher den eindringlichsten und beharrlichsten Appell an alle Nationen, die an der
Friedenskonferenz teilnehmen:
Lasst nicht zu, dass unser Glaube an die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit der Prinzipien der
Atlantik-Charta erschüttert werden!
Laßt nicht zu, dass ein freies Bergvolk seiner Zerstörung preisgegeben wird!
Gebt uns unser Recht auf Selbstbestimmung!
Gebt uns e i n e f r e i e V o l k s a b s t i m m u n g
für das ganze Gebiet, vom Brenner bis zur Salurner Klause, für alle Männer und Frauen, die
in diesem Land geboren sind, um über das Schicksal Süd-Tirols zu entscheiden!

Bozen, am 18. Juli 1946

Die Südtiroler Volkspartei Der Präsident gez. Erich Amonn


Der Generalsekretär gez. Dr. Josef Raffeiner

Die Sozialdemokratische Partei Südtirols Der Präsident gez. Lorenz Unterkircher

Die zuletzt frei gewählten Süd-Tiroler Mitglieder im italienischen Parlament:


gezeichnet:
Friedrich Graf Toggenburg Paul Freiherr von Sternbach
Dr. Willy von Walther Dr. Karl Tinzl

24 Die zuletzt frei gewählten Mitglieder des Tiroler Landtages:


gezeichnet:
Johann Frick Dr. Paul von Grabmayr Anton Winkler
Johann Pichler Franz von Guggenberg Josef Menz
Franz Habicher Sebastian Feichter
der geplanten Option, war laut Aufzeich- suchtsvoll einer besseren politischen Zu-
nungen ein besonders gehässiger Druck kunft entgegen.
verspürbar, so, als wollte man gezielt die Im Mai 1945 wurde die «Südtiroler
Südtiroler zu einer massiven Abwande- Volkspartei» gegründet, mit welcher man
rungsbereitschaft treiben. glaubte, die Wiedergutmachung des vor-
Die «Option», diese teuflische Ver- ausgegangenen Politverbrechens errei-
brecheridee, entstand im Einverständnis chen zu können, um endlich wieder in
zwischen Mussolini und Hitler und er- Frieden und Freiheit zu einem wiederver-
langte am 23. Juni 1939 ihre Rechtskraft. einten Tirol zurückzufinden. Damit wur-
Die vorausgegangene, jahrelange, faschi- den 1945-46 landesweit mit Begeiste-
stische Tyrannisierung hatte auch am 31. rung an die 160.000 Unterschriften ge-
Dezember 1939 ihre volle Wirkung ge- sammelt und im April 1946 in Innsbruck
zeigt: Über 90 % der Südtiroler entschie- dem Landeshauptmann als lebendiges
den sich nämlich – wenn auch vielfach Bekenntnis zur Wiedervereinigung Tirols
widerwillig – für die Abwanderung, be- übergeben.
stätigten somit ihre Identität als Deut- Im Juni 1946 folgte die große Herz-
sche, um einer geplanten Verwelschung Jesu-Prozession von Bozen nach Gries,
zu entgehen. ein weiteres Bekenntnis zu Tirol, dem
Zudem stand damals Deutschland am anschließend eine Kundgebung auf
Brenner und niemand fragte, welches Schloss Sigmundskron folgte, wo wieder
Deutschland. Selbst diese erzwungene die Vereinigung Tirols durch Selbstbe-
Abwanderung wurde für denjenigen, der stimmung gefordert wurde. Im Sommer
das faschistische Joch erlebt hatte, noch 1946 schickte dann die SVP eine Delega-
als eine Art Befreiung empfunden. Nicht tion ihrer Leute mit dem unmissverständ-
weniger tiroltreu waren jene Landsleute, lichen Verlangen nach Selbstbestimmung
denen die Liebe zur Heimat mehr bedeu- zu den Friedensverhandlungen nach Pa-
tete als das Bekenntnis zum Deutschblei- ris.
ben und die sich für das Dableiben ent- Die erneute Forderung nach Selbst-
schieden. bestimmung wurde wiederum abgelehnt,
Für beide Seiten und Gruppen war dafür kehrte die Delegation mit dem
das Kriegsende 1945 auch die Hoffnung sogenannten «Pariser Vertrag» heim,
25
auf Nichtigkeit dieses verbrecherischen welcher eine sehr unvollständige Auto-
Optionsabkommens. Mit neuen Hoffnun- nomie vorsah. Aber diese war unmissver-
gen auf eine gerechte politische Rege- ständlich nur vom Brenner bis Salurn
lung der Südtirol-Frage blickte man sehn- gedacht.
Das Vertrauen und Hoffen der Südti- der damaligen SVP-Führung zur Auswei-
roler auf eine gerechte Lösung wurde tung der Südtirol-Autonomie (Pariser
damals stark gedämpft, denn die Wie- Vertrag) auf das Trentino zu erhalten, was
dervereinigungsaussicht rückte wieder in die Südtiroler von da an wieder in eine
die Ferne. Es begann wieder alles von volkliche Unterlegenheit führte.
vorne; zusehends bestätigte sich die Fort- In Sigmundskron 1957 verlangte die-
setzung der faschistischen Ziele, dieses selbe Partei scheinheiligerweise ein «Los
Mal unter dem Deckmantel der Demo- von Trient», das Gegenteil von dem,
kratie. wozu sie neun Jahre vorher, ohne Zu-
Das Kriegsende bedeutete zwar das stimmung des Volkes, ihr Einverständnis
Ende des faschistischen Systems, aber die gegeben hatte. Damit begann die SVP-
Faschisten und ihre Absichten sind ge- Führung meines Erachtens eine politische
blieben und leben immer noch weiter. Dummheit und einen unverzeihlichen
Italien, damals unter Führung des inzwi- Verrat an unserer Heimat und an all je-
schen «fast» heiligen Alcide Degasperi, nen 160.000 Wiedervereinigungsunter-
brachte es 1948 fertig, die Zustimmung zeichnern, die damit in verantwortungs-

Die Stieler-Gruppe beim Prozess

26
loser Weise und Gleichgültigkeit hinter- Wem die politische Südtirol-Entwick-
gangen, missachtet und ignoriert lung echt ein Herzensanliegen war, der
wurden. musste ab 1948 zusehends feststellen,
Mit diesem für Südtirol verhängnis- wie sich die wachsende Benachteiligung
vollen Handstreich fühlten sich die Italie- zu Ungunsten Südtirols immer mehr zu-
ner im Fortsetzen ihres Zieles gestärkt: spitzte. Diese Nachkriegsjahre waren ge-
Massive Zuwanderung setzte wieder ein, prägt von politischem Unverständnis, Ent-
Grundenteignungen für Industrie und täuschungen, Aussichtslosigkeit und
Volkswohnbau wurden vorgenommen, Zorn, bis hin zum aktiven Widerstand,
um die Italienisierungspolitik weiter vor- überprüfbar im Buch «Es stand nicht gut
anzutreiben. Für die angestammte Bevöl- um Südtirol» von Franz Widmann.
kerung aber bestand kaum Zugang zu Die erste Widerstandsgruppe, ge-
Arbeit und Wohnungen, was wiederum nannt die «Stieler-Gruppe», entstand im
eine erneute ethnische Säuberung zur Herbst 1955, geprägt von Verbitterung
Folge hatte. und düsteren Zukunftsaussichten, aus
Viele unserer jungen Leute waren ge- Sorge um die Heimat. Wir besprachen
zwungen, im Ausland Arbeit und ein Zu- die damalige politische Lage, die einhellig
hause zu suchen (an die 10.000). Heute die Meinung erbrachte, man müsse die
missbraucht man diese Landsleute noch Öffentlichkeit aufrütteln und zwar durch
als Stimmenlieferanten bei Wahlen. Im wohldurchdachte, demonstrative An-
Übrigen bleiben sie Heimatferne, und schläge, um mehr Aufmerksamkeit auf
niemand schert sich um ihre Rückkehr. das ungelöste Problem «Südtirol» zu len-
Auch die Kriegsinvaliden waren damals ken.
immer noch ohne Unterstützung und es Ebenso sollten diese Anschläge auch
fehlte an vielem, was sich verstärkt ge- eine deutliche Warnung an unsere ge-
gen die Südtiroler stellte. wählten Politiker sein, sich zu besinnen,
Die einzige deutsche Tageszeitung wofür sie vom Volk gewählt worden
«Dolomiten» unter der Federführung des waren. Wir hatten uns aus eigener Ta-
unvergesslichen Kanonikus Michael Gam- sche Sprengmaterial besorgt, fabrizierten
per, Kämpfer für Tirol, brachte im Ver- Sprengsätze und suchten bei unserer Pla-
gleich zu heute immer die politisch bren- nung geeignete Ziele aus.
27
nenden Probleme unseres Landes auf Die Zusammenkünfte bestanden im-
der ersten Seite, heute findet man sie, mer aus wenigen Leuten, deren Namen
wenn überhaupt, im Lokalteil und meis- aus Vorsicht kaum bekannt waren, ob-
tens parteipolitisch zurechtgebogen. wohl mancher dies als verletzend emp-
fand. Am Ende blieben auf diese Weise der erste Anschlag, dem weitere im Ei-
jedoch gar einige von der Verhaftung sacktal und Bozen folgten.
verschont. Wir suchten außerdem auch Die Anschläge waren technisch so
Kontakte zu bekannten politischen Per- ausgeführt worden, dass niemand zu
sönlichkeiten im freien Tirol. Prof. Franz Schaden kam; aber trotzdem waren sie
Gschnitzer und Dr. Luis Oberhammer deutlich genug, um zu begreifen, dass
waren uns die glaubwürdigsten An- es sich um einen Aufschrei und Protest
sprechpartner, weil auch sie sich ernst- Südtirols handelte, der auch weit über
haft für eine Wiedervereinigung Tirols die Grenzen Aufmerksamkeit auf unser
einsetzten. politisches Schicksal lenkte. Zwischen
Gleichzeitig liefen 1956 auch Ver- dem 19. und 20. Jänner 1957 wurde
handlungen mit Dr. Toni Ebner sen. und unsere Gruppe verhaftet, auch Dr. Friedl
Dr. Friedl Volgger über eine politische Volgger wurde schuldlos mit uns in Zu-
Erfassung der Jugend. Dieses Vorhaben sammenhang gebracht und mit einge-
misslang 1957 ebenso, wie es bereits sperrt.
1946 missglückt war, obwohl die dama- Anfang Dezember 1957 fand der
lige Jugend eine politische Mitwirkung erste Prozess statt, der vor Weihnachten
angestrebt hatte. zu Ende ging. Die Urteile waren uns ver-
Erst in den 60er Jahren erfuhr ich von ständlicherweise zu hoch, und als zu den
einer ehemaligen SVP-Sekretärin, dass es Weihnachtsfeiertagen ein Gefängnisbe-
Bischof Gargitter war, der von der Partei such des Oberstaatsanwaltes Dr.
den Verzicht von Aufbau und Orga- Dell’Antonio angekündigt wurde, ent-
nisation einer Parteijugend gefordert schlossen wir uns, ihm aus Protest die
hatte. Im Sommer 1956 geschah dann Begegnung zu verweigern. Das war zu
die Tragödie von Pfunders, in deren Zu- viel! Zur Strafe verlegte man uns inner-
sammenhang ein Dutzend Pfunderer halb weniger Tage in verschiedene
Burschen verhaftet und – wie bekannt – Gefängnisse Oberitaliens in Einzelhaft.
von Polizei und Justiz übel behandelt Ich kam nach Venedig.
wurden. Nach drei Monaten holte uns der Ge-
Dieses Vorgehen heizte zusätzlich die fängnisdirektor von Trient, Dr. Valentino
an und für sich schon stark angespannte Veutro, nacheinander wieder nach Trient
28
politische Stimmung an, was unsererseits zurück. Vor der Verlegung aus dem Bo-
ein vorzeitiges, nicht so früh geplantes zener Gefängnis nach Venedig spielte
Aktivwerden mittels Anschlägen auslöste. sich eine interessante Begebenheit mit
Anfang September 1956 erfolgte dann dem damaligen Gefängniskaplan Don
Die Verhaftung und Verurteilung der Burschen aus Pfunders wurde in ganz Südtirol mit großer Aufregung
verfolgt. Unfassbar stand Südtirols Bevölkerung vor den ungerechten und hasserfüllten Urteilen.
Für die Südtiroler galten die Pfunderer Angeklagten von Anfang an als unschuldig.

Nicoli ab: Wir politischen Häftlinge be- brachte. Anbei wurde mir dadurch die
schwerten uns bei seinem allabendlichen Möglichkeit geboten, den Gesinnungs-
Besuch über die Urteile. Nach längerer freunden der 61er, sei es im Gefängnis
Diskussion sagte er auf einmal: «Hier von Bozen als auch in jenem von Trient,
musst du lügen, hier darfst du nicht die zu begegnen und sie kennenzulernen.
Wahrheit sagen», und als er bei der Tür Nach meiner ersten Entlassung 1959
hinausging, sagte er noch: «Merk dir: begegnete mir in der Museumsstraße,
Sagst du ja, bleibst du da – sagst du vor dem «Kofler Buschen», Dr. Friedl
29
nein, gehst du heim. Gute Nacht!» Volgger. Wir begrüßten uns und plau-
Weitere vier Prozesse hatten wir noch derten miteinander. Dabei bestätigte er
vor uns. Im Sommer 1962 kam das End- mir, dass unsere Anschläge und die Pfun-
urteil, das mir meine zweite Verhaftung derer Sache für die damalige SVP-Füh-
rung Anlass zu einer großen politischen entschied die SVP, diese notgedrungen
Kundgebung in Bozen gewesen seien, nach Sigmundskron zu verlegen.
damit wieder das Südtiroler Volk offen Der 17. November 1957 wurde für
seine Verbitterung kundtun konnte. Südtirol ein unerwarteter Massenauf-
Die Kundgebung, welche die SVP in marsch. 35.000 Landsleute folgten dem
Bozen abhalten wollte, war für die da- Aufruf und belagerten Schloss Sigmunds-
malige Polizeiobrigkeit nicht denkbar. So kron. Sie bekundeten damit neuerlich

Die angeklagten Pfunderer wurden vor der


italienischen Justiz wie Schwerverbrecher behandelt.

30
ihren ungebrochenen Volkswillen für die
Wiedervereinigung Tirols. Unmiss-
verständlich brachten sie dort den er-
sehnten Wunsch nach dem «Los von
Rom» zum Ausdruck. Für uns im Gefäng-
nis war es eine stille Bestätigung, dass
das vorausgegangene Wachrütteln nicht
überhört worden war.
Der Wunsch und das innigste Anlie-
gen Südtirols wurde dadurch offenbar;
es zeigte sich, wie sehr ein Volk unter
politischer Fremdbestimmung leidet. In
Worten, auf Plakaten und Transparenten
wurde sichtbar, was das Volk vom südli-
31
chen Tirol wirklich wollte, nämlich «Frie-
den in Freiheit!» Die Kundgebung von

Vor allem die Jugend protestierte


bei der Großkundgebung von Sigmundskron
gegen das Unrecht.
32
33
Sigmundskron war meiner Meinung nach Ausmaß von insgesamt 111 Jahren Ge-
die wahre Geburtsstunde der Feuernacht fängnis.
mit Sepp Kerschbaumer und seinen Mit- Der Prozess hatte die Züge eines po-
streitern. litischen Schauprozesses mit unverhüll-
Zum Abschluss: Wo das Anliegen des ten, ethnischen Ressentiments. Das Ur-
Schwächeren verleugnet, missbraucht teil wurde international mit Empörung
und mit Füßen getreten wird, entsteht aufgenommen.
Widerstand – und Widerstand ist leider Sepp Kerschbaumer hielt 1957 aus
die Fortsetzung von Verhandlungen mit diesem Grund im Pfunderer Widum ei-
anderen Mitteln zwischen den Herrschen- nen 14-tägigen Hungerstreik ab und in
den und den Beherrschten, zwischen den zahlreichen Rundbriefen wies er auf das
Machthabern und den Unterdrück- ungerechte Urteil hin: «…Wir haben die-
ten.» sen Pfunderer-Prozess mit Schaudern er-
lebt…, dass sogar das Gericht, dem die
Wie ein roter Faden zieht sich die Gerechtigkeit in besonderer Weise anhaf-
Pfunderer-Geschichte als auslösender ten sollte, in drei Instanzen einen fast
Moment für einen aktiven und gewalt- einmalig dastehenden Betrug und ein
bereiten Widerstand durch jene tragi- Gewaltverbrechen an einfachen Berg-
schen Jahre. Die Tragödie der jungen söhnen und ihren bedauernswerten Fa-
Pfunderer beherrschte damals die Tages- milien begangen hat. Und was mich am
themen, sie wurde vom gesamten Südti- meisten entsetzt hat, ist die Tatsache, dass
roler Volk miterlebt und auch im Aus- dies unter Anrufung des Höchsten als
land genau verfolgt und beachtet. Zeugen, von den Richtern und Geschwo-
Im August 1956 entwickelte sich in renen begangen wurde, im Zeichen von
Pfunders am späten Abend eine Gast- Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe.
hausschlägerei zwischen einigen Dorfbur- Wir waren solche Justizverbrechen
schen und den dazugekommenen Finan- bei allen Gewaltsystemen, beim Kommu-
zern in Zivil. Es gab ein Handgemenge nismus, beim Faschismus, beim National-
und am nächsten Tag fand man einen sozialismus und bei den Kolonialmäch-
dieser Amtsträger tot im Pfunderer-Bach ten gewohnt. Aber, dass wir diese Schan-
liegen. de auch unter einer sogenannten christ-
34
8 Bauernburschen wurden verhaftet lichen Regierung erleben mussten, ver-
und es kam zu einer Aburteilung im schlägt einem fast die Stimme. Nicht nur
Rahmen eines Indizienprozesses, ohne uns haben diese Urteile empört, die gan-
einen einzigen Beweis und zu Strafen im ze Weltöffentlichkeit ist entsetzt …»
WARUM WIR NICHT ZUSEHEN KONNTEN
von Sepp Mitterhofer

Sepp Mitterhofer, in Meran am die Strafe auf 10


22.2.1932 geboren, ist Landwirt, verhei- Jahre vermindert,
ratet und Vater von vier Kindern. Er be- zwei Jahre sind
suchte zwei Jahre die italienische Schule unter Strafnachlass
und erinnert sich genau, wie er damals gefallen und die Sepp Mitterhofer
das schwarze Ballilakleid der Faschisten restlichen sieben Jahre und 11 Monate
hätte tragen sollen. Er zog es aber nur in habe ich abgesessen. Am 15. Juni 1969
der Schule an und fiel deshalb bei den – es war genau Herz-Jesu-Sonntag – bin
Lehrpersonen in Ungnade. ich mit stark angeschlagener Gesundheit
Nach dem zweiten Weltkrieg trat er heimgekehrt. In den ersten Jahren habe
in die Bürgerkapelle Obermais ein, wo er ich mich ganz von den Menschen abge-
Flügelhorn spielte. Bis 1988, also 40 Jah- sondert und mich nur der Familie, dem
re, war er aktives Mitglied der Kapelle. Hof und meinem Gesundheitszustand
Nur die Jahre, welche er eingesperrt war, gewidmet. Mit der Zeit erkannte ich aber,
unterbrachen seine Tätigkeit in diesem dass ich mich selbst abkapselte und
Verein. wurde deshalb wieder aktiver Musikant
und ich habe auch wieder bei anderen
In den fünfziger Jahren, als ich et- Berufsorganisationen mitgearbeitet.
was älter und reifer wurde, hat mich der 18 Jahre war ich im Aufsichtsrat der
politische und soziale Notstand in unse- Obstgenossenschaft Meran tätig, zwei
rer Heimat tief beeindruckt. Ich habe Perioden im Bezirksausschuss des Bera-
mich öfters mit Gleichgesinnten getrof- tungsringes des Burggrafenamtes. Seit
fen, um über die politische Lage zu dis- der Gründung der Union für Südtirol bin
kutieren, bis ich schließlich dem BAS (Be- ich Hauptausschussmitglied und gleich-
freiungsausschuß Südtirol) beigetreten zeitig war ich beim Aufbau des Bezirkes
bin und mich aktiv an den Anschlägen Burggrafenamt vier Jahre Bezirksobmann
beteiligt habe. und danach Bezirkskassier.
35
Am 15. Juli 1961 wurde ich verhaftet 1974 haben wir politische Häftlinge
und gefoltert. Beim ersten Mailänder den Südtiroler Heimatbund gegründet.
Sprengstoffprozess wurde ich zu 12 Jah- Seitdem bin ich im Bundesausschuss tä-
ren verurteilt. Bei der Berufung wurde tig, zwei Jahre Bezirksobmann des Burg-
Staatlich geförderte Zuwanderung: Sie kamen mit einem Koffer
oder einem Pappkarton unter dem Arm, schliefen unter Brücken,
dann bezogen sie Notquartiere und holten ihre Familien nach.

36
grafenamtes, sechs Jahre Bundesob- hang stand die Zweisprachigkeit bei den
mann-Stellvertreter und seit 1990 Bun- öffentlichen Ämtern. Diese Zugewander-
desobmann. ten hatten keine Kenntnis der deutschen
Ein ganz wesentlicher Punkt, um uns Sprache, sie zu erlernen hatten sie kein
Südtiroler in unserer Existenz zu bedro- Interesse. Bestanden wir auf unserem
hen, war die vom italienischen Staat Recht, dann hörte man alsbald die Wor-
geförderte Zuwanderung. Scharenweise te «Siamo in Italia!». Mit dem Schriftver-
und fast täglich kamen arme Männer mit kehr war es um kein Haar besser, das
ihren Habseligkeiten im Pappkarton vom meiste musste italienisch abgewickelt
Süden des Staatsgebietes am Bozener werden.
Bahnhof an und wurden in armseligen Durch die Zusammenlegung der Pro-
Baracken untergebracht. Nach einigen vinz Bozen mit Trient hatten die Italiener
Wochen erhielten sie aber schon eine in der Region die 2/3-Mehrheit und
neue Wohnung in den staatlich gebau- konnten somit mit uns machen, was sie
ten Volkswohnbauten, weil sie durch das wollten, denn die wichtigen Kompeten-
schlechte Barackenlager immer mehr zen lagen alle bei der Region. Die Gelder
Punkte bekamen als die Südtiroler. Nach konnten sie nach ihrem Gutdünken ver-
einigen Monaten holten sie dann ihre teilen und volkstumspolitisch unterdrück-
Familien samt Großeltern nach. ten sie uns, wo sie nur konnten. Justiz,
Bei der Stellenbesetzung in den öf- Polizei und Carabinieri waren zu 100%
fentlichen Ämtern wurden diese Zuwan- Italiener und ein Großteil davon Faschis-
derer überall bevorzugt, weil in allen ten. Sie behandelten uns wie Bürger
Schlüsselstellungen italienische Nationa- zweiter Klasse, wie eine richtige Kolonie.
listen saßen, im Mantel der damaligen Durch einseitiges Vorgehen von Seiten
DC eingehüllt. So kam es, dass in den der Ordnungshüter und bei politischen
Sozialwohnungen und in den öffentli- Prozessen durch die Justiz verstanden sie
chen Stellen 90% Italiener saßen und nur es, die Südtiroler einzuschüchtern. In
10% Südtiroler. Das hatte wiederum zur Vahrn z.B. wurde eine achtzigjährige
Folge, dass Tausende junge Südtiroler Ar- Hausbesitzerin angezeigt und verurteilt,
beiter, Akademiker und Staatsangestellte weil sie die Jalousien ihres Hauses mit
arbeitslos waren und ins Ausland gehen rot-weiß-roter Farbe bemalen ließ. Die Ja-
37
mussten, um Arbeit zu suchen. lousien wurden beschlagnahmt und ver-
Dass diese krasse Benachteiligung un- nichtet.
serer Landsleute böses Blut erzeugte, ist Die SVP hatte natürlich des öfteren
leicht verständlich. In diesem Zusammen- versucht, in Trient und Rom gegen die
Nie wieder erlebte Südtirol eine Protestkundgebung
wie im November 1957 in Sigmundskron. 35.000
Südtiroler protestierten gegen die Politik des
italienischen Staates und forderten Freiheit für ihre
Heimat. Die Parteiführung unter dem jungen
Obmann Silvius Magnago verstand es aber, die
Protestkundgebung für ihre Politik der Autonomie
zu vereinnahmen.

Nichterfüllung des Pariser Vertrages zu


protestieren. Die Proteste verhallten aber
in Trient wie in Rom ungehört und zeig-
ten keinen Erfolg, der italienische Staat
war nicht bereit einzulenken. Österreich
war als Schutzmacht, bevor es den
Staatsvertrag (1955) erhielt, viel zu
schwach, um in Italien für Südtirol er-
38
folgreich intervenieren zu können. Im
Oktober 1957 gab der Minister für öf-
fentliche Arbeiten bekannt, dass Bozen
ein neues Stadtviertel bekommen werde.
Es wurden dafür 2,5 Milliarden Lire für Ich erinnere mich noch gut, welch
5.000 Wohnungen vom Staat ausge- große Spannung im Schlosshof von Sig-
schüttet. mundskron herrschte. Die Teilnehmer
Das brachte das Fass zum Überlau- erwarteten sich etwas Außergewöhnli-
fen: Die SVP organisierte auf Schloss Sig- ches, einen Vorstoß in Richtung «Los von
mundskron eine Kundgebung – die Lan- Rom», deshalb waren auch viele ent-
deshauptstadt Bozen wurde dafür verbo- täuscht über das bescheidenere «Los von
ten – bei der 35.000 Südtiroler erschie- Trient». Bei dieser Kundgebung wurden
nen. Auf dieser Kundgebung rief die Weichen für die zukünftige Südtirol-
Dr. Magnago das «Los von Trient» aus, Politik gestellt. Die Forderung nach
obwohl die meisten Teilnehmer wegen Selbstbestimmung war zwar ein großes
der Forderung nach Selbstbestimmung Anliegen der Südtiroler, aber die SVP
gekommen waren. Diesbezügliche Trans- hatte nicht die Kraft und den Willen dazu
parente wurden von Männern mitgetra- und entschied sich für den Weg des
39
gen, welche sich um Sepp Kerschbau- geringeren Widerstandes, für die Auto-
mer geschart hatten und den Grundstock nomie.
des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) In den folgenden Jahren setzte sich
bildeten. die SVP unter Führung Magnagos zwar
zielstrebig für das «Los von Trient» ein, Für uns alle, die wir uns damals für
aber es zeigte sich alsbald, dass weder den Freiheitskampf entschieden und un-
Trient noch Rom gewillt waren, in dieser sere Familien, unsere Freiheit und unser
Frage nachzugeben. Somit beschränkte Leben aufs Spiel setzten, war dies das
sich die SVP bald mit einer teilweisen Ziel, um das es sich lohnte zu kämpfen.
Aushöhlung der Region. Damit hat sich Die Männer der ersten Stunde waren
die SVP eigentlich selbst verraten, denn Sepp Kerschbaumer, Luis Amplatz, Jörg
ihr Gründungsziel war die Forderung Klotz, Karl Tietscher, Jörg Pircher, Pepi
nach Selbstbestimmung. Für Kerschbau- Fontana und Franz Muther, um nur die
mer und uns alle war dies nicht der rich- wichtigsten zu nennen. Ich selbst kam
tige Weg, wir wollten die Wiedergutma- über Kerschbaumers Freund Jörg Pircher
chung des Unrechtes, die Wiedervereini- 1958 zum BAS. Zu diesem Schritt bewo-
gung Tirols. gen hat mich und wohl die meisten Ka-
meraden die Tatsache, dass der italieni-
sche Staat nicht einmal bereit war, uns
die verbrieften Rechte, das bisschen Au-
tonomie (Pariser Vertrag) zu geben.
Ich war begeistert von dem Gedan-
ken, etwas Außergewöhnliches für unser
stark bedrohtes Volk in unserer Heimat
zu tun. Volkstumspolitisch versuchte uns
der italienische Staat durch die Unter-

Hauptziele der Sprengaktionen in der Feuernacht


waren die Strommasten. Sie galten als Zeichen der
wirtschaftlichen Ausbeutung Südtirols durch den
italienischen Staat.

40
wanderung mit der Zeit in die Minder-
heit zu drängen. Durch die krasse Be-
nachteiligung bei den öffentlichen Ar-
beitsstellen und bei den Neubauwohnun-
gen mussten notgedrungen Tausende
von Südtirolern auswandern und damit
verschob sich das Verhältnis Südtiroler/
Italiener umso schneller. Die von Jörg Pircher und Walter Gruber gesprengte
Hochdruckleitung oberhalb von Lana.
Die brutalen Methoden des Faschis-
mus kamen zwar nicht mehr direkt zur
Anwendung, sie waren etwas demokra- der nicht mehr genau feststellen. Diese
tischer geworden, aber dafür auch ge- Gruppen wurden in verschiedene Stufen
fährlicher. Was nutzte uns ein internatio- unterteilt.
nal abgesicherter Pariser Vertrag, wenn Die erste Abteilung war für die Wer-
er nicht zur Anwendung kam, er blieb bung zuständig, also Flugzettel verteilen
buchstäblich ein leeres Blatt Papier! Nicht und plakatieren, die zweite Gruppe für
umsonst hat der große geistige Kämpfer das Hissen der verbotenen Tiroler Fahne
für unsere Heimat, Kanonikus Michael auf Kirchtürmen, hohen Bäumen und
Gamper, den schwerwiegenden Spruch Felsvorsprüngen und weiters für das
vom «Todesmarsch der Südtiroler» ge- Übermalen von italienischen Aufschriften
prägt. auf Häusern und Straßenschildern. Die
In den Jahren 1958, 1959 und 1960 dritte Gruppe schließlich war für das
wurden von Sepp Kerschbaumer und Sprengen von Masten, Rohbauten von
seinen Freunden konsequent im ganzen Volkswohnhäusern, Denkmälern und
Land Gruppen bzw. Zellen aufgebaut, E-Werken zuständig.
welche untereinander durch einen Diese Gruppen von Aktivisten wur-
Verbindungsmann Kontakt hatten. Sie den nach Nordtirol geschickt, um das
suchten in vielen Dörfern Südtirols Hantieren mit dem Sprengstoff zu lernen
Gesinnungsgenossen, welche ihrerseits und wie man sich im Falle einer Verhaf-
wieder in ihrem Bekanntenkreis Leute tung verhalten solle. Leider wurde uns
suchten, welche die Ziele des BAS unter- nicht gelehrt, wie man sich im Falle von
41
stützten. Misshandlungen verhalten sollte. Kein
Insgesamt wurden ca. 30 Gruppen Mensch hatte daran gedacht, dass das
aufgebaut mit weit über hundert Mit- christliche Italien solch brutale Folterun-
gliedern. Die Zahl lässt sich hinterher lei- gen anwenden würde.
Nach der militärischen Besetzung Südtirols gab es bald die ersten Todesopfer unter der Südtiroler Bevölkerung.
Silvius Magnago am Sarg von Josef Locher aus Sarntal.

Sprengstoff und Waffen bekamen wir Die Ziele der Sprengstoffanschläge


hauptsächlich aus Österreich, aber auch des BAS waren folgende: typisch faschi-
im Inland konnten wir einen Teil beschaf- stischen Denkmäler, wie Siegesdenkmal,
fen. Ich selbst habe rund 500 kg hoch- Mussolini-Reiter in Waidbruck, das Haus
wertiges Dynamit auf dem Schwarzmarkt von Tolomei in Glen, den Kapuziner-Wastl
gekauft, u. a. wurde mit diesem Spreng- in Bruneck u. ä.; weiters Rohbauten der
stoff das Mussolini-Standbild in Waid- Volkswohnhäuser, wo fast nur zugewan-
bruck gesprengt. Transportiert hatte den derte Italiener zum Zug kamen und die
Sprengstoff von Österreich nach Südtirol Elektromasten, die das weiße Gold in die
hauptsächlich Kurt Welser und zwei be- Bozener Industriezone und nach Ober-
freundete Mädchen, welche – als Blick- italien transportierten.
fang für die Polizei und Finanzer – sehr Oberstes Ziel von Sepp Kerschbaumer
42 leicht bekleidet waren. Anfänglich hat- war immer, Menschenleben zu schonen,
ten wir nur primitive, selbstgebastelte nur Sachschaden anzurichten. Allerdings
Zeitzünder, später wurden sie aber durch war sich auch der Sepp im Klaren, dass
Säurezünder und Uhren ersetzt. dieser Grundsatz in einem Freiheitskampf
Nach der Feuernacht wurde Südtirol von
Polizei, Carabinieri und Sondereinheiten des
italienischen Militärs besetzt. Überall wurden
Straßensperren und Hausdurchsuchungen
durchgeführt.

43
Sepp Mitterhofer auf dem Weg zum Gerichtssaal in Trient.

für längere Zeit schwer aufrecht zu er- Die Innsbrucker BAS-Gruppe um Kurt
halten sein würde. Welser und Heinrich Klier hingegen war
Noch eine andere Gruppe um Georg für einen großen Schlag, weil die Welt-
Klotz und Wolfgang Pfaundler hatte sich öffentlichkeit dadurch besser aufgerüttelt
gebildet, welche den Widerstand gegen würde. Der Nachteil war aber, dass der
die Überfremdung unseres Landes in italienische Staat darauf hart reagieren
Form von Partisanentätigkeit aufbauen würde, wie er es dann auch getan hat.
wollte. Mit dieser Gruppe hatten wir Einige Monate vor der Feuernacht fand
keinen Kontakt, sie organisierte sich völ- dann eine Einigung über die Vorgangs-
lig unabhängig. Die BAS-Gruppe um weise in dieser Angelegenheit statt.
44
Kerschbaumer war der Meinung, dass Kurt Welser war von den Nordtiroler
einzelne Anschläge in Form von Nadel- BAS-Leuten sicher die aktivste und
stichen günstiger wären, weil wir es dann herausragendste Figur. Er war ein ruhi-
länger durchhalten würden. ger, besonnener Mensch, der als Spreng-
stofflieferant oft die Freiheit und sein uns von dieser Fremdherrschaft befreien
Leben aufs Spiel setzte. Durch seine konnten.
Kontakte kannte er die meisten Gruppen Es war eigentlich eine ganz einfache
in Südtirol und wusste auch von mehre- Rechnung: Zwischen den beiden Welt-
ren Sprengstofflagern, welche wir im kriegen versuchte uns der Faschismus,
ganzen Land angelegt hatten. Leider mit Gewalt zu italienisieren. Durch die
stürzte dieser großartige Tiroler im schön- Option wollte man uns aussiedeln, eine
sten Mannesalter bei einer Bergtour am Art ethnische Säuberung wie im Kosovo.
Zynalrothorn in der Schweiz am 15. Nach dem zweiten Weltkrieg verweiger-
August 1965 tödlich ab. te man uns das Selbstbestimmungsrecht
Überhaupt hätten wir unsere Aktio- und als Ersatz gab man uns den Pariser
nen ohne die tatkräftige Unterstützung Vertrag, der nicht angewandt wurde.
unserer Nordtiroler Mitstreiter nicht In den 50er Jahren versuchte man,
durchführen können. Man darf nicht durch die geförderte Unterwanderung
vergessen, dass viele von ihnen freiwillig auf etwas demokratischere Weise, uns in
ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel die Knie zu zwingen. Also blieb uns nur
setzten, um uns Südtirolern in unserem mehr ein Ausweg übrig, auf andere
Kampf gegen die Fremdbestimmung zu Weise zu versuchen, unsere Rechte zu
helfen. In der Herz-Jesu-Nacht z. B. fuhr erkämpfen. So reifte allmählich der Ge-
ein Kleinbus mit Nordtiroler Kameraden danke heran, Gewalt anzuwenden. Wir
nach Südtirol, um die ihnen zugewiese- waren alle rechtschaffene Leute ohne
nen Masten zu sprengen. Als dann viele Vorstrafen, viele waren verheiratet und
von uns die Verhaftungswelle dahinge- hatten Kinder, aber wir wollten nicht
rafft hatte, wurden die hinterbliebenen, tatenlos zusehen, wie eine Volksgruppe
notleidenden Familien durch Spenden systematisch ausgerottet wurde. Es war
aus Südtirol und hauptsächlich aus Nord- einfach Notwehr!
tirol unterstützt. Deshalb gebührt allen Die meisten von uns waren einfache
Spendern, die uns damals geholfen ha- Leute: Bauern, Handwerker, Lehrer und
ben, ein aufrichtiges Vergelt’s Gott! Arbeiter. Aber ein Ziel hat uns alle zu-
Alle, die sich am Freiheitskampf sammengeführt: Wir mussten uns in Rom
beteiligten, ganz gleich ob Südtiroler Gehör verschaffen! Sie sollten zur Ein-
45
oder Nordtiroler, waren derselben Auf- sicht kommen, dass sie mit uns Süd-
fassung, nämlich, dass Südtirol sich in tirolern nicht mehr länger tun konnten,
einer völkischen Notlage befand und was sie wollten, unsere Geduld war zu
etwas getan werden musste, damit wir Ende.
Wir wollten der Öffentlichkeit zeigen, Ein Ziel verband alle, nämlich der frei-
dass in Südtirol laufend Menschenrechts- willige Einsatz für unsere schwer bedroh-
verletzungen stattfanden, dass der italie- te Heimat. Der russische Geheimdienst
nische Staat versuchte, einem Volk seine bot uns 1961 seine Unterstützung für
Identität zu nehmen, um es auszulö- den Freiheitskampf an. Der tschechische
schen. Aber nicht nur ihm wollten wir Geheimdienst trat auch 1965 in Inns-
zeigen, dass es in Südtirol Männer gibt, bruck an Jörg Klotz heran und bot ihm
welche für ihre Überzeugung eintreten Hilfe in Form von Waffenlieferungen an.
und kämpfen, sondern auch der Südtiro- Wir lehnten aber dankend ab, denn wir
ler Volkspartei, welche uns zu kompro- wollten von den Kommunisten aus welt-
missbereit war und nicht erkennen ließ, anschaulichen Gründen keine Hilfe an-
dass sie von diesem Staat, mit dem wir nehmen.
nichts gemeinsam haben, fort wollte. Der italienische Geheimdienst spielte
Deshalb verfolgten wir auch den Fort- in Südtirol 1961 keine große Rolle, sonst
gang der Südtirolpolitik und die Verhand- wäre die Polizei nach der Feuernacht
lungen zwischen Österreich und Italien nicht so lange im Dunkeln getappt. In
genau. Von der Führungsspitze des BAS den folgenden Jahren wurde er aber
wurden auch Kontakte zu den Südtiroler dann in Form von brutalen Anschlägen
und österreichischen Politikern unterhal- aktiv, um den Freiheitskampf der Südti-
ten, um die zu erwartenden Anschläge roler ins schlechte Licht zu rücken, damit
auf die Politik abzustimmen. In Südtirol die Bevölkerung nicht mehr dahinter ste-
waren Senator Peter Brugger und Hans hen würde.
Dietl besser über die Anschläge infor- Im Mai 1960 fiel bei der Landesver-
miert, Dr. Magnago nur ganz allgemein. sammlung im Rom-Kino in Bozen die Ent-
In Nordtirol waren Oberhammer und scheidung, ob Österreich das Südtirol-
Zechtl bestens eingeweiht, und Kreisky Problem im Zeichen der Selbstbestim-
ließ bei einem Treffen mit der Führung mung oder der Autonomie vor die UNO
des BAS auch sein Wohlwollen erken- bringen sollte. Kerschbaumer und viele
nen. Der Österreicher Dr. Norbert Burger andere setzten sich für das Selbstbestim-
war auch an den Vorbereitungen und Ak- mungsrecht ein, aber der schon damals
tionen des Freiheitskampfes maßgeblich redegewaltige SVP-Obmann Magnago
46
beteiligt. Wir fragten damals niemanden: brachte eine knappe Mehrheit für die
«Stehst du rechts oder links?» Außer den Autonomie zustande. Wir waren alle
Kommunisten waren uns alle willkom- schwer enttäuscht, konnten es aber nicht
men. ändern.
In dieser Zeit führte das Allensbacher Die Volkswohnbauten waren damals
Institut im Auftrag des Verlegers und eines unserer Hauptziele, weil dort fast
BAS-Mitgliedes Fritz Molden in Südtirol ausschließlich zugewanderte Italiener ein-
eine Umfrage durch, dessen Ergebnis uns quartiert wurden. Jörg Pircher und ich
Mut machte: 82% der Südtiroler wollten beschlossen im Februar 1960, in Meran
zurück nach Österreich und 26% hätten zwei im Rohbau befindliche INACASA-
den Freiheitskampf unterstützt. Somit Häuser zu sprengen. Die Sprengladung
hofften wir, dass der Wille des Volkes explodierte leider nicht, weil wir zu die-
irgendwann die SVP zwingen würde, den ser Zeit noch selbstgebastelte Zeitzünder
Weg der Selbstbestimmung einzuschla- verwendeten. Der politische Effekt blieb
gen. 1959 begannen wir dann, einzelne aber nicht aus, denn daraufhin wurden
Anschläge durchzuführen, zuerst in Bo- die Andreas-Hofer-Feiern in Meran und
zen, dann in Meran. Bozen verboten.

V.l.n.r. Walter Gruber, Sepp Mitterhofer, Paul Pichler, Sepp Kerschbaumer, Luis Hauser

47
Beim «Knüppelsonntag» ging die Spezialeinheit «Celere» mit Gummiknüppel
gegen die Teilnehmer der Gedenkfeier vor. Acht Personen wurden verhaftet.

48
Als dann in Bozen die Teilnehmer setz diskutiert wurde, das vorsah, dass
nach der Gedenkmesse im Dom, die an- jeder italienische Staatsbürger ausge-
statt der verbotenen Andreas-Hofer-Feier wiesen werden konnte, der durch anti-
stattgefunden hatte, heraustraten und italienische Tätigkeit auffiel. Das war di-
zum Peter-Mayr-Denkmal strömten, rekt auf uns Südtiroler zugeschnitten. Un-
kreuzten plötzlich mehrere Fahrzeuge der serer Meinung nach war nun der Zeit-
Spezialeinheit «Celere» auf und schlugen punkt zum Losschlagen gekommen. Am
mit Gummiknüppeln auf die Teilnehmer 1. Juni 1961 beschlossen wir in Zernez in
ein. Acht Personen wurden auch verhaf- der Schweiz mit den Nordtiroler BAS-Leu-
tet. Dieser Tag ist als «Knüppelsonntag» ten die Feuernacht. Den Flugzettel, den
in die Geschichte Südtirols eingegangen. wir dort verfassten und an alle Politiker
Vereinzelt folgten dann Anschläge und Medien im deutschsprachigen Raum
auch auf politische Objekte. So wurde z. verschickten, war ein Hilferuf an die Welt.
B. Ende Jänner 1961 das Mussolini- Kernpunkt des Aufrufes war die Anklage
Standbild samt Ross von den Nordtiro- des italienischen Staates und die Forde-
lern Kurt Welser und Heinrich Klier ge- rung des Selbstbestimmungsrechtes der
sprengt. Zwei Tage später wurde von Südtiroler.
Josef Fontana in Glen bei Montan auf Den Abschluss bildete der zur Legen-
das Haus von Ettore Tolomei, dem Toten- de gewordene Spruch von Kanonikus
gräber Südtirols, ebenfalls ein Spreng- Michael Gamper: «Ein Volk, das um
stoffanschlag verübt. nichts anderes kämpft als um sein natür-
Im November 1960 brachte Kreisky liches und verbrieftes Recht, wird den
das Südtirol-Problem vor die UNO, die Herrgott zum Bundesgenossen haben!».
dann in einer Resolution Österreich und In der Feuernacht vom 11. auf den
Italien aufforderte, durch Verhandlungen 12. Juni sprengten wir zusammen mit
eine Lösung zu finden. Das Fass kam zum den Kameraden aus Nordtirol 47 Masten
Überlaufen, als dann 1961 die Verhand- in die Luft und führten mehrere An-
lungen zwischen Österreich und Italien schläge auf Elektrizitätswerke aus. Unser
laufend scheiterten, weil die italienische Plan war, die Industriezone in Bozen –
Delegation immer wieder behauptete, der Inbegriff der Italienisierung Südtirols
der Pariser Vertrag sei erfüllt, sie würden – lahmzulegen. Wäre es gelungen, dann
49
nicht verhandeln, sondern nur Gesprä- wäre dem italienischen Staat ein enor-
che führen. mer Schaden entstanden; weil aber ein
Dazu kam noch, dass zur selben Zeit Ständer nicht umgefallen war, konnten
im italienischen Parlament über ein Ge- die Aluminiumöfen gerettet werden.
Der politische Effekt war aber trotz- den brutalen Misshandlungen, deshalb
dem eingetreten. Die Überraschung und hatte ich mich entschlossen abzuhauen.
Bestürzung waren enorm. Die in- und Ich hatte schon den Rucksack gepackt
ausländische Presse schrieb vom Auf- und wollte gerade noch eine Kleinigkeit
stand bis zum Bürgerkrieg. Die Dolomi- essen. Plötzlich waren sie da, vier Mann
ten schrieb auf der ersten Seite in großer von der Spezialtruppe der Schläger. Ich
Aufmachung: «Schändung des Herz- wollte bei der Hintertür entwischen, hat-
Jesu-Festes!». Sie konnte damals ja nicht te aber keine Chance mehr, sie ließen
ahnen, dass sie später auch einmal von mich nicht mehr aus den Augen und aus
diesen Anschlägen durch den Milliarden- der Hand. In der Carabinierikaserne von
segen profitieren würde! Meran angekommen, erhielt ich von ei-
Niemand wollte so recht glauben, nem Riesen einen Fußtritt in den Hintern,
dass wir Tiroler zu so etwas imstande dass ich kopfüber in den Hausgang flog.
wären und man tappte vollkommen im Im ersten Stock erwarteten mich
Dunkeln. Der italienische Staat schickte dann mehrere Kameraden und fremde
15.000 Carabinieri, Polizei und Soldaten Männer in Habt-Acht-Stellung mit erho-
nach Südtirol, um öffentliche Einrichtun- benen Händen. Auch ich musste diesel-
gen zu bewachen. Es herrschte regelrech- be Haltung einnehmen, und wenn je-
ter Ausnahmezustand. Die Bewacher mand die Arme sinken ließ, wurden wir
hatten den Befehl, ohne Vorwarnung zu von den Bewachern mit dem Gewehr-
schießen. So wurde am 19. Juni in Mals kolben geschlagen. Zwischendurch wur-
ein junger Bursche, Hubert Sprenger, den wir zur Spezialbehandlung in einen
ohne Vorwarnung erschossen, weil der Raum mit geschlossenen Fenstern und
Weg zu seiner Freundin zufällig bei dem heruntergelassenen Rolläden geführt, wo
Offiziersheim vorbeiführte. In Sarnthein sich oft bis zu 10 Carabinieri befanden.
wurde Josef Locher in der Materialseil- Ich musste bei der damaligen Sommer-
bahn, welche ihn zu seinem elterlichen hitze mit angezogenem Rock stunden-
Hof bringen sollte, während der Fahrt lang vor einer Quarzlampe stehen, so-
kurzerhand erschossen. Zahllose Haus- dass ich fast erblindete und der Schweiß
durchsuchungen mit menschenrechts- aus allen Poren brach. Der Durst war
widrigen Übergriffen fanden statt, aber fürchterlich, den Hunger habe ich nach
50
keine bei uns Aktivisten. dem ersten Tag nicht mehr gespürt.
Als Mitte Juli 1961 dann die große Sie rissen mir die Haare büschelweise
Verhaftungswelle einsetzte, hat es auch vom Kopf, stießen mich von einer Wand
mich erwischt. Kurz vorher erfuhr ich von zur anderen, boxten und schlugen mich,
bis mir schlecht wurde. Mit dem Rücken Pistole abzuholen, begegnete uns mein
zur Wand und erhobenen Armen auf den alter Vater.
Zehenspitzen stehend, musste ich aus- Als er mich sah, brach er in Tränen
halten, bis ich zusammenbrach. Auf Na- aus und mir drückte es fast das Herz ab.
men von Kameraden waren die Peiniger Dass ich damals nicht hatte fliehen kön-
besonders scharf. Sie sagten mir, sie nen, ärgerte mich im Gefängnis jahre-
wüssten von Kerschbaumer, dass ich in lang. Aber irgendwann setzte sich in mir
Meran eine Gruppe von fünf Männern doch die Erkenntnis durch, dass es eben
hätte, ich sollte sie nennen. Sie ließen mein Schicksal war. Wenn ich auch mit
deshalb einen elektrischen Kocher glü- stark angeschlagener Gesundheit nach
hend heiß werden und ich sollte darauf acht Jahren vom Gefängnis heimgekehrt
barfuß stehen. Als sie sahen, dass ich bin, so durfte ich eben doch in die Hei-
dazu bereit war, rissen sie mich im letz- mat, zu meiner schwer geprüften Familie
ten Augenblick zurück. und zu meinem Hof zurückkehren.
Mein oberstes Gebot war immer, Unter dem Eindruck der massiven An-
meine Kameraden nicht zu verpfeifen schläge und der dadurch stärkeren Inter-
und ich hatte wohl Glück, dass ich dies nationalisierung wurde im September
durchgehalten habe. Denn, wenn man 1961 die sogenannte Neunzehner-Kom-
so nackt im Raum steht, von vielen Be- mission eingesetzt. Sie sollte die Proble-
stien umgeben, die einen anschreien: matik in Südtirol untersuchen und der
«Ihr Bastarde und Hurensöhne, wir wer- Regierung Vorschläge unterbreiten. Sie
den euch alle kastrieren und über den brauchte acht Jahre, bis ein Ergebnis zu
Brenner jagen!», dann wird man ganz Stande kam. Von italienischer Seite wur-
klein, von allen verlassen, man fühlt sich de immer wieder versucht, sie versanden
wie ein Wurm, auf dem die halbe Welt zu lassen, aber der belgische Senatsprä-
herumtrampelt. sident Paul Struye fuhr im Auftrag des
Diese Spezialbehandlung erstreckte Europarates öfters nach Rom, um sie
sich mit Unterbrechungen über zwei Tage wieder anzukurbeln.
und zwei Nächte, bis ich schließlich zwei Ende September 1961 fand ein SVP-
Anschläge und die Beteiligung bei der interner Putsch statt. Eine Gruppe von
Entscheidung zur Feuernacht in Zernez Altpolitikern, Bürgermeistern und Wirt-
51
zugab. Irgendwann verlässt jeden die schaftsleuten – mit dem späteren Sena-
Kraft und man fängt dann zu phantasie- tor und Parteiobmann der SVP, Dr. Ro-
ren an. Als man mich zu mir nach Hause land Riz, an der Spitze und durch Athe-
fuhr, ein halbes Kilo Sprengstoff und eine sia-Direktor Toni Ebner sen. in den Dolo-
Vereinte Nationen, 1960: Die österreichische Delegation unter Führung von Außenminister Dr. Kreisky (links) erzielte
einen guten Erfolg und erhielt den Verhandlungsauftrag der UN in Sachen Südtirol. Rechts der Diplomat und
spätere Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim. In der Mitte Franz Gschitzer.

miten gefördert – wollte die damalige wir, dass die SVP ihn gebeten hatte, sie
Parteiführung der SVP und Österreich nicht zu verwenden, um, wie sie glaub-
von den Verhandlungen mit der italieni- te, die Stimmung nicht noch mehr zu
schen Regierung ausschalten, wohl um verschlechtern. Überhaupt verurteilte die
einen billigen Preis. Zum Glück ist das Südtiroler Volkspartei bei jeder nur mög-
Vorhaben gescheitert, sonst wäre alles lichen Gelegenheit die Anschläge und
noch viel schlimmer geworden. verwies nur selten darauf, warum sie
Im November 1961 hat Kreisky vor verübt wurden. Gerade dies wäre aber
der UNO Italien der Folterungen an Süd- wichtig gewesen, um daraus politisches
tiroler politischen Häftlingen beschuldigt. Kapital schlagen zu können. Sicher war
Der italienische Außenminister Segni hat die SVP damals in einer sehr heiklen
diese Anschuldigungen zurückgewiesen Lage, trotzdem hätte sie die moralische
52
und Kreisky als Lügner hingestellt. Wir Pflicht dazu gehabt.
konnten nicht begreifen, warum Kreisky Ein weiterer Grund dieses schweren
nicht unsere Folterbriefe als Beweismittel Versäumnisses war wohl der, wie es der
vorlegte. Erst Jahrzehnte später erfuhren verstorbene Senator Peter Brugger for-
mulierte: «Ihr Häftlinge wart bereit, für ben. Sepp Kerschbaumer starb an Herz-
die Heimat in den Knast zu gehen, von stillstand, weil er beim Prozess die ganze
den SVP-Vertretern ist kein einziger auch Verantwortung übernommen hatte und
nur einen Tag dazu bereit!» Allerdings die Belastung zu groß geworden war.
muss auch erwähnt werden, dass meh- Hubert Sprenger, Sepp Locher und Peter
rere SVP-Vertreter unsere schwer geprüf- Thaler wurden willkürlich und ohne
ten Familien auf humanitärem Gebiet Vorwarnung von den Besatzern erschos-
sehr wohl unterstützten und betreuten. sen. Helmut Immervoll kam angeblich
Auch viele Südtiroler halfen uns und beim Hantieren mit Sprengstoff ums
waren solidarisch. Frau Midl von Sölder Leben. Luis Amplatz wurde auf der Brun-
aus Eppan vollbrachte diesbezüglich die ner Mahder meuchlings ermordet. Jörg
größte Leistung, sie war mit Herz und Klotz starb zwar im Exil, aber an den
aus Überzeugung bei der Sache. Frau Folgen seines Einsatzes im Freiheitskampf
Gretl Koch, eine Häftlingsfrau aus Bo- für unsere Heimat. Walter Gruber und
zen, stand ihr dabei kräftig zur Seite. Aus Peter Paris kamen beim Hantieren mit
Österreich und Deutschland erhielten Sprengstoff auf mysteriöse Weise ums
unsere Familien auch viel materielle Un- Leben. Friedl Rainer ist ebenfalls auf nie
terstützung. Allen gebührt unser aufrich- geklärte Weise beim Versuch, das Bein-
tiger Dank! haus auf der Malser Haide zu sprengen,
Am 22. November 1969 bei der umgekommen.
Landesversammlung der SVP in Meran 1966 wurde Peter Wieland aus Nie-
wurde dann über das Ergebnis der derolang auf dem Heimweg von einer
19er-Kommission – das sogenannte Pa- Alpini-Streife niedergeschossen.
ket – abgestimmt. Dr. Magnago konnte Wir mussten Folterungen ertragen,
eine knappe Mehrheit von 52% für das trugen gesundheitliche Schäden davon,
Paket erreichen. Dieses Paket oder erwei- saßen über 500 Jahre Gefängnis ab. Und
terte Autonomie ist zwar als Übergangs- nicht zuletzt das viele Leid und die Tränen
lösung brauchbar, aber es ist eben nur unserer Familien und Landsleute.
eine Teillösung, denn die Assimilierung
geht nach wie vor weiter. Dafür waren Mein Ziel war und bleibt auch wei-
die Opfer auf unserer Seite einfach zu terhin die Wiedergutmachung des gro-
hoch, wir haben doch direkt 13 Tote zu ßen Unrechts, nämlich die Wieder-
beklagen: vereinigung Tirols als europäische Regi-
Franz Höfler und Toni Gostner sind on auf friedlichem Weg.»
an den Folgen der Folterungen gestor-
54
FLUGBLATT VON ZERNEZ (1961)

LANDSLEUTE!
Die Stunde der Bewährung ist da!

40 Jahre lang hat Südtirol alle Leiden erduldet und immer wieder auf die
Einsicht Italiens, auf die Hilfe der Mächtigen und auf Gerechtigkeit gehofft.
Obwohl wir keine Italiener sind, waren wir 40 Jahre lang anständige Bürger
des italienischen Staates. Vergeblich!
1919 und 1946 hat man uns das natürliche Recht auf Selbstbestimmung
vorenthalten und dafür Versprechungen gemacht. 15 Jahre lang warten wir
nun vergeblich auf die Einlösung dieser Versprechungen. Jeder vernünftige
Mensch aber muss nach all den ergebnislosen Verhandlungen erkennen,
dass die italienischen Regierungen uns nicht einmal eine bescheidene Auto-
nomie gewähren wollen. Das «demokratische» Italien setzt in Südtirol die
Methoden der faschistischen Gewaltherrscher fort und überbietet sie noch:
willkürliche Verhaftungen, das Verbot der Schützen, Beschlagnahme von
Privateigentum, wahllose Hausdurchsuchungen, Störung religiöser
Bräuche.Täglich wächst die soziale Not: Zu Tausenden müssen junge Südti-
roler auswandern, weil italienische Zuzügler die Volkswohnungen und die
Arbeitsplätze zugeteilt bekommen. Obwohl sie oft nicht lesen und schreiben
können, erklären die italienischen Arbeitsämter diese Zuwanderer zu Fach-
kräften. Unsere Söhne aber müssen mit Hungerlöhnen vorlieb nehmen.
1918 lebten 7000 Italiener in Südtirol, heute sind es 130.000! Wohin das
Zögern und Verhandeln geführt hat, zeigen auch die letzten Bozener Ge-
meindewahlen. 1920: kein einziger Italiener im Gemeinderat! 1961: 31 Ita-
liener und nur noch 9 Südtiroler! Und welche Parteien haben seit 1957
55
Stimmen gewonnen? Einzig und allein die Neufaschisten und die Kommu-
nisten! Das ist das Ergebnis unserer Geduld! Rom beschließt eben jetzt ein
Gesetz, das jedem Südtiroler nach Belieben die Staatsbürgerschaft entziehen
kann. Dieses Gesetz öffnet der Willkür Tür und Tor: Man kann uns wie
Verbrecher aus der Heimat vertreiben. Aus dem Unrecht, das Hitler unserem
Land zugefügt hat, versucht Rom sein Recht abzuleiten. Italien erniedrigt das
alte Kulturland an Etsch und Eisack zu einer Kolonie. Hat man in Rom noch
nicht gemerkt, dass wir im Zeitalter der Selbstbestimmung der Völker leben?
Wir sind sicher, dass alle Gegner des Kolonialismus unsere Bundesgenossen
sind.

WIR FORDERN FÜR SÜDTIROL DAS SELBSTBESTIMMUNGSRECHT !

Landsleute! Unser Vertrauen zum italienischen Staat ist zerstört. Er hat kein
Versprechen und keinen Vertrag gehalten. Er missbraucht seine Kräfte dazu,
das vom Faschismus begonnene Vernichtungswerk fortzusetzen und unsere
Volksgruppe auszulöschen. In dieser Stunde erheben sich die treuesten Söh-
ne unserer Heimat gegen die Gewalt und schreiten schweren Herzens – so
wie anno 1809 – zur Tat. Nicht der Hass gegenüber Menschen einer ande-
ren Sprache leitet uns: unsere Erhebung ist Notwehr gegen einen Staat, der
uns unseres Volkstums wegen verfolgt und uns geistig und physisch vernich-
ten will. Europa und die Welt werden unseren Notschrei hören und erken-
nen, dass der Freiheitskampf der Südtiroler ein Kampf für Europa ist und
gegen die Tyrannei.
Landsleute! Unterstützt den Freiheitskampf! Es geht um unsere Heimat! Wir
ziehen in den Kampf mit einem Wort unseres Kanonikus Gamper: «Ein Volk,
das um nichts anderes kämpft, als um sein natürliches und verbrieftes Recht,
wird den Herrgott zum Bundesgenossen haben!»

56
Mit diesem Flugblatt, welches im Kirchberg in Niederösterreich, Heinrich
Rahmen der Feuernacht in ganz Südtirol Klier und Kurt Welser aus Innsbruck.
verteilt und auch auf dem Postweg an Um dem italienischen Geheimdienst
viele Politiker und andere Persönlichkei- und Spitzelnetz zu entgehen, hatte man
ten in Österreich und Europa verschickt für das wichtige Treffen absichtlich neu-
wurde, wollte der BAS die Öffentlichkeit tralen Boden in der Schweiz gewählt.
über die Ziele seines Kampfes informie- Der Befreiungsausschuss Südtirol hat-
ren. Das Flugblatt wurde am 1. Juni 1961 te schon vor der Feuernacht nicht nur
beim Treffen in Zernez, wo die Feuer- durch Anschläge, sondern auch durch
nacht beschlossen wurde, verfasst. Flugblätter und Schriften auf sich und
Trotz einer langen Recherche war es seine Ziele aufmerksam gemacht. Einige
nicht mehr möglich, eine vollständige dieser Flugzettel wurden auch von Paul
Liste der Teilnehmer an diesem ent- Pichler, Lehrer aus Schenna, verfasst. Er
scheidenden Treffen zu erstellen, die Na- hatte innerhalb des BAS hinsichtlich der
men von drei bis vier Nordtiroler Teilneh- Werbung eine wichtige Funktion. Paul
mern konnten nicht mehr ermittelt wer- Pichler wurde nach der Feuernacht auch
den. verhaftet und war bis zum Mailänder
Aus Südtirol nahmen teil: Sepp Prozess eingesperrt. Schon Ende Jänner
Kerschbaumer aus Frangart, Siegfried 1961, als das Mussolini-Standbild in
Carli aus Meran, Martin Koch aus Bozen, Waidbruck in die Luft flog, wurde er
Sepp Mitterhofer aus Meran, Franz Mut- verhaftet und für eine Woche ins Klaus-
her aus Laas und Alfons Obermair aus ner Gefängnis gebracht. Nach dem Pro-
Bozen. Aus Nordtirol bzw. Österreich zess konnte er viele Jahre seinen Beruf
nahmen teil: Dr. Norbert Burger aus als Lehrer nicht ausüben.

57
FÜR UNS GALT ES, DIE HEIMAT ZU RETTEN…
Luis Steinegger

Viele Mitglieder des BAS waren im nach wenigen Ta-


zweiten Weltkrieg Soldaten gewesen. gen entlassen. Die
Nach dem Krieg kehrten sie in die Hei- anderen wurden
mat zurück und hofften auf eine bessere aber fast alle zu
Zukunft, im Vertrauen auf die neuen, de- Gefängnisstrafen
Luis Steinegger
mokratischen Verhältnisse. Zu ihnen ge- von 3 bis 4 Mo-
hörte auch Luis Steinegger. Wie viele naten verurteilt.
andere verwendete er im Untergrund die 1939 optierte ich, während ich einen
an der Front gemachten Kampferfahrun- vormilitärischen Kurs bei der italienischen
gen. Luis Steinegger wurde 1921 in Tra- Miliz besuchen musste, für Deutschland.
min geboren. Seine Eltern waren Klein- 1942 wurde ich zur deutschen Wehr-
bauern und seit frühester Kindheit konn- macht eingezogen und absolvierte zuerst
te er selbst die Auswirkungen der faschis- verschiedene Ausbildungen, z.B. Infante-
tischen Diktatur miterleben. rie-, Artillerie-, Nachrichtendienst- und
besonders eine gute Pionierausbildung.
Bereits im Alter von 16 Jahren war Damals erlernte ich den guten und si-
ich an Widerstandsaktionen gegen die cheren Umgang mit Sprengmitteln aller
faschistische Italienisierungspolitik betei- Art.
ligt und wurde damals das erste Mal ein- Meine Einheit wurde dann im dama-
gesperrt. ligen Jugoslawien eingesetzt. Im August
Mit anderen Jugendlichen hatten wir 1944 wurde ich von den Engländern
die Aufgabe übernommen, die Katakom- gefangen genommen und kurze Zeit
benschulen zu überwachen. Wir waren später den jugoslawischen Partisanen
eine größere Gruppe und trafen uns übergeben. Da ich in der Gefangenschaft
immer wieder, um im Geheimen unsere zum Entschärfen von Minen herangezo-
geliebte, aber verbotene deutsche Kultur gen wurde, überlebte ich die Hölle der
zu pflegen. Gefangenschaft. Die meisten meiner
59
Im Jahre 1938 wurde ich dann mit Kameraden starben in jugoslawischer
einer Gruppe von 20 anderen jungen Gefangenschaft – das Ausmaß der erleb-
Burschen und Mädchen verraten! Da ich ten und erlittenen Grausamkeiten waren
aber noch minderjährig war, wurde ich jenen gleich, die wir tagtäglich in den
Süden wurden ins Land gepumpt, beka-
men sofort eine Arbeit, eine Wohnung
… und wir mussten zusehen, wie immer
mehr Südtiroler auf der Suche nach Ar-
beit wieder auswandern mussten.
Für uns galt es, die Heimat, die schon
wieder in Gefahr war, zu retten. Zuerst
sammelten sich die Gleichgesinnten in
den Reihen der SVP. Im November 1957
lernte ich bei der Großkundgebung von
Sigmundskron den Anführer des BAS –
Sepp Kerschbaumer – kennen. Aber erst
1958 wurde ich ein Mitglied des BAS.
Mein Freund Oswald Kofler stellte den
ersten Kontakt her.
1960 lernte ich durch Oswald Kofler
Luis Steinegger als Soldat im II. Weltkrieg
den Nordtiroler BAS-Aktivisten Kurt Wel-
Nachrichten über den Balkankrieg sehen ser kennen. Dieser hatte zu jener Zeit
konnten. den Auftrag, die in Südtirol bereits im
Am 30. November 1946 kehrte ich ganzen Land bestehenden BAS-Zellen
dann endlich von der Gefangenschaft
heim. Ich brauchte fast ein halbes Jahr,
um mich von den Leiden der Gefangen- Luis Steinegger bei der Heimkehr

schaft zu erholen. Damals schwor ich mir,


nie mehr in irgendeiner Weise politisch
tätig zu werden.
Aber langsam musste ich wieder
meine Meinung wechseln, denn zu au-
genscheinlich war das von Tag zu Tag
immer größer werdende Unrecht. Im
Grunde hatte sich am Ziel des italieni-
60
schen Staates, im Vergleich zum faschi-
stischen Regime, nichts geändert. Nur die
Mittel waren anders, feiner geworden.
Immer mehr italienische Arbeiter aus dem
V.l.n.r. Viktor Thaler, Luis Steinegger und Oswald Kofler während des Mailänder Prozesses.
Die Angeklagten wurden während der Prozesstage schwer bewacht und immer in Ketten vorgeführt.

oder Gruppen mit Sprengstoff, Waffen


und anderem Material zu beliefern. Kurt
Welser war ein ganz besonderer Mensch,
mit dem mich eine innige Freundschaft
verband.
Er war es auch, der mir sagte, dass
ich meiner Frau entweder alles sagen
sollte oder gar nichts. Ich sagte meiner
Frau dann alles über meine Tätigkeit, und
sie stand felsenfest auf meiner Seite,
denn sie teilte auch meine Sorgen um
die bedrohte Heimat.
Im Winter 1960-61 baute ich mit
einigen Kameraden der Traminer BAS-
Zelle im Wald unter einem großen Felsen
einen großen Materialbunker. Dort lager- 61
ten wir dann das gesamte Sprengmate-

Kurt Welser gehörte zu jenen Nordtiroler Aktivisten,


die durch ihren Einsatz die Durchführung der
Feuernacht ermöglichten. Er führte viele hunderte
Kilo Dynamit illegal über die Grenze nach Südtirol.
Am 30. Januar sprengten die Südtiroler Freiheitskämpfer einen der Gesslerhüte Südtirols, das Reiterstandbild Mussolinis
in Waidbruck. In einem Flugblatt hieß es: «Tiroler! Italien zeigt uns wieder die kalte Schulter. Italien sagt wieder NEIN
zu unserer primitivsten Forderung nach Landesautonomie. JETZT gibt es nur mehr eine Forderung:
SELBSTBESTIMMUNG FÜR SÜDTIROL!»
Links: Am 18.11.1938 wurde das Reiterstandbild mit den Gesichtszügen Mussolinis dem «Genius des Faschismus»
geweiht. Mitte: Der gesprengte Aluminium-Diktator. Rechts: Die Scherben im Depot. Italienische Arbeiter brachten
die Aufschrift «Wir kommen wieder» an.

rial und die Waffen. Von diesem Lager auch wieder ausgezeichnetes Material
wussten nur drei BAS-Leute Bescheid. zur Verfügung.
Kurt Welser, der aus verschiedenen Grün- Bei verschiedenen Kursen, die in
den den Standort des Lagers wissen Nord- und Osttirol, aber auch in Südtirol
wollte, gab sich dann mit unserer Infor- stattfanden, wurden zahlreiche Aktivisten
mation zufrieden, dass wir innerhalb ei- ausgebildet, vor allem im Umgang mit
ner halben Stunde das Lager erreichen Sprengstoff, aber auch zum Beispiel, wie
und Material entnehmen konnten. man sich bei einer Verhaftung verhalten
Sprengstoff und Waffen erhielten wir sollte.
aber nicht nur aus Nordtirol, es gab noch Bereits im April 1959 hatte der BAS
überall Rückstände vom letzten Krieg. Ich erste Sprengstoffanschläge in Bozen ver-
kann mich noch daran erinnern, wie ein übt. Die Ziele waren Volkswohnungen,
junger Bauer uns eine deutsche Maschi- die ausschließlich für die Italiener gebaut
nenpistole übergab, die in ausgezeichne- wurden. Sie waren die Symbole für die
tem Zustand war. italienische Unterdrückungs- und Über-
Zahlreicher Sprengstoff wurde zu fremdungspolitik!
Beginn auf halb legalem Weg in Nordita- Genauso hatten die Hochspannungs-
62
lien angekauft. Oft hatten wir alten, masten nicht nur einen materiellen Scha-
unsicheren Sprengstoff und oft klappte denswert, sondern genauso symboli-
es mit den Zündschnüren oder Zeitzün- schen Wert. Gleich verhielt es sich mit
dern nicht. Gleichzeitig hatten wir dann den Anschlägen auf das Haus von Tolo-
mei in Glen und dem Duce-Standbild in der verschiedenen Gruppen sehr unter-
Waidbruck. schiedlich. Es gab Leute bzw. Gruppen,
Zu den Aktionen des BAS gehörten die immer wieder Aktionen ausführten,
nicht nur Anschläge: Immer wieder wur- die vom Verteilen von Flugblättern, His-
de die Bevölkerung durch Flugblätter, sen von Fahnen bis hin zu kleinen An-
Briefe und Wandaufschriften auf die Lage schlägen gingen, aber es gab auch Grup-
im Land aufmerksam gemacht, Tiroler pen, die nie in Aktion traten.
Fahnen wurden gehisst. So waren am großen Schlag – die
Der BAS war in Gruppen bzw. in Feuernacht – sicher nicht alle BAS-Zellen
Zellen aufgeteilt. Diese bestanden von beteiligt. Warum, ist nicht leicht nach-
Fall zu Fall aus wenigen oder mehreren vollziehbar. Vielleicht fehlte vielen im letz-
Leuten und umfassten meistens eine ten Augenblick der entscheidende Rück-
Gruppe aus demselben Dorf, Tal oder halt oder das letzte und entscheidende
einfach eine Gruppe von Gleichgesinn- Stückchen Mut.
ten und Freunden. Genauso waren nicht alle BAS-Grup-
Untereinander hielten die Gruppen pen gleich gut organisiert, ausgebildet,
durch Verbindungsleute Kontakt bzw. bewaffnet und sicherlich waren nicht alle
wurden Aufträge, Befehle oder einfach Gruppen gleich motiviert. Im Unterland
Nachrichten und Informationen von der und im Raum Bozen standen den BAS-
Führung zu den einzelnen Gruppen und Gruppen sogar zwei Ärzte zur Verfü-
Zellen durch Verbindungsleute weiterge- gung.
geben. Nach der Feuernacht und der darauf-
Zuerst waren es nur wenige kleine folgenden Verhaftungswelle lösten sich
Gruppen, die im Lande verstreut aktiv viele Gruppen auch von selbst auf, zu
waren. Mit der Zeit wurde ihre Zahl im- groß war der Schock und die Angst vor
mer größer und umfasste bald das gan- dem Vorgehen der italienischen Polizei-
ze Land. Natürlich waren die Aktionen kräfte.

63
DIE «CURA SPECIALE»
Luis Gutmann

Bereits 1959 erschien in England ein wertvoll und not-


Buch mit dem Titel «Die zehn Todesqua- wendig sind, be-
len». Darin beschrieb der Autor die Tat- sonders in einem
sache, dass die Folter noch in vielen Staa- Land wie Sizilien,
ten der Welt eine angewandte Methode denn hier gibt es Alois Gutmann
der Unterdrückung war. So auch in Itali- die «Omertà» (das
en. In einem Bericht über Sizilien be- Gesetz des Schweigens). Sie ist für den
schrieb Gavin Maxwell, wie die Carabi- Sizilianer das Zeichen der Würde und
nieri bei der Bekämpfung der Mafia die auch der himmlische Vater könnte ge-
Folter in den Verhören gezielt anwandte. gen die omertà nichts ausrichten. Omer-
Erschreckend klingt der Bericht eines jun- tà ist eine eiserne Schranke, hinter der
gen Carabiniere über diese verbrecheri- sich jeder, ob schuldig oder unschuldig,
schen Behandlungsweisen. verschanzt und sie zu durchbrechen ist
nahezu unmöglich.
Ein Bericht aus Sizilien: Richtig – wie stellt man es dann an,
«Ich diente in der größten Kaserne eine Verbrecherbande auszuheben? Wie
von Palermo, dem Hauptquartier für alle bringt man die Schuldigen im Gefängnis
Provinzkasernen. Dort ist die berühmte dazu, den Mund aufzutun? Vielleicht mit
«Pepiritu-Kaserne», wohin die verhafte- sanften Worten und überzeugenden Pre-
ten Verbrecher zuerst geschafft werden. digten? Da würden sie nie ein Wort sa-
Sie ist, kurz gesagt, ein Untersuchungs- gen. Auf diese Weise ist die Kriminalität
gefängnis, in dem die Häftlinge durch in Sizilien nicht auszurotten und unser
Schläge oder – wenn notwendig – durch Dasein wäre eine Farce. Aber die heilige
Folterungen zum Reden gebracht wer- Rute und die heiligen Foltern – die brin-
den. gen selbst die Fische zum Reden. Die
Ja, die Folter. Als Zivilist würde ich Ausrottung des Verbrechens ist unsere
ohne Besinnen sagen, dass man keinem Pflicht, und die müssen wir tun, ohne
65
menschlichen Wesen solche Dinge antun uns Kopfschmerzen über die Mittel zu
darf, dass sie dem moralischen Fortschritt machen.
der Menschheit widersprechen, aber als Nun könnten Sie sagen, dass unter
Carabiniere versichere ich Ihnen, dass sie den Gefolterten ja viele Unschuldige sind,
die genauso behandelt werden wie die den. Man stülpt eine Gasmaske über sein
Schuldigen. Daran sind im Grunde nicht Gesicht und gießt Salzwasser durch das
wir schuld, schuld ist nur die omertà, Rohr des Mundstückes. Ich bin gegen
unter der die Schurken und die Gerech- den Anblick abgehärtet, das wird man in
ten gleichermaßen leiden müssen. Ich meinem Beruf, aber angenehm ist er
darf Ihnen das eigentlich nicht erzählen, nicht, kann ich Ihnen sagen. Sein Leib
aber wir hatten im Hauptquartier einmal schwillt zu einem Ballon an und er leidet
einen Mann schon halb umgebracht, weil Höllenqualen. Dann drückt man auf sei-
es hieß, er wäre ein Komplize eines ge- nen Leib, damit das Wasser wieder her-
wissen Banditen und dann stellte sich auskommt und dann fängt man wieder
heraus, dass der arme Teufel absolut un- an. Oft wird das mit anderen Foltern
schuldig war. Er musste wegen seiner bei verbunden – der Mann ist nackt und man
der Folter erlittenen Verletzungen einen kann mit ihm machen, was man will.
Monat im Krankenhaus liegen – wegen Wir nehmen uns die empfindlichsten
gebrochener Rippen und anderem. Es Körperteile vor – Füße und Geschlechts-
hätte einen Skandal geben können, aber teile. Die Füße werden gebrannt oder
selbst wenn: Wir hatten uns immer noch geschlagen oder auch beides, dass man
in den Grenzen unserer Pflicht gehalten. jemandem die Zehennägel herausgeris-
Wir üben Gerechtigkeit, wir handeln im sen hat, habe ich nie gesehen und ich
Namen der Gerechtigkeit, und die Ge- glaube nicht, dass es gemacht wird.
rechtigkeit kann sich nicht selbst verdam- Warum, weiß ich nicht.
men. Das Zwicken der Hoden ist allgemein
Im übrigen: Wie hätte er einen Skan- gebräuchlich, manchmal geben wir ih-
dal machen können? Er war nur ein nen dabei auch Elektroschocks. Ich habe
Bauer und hatte keine mächtigen Freun- gesehen, wie ein Carabiniere einem
de. Es gibt Leute, die so einen Versuch Mann Nadeln in den Penis steckte, und
mit dem Leben bezahlt haben, das weiß dann noch schlimmere Dinge habe ich
ich. erlebt, aber davon wollen wir nicht re-
Wir wenden vielerlei Folter an – ich den. Es ist notwendig, wie ich Ihnen
kann Ihnen ruhig davon erzählen, denn erklärt habe. Anfangs musste ich mich
ich habe Ihnen ja dargelegt, dass sie dabei übergeben, aber jetzt regt es mich
66
notwendig sind. Die am häufigsten an- nur auf, wenn es sich um jemanden
gewandte Folter ist die sogenannte «Cas- handelt, der sehr alt oder fast noch ein
setta»: Der Mann wird mit zurückgebo- Kind ist. Dann würde ich am liebsten
genem Kopf auf ein Holzgerüst gebun- Gott ins Gesicht spucken.»
Erst durch Anwendung der Folter bei den Verhören konnte die italienische Polizei die ersten Aktivisten
verhaften. Im Bild Jörg Pircher nach seiner Verhaftung.

Das Buch ist 1959 im Longmans, wunden zu sein. Aber schon vor der Feu-
Green & Co. Verlag, London erschienen; ernacht hörte man des öfteren, dass
im September 1961 aus dem Englischen übereifrige Staatsdiener beim Verfolgen
übertragen von S. Rademacher und im von Südtirolern, die sich gegen die Miss-
Rowohlt-Verlag Hamburg herausgege- stände aufgelehnt hatten, zu ungesetzli-
ben. chen Mitteln griffen.
Doch niemand konnte sich die Bruta-
Niemand konnte sich damals vorstel- lität vorstellen, mit der nach der Feuer-
len, dass der italienische Staat bzw. die nacht eigens aus anderen italienischen
italienischen Polizeikräfte auch in Südti- Regionen herangeschaffte Spezialeinhei-
rol in einem Ernstfall zu solch grausamen ten der Carabinieri bei den Verhören von
Methoden greifen würden. Die Jahre des verdächtigen Südtirolern vorgingen.
67
Faschismus, in denen Schläge, Prügel und Folterungen, welche bei Verhören an-
Rizinusöl als Mittel der Unterdrückung in gewandt werden, haben immer zwei Zie-
den Carabinierikasernen an der Tagesord- le: Man will erstens vom Gefolterten In-
nung waren, schienen endgültig über- formationen herauspressen und zweitens
will man ihn demütigen, warnen und Landesversammlung der SVP in Bozen
bestrafen zugleich. Die Folterung hinter- folgendermaßen Stellung und betonte,
läßt nicht nur körperliche Spuren, auch dass nicht nur die Gewalt der politischen
die Seele der Betroffenen braucht oft Häftlinge von Südtirol von der Partei
Jahre, wenn nicht ein ganzes Leben, die verurteilt werden, sondern auch jene der
Schmerzen und Demütigungen zu über- italienischen Polizeiorgane. Nachdem
winden. man zur Überzeugung gekommen sei,
Ende Juli 1961 waren fast 80 Südti- dass es sich bei den Berichten um keine
roler verhaftet worden. Bis Ende Septem- Gerüchte handle, habe die Partei eine
ber d.J. umfasste die Zahl der Verhafte- parlamentarische Untersuchungskom-
ten fast 140 Personen. Die meisten von mission verlangt, welche die fragwürdi-
ihnen wurden 4 bis 7 Tage in den Poli- gen Geschehnisse untersuchen solle.
zei- und Carabinierikasernen verhört und Nachdem die diesbezüglichen Ansuchen
grausamsten Folterungen unterzogen. erfolglos geblieben waren, habe man
Durch die Anwohner der Carabinierika- einen Gesetzesentwurf eingereicht, der
sernen, zum Beispiel in Eppan und Neu- selbiges forderte. Dieser sei jedoch ein
markt, welche die Schreie der Gefolter- Opfer der Römischen Versandungspolitik
ten hörten und durch die Berichte von geworden. Die Maßnahmen, welche die
Verhörten, die bald wieder freigelassen SVP ergriffen habe, seien nicht nur im
wurden, sprach sich die Tatsache, dass in Interesse der Südtiroler, sondern der Be-
den Kasernen die Südtiroler misshandelt wohner des gesamten Staatsgebietes, es
wurden, bald im ganzen Land herum. Die müssen jene Elemente der Polizei ausfin-
Häftlinge ihrerseits versuchten, Berichte dig gemacht und bestraft werden, wel-
über die erlittenen Misshandlungen an che sich ihres Amtes nicht würdig erwie-
die Öffentlichkeit zu bringen. sen haben. Es sei die Frage zu stellen, ob
Im Ausland erregten diese Berichte es dem Ansehen Italiens förderlich sei,
großes Entsetzen, in Italien wurden sie wenn der Staat aus einem falschen Pre-
zum Großteil als Lügen und Phantasien stigeempfinden zu solchen Übergriffen
abgetan. Einige der betroffenen Südtiro- schweige und sie dadurch indirekt gut-
ler überwanden sich, Strafanzeige gegen heiße.
ihre Folterknechte zu erstatten. Insgesamt Bereits am 15. September wurde, si-
68
haben 44 Häftlinge diesen Schritt ge- cher aufgrund der Anschläge, vom italie-
wagt. nischen Innenminister Scelba die soge-
Silvius Magnago nahm zu den Miss- nannte 19er-Kommission eingesetzt, mit
handlungen am 3. Dezember 1961 in der der Aufgabe, endlich Verhandlungen mit
den Südtirolern zu führen. Daraus ent- lichkeit auf die Dramatik der Südtirol-Fra-
wickelte sich dann, viele Jahre später, das ge hinzuweisen.
sogenannte Südtirol-Paket. Unverständlich bleibt aber bis heute
Am 15. November 1961 sprach der die allgemein zaghafte Reaktion der Süd-
österreichische Außenminister Bruno tiroler Politiker und der Südtiroler Bevöl-
Kreisky vor der UNO über das Südtirol- kerung im allgemeinen, als sie von den
Problem und über die Folterungen der grausamen Übergriffen in den Carabinie-
Südtiroler Häftlinge. Am nächsten Tag rikasernen hörte. Warum ging damals die
beantwortete der italienische Außenmi- Südtiroler Bevölkerung – allen voran die
nister Antonio Segni dies dadurch, dass Spitzenfunktionäre der SVP – nicht auf
er Kreisky einen Lügner nannte, da er die Straße, um friedlich gegen diese
keine Beweise für die angeblichen Miss- Übergriffe zu protestieren und den Ver-
handlungen vorgelegt habe. Trotzdem folgten ein kleines Zeichen der Solidari-
war es Kreisky gelungen, die Weltöffent- tät zu geben?

Durch die brutalen Methoden der Polizei wurde innerhalb kurzer Zeit fast die gesamte Widerstandsbewegung
verhaftet und im ganzen Land wurden zahlreiche Waffen- und Sprengstoffverstecke gefunden.

69
Alois Gutmann ist einer von vielen,
die nach der Feuernacht verhaftet, ver-
hört und dabei auf die grausamste Wei-
se misshandelt wurde. Am 1. Juni 1930
in Girlan geboren, wohnt er seit 1951 in
Tramin. Seine Familie optierte für
Deutschland, weshalb er nach der vier-
jährigen italienischen Volksschule noch
vier Jahre die deutsche Schule besuchte.
Anschließend besuchte er die landwirt-
schaftliche Schule im Kloster Muri/Gries.
Seit 1971 ist er mit Elisabeth Rella ver-
heiratet, Vater von drei Söhnen, Land-
wirt und landwirtschaftlicher Unterneh-
mer. 47 Jahre war er aktives Mitglied der Alois Gutmann vor seiner Verhaftung.
Musikkapelle Tramin. Seit 10 Jahren ist
er amtierender Obmann des Vereines uns gegenüber sehr korrekt und aufge-
Südtiroler Rebschuler. So beschreibt er schlossen bzw. mitfühlend gezeigt hat.
das damals erlittene Unrecht: Dies haben vor allem wir Traminer des
öfteren bei den verschiedensten Aktio-
Wie kam es zur großen Verhaftungs- nen festgestellt.
welle nach der Feuernacht? Ich möchte damit sagen, wie so
Man muss einmal in aller Deutlich- mancher geglaubt haben möchte, dass
keit sagen, dass sich das Südtiroler Volk diese unglaublich große Verhaftungswel-

Im November 1961 verstarb Franz Höfler aus Lana


an den Folgen der Folterungen im Gefängnis.

70
le auf «Verrat» zurückzuführen sein
könnte: Dem ist mit Sicherheit nicht so,
denn wäre es nur am Rande so gewe-
sen, dann wären wir Traminer sicher
schon viel früher im Gefängnis gelandet.
Ich möchte nur kurz erinnern, wie oft
die Traminer Tiroler Fahnen auf den St.
Jakob-Turm gemalt haben. Bei der Herz-
Jesu-Prozession und der Andreas-Hofer-
Feier wurden die Straßen mit Tiroler Fah-
nen beflaggt. Damals war das Hissen der
Tiroler Fahne strengstens verboten. Ich
möchte nochmals unterstreichen, dass es

Höfler war Mitglied der Feuerwehr von Lana und


Oberjäger der Schützenkompanie Lana. Unter großer
Anteilnahme der Bevölkerung wurde er in Lana
beigesetzt.

71
von Seiten der Südtiroler uns gegenüber erinnert. Man verhaftete Muther dann
keinen Verräter in Bezug auf die große sogleich und, wie könnte es anders sein,
Verhaftungswelle gegeben hat. wollte man Auskunft erhalten über alles,
Was war der Auslöser dieser damali- was damals in Bewegung war. Ich kenne
gen Lawine von Verhaftungen? Hier muss das Verhalten von Muther den Carabi-
man, um die damalige Situation zu ver- nieri gegenüber nicht, weiß aber genau,
stehen, tiefer ausholen. Der Name «Stei- dass er noch auf Lebzeit ein Krüppel war.
ner» wird sich bei dieser Abwicklung der Sein Gehör, sein Gesundheitszustand war
Dinge des öfteren wiederholen. allgemein sehr angeschlagen, Ursache
Ich muss gleich zu Beginn dieser der Folterungen. Man muss der Sache
heiklen Phase hinzufügen, dass es auch zuliebe offen eingestehen, dass Steiner
früher Zusammenkünfte von Südtirolern diese Aussagen, die er, nachdem man
gegeben hat, die sich mit der politischen ihn aus dem Leben befördern wollte,
Situation in Südtirol befasst haben. Eine auch viel früher der Polizei hätte mittei-
dieser Zusammenkünfte fand Mitte der len können.
Fünfziger Jahre statt. Ich muss hinzufü- Nachdem man Muther verhaftet hat-
gen, dass es Land auf Land ab immer te, ungefähr Mitte Juli 1961, ging die
wieder Versammlungen gab, wo scharfe Lawine der Verhaftungen los. Ja, es war
Töne gegen das Verhalten Italiens uns wirklich wie eine Lawine, die losbrach
gegenüber gefallen sind, ja sogar oft von und erst im letzten Winkel des Landes,
Anschlägen auf verschiedene Einrichtun- wo ein Aktivist daheim war, halt machte.
gen die Rede war, bis dann Mitte Juli die Ja sogar südlich bis über die Südtiroler
große Verhaftungswelle einsetzte. Grenze hinaus: siehe Pergol aus Lavis.
Bei Benno Steiner in Obermais, wel- Wie es zu dieser unglaublich großen
cher als Alto-Adige-Redakteur im Ruf Verhaftungswelle kam, ist leicht erklärt:
stand, ein Spitzel zu sein, wurde ein erstens kannte fast jeder jeden und zwei-
Sprengstoffanschlag verübt. Daraufhin tens wurden Methoden bei den Verhö-
bekam er es mit der Angst zu tun und ren angewandt, denen selten einer wi-
führte die Polizei auf die Spur eines BAS- derstehen konnte. Von den meisten arg
Mannes. Benno Steiner war mehrere Jah- Gefolterten wurden fast immer die Na-
re zuvor mit Georg Klotz zwecks Grün- men von zwei oder drei seiner Kollegen
72
dung einer deutschen Oppositionspartei genannt. Auch darf man dabei nicht
bei Franz Muther in Laas. Dabei hatten vergessen, dass man nicht mehr voll zu-
sie u. a. auch über Sprengstoffanschläge rechnungsfähig war. Ich mache immer
gesprochen; daran hat sich Steiner wohl den Vergleich mit einer ausgeriebenen,
73
Anton Gostner aus St. Andrä
war der zweite Häftling, der im
Jänner 1962 an den Folgen der
Folterungen im Gefängnis starb.
Sein Begräbnis wurde eine
Protestkundgebung gegen
das brutale Vorgehen
der italienischen Polizei.
schlappen Spülhuder. Man war bis zur einen gewissen Maler Kurt, der mich
Verzweiflung geistig, aber auch körper- dann heim nach Tramin brachte. Am
lich zerschmettert und zerlegt. 17. Juli 1961 pflückte ich den ganzen Tag
Mir ging es jedenfalls so. Ich war Äpfel und zwar Grafensteiner. Nach
fertig! Hatte ich doch eine kleine Ah- Feierabend ging ich heim. Wir wohnten
nung, was Verhör heißt, denn ich war damals etwas außerhalb vom Dorf. Ich
am 15. Juli 1961 um 3 Uhr morgens aus habe mich umgezogen und auf nach
dem Bett geholt und dann in die Cara- Tramin ging es. Gegen halb neun Uhr
binierikaserne nach Kurtatsch geführt abends kam ein Kollege zu mir und teilte
worden. Von dort kam ich in die Carabi- mir mit, dass ein Jeep mit Carabinieri-
nierikaserne von Salurn, wo dann auch besatzung zu unserem Hof nach Söll fuhr.
ein 18-stündiges Kreuzverhör losging. Ich hätte Zeit genug gehabt abzuhauen,
Das Verhör war zwar sehr ermüdend, aber «was soll’s», dachte ich mir, wenn
aber korrekt, also nichts von Folter und ich 18 Stunden Kreuzverhör durchgehal-
dergleichen. Ich wusste, wie ich mich in ten habe, dann werde ich auch jetzt,
solchen Situationen zu verhalten hatte; sollte man mich holen, meinen Mann
auch so brachte man mich nach Truden, stellen.
wo ich gegen 11 Uhr nachts freigelassen Der zweite Grund, warum ich dann
wurde. heimgefahren bin, war der Umstand,
Zu der Zeit war die Verhaftungswelle dass meine zwei Brüder auch in die gan-
zwar im vollen Gange, aber mein Name ze Sache eingeweiht, also Mitwisser
war noch von niemandem genannt wor- waren. Dazu hatte der jüngste Bruder am
den. Leutnant Rotellini sagte mir zwar, darauffolgenden Tag seinen Abiturab-
bevor er mich freilassen musste: «Gut- schluss. Also ging ich heim. Dort ange-
mann, merke dir, was ich dir jetzt sage: kommen, empfing man mich schon nicht
Stell dir ein Seil vor, an dem ziehen wir allzu klug. Ich musste, ohne eine Jacke
und ihr. Das Seil hängt nur mehr an anzuziehen, sogleich in den Jeep einstei-
einem dünnen Faden, der kann schon gen, und ab ging es nach Eppan in die
gerissen sein oder auch nicht. Er wird dortige Kaserne. Ausgestiegen, oder bes-
aber reissen, dann sehen wir uns sicher ser herausgeworfen aus dem Fahrzeug,
wieder». Ich lachte darüber, denn ich begleitet von dauernden Fußtritten,
74
hatte nicht im Geringsten eine Ahnung, brachte man mich in ein Zimmer, wo ein
was sich Land auf Land ab abspielte. Radio mit voller Lautstärke Lieder oder
In Truden entlassen, traf ich dort im Ähnliches von sich gab. Dann ging es
Gasthof ganz zufällig einen Traminer, los: Man sagte anfangs gar nicht, was
man von mir wollte, sondern schlug mit Ich weiß nicht, wie oft ich bewusst-
Ledergegenständen, Fäusten und Füßen los war, wie oft man mich auf den Holz-
auf mich ein, bis man mir dann endlich boden, natürlich immer nackt, hin- und
sagte, warum ich dort sei. Man sagte hergezogen hat. Ich weiß nur, dass ich
mir dauernd, dass sie mit uns tun und heute noch Narben am Oberschenkel
lassen könnten, was sie wollten, denn habe. Ich ahnte nur von meiner Bewusst-
sie hätten «carta bianca» vom damaligen losigkeit, weil ich mich beim Wiederer-
Innenminister Scelba, der sich, und das wachen in einer Wasserlache befand. Die
soll auch einmal gesagt werden, vom Re- Quarzlampe hat auch das ihre dazu bei-
gierungskommissär, vom Bischof Gargit- getragen, mich klein zu machen. Ich
ter und auch von Dr. Magnago – so sag- hatte eine aufgeschwollene Zunge, ge-
te man mir – Rückendeckung geben ließ. sprungene Lippen. Es war zum Verzwei-
Sie könnten also mit mir und allen, feln!
die in diese Sache verwickelt waren, Ich war noch immer stumm, denn
machen was sie wollten. Ich zweifelte wie schon früher gesagt, weigerte ich
keinen Augenblick an deren Aussagen, mich, bei solchen Methoden zu sprechen.
denn die Methoden der Folter, die sie Nun, nach Stunden solcher Qualen wur-
anwandten, bewiesen es. den mir Kerschbaumer und Koch gegen-
Man nannte Namen wie Kerschbau- übergestellt. Ich hatte bis dahin keine
mer, Koch Martin und andere, die ich Ahnung, was in der Kaserne noch vor
natürlich kannte. Mir war in dem Augen- sich ging, wer dort war usw. Man kann
blick bewusst, in welcher Situation ich sich mein Erstaunen vorstellen, als ich
mich befand und, dass das Seil gerissen Kerschbaumer gegenüberstand und er
war. Man stellte mir also unzählige Fra- mich fragte: „Luis, wie schaust denn du
gen, gefährliche und weniger gefährli- aus? Du musst denen sagen, was du
che, aber ich wusste, was für mich und weißt, sonst bringen sie dich noch um.
meine Kollegen, die ich kannte, auf dem Wir waren vorher Tiroler und als solche
Spiel stand. Ich verweigerte jede Aussa- wollen wir denen sagen, warum und
ge, solange man mich mit solch barbari- weshalb wir zu solchen Mitteln, also zur
schen Methoden klein kriegen wollte. Gewalt, gegriffen haben!» Ich erwiderte
Man gab mir zu verstehen, dass ich Kerschbaumer: «Sag du denen, was du
75
meinen passiven Widerstand aufgeben weißt, ich weiß nichts!»
sollte, denn sie hätten noch ganz andere Dann war ich wieder mit meinen Fol-
Methoden, um mich zum Sprechen zu terknechten allein in diesem Raum. Ich
bringen. sah, wie man einen Tisch ins Zimmer
V.l.n.r. Josef Spiss, Jörg Pircher, Engelbert Angerer und Franz Muther

brachte, eine Eisenkiste darauf stellte und versucht, mich zu befreien und es ge-
mich aufforderte, mich auf die Kiste zu lang mir zwei bis drei Mal, sie abzusto-
setzen. Wie schon erwähnt, war ich da- ßen. Ich versuchte mich mit letzter Kraft
bei immer nackt und man gab mir zu aufzurichten und schon waren ein Dut-
verstehen, dass sie jetzt eine Methode zend oder mehr Männer da, um mich
anwenden würden, bei der bis dahin bei den Händen und Füßen zu packen
noch jeder ein Geständnis abgelegt hat. und vorne und hinten hinunterzuziehen,
Mir war klar, soweit konnte ich noch so dass ich das Gefühl hatte, man reisst
meine Gedanken sammeln, dass es jetzt mich auseinander. Nicht genug damit:
ums Biegen und Brechen ging. Das Zwei- Den Kopf nach unten, goss man mir eine
te war leider der Fall. Art Säure erst in die Nase, dann auch in
Lasst euch nun erzählen, wie es dann, den Mund. Ich weiß nicht, wie lange das
76
am Kreuz liegend, auf dieser Kiste zuge- gedauert hat.
gangen ist: Vier Mann, je einer Hände Jedenfalls kam es mir wie eine Ewig-
oder Füße streckend, bogen mich über keit vor und ich hatte das Gefühl, als sei
die Kiste. Ich hab noch mit letzter Kraft jede Sekunde die letzte, als sei alles vor-
bei. Tatsache ist aber, dass der Mensch Ich gebe zu, im Freiheitskampf das
Unglaubliches erträgt. Am Ende dieser Meine dazu beigetragen zu haben, je-
Tortur angelangt, weiß ich, dass ich nicht denfalls sah ich mich einem Protokoll
mehr stehen konnte. Ich war nicht mehr gegenübergestellt, das zwar in groben
ich, lebte aber noch. Ich muss hier schon Zügen stimmte, aber ich wusste nicht,
sagen, dass es unmöglich ist, in Worten wie das zustande gekommen war. In den
das wiederzugeben, was man in einer nächsten Tagen wurde ich des öfteren
solchen Situation empfindet. Man hat gerufen und musste Männern wie Inner-
auch ein Schamgefühl und kann deswe- hofer, Gostner, Clementi, Kofler Hermann
gen nicht alles so wiedergeben, wie es und anderen sagen: «Schaut mich an,
genau war oder wie man es selbst emp- mir ist das und das passiert. Wenn ihr
funden hat. Es gab nochmals Gegenüber- etwas in Bezug auf die Anschläge und
stellungen mit Kerschbaumer, Koch, Tiet- dergleichen wisst, dann sollt ihr es sa-
scher und anderen. Was dann gesche- gen.» Ich weiß nur, dass es auch denen
hen ist und wie, ist heute noch für mich ungefähr so erging wie mir. Kofler und
schleierhaft. Clementi durften später heimgehen. Die

V.l.n.r. Bernhard Prantner, Fritz Mandl, Toni Felderer, Martin Koch und Hans Stampfl.

77
anderen zwei kamen ins Gefängnis nach als zwischen vier Mauern Eingesperrte,
Bozen, wo dann Gostner Anton nach zumute war. So mancher glaubte, jetzt
wenigen Monaten verstarb. sei alles aus, jetzt stehen wir einsam und
Der Korrektheit halber muss ich sa- verlassen, alleine da auf dieser buckligen
gen, dass es auch bei den Carabinieri Welt. Aber siehe da, Gargitter hat die
Menschen gab, allerdings nur zwei. Ein Rechnung ohne den Wirt gemacht, und
Appuntato in Eppan, ein etwas älterer zu unserer Freude hat ein Großteil der
Mann, der uns immer wieder sein Bröt- Südtiroler Bevölkerung anders reagiert als
chen zu essen gab und zuflüsterte: «Bu- er es wollte.
ben, seid vorsichtig, was ihr sagt, ihr Das zweite Tief, das wir erleben
wollt doch eines Tages wieder nach Hau- mussten, war der plötzliche Tod von
se.» Der zweite war ein junger Bursche Franz Höfler. Ich kann euch sagen, da
und der entschuldigte sich fast, bei die- wird es zwischen den Wänden des Ge-
ser Einheit zu sein. Er sei Koch, sagte er fängnisses eng. Man glaubt, Platzangst
uns und wenn er nicht eine Wohnung in zu haben und findet keine Worte mehr.
Rom gekauft und dabei Schulden ge- Eine Spalte des Schreckens hat sich auf-
macht hätte, ginge er noch heute von getan, welche sich bei uns allen nur lang-
dieser Einheit weg, denn wie sich seine sam und zögernd schloss.
Kollegen verhalten hätten, sei für ihn Drittes Tief: Der nächste Kamerad
nicht zu ertragen gewesen. wurde von unserer Seite gerissen: Es war
Das waren in Kürze die ersten Erleb- Toni Gostner. Auch er im Blütenalter,
nisse nach unserer Verhaftung. Ich möch- Familienvater von mehreren Kindern, die
te noch im Telegrammstil einige Tief- er mit Frau hinterließ. Ihr könnt euch
punkte, die wir in den Gefängniszellen unsere Moral und unseren seelischen
erleiden mussten, schildern. Nach all Zustand vorstellen.
dem, was wir schon hinter uns hatten, Die nächste große Ungerechtigkeit
war die erste Enttäuschung der Hirten- und Enttäuschung, die wir erlebten, war
brief von Bischof Gargitter im August der famose Carabinieri-Prozess in Trient.
1961. Nicht nur, dass man die Folterknechte
Man nannte uns darin Kommunisten nicht verurteilt hat, nach all dem, was sie
oder deren Handlanger und fast wört- uns angetan haben. Nein, man hat sie
78
lich, man möge sich von uns distanzie- freigesprochen, als Helden behandelt und
ren und man sollte bedenken, dass man befördert. Von mir aus gibt es eine sol-
es mit raffinierten Verbrechern zu tun che Ungerechtigkeit nicht ein zweites
habe. Ihr könnt euch vorstellen, wie uns, Mal. Ich kann nur sagen: eine Schande!
Der Prozess gegen die Folterer wurde von der Öffentlichkeit genauestens verfolgt. Die beschuldigten Carabinieri
wurden nach ihrem Freispruch vom italienischen Carabinieri-General De Lorenzo belobigt und ausgezeichnet.
Augenscheinlich wurde die Arroganz des italienischen Staates durch die Tatsache, dass nicht die angeklagten
Carabinieri als Angeklagte vorgeführt wurden, sondern die gefolterten Südtiroler Häftlinge welche in Ketten dem
Prozess beiwohnten.

Die verwegene These der Staats- Carabinieri zu verleumden. Somit seien


anwaltschaft, eines Organs, das im die Häftlinge nichts anderes als Verleum-
Rechtsstaat Italien die Rechte des Staates der und Lügner.» Sogar das Gutachten
vertreten soll, war folgende: «Die Häft- von Dr. Holzner für Franz Höfler, welches
linge seien nie misshandelt worden. Die als Beweismittel hätte dienen sollen, war
Carabinieri hätten dies bestätigt. Das nicht auffindbar und er selbst weilte
hartnäckige Beharren der Südtiroler auf angeblich in Spanien auf Urlaub.
ihre Darstellung der Ereignisse sei nur Am 9. Dezember 1963 begann in
eine politische Intrige gegen die Mailand der sogenannte «Erste Mailän-
Carabinieri. Da aber gerichtliche Gutach- der Sprengstoffprozess» gegen 94 An-
79
ten Spuren der Misshandlungen festge- geklagte, davon 69 in Haft. Jeden Tag
stellt hatten, müsse man davon ausge- fuhren wir, in Handschellen und zu fünft
hen, dass sich die Südtiroler diese Ver- mit Ketten aneinandergebunden, mit Si-
letzungen selbst zugefügt hätten, um die renengeheul durch die Straßen Mailands.
Zehn Carabinieri wurden wegen der brutalen Folterungen an den Südtiroler Häftlingen angeklagt. Von links nach
rechts: Carabiniere Amanzio Pozzer (er misshandelte Sepp Innerhofer und Martin Koch), Leutnant Vilardo
(verantwortlich für die Folterung Josef Gostners, der später starb) und Mará (er quälte Erich Walter und Veronesi).
Anstelle einer Verurteilung erhielten die Carabinieri eine Auszeichnung.

In den folgenden sieben Monaten wurde ti das Urteil verkündet. Im Saal war es
im In- und Ausland viel über das Südti- ganz still, alle blickten gespannt auf den
rol-Problem geschrieben, bedingt durch Richter. Das Urteil lautete: Höchststrafe
die Zeugenaussagen und die Verteidi- für den flüchtigen Luis Amplatz mit 25
gungsreden unserer Anwälte. Lediglich Jahren und 6 Monaten. Von den Inhaf-
der bereits genannte Dr. Riz hat kein tierten erhielt Kerschbaumer mit 15 Jah-
Wort darüber verloren. Hätten sich alle ren und 11 Monaten am meisten. Ge-
an die Methode von Riz gehalten, wären samtstrafe 413 Jahre Haft! Einige wur-
wir als Kriminelle verurteilt worden, und den aus Mangel an Beweisen freigespro-
nichts wäre über Südtirol geschrieben chen, ein Teil hatte die Strafe bereits
worden! verbüßt, die anderen blieben weiterhin
Sepp Kerschbaumer hatte sich bei in Haft. Der Zuschauerraum war zum
seinen Aussagen klar und offen zur Sa- Bersten gefüllt mit unseren engsten Ver-
che bekannt und hatte die ganze Ver- wandten. Auf den einen Gesichtern sah
antwortung dafür übernommen. Das hat man Freude, auf den anderen tiefe Ent-
alle tief beeindruckt, und sogar die Zivil- täuschung, zum Teil Verzweiflung.
80
kläger konnten ihm ihre Achtung nicht Auch der Abschied von vielen Kame-
versagen. raden nach Prozessabschluss in Mailand
Am 16. Juli 1964 gegen Mitternacht war qualvoll. Ich möchte einen solchen
wurde vom Gerichtspräsidenten Simonet- Tag nicht mehr erleben. Wir kamen von
traurigen Begebenheiten nicht mehr her- und Demütigung wirklich erfassen.
aus. Luis Amplatz wurde meuchlings Die aus den Gefängnissen geschmug-
erschossen, aber auch der Tod Sepp gelten Briefe und Berichte über die
Kerschbaumers im Gefängnis von Verona Folterungen in den verschiedenen
war für mich ein besonders harter Schlag. Carabinierikasernen sind ergreifende
Es wurde wieder eng in der Zelle, man Dokumente menschlicher Verachtung
hatte ein Erdrückungsgefühl. Wir im Tri- und Brutalität, die eine machtgierige
entner Gefängnis, wo wir mehrere Jahre und skrupellose Politik nicht besser
verbrachten, wollten es einfach nicht beschreiben können.
glauben, dass es einen Mann wie Sepp Die Folterer wurden aus politischer
Kerschbaumer nicht mehr gab. Opportunität angeklagt und vor Ge-
So erlebte ich Tiefen, die mein Leben richt gestellt, doch wurden durch die
zeichneten. Ich habe das immer gesagt Amnestie oder Freisprechung der Be-
und will es wiederholen: Es ist unglaub- troffenen ihre Opfer ein zweites Mal
lich, was ein Mensch alles imstande ist gedemütigt.
durchzuhalten. Wie ihr aber seht, ich Der Prozess gegen die Carabinieri
habe alles gesund überlebt und wie begann erst am 20. August 1963,
könnte es anders sein, durfte und darf nach mehreren Interventionen zur Ein-
ich nach meiner Freilassung auch Hö- setzung einer Untersuchungskommis-
hen, Freude und Genugtuung erleben. sion, die vom Innenminister Scelba
Mit mir freuen sich meine Frau und drei abgelehnt wurde. Das Verfahren kam
gesunde Burschen, wobei ich dies alles jedoch wegen eines Vorfalles am 18.
noch lange genießen möchte.» Juni 1961 zustande:
In Mailand standen 69 Aktivisten vor Die Carabinieri von Lavis im Tren-
Gericht. Verhaftungen gab es nach der tino verhafteten damals den 38-Jähri-
Feuernacht weit über hundert. Schät- gen Livio Pergoll und den 42-Jährigen
zungsweise wurden ca. 40 Personen, Agostino Castelli wegen des Verdach-
welche am BAS beteiligt waren, nicht tes auf Beteiligung an den Anschlä-
verhaftet, das heißt, trotz der Folterun- gen. Die beiden wurden in die
gen und trotz der Repressalien entging Carabinierikaserne von Neumarkt ge-
fast ein Drittel der Beteiligten einer Ver- bracht und dort misshandelt. Ebenso
81
haftung. wurden Männer aus Neumarkt, Mon-
Nur wer selbst Opfer von grausa- tan, Tramin und Kurtatsch in dieselbe
men Misshandlungen wurde, kann Kaserne gebracht und schwer miss-
das Ausmaß der erlittenen Schmerzen handelt. Der Bezirksrichter von Neu-
markt, Luciano Cucciarielli, stellte bei Carabinieri vor Gericht gestellt. Und
der Einvernahme deutliche Folterspu- das Ende des Gerichtsverfahrens ist
ren fest und ließ alle Verletzungen bekannt. Ein Trienter Jurist und enger
vom Gerichtsmediziner genau regis- Freund des wenig später verstorbenen
trieren. Außerdem informierte er die Trientner Gerichtspräsidenten Giaco-
Staatsanwaltschaft von Trient. Livio melli erzählte, dass das Gericht sich
Pergoll erstattete ebenfalls Anzeige. bereits für die Verurteilung entschie-
Der Trientner Untersuchungsrichter den hatte, als von höchster römischer
Fabio De Luca plädierte für die Eröff- Stelle massiv Druck ausgeübt wurde.
nung eines Verfahrens. Owohl fast 50 Der folgende Freispruch wurde inter-
Anzeigen vorlagen, wurden nur 10 national heftigst kritisiert.

82
Dieser Brief, den die Häftlinge gemein- terhofer in einem unbewachten Augenblick,
sam im Gefängnis verfasst haben, musste während er seinen Sohn kurz umarmte den
wie viele andere Briefe auch, aus dem gefaltenen Brief in die Kapuze seines Män-
Gefängnis geschmuggelt werden. telchens zu schieben. So konnte der Brief
Anlässlich eines Besuches seiner Frau das Gefängnis verlassen und an die Öffent-
und einer seiner Söhne gelang es Sepp Mit- lichkeit weitergeleitet werden.

Brief aus dem Gefängnis Bozen, vom 29.11.1961


SO WURDEN WIR SÜDTIROLER
VON DEN CARABINIERI GEFOLTERT!
Mit großer Genugtuung haben wir vernommen, dass eine unglaublich große
Volksmenge aus allen Teilen unseres Landes zusammengeströmt ist, um un-
serem guten Kameraden Franz Höfler das letzte Geleit zu geben. Wir konnten
85
daraus mit Befriedigung schließen, dass das Südtiroler Volk zur gerechten
Sache steht. Franz Höfler war ein netter, ruhiger Junge. Wir sind oft mit ihm
im Hof spazieren gegangen; er hat uns erzählt von seinen grausamen Tortu-
ren, die er bei den Carabinieri durchmachen musste. Er klagte über ganz
unbestimmte, uncharakteristische Beschwerden, seitdem er bei den Carabinie-
ri mit den grausamsten Martern gepeinigt worden war. Franz Höfler sagte,
dass er in seinem Leben nie eine Stunde krank war. Er sagte uns, seitdem er
bei den Carabinieri diese Torturen durchgemacht hatte, fühle er sich nicht
mehr gesund, bis er schließlich einmal im Hof während des Spazierganges
über so furchtbare Schmerzen in der Brust- und Rückengegend klagte, dass
er fast zusammenbrach. Dr. Sullmann leistete ihm die erste Hilfe und beglei-
tete ihn in die Zelle. Er stellte fest: Beginnende Lähmungserscheinungen des
ganzen linken Ober- und Unterarmes. Er erkannte sofort die Dringlichkeit und
Schwere des Falles und beantragte die sofortige Einlieferung ins Krankenhaus;
jedoch als ebenfalls Inhaftierter konnte seine Anordnung nicht befolgt wer-
den und somit konnte er erst nach dreistündigem Abwarten des Gefängnis-
arztes ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Liebe Landsleute, ihr werdet Euch wundern, dass einer unserer besten Kame-
raden gegangen ist. Wir alle wundern uns nicht, wir wundern uns nur, dass
nicht einer oder mehrere schon während der Folterungen in der Torturenkam-
mer tot liegen geblieben sind. Dass der liebe Verstorbene an den Folgen der
Misshandlung gestorben ist, daran glauben wir, werdet Ihr alle nicht zweifeln.
Anlässlich des Todes eines unserer Kameraden, der an den Folgen dieser
schrecklichen Martern gestorben ist, möchten wir versuchen, Ihnen in groben
Umrissen ein kleines Bild zu machen über die fast nicht zu glaubenden grau-
samen Misshandlungen sowie teuflischen Verhöre und Verspottungen, die
uns zugefügt worden sind. Wir betonen, nur ein kleines Bild, denn man kann
das unmöglich in Worten schildern, das muss man persönlich erlebt haben.
Offen gestanden, es war schrecklich, sodass wir alle noch heute zutiefst be-
eindruckt sind und davon gar nicht mehr sprechen wollen, da wir sonst von
86
dem Gedanken gar nicht mehr loskommen und darunter die Nerven leiden.
Aber einmal muss es gesagt werden, denn das ganze Südtiroler Volk soll und
muss es wissen und es darf nicht verschwiegen werden, dass die Carabinieri
uns fast bis zum Tode in grausamster Weise gemartert, verhöhnt und verspot-
tet haben, besonders an den Geschlechtsteilen. Diese Martern kommen den
ruchlosen Misshandlungen in den KZs gleich, wenn sie sie nicht gar an Bestia-
lität, besonders an den Geschlechtsteilen, übertroffen haben.
Liebe Landsleute, nicht nur einen Toten haben wir zu beklagen, nein, wir
haben auch viele Invaliden; zum Teil werden sie sicher lebenslänglich einen
Defekt mit sich tragen und nur mehr halbe Menschen bleiben. Viele klagen
über unbestimmte und uncharakteristische Beschwerden, andere klagen über
dauernde Kopfschmerzen und Schwindelgefühl mit eigenartigem Rauschen
im Kopf infolge von wiederholter Bewusstlosigkeit und Gehirnerschütterun-
gen; da ja ein großer Teil bis zu stundenlanger Bewusstlosigkeit geschlagen
wurde. Andere klagen über starke Nacken- und Wirbelsäulenbeschwerden,
wieder andere über ziehende Schmerzen in der Nierengegend infolge von
Nierenquetschung und dadurch blutigem Urin.
Einigen rinnt noch immer blutiger Eiter aus beiden Ohren heraus infolge des
Zustandes nach beiderseitigem Trommelfelldurchbruch und dadurch Infektion
und Einschränkung des Hörvermögens. Manche leiden unter hochgradiger
Einschränkung des Sehvermögens, mit chronischer Bindehautentzündung,
infolge von stundenlangem Stehen vor Quarzlampen. Andere klagen über
vollständige Schlaflosigkeit, Aufspringen und Aufschreien während des Schla-
fens, wieder andere über Nervenzerrüttung und dauerndem leichten Zittern
am ganzen Körper. Wieder andere beschweren sich über chronische Magen-
entzündung infolge Verbrennung der Magenschleimhaut nach Einschüttung
von Säuren. Nicht zu sprechen von den Fällen, die an Rippenbruch und Kie-
ferbruch leiden, oder von jenen, denen man die Zähne mit der Faust heraus-
schlug und die übriggebliebenen noch wackeln. Weiters chronische, eitrige
Entzündungen an den Zehen- und Fingernägeln mit Abgang des Nagels infol-
87
ge von Quetschungen mit der Beißzange und Schlagen mit dem Gewehrkol-
ben. Infolge von Streckung auf der Streckbank entstanden Narbenbrüche und
weitere Narbenbildungen durch Verbrennungen von Zigaretten sowie Schla-
gen mit kantigen Gegenständen. Viele schauten schrecklich aus, infolge von
Blutergüssen und wurstartigen Striemen am ganzen Körper. Sie sahen aus wie
Christus nach der Geiselung. Vielen hatte man die Haut mit der Beißzange
zusammengezwickt, wobei die Zange so gedreht wurde, dass man heute
noch die Narben sieht. In den meisten Fällen wurden die Leute splitternackt
aufs Grausamste gemartert, verhöhnt und verspottet. Bei vielen Kameraden
wurden die Torturen und satanischen Verspottungen Tag und Nacht durchge-
führt, man ließ sie nie zur Ruhe kommen. Zuerst mussten sie mit hochgeho-
benen Armen stundenlang in Habachtstellung stehen bleiben, beim Ermüden
hauten sie ihnen mit dem Gewehrkolben oder mit der Faust ins Gesicht und
unter die Achselhöhlen, bis sie schließlich nach stundenlanger Übermüdung
zusammenbrachen, worauf man sie mit furchtbarem Gebrüll mit den Füßen
stieß. Inzwischen wurden sie immer wieder in die Folterkammer geführt oder
von zwei Carabinieri hineingeschleppt. Dann riss man ihnen unter furchtba-
rem Gebrüll und Wutausbrüchen die Kleider vom Leib bis zur vollständigen
Nacktheit; zuerst die gewohnten schweinischen Verhöhnungen und Verspot-
tungen, dann schlugen sie mit den unglaublich schmerzhaften Stahlruten
sowie Gewehrkolben und Fausthieben, bis sie bewusstlos zum Teil am Boden
liegen blieben. Manche Kameraden haben sie in diesem Zustand am Boden
liegen gesehen, mit halbgeschlossenen Augen und kein Lebenszeichen mehr
von sich gebend, woraufhin sie sofort in eine Decke gehüllt und aus der
Folterkammer hinausgetragen wurden. Andere spannte man splitternackt auf
die Streckbank, wobei man ihnen die Wirbelsäule krümmte durch Unterlegen
eines Holzkoffers. Und beim Heulen aufgrund der unbeschreiblichen Schmer-
zen schüttete man ihnen eine Säure in den Mund, sodass sie an unsagbarem
Erstickungsgefühl litten und nicht hochkommen konnten. Einigen wurden
sogar Käfer (2-3 cm große) auf den Nabel gelegt, wo diese dann das Bestre-
88
ben hatten, in die Tiefe des Nabels zu krabbeln und dort die Haut zusammen-
zuzwicken. Die Kameraden erzählen, dass diese Streckbankfolterungen eine
der grausamsten Martern war. Anderen wieder wurde je ein Korkpol ins Ohr
gesteckt und beim Einschalten des Stromes ein unbeschreibliches Geräusch
erzeugt, wobei sie einen intensiven Schmerz in den Ohren spürten, ihnen
nachher Blut aus den Ohren rann und sie bis heute schwerhörig sind. In der
Zwischenzeit mussten diejenigen, die noch fähig waren, wieder im Gang mit
dem Gesicht zur Mauer stehen, aber viele trug man teils ohnmächtig und
zusammengeschlagen fort, da sie infolge Ermüdung beim Stehen zusammen-
brachen und am Boden lagen wie tote Hunde. Eine andere sehr grausame
Folterung war, dass man sie in der mittleren Hochstellung mit beiden Armen
nach rückwärts verschränkt stundenlang an das Stiegengeländer kettete. Eine
Begleiterscheinung der grausamen Folterung war das unbeschreibliche Durst-
gefühl. Die meisten Kameraden sind ja mitten in der Sommerhitze verhaftet
worden (Mitte Juli), und man gab ihnen keinen Tropfen Wasser, nicht einmal,
um den Mund zu benetzen, und somit waren sie am ganzen Körper ausge-
trocknet, besonders durch das starke Schwitzen beim Stehen vor der heißen
Quarzlampe. Manche Kameraden erzählen, dass sie 4 – 5 Tage kein Wasser
bekommen hätten. Eine weitere Begleiterscheinung der schrecklichen Tortu-
ren war, dass man sie nie zur Ruhe kommen ließ, bei manchen sieben Tage
lang. Tag und Nacht ohne Unterbrechung wurden sie gequält, gemartert,
verhöhnt und verspottet. Um ihren unglaublichen Hohn und Spott zu zeigen,
spuckten sie manchem in den Mund oder steckten ihnen den schmutzigen
Abortbesen in den Mund. Alles Hohn und Spott, den wir über uns ergehen
lassen mussten.
Nun möchten wir noch kurz etwas berichten von den empfindlichsten Ver-
höhnungen satanischer und brutaler Art, um den ganzen Folterungen den
Höhepunkt zu geben.
Wir schämen uns zwar, es zu erzählen, aber es muss gesagt werden. Es
braucht wirklich eine teuflische Phantasie, dass Menschen zu so etwas fähig
89
sind. Wie wir in unserem Schreiben schon dauernd betont haben, hatten es
diese schweinischen Teufel hauptsächlich auf die Geschlechtsteile abgesehen.
Splitternackt vor ihnen stehend, wurde uns das Geschlecht mit nicht auszu-
denkenden Phrasen verspottet und verhöhnt; dann machten sie sich lustig
darüber. Sie zündeten mit einem höhnischen Lächeln eine Zigarette an und
verbrannten uns mit einem arroganten Lächeln das männliche Glied und den
Hodensack. Dann nahmen sie spitze Nadeln und stachen uns in die Ge-
schlechtsteile. Ein anderer spannte eine Schnur der elektrischen Leitung und
elektrisierte einige Kameraden am männlichen Glied, ein anderer zerdrückte
ihnen die Hoden. Unter schrecklichem Wutgeheul drohte man ihnen, mit
einem Messer das ganze Geschlechtsteil wegzuschneiden, damit endlich diese
verfluchte Südtiroler Sippe aussterbe. Um das Schmerzgeheul der Kameraden
zu übertönen, schalteten sie das Radio in voller Lautstärke ein.
Abschließend möchten wir nochmals betonen, dass wir nur versuchen, ein
kleines Bild zu geben von dem, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat. Man
kann es nicht in Worten schildern, so grausam war es.
Und trotzdem bezeichnet man uns als die bestbehandelte Minderheit der
Welt.

Die politischen Südtiroler Häftlinge!

90
Stellvertretend für die vielen Be- raum verteilt. Leider erkannten die
richte über die erlittenen Folterungen, damaligen politisch Verantwortlichen
die aus dem Gefängnissen geschmug- auf der Südtiroler Seite nicht das po-
gelt wurden, wird der Brief von Franz litische Gewicht dieser Briefe. Sie
Muther aus Schlanders abgedruckt. wären bei den internationalen Ver-
Die meisten «Folterbriefe» wurden in handlungen ein deutliches Druckmit-
der Broschüre «Schändung der Men- tel gewesen. Die Originale der Berich-
schenwürde in Südtirol» veröffentlicht te müssten sich noch heute im Besitz
und im ganzen deutschen Sprach- der Südtiroler Volkspartei befinden.

AN DIE LANDESLEITUNG DER SÜDTIROLER VOLKSPARTEI,


Bozen, am 3. November 1961

Möchte Ihnen Folgendes mitteilen, damit Sie sich


ein Bild machen können, wie man in einem freien
demokratischen Staat die Polizeiverhöre führt. Ich
wurde am 10. Juli dieses Jahres vom Carabinieribri-
gadier von Laas in die Kaserne gerufen, es war
gegen 17.30 Uhr. In der Kaserne sagte der Briga-
dier, es würde jemand kommen, um einige Fragen
an mich zu richten, dann könnte ich gleich wieder
nach Hause gehen. Ich musste warten. Gegen 21
Franz Muther
Uhr wurde ich aus der Kaserne geführt und musste
in eine Campagnola, welche vor der Kaserne stand, einsteigen. Gleich darauf
brachte man Matthias Parth aus Eyrs, welcher ebenfalls im Wagen Platz neh-
men musste … Wir wurden nach Meran in die Carabinierikaserne gebracht …
91
Gegen Mitternacht wurde ich in ein anderes Zimmer geführt, dort stellte ein
Mann in Zivil einige Fragen an mich. Wie ich nachher erfahren konnte, war
es Capitano Marzollo oder Marzolla. Nachdem ich diese Fragen nicht zu seiner
Zufriedenheit beantworten konnte, wurde ich beschimpft und verhöhnt, er
drohte mir mit Misshandlungen, unter anderem würde man mir die ganzen
Haare ausreissen. Ich musste die Hände hochhalten, dann schlug er mir mit
einem Eisenstäbchen auf die Finger. Marzolla rief nach einem gewissen Lungo
– dieser war ein großer, kräftiger Mann – und gab ihm den Befehl, mich
abzuführen zur «cura speciale» … Ich wurde mit dem Rücken gegen die
Wand gestellt und von zwei kleinen Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe
80 cm vor mir aufgestellt wurden, angestrahlt … Als meine Augen genügend
geblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um mich
herum standen ungefähr sechs bis acht Mann in Zivilkleidung und einer in
Uniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhöhnte, beschimpfte mich,
drohte mir auf das Schärfste, dann auf einmal fasste er mich an der Brust, riss
mir das Hemd herunter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mit
der Faust auf die Schädeldecke los, zugleich schlug der Lungo an der Seite
meines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute noch immer Schmer-
zen habe und auch schlecht höre.
Von den anderen erhielt ich Fußtritte in den Unterleib, ich konnte nicht mehr
sehen, mir wurde schwarz vor den Augen. Nach einiger Zeit wurde ich wie-
derum mit dem Rücken gegen die Wand gestellt, diesmal brachten sie einen
großen Scheinwerfer, welcher wieder auf Augenhöhe 60 bis 80 cm vor mir
aufgebaut wurde … Jedesmal, wenn mir vor Schmerzen die Augen zufielen,
erhielt ich Stöße in alle Körperteile, besonders Fußtritte an den Schienbeinen
… Diese Tortur vor dem großen Scheinwerfer dauerte fünf bis sechs Stunden
ununterbrochen … meine Bitte um Wasser wurde höhnisch verneint.
Als endlich die Scheinwerfer abgeschaltet wurden, glaubte ich, das Augen-
licht verloren zu haben … am ganzen Körper nass vor Schweiß … wurde ich
in die Mitte des Zimmers auf einen Stuhl gebracht, es war eine fürchterliche
Zugluft, da Fenster und Türen offen waren. Marzollo drohte mir auch, 20 Kilo
92
Gewichte an die Geschlechtsteile hängen zu lassen. Ein anderer sagte mir,
jetzt würde man meine Frau holen, die wird man schon zum Sprechen brin-
gen. Es war nicht auszuhalten, der Gedanke, dass man jetzt auch noch eine
unschuldige Frau auf solche Weise, wofür es für einen zivilisierten Menschen
keinen Ausdruck mehr gibt, verhört, war für mich furchtbar … Ich hatte auch
roten Urin, auch zwei bis drei Tage im Bozner Gefängnis, wo ich am Sonntag,
den 17. Juli, eingeliefert wurde …
… möchte ich davon absehen, die Ausdrücke, welche man mir gegenüber,
gegen unsere Volksvertreter und das ganze deutsche Volk gebrauchte, zu
wiederholen. Jedoch sei eines erwähnt, dass jener in Uniform mich anschrie:
«Voi tutti porchi tedeschi si dovrebbe inpiccare!»
… habe ich auch Anfang Oktober eine Anzeige wegen der Misshandlungen
an die Staatsanwaltschaft von Bozen gemacht. Nachdem ich aber bis heute
nichts davon gehört habe, befürchte ich, dass man alles vertuschen will.
Nachdem ich seelisch, moralisch und körperlich vollkommen zerschlagen war,
kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich bei den Carabinieri sowie auch
beim Staatsanwalt Dr. Castellano aussagte und unterschrieb. Die hier ange-
führten Misshandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchte
Sie aufrichtig bitten, dass Sie alles daransetzen, um weitere solche Schandta-
ten am Südtiroler Volk zu verhindern …
Es zeichnet hochachtungsvoll
Franz Muther, Laas

93
94
95
Bozen, 1. Dezember 1961
Lieber Herr Pfarrer!

Inzwischen hat sich allerhand zugetragen. Insbesondere hat uns alle der tra-
gische Tod unseres Kameraden Franz Höfler schwer aus der Ruhe gebracht.
Es ist vielleicht nicht nur sein plötzliches Gehen von uns, das uns alle so
aufschreckte oder vielmehr dieser traurige Umstand überhaupt, dass er sein
junges Leben für die Heimat lassen musste, das eindeutig auf die schrecklich-
sten Martern und teuflischen Misshandlungen von Seiten der Carabinieri zu-
rückzuführen ist. Man hat anfangs zuviel über unsere Verbrechen (Sprengun-
gen) geschrieben und uns samt und sonders zu Verbrechern gestempelt, weil
wir, und ich muss dies besonders betonen, nichts anderes getan haben, als in
der Ausweglosigkeit und der verzweifelten Lage, in die uns Italien durch sein
unverständliches Verhalten und Gebaren uns Südtirolern gegenüber gebracht
hat, eine Verzweiflungstat gesetzt haben. Auch ein jedes Tier, welches zu
Tode gequält wird, wird schon durch seinen Instinkt zur Verzweiflungstat
96 getrieben, um sich vom Tode zu retten. Und war es nicht die ganze Zeit
herauf, seit wir unter Italien sind, ein ständiges Quälen und Peinigen unseres
Volkskörpers als ganzes und im Einzelfalle?
Mit ruhigem Gewissen kann ich all das vor Gott und den Menschen verant-
worten, was durch meine Initiative geschehen ist, denn all unseren Handlun-
gen lag ein Grundsatz zugrunde, keinem Menschen etwas zuleide zu tun! Es
wäre endlich an der Zeit, die ganze Angelegenheit nüchtern und im Zeichen
des Rechtes zu sehen, denn es steht einwandfrei fest, dass die Schuld und
Ursache bei Italien liegt, das uns bis zum heutigen Tage unsere heiligen Rech-
te vorenthalten hat!
Durch das Vorgehen der Polizeibehörde bei den Vernehmungen, wo an den
meisten von uns sadistische und verbrecherische Foltermethoden angewandt
wurden und die der christlichen Sittenlehre und der einfachsten Moral einfach
Hohn sprechen, hat sich Italien eine Schuld aufgeladen, von der es sich kaum
mehr entledigen wird können. Blind und taub geht man scheinbar an diesem
Volksmord vorbei und man wagt es nicht, endlich diejenigen zur Rechenschaft
zu ziehen, die soviel Schuld und Schand auf sich geladen haben.
Es ist nicht Hass, der meine Feder führt, als vielmehr die Empörung gegen
begangenes Unrecht und dieses zu verschweigen! Möge der liebe Herrgott,
zu dem ich ein felsenfestes Vertrauen habe und täglich bete, seine Gerech-
tigkeit walten lassen!

Viele Grüße an alle.

Es grüßt herzlichst
Sepp Kerschbaumer

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DIE FREIHEIT NICHT HABEN UND … SORGEN
Helmut Kritzinger

Helmut Kritzinger wurde am und Bozen nach


15.8.1928 in Sarnthein geboren. Er ar- Eppan. Am Rad
beitete als Lehrer und Journalist. Er ist hing ein alter Ma-
verheiratet und Vater von sechs Kindern. lerkübel, in dem
Nach der Verhaftung im Sommer noch einige Dyna- Helmut Kritzinger
1961 und anschließender Freilassung mit-Rollen lagen.
konnte er kurz vor seiner Wiederverhaf- An den Wachen der vollbesetzten alar-
tung über die «grüne Grenze» nach Inns- mierten Kasernen in Eppan zog er, miss-
bruck flüchten. Nach der Beendigung des trauisch beobachtet, aber unbehelligt, in
Mailänder Prozesses konnte er wieder frei seinem verschmierten Maleraufzug vor-
nach Südtirol einreisen. bei.
Zuerst arbeitete er bei den «Tiroler Man hatte Zeit, in den langen Mona-
Nachrichten» und dann als Beauftragter ten im Gefängnis einige Erlebnisse aus-
des Tiroler Landeshauptmannes Eduard zutauschen. Franz Höfler aus Lana – ein
Wallnöfer im Sozialbereich. Seit 1983 ist riesiger, kräftiger, junger Mann – traf ich
er Mitglied des Innsbrucker Stadtrates. im Gefängnishof von Bozen. Er trug San-
dalen und hatte zerquetschte, blau ge-
Gefangen sein, das Ungewisse, wie färbte Zehen. Auf meine Frage antwor-
lange es dauert, nicht die Möglichkeit ha- tete er, es seien dies die Hiebe der Ge-
ben, einen Raum zu verlassen oder in wehrkolben beim Verhör gewesen. Viele
weiter Ferne vorbeiziehende Menschen andere Beispiele ließen sich anführen,
zu sehen und selbst diese Freiheit nicht Höfler starb an den Folgen der Folterun-
zu haben – schlimmer ist nur noch krank gen.
sein und nicht wissen, ob man gesund Ich schrieb Monate später einen lan-
wird. Das sagte mir einmal Josef Fontana gen Brief an seine Mutter nach Lana, die
in der Zelle 12 im Gefängnis von Bozen. Kopie des Briefes ging verloren. Als ich
Fontana hatte Sprengstoff in das To- nämlich nach der Haft und anschließen-
99
lomei-Haus in Montan gelegt. Nach dem der provisorischer Freiheit wieder einge-
Anschlag, der zu unserem großen Bedau- sperrt werden sollte, versteckte ich viele
ern lediglich ein Loch in der Hausmauer Unterlagen im Stadel des Widums in
verursachte, radelte Fontana über Leifers Sarnthein. Der Pächter, Hans Messner, ein
verlässlicher Mann, hatte Sorge, entdeckt in die Schreibzelle. In dem kleinen, engen
zu werden. Es genügte damals der leises- Raum saßen dann mehrere Häftlinge.
te Verdacht und schon wurde jedermann Als einmal mein Nachbar sich bück-
eingesperrt. Messner verbrannte die Un- te, sah ich auf seinem Kopf einige taler-
terlagen. große, blutige Flecken. Die Haare waren
Im Gefängnis konnte man einmal in büschelweise mit der Kopfhaut ausgeris-
der Woche nach Hause schreiben. Wenn sen worden. «Was ist denn Dir passiert?»
das Essen in die Zelle gebracht wurde «Sie haben mich beim Verhör an den
oder wenn die Wache zwei Mal am Tag Haaren herumgeschleift!» Es war Sepp
mit einem schweren Eisenstab die Fen- Mitterhofer.
stergitter prüfte, konnte man seine Zuerst lag ich 21 Tage im Keller des
Schreibabsichten melden. Dann ging es Bozner Gefängnisses in Einzelhaft und
kam dann nach etlichen Zwischen-
Das teilweise zerstörte «faschistische Heiligtum»:
das Tolomei-Haus in Glen (1. Februar 1961) stationen in die Zelle 12. Sieben Perso-
nen waren aus politischen Gründen in
der Zelle und dazu ein Krimineller aus
Rom.
Statt seiner brachte man eines Tages
einen jungen Pusterer, Schwingshackl aus
Mühlbach. Er war beim Wildern erwischt
worden und litt arg unter dem Gefan-
gensein, aber noch mehr an etwas ande-
rem: Uns fiel auf, dass er entweder auf
dem Bauch im Bett lag oder in der Zelle
stand. Auf unser Drängen erzählte er,
dass eine Ladung Schrotkugeln in seinem
Hinterteil steckte. Sein Zorn brachte uns
zum Schmunzeln.
Arg mitgespielt hatten die Carabinie-
ri einem jungen Klausner. Beim Vorbei-
gehen an einer Carabinieristreife imitier-
100
te er ein lautes Tönchen aus dem Mund.
Die Streife nahm ihn fest, er war vier
Monate eingesperrt wegen «Beleidigung
der Nation».
An langen Ketten aneinander gefesselt wurden die Angeklagten
wie Schwerverbrecher zu den Verhandlungen der Mailänder Prozesse geführt.

Wie kam es zu meiner Verhaftung? suchungen zu machen und mich ins Boz-
Ich war SVP-Obmann, Mitglied des Par- ner Gefängnis zu bringen. Es war der 7.
teiausschusses, Gemeinderat, hatte die April 1961. Das Untersuchungsverfahren
UNO-Briefaktion in Südtirol organisiert. wurde eingeleitet und dauerte Monate.
Viele halfen mit, so der spätere Landes- Am 25. November wurde ich provisorisch
rat Sepp Mayr, aber auch Pater Ludwig entlassen mit den Auflagen, mich zwei
Gufler, Kooperator in Sarnthein. In Mal wöchentlich bei den Carabinieri zu
Sarnthein baute die ENEL, nachdem sie melden und das Gemeindegebiet, außer
mit dem Wasser der Talfer zwei Elektro- in Begleitung eines Carabiniere, nicht zu
werke errichtet hatte, drei große Famili- verlassen. Neun Monate dauerte dieser
enhäuser für ihre Schleusenwärter, die Zustand, dann wollte man mich wieder
sich aus Italien hier ansiedelten. Ich pro- einsperren.
testierte heftig, auch bei der ENEL-Zen- Als die Verhaftungswelle im Juni
trale in Bozen, weil ich glaubte, im Sarn- 1961 über 120 Südtiroler ins Gefängnis
tal hätte man genügend Arbeitskräfte für brachte, sagte der dortige «comandan-
die Tätigkeit als Schleusenwärter finden te»: «Li portono come le galline» (Wie
101
können. die Hühner werden sie eingefangen). Die
Etliche Tage danach explodierte in der Italiener übten eine absolute Macht aus.
Nähe dieser Häuser ein Knallkörper. Das Sie wussten, kein Staat würde sie daran
bot den Carabinieri Anlass, Hausdurch- hindern. Politisch waren weder Deutsch-
land noch Österreich ein ernstzunehmen- gehörte – Luis Amplatz aus Bozen, Toni
des Gegengewicht. Felderer, Josef Lobis und Franz Kienzl aus
Die Geheimdienste arbeiteten. Die Sarnthein.
Rolle des italienischen Geheimdienstes in Unser abenteuerliches Unternehmen
Südtirol bei vielen sogenannten Anschlä- scheiterte an den bellenden Hunden, die
gen muss erst noch beleuchtet werden. in der Nacht einen Mordskrach schlugen
Unabhängig vom Geheimdienst, war die und vor allem an dem tonnenschweren
Rolle der Carabinieri damals von einer Denkmal. Enttäuscht fuhren wir heim-
ganz anderen Vorstellung geprägt – mit wärts, es wäre ein guter Streich gewesen
menschlichen Ausnahmen natürlich, wie und eine Genugtuung für unsere bren-
überall. nende Ungeduld.
An einem Sonntag im Frühjahr 1958 Die Chancen, etwas auf parlamenta-
standen Gerold Regensberger und ich am rischer Ebene für Südtirol zu erreichen,
Postplatz in Sarnthein. Da kam Carabi- waren gleich Null. Mit Österreich als Part-
nierimaresciallo Palaia hinzu. Ihm unter- ner des Pariservertrages zu verhandeln,
stand das ganze Gemeindegebiet. Wir kam nicht in Frage, es sei eine innerita-
wechselten einige Worte, da sah Palaia lienische Angelegenheit, lautete die offi-
einen jungen Öttenbacher, L. Eschgfäller, zielle Stellungnahme aus Rom. Die Su-
die Dorfstraße herunterkommen. Er hät- che nach Auswegen war bei vielen Süd-
te sich in der Kaserne wegen des Militär- tirolern vorhanden.
dienstes melden sollen. Palaia winkte; Kurz nach dem Krieg fuhr der abge-
Eschgfäller kam zögernd zu uns her und wählte englische Premier Winston Chur-
der Maresciallo sagte: «Wenn du mit mir chill auch nach Südtirol. Er hielt sich auf
sprichst, stell deinen Fuß unter meinen dem Karerpass auf. Der Sarner Sebastian
Absatz!» Mair, Asterbauer in Pens, hatte eine Sil-
In der Faschistenzeit wurden unter berfuchsfarm. Ein besonders schönes
anderem der «Laurinbrunnen» und das Stück schenkte er Churchill und suchte
«Mädchen von Spinges» als Kriegsbeute ihn im Hotel Karerpass auf. Es war am
in den Schlosshof von Rovereto gebracht. späten Vormittag, erzählte mir der Aster
1959 beabsichtigten wir, die Bronzesta- Wastl. Er meldete sich mit dem Wunsch,
tue der Katharina Lanz, Mädchen von den Ex-Premier sprechen zu können. Der
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Spinges, eines Nachts aus dem Schloss- Butler machte keine Anstalten. Dann rief
hof zu entführen. Dabei waren Jörg Churchill vom hinteren Zimmer: «Lassen
Pircher aus Lana, – er hatte einen kleinen Sie den Mann herein!» Der Butler führte
Pritschenwagen, der einem Verwandten den Wastl zu Churchill. Er saß mit Zei-
tungen und einer Zigarre im Bett und Viele Monate vorher sammelte ich in
sagte zum Butler gewandt: «Das ist mein ganz Südtirol Adressen von Personen, die
Freund!» zu einem Widerstand gegen die italieni-
Der Aster Wastl, nicht ungeschickt im sche Politik bereit waren. Als SVP-Partei-
Verhandeln, kam bald zu seinem Anlie- ausschussmitglied kannte ich viele Ob-
gen: Churchill möge helfen, dass Südti- männer und Bürgermeister; diese Adres-
rol wieder zu Österreich käme. Der Pre- sen bildeten die Basis dafür.
mier daraufhin: «Ich sehe keinen Jeder, der eingesperrt war, fragt sich,
«Rauch» in Südtirol». – und ich bilde keine Ausnahme – ob es
Die Verhandlungen mit Italien waren sich lohnte. Jahrelange Haft, Folterungen,
entmutigend. Ein Konzept, die Regierung Verlassen der Heimat, entrechtet, ein
an den Verhandlungstisch zu bringen, völliges Umkrempeln im Familienbereich,
bestand nicht; bis dann die UNO-Aktion ja die Haftzeit belastet auch das Gemüt
kam. Franz Gschnitzer, damals Staatsse- und den Charakter. Wiedergutmachung
kretär in Wien, klug, weitsichtig und gibt es keine. War es eine Leistung für
angesehen, fädelte die Aktion ein. Es die Heimat?
waren aber mehrere daran beteiligt, Im ganzen öffentlichen Bereich gäbe
Viktoria Stadlmayer, der damalige Nord- es als Beamte und Angestellte nur Italie-
tiroler Landeshauptmann Tschiggfrey, die ner. Freilich werden jetzt die Früchte ge-
Landesräte Eduard Wallnöfer, Alois erntet, die damals einige mutige Visionä-
Oberhammer und Bruno Kreisky als Au- re gesät haben. Es war der Zusammen-
ßenminister. schluss Tirols geplant, herausgekommen
Mit neuer Kraft wollten alle helfen. ist eine Autonomie mit verschiedenen
Italien hatte immerhin 15 Jahre sein Krankheitssymptomen. Meine Einstellung
Süppchen in Südtirol gekocht und fleis- zum Ziel und darauf kommt es an, hat
sig Sand in die Augen der Öffentlichkeit sich nicht geändert. Es geht auch um die
gestreut. Der Vorstoß bei der UNO brach- geistige Vertreibung aus unserer schönen
te kurze Zeit Bewegung. Churchill hatte Heimat Südtirol.
mit seiner Bemerkung recht.
Ein weiteres Konzept würde wohl Es ist nicht im Sinne dieses Buches,
Chancen, aber auch Gefahren mitsich- alle jene Männer und Frauen aufzuzäh-
103
bringen. Seit der Besetzung Südtirols gab len, die damals gewollt oder ungewollt
es nie einen offen bekundeten Wider- den Weg des Widerstandes einschlugen.
stand; erstmals 1956 und dann in viel Zahlreiche Leute, die diesen Weg gin-
größerem Ausmaß in den 60er Jahren. gen, blieben bis heute unerkannt. Einige
wollen über diese Zeit nicht mehr spre- Es gibt dafür viele Beispiele: Pepi Fon-
chen und man muss es respektieren. tana, damals «nur» ein einfacher Maler,
Jene, die in diesem Buch zu Wort begann im Gefängnis sein Studium und
kommen, sind deshalb nicht die «Be- gehört heute zu den wichtigsten Histori-
sten», weder Vorlaute noch Wichtigtuer kern in Tirol.
– solche Leute muss man anderswo Hans Stieler aus Bozen war langjäh-
suchen. Es gab keine Richtlinien, die die riger Obmann des Südtiroler Heimatbun-
erzählenden Personen erfüllen mussten, des, politisch immer aktiv und privat wid-
um ihre Erlebnisse in diesem Buch zu ver- mete er sich intensiv und erfolgreich sei-
öffentlichen. Und wenn nicht noch mehr ner Rosenzucht.
Betroffene über ihr eigenes Schicksal in Franz Muther und Jörg Pircher führ-
diesem Buch schreiben durften, dann nur ten nach ihrer Entlassung aus dem Ge-
deshalb, weil eine vorgegebene Seiten- fängnis ihr begonnenes Werk und arbei-
zahl und einzuhaltende Termine uns eine teten strebsam beim Wiederaufbau des
unerbittliche Grenze setzten. Südtiroler Schützenwesens weiter.
Wer einmal das Glück hat, auch nur Oder Martin Koch und Alfons Ober-
einige der damaligen Beteiligten näher mair aus Bozen, die maßgeblich am Auf-
kennen zu lernen, wird vielleicht mit Ver- und Ausbau des Südtiroler Alpenvereins
wunderung feststellen müssen, wer und beteiligt waren.
was diese Menschen eigentlich sind, die Oder Luis Hauser, der Schmied aus
von der blind urteilenden Öffentlichkeit, Kurtatsch der sich nach dem Gefängnis
von der oft politisch gefärbten Zeitge- ganz dem kulturellen Leben und Überle-
schichte, deren hochstudierten Professo- ben seiner Heimat hingab. Er war eifri-
ren und so vielen bestbezahlten Politi- ges Mitglied der Kurtatscher Heimatbüh-
kern einfach als Terroristen abgestempelt ne und der Musikkapelle. Als Volkskund-
und verteufelt werden. ler war er Mitglied der Schlernrunde und
Es sind grundwegs einfache und be- als Heimatkundler und Hobbyarchäologe
scheidene Leute, die anderswo niemals entdeckte er 3000 Jahre alte Kupfer-
aufgefallen wären mit ihrer Anständig- schmelzöfen, ein Fund, der ihn weit über
keit. Und dennoch sind es wieder auch die Grenzen Tirols bekannt machte.
alle besondere Menschen, die in ihrem Es sind dies nur einige, wenige Bei-
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Leben vieles bewegt haben, wenn auch spiele und man könnte hier so manches
nur im kleinen. Sie hatten und haben ihn von den übrigen Männer erzählen, die
noch immer: den Mut zur Tat, der sie damals zur Tat schritten, um der bedroh-
auszeichnet. ten Heimat beizustehen.
DAS GEFÄNGNISLEBEN ALS POLITISCHER HÄFTLING
von Sepp Mitterhofer

Wenig oder fast gar nichts ist über lung in den Carabinierikasernen hinter
das Leben der politischen Häftlinge in uns hatten und eben hofften, dass wir
den verschiedenen Gefängnissen be- im Gefängnis halbwegs normal behan-
kannt. Nur die Häftlinge selbst und ihre delt werden würden und endlich essen,
engsten Angehörigen, welche außerhalb trinken und schlafen könnten. Dies hat
der Gefängnismauern das Schicksal ihrer uns ja vorher alles gefehlt und deshalb
eingesperrten Angehörigen miterlebt konnten wir uns kaum auf den Beinen
haben, können davon erzählen. halten. Dort angekommen, wurden uns
Es war ein Leben auf engstem Raum, sofort der Gürtel und die Schuhlitzen
ein Leben mit Höhen und Tiefen, ein abgenommen, damit wir uns nicht er-
Leben zwischen Hoffen und Bangen. hängen (!) konnten. Ebenso Geld und
Dieses Leben war für alle eine große Be- Schmuck, wie Uhren und Eheringe, we-
lastung. Vor allem das ungewisse Schick- gen Bestechung des Wachpersonals.
sal belastete die Nerven der Häftlinge. Dann wurden wir in Zellen gesteckt, mit
In solchen Situationen kamen so anderen politischen Häftlingen zusam-
manche Schwächen der Betroffenen stär- men, allerdings waren mancherorts auch
ker zum Vorschein und belasteten die Kriminelle darunter. Wahrscheinlich wa-
Kameradschaft und das Zusammenleben ren es Spitzel mit der Aufgabe, uns aus-
in den Zellen zusätzlich. Aber gerade zuhorchen. Nach einiger Zeit konnten wir
dieser Umstand zeichnete die Inhaftier- bei der Direktion ansuchen, ausgetauscht
ten als Menschen und nicht als «Super- zu werden und so schafften wir es tat-
männer» aus. So erinnert sich Sepp Mit- sächlich, nach einigen Monaten, uns die-
terhofer an die Zeit im Gefängnis. ser zwielichtigen Elemente zu entledigen.
Ich erinnere mich noch gut, wie wir uns
Als wir Verhafteten und Gefolterten in den ersten Tagen vorsichtig beschnup-
im Juli 1961 ins Bozner Gefängnis einge- perten, denn jeder kannte zwar mehrere
liefert wurden, waren wir glücklich. Es Kameraden, aber lang nicht alle. Zwei
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mag heute für den Leser makaber klin- Stunden am Tag durften wir an die fri-
gen, aber es war so. sche Luft, also im streng bewachten, mit
Man darf aber nicht vergessen, dass hohen Mauern umgebenen Hof spazie-
wir eine menschenverachtende Behand- ren gehen. Da haben wir so manche
Kameraden getroffen, von denen wir In den Zellen waren bis zu dreimal sovie-
vorher noch gehofft hatten, dass sie le Menschen drinnen wie vorgesehen.
«draußen» geblieben wären. Wir hatten Dazu kam noch eine mehrere Wochen
uns viel zu erzählen, von den letzten andauernde Affenhitze, die uns zusätz-
Tagen und Wochen leider wenig Gutes. lich zu schaffen machte. Das viele Schwit-
Es waren einfach zuviele schreckliche Din- zen, die Ausdünstung der Körper und die
ge passiert, die unser Leben und unsere damit verbundene schlechte Luft setzte
Persönlichkeit durcheinandergebracht uns arg zu, durften wir doch nur einmal
hatten. Die Sorge, wie es mit unseren in der Woche duschen.
Familien daheim weitergehen sollte, Was uns in dieser ersten schweren
drückte schwer auf unser Herz. Viele Zeit aufrecht- und zusammenhielt, wa-
hatten ja den Ernährer von einem Tag ren die gemeinsamen Sorgen um unser
auf den anderen verloren, dem Hof wur- Schicksal, um die Heimat, um unsere
de der Bauer weggerissen, der Mutter Familien und unsere Gesundheit, nach
der Sohn usw. Auch die Sorge, wie der den furchtbaren Erlebnissen bei den Ca-
Freiheitskampf weitergehen sollte, war rabinieri. Wussten wir doch nicht, dass
groß. Ungefähr ein Viertel unserer Ka- wir neben den äußeren Verletzungen
meraden hatte zwar das Glück, nicht ver- auch innere davongetragen haben, die
haftet zu werden, aber diese hatten zu- ja gefährlicher sein konnten und auch
mindest vorübergehend den Mut verlo- waren. Der Gefängnisarzt Dr. Piazzi, dem
ren weiterzumachen, was wir auch ver- wir unsere Beschwerden aufgrund der
stehen konnten. In dieser Phase spran- Misshandlung wohl geklagt hatten,
gen vor allem die Nordtiroler Kameraden brachte kein Verständnis für unsere Kla-
und die Studenten der Innsbrucker Uni gen auf. Dem Untersuchungsrichter
in die Bresche. Wir hatten jedesmal eine Dr. Martin, dem wir unsere Erlebnisse bei
helle Freude, wenn es krachte, einerseits, den Carabinieri ebenfalls vortrugen, igno-
weil es trotz der vielen Verhaftungen wei- rierte einfach unsere Aussagen. Dafür
terging und andererseits, weil es uns zu- belastete er uns mit Strafartikeln, welche
mindest teilweise entlastete. zusammengerechnet bis zu 93 Jahre aus-
Was uns freiheitsliebenden Männern machten. Wenn diese auch maßlos über-
auch arg zu schaffen machte, war der trieben war, so war es trotzdem eine
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enge Raum, auf dem wir so zusammen- große seelische Belastung, denn die Arti-
gepfercht waren. Das Bozner Gefängnis kel die man einmal hängen hatte, mus-
war durch die plötzliche Inhaftierung so sten eben zu Fall gebracht oder reduziert
vieler Menschen hoffnungslos überfüllt. werden. Dr. Martin behauptete bei einem
Verhör mir gegenüber, auch er sei ein ging in die Höhe wie eine Rakete, wenn
Tiroler, weil er in Meran lebe. Dass er wir etwas sagten, was ihm nicht passte.
Meraner ist, kann man ihm wohl nicht Von den Misshandlungen wollte er schon
absprechen, aber sich als Tiroler (!) zu gar nichts hören, da fing er gleich an zu
bezeichnen das war reine Frotzelei. toben. Das Gefängnispersonal verhielt
Dr. Martin hat sich schon als junger sich uns gegenüber unterschiedlich, sie
Staatsanwalt bei den Pfunderer Buaben waren nicht alle gehässig, es waren auch
(1956) einen Namen gemacht, allerdings Menschen darunter. Einmal in der Wo-
keinen guten. Er hat acht junge Pfunde- che durften wir eine halbe Stunde Be-
rer des Mordes am Finanzer Falqui ange- such erhalten, das war der schönste Tag
klagt und extrem hohe Strafen gefordert, der Woche. Da schöpften wir wieder
das Gericht in Bozen hat sie dann zu- Kraft und Mut, damit wir die Eintönig-
sammen zu 111 Jahren Gefängnis verur- keit des Gefängnislebens leichter ertra-
teilt, den größten Teil der Strafe haben gen konnten. In den ersten Wochen hat
sie abgesessen, obwohl an ihrer Schuld so mancher die große Umstellung und
bis heute größte Zweifel bestehen und seelische Belastung schwer verkraftet.
damals viele unabhängige Stellen und Ausgewirkt hat es sich verschieden: der
Personen ihre Unschuld als eindeutig eine ist zum vergitterten Fenster hinauf
bezeichneten. Sein abgrundtiefer Hass gesprungen und hat seine Verzweiflung
gegen die Südtiroler hat ihm kein Glück hinaus geschrien: «Ich will hinaus, ich
gebracht: ein Sohn ist tödlich verun- halte es nicht mehr aus hier.», dem an-
glückt, einer ist auf die schiefe Bahn deren sind die Tränen gekommen, wenn
geraten und die Frau ist ihm angeblich er an seine Familie gedacht hat und an-
auf und davon. Als er vor Jahren in Pen- dere wiederum waren an diesem Tag, wo
sion gegangen ist, habe ich in den Dolo- sie den Koller hatten, nicht auszustehen,
miten in einem Leserbrief unter anderem so dass man besser einen Bogen um sie
geschrieben: «Wenn er die ganzen Trä- machte. Wir waren eben alle nur Men-
nen, die er in Südtirol durch seine un- schen und der plötzliche Entzug der Frei-
menschlich harte Haltung verursacht hat, heit war so etwas Gewaltiges, dass sich
abbüßen muss, dann hat er im Jenseits die Auswirkungen ein freier Bürger gar
nichts Gutes zu erwarten!» nicht vorstellen kann. Aber wir mussten
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Staatsanwalt war damals ein gewis- damit fertig werden, jeder auf seine Art,
ser Castellano, wir nannten ihn den sizi- und wir sind damit fertig geworden.
lianischen Giftzwerg. Er war von kleiner Wir wussten, dass wir gegen das ita-
Statur, hatte Minderheitskomplexe und lienische Gesetz verstoßen hatten und
dafür werden wir unsere Strafe abbüßen für einige Monate verhaftet wurde, mit
müssen. Aber moralisch wussten wir uns uns aber nichts zu tun hatte, wurde von
in keiner Weise schuldig, der italienische den Wachen in den Keller gezerrt und
Staat hat uns Südtiroler jahrzehntelang dort geschlagen. Als es uns zu Ohren
um unsere verbrieften Rechte betrogen kam, traten wir sofort in den Hunger-
und hat bis zum Schluss kein Einlenken streik. Auch die Kriminellen machten mit.
gezeigt. Das Recht war also auf unserer Am nächsten Tag kreuzte der Staatsan-
Seite, aber gerade diese Auffassung soll- walt auf, hörte sich unsere Beschwerden
te uns noch tiefe Enttäuschung bringen. an und versprach, den betreffenden
Wir mussten Jahre später erkennen, dass Offizier, der die Schlägerei angeordnet
auch im christlich-demokratischen Italien hatte, zu bestrafen. Geschehen ist gar
das Recht nicht beim Betrogenen, beim nichts, aber wir hatten von nun an unse-
Unterdrückten liegt, sondern bei dem, re Ruhe.
der die Macht hat und zwar in unserem Das Essen war zwar frisch, aber das
Fall unweigerlich der Staat. war auch schon alles. Gekocht haben
Das Leben im Gefängnis wurde für Kriminelle, die vom Tuten und Blasen
uns mit der Zeit etwas erträglicher, weil keine Ahnung hatten. Als später dann
wir uns eben abfinden und wohl oder einer von den Unsrigen, der Schmied aus
übel versuchen mussten, uns anzupassen. Vahrn, Franz Gamper, in die Küche kam
Beim täglichen, zweistündigen Spa- wurde es zwar etwas besser, aber Wun-
ziergang im Hof hatten wir uns näher der wirken konnte er auch nicht. Unsere
kennen gelernt, hatten uns viel zu erzäh- Verwandten durften uns beim Besuch
len und auch immer wieder versucht kalte Speisen mitbringen, die sie vorher
gegenseitig Mut zu machen. Nachdem abgeben mussten und welche gründlich
aber zuviel Politische waren, wurden wir nach Feilen, Sägen und Messern unter-
in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine sucht wurden. Mit dem Speck hatten wir
Hälfte hatte am Vormittag den Ausgang aber unsere liebe Not, wir hatten ja kein
im Hof und die andere am Nachmittag. Messer zum Aufschneiden. Toni Gostner,
So konnten nicht jeder mit jedem reden, der in unserer Zelle der «alte Hase» war,
was manchmal wichtig gewesen wäre, weil er zwei Monate früher eingesperrt
um die Aussagen beim Staatsanwalt und wurde, organisierte eine Blechdose, die
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Untersuchungsrichter zu koordinieren. wir solange bearbeiteten bis wir den
Im Herbst geschah ein Ereignis, das Speck irgendwie zerkleinern konnten.
alle Häftlinge sehr beunruhigte. Ein jun- Aber die Entwicklung blieb auch bei uns
ger Bauer aus Untermais, der wegen uns im Gefängnis nicht stehen. Wir sind
Sepp Mitterhofer während seiner Haftzeit im Gefängnis von Trient. Neben ihm Jörg Pircher aus Lana, Oswald Kofler
und Pepi Fontana. Ein wohlwollender Gefängnisdirektor, De Mutis, erlaubte es den Südtiroler Häftlingen im Trientner
Gefängnis, sich in einem Gartenhäuschen eine «Tiroler-Stube» einzurichten.

draufgekommen, dass man den Stiel vom radio haben sie dann in gewissen Ab-
Aluminiumlöffel bei der eisernen Kante ständen auch in den Zellen gesucht.
der Pritsche solange bearbeiten kann, bis Meistens in der Früh waren plötzlich fünf
so etwas ähnliches wie eine Schneide sechs Mann da, wir mussten nach dem
entstand. Als wir dann mit der Zeit et- üblichen Abtasten hinausgehen und
was frecher wurden, haben wir beim dann wurde alles durchsucht. Je nach
Besuch kleine Taschenmesser hereinge- dem wie «gern» uns diese Besucher hat-
schmuggelt. Das war natürlich nicht un- ten, schaute auch die Zelle nachher aus.
gefährlich, denn darauf stand mindestens Manchmal glich sie regelrecht einem
drei Tage Einzel- und Dunkelhaft im Kel- Schlachtfeld, aber wir hatten ja Zeit ge-
ler. Beim Eintritt in den Besuchsraum und nug zum Aufräumen. Zweimal am Tag
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nachher wurden wir nämlich immer von kamen auch drei Mann, die Insassen zu
den Wachen von oben bis unten abgeta- zählen und vor allem aber mit einem
stet. Nach solchen verbotenen Sachen, Eisenstab das Fenstergitter abzuklopfen,
auch Geld und Schmuck oder Transistor- ob es nicht angesägt ist. Dieser Routine-
vorgang ist mir jedenfalls so in Fleisch hatte sich ein Blutgerinsel gebildet, das
und Blut übergegangen, dass er mir nach zu seinem Tod führte.
acht Jahren, als ich heimkehrte, direkt Zu Weihnachten haben wir viel Soli-
abgegangen ist. Am liebsten hätte ich darität erfahren, die uns große Freude
ihn zu Hause weitergeführt, aber meine bereitete. Wir wurden mit Paketen und
Frau sträubte sich verständlicherweise da- Weihnachtspost regelrecht über-
gegen (!!!). schwemmt. Der Weihnachtsabend mit
Im Herbst 1961 erlebten wir aber ein paar brennenden Kerzlein auf einem
auch Freuden. Der Gefängniskaplan Don Fichtenzweig war allerdings sehr wehmü-
Nicoli brachte einmal in der Woche ent- tig. Schweigsam dachten wir an unsere
weder Hauswürste mit Kraut oder Knö- Lieben zu Hause und was uns die Zu-
del mit Gulasch, organisiert von Karl kunft wohl noch alles bringen würde.
Marsoner, der später dann auch einen Der zweite Schlag ließ nicht lange auf
Monat dafür sitzen «durfte». Damit der sich warten. Am 7. Jänner, nach dem
Kaplan dies durchführen durfte, mussten Spaziergang im Hof, starb Toni Gostner
die Kriminellen auch einen Teil davon auch an den Folgen der schweren Miss-
erhalten. handlungen. Er hatte schon öfters ge-
Am 22. November ereilte uns ein klagt, dass ihm der linke Arm schmerzt.
Schlag, der uns allen schwer zu schaffen So auch diesmal beim Spaziergang im
machte. Franz Höfler, der kräftige, hu- Hof. Er ging auf die Krankenstation und
morvolle und früher kerngesunde Mann, ließ sich eine Spritze geben und ruhte
ist im Bozner Krankenhaus an den Fol- sich dann in der Zelle aus. Als wir dann
gen der schweren Misshandlungen ge- nachkamen setzte ich mich auf seine
storben. Er hatte schon öfters von Pritsche, wir waren in derselben Zelle und
Schmerzen im Rücken und am großen fragte ob es ihm besser gehe. Wir wech-
Zeh geklagt, aber dass er deswegen sein selten noch ein paar Worte, plötzlich riss
junges Leben lassen musste, hat uns tief es ihn nach hinten, er bekam keine Luft
erschüttert. Wir zwei sind in der Mera- mehr, wurde ganz blau im Gesicht und
ner Carabinierikaserne nebeneinander vorbei war es. Wir trommelten gegen die
mit erhobenen Armen stundenlang ge- Tür, es kamen sofort Wachen, aber da
standen. Immer wenn wir die Arme sin- war nichts mehr zu machen. Für sein sen-
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ken ließen, in den Schultern hat es ja sibles Herz waren die schweren Folterun-
furchtbar geschmerzt, sind wir mit dem gen zuviel gewesen. Das ganze Gefäng-
Gewehrkolben vom wachhabenden Ca- nis war in Aufregung, von den Gefange-
rabinier geschlagen worden. Bei ihm nen über die Wachen bis zum Komman-
danten und Direktor. Schon der zweite anders gekommen. Martl Koch, Paul
politische Häftling musste sein Leben las- Pichler und ich, die wir den Toni sterben
sen, das gab Schwierigkeiten noch und gesehen haben sind zur Abmachung
noch. Wir hatten wohl alle eine schlech- gestanden und haben den Hungerstreik
te Nacht. Am nächsten Morgen beim durchgeführt. Ebenso Luis Gutmann hat
Spaziergang sind wir alle zusammenge- aus Solidarität mitgestreikt. So sind wir
standen und haben für ihn ein Vater aber vom Staatsanwalt als Rädelsführer
Unser gebetet, da sagte Sepp Kerschbau- und Aufwiegler hingestellt worden.
mer: «Das war das zweite Opfer der Prompt sind wir ein paar Tage nachher
Folterungen, wer wird wohl der Dritte versetzt worden. Unerklärlicherweise
sein?» Hat er vielleicht schon geahnt, mussten aber noch einige mit uns bü-
dass er es selbst sein würde? ßen. Sepp Kerschbaumer, Oswald Kofler
In Südtirol hat das eine Welle der So- mit Martin Koch und Luis Gutmann
lidarität für uns ausgelöst, es wurden der wurden nach Verona versetzt. Engelbert
Reihe nach Veranstaltungen und Bälle Piock und Jakob Scherer kamen mit Paul
abgesagt. Die Südtiroler Volkspartei hat Pichler und mir nach Vicenza. Dort ka-
eine parlamentarische Untersuchungs- men wir in eine feuchte, verdreckte Zel-
kommission wegen der Folterungen ver- le, mit Schimmelflecken an den Wänden
langt. Die Frauen der Häftlinge wollten und die Feuchtigkeit durchdrang unser
vor dem Gefängnis dafür protestieren Gewand und den Körper. Die Wachen
und wir drinnen durch einen dreitägigen begegneten uns mit finsterer Miene und
Hungerstreik. Warum in einer so wichti- wir wurden auf Schritt und Tritt bewacht
gen Angelegenheit bei uns der Zusam- wie Schwerverbrecher. Nach einigen Wo-
menhalt gefehlt hat, ist mir bis heute chen hat sich das auch aufgeklärt. Der
schleierhaft. Die verschiedensten Parolen Gefängniskommandant persönlich kam
kursierten im Gefängnis. Eine davon war, zu uns in die Zelle, wir waren nicht wenig
dass wir dann alle nach Italien hinunter überrascht, und erzählte uns, dass wir
versetzt würden und das wäre dann für von Bozen ein Begleitschreiben mitbe-
unsere Familien noch schlimmer. Ich war kommen hätten, das uns als sehr gefähr-
damals und bin heute noch der Meinung, liche Verbrecher ausgewiesen hätte. Er
dass dies nicht geschehen wäre, wenn erzählte uns auch, dass er schon wäh-
113
wir zusammengehalten hätten. Es hätte rend der deutschen Besetzung 1943-45
in den Medien einen Wirbel gegeben, Gefängniskommandant war und mit den
der ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht in Deutschen gut zusammengearbeitet
den Kram gepasst hätte. Es ist aber alles habe, weil sie Ordnung und Disziplin
hätten. Von da ab wurden wir etwas Tage hat er diese Prozedur durch-
menschlicher behandelt. gehalten, bis ihn dann ein Wärter über-
Jakob Scherer hatte von Kerschbau- zeugte, dass er hier nicht mehr lebend
mer nur einige Kilo Sprengstoff zur Auf- herauskomme, wenn er nicht aufgeben
bewahrung bekommen und glaubte zu würde. Dazu beigetragen hatte auch der
Unrecht, solange in Untersuchungshaft Umstand, wie er später erzählte, dass
sitzen zu müssen. Er schrieb das dem durch die Feuchtigkeit vom Oberboden
zuständigen Staatsanwalt und begann kleine Kalkstückchen herunterfielen und
gleichzeitig einen unbefristeten Hunger- in seinen Augen furchtbar schmerzten,
streik. Eine Woche hat er keinen Bissen weil seine Hände ja festgebunden wa-
gegessen nur zwei Becher Wasser ge- ren.
trunken, ist aber immer mit uns zwei Mir ist es in Vicenza auch nicht be-
Stunden am Tag im kleinen Gefängnis- sonders gut gegangen. Ich hatte schon
hof spazieren gegangen und man hat in Bozen im linken Arm ein starkes Zie-
ihm fast keine Schwäche angemerkt. Der hen verspürt, ähnlich wie Toni Gostner.
Kommandant ließ uns wissen, wir sollten Nachdem ich auch viel zu dick war, hatte
ihm zureden, den Streik abzubrechen, ich Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden
sonst müsste er ihn nach Reggio Emilia wie Toni. Deshalb habe ich eine Abma-
in die psychiatrische Anstalt für Gefan- gerungskur gemacht und nur wenig ge-
gene versetzen lassen. Jakob ist aber hart gessen. An Gewicht habe ich schon ver-
geblieben und so ist er eben dorthin ver- loren, aber an Kräften wohl auch, denn
setzt worden. Wie er uns später erzähl- eines Nachts bekam ich einen Herzanfall,
te, hat man dort kein Pardon gekannt. es schlug wie rasend, dass ich glaubte,
Er wurde gleich in den Keller gebracht, jetzt ist es aus mit mir. Meine Kameraden
dort musste er sich nackt auf eine eigens verständigten die Wache und man brach-
vorgefertigte Pritsche legen und wurde te mir Herztropfen. Später wiederholte
an Händen und Füßen festgebunden. In sich der Anfall noch einmal, allerdings
der Mitte hatte sie ein Loch, damit Urin etwas schwächer. Die Angst begleitete
und Kot nach unten entweichen konnte. mich aber noch monatelang, da ich in
Das Essen wurde ihm, oder genauer der Brust immer einen Druck verspürte,
gesagt wollte man ihm, mit einem der Herzanfall wiederholte sich aber nicht
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Trichter in den Mund einführen. Aber mehr, wohl auch, weil ich wieder etwas
Jakob war so von seiner Unschuld über- mehr gegessen hatte und mehr zu Kräf-
zeugt, dass er immer die Zähne zusam- ten kam. Im Frühjahr habe ich angesucht,
menbiss und nichts durchließ. Ganze fünf nach Trient versetzt zu werden, was mir
auch genehmigt wurde. Einige Wochen Während der Spaziergänge im Hof
später kamen dann auch Paul Pichler und und auch in den Zellen wurde natürlich
Engelbert Piock nach. Für unsere Frauen auch über allerhand gesprochen. Thema
war das auch viel angenehmer, denn Nummer eins waren freilich unsere Fami-
nach Trient war es nur halb soweit wie lien mit ihren Problemen. Dann kam die
nach Vicenza. Politik, mit deren Verlauf wir nicht zu-
Außerdem waren in Trient viele poli- frieden waren. In Trient bekamen wir die
tische Häftlinge aus den Unterlandler Dolomiten, allerdings waren die politi-
Gemeinden, welche damals noch zur schen Artikel herausgeschnitten, dafür
Provinz Trient gehörten. Das Klima war haben wir sie dann oft beim Besuch
dort auch besser, weil ein Direktor das hereingeschmuggelt bekommen. Das
Gefängnis leitete, der eine Schweizerin dritte Thema war das Ausbrechen, wie
zur Frau hatte und viel Verständnis für könnte es anders sein. Für das, was man
unsere Situation aufbrachte. nicht hat, aber am meisten ersehnt, ist
Das Jahr 1962 ging vorüber, ohne man auch bereit, große Risiken einzuge-
dass viel geschehen wäre. Wir hofften, hen. Wir haben Pläne geschmiedet noch
dass irgendwann einmal unser Prozess und noch, auch teilweise Vorbereitungen
ausgeschrieben werden würde, aber es getroffen, aber zur Durchführung ist
rührte sich nichts. Politisch ist zwar die keiner gekommen.
Neunzehner-Kommission eingesetzt wor- Im März 1963 wurde ich in die
den, welche das Südtirolproblem unter- Matricola (Büro) gerufen und es wurde
suchen sollte, aber der italienische Staat mir die traurige Nachricht mitgeteilt, dass
versuchte sie immer wieder zu sabotie- mein Vater gestorben ist. Er hatte sich
ren. erkältet und ist dann einige Tage später
Zu Ostern und auch schon in der an der dazugekommenen Lungenentzün-
Woche vorher wurden all jene verhört, dung gestorben. Er hatte schwer unter
welche Anzeige wegen Misshandlung er- meinem Schicksal gelitten und das hat
stattet hatten, es waren deren 44. Im wohl auch seine Widerstandskraft ge-
Laufe des Jahres sickerte aber durch, dass schwächt. Wie haben sie mir oft leid ge-
nur jene Anzeigen angenommen wur- tan, meine alten Eltern, wieviel haben sie
den, welche in Neumarkt gefoltert wor- gelitten und für mich gebetet und jetzt
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den waren und ein Gutachten eines Ge- war meine Mutter noch dazu allein. Al-
richtsmediziners aus Padua hatten. Alle les durch mein Verschulden, weil ich nach
übrigen wurden unter den Tisch ge- meiner politischen Überzeugung gehan-
wischt. delt hatte. Aber jeder muss eben seinen
Im folgenden, den aus dem Ge- ren wegen der Misshandlungen. Form
fängnis geschmuggelten Kassiber, wel- und Inhalt wurden vom Original über-
ches Sepp Mitterhofer auf Gefängnis- nommen und sind Zeugnis der enor-
klopapier verfaßt hat, beschreibt er die men psychischen und physischen Bela-
dramatischen Vörgänge bei den Verhö- stung.

Am 20. Jänner 1962 wurde ich vom Staatsanwalt Castellano wegen der Miß-
handlungsanzeige in Bozen verhört und von einem Arzt oberflächlich unter-
sucht. Ich mußte meine Anschuldigungen nocheinmal zu Protokoll geben. Auf
seine Frage warum ich die Anzeige erst so spät gemacht habe antwortete ich
ihm, weil ich nicht wußte daß es einen Termin gibt u. weil ich in der ersten
Zeit nach meiner Einlieferung in das Gefängnis noch von den Mißhandlungen
keines klaren Gedankens fähig u. ganz deprimiert war. Merkmale hatte ich
außer den kahlen Stellen am Kopf wo sie mir die Haare ausgerissen hatten,
keine mehr. Der Arzt erklärte, er könne es nach 6 Monaten nicht mehr genau
feststellen, aber es ist möglich, daß mir durch starkes ziehen Haare ausgeris-
116 sen worden sind.
Ungefähr am 22. Februar 1962 wurde ich in Vicenza wieder von einem Prä-
sidenten Debacis wegen der Mißhandlungen verhört. Ich mußte wieder die
Einzelheiten der MIßhandlungen angeben, weiters daß mich 5 Carabinieri in
Zivil geschlagen haben, von denen ich 2 namentlich (Potzer u. Schgör) ange-
ben konnte. Weiters gab ich an, daß ich Gruber Walter u. Innerhofer Josef
gesehen habe wie sie mit geschwollenem Gesicht von einem Zimmer heraus-
kamen wo ich sie vorher schreien hörte u. wo auch ich geschlagen wurde.
Pichler Paul sah ich wie er vor Ermattung zusammenbrach. Als ich ins Gefäng-
nis eingeliefert worden bin, wurde ich von keinem Arzt untersucht. Selbst
habe ich mich nicht gemeldet, weil ich von anderen Häftlingen hörte, daß sie
hinausgeschmissen wurden als sie vor dem Arzt erklärten, daß sie mißhandelt
worden sind. Nach dem Tode Höflers meldete ich mich zum Arzt weil ich noch
immer im linken Auge ein leichtes Blitzen merkte das von einem Schlag der
Carabinieri herrührte. Der Arzt sagte er sehe schon eine kleine Wunde, kann
aber nicht sagen von was es gekommen ist u. ich glaube er schrieb nichts auf.
Dann mußte ich die zwei beschuldigten Carabinieri beschreiben. Das wurde
alles protokolliert. Dann wurde ich von einem Hautspezialist u. Augenspezia-
list aus Vicenza untersucht. Das Ergebnis ist mir nicht bekannt. Der Hautspe-
zialist sagte ich habe eine Haarkrankheit. Ich gab auch an daß ich vor meiner
Verhaftung, kleine haarlose Stellen hatte, die durch das starke Ziehen der
Carabinieri an meinen Haaren, ziemlich größer wurden da sie mir viele aus-
rissen. Vor die Ärzte kamen gab ich zu Protokoll, daß ich keinen Augenspe-
zialist verlange da ich nur mehr wenig spüre. Er kam aber trotzdem u. fand
anscheinend nichts.
Am 13. April 62 kam ich nach Bozen u. wurde 2 Carabinieri die mich geschla-
gen hatten (Schgör u. Potzer) gegenübergestellt. Als erster war Schgör, ich
mußte angeben was er mir getan hatte. Er hat mir in der ersten Nacht ins
Gesicht (linkes Auge) geschlagen, mit den Schuhen an den Schienbeinen u.
am Hintern gestoßen, ich wurde in dem Raum hin u. hergestoßen wie ein
Ball. Es waren 4-5 Personen in Zivil dabei. Er leugnete alles ab.
Dann wurde ich Potzer gegenübergestellt. Beschuldigung: er hat mich von
allen am meisten geschlagen hauptsächlich ins Gesicht, er hat mir gemeinsam
mit einem anderem Carabinieri Haare am Kopf ausgerissen, er hat mir mit 117
derselben Person u. einer dritten die Arme am Rücken hochgerissen, er hat
mir gedroht mich zu einem Krüppel zusammenzuschlagen wenn ich nicht
gestehe was er will. Auch er leugnete alles ab. Beide machten zwar einen
ängstlichen Eindruck u. gaben zu mich zu kennen da sie mich daheim geholt
hatten u. bei den Verhören dabei waren, aber von mißhandeln wußten sie
nichts.
Die Protokolle wurden so verfaßt: zuerst meine Anschuldigung, dann die
Aussagen des Angeklagten, dann wieder meine (daß sie falsch ist u. meine
richtig). Ich habe das deutsche Protokoll unterschrieben u. er das italienische.
Bei dieser u. der nächsten Gegenüberstellung war außer dem Präsidenten u.
2 Schreiber auch ein Oberstaatsanwalt anwesend. Auf meine Frage ob ich
den anderen Carabinieri auch gegenübergestellt werde, antwortete der Prä-
sident: das sei seine Sache, das ist nicht so einfach da ich sie nicht namentlich
angeben konnte. Damals seien 300 Carabinieri in Südtirol gewesen die jetzt
auf ganz Italien verteilt sind, er kann sie nicht herzaubern, das ist eine riesige
Arbeit, ich muß nur Geduld haben u.s.w. Es sollte überzeugend klingen u.
wollte mich damit vertrösten. Das alles war 6 Monate nach Erstattung der
Anzeige gegen die Carabinieri.
Ungefähr eine Woche später hörte ich daß wir sofort wieder nach Trient
zurückkommen. Mit mir waren noch 4 Kameraden von Trient u. 3 von Verona
nach Bozen gekommen zu den Gegenüberstellungen. Daraufhin meldete ich
mich zum Präsidenten u. bat ihn mich den restlichen 3 Carabinieri gegenüber-
zustellen. Nun folgte das alte Versl, nur sagte er statt 300 jetzt 1000 Cara-
binieri. Ich sagte daß in Meran nur ca. 10 Mann bei dem Schlägertrupp waren
unter der Leitung von Hauptmann Marzollo. Dieser muß sie ja alle kennen,
außerdem haben die meisten bei den Protokollen unterschrieben. Nun be-
gann der Präsident zu schreien u. zu wettern, ich verstand nur sehr wenig, da
die Dolmetscher es nicht übersetzten. Nun mußte ich die Beschreibung der 3
Carabinieri (wo ich den Namen nicht wußte) zu Protokoll geben.
1. Alter 40 Jahre, kahlköpfig, restliche Haare dunkel, dick,
1,70 m groß.
2. Alter 40 Jahre, kleines rosiges Gesicht, Haare eher
118 rötlich, schlank, 1.70 m groß.
3. Alter 35 Jahre, lange schwarze Haare, kräftig gebaut,
eher über 1,70 m groß.
Bei dieser Gelegenheit gab ich auch an daß Hauptmann Marzollo mir in
Meran Dienstag früh gedroht hatte falls ich nicht gestehe was er will, bringt
er mich nach Eppan u. läßt mich auf einem umgelegten Masten aufhängen.
Was ich zwar nicht ganz glaubte, fürchtete aber noch mehr u. stärker miß-
handelt zu werden. Ein anderesmal drohte er mir den Lunge (Potzer) zu holen
wenn ich nicht gestehe. Geschlagen hat er mich nicht, aber gedroht öfters.
Er ist mit 2 anderen Carabinieri u. mir zu mir heimgefahren Material zu holen.
Da haben mich mein Vater u. meine Schwester gesehen wie ich ausschaute.
Meine Frau hat mich 2 Tage später in der Kaserne gesehen.
Ungefähr eine Woche später wurde ich Hauptmann Derosa von Meran ge-
genübergestellt. Ich wußte zwar nicht warum, da er mir nichts getan hatte.
Zwar war er bei etlichen Verhören kurze Zeit anwesend, doch ich wußte nicht
mehr ob er gesehen hatte wie ich geschlagen wurde. Ich sagte er müsse die
3 Carabinieri doch kennen (gab die Beschreibung). Er sagte er sei nur selten
u. kurze Zeit bei den Verhören gewesen, deswegen kenne er sie nicht, auch
habe er damals viel zuviel zu Denken gehabt. Etwas später auf die Frage des
Präsidenten ob in Meran jemand mißhandelt wurde sagte er: er ist bei den
Verhören immer dabei gewesen u. hat von all dem nichts gesehen noch
gehört. Darauf sagte der Präsident, wenn dem so ist dann braucht es keine
Gegenüberstellung mehr. Nun wurde ich zornig u. schrie: 2 junge Menschen
sind schon gestorben, manche haben nach 9 Monaten noch Merkmale, auch
gibt es Zeugen die uns nachher sahen u. trotzdem wird behauptet es ist alles
erlogen. Es entstand ein hitziger Wortwechsel. Derosa lächelte immer recht
höhnisch.
Einige Tage später wurde ich Marzollo gegenübergestellt. Mit höhnischem
Grinsen leugnete er alles ab, gab zu mich heimgeführt zu haben, aber sonst
hätte ich eine ausnahmsweis gute Behandlung erfahren. Auf die Namen sei-
ner damals Untergebenen konnte er sich nicht mehr erinnern. Marzollo u. der
Präsident haben einiges über mich u. dem damals Vorgefallenem besprochen,
das ich leider das meiste nicht verstand u. übersetzt wurde es mir nicht.
Am 29. April wurde mir Oberleutnant Manucci von Meran gegenübergestellt. 119
Verwundert fragte ich wieso mit ihm er hat mir nichts getan. Man sagte mir
weil er beim Material holen dabei war u. weiß wie das vor sich gegangen ist.
Da ich diesbezüglich Meinungsverschiedenheiten mit Marzollo hatte. Er schil-
derte wie die Fahrt vor sich gegangen ist u. mußte mir auch meistens recht
geben. Doch behauptete er sie seien recht großzügig gewesen weil ich mit
meinen Angehörigen reden durfte, etliche Schluck Kaffee trinken, Gesicht
waschen u. auf den Abort gehen durfte. Das habe ich auch getan, allerdings
haben sie mir vorher gedroht falls ich den Angehörigen von den Mißhandlun-
gen etwas sage werde ich es nachher schon erleben! Auf die Frage des
Präsidenten ob er vom Mißhandeln etwas gesehen habe, leugnete er mit
unschuldiger Mine alles ab, auch kann er sich auf die Carabinieri nicht mehr
erinnern die damals in Meran waren. Keiner der 3 Offiziere wollte sich erin-
nern können, einfach lächerlich! Ich merkte wohl sehr deutlich, daß man die
Gegenüberstellung der richtigen unbedingt verhindern wollte. Man hatte wohl
Angst, daß sich die Carabinieri verreden könnten. Der Präsident sagte mir
einmal: was ich mir von alldem erwarte, ob ich glaube daß die Carabinieri so
blöd sind u. die Mißhandlungen eingestehen. Ich war überrascht, doch be-
stand ich weiterhin auf die Gegenüberstellungen. Der Präsident zeigte mir
eine Liste wo die Namen der Carabinieri darauf waren die damals in Meran
waren (plötzlich waren es nur mehr ca. 10). Ich verlangte daß sie mir vorge-
führt werden, dann werden ich schon die richtigen finden.
Nun kam einer (Junguolo?) auf den die Beschreibung N. 2 paßte. Er hat mich
gemeinsam mit Vignolo (N. 1) in der dritten Nacht geschlagen, stundenlang
vor der Quarzlampe gestellt u. zweimal machten sie mich mit dem Rücken an
der auf den Zehenspitzen 1 1/2 Stunden stramm stehen sodaß mir die Füße
lahm wurden. Vor mir wurde ein Posten aufgestellt der mich bei der gering-
sten Bewegung mit dem Gewehr schlug. Er leugnete alles ab, gab aber zu bei
den Verhören dabeigewesen zu sein.
Als nächster kam Vignolo (N. 1) Beschuldigung wie oben, drohte mir mich zu
Tode prügeln zu lassen, außerdem war er dabei als sie mir die Arme am
Rücken hochrissen u. hat oft die Verhöre geführt u. deshalb auch bei anderen
Mißhandlungen anwesend. Auch er leugnete wie alle alles ab. Gab zu daß er
120 bei den Verhören war u. sagte daß wohl eine gewöhnliche Lampe zur Be-
leuchtung im Zimmer hing, von einer Quarzlampe weiß er nichts.
Der letzte (N. 3) der beim Arme hochreißen, Haare ausreißen dabei war u. der
mich solange mit Faustschlägen bearbeitete bis ich bewußtlos wurde, wurde
mir nicht mehr vorgeführt. Warum? Am nächsten Tag wurde ich abtranspor-
tiert. Es wurde mir etlichemale gesagt, daß ich der Kläger u. die Carabinieri
die Angeklagten sind, aber leider kann ich das nicht bestätigen. Die Untersu-
chungen (Gegenüberstellungen) wurden nämlich so geführt, daß meine An-
gaben bezweifelt u. darauf herumgeritten wurde u. den Carabinieri gleich
alles geglaubt wurde. Man versuchte mich in Widersprüche zu bringen. Es
wurde mir auch gedroht, daß auf Verleumdung 2 Jahre Loch stehen. Es waren
wohl 2 Dolmetscher da, aber wenn der Präsident tobte (was öfters passierte)
dann wurde mir nicht alles übersetzt. Ein Dolmetscher sagte mir, daß meine
Haare auch so ausgefallen wären (großer Trost!). Der andere: wenn ich das
was ich hier getan habe, in Österreich oder Deutschland getan hätte, wäre ich
sofort erschossen worden!
Ich u. auch die anderen haben gleich gemerkt, daß sie die Gegenüberstellun-
gen unbedingt vermeiden wollten. Es wurden auch nicht alle durchgeführt.
Die Carabinieri wurden nicht viel ausgefragt, von einem Kreuzverhör gar keine
Spur. Man hat mir auch zu verstehen gegeben was für ein Unterschied zwi-
schen meiner Aussage u. der eines Carabinieri ist, da ich nur ein Häftling bin.
Am Todestag des Gostner Anton (7. Jänner 62) gab ich zu Protokoll, daß er
mir seine Mißhandlungensmerkmale gezeigt hat. Alte Wunde am Bauch wie-
der aufgebrochen, Verbrennungsmerkmale auf der Stirn u. das Tränen der
Augen (durch Quarzlampe).

Mitterhofer Josef

121
Weg gehen, so wie es das Schicksal will. ganz allein nach Mailand gebracht. Es
Mein Rechtsanwalt, Dr. Monauni, hat auf hat mich damals natürlich beunruhigt,
meinem Wunsch hin angesucht, dass ich weil das nicht üblich war, aber ich weiß
bei der Beerdigung dabei sein darf. Es bis heute nicht, warum dies geschehen
wurde mir nicht genehmigt. Ich wäre ist.
bereit gewesen, in Handschellen und in Das Gefängnis San Vittore in Mailand
Begleitung von Carabinieri beim letzten ist ein großes, veraltetes Gefängnis mit
Gang meines lieben Vaters dabei zu sein. ca. 2000 Insassen. Die Zellen waren total
So ist der Sommer 1963 ins Land ge- verdreckt, voller Wanzen und kein Abort
zogen und in Trient ist im August der nur ein Kübel in einem Mauerloch, Es
Prozess gegen die Folterknechte über die gab nicht normale Fenster, sondern ein
Bühne gegangen. Der Ausgang ist be- breiter Schlitz nach oben, den sogenann-
kannt, er wird an anderer Stelle näher ten «bocca di lupo». Außerdem waren
beschrieben. Für uns ist eine Welt zu- die Zellen überfüllt, in einer Einzelzelle,
sammengebrochen, wir haben den Glau- 4 m lang und 2 1/2 m breit waren drei
ben an die Gerechtigkeit verloren. Ein de- Personen untergebracht. Wenn eine Per-
mokratischer Staat, der uns jahrzehnte- son 4 Schritte nach längs gehen wollte,
lang um unsere Rechte betrogen hat, mussten die anderen zwei auf der Prit-
lässt Bürger, welche sich dafür wehren, sche liegen bleiben, so eng war es. Ich
von seinen Sicherheitsorganen brutal zu- hatte damals noch das Pech dazu, einen
sammenschlagen, dass zwei davon ster- Darmkatarrh mit Durchfall zu haben, und
ben und dann werden diese Folterknech- musste damit meine neuen Zellenkame-
te freigesprochen, befördert und ausge- raden, den 1975 bei einem Waldbrand
zeichnet. Wir dagegen sitzen tief im verstorbenen Feuerwehrhauptmann von
Dreck und können nur erahnen, was uns Frangart, Otto Petermeier, und Hans
blühen wird. Die seelische Belastung für Stampfl aus Gries beglücken (!). Aber sie
uns und unsere Familien war wegen die- haben sich tapfer gehalten und waren
ser Tatsache sehr hoch. sehr kameradschaftlich. Die Einlieferung
Zu diesem Zeitpunkt ging das in San Vittore war von einer Maßnahme
Gerücht um, dass unser Prozess noch begleitet, die ich bis dahin noch nicht
Ende dieses Jahres beginnen sollte. Von erlebt hatte. Außer den üblichen Unter-
122
Bozen war auch schon ein Teil unserer und Durchsuchungen, musste ich mich
Kameraden nach Mailand versetzt wor- nackt mit gespreizten Beinen auf ein
den und ein Teil nach Mantua. Auch ich erhöhtes Podest stellen und man kon-
wurde anfangs September plötzlich und trollierte mir den «Hinterausgang» ob ich
nicht Schmuck darin versteckt hätte. Ei- treten, weil mehrere Kameraden unschul-
gentlich tat mir der diensthabende Be- dig oder nur schwach belastet, solange
amte eher leid, denn er musste «diese (über zwei Jahre) in Untersuchungshaft
Arbeit» ja bei allen Einlieferungen ma- sitzen mussten. Ganze 23 Tage hat er
chen, nicht nur bei mir. durchgehalten, nur etwas Wasser hat er
Sicher aufgrund der kleinen und zu sich genommen. Wir waren schon in
überfüllten Zellen hatten wir zweimal am Sorge, dass er beim bevorstehenden Pro-
Tag Ausgang im Hof, also vier Stunden zess nicht mehr genug Kraft besitzen
insgesamt. Mehrere Kameraden gingen würde, um seinen Mann zu stellen. Die
auch arbeiten, sie mussten elektrische Angst war aber unbegründet, er hat sich
Schalter und Kugelschreiber zusammen- sehr gut gehalten.
stellen. Dafür konnten sie sich in mehre- Mein Gesundheitszustand wurde zu-
ren Zellen, während der Arbeit frei be- sehends schlechter. Der Durchfall hörte
wegen und auch etwas kochen. Im Ok- nicht auf, der Gefängnisarzt wollte oder
tober ist Sepp Kerschbaumer aus Protest verstand mich nicht. Immer mehr Blut
in einen unbefristeten Hungerstreik ge- vermischte sich mit dem Stuhl, ich wur-

Beerdigung des politischen Häftlings, ersten Obmannstellvertreter des Südtiroler Heimatbundes, Obmannes
der Kellereigenossenschaft Schreckbichl und Feuerwehrkommandant von Frangart, Otto Petermaier. Er ist
1975 bei einem Waldbrand am Eppaner Berg auf tragische Weise ums Leben gekommen. Er hat seinen
Kameraden zugerufen: «Rettet Euch!», ist aber als Letzter nicht mehr davongekommen und jämmerlich
verbrannt. Er hat seinen Kameraden den Vortritt gelassen und musste dies mit dem Leben bezahlen. Fünf
Jahre Krieg und fast fünf Jahre Gefängnis hat er gut überstanden, aber seine edle Gesinnung und
Kameradschaft wurden ihm bei diesem Brand zum Verhängnis.

123
de ganz schwach und blass. Meine Frau monatelang in Festkleidung zu werfen.
erschrak beim Besuch und ich beschloss Wir mussten ihn stark bearbeiten, ein
daraufhin, noch einmal zum Arzt zu ge- weißes Hemd und eine Krawatte anzu-
hen. Diesmal war ein anderer, der mir ziehen. Nach einigen Prozesstagen merk-
starke Spritzen verschrieb. Der Durchfall ten wir, dass er grobe Schuhe anhatte
hörte zwar auf, aber von dieser Zeit an und keine Socken. Nach längerem Zure-
war ich chronisch verstopft. Wenn man den konnten wir ihn überzeugen, dass
im Gefängnis einigermaßen gesund ist, er als unser Anführer auch dies unterlas-
hat man nur eine Sorge, die Freiheit zu sen musste. Er legte eben nicht viel Wert
bekommen. Wenn einem aber die Ge- auf das Äußere, sondern auf seine Aus-
sundheit fehlt, dann ist man ein armer sagen beim Verhör und das hat er groß-
Teufel, denn man kann sich kaum hel- artig gemeistert. Richter und Staatsan-
fen. Und moralisch wird man dann dop- walt haben ihn als Ehrenmann betrach-
pelt belastet. Wenn es im Verdauungs- tet. Einige Häftlinge von uns haben beim
trakt fehlt, dann wird es bei dieser z.T. Verhör weiche Knie bekommen. Sie sind
miserablen Kost schlimm. Darum habe nicht zudem gestanden, was vorher aus-
ich mir in diesen acht Jahren auch ein gemacht war, das Hemd stand ihnen
chronisches Leiden im Verdauungstrakt eben näher als der Rock. Die übrigen
eingehandelt, unter dem ich heute noch haben ihre Aussagen mehr oder weniger
zu leiden habe. gut gemacht.
Der Beginn des Prozesses war am 9. Die tägliche Fahrt vom Gefängnis
Dezember 1963 festgelegt worden. Die zum Justizpalast war immer interessant.
Wochen vorher haben wir benützt, um Mit zwei Bussen und viel Autos als Be-
uns auf den Prozess vorzubereiten, wel- gleitschutz, fuhren wir mit Blaulicht und
che politischen Aussagen wir treffen und Sirene, jedesmal eine andere Straße
wie wir uns gegenseitig entlasten könn- durch Mailand. Wo wir auftauchten
ten. Die unterschriebenen Geständnispro- stand der ganze Verkehr still, wir fühlten
tokolle bei den Carabinieri hatten wir uns wie Fürsten. Nur die Handschellen
beim Staatsanwalt und Untersuchungs- und die Ketten, mit denen wir zusam-
richter teilweise zurückgenommen, mit mengehängt waren, erinnerten uns an
der berechtigten Begründung, dass sie die nackte Wirklichkeit. Diese Tatsache
124
erpresst worden waren. Wir hofften, dass war schon deprimierend für uns freiheits-
das Gericht uns glauben würde. liebende Tiroler, aber mit der Zeit haben
Sepp Kerschbaumer war ein einfacher wir uns auch daran gewöhnt. Trotz allem
Mensch, er war es nicht gewohnt sich gab es wieder Situationen wo wir Witze
Ehefrauen und Angehörige der Häftlinge vor den Mauern von San Vittore in Mailand

rissen und richtig lachen konnten. Gott 69 inhaftierten Angeklagten der größte
sei Dank, denn nur mit Grübeln und den Schauprozess Italiens. Über den Ablauf
Kopf hängen lassen, konnten wir solche wird an anderer Stelle berichtet. Ein Fak-
Belastungen nicht durchstehen. Schließ- tum muss ich trotzdem erwähnen. Als
lich hatten wir ja auch eine Verantwor- der Staatsanwalt (Gresti) mit der Ankla-
tung unseren Familien gegenüber, denen gerede begann, trauten wir unseren
konnten wir beim Besuch nicht zeigen, Ohren nicht. Es schien, als wollte er uns
wie schwer uns manchmal das Herz war, verteidigen und schob dem italienischen
sie hatten ja selber Probleme genug, mit Staat die Schuld der ganzen Tragödie zu.
denen sie alleine fertig werden mussten. Das waren wir nicht gewohnt, nachdem
Nach Mailand kamen unsere Frauen we- uns die Anwälte der Zivilkläger als richti-
gen der weiten Entfernung nur alle 2 ge Verbrecher hingestellt hatten. Wir
125
Wochen und dies war für uns immer ein schöpften Hoffnung und glaubten auf
Freudentag. diese Weise mit niederen Strafen davon-
Der Prozess dauerte sieben Monate. zukommen. Am nächsten Tag war der
Er war für die damalige Zeit mit seinen Spuk schon vorbei, die Freude war von
kurzer Dauer gewesen. Der Staatsanwalt tes zu erwarten, denn ich hatte mich
donnerte drauf los und ließ kein gutes beim Verhör zur Sache bekannt. Auch
Haar mehr an uns, Was war geschehen, meine Frau hatte ich gewarnt, sie soll
dass er sich von einem Tag auf den an- sich keine großen Hoffnungen machen.
deren um 180 Grad drehen konnte? Un- Trotzdem erlitt sie einen Schock als mein
sere Rechtsanwälte verrieten uns, dass sie Name mit 12 Jahren Gefängnis fiel und
die Liste mit den Strafanträgen gesehen brach im Zuschauerraum zusammen. Ker-
hatten. Es standen zwei Reihen neben- schbaumer erhielt von den Inhaftierten
einander, die erste war nieder und durch- am meisten mit 16 Jahren. Jörg Pircher
gestrichen und die zweite viel höher. Rom mit 14 Jahren war der nächste. Die Ver-
hatte wieder einmal ein Machtwort ge- lesung des Urteils dauerte lange, mit der
sprochen, wie beim Folterprozess in Tri- Zeit wich auch die Spannung. Auf den
ent, und der Staatsanwalt musste sich einen Gesichtern sah man große Freude,
fügen. Das war die «unabhängige» Jus- auf den anderen Verzweiflung und Mut-
tiz in Italien! Während der Dauer des Pro- losigkeit. Zwei Drittel wurden in die Frei-
zesses sind öfters Busse mit Verwandten heit entlassen, z.T. Freispruch wegen
und Bekannten aus unserer Heimat er- Mangel an Beweisen, z.T., weil sie die
schienen, um uns ihre Solidarität mit ih- Strafe bereits verbüßt hatten. 22 waren
rer Anwesenheit zu demonstrieren und die Sündenböcke und erhielten z.T. hohe
sie konnten während der Pause auch mit Strafen. Insgesamt waren 413 Jahre Ge-
uns reden. fängnis verhängt worden.
Am 16. Juli 1964 nach Mitternacht Für uns «Sündenböcke» war der
war es soweit. Nach 36-stündiger Bera- nächste Tag ein schwerer. Wir freuten uns
tung wurde das Urteil im Namen des ita- zwar, dass so viele Kameraden heimge-
lienischen Volkes verkündet. Der Zu- hen durften, aber das eigene Schicksal
schauerraum war bis zum Bersten gefüllt und das unserer Familien drückte schon
und die Luft knisterte förmlich vor Span- schwer aufs Herz. Unsere Frauen durften
nung. In den nächsten Minuten entschied uns zwar besuchen, aber es war schwer,
sich unser Schicksal, wer durfte heimge- die richtigen Worte zu finden. Meine
hen, wer musste büßen und wie lange? Frau hatte sich schon wieder erholt und
Das war die große Frage. Ich erinnere wir trösteten uns gegenseitig, aber ver-
126
mich noch gut an diese Minuten, ich ständlicherweise war die Stimmung sehr
hatte eine trockene Kehle und mir zitter- gedämpft. Die ersten Wochen waren für
ten die Knie, ansonsten war ich aber uns Hinterbliebenen nicht einfach, jeder
gefaßt. Ich wusste, ich hatte nichts Gu- musste zuerst mit sich selber fertig wer-
den, dann konnte er erst den anderen ten im Monat zwischen 5000 und 6000
trösten. Lire und waren versichert. Bis Sizilien hin-
Nach drei Wochen wurden wir nach unter wussten die Kriminellen, dass das
Trient zurückversetzt und darüber waren Trientner Gefängnis von den «Terrori-
wir sehr froh. Der Besuchsweg für unse- sten» besetzt war. Dem damaligen Direk-
re Frauen war erträglich, das Klima im tor De Mutis hatten wir mit seinem Ver-
Gefängnis ebenso und wir hatten meh- ständnis viel zu verdanken, denn wenn
rere Möglichkeiten zum Arbeiten. Die irgend ein Streit zwischen Wachpersonal
Zellen waren groß und mit fließendem und uns aufkam, hörte er sich beide
Wasser und WC und auch mit Heizung. Parteien an und hat dann immer zu un-
Im Verhältnis zu San Vittore fast ein Lu- seren Gunsten entschieden. Er glaubte
xushotel. Sämtliche Arbeitsmöglichkeiten uns nämlich mehr als seinem Wachper-
haben wir ausgeschöpft. Bibliothek, Büro, sonal. Dadurch haben wir uns bei den
Schmiede, Buchbinderei, Küche, Tischle- Wachen natürlich den Neid eingehandelt
rei und den großen Garten, wir verdien- und manche hassten uns sogar dafür.

V.l.n.r.: Jörg Pircher, Pepi Fontana, Pater Geremia, Oswald Kofler und Sepp Mitterhofer

127
Ich arbeitete in der Tischlerei und wir Jörg Klotz schwer verwundet. Damit
mussten Reparaturen im Gefängnis wurden zwei aktive Freiheitskämpfer aus-
durchführen oder auch für das Wachper- geschaltet und das war für uns sehr bit-
sonal kleinere Möbelstücke anfertigen. ter. Überhaupt wussten wir nicht mehr
Aber in der übrigen Zeit durften wir für recht, was draußen gespielt wurde. Dass
uns selber arbeiten. Da ein Kamerad, Luis der italienische Geheimdienst mit bruta-
Thaler aus Bozen, Tischlermeister war, len Anschlägen mitmischte, haben wir
habe ich viel gelernt und konnte so längst erkannt, aber wir konnten natür-
manches nette Stück nach Hause schik- lich nicht recht unterscheiden, welche die
ken. Auch die Kameraden in der Schlos- richtigen und welche die falschen An-
serei haben nette Sachen gemacht, z.B. schläge waren.
Kupferteller geklopft und verziert, Anfangs November ließ sich Kersch-
Aschenbecher, schmiedeeiserne Kerzen- baumer nach Verona versetzen, wo er
leuchter usw. Sepp Kerschbaumer hatte vor dem Prozess schon war und eine
kein handwerkliches Geschick und hat Arbeit hatte, die ihm lag. Wir sahen es
sich deshalb schwergetan. Am liebsten zwar nicht gerne, aber wir mussten sei-
hat er in der Freizeit im Gang vor den ne Entscheidung respektieren. Wir haben
Zellen, die Türen waren eine zeitlang ihn nicht mehr lebend wiedergesehen.
abends offen, Boccia gespielt. Nicht mit Er ist in Verona am 7. Dezember 1964
Kugeln wie sonst üblich, sondern mit einem Herzstillstand erlegen. Er hatte mir
runden Gummiblättern. Das hat ihn ent- im Hof beim Spaziergang öfters geklagt,
spannt und von seinen Sorgen abgelenkt. dass mit seinem Herzen irgendetwas
Mit dem Fortgang der Politik waren nicht mehr in Ordnung sei. Die enorme
wir nicht zufrieden, aber wir konnten Belastung beim Prozess, er hatte die
nichts ändern. Die Neunzehner-Kommis- ganze Verantwortung übernommen, war
sion ging auch nur sehr schleppend vor- für sein Herz zuviel geworden. Für uns
an. Hofften wir doch insgeheim, wenn war ein Mann und Kamerad gestorben,
irgendwann eine tragbare politische Lö- zu dem wir in Respekt und Freundschaft
sung zustande käme, dass wir dann aufgeschaut hatten. Die Südtiroler hat-
durch eine Amnestie auch die Freiheit ten das wohl auch so gesehen, denn
wiedererlangen könnten. Anfangs Sep- über zwanzigtausend Menschen aus dem
128
tember erreichte uns die erschütternde ganzen Land haben ihm das letzte Geleit
Nachricht, dass unser Kamerad Luis gegeben.
Amplatz auf der Brunner Mahdern Alm Seit längerer Zeit schon besuchte uns
meuchlings ermordet worden war und einmal im Monat der Franziskanerpater
waren, herrschte eine Tätigkeit wie noch
nie. Die Wachen hatten mit uns allerdings
keine Freude, denn durch uns hatten
auch sie viel mehr Arbeit und das war
das Schlimmste, was ihnen passieren
konnte. Durch die Arbeit verging uns die
Zeit schneller und wir dachten weniger
an unser Schicksal. Aber abends kamen
dann oft die schwerer Gedanken und
dann mussten wir eben damit fertig wer-
den, jeder auf seine Art. Ausnahmsweise
durften wir Spielkarten haben und ein
Schachbrett. Mit Lesen und Rätsel auflö-
sen versuchten wir, uns auch die Zeit zu
Pater Leopold
vertreiben. Zu Weihnachten hatten wir
immer große Mühe, mit den vielen Pake-
Leopold aus Bozen. Er hat uns so man- ten und der vielen Post fertig zu werden.
ches Päckchen, Brieflein oder sonstiges, Es stärkte uns selbstverständlich
was eben in seiner schönen weiten Kut- moralisch und das brauchten wir not-
te vor den Wachen verborgen blieb, her- wendigst.
eingeschmuggelt. Wir haben uns immer Im August 1965 erhielten wir eine
auf seinen Besuch gefreut, er hat so weitere schlimme Nachricht. Kurt Wel-
manche Neuigkeiten erzählt, die wir ser, unser Verbindungsmann zu den
sonst nicht erfahren hätten. Auch der Nordtirolern und sicher der aktivste Frei-
Gefängniskaplan von Trient, Pater Gere- heitskämpfer nördlich des Brenners, war
mia, hat uns regelmäßig besucht. Er bei einer Bergtour in der Schweiz tödlich
sprach auch etwas deutsch und war recht abgestürzt. Wieder hatte es einen der
zuvorkommend. Ingenieur Karl Vaja hat Besten getroffen und das erschütterte
uns auch manchmal besucht. Er war der uns sehr. Wir haderten mit Gott und dem
einzige SVP-Vertreter, der sich die Mühe Schicksal und fragten uns, warum nur
genommen hatte, uns mit seinem Besuch auf unserer Seite die Besten dahingefegt
129
zu beehren. wurden? Wir fanden keine brauchbare
Ansonsten ging das Leben im Ge- Antwort darauf.
fängnis seinen gewohnten Gang. Nach- 1966, im Frühjahr, kamen wir wie-
dem alle Schaltstellen in unserer Hand der nach Mailand zur Berufung. Diesmal
waren nur mehr 21 Häftlinge, Kerschbau- früher, denn der neue Direktor war
mer war inzwischen gestorben. Das Straf- ängstlich und traute uns noch nicht.
ausmaß wurde bei allen um zwei Jahre Trotzdem durften wir aber unsere vorhe-
wegen Strafnachlass (Condono) reduziert rigen Arbeitsstellen wieder antreten.
und beim einen und anderen noch zu- Im November 1966 gingen schon
sätzlich etwas vermindert. Bei mir um die ersten von uns «Schwerverbrechern»
zwei Jahre, so verblieben mir noch 7 nach Hause. Im Jahr 1967 wieder einige
Jahre und 11 Monate. und so wurden unsere Reihen mit der
Zur gleichen Zeit fand der Prozess Zeit lichter. Nachdem das Gefängnis ei-
gegen die Andergassen-Gruppe statt, nen großen Garten und eine Hühner-
welche schon 1964 aufgeflogen war. zucht besaß, durften Oswald Kofler, Pepi
Angeklagte waren sehr viele, aber nur Fontana (halbtägig) und ich in den Gar-
zehn in Haft. Andergassen als Hauptan- ten, um dort zu arbeiten. Luis Steinegger
geklagter erhielt 30 Jahre, von denen er und Hans Clementi, welche vorher drau-
aber «nur» sieben Jahre absitzen mus- ßen arbeiteten, durften heimkehren und
ste. so konnten wir ihre Arbeit übernehmen.
Nach der Feuernacht sind mehrere Jörg Pircher hatte im Garten das Kom-
Personen inhaftiert und verurteil worden. mando, er war schone einige Jahre dort
Aber sie waren meistens nur für einige tätig. Pepi Fontana hatte die Jahre vor-
Wochen in Trient weil dort die Kranken- her in einer Einzelzelle studiert und ei-
station war. Sonst waren sie in anderen nen Fernkurs absolviert. Er hat die harte
Gefängnissen verteilt. Zeit im Gefängnis auf diese Weise ge-
Als wir von Mailand nach Trient zu- nutzt und nach seiner Heimkehr im Fe-
rückversetzt wurden, machten wir in bruar 1969 das Studium in Innsbruck
Verona Zwischenstation. Dort erfuhren weitergeführt und mit dem Doktor ab-
wir, dass der Direktor in Trient vor kur- geschlossen. Für mich und für Oswald
zem an einem Herzinfarkt gestorben war. Kofler, die wir ja Landwirte waren, ist die
Wir hatten nun berechtigte Angst, in Arbeit im Garten eine große Erleichte-
oberitalienische Gefängnisse verteilt zu rung und Freude gewesen. Endlich konn-
werden, wie es nach der Berufung sonst ten wir wieder Pflanzen betreuen, einige
üblich war. Wir hatten aber Glück, der Bäume spritzen, allerdings nur mit der
130
verstorbene Direktor hatte uns noch vor-
her angefordert und deshalb holte man
uns nach Trient zurück. Allerdings fan- Im Gefängnis verfolgten die politischen Häftlinge
aufmerksam die politische Entwicklung und wenn
den wir nicht mehr das Klima vor wie es ihnen möglich war, wurde darauf reagiert.
Trient, den 31. Juli 1968

Sehr geehrter Herr Senator!


Sie haben uns wissen lassen, dass Sie uns in nächster Zeit besuchen wollen. Darüber sind
wir keineswegs erfreut. Es ist vielmehr unser bestimmter Wunsch und Wille, dass Sie
fernbleiben. Die knieweiche Politik, die Sie seit einigen Jahren mit Eifer und Geschäftigkeit
betreiben, ist mit unserer Gesinnung nicht vereinbar. Und so ist jede Begegnung zwischen
uns sinnlos.
Mit diesen Worten wollen wir uns nicht von der Partei abwenden, sondern nur von Ihnen
und allen jenen, die sich Ihrer Verzichts- und Kapitalismuspolitik verschrieben haben.
Es grüßen Josef Fontana
Kofler Oswald
Josef Mitterhofer
Jörg Pircher

131
Wergl und Hühner und Hasen füttern. wir nämlich ein größeres Messer zum
Die Hühner mussten wir als Küken (150 Brot und Speck aufschneiden haben.
Stück) großziehen, Sie machten dann Übrigens durften wir im Trientner Ge-
eine Legeperiode durch und wurden ca. fängnis schon die ganzen Jahre her mit
1 1/2 jährig abgeschlachtet und dem Trockenspiritus unsere Speisen aufwär-
Wachpersonal billig verkauft. Als Oswald men, welche uns die Frauen beim Be-
und ich das erstemal die Schlachtung such mitbrachten. In den Zellen waren
vornahmen, rund fünfzig Stück an einem wir meistens zu sechst und da haben wir
Tag, habe ich die Hennen gefangen und den Besuch so eingeteilt, die eine Hälfte
Oswald hat ihnen mit einem Dreh das am Montag und die andere am Donners-
Genick gebrochen. Er fasste sie mit einer tag. So hatten wir die ganze Woche das
Hand beim Kopf, drehte das Huhn rasch Essen von zu Hause. Im Winter ging das
im Kreis und das Genick war ab. Er warf reibungslos, weil wir die Behälter vors
sie alle auf einen Haufen. Aber plötzlich Fenster stellten. Im Sommer war das
merkten wir, dass dieser statt größer im- schon problematischer, da mussten wir
mer kleiner wurde. Die totgeglaubten es im Abort beim Waschbecken unter
Hühner waren wieder zum Leben er- fließendem Wasser kühlen. Die Reinigung
wacht und geflüchtet, Oswald hatte ih- der Zelle und des Abortes, jeden Tag
nen nicht das Genick gebrochen, son- wurde der Terazza-Boden gewischt, mus-
dern nur das Bewusstsein genommen. sten zwei Mann besorgen. Sauberkeit
Die Situation war so grotesk und lustig, war eben wichtig, gehört auch zur Lei-
das wir uns bogen vor Lachen. Das zwei- beserziehung. Leider konnten wir nur
te Mal hat er seine Arbeit schon gründ- einmal in der Woche duschen und das
licher gemacht. Unseren inzwischen war im Sommer schon wenig.
heimgekehrten Vorgängern ist dasselbe Es war eigentlich interessant, in den
Missgeschick passiert. Das tröstete uns ersten Jahren unserer Gefangenschaft
ein wenig über unsere nicht ganz profes- sehnte man sich mit jeder Faser seines
sionelle Arbeit hinweg. In einem Garten- Herzens nach der Freiheit. Es war so
schuppen habe ich einen kleinen Raum stark, dass es uns fast verzehrte. Mit der
eingerichtet mit einem Tisch und einem Zeit aber mussten wir uns mit der Reali-
alten Herd, den wir im Winter beheizten. tät einfach abfinden, es blieb uns nichts
132
Einmal in der Woche, am Samstag Vor- anderes übrig. So langsam gewöhnte
mittag, habe ich dann immer Knödel man sich einfach an das Gefängnisleben.
gekocht und eine, manchmal auch zwei Natürlich hatte jeder von uns oft Tage,
Zellen damit beliefert. Im Garten durften wo er einen moralischen Tiefpunkt
Endlich frei!
Sepp Mitterhofer umarmt
seine beiden Söhne
Peter und Sepp am Tag
seiner Entlassung.
Wie alle Häftlinge wurde
auch Sepp Mitterhofer an
diesem Tag begeistert
empfangen und gefeiert.

133
Sepp Mitterhofer
während
der letzten Tage
im Gefängnis von
Schlanders.
durchmachen musste. Aber entweder Kofler verließ im August das Gefäng-
derjenige erholte sich selbst wieder, oder nis und Jörg Pircher wurde ein Jahr ge-
sonst haben wir uns eben gegenseitig schenkt und durfte im November 1969
geholfen. Kameradschaft war in solch als letzter von den 61ern, wie man uns
misslichen Situationen etwas vom Wich- nannte, heimkehren.
tigsten. Nun da wir uns dem Zeitpunkt Wenn ich heute zurückblicke, waren
der Entlassung näherten, war komischer- die acht Jahre Gefängnis eine sehr be-
weise die Sehnsucht lange nicht mehr so wegte und auch harte Zeit. Angefangen
stark wie früher. Bei mir war es jedenfalls bei den Folterungen über die vielen Jah-
so, ich freute mich logischerweise auf die re des Hoffens und Bangens, nicht nur
Freiheit, aber zugleich hatte ich auch wegen der gesundheitlichen Schäden,
Angst vor ihr. Ich war menschenscheu auch wegen des Lebens selbst. Dann die
geworden und mein Gesundheitszustand Sorge um die Familie, werden unsere
war auch nicht gut. Die schweren Miss- Frauen diese lange Zeit ohne Mann, ohne
handlungen und das Leben im Gefäng- Ernährer es schaffen, werden sie durch-
nis verfolgten mich auch nachts. Mehre- halten? Heute wissen wir es, dass sie
re Jahre nach meiner Heimkehr hatte ich Großartiges geleistet haben, aber damals
noch Alpträume, wo ich dann plötzlich gab es so viele Sorgen, dass es manch-
aufschrie. Ich hatte regelrecht Angst, das mal wirklich schwer war. Wären wir nicht
Leben in der Freiheit nicht mehr richtig jung und kräftig gewesen, voller Idealis-
bewältigen zu können. So blieben zum mus und Überzeugung, dass die Anschlä-
Schluss nur mehr wir vier Gartenarbeiter ge einfach notwendig gewesen sind, ich
übrig. Fontana kehrte dann im Februar weiß nicht, ob wir das alles so durchge-
heim. Ich ließ mich im März für die letz- standen hätten.
ten drei Monate als Übergang nach Wenn ich die heutige politische Ent-
Schlanders versetzen. Als ich dann am wicklung betrachte, dann kommen mir
Herz-Jesu-Sonntag in Schlanders entlas- immer wieder die Zweifel, ob die vielen
sen wurde, habe ich starke Beruhigungs- Opfer, angefangen bei den toten Kame-
medikamente zu mir genommen, um raden bis hin zu den Tränen unserer Frau-
diesen schönen Tag und Empfang in en und Mütter nicht doch zu groß wa-
Schlanders und besonders daheim heil zu ren!
134
überstehen. Ohne diese Medikamente
hätten meine stark strapazierten Nerven
bestimmt nicht gehalten und ich wäre
wohl zusammengeklappt.
MIT 32 JAHREN IST MAN HALT
NOCH BELASTBAR
Johanna Clementi
Es wird oft vergessen, dass jedes So könnte man
Opfer, jeder Verfolgte eine Mutter, einen die Geschichte von
Vater, Geschwister, Ehefrau oder Ehe- Frau Cilli Schwings-
mann, Kinder hat, die genauso mitlitten hackl aus Taisten er-
und Opfer sind. zählen. Mit ihrem Johanna Clementi
Damals ertrugen vor allem die Ehe- Mann hatte sie mit
frauen die Leiden und Lasten der gefol- ihren gemeinsamen Ersparnissen ein ab-
terten und eingesperrten Männer mit bruchreifes Haus gekauft. Sie wollten es
und einige führten dann sogar den be- umbauen und sich ein Zuhause schaffen.
gonnenen Einsatz, den Kampf weiter. Gemeinsam wäre es leichter gewesen.
Erstaunlich war besonders der unerschüt- Doch Andreas Schwingshackl, ihr Mann,
terliche Wille, den so manche Ehefrau wurde 1961 verhaftet und blieb jahre-
aufbrachte. Je dunkler die Welt um sie lang eingesperrt. Mit großen Opfern und
wurde, je aussichtsloser die Lage, desto Mühen, auf sich allein gestellt, verfolgte
heller und stärker entfaltete sich in man- sie ihr gemeinsames Ziel und bewahrte
chen von ihnen immer wieder von neu- ihr Heim vor dem weiteren Verfall. Als
em Hoffnung, Lebenskraft und der Wil- ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen
le, auf ihre eigene Weise für die geliebte wurde, ging es dann wieder leichter, aber
Heimat weiter zu kämpfen. das Schicksal war ihnen nicht gnädig. An-
Ihr gemeinsames Schicksal hat es dreas Schwingshackl, von der langen Ge-
nicht immer gut gemeint mit ihnen. Aber fängnishaft gezeichnet, erkrankte bald
dieses gemeinsame Schicksal hat sie auch und verstarb und hinterließ seine Frau
zu besonderen Menschen, zu besonde- und zwei unmündige Kinder.
ren Frauen gemacht. Oder das Schicksal von Hedwig Ober-
Jede Betroffene hat ihre eigene Ge- hollenzer, die aus dem Radio hören mus-
schichte. Sie würden zusammen ein Buch ste, dass ihr Verlobter David Oberhollen-
über Leiden und Not füllen. Unzählig zer verhaftet worden war. Bis dahin ahn-
135
wären die Berichte über kleine und gro- te sie nichts von der Untergrundtätigkeit
ße Schwierigkeiten, welchen diese Frau- ihres Verlobten. Jahrelang hatte sie gro-
en tagtäglich auf ihrem Lebensweg aus- ße Probleme, ihren Verlobten im Gefäng-
gesetzt waren. nis zu besuchen, da sie ja nicht verheira-
Johanna Clementi musste wie viele andere Häftlingsfrauen während der Haftzeit ihres Mannes alleine für
den Unterhalt und die Erziehung ihrer Kinder sorgen.

tet waren. Manch «guter» Freund legte heiratete sie den Bauern Hans Clementi
ihr immer wieder nahe, diese Bindung aus Pinzon. 1954 wurde die Familie
zu lösen. Doch die Liebe war stärker und durch ein Mädchen und 1957 durch ei-
Hedwig Oberhollenzer wartete geduldig nen Buben vergrößert. So lebte die Fa-
auf die Entlassung ihres zukünftigen Ehe- milie bis zum 19. Juli 1961, als ihr Mann
mannes. ein politischer Häftling wurde und fast 7
Johanna Zuveith Clementi ist auch Jahre im Gefängnis verbrachte. Nach der
eine von ihnen. Sie wurde 1929 in Mon- Entlassung ihres Mannes war Frau Cle-
tan geboren. In der Katakombenschule menti auch in der Gemeinschaft tätig; so
lernte sie Deutsch, Schreiben und Lesen. war sie z.B. 3 Jahre lang Bezirksbäuerin
Daheim arbeitete sie in der Landwirt- von Unterland.
schaft mit und lernte kochen und nähen. «Das Gefängnis in der Via Pilati in
136
Trotz der schweren Zeiten, die Land und Trient war der Ort, wo wir einmal in der
Leute damals durchlebten, erinnert sie Woche Einlass erhielten. Ein bisschen um-
sich gerne an jene bescheidene, aber ständlich war es schon, wir, ich spreche
unbeschwerte Jugendzeit zurück. 1953 von der Schwester von Konrad Matuella,
fuhren fast immer zusammen, mussten men haben. An einem langen Tisch im
bei Gericht in Bozen die Erlaubnis holen, Besuchsraum war Platz für je 5 – 6 Häft-
um in Trient eine halbe Stunde Besuchs- linge auf der einen Seite und für genau-
erlaubnis zu erhalten. Montag war unser so viele Frauen, Mütter oder Geschwister
Besuchstag. Um 9 Uhr fuhren wir mit auf der anderen Seite.
dem Autobus von Neumarkt nach Trient So konnten sich alle sehen und be-
und um 13.15 Uhr mit dem Zug von grüßen. Die Besuchserlaubnis musste ich
Trient nach Neumarkt zurück. in den ersten zwei Monaten in Bozen
Manchmal hatten wir Gelegenheit, persönlich abholen, dann konnte dies
mit jemandem mitzufahren, der mit dem meine Schwester, die in Bozen arbeitete,
Auto hinunterfuhr, dann mussten wir erledigen. Dann wieder, nach einer Wei-
wenigstens in Trient keine Taschen le, bekamen wir die Erlaubnis in Trient.
schleppen. Nachdem wir unsere Taschen Der Montag war der Trient-Tag und die
mit Wäsche und was zum Essen abgege- Kinder konnte ich schon am Sonntag bei
ben hatten, wurde dies peinlichst unter- meinen Eltern lassen und am Montag
sucht, bevor es unsere Männer bekom- kamen sie nach der Schule nach Hause.

Immer wieder bewährte sich die Hilfsbereitschaft von Nachbarn, Verwandten, Freunden und Mitkämpfern. So war
es oft selbstverständlich, dass man bei der Weinlese und Äpfelernte tatkräftig den betroffenen Familien zur Seite
stand. Leider war diese Solidarität bei den politisch Verantwortlichen im Lande nicht so ausgeprägt, wie bei den
einfachen Menschen des Landes.

137
Es war ja ein halbstündiger Fußweg in So hat jede Woche gleich angefan-
die Schule, ebenso ins Dorf. Die Stütze gen, bis zum Herbst 1963. Inzwischen
bei mir zuhause war einfach großartig, hatte man wieder einmal auf eine Am-
die Kinder meiner Zwillingsschwester sind nestie gehofft, aber… Man hoffte vom
fast gleich alt und lebten ja alle im glei- Frühjahr bis zum Herbst und vom Herbst
chen Haus mit meinen Eltern. bis zum Frühjahr; so ging es 7 Jahre lang.
Einmal im Monat durfte einmal das 1961, im Spätsommer, haben uns die
eine Kind, dann das andere Kind mitfah- Landtagsabgeordneten Volgger und
ren auf Besuch. Das Mädchen hat beim Plaickner auf dem Rückweg von einer Re-
ersten Besuch fast einen Weinkrampf gionalratssitzung in Trient besucht. Sie
gekriegt. Die Kinder waren ja während haben sich erkundigt, wie es uns geht,
der Verhaftung meines Mannes in der mir und den Kindern, auch wie es dem
Sommerfrische und hatten den Vater bis Hans geht und den anderen Mithäftlin-
zum ersten Besuch zwei Monate nicht gen, wollten sie wissen. Meine Antwort
mehr gesehen. war: »Gott sei Dank sind wir gesund.»

Hans Clementi wurde am Tag seiner Entlassung aus dem Gefängnis von Brixen nach siebenjähriger
Gefangenschaft von Verwandten und Freunden am 19. Mai 1968 auf seinem Hof herzlich empfangen.

138
Die moralische Belastung hat mich auch wer einem heilig oder scheinheilig be-
nicht erdrückt, weil ich überzeugt war, gegnete.
dass das alles einen Sinn haben musste Wenn ich von Anfang an gewusst
und mit 32 Jahren ist man halt noch hätte, dass das Warten fast 7 Jahre dau-
belastbar. Die Herren hörten sich die ern würde, beide Kinder zur Erstkommu-
Antworten auf ihre Fragen an und für nion gingen und gefirmt wurden ohne
mich war es schon eine Genugtuung, Vater zuhause, wäre das eine Ewigkeit
zwei Politikern meine Ansicht zu sagen. gewesen. Aber Gott sei Dank sind wir
Es konnte einem ja niemand etwas immer gesund geblieben und das ist
wirklich Konkretes sagen, auch der An- schon ganz viel.
walt Dr. Sand konnte sich nur einen Im Sommer 1962 besuchte uns Dr.
tiefen Seufzer abringen, wenn man bei Volgger mit Josef Pikvance. Der
ihm vorbeischaute. Ich fühlte mich schon Hochschulprofessor in Birmingham und
oft so ein bisschen wie in der Luft, ohne führendes Mitglied der Quäker in Eng-
Boden unter den Füßen, wie man so land, ein sehr netter Herr, erkundigte
sagt. sich, wie es uns ging, auch, wie es mei-
Im Frühjahr 1962 kam einmal eine nem Mann im Gefängnis gehe und den
Delegation aus Belgien, es waren Min- Familien von Josef Fontana und Konrad
derheitenvertreter. Denen sollte ich aufs Matuella. Auch in Tramin hat der Herr
Tonband sprechen, wie damals seit 1961 aus England Eindrücke gesammelt, was
alles in verschiedenen Richtungen lief. Dr. für Menschen es sind, die sogenannten
Volgger hat mich schon verständigt, Terroristen. Als er sich von mir verabschie-
sonst hätte ich ihnen nicht vertraut. Es dete, sagte er – soviel Deutsch konnte
war noch zwei Mal, bald aufeinanderfol- er: «Ich werde für diese Leute, die für
gend, dass Einzelpersonen zu uns kamen ihre Heimat zu solchen Mitteln gegriffen
und mich aushorchen wollten, aber de- haben, nie mehr das Wort Terroristen
nen habe ich nicht vertraut. aussprechen.» Bei uns kann man es heu-
Wie gesagt, meine Familie und auch te von deutschen Südtiroler Politikern
viele Montanerinnen und Montaner ha- und Nachrichtensprechern noch hören.
ben mir bei der Arbeit geholfen, beim Am 20. August 1963 begann der
Wimmen, beim Rebenschneiden und Carabinieriprozess in Trient, den ich vom
139
Spritzen. Heute möchte ich noch einmal Anfang bis zum Ende mit meiner Schwe-
ein Vergelt’s Gott sagen, auch die ster vor Ort verfolgt habe. Der Anblick
moralische Solidarität war nicht schlecht. der Häftlinge, die in Ketten vorgeführt
Man konnte natürlich auseinanderhalten, wurden, war schrecklich und der Urteils-
Der italienische Anwalt Sandro Canestrini aus Rovereto verteidigte mit viel Geschick und Ausdauer viele der
angeklagten Südtiroler. Vielen Häftlingsfrauen ist er als einfacher und freundlicher Mensch in guter Erinnerung
geblieben.

spruch des Richters war mir unverständ- um 5 Uhr war der Bus in Neumarkt. Der
lich. Beim Prozess habe ich den Rechts- Besuch war noch umständlicher als in
anwalt Sandro Canestrini kennen gelernt. Trient. Als der Prozess begann, gingen
Ich fragte ihn, ob er bereit wäre, die wir, wenn es möglich war, auch zum
Verteidigung meines Mannes im Beru- Prozess ins Justizgebäude, es war aber
fungsprozess zu übernehmen und er hat fast unmöglich, dem Prozess
Ja gesagt. Wir sehen uns heute noch des beizuwohnen und die Häftlinge zu besu-
öfteren. chen.
Im Herbst 1963 war dann der große Im April 1964 fuhr unser Pfarrer,
Prozess in Mailand angekündigt und alle Hochw. Johann Fischer, zum Prozess nach
140
Häftlinge kamen nach Mailand. Da gab Mailand und hat uns, die Schwester vom
es dann vierzehntägig Besuch. Wir fuh- Konrad und mich, eingeladen, mitzufah-
ren gemeinsam nach Mailand. Um 4.30 ren. Auf der Rückfahrt hat es dann ein
Uhr musste ich von zuhause weggehen, Auto von der anderen Fahrbahn der
Autobahn auf unsere Seite geschleudert. denen gefreut, die Ursache zur Freude
Das Auto vom Herrn Pfarrer war Schrott, hatten. Danach kamen alle wieder zu
der Herr Pfarrer und ich hatten eine gro- ihren früheren Haftanstalten zurück,
ße Platzwunde auf der Stirn. mein Mann nach Trient. In Trient hatten
Ich wachte erst im Krankenhaus Cas- sie beim Direktor einen Stein im Brett
sano d’Adda auf, schon fast kahlgescho- und konnten wieder im Garten arbeiten,
ren. Die Hedwig Matuella hatte einen das war ja für die Gesundheit viel wert.
komplizierten Oberarmbruch. Sie musste Wir Frauen jener Männer, die im Garten
fast den ganzen Sommer über einen gearbeitet haben, konnten sogar einmal
Gipspanzer tragen. Gott sei Dank, muss einen Schritt in den Garten tun. So konn-
ich jetzt, hinterher, sagen, ist nicht viel ten wir sehen, wie unsere Männer die
passiert, es hat niemand einen bleiben- Tage verbrachten. Das war ein Entgegen-
den Schaden davongetragen. Der Herr kommen von Direktor De Mutis.
Pfarrer fuhr schon am nächsten Tag heim, 1966 kamen die Häftlinge wieder
ich durfte wegen meiner Gehirnerschüt- nach Mailand zum Berufungsverfahren,
terung erst einen Tag später fahren. Der da hatte ich schon fast gehofft auf das
Herr Hans Tschöll hat uns in Cassano Ende, aber wieder eine Enttäuschung. So
abgeholt. Ich blieb ein paar Tage bei ging es wieder weiter nach Trient; jeden
meinen Eltern, die Wunde ist schnell Montag eine halbe Stunde Besuchszeit.
verheilt und auch die Haare sind schnell Die letzten vier Monate konnte mein
nachgewachsen. Mann einen Antrag stellen, um in ein
Auf die nächste Besuchsfahrt musste Bezirksgefängnis zu kommen. Mein
ich verzichten, die Kinder nahm ich nur Mann entschied sich für Brixen, aber das
einmal nach Mailand mit. Der Besucher- war keine gute Lösung, die Fahrt nach
raum in Mailand war ein großer Saal, Brixen war gleich weit wie nach Trient.
alles aus Stein, der große Steintisch war Nur die Entlassung am 19. Mai 1968
in der Mitte durch ein Gitter geteilt, so- war in Brixen bestimmt angenehmer als
dass man nur mit Streckübungen die sie in Trient gewesen wäre. Die Brüder
Hand des Mannes berühren konnte. Die Franz und Paul Gamper haben ihn auch
Kinder durften aber immer in Begleitung besucht und waren bei der Entlassung
der Wachleute über dem Tisch zum Va- dabei. Auch andere Bekannte kamen
141
ter. nach Brixen, um bei seiner Entlassung
Im Juli kam dann das Urteil, für man- dabei zu sein. Der Schwager Fritz hat uns
che eine Freude und für viele eine große – mich und die Kinder – nach Brixen
Enttäuschung. Man hat sich aber mit gebracht, um den Heimkehrer abzuho-
len. Bei Gampers waren wir dann zu ei- Buben, die Brüder Walter aus Neumarkt,
nem kurzen Aufenthalt eingeladen. Lui- trugen Gedichte vor und überreichten
se und Familie hatten wunderbare Spe- Blumen. Auch verschiedene andere Leute
zialitäten vorbereitet. waren gekommen zur Begrüßung, wir
Wir fuhren dann nach Terlan, wo sich wohnen ja außerhalb des Dorfes. Seit
mein Mann mit einem seiner sieben Ge- dem 19. Mai 1968 sind wir wieder
schwister traf und dann ging es nach beisammen. Unter uns Häftlingsfrauen
Hause. Da wartete die Musikkapelle, der hat sich eine Beziehung ergeben, die uns
er ja schon vorher angehört hatte und heute noch manchmal zusammen-
empfing ihn mit Marschmusik und zwei führt.
MAN SAH IHM DEUTLICH
DIE MISSHANDLUNG AN
Maria Mitterhofer
Maria Mitterhofer, geborene Lex, mit die junge Ehe
wurde am 9.6.1935 in Meran geboren nicht gefährdet
und hat dort die Volksschule besucht. Mit wurde: Einerseits,
19 Jahren besuchte sie in Rotholz (Nord- weil er in einer so
Tirol) die Haushaltungsschule. Mehrere heiklen Angele- Maria Mitterhofer
Jahre war sie bei der Obermaiser Bürger- genheit das nöti-
kapelle Marketenderin, wo sie ihren ge Vertrauen zu mir hatte und anderer-
Mann kennenlernte. 1958 hat sie dann seits, weil er dadurch nachts ungeniert
Sepp Mitterhofer geheiratet, dem sie vier dieser Tätigkeit nachgehen konnte.
Kinder schenkte. Zwei Buben vor seiner Außerdem war er auch bei der Mu-
Verhaftung und zwei Mädchen nach acht sikkapelle aktiver Musikant, war im Orts-
Jahren Gefängnis. Neben der Arbeit als ausschuss der SVP tätig und bei der Bau-
Bäuerin versorgte sie auch die Gäste auf ernjugend. Dadurch war er viel von zu
dem Hof. Seit der Gründung des Orts- Hause fort und deshalb war die Offen-
bäuerinnenrates 1980 war sie dort tätig. heit zwischen uns sehr wichtig, sonst
Von 1990–1994 war sie Ortsbäuerin bzw. wäre die Ehe wohl in Krise geraten. 1959
Stellvertreterin. bekamen wir einen Stammhalter, mit
dem wir unsere helle Freude hatten.
«Nachfolgend möchte ich meine Er- 1961 wurde ich wieder schwanger. Als
lebnisse als Häftlingsfrau schildern, wel- der zweite Bub aber zur Welt kam, war
che meinen weiteren Lebensweg und mein Mann bereits zwei Monate im
meine ganze Familie geprägt haben. Gefängnis. Es ist sicher gut so, dass man
Als ich im Februar 1958 meinen nicht ahnt, was man im Leben alles mit-
Mann, Sepp Mitterhofer, heiratete, hatte machen muss, sonst würde wohl so
er sich bereits für den Widerstand gegen mancher am eigenen Schicksal zerbre-
die Überfremdung und Unterdrückung chen. Ich habe die Einstellung meines
unseres Volkes durch den italienischen Mannes, dass es so in unserer Heimat
143
Staat entschlossen. Nachdem sich die Tä- nicht weitergehen könne, dass irgend
tigkeit meines Mannes im Untergrund etwas gegen die Unterdrückung gesche-
vielfach nachts abspielte, hat er mich in hen müsse, mitgetragen, obwohl ich oft
groben Zügen darüber eingeweiht, da- Angst hatte und deshalb habe ich wohl
Mann kam ab und zu herauf, uns zu
besuchen, sonst musste er ja unseren Hof
bearbeiten.
Am 15. Juli kam dann die Hiobsbot-
schaft, dass die Carabinieri meinen Mann
verhaftet und in die Carabinierikaserne
nach Meran gebracht hatten. Damit be-
gann der Leidensweg unserer Familie. Als
wir daraufhin sofort nach Hause fuhren,
musste ich vom Schwiegervater erfahren,
dass man ihn als alten, vom Schmerz
getroffenen Mann – auf der Suche nach
seinem Sohn – von einer Carabinierista-
tion zur anderen geschickt hatte. Obwohl
hochschwanger, beschloss ich, zur Haupt-
kaserne zu gehen und energisch nach
meinem Mann zu verlangen. Nach ersten
Verleugnungen wurde ich schließlich
doch zu meinem Mann vorgelassen. Sein
Frau Mitterhofer mit ihren zwei Söhnen. Ein Foto Anblick war ein Schock für mich: man
für den Ehemann im Gefängnis. sah ihm deutlich seine Misshandlungen
an; sein Kopf war auf das Doppelte an-
geschwollen. Wir durften uns nur unter
mein Schicksal auch etwas besser ertra- Aufsicht wenige Minuten unterhalten.
gen können. Daraufhin wurde mir bewusst, wel-
Anfangs Juli 1961 war ich mit mei- chen Folterungen unsere Männer ausge-
ner Familie in einem Nebenhäusl beim setzt waren und wie hilflos wir zusehen
Gasthof Taser am Schennerberg in der mussten. Auch meine Schwiegereltern,
Sommerfrische. Da erinnere ich mich, die bis dato von der Untergrundarbeit
dass mehrere Männer, darunter auch ihres Sohnes keine Ahnung hatten, konn-
Sepp Kerschbaumer, zu einer Sitzung ten den Schicksalsschlag nur schwer ver-
144
zusammengekommen waren. Es sollte kraften.
die letzte mit ihm sein; dort haben sie Dann begannen die wöchentlichen
ausgemacht, dass wieder mehrere Ma- Besuche im Gefängnis. Nach der Geburt
sten gesprengt werden sollten. Mein unseres zweiten Sohnes besuchte ich
Sepp, meinen Mann, im Gefängnis von aus Schenna namens Sepp Pföstl (Hilbur-
Bozen, um ihm unser Neugeborenes zu ger), nahm mir dann die meisten Arbei-
zeigen. Dieser herzzerreissende Besuch, ten am Hof ab.
zusammen mit der Geburt, hatte mich Doch nicht nur positives Echo war aus
derart geschwächt, dass ich anschließend der Bevölkerung zu verspüren, es gab
einen Nervenzusammenbruch erlitt. Die auch Anfeindungen, z. B. bekam ich den
ganze Tragödie brach über mich herein: Ausspruch zu Ohren: «Die Bombenleger
Die Arbeiten am Hof mussten fortgeführt sollten aufgehängt werden.»
werden, die Ernte stand vor der Tür und Später nahm ich manchmal den drei
die kleinen Kinder brauchten meine Zu- Jahre alten Seppl mit auf Besuch. Er
wendung. durfte dann für kurze Zeit auf die andere
Die schier unüberwindlichen Hürden Seite des Tisches zu seinem Vater hin-
konnte ich nur bewältigen, da ich den übergehen. Diese Gelegenheit hat mein
Rückhalt von Sepps Familie, besonders Mann dann in einem unbewachten Au-
meines Schwagers Jakob und meiner ei- genblick ausgenützt und dem Buben ei-
genen Geschwister hatte. Auch die Mai- nen Brief über die schweren Misshand-
ser Bauern waren in den ersten Jahren lungen in die Kapuze gesteckt. Ein ande-
beim Bäumeschneiden behilflich. Ein res Mal habe ich für meinen Mann ein
fleissiger, ständig angestellter Bauernsohn kleines Transistorradio und ein Taschen-

Regelmäßig besuchten die Ehefrauen und Angehörigen ihre Lieben in den Gefängnissen. Maria von Sölder
war den Angehörigen eine stete und sichere Hilfe.

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messer hineingeschmuggelt. Das war vorgeführt worden. Diese demütigende
nicht ungefährlich für ihn, denn sie wur- Vorstellung wurde ihm erspart, weil die
den vor und nach dem Besuch immer Teilnahme doch verboten wurde.
von den Wachen abgetastet. Hätten sie Im Sommer desselben Jahres fand der
es gefunden, dann wäre er strafversetzt Carabinieri-Prozess in Trient statt, bei wel-
oder zumindest einige Tage in den Keller chem wir Häftlingsfrauen mitansehen
gesperrt worden. mussten, wie die angeklagten Folter-Ca-
Die ersten Weihnachten waren be- rabinieri frei in den Gerichtssaal geführt
sonders schlimm. Die Kerze am Fenster wurden, unsere Männer hingegen, die in
des Hofes bzw. am Gefängnisfenster diesem Falle Ankläger waren, in Ketten
sollten unsere Verbundenheit symbolisch vorgeführt wurden. Das Urteil war ein
ausdrücken. Hohn: Sie wurden freigesprochen und
Der Tod von Höfler und Gostner im sogar noch befördert. Im Laufe dieses
Winter 1961/62 weckte die Angst in uns Jahres sah ich mich gezwungen, die Füh-
Häftlingsfrauen, dass unsere Männer rerscheinprüfung abzulegen um selbst-
dasselbe Schicksal ereilen würde. ständiger zu werden und damit die Ver-
Nach einem Hungerstreik wurden die wandten zu entlasten. Die eine und an-
Anführer, darunter mein Mann, nach dere Häftlingsfrau hatte so die Gelegen-
Vicenza strafversetzt. Damit verlängerte heit, mit mir zum Besuch zu fahren.
sich der Anreiseweg unserer wöchentli- All die Jahre hindurch hatte ich im-
chen Besuche. Die Unterbringung im mer großes Glück. Nie stieß mir etwas
dortigen Gefängnis unter menschenun- zu. Sogar jene Situation ging glimpflich
würdigen Bedingungen (feucht, kalt) und ab, als sich auf einer meiner Fahrten ein
die Radikalhungerkur von Sepp – er war Rad lockerte und sich schließlich sogar
nämlich zu dick und hatte Angst, dass es vom Auto löste.
ihm so ergehen würde wie seinem Ka- Im Herbst 1963 trat eine Nachbarin
meraden Toni Gostner – brachte ihm mit perfekten Italienischkenntnissen an
Herzbeschwerden ein. Wir durften einen mich heran und machte mir den Vor-
Vertrauensarzt konsultieren, der uns be- schlag, zusammen bei Staatsanwalt Gre-
schwichtigen konnte. sti in Mailand vorzusprechen, um viel-
Im Frühjahr 1963 verstarb der leicht auf diesem Wege eine Haftentlas-
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Schwiegervater. Die große Frage war, ob sung von Sepp zu erreichen. Der Staats-
Sepp zur Beerdigung kommen durfte anwalt konnte uns keine Hoffnung ma-
oder nicht. Viele Schaulustige stellten sich chen; der Prozess stehe demnächst vor
dieselbe Frage. Falls ja, wäre er in Ketten der Tür.
Tatsächlich begann er in Mailand im teilt. Dies war auch für den Rest der
Dezember desselben Jahres und zog sich Familie zu Hause eine Tragödie: Wir
über sieben Monate hin. In dieser Zeit mussten die nächsten Jahre ohne den
fuhren wir Häftlingsfrauen sowohl zu den Mann bzw. Sohn auskommen. Meine
Verhandlungen als auch in zweiwöchi- Schwiegermutter, eine sehr religiöse Frau,
gem Abstand mit dem Bus zu den Besu- hat sich damit zu trösten versucht, dass
chen unserer Männer. Dies stellte eine sie sich sagte, der Herrgott mische sich
große psychische Belastung für uns alle nicht in die Politik ein. Für mich stellten
dar. Die Urteilsverkündung spät in der die beiden Buben einen großen Trost dar.
Nacht im Juli 1964 ließ für viele eine Welt Sie gaben mir die Kraft zum Weiterma-
zusammenbrechen. Mein Mann wurde chen. Einmal, als ich sehr traurig war,
zu insgesamt 12 Jahren Gefängnis verur- kam der sechsjährige Seppl zu mir und

Im Jahre 1997 erhielt Maria Mitterhofer auf Schloß Tirol als Anerkennung für ihre Leistung als Häftlingsfrau
das Goldene Verdienstkreuz des Landes Tirol. Frau Maria Mitterhofer im Kreis ihrer Familie.

147
versuchte, soweit es ihm in seiner kind- te so z. B. fast acht Jahre lang meinen
lichen Art möglich war, mich zu trösten. Mann und seine Zellenkameraden u.a.
Unser Leben war ein ständiges Auf mit Griesschmarrn.
und Ab an Hoffnungen. Mal hofften wir 1966 wurde beim Berufungsprozess
auf eine politische Lösung, mal wieder in Mailand dem Sepp ein Teil seiner Stra-
auf eine Amnestie. Doch immer wurden fe erlassen: zwei Jahre Strafverminderung
wir eines Besseren belehrt. Wir wurden und zwei Jahre Amnestie. So blieben
mit den unglaublichsten Situationen kon- noch insgesamt acht Jahre, von denen er
frontiert: So versprach mir eine mir un- fünf bereits hinter sich hatte.
bekannte Frau, sie werde mit einem ehe- Die restlichen drei Jahre verbrachte
maligen Schulfreund, der jetzt Staatsan- er in Trient. Lediglich die letzten drei Mo-
walt sei, Kontakt aufnehmen und so nate konnte er im Bezirksgefängnis von
versuchen, meinen Mann aus dem Ge- Schlanders zubringen. Diese Nähe zur
fängnis zu holen. Als Gegenleistung Heimat schuf einen höchst willkomme-
musste ich auf ihren Hund aufpassen, nen Übergang von den acht harten Jah-
während die Herrschaften in Urlaub fuh- ren Gefängnis zurück in die Freiheit.
ren. Die Kratzspuren an der Stubentür Durch die lockere Atmosphäre und die
legen heute noch Zeugnis davon ab. Ein- vielen Besuche von Bekannten und
mal kam sogar ihr Mann zu mir und ver- Freunden konnte mein Mann sich lang-
langte Geld, um für das Auto von sei- sam in die Gesellschaft wieder einglie-
nem Sohn Schneeketten kaufen zu kön- dern.
nen. Die Gespräche mit dem Staatsan- Am Herz-Jesu-Sonntag, Mitte Juni,
walt – ob tatsächlich durchgeführt oder kam der große Augenblick: Mein Mann
nur gelogen – haben jedenfalls nichts wurde in die Freiheit entlassen. Nach
gefruchtet und schließlich gaben wir einer Messe und einer kleinen Feier in
auch diesen Versuch auf. einem Gasthof in Schlanders mit Hans
Sepp arbeitete inzwischen als Tisch- Dietl und anderen Freunden, gab es ei-
ler im Trienter Gefängnis und die letzten nen großen Empfang zu Hause, bei dem
zwei Jahre beaufsichtigte er die Hühner- die Musikkapelle aufspielte, viele Ver-
zucht. Dies gestattete ihm ein wenig wandte und Nachbarn zugegen waren
Kurzweil und Abwechslung im tristen und sich mit uns über die Heimkehr freu-
148
Gefängnisdasein. Die wöchentlichen ten.
Familienbesuche taten ein übriges dazu. Natürlich bedurfte es noch einiger
Jede der Frauen durfte außerdem Zeit, bis sich alles normalisierte. Mit Sepps
Hausmannskost mitbringen. Ich versorg- Gesundheit stand es nicht zum besten;
nur durch ständige Kontrolle, Diätkost dass damals die Anschläge einfach not-
und eisernen Willen gelang es ihm, sei- wendig waren und das hat mir in den
nen Zustand zu verbessern. acht Jahren des Wartens auf meinen
Wenn ich heute zurückschaue auf Mann auch wieder viel Kraft zum Durch-
diese Zeit des Wartens und Bangens, halten gegeben. Als Anerkennung und
dann muss ich sagen, dass es wohl eine Dank für diese Leistung als Häftlingsfrau,
schwere Zeit war, aber ich erlebte auch zum Wohl unserer volkstumspolitisch und
viel Freude und Solidarität von Mitmen- sozial schwer bedrohten Heimat in den
schen, welche mir wieder die Kraft ga- sechziger Jahren, habe ich 1997 auf
ben zum Durchhalten. Ich habe zwar Schloss Tirol das goldene Verdienstkreuz
manchmal mit Gott und dem Schicksal vom Land Tirol erhalten, mit dem ich
gehadert, ich gebe es offen zu, aber ich selbstverständlich eine große Freude
war, wie mein Mann, davon überzeugt, habe.»

149
WIE VIELE TRÄNEN FLOSSEN, BLIEB VERBORGEN
Midl von Sölder

Ein Großteil der Bevölkerung Südti- Neapel, Mailand


rols sympathisierte am Beginn der Bom- und zuletzt Jenesi-
benjahre mit den Aktivisten. Doch dies en. Im September
geschah meist im Verborgenen und Ge- 1945 erfolgte ihre Midl von Sölder
heimen. Nur wenige hatten den Mut, Entlassung aus
offen für das Recht der Verfolgten einzu- amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
treten. Ein wahrer Engel für die durch Im Mai 1946 kam sie im Schwarz-
die große Verhaftungswelle in Not gera- gang über Eppan nach Bruneck, wo sie
tenen Familien wurde die zwar zierliche, als einzige Arbeit die nächtliche Wache
aber in ihren Handlungen großartige Midl am Rainturm übernehmen konnte.
von Sölder. Über die verschiedensten Aushilfsar-
Maria von Sölder, geboren 1910 in beiten landete sie für 15 Jahre beim
Bruneck, wurde mit 16 Jahren von Ka- Südtiroler Kulturinstitut als Abschluss ih-
nonikus Gamper für den Katakomben- rer Laufbahn.
unterricht angeworben und ausgebildet.
Daraus erwuchsen ihr mancherlei Unbil- «Die Feuernacht, der Notschrei eines
den. Das und die politische Einstellung unterdrückten Volkes, der nicht nur in
zuhause haben sie und ihr Leben ge- der römischen Regierung gehört und
formt. Und das wurde bunt: Nach drei verstanden werden, sondern auch weit
Jahren Katakombendienst war sie Erzie- über die Landesgrenzen hinaus die Welt
herin in Venedig und Turin. für das Problem Südtirol hellhörig und
Nach Südtirol zurückgekehrt, war sie aufmerksam machen sollte. Die Nachrich-
Katakombenlehrerin in Eppan, um dann ten von Festnahmen, von unmenschli-
in den Dienst bei der amtlichen Groß- chen Folterungen bei den Verhören und
deutschen Ein- und Rückwanderstelle in von Inhaftierungen kreisten im Volke und
Bozen zu treten. Vor dem Abschub durch lösten eine Welle der Empörung aus.
die italienische Behörde wanderte sie In den berechtigten Stolz über den
151
nach München aus. Bei Kriegsbeginn Mut der Männer mischte sich nun die
wurde sie zur Funkerin der deutschen Sorge um ihre Gesundheit und um ihr
Luftwaffe ausgebildet – leistete Funk- Leben. Trotz aller Sorge blieb aber immer
dienst bis Kriegsende in München, Rom, auch die heimliche Freude über jeden
neuen gefallenen Masten. Kannte ich de ich ihrer gewahr, wenn ich gerade zu
auch zu dieser Zeit noch keinen von ih- einer der dunkelsten Stunden daherkam.
nen, so fühlte ich mich doch ihnen allen Da traten körperliche und seelische Pro-
verbunden. Über die Sorge um die Män- bleme und Nöte zutage, zu denen sonst
ner wären deren Familien beinahe ver- nur schwerlich Zugang zu finden gewe-
gessen worden. sen wäre und über diese Herr zu wer-
Gretl Koch, selbst eine der Betroffe- den, schien schier unmöglich. Zu viel Leid
nen, sorgte dafür, dass dies nicht ge- und Elend stürzte auf die Frauen ein und
schah. Es entstand sehr schnell eine Zu- nicht alle hatten die nötigen Kräfte, dem
laufstelle in ihrem Geschäft. Sie war dort entgegenzusetzen. Doch jede tat ihr
immer erreichbar und immer bereit, fand Möglichstes. Im einzelnen die aus den
immer die Zeit, den «Häftlingsfrauen» beinahe unmenschlichen Anforderungen
zuzuhören, mit ihnen über ihre Probleme erwachsenen Folgen zu schildern, bin ich
und Sorgen zu sprechen. Gretl Koch war nicht befugt, da die Betroffenen selbst
eine von ihnen und schon auch daher darüber am liebsten schwiegen.
vertrauter mit ihnen als ich. Für mich war Die Männer und Väter fehlten über-
sie die erste und zuverlässlichste Infor- all. Nicht nur die Frauen, sondern auch
mationsquelle – ohne sie hätte ich so die Kinder fühlten sich einsam und sich
manches wahrscheinlich nicht erfahren. selbst überlassen, trotz aller mütterlichen
Es tat sich ein Meer vielfältigster Sor- Bemühungen. Und Kinder gab es in eini-
gen, neuer Verantwortungen, neuer Ver- gen Familien 2, 3, in anderen bis zu 6,
pflichtungen und manchmal auch tiefer vom Kleinkind bis zum Jugendlichen. Sie
Verzweiflung auf. Alles, was die Frauen alle hätten der Väter bedurft und konn-
bisher mit ihren Männern gemeinsam ten sich nur schwer mit den neuen
getragen hatten, lastete plötzlich allein Umständen zurechtfinden.
auf ihnen. Dazu die Ungewissheit über Mitunter war ich auf bloße Vermu-
das Schicksal der Männer, über die Dau- tungen und Wahrnehmungen angewie-
er dieses Zustandes – und was würde sen, sodass die tatsächliche Notlage mir
noch alles kommen? spät und dann nur bruchstückweise zur
Die Selbstverständlichkeit, mit der Kenntnis kam – zum Teil erschreckend
diese Frauen alles auf sich nahmen, zu bis katastrophal. Wie konnte da gehol-
152
ihren Männern standen und sie zu schüt- fen werden? Wo anfangen?
zen wussten, ist mehr als bewunderns- Nachdem sich um die Frauen und die
wert. Wie viele Tränen flossen, blieb al- Familien bislang offensichtlich niemand
lerdings verborgen. Nur ganz selten wur- so recht kümmerte, sah ich darin eine
Verpflichtung, der ich wenigstens ver-
suchen wollte, gerecht zu werden.
Aus eigenem Antrieb und in eigener
Regie begann ich mich der Sache an-
zunehmen, sie zu meiner eigenen zu
machen. Ungerufen und nicht ent-
golten.
Als Berufstätiger verblieben mir
für diese Aufgabe nur die Stunden
zwischen und nach der Dienstzeit,
Samstag, Sonntag und vorgezogene
Urlaubstage. Wenn man aber auch
mit der Nachtzeit nicht geizt, ist das
Zeit genug, um etwas in Gang zu
bringen. Was ich an Geld sammeln
konnte, kam unkontrolliert in meine
Hände und durch mich ebenso dort-
hin, wo es gerade am notwendigsten
war. Dass dies ohne Quittungen ge-
schah, erschien mir aus verschiede-
nen Erwägungen heraus opportun
und deshalb selbstverständlich. Ein
Zeichen gegenseitigen Vertrauens.
Nur wer selbst ohne Eigennutz zu ar-
beiten außerstande ist, könnte sich
an dieser meiner Arbeitsmethode sto-
ßen. So dachte ich damals und so
denke ich noch heute.
Als dauernde Hilfe kamen bald
die monatlichen Beträge von der Ti-

153

Midl von Sölder war Tag und Nacht


auf dem Weg, um Hilfe für die Häftlinge
und deren Angehörige zu besorgen.
roler Landesregierung, die auf die Bedürf- dafür. Allein hätte ich es nicht geschafft.
nisse der einzelnen Familien abgestimmt Natürlich flossen zu dieser Zeit auch
waren. Diese galt es zuzustellen, soweit die Spenden reichlicher. Einen Teil davon
es den Frauen nicht möglich war, sie in dachte ich den Männern zu übergeben,
Bozen abzuholen. Manchen fehlte dafür in der Annahme, dass sie sich freuen und
Zeit und Geld. An einigen Orten funktio- dafür Verwendung finden würden. Ich
nierte auch die Nachbarschaftshilfe. Die- habe es auf das Konto eines jeden im
ser Beweis des Zusammenstehens war in Bozener Gefängnis überwiesen. Das
gewissem Sinne noch wertvoller als Geld. wurde eine Prozedur!
Dies wohl auch für die Männer «drin- Der Beamte am Schalter war mehr
nen». Auch Verwandte und Bekannte als erstaunt, als ich ihm die vollständige
aus Südtirol und anderswo und Freunde Namensliste der Empfänger vorlegte und
der abwesenden Familienväter suchten erklärte, dass ich für jeden 20.000 Lire
und pflegten die Verbindung zu den Fa- überweisen wolle. Da es ihn sichtlich
milien. überforderte, die vielen deutschen Na-
Dass die seelischen Kräfte der Men- men zu entziffern, übernahm ich deren
schen in Notzeiten wachsen, zeigte sich Eintragung in sein Journal und er schrieb
wieder einmal daran, wie die Frauen den jeweils gleichbleibenden italienischen
ihren Anteil an Leid und Sorgen trugen. Text dazu. So kam im Laufe von ein paar
Es traf sie viel und hart. Aber sie waren Stunden unter viel Stöhnen seinerseits die
jung und stark und zeigten sich der Arbeit zu Ende und ich setzte ordnungs-
Situation gewachsen. Ich musste sie nur halber meinen Namen darunter.
immer wieder bewundern. Am schwer- Wahrscheinlich zu flott, denn ihn zu
sten trugen die Mütter das Missgeschick entziffern, bereitete ihm ebensoviel Mühe
ihrer Söhne. Sie zu besuchen und mit wie die Errechnung der Überweisungs-
ihnen zu sprechen war das Traurigste, summe. Es gelang ihm auf seine Weise,
was ich in dieser Zeit erlebte. denn als ich endlich ging, sagte er in
Zur Weihnachtszeit öffnen sich die strammer Haltung: «La riverisco, signora
Herzen. Lebkuchen, Kinderkleider und Scelba!»
Spielsachen schneite es förmlich herein. Er schien sich von der vermeintlichen
Eine Schar von Jugendlichen half die Begegnung mit dieser Dame weit mehr
154
Sachen zu sortieren, in Pakete zu verpak- geehrt zu fühlen, als ich mit der Verun-
ken und diese zu den Familien zu brin- glimpfung meines guten Tiroler Namens.
gen. Sie taten es mit Umsicht und Freu- Nach der Verlegung der Inhaftierten
de und ich danke ihnen noch heute nach Mailand, wo die Vorbereitung zum
155

Im Vordergrund v.l.n.r.: Schweigkofler Midl, Mitterhofer Maria, Jakob Mitterhofer, Luis Santer
Prozess und auch der Prozess selbst statt- gische Fälle kamen und blieben aber
finden sollten, mussten für die Fahrten immer noch. Was weiter blieb, waren
der Frauen an den Besuchstagen und private Helfer, die immer wieder bereit
später zum Prozess Autobusse bereitge- waren, in Härtefällen einzuspringen.
stellt werden. Diese Fahrten stellten für Die Südtiroler Heimatfernen, das
die Frauen eine neue und große Bela- Hilfswerk für Südtirol in München, Grup-
stung dar. Vom Vinschgau aus, mit Be- pen und Vereine und Private hier und in
ginn in Burgeis, Tartsch, Prad, Eyrs, Laas, Österreich und Deutschland, die halfen,
Göflan, Schlanders nach Meran zu kom- aber nicht genannt werden wollten, gab
men, bedeutete, sich bald nach Mitter- es auch immer. Trotzdem blieben aber
nacht auf den Weg zu machen. Lücken, die weder sie noch ich zu stop-
Der Autobus fuhr um 5.00 Uhr von fen imstande waren. Alles Bemühen
Meran ab, um 6.00 Uhr von Bozen. Die reichte eben doch nur zu einem Flick-
Fahrtteilnehmer aus dem Pustertal von werk aus gutem Willen und Hilfsbereit-
Gsies, Welsberg, Mühlen und Bruneck schaft.
und von Thuins, Sterzing und Vahrn Die Auslandsfahrten brachten mitun-
mussten ebenso früh von Brixen abfah- ter auch Spaß an der Grenze – ich trug
ren. So fuhren sie zu nachtschlafender fast immer etwas bei mir, was keiner, am
Zeit fort und kamen todmüde am späten wenigsten aber der Zollbeamte finden
Abend wieder heim. Es waren keine Ur- sollte. Einmal konnte ich in Innsbruck
laubsfahrten, sie boten aber Gelegenheit Lederhosen für die Kinder der Häftlinge
zu Gedanken- und Erfahrungsaustausch besorgen, die ich im Taxi hereinbrachte.
im Familienkreis. Mein Taxifahrer war einigermaßen be-
Die Frauen waren wieder einmal ganz sorgt darüber, dass ich den umfangrei-
unter sich. Frohsinn konnte allerdings chen Karton einfach am Rücksitz haben
nicht aufkommen, denn Angst und Sor- wollte. Am Brenner ließ ich es mir im
ge fuhren immer mit. Man wusste nie, Laufe des Gesprächs mit dem Zöllner
was bei dem bevorstehenden Besuch schlecht werden. Ich mimte eine Gallen-
wieder Schlimmes zu erfahren war. Der kolik scheinbar so echt, dass er auf mei-
Ausgang des Prozesses zerstörte manche ne Bitte um ein Glas Wasser dies im
Hoffnungen, die im Laufe der Zeit auf- Laufschritt holte.
156
gekeimt waren. Die schwere Zeit begann Nachdem ich einen Schluck getrun-
für viele aufs Neue. ken hatte, fragte er, ob es mir nun bes-
In den Familien hatte sich inzwischen ser ginge, was ich mit einem Kopfnicken
das eine oder andere eingelaufen – tra- beantwortete. Ob aus Mitgefühl oder aus
Angst, dass mir Schlimmeres passieren Südtirolern angefangenen Kampf, trat er
könnte, was für ihn sicher Umstände in die Rolle des Anführers.
gebracht hätte, wünschte er uns – ohne Im Rahmen eines Lehrausfluges wur-
auch nur einen Blick auf den Karton de Andergassen im Jahr 1964 in Venedig
geworfen zu haben – eine gute Fahrt verhaftet und beim zweiten Mailänder
und frohe Weihnacht. Nach einiger Zeit Sprengstoffprozess mit 24 anderen vor
fragte nun auch mein Fahrer, ob ich mich Gericht gestellt und zu einer Höchststra-
erholt hätte. Ich hatte Mühe, ihn davon fe verurteilt. Im Gefängnis wurde ihm
zu überzeugen, dass ich mich nie anders sehr übel mitgespielt. Er wurde ständig
als gut gefühlt habe. So einfach war es, in ein anderes Gefängnis verlegt, zum
anstandslos über Grenzen zu kommen. Teil anonym, sodass man nicht mehr wus-
Übrigens, Herr Hanspeter blieb von nun ste, wo er sich aufhielt.
an, wann immer ich ihn brauchte, MEIN In seiner unnachahmlichen Art half
Fahrer. Leider lebt auch er nicht mehr. er dann in Florenz, wo er damals einsaß,
Manches hat sich verändert: Die Fa- bei der großen Überschwemmung uner-
milien sind gewachsen, die Kinder von müdlich und mit anderen nicht politi-
damals erwachsen und selbständig ge- schen Häftlingen, die Apsis einer Kapelle
worden. Das Leben hat sich normalisiert. freizuschaufeln, die 2 1/2 Meter unter
Ein Treffen zu guter Stunde weckt alte Schlamm stand. Deshalb wurden einige
Vertrautheit und viele Erinnerungen. inhaftierte Helfer begnadigt. Er selber
Gute und andere, Hoffnung und Enttäu- wurde dann in Einzelhaft nach Volterra
schungen. So ist es wohl nur ein schwa- verlegt, ein berüchtigtes Schwerverbre-
cher Trost, dass, wenngleich so viel Leid chergefängnis, wohl weil man glaubte,
und Opfer nicht alles Erstrebte erreicht, noch einiges aus ihm herauspressen zu
doch wenigstens vieles bewirkt werden können. Nach sieben Jahren wurde er
konnte.» am 19. Dezember 1970 entlassen.
In Südtirol konnten sich wenige Ak-
Nach der Feuernacht war der BAS in tivisten durch Flucht der drohenden Ver-
Südtirol fast gänzlich zerschlagen wor- haftung entziehen. Luis Amplatz aus
den. In Nordtirol übernahm Günther Bozen-Gries musste schon einige Tage
Andergassen die Führung des BAS. Gün- vor der Feuernacht das Land wegen ei-
157
ther Andergassen war ein durch und ner bevorstehenden Verhaftung verlas-
durch musischer Mensch. Aus Liebe zu sen. Steger Siegfried und Forer Josef aus
seiner Heimat, zu seinem Tiroler Land Mühlen in Taufers flohen einen Tag nach
und aus Verantwortung zu dem von den der Feuernacht über die Berge nach
Nordtirol. Auch Georg Klotz flüchtete Niemand kann die damaligen
nach Nordtirol und für ihn und alle Ge- Ereignisse besser beschreiben, als die
flüchteten begann eine Zeit des Leidens Ehefrau von Georg «Jörg» Klotz. Von
und des Heimwehs. Sie alle waren von Anfang an stand sie voll und geradezu
der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt mit Begeisterung hinter dem Einsatz für
und bereit, den Kampf weiterzuführen. die Heimat ihres Mannes.

158
2. Mailänder Südtirolprozess, 20. April 1966: die Angeklagten, 1. Reihe von links nach rechts: Franz Fischer,
Andreas Ladurner, Josef Alber, Rudolf Kofler, Hugo Knoll – 2. Reihe: Joachim Dunkel, Franz Ebner, Günther
Andergassen, Josef Laner, Richard Gutmann. – Das Bild zeigt nicht alle Angeklagten
13. Juni 1968: Urteilsverkündung im Berufungsverfahren zum 2. Mailänder Südtirolprozess: Das Urteil der 1.
Instanz, die 333 Jahre Kerker verhängt hatte, wurde um weitere dreißig Jahre verschärft. Franz Ebner und
Richard Kofler (links) mussten im Gefängnis bleiben, Andreas Ladurner (Mitte) konnte heimkehren, Günther
Andergassen erhielt 30 Jahre.
«IHR MANN, WO IST ER?»
Rosa Klotz

Rosa Pöll wurde am 30. November Der Ehe ent-


1920 als drittes der elf Kinder einer sprossen 6 Kinder,
Bergbauernfamilie in Ulfas, einer klei- um die sich Rosa
nen Fraktion der Gemeinde Moos im Klotz nach der
Passeiertal, geboren. Besuch der unter Flucht ihres Man-
Rosa Klotz
der damaligen faschistischen Gewalt- nes vor politischer
herrschaft rein italienischen Volksschu- Verfolgung durch die italienische Staats-
le. Anschließend Dienstmädchen bei macht allein kümmern musste.
verschiedenen Familien in Meran. Vom 12. Oktober 1966 bis zum 21.
Als im Optionsjahr 1939/40 die Dezember 1967 war Rosa Klotz in Un-
deutschen Sprachkurse zur Ausbildung tersuchungshaft in italienischen Ge-
von Hilfslehrern für die Kinder der Op- fängnissen und musste schmerzlich er-
tantenfamilien eingeführt wurden, mel- fahren, was Sippenhaftung ist. Nach der
dete sich Rosa Pöll sofort und besuchte Entlassung aus dem Gefängnis durfte
diese Kurse mit großem Eifer. Bereits sie bis zu ihrem Freispruch im 3. Mai-
ab dem Jahr 1940 unterrichtete sie länder Prozess im Frühjahr 1969 das
unter großen Opfern (weite Schulwege Gemeindegebiet der Stadt Bozen nicht
bei jedem Wetter, einklassige Volksschu- verlassen und unterstand polizeilicher
len, in denen die Kinder aller Schulstu- Meldepflicht.
fen in einer einzigen Klasse zu unter- Bis 1976, dem Todesjahr ihres Man-
richten waren, kaum vorhandene Un- nes, verdiente sie den Lebensunterhalt
terrichtsbehelfe) an verschiedenen Berg- für sich und die Kinder mit einer Art
schulen des Passeiertales. Nach kurzer Studentenpensionat. Erst im Jahre 1976
Unterbrechung der Lehrtätigkeit zum Wiederaufnahme in den Schuldienst. Bis
Ende des Krieges unterrichtete sie von zu ihrer Pensionierung im Jahre 1986
1947 bis zu ihrer Heirat mit dem unterrichtete sie als Stammrollenlehre-
Schmied Georg Klotz im April des Jah- rin an einer deutschen Volksschule der
161
res 1950 als Volksschullehrerin in Ka- Stadt Bozen.
stelruth und St. Oswald und danach Rosa Klotz ist in Bozen wohnhaft
wieder an verschiedenen Passeirer Berg- und hilft vor allem ihren Kindern, die in
schulen. Kurtatsch, Dorf Tirol, Meran, Walten
und Salzburg verheiratet sind und eige- italienischen Behördenvertretern zu tun,
ne Familien gegründet haben. Beson- die seine Aktivitäten im ganzen Land mit
dere Freude hat sie an ihren 14 Enkel- kritischen Augen verfolgten.
kindern, denen sie eine verständnisvol- Nach den ersten Anschlägen in den
le und begeisterte Schuloma ist. fünfziger Jahren wurde er mit folgendem
Angebot konfrontiert: Man wisse, dass
«Als mein Mann, Georg Klotz, eines er ein politisch denkender und handeln-
Tages aus Meran nach Walten zurück- der Mensch sei, aber wenn er sich jeder
kam und mir die folgende Begebenheit antiitalienischen Aktion enthielte, wolle
erzählte, wusste ich, dass dies unser gan- man ihm für den Rest seines gesamten
zes weiteres Leben bestimmen würde. Lebens eine Monatsrente in der Höhe
Seitdem er aus dem Krieg und der Ge- eines Offiziersgehaltes ausbezahlen. Jörg
fangenschaft zurückgekehrt war, widme- hatte daraufhin nur gesagt: «Meine Her-
te er sich vor allem dem Wiederaufbau ren, Sie wissen, ich bin Tiroler!»
des Schützenwesens in Südtirol. Zwangs- Ich war froh, dass mich Jörg von
läufig hatte er dabei mit maßgeblichen Anfang an nicht in alle Details eingeweiht

Glückliche Tage in Walten. Jörg Klotz mit seinen ältesten Kindern Eva und Wolfram.

162
hat und ich habe ihn vor allem dann zeigte sich, wie wichtig diese Vorkehrung
später, als er bereits im Exil in Österreich war. Immer häufiger kamen jetzt auch
war, immer wieder beschworen, mir nicht Leute mit dem Wagen aus Nordtirol, um
zu viel zu sagen, damit ich tatsächlich Sachen abzuladen. Wenn mein Mann
nicht zu viel wusste, sollte mich die Po- nicht daheim war, habe ich in der Nacht
lizei ausfragen. Und damit musste ich ja die Sprengstoffpakete und anderes ent-
immer rechnen. Ich hatte mich darin gegengenommen und unter den Ehebet-
auch nicht geirrt. ten verstaut. Auch wusste ich genau, was
Ich wusste in den späten fünfziger immer griffbereit zu sein hatte: eine dik-
Jahren natürlich schon, was im Gang war. ke Joppe, das Fernglas, der Rucksack und
Ich kannte jedoch nur sehr wenige Na- der Pfeffer. Die Waffen, einige Gewehre
men und Gesichter und war auch bei und Jörgs Pistole waren bereits im Bun-
den verschiedenen geheimen Treffen in ker. Ein Kilo Pfeffer war sozusagen die
unserer Stube nicht dabei. Ich hatte aber Versicherung gegen die Entdeckung
genau mitbekommen, dass es bald ernst durch Spürhunde: der Pfeffer in ihrer
würde: Es hatten sich Ende 1959 oder Nase setzte sie außer Gefecht.
Anfang 1960 wieder einmal mehrere Der Tag X war im Juli 1961 gekom-
Männer in unserer Stube versammelt, als men: Ein Carabiniere kam ins Haus, frag-
Jörg nach dem Kissen mit dem gestick- te nach Jörg, und weil dieser noch nicht
ten Tiroler Adler drauf verlangte. Sie da war, wartete er draußen auf dem Weg
brauchten es für einen feierlichen auf ihn und begleitete ihn dann ins Haus
Schwur. Einen der Männer kannte ich, es und ließ ihn nicht mehr aus den Augen.
war Sepp Kerschbaumer. Der Carabiniere postierte sich im Gang,
In den Monaten danach wurde es versperrte Jörg den Ausgang. Später er-
sehr hektisch: Jörg war noch mehr zu fuhren wir, dass ein Jeep mit mehreren
Versammlungen und Treffen im ganzen Carabinieri draußen im Dorf auf ihn und
Land unterwegs als sonst und in seiner Jörg wartete. Wir hatten gerade die
Schmiedewerkstätte wurden viele Vorbe- Küche ausgeweißt, die Kredenz stand
reitungen getroffen, er arbeitete dort noch draußen auf dem Balkon. Ich sagte
nicht nur am Amboss. Ich half meinem dem Carabiniere, der sichtlich nervös war
Mann vor allem beim Einrichten eines und vorgab, Jörg nur zu einem Gespräch
163
notdürftigen Unterschlupfs, Bunker ha- nach St. Leonhard mitnehmen zu wol-
ben wir immer gesagt, in dem man sich len, mein Mann müsse zuerst einmal zu
notfalls einige Tage verstecken konnte, Abend essen und dann helfen, die Kre-
sollte es zu einer Flucht kommen. Später denz in die Küche zu tragen, weil es bald
zu regnen anfangen würde, und man das Jörg angesagten Gegenstände in den
Zeug nicht auf dem Balkon stehen lassen kleinen Bach, der zum Betreiben unseres
könne. Sägewerks direkt unter dem Haus vor-
Nachdem Jörg unter dem unablässi- beiführte. Kaum war ich wieder in der
gen Blick des mit Revolver bewaffneten Stube, um gerade noch mein jüngstes
Carabiniere fertig gegessen hatte, trugen Kind, die 6 Monate alte Rösi auf den
wir zuerst das untere Kredenzgestell in Schoß zu nehmen, da pochte es auch
die Küche und ließen uns dabei absicht- schon an der Haustür: «Klotz, öffnen!»
lich Zeit, um mit Zeichen und Flüstern Als ich öffnete, standen mindestens ein
Jörgs Flucht zu vereinbaren. Dann holten Dutzend Uniformierte vor mir. Brigadier
wir das Obergestell vom Balkon in die Bergamo mit seiner Maschinenpistole im
Küche. Während ich nach dem Aufset- Anschlag in vorderster Reihe. «Ihr Mann,
zen dieses Möbelstücks mit meinem Rük- wo ist er?», herrschte er mich an. «Ich
ken die Tür zum Hausgang, auf dem der weiß es nicht», gab ich zurück, «wissen
Carabiniere wartete, zuhielt, konnte Jörg denn Eure Frauen immer, wo Ihr seid?»
über die gegenüberliegende Tür, die von Bergamo war kreidebleich vor Wut und
der Küche direkt in den an das Haus an- stand immer noch da mit dem Gewehr
gebauten Stadel führte, entkommen, von im Anschlag. Manfred, mein siebenjähri-
dort ins Freie gelangen und sich in den ger Sohn, hielt seinen Zeigefinger in den
Wald retten. Als der Carabiniere merkte, Lauf – dieses eigenartige Loch in seiner
dass Jörg nicht mehr in der Küche war, Augenhöhe interessierte ihn wohl!
tobte und schrie er und stürmte dann Es begannen Hausdurchsuchungen
fluchend davon, um schnellstens seine ohne Ende, an allen Ecken gleichzeitig.
Kameraden zu erreichen. Wände wurden abgeklopft, in der Stube
Ich hatte gerade noch Zeit, Rucksack, die Vertäfelung losgerissen, um zu se-
Joppe, Fernglas und den Pfeffer zu hen, ob dahinter wohl kein Versteck war,
schnappen, damit in den nahen Wald zu sogar im Hühnerstall wurden die Balken
laufen und alles zusammen dort Jörg zu gelockert, um das vermeintliche Versteck
übergeben. zu finden. Als Jörg nicht zu finden war,
Er konnte mir noch schnell sagen, verzogen sich die Wühler in den Wald,
was ich unbedingt aus dem Haus ver- aber sie kamen damals jeden Tag wieder.
164
schwinden lassen sollte, bevor ein grö- Manchmal hatte man abends den Ein-
ßeres Polizeiaufgebot käme, um alles druck, die Bäume bewegten sich, denn
drunter und drüber zu kehren. Ich eilte fast hinter jedem Baum hatte sich ein
also ins Haus zurück und warf die von Uniformierter postiert und wartete, bis
im Haus ein Licht angehen werde. Sie eine Hausdurchsuchung bei uns vor-
waren wohl überzeugt, Jörg würde bald nahm, sah ich beim Wasserholen von der
wieder zurückkehren. Das Licht ging nahen «Wiere», wie ein Uniformierter in
zwar des öfteren an, aber es war meine unserem Acker gerade ein Maschinenge-
Taschenlampe, mit welcher ich über den wehr aufstellte und es direkt auf unser
hinteren Balkon ging, weil dort unser Haus richtete. Da packte mich die Wut,
«Häusl» war. Es dauerte dann keine zwei ich nahm einen nassen Putzlumpen,
Minuten, und sie kamen alle angestürmt: rannte damit auf ihn zu und fauchte ihn
«Öffnen Sie, Klotz, wir wissen, Sie sind an, er solle sofort mit seinem Krempel
im Haus!» Die Enttäuschung war groß, verschwinden. Von meinem Mann wus-
als sie sich davon überzeugen mussten, ste ich nämlich, dass sie im Umkreis von
dass es nicht Jörg war, der mit der Ta- 50 Metern nichts zu suchen hatten. Die-
schenlampe ins Haus gekommen war ser Kerl hatte mich wohl einschüchtern
und, dass es von ihm weiter keine Spur oder bedrohen wollen, aber als er sah,
gab. Wir haben damals viele Hausdurch- dass ich keine Angst hatte, packte er
suchungen gehabt, man musste bei je- tatsächlich alles zusammen und zog da-
der Tages- und Nachtzeit darauf gefasst mit ab. Eines Tages rückten sie sogar mit
sein. Manchmal ging es arg zu, und ich Metalldetektoren an und gruben rund
hatte dann überhaupt keinen Überblick ums ganze Haus schier den Boden um.
mehr, wo überall gleichzeitig gewühlt Sie konnten nicht verstehen, dass da kei-
wurde. Einmal wurde es mir derart zu ne Waffen vergraben waren und dass es
viel, dass ich einen gerade in der Küche auch im Haus keine Waffen zu finden
Suchenden in Zivil, der wie wir Tiroler gab. Wohl aber hatten sie einige andere
Dialekt sprach, einfach am Arm packte, Dinge gefunden und mitgenommen, so
ihn zum Herd zog und sagte: «Sie rüh- zum Beispiel eine schöne lange Tiroler
ren jetzt da das Kindermus für mein Fahne, die wir immer am Herz-Jesu-Sonn-
Jüngstes und lassen ja nichts anbrennen, tag und am Andreas-Hofer-Tag aufge-
denn ich kann nicht zulassen, dass die hängt hatten. Weiters ein altes, aber sehr
anderen derweil in allen Schränken her- gutes Militärfernglas, das Jörg einmal
umstöbern, ohne dass ich weiß, was da geschenkt bekommen hatte und das er
abläuft.» Er hat tatsächlich fleissig ge- vor allem zur Jagd benützt hatte, sowie
165
rührt, bis ich mit Rösi im Arm in die einige Taschen mit verschiedenen Utensi-
Küche zurückkam. lien wie Leuchtraketen usw.
Ein anderes Mal, als ein Überfallkom- Ein paar Patronenhülsen haben sie
mando aus Bozen auch gerade wieder wohl auch gefunden hinter dem Gebälk,
aber das war alles nicht das, was sie sich Meran zu einem weiteren Verhör ge-
erwartet hatten! Obwohl ich beim bracht. Als ich sie an das gegebene
Carabinierikommando später Anzeige Ehrenwort erinnerte, meinte einer, das
wegen der entwendeten Gegenstände Ehrenwort gelte nichts mehr, es sei
erstattet hatte, habe ich von den Sachen nunmehr tot. Also brachte man mich zur
bis heute nichts mehr zurückbekommen Polizei nach Meran und verhörte mich
und auch nichts mehr über deren Ver- dort weiter. Man wollte von mir wissen,
bleib gehört. ob ich Jörg in der Zwischenzeit getroffen
Vom Juli 1961 an, kann man sagen, hätte, ob er sich gemeldet habe und ob
hatten wir bis zum Spätherbst kaum ei- ich wüsste, wo er sich aufhalte. Ich
nen Tag Ruhe. Von irgendwoher wurde verneinte immer wieder, ich hatte ihn ja
unser Haus immer beobachtet, und die seit seiner Flucht nicht mehr gesehen und
Leute in Zivil, die zu uns kamen, um so sagte, es könne gut sein, dass er bereits
beiläufig ein Gespräch anzufangen, wa- über den Brenner nach Österreich ge-
ren allzu leicht als Spitzel zu erkennen. gangen sei. Erst spät am Abend kam ich
Ich brauchte meinen Kindern nicht lange damals heim, wo meine sechs Kinder mit
zu erklären, dass sie sich auf keine Ge- Bangen auf meine Rückkehr gewartet
spräche mit Fremden einlassen sollen, die hatten, nachdem ihnen ein Carabinieri-
hatten ein gutes Gespür für solche Din- hauptmann versichert hatte, ich würde
ge, begriffen die Zusammenhänge und am Abend wieder zurück sein. Mit dem
beobachteten alles selbst genau. Aber Jeep haben sie mich wieder zurück-
wir mussten natürlich auf Schritt und Tritt gebracht, aber sie hatten wohl Angst,
aufpassen und uns möglichst wenig vom nachts bis vor unser Haus zu fahren,
Haus entfernen, denn sie konnten uns ja denn sie fragten mich, ob sie mich noch
auch leicht etwas unterschieben. auf der Hauptstraße vor einem Gasthaus
Irgendwann, im August 61, holten sie aussteigen lassen könnten und so ging
mich an einem Morgen mit einem Jeep ich von dort zu Fuß heim. Sehr bald
von daheim ab und nahmen mich zu- darauf musste ich dann wieder zum Ver-
nächst nach St. Leonhard zum Verhör in hör nach Meran, wo der Oberleutnant
die Carabinierikaserne mit. Sie hatten mir immer wieder dieselben Fragen stellte
ihr sogenanntes Ehrenwort gegeben, und einmal brachte man mich sogar nach
166
dass ich dann sofort wieder nach Hause Bozen, dort verhörten mich dann wieder
zurückgebracht würde. Stattdessen teil- andere.
ten sie mir nach der ganzen Ausfragerei Zum Glück war ich nie verzagt oder
mit, ich würde am Nachmittag nach ängstlich, ich war von der Richtigkeit der
Seit seiner Flucht im Jahr 1961 waren solche Tage selten.
Rosa Klotz und die sechs Kinder besuchten ihren Vater im Exil.

167
ganzen Sache überzeugt und die Italie- ich zuerst mit Kind und Kegel nach Ulfas
ner sollten ruhig wissen, dass sich die übersiedeln, das Jahr darauf nach Riffi-
Tiroler Frauen auch nicht so schnell vor an. Es war nicht möglich, von dort jeden
etwas fürchteten, schon gar nicht vor Abend nach Walten und morgens wie-
den italienischen Uniformierten. der in die Schule zu kommen, da keine
Ernüchternder und schmerzlicher als öffentlichen Verkehrsmittel fuhren, und
die Erfahrungen mit der Besatzungs- ich weder Auto noch Führerschein besaß.
macht in jenen Monaten waren die Er- Da war die Wohnungsfrage, die Packerei,
kenntnisse über die Duckmäuserei und die Neuanschaffungen an notwendigs-
Feigheit der eigenen Landsleute. So man- tem Mobiliar und anderem. Die Kinder
cher wechselte die Straßenseite, wenn er mussten jedes Jahr die Schule wechseln
mich im Dorf daherkommen sah, so und sich an die neue Umgebung gewöh-
mancher wagte nicht zu grüßen, aus nen. Die größeren hatten immer Heim-
Angst, man könne davon ableiten, dass weh nach Walten und es fehlte ihnen
er etwas mit uns und der ganzen Sache der Vater. Höchstens zweimal im Jahr,
zu tun habe. Bei der Einkehr im Gast- nämlich in der Weihnachtszeit und viel-
haus anschließend an die Lehrerkonfe- leicht noch zu Sommerbeginn war es mir
renzen war bald einmal der ganze Tisch finanziell möglich, mit allen Kindern nach
leer, wenn ich mich irgendwo dazuset- Nordtirol zu fahren, damit sie ihren Vater
zen wollte. sehen konnten. Es war damals eine lange
Umso mehr lernte ich jene wenigen Reise und wegen des ständigen Ge-
Ausnahmen schätzen, vor allem meine dankens an den neuerlichen Abschied
Nachbarin, selbst Mutter von 6 Kindern, war es immer eher eine traurige Begeg-
die sich auch dann nicht scheute, ins nung.
Haus zu kommen und zu helfen, wenn Die heimlichen Treffen in den darauf-
sie wusste, dass genau beobachtet wur- folgenden Sommern, wenn Jörg über die
de, wer bei uns ein und aus ging. Aber Grenze ins Passeiertal und in der Dunkel-
es waren damals sehr wenige Leute mit heit manchmal ins Haus kam, waren
Zivilcourage und Furchtlosigkeit. noch dramatischer: Würde ihn wohl nie-
Als der Oktober kam, musste ich froh mand sehen, würden die Kinder vor
sein, überhaupt noch eine Stelle als Wiedersehensfreude nicht zu laut sein,
168
Volksschullehrerin zu bekommen, auch würde es wohl nicht auffallen, wenn die
wenn ich jedes Jahr an einen anderen beiden Ältesten jeden Tag um dieselbe
Ort versetzt wurde. Das waren immer Zeit mit ihren Körben auf dem Rücken in
große Sorgen und viel Arbeit. So musste den Wald gingen? Die dauernde Angst,
Jörg könnte erwischt werden, war allge- sammen, versteckte die nagelneuen
genwärtig. Waffen und verließ seinen Bunker, um
Mehrmals war Jörg bei seinen Som- wieder nach Ulfas zu gehen.
meraufenthalten im Passeiertal in größ- Er war wohl erst seit einer Stunde
ter Gefahr und einmal ist er nur um ein weg, da war bereits der Teufel los. Im-
knappes Stündchen dem sicheren Tod mer mehr Uniformierte strömten vom
entgangen. Weg, auf dem sie mit ihren Jeeps ange-
Im Sommer 63 war ich mit den Kin- fahren gekommen waren, zum Jungwald
dern meistenteils in Ulfas geblieben und unter dem kleinen Überhang, auf dem
nur für einige Wochen ins Haus nach der Bunker angelegt war. Nach großem
Walten zurückgekehrt, um alles wieder Auflauf und längerem Absuchen der
in Stand zu setzen. Jörg hatte sich ein ganzen Gegend zündeten sie schließlich
paar Tage in unserer Nähe in Ulfas auf- eine Sprengladung, in der sicheren An-
gehalten, verbrachte sogar mehrere nahme, Jörg mit in die Luft gejagt zu
Stunden am Tag bei uns im Haus und haben.
war dann nach Walten gegangen, wo er Von Ulfas aus konnte ich beobach-
uns erwarten wollte. Mit Hilfe eines ten, dass in Walten etwas in Gang sein
Vertrauten, der sich aufs Tischlern musste, weil plötzlich so viele Jeeps auf
verstand, hatte er einen nagelneuen der Straße von St. Leonhard dorthin un-
Bunker angelegt, ziemlich hoch in un- terwegs waren. Ich konnte die ganze
wegsamem Gelände und mit einem gu- Nacht kein Auge zutun und wusste nicht,
ten Ausblick. Einsehen konnte man die- was wieder los war. Tags darauf wollte
ses Gelände eigentlich nur von einer klei- ich nach Walten fahren, um nach dem
nen Lichtung auf der anderen Talseite. Rechten zu sehen. Bereits am frühen
Wie es das Schicksal haben wollte, Morgen des darauffolgenden Tages hat-
kamen gerade an einem dieser Tage zwei te mir Jörg die Nachricht zukommen las-
Frauen aus dem Dorf in diese Lichtung, sen, er sei unterwegs über die Grenze
um Beeren zu pflücken. Eine der beiden und er werde nicht mehr bei uns in Ulfas
war die Tochter eines Straßenarbeiters, einkehren, die Situation sei zu brenzlig
von dem man wusste, dass er für die geworden. Aber was in Walten genau
Carabinieri Spitzeldienste leistete. Jörg geschehen war, wusste ich nicht, und
169
beobachtete die Frauen und musste an- Jörg offenbar auch nicht.
nehmen, dass auch sie ihn gesehen hat- Ich fuhr also am Tag darauf per An-
ten. Jedenfalls konnte er sich nicht mehr halter nach Walten. Ein Mann, der mich
ganz sicher fühlen. Er räumte alles zu- mit seinem Auto mitgenommen und
nicht erkannt hatte, fing an zu erzählen, gestohlen. Ich hatte Jörg davon benach-
dass es in Walten wohl ziemlich zuge- richtigt, dass er jetzt im Haus wohne.
gangen sein musste, der Bunker von Kurz bevor der erste Schnee in den Ber-
Georg Klotz sei in die Luft gesprengt gen fiel, war Jörg noch einmal in Walten
worden und man gehe davon aus, dass und stattete dem Verwandten abends in
es ihn dabei selbst erwischt habe. Ich gab unserem Haus einen Besuch ab. Nach-
mich nicht zu erkennen und sagte zu dem sie miteinander geredet hatten, ging
alledem nichts. Ich wusste ja nicht, wen Jörg fort, mit dem Versprechen, er wür-
ich vor mir hatte. Als ich dann zu unse- de am nächsten Tag wiederkommen.
rem Haus gehen wollte, kam mir eine Kaum war Jörg fort, da rannte dieser ins
gute Bekannte weinend entgegen und Dorf, ins nächste Gasthaus, in dem es
sagte mir, den Jörg habe es wohl er- das einzige öffentliche Telefon gab. Er
wischt, denn die Sprengung habe eine rief ganz aufgeregt bei den Carabinieri
solche Verwüstung angerichtet, dass in St. Leonhard an, sie sollten sofort
wohl keine Maus überlebt habe. Erst als mehrere Leute schicken. Die Wirtin, die
ich ihr versicherte, dass Jörg heil davon- sich über den späten und seltenen Tele-
gekommen war und ihr von seiner Nach- fonkunden wunderte, hatte die paar
richt in Ulfas erzählte, glaubte sie mir knappen Sätze aufgefangen. Aber auch
und beruhigte sie sich. die Nachbarn, welche wussten, dass Jörg
Der Verrat war der ständigste und gerade wieder in Walten war – er war
grässlichste Begleiter jener Jahre. Selbst auch bei ihnen kurz eingekehrt – hatten
ein enger Verwandter meines Mannes den nächtlichen Lauf an ihrem Haus vor-
hatte sich dafür hergegeben. Dieser war bei mitbekommen. Da sie außerdem in
alleinstehend und immer schon ein Son- der Nacht sonderbare Geräusche und
derling gewesen, der die meiste Zeit mit Vorgänge rund um unser Haus wahrnah-
seinen Geißen auf den Bergen verbrach- men und eins und eins zusammenzähl-
te. Im Herbst 1963 habe ich ihm Quar- ten, erfassten sie den Ernst der Lage.
tier in unserem Haus gegeben, zum ei- Diese Nachbarn passten bereits in den
nen, damit er nicht in irgendeiner schä- frühen Morgenstunden auf Jörgs Rück-
bigen Hütte überwintern musste, zum kehr, um ihn, sobald er auftauchte, so-
anderen aber auch, weil es besser war, fort zu warnen. Sie beschwörten ihn,
170
wenn jemand im Haus war. Wir mussten nicht ins Haus zu gehen und Jörg hörte
ja wieder an einen anderen Ort und auf sie. Wie recht sie hatten und wel-
wenn niemand da war, wurde immer chen Schutzengel zum wiederholten Mal
wieder eingebrochen und alles mögliche Jörg hatte, zeigte sich am Abend darauf.
Mit ihrer Tochter Eva und den Söhnen Wolfram und Manfred beim Begräbnis von Luis Amplatz in Bozen.

Ich wurde nämlich in Ulfas verständigt, gleichzeitig anfangen, fest an den Türen
ich solle sofort nach Walten kommen, zu rütteln und nach dem Verwandten zu
aber nicht allein ins Haus gehen, son- rufen. Nach längerem, vergeblichem Po-
dern jemanden mitnehmen, weil es dort chen sah ich plötzlich zaghaft einen Ge-
nicht mit rechten Dingen zugehe. Also wehrlauf durchs nahe Fenster schieben
fuhr ich sobald es ging, mit meinem Bru- und rufen: «Chi è?», also «wer ist da?»
der Luis nach Walten und kehrte als ers- Ich war wütend und aufgebracht und
tes bei unserem Nachbarn ein, der uns schrie zurück: «Das frage ich, wer da ist!
seine Beobachtungen schilderte und sag- Wo ist mein Verwandter, er soll sofort
te, um kein Geld ginge er jetzt in unser kommen und aufmachen!» Die spürbar
Haus hinein. Das wollte ich jedoch schon verängstigte italienische Männerstimme
wissen, was da in unserem Haus vor sich aus dem Inneren des Hauses fragte auf-
ging. Ich wartete, bis es dunkel war und geregt, wer außer mir noch da sei. Das
ging dann mit meinem Bruder und ei- ginge sie einen Dreck an, gab ich wü-
171
nem erwachsenen Nachbarsbuben zu un- tend zurück, und sie sollten mir sofort
serem Haus. Wir hatten vereinbart, dass den Haushüter herbeischaffen, der kön-
sich jeder von uns vor eine der drei Ein- ne etwas erleben für diese Art von Haus-
gangstüren stellt und dass wir dann hüten!
«Si calmi, si calmi, Signora», also mel und leere Plastikbriefchen, wie sie
«beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich», das italienische Heer damals für kleine
gab er zurück, wir werden Ihn schon Cognac- und Zuckerportionen verwende-
bringen! Erst als ich meinen Bruder Luis te. Die durfte ich auch wegräumen!
herbeirief und wir ihnen versicherten, So gab es eine Aufregung nach der
dass außer uns und dem Nachbarsbu- anderen, auch wenn Jörg nicht heimlich
ben, der längst wieder zu Hause war, im Passeiertal war. Ich wusste, wie ge-
niemand in der Nähe sei, öffneten sie fährlich sein Aufenthalt in Nordtirol, vor
die Tür und ließen mich mit meinem allem in Innsbruck war, wegen der vielen
Bruder zögernd in mein eigenes Haus. Spitzel, die der italienische Staat auf ihn
Aus allen Zimmern kamen Unifor- und seine Mitstreiter angesetzt hatte.
mierte mit ihren Waffen im Anschlag. Sie Immer musste man mit der Angst leben,
hatten sich im ganzen Haus verschanzt, dass er eines Tages verschleppt und den
sie hatten es einfach besetzt, ohne mich Italienern übergeben werden könnte.
davon in Kenntnis zu setzen. Staatsinter- Die Sorgen wurden nicht weniger, als
esse sozusagen und wäre Jörg ahnungs- er im Frühjahr 1964 mit Luis Amplatz
los ins Haus gekommen, er wäre in eine nach Wien verbannt wurde und sich dort
schreckliche Falle geraten. Aber so hat- zwei oder drei Mal in der Woche bei der
ten jetzt die drinnen minutenlang anneh- Polizei melden musste. Ich wusste, wie
men müssen, selbst in der Falle zu sitzen schmerzlich für ihn der erzwungene Ab-
und umstellt zu sein. Den Verwandten schied von Tirol und der Zwangsaufent-
hatte man mit dem Versprechen gekö- halt in der Großstadt war, auch wenn er
dert, er werde Besitzer des Hauses und dort bald Freunde und auch Gönner in
der dazugehörenden Liegenschaften, gehobenen Positionen gewann. Die Be-
wenn er ihnen den Jörg ausliefere. Die suche wurden unmöglich, nur ein einzi-
Besatzer sammelten sich also im unteren ges Mal konnte ich mit meiner Tochter
Stockwerk und zogen mit dem Verwand- Eva nach Wien fahren und da waren wir
ten ab, nachdem ich ihm klargemacht kaum mit ihm allein, weil mehr oder
hatte, dass ich einen Verräter nicht ge- weniger die ganze Zeit die Brüder Chri-
brauchen könne. Beim anschließenden stian und Franz Kerbler dabei waren. Als
Gang durchs Haus stellte ich fest, dass ich Jörg fragte, ob denen zu trauen sei,
172
sie alle Betten und Decken aus den sagte er, es sei leider wenig Auswahl und
Schränken herausgezogen und es sich er brauche halt Verbindungsleute nach
damit bequem gemacht hatten. Außer- Tirol. In Ermangelung von vertrauten
dem gab es jede Menge Zigarettenstum- Südtiroler Helfern hat er genommen, wer
ihm wenigstens einigermaßen tirolerisch nen Gerichtsurteile und vor allem gegen
erschien. Dass Christian und Franz Kerb- den damals in Südtirol herrschenden
ler die Söhne eines angesehenen ehema- Polizeiterror setzen.
ligen Tiroler Kaiserjägers waren, bewer- Möglichst viele Masten sollten gleich-
tete er wohl zu hoch, wie er überhaupt zeitig fliegen. Der Passeirer Anton Plat-
eher vom Guten im Menschen ausging ter, der sich auf verschiedenen Bauern-
als vom Schlechten. Idealist, der er selbst höfen im Tal aufhielt, dort freie Unter-
war, ist er von Idealismus und guten kunft und Verpflegung genoss, weil er
Absichten auch bei anderen ausgegan- vorgab, politisch verfolgt und sozusagen
gen. Das war zwar menschlich ein guter auf der Flucht zu sein, sollte in die ganze
Zug, der ihm oft Freundschaft einge- Aktion eingebunden werden. Die Brüder
bracht hat, aber ihm selbst und anderen Kerbler hatten den Auftrag, ihn aufzusu-
auch oft genug gefährlich werden konn- chen, sich mit ihm abzusprechen und den
te. Treffpunkt mit Luis und Jörg zu vereinba-
Aber wem würde man gleich einen ren. Dass auch Platter im italienischen
Meuchelmord zutrauen? Zu leicht ma- Spitzeldienst stand, wurde selbst jenen
chen es sich jedenfalls all jene, welche Passeirern, welche am meisten mit ihm
immer nur fragen, wie Jörg und Luis zu tun gehabt hatten, erst an seinem
Amplatz nur diese Brüder Kerbler mit ins Sterbebett klar, als er Dr. Frötscher einen
Passeiertal nehmen konnten. So einfach gültigen Reisepass vorzeigte, mit dem er
war es nicht, Helfer zu bekommen, die ungehindert aus- und einreisen konnte.
bereit waren, verschiedene Vorbereitun- Er hatte also alle zum Narren gehalten,
gen in Nordtirol zu treffen und notwen- die ihm schwarz über die Grenze halfen,
dige Kontakte in Südtirol herzustellen. weil sie glaubten, er würde verhaftet,
Man muss nämlich bedenken, dass sich wenn man ihn erwische.
Luis und Jörg in Nordtirol selbst nicht Vieles am Verhalten Platters, dem
zeigen konnten, sie waren ja Mitte Au- auch ich mehrmals Nachrichten zu über-
gust 1964 aus Wien abgehauen, heim- bringen hatte und der mich einige Male
lich nach Nordtirol und dann ins hinter- an meinem Schulort aufsuchte, hatte
ste Ötztal gefahren, um über den Rot- mich misstrauisch gemacht. So hatte er
moosferner nach Pfelders zu gelangen. beispielsweise einmal sein Fernglas bei
173
Sie hatten natürlich mehrere Aktio- mir vergessen und ein anderes Mal ein
nen im Passeiertal geplant. Sie wollten in Gewehr vor dem Schulhaus stehen las-
erster Linie die politisch Inhaftierten ent- sen, wo wir miteinander gesprochen
lasten, ein Zeichen gegen die ergange- hatten. Am nächsten Tag war die Polizei
174

Jörg Klotz war maßgeblich an der Wiedergründung


des Südtiroler Schützenbundes beteiligt.
Nach seiner Flucht im Jahr 1961 kehrte er immer wieder
über die Grenze nach Südtirol zurück.
Dort führte er mit Luis Amplatz und anderen Mitkämpfern
den begonnenen Widerstand weiter.
da, aber ich hatte das Gewehr zum Glück im gesamten Freiheitskampf. Das waren
noch früh genug gesehen und war ihm zwei Tage und zwei Nächte größter Ver-
damit in den Wald nachgelaufen, wo er zweiflung. In den Radionachrichten hör-
es mir abnehmen musste. Aber konnte ten wir nur dauernd, dass Luis Amplatz
man daraus ein so mieses und vorsätzli- tot sei und, dass sich die Blutspuren von
ches Verräterspiel ableiten? Georg Klotz in einem tiefen Abgrund
Damit will ich nicht bestreiten, dass verlieren. Wir mussten annehmen, dass
Jörg manchmal zu vertrauensselig war, Jörg schwer verletzt sei und irgendwo
ich will jedoch den Behauptungen ent- elendiglich zugrunde gehe. Diese Unsi-
gegentreten, er sei unbedacht und leicht- cherheit und Ohnmacht war kaum zu
fertig gewesen. Die politischen Gegner ertragen. Nicht zu wissen, wo er ist,
haben einen Keil zwischen alle zu trei- überhaupt nichts unternehmen zu kön-
ben versucht, um vor allem Luis Amplatz nen, um ihm zu helfen, ihn möglicher-
und meinen Mann zu isolieren; da mus- weise nie mehr zu finden, nicht wissen,
ste man grundsätzlich an allem zweifeln, wie und wo er zugrunde geht, das wa-
was über andere geschwätzt wurde. Und ren schreckliche Gedanken!
von wie vielen hat es denn nicht irgend- Die erlösende Nachricht kam dann
wann einmal geheißen, sie seien Spitzel! erst am Nachmittag des dritten Tages,
Und wie war das, als man nach den als ein Kaufmann aus St. Leonhard je-
schrecklichen Ereignissen auf den Brun- manden mit der Botschaft zu uns nach
ner Mahdern versucht hatte, zunächst Walten schickte, der österreichische
meinem Mann den Mord an Luis Am- Rundfunk habe soeben gemeldet, dass
platz in die Schuhe zu schieben? Jörg lebend in Nordtirol angekommen
Es war ein regelrechtes Glück, dass und von der Polizei in Gewahrsam ge-
Jörg nicht sofort davon wusste, dass nommen worden sei.
Christian Kerbler auf ihn und auf Am- Jörg wurde ins Krankenhaus von
platz geschossen hat, denn sonst hätte Wörgl eingeliefert, wo man ihm die Ku-
er Kerbler möglicherweise selbst gerich- gel, die in seiner Achselhöhle steckte,
tet und dann wäre es für die Italiener ein herausoperierte. Erst als er diese Kugel
Leichtes gewesen, die Sache so darzu- in die Hand bekam und genau betrach-
stellen, dass Jörg zum Schluss als Dop- tete, kam er zu einer klareren Erkenntnis
175
pelmörder dagestanden hätte. darüber, was auf den Brunner Mahdern
Die ganze Geschichte auf den Brun- wirklich passiert war, dass nämlich Chri-
ner Mahdern war für mich und unsere stian Kerbler auf ihn geschossen haben
Familie eines der schrecklichsten Kapitel musste!
Ich konnte ihn mit meinen beiden äl- die Lunge unverletzt geblieben war. Bar-
testen Kindern Eva und Wolfram im fuß wie er war, machte er sich in der
Wörgler Krankenhaus besuchen und be- Dämmerung auf den Weg durch die
richtete ihm, was inzwischen in Südtirol Schlucht und dann durch dorniges Ge-
passiert war, dass man nämlich einen strüpp und steiniges Gelände taleinwärts
gewissen Peter Hofmann, der sich dann bis zu den ersten Häusern. Dort begeg-
als Christian Kerbler herausstellte, hatte nete er einer Bäuerin, die auf dem Weg
laufen lassen und dass es in Saltaus zur Frühmesse ins Tal war. Sie erschrak,
merkwürdige Beobachtungen gegeben als sie den blutverschmierten Mensch
hatte. sah. Sie führte ihn ins Haus, gab ihm ein
Jörg wirkte vor allem seelisch verstört, paar Gummistiefel und legte ihm einen
der Tod seines Freundes Luis hatte ihn notdürftigen Verband an. Als Jörg dann
sehr mitgenommen. Natürlich auch die langsam weiter taleinwärts ging, konnte
bittere Erkenntnis, dass sogar von dreien er mit bloßem Auge sehen, was unten
einer bereits ein Verräter war! Er kam im Tal los war: Jeep um Jeep, Militärla-
nicht zur Ruhe, er dachte das Ganze ster um Militärlaster fuhren auf, Richtung
wieder und wieder durch, was war da Saltaus. Nur gut, dass sich in den ersten
genau passiert, er hatte doch Stimmen Stunden alles auf den Berghang ober-
gehört, als auf ihn geschossen wurde, halb von Saltaus konzentrierte, nachdem
doch danach war es totenstill! Christian die Italiener sich doch sicher waren, Jörg
hatte ihn angeleuchtet und als Jörg ihn sei aus der Schlucht nicht lebend heraus-
anfuhr, er solle das Licht ausmachen, ob gekommen, sondern dort verblutet! Gut
er denn nicht höre, dass geschossen wird, auch, dass Jörg jetzt im Wörgler
da war Christian zusammengezuckt, er Krankenhaus Tag und Nacht von den
hatte sich in den Hintergrund verkrochen, österreichischen Gendarmen bewacht
es war noch ein Rascheln im Heu zu wurde, denn der italienische Geheim-
vernehmen, doch dann war Kerbler ver- dienst hatte bereits einen holländischen
schwunden. Luis Amplatz reagierte auf Agenten beauftragt, die Entführung aus
die Namensrufe nicht, er rührte sich nicht dem Krankenhaus und die Überstellung
mehr, er war tot! Und er, Jörg, war ge- Jörgs an den Brenner zu bewerkstelligen.
troffen und blutete. Er konnte sich zur Dieser Plan schlug letzten Endes auch
176
Luke hinausrollen, in den angrenzenden deshalb fehl, weil Jörgs engste Kamera-
Jungwald verkriechen und, so glaubte er, den in Nordtirol Herrn Van Joosten ge-
dort auf den Tod warten. Nach mehrma- genüber misstrauisch geworden und auf
ligem Durchatmen jedoch wusste er, dass der Hut waren. Joosten aber hätte zu-
mindest einen aus Jörgs engstem Kame- fahr und wurde in ein Militärspital einge-
radenkreis als Helfer gebraucht, natürlich wiesen und dann für kurze Zeit von wei-
die wahre Absicht nicht ahnend, hatte terer Haft verschont. Doch sehr bald dar-
doch Joosten vorgegeben, Jörg befreien auf wurde er wieder inhaftiert, worauf-
zu wollen, damit er nicht wieder nach hin er einen vierzehntägigen Hungerstreik
Wien abgeschoben würde. Für mich war begann und diesen durchzog, bis die
beim Abschied in Wörgl der Gedanke, Gefängnisärzte Alarm schlugen und sich
Jörg würde sofort wieder in Schubhaft selbst jeder Verantwortung entzogen.
genommen und nach Wien, von wo er Erst als die höchsten österreichischen
geflohen war, zurückgebracht, äußerst Stellen das Versprechen abgaben, er
quälend. werde aus der Haft entlassen und dürfe
Nach all den erschütternden Ereignis- nach Tirol zurückkehren, beendete Jörg
sen der letzten Wochen und vor allem seinen Hungerstreik und wurde in einem
angesichts der Tatsache, dass er jetzt dort Wiener Krankenhaus wieder soweit her-
noch einsamer sein würde, weil Luis gestellt, dass er reisefähig war und nach
Amplatz tot war und sein Schicksal nicht einiger Zeit tatsächlich nach Nordtirol
mehr teilte, war der Gedanke, was mit zurückkehren konnte.
Jörg jetzt weiter geschehen würde, be- Mit all diesen Ereignissen und Schrek-
unruhigend. Und tatsächlich kam er dann kensmeldungen musste ich allein fertig
bald darauf wieder nach Wien, es be- werden! Mit wem hätte ich darüber re-
gann die Zeit der Prozesse wegen illega- den sollen? Die Kinder wollte ich nicht
len Sprengstoff- und Waffenbesitzes in mehr belasten, als es ohnehin schon der
Österreich. Jörg wurde mehrmals inhaf- Fall war, und die wenigen, denen ich
tiert, in Isolationshaft genommen, vor die mich hätte anvertrauen können, waren
Richter gestellt. nicht immer da. Jedenfalls habe ich Gott
Hatte er infolge von Granatsplittern sei Dank den Mut und die Kraft nie ver-
aus dem Krieg in Russland und der be- loren, ich war überzeugt, dass all das
schwerlichen Fluchtwege über die Glet- einen Sinn hatte und weder Jörg noch
scher und Berge im Freiheitskampf bis mich, noch die Kinder brechen würde.
dahin vor allem gesundheitliche Schwie- Jörg war aber körperlich und seelisch
rigkeiten mit den Beinen, verstärkte sich schwer angegriffen, er musste mit stän-
177
jetzt sein Magenleiden, die Magenge- digen Magenschmerzen und unter stän-
schwüre wurden immer schmerzhafter. diger polizeilicher Bewachung auch in
1965 erlitt er im Gefängnis in Wien einen Tirol leben. Aber das sollte noch nicht
Magendurchbruch, er war in Lebensge- alles gewesen sein.
Ich wurde im Oktober 1967 auf konfrontiert und da erkannte ich, dass
meinem Weg zum Unterricht in die Berg- dieser ein schmutziges Spiel betrieben
fraktion Mörre gleich aus dem Bus vor hatte.
den Augen meiner beiden Buben, die in Ich wusste nie, wann ich endlich ein-
St. Leonhard die Mittelschule besuchten, mal zu einem richtigen Schlaf kommen
verhaftet und nach Meran zum Verhör würde. Als ich außer über die schmer-
gebracht, welches mit einigen kurzen zenden Augen auch über zunehmende
Unterbrechungen, wo ich auf einer Holz- Herzbeschwerden klagte, wurde ich zur
pritsche ein wenig rasten konnte, einen Untersuchung ins Frauengefängnis, dem
ganzen Tag und eine Nacht dauerte. Ich ein Spital angeschlossen war, nach Trient
hatte meine Haarnadeln und Schuhbän- gebracht. Ich war dann über einen Mo-
der entfernen und abgeben müssen. nat lang dort und wurde mit Medika-
Man hatte mir zwar Obst und Getränke menten behandelt. Der Grund meiner
angeboten, aber außer ein wenig Obst Herzbeschwerden war die große nervli-
nahm ich nichts an, weil ich befürchtete, che Belastung und die ständige Aufre-
es könnte etwas beigemischt sein. So litt gung. Ich musste auch Angst haben,
ich ziemlichen Durst. mein Augenlicht zu verlieren! Die Ankla-
Am Tag darauf wurde ich zur Polizei ge gegen mich war Bandenbildung
nach Bozen gebracht und dort weiter zwecks staatsfeindlicher Tätigkeit und
verhört, auch noch die folgende Nacht. außerdem warf man mir vor, an den
Dabei war ich dem grellen Licht einer Sprengstoffanschlägen der letzten Jahre
starken Quarzlampe ausgesetzt, was im Passeiertal beteiligt gewesen zu sein.
mich zusätzlich zur Müdigkeit extrem Mitangeklagt waren alle, die Toni Platter
belastete. Ich war fast am Ende meiner als Helfer angegeben hatte:
Kräfte, als ich endlich ins Bozener Ge- Der Gemeindearzt von St. Martin, Dr.
fängnis überstellt wurde. Aber auch dort Karl Frötscher, der Unternehmer Rudl
hatte ich keine Ruhe. Vor allem nachts Marth, ebenfalls aus St. Martin sowie die
wurde ich immer wieder zu Verhören Bauern Albin Auer und Johann Lanthaler
geholt, die der als widerlich und zynisch aus Walten. Sie alle waren vor mir ver-
bekannte Untersuchungsrichter Mario haftet worden, was ich nicht wusste, ich
Martin führte. Er verhörte mich so oft, war die letzte gewesen. Erst im Gefäng-
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dass ich mich nicht einmal mehr an alle nis hatte ich die Gelegenheit, mit einem
seine Fragen erinnern kann. Jedenfalls
V.l.n.r.: Dr. Karl Frötscher, Rosa Klotz und Rudolf Marth
wurde ich immer wieder mit Aussagen während der Prozesstage in Mailand, nach 14-monatiger
und Anschuldigungen Anton Platters Untersuchungshaft auf freiem Fuß angeklagt.
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von ihnen darüber zu sprechen und ein Obstgeschäft sie tüchtig mithalf und die
großes Missverständnis auszuräumen, beiden Jüngsten, Barbara und Rösi ka-
denn sie hatten geglaubt, ich hätte sie men zu einer Frau in St. Leonhard, die
angegeben und ins Gefängnis gebracht, sich ihrer annahm.
dabei war es das verräterische Werk Plat- Doch es lag immer noch die Gefahr
ters gewesen! in der Luft, dass man zumindest die bei-
Von Trient wurde ich dann ins Ge- den Ältesten, Eva und Wolfram, in eine
fängnis von Bozen zurückgebracht, wo Erziehungsanstalt nach Italien bringen
ich dann den Rest meiner über 14 Mo- würde, von Venedig war die Rede.
nate dauernden Untersuchungshaft ver- Den Aufenthalt im Gefängnis ver-
brachte. Die Gedanken an meine Kinder suchte ich so gut als möglich mit Brief-
und der Wille, vor allem ihretwegen das schreiben, Handarbeiten und Lesen aus-
Ganze heil zu überstehen sowie ein ge- zufüllen, damit die Zeit leichter verging
wisser Trotz gegen die italienischen Ge- und ich nicht nur meinen Sorgen und
waltherrscher gaben mir die nötigen Le- Gedanken nachhängen konnte. Nach
bens- und Genesungskräfte. In Bozen und nach kamen dann auch Maja Mayr,
konnten mich wenigstens meine Kinder Lina Steger und deren Mutter dazu, so-
einmal im Monat besuchen kommen, in dass ich nach anfänglicher Einzelhaft
Trient war das nicht möglich gewesen. wieder mit jemandem sprechen konnte.
Allgegenwärtig war aber auch die Da es mir gelungen war, zu einem klei-
Sorge um meine sechs Kinder. Das Jüng- nen Taschenradio zu gelangen und uns
ste war gerade eingeschult und alle an- die Gefängniswärterinnen doch die eine
deren besuchten noch entweder die und andere Nachricht von draußen her-
Volks- oder Mittelschule. Eva, die Ältes- einbrachten, konnte ich einigermaßen an
te, war im Internat in Meran und be- den politischen Ereignissen teilnehmen
suchte die Lehrerbildungsanstalt. und mir ein Bild über die Vorgänge drau-
Die Familie meiner Schwester, die ßen machen. Diesen Wärterinnen danke
eine kleine Frühstückspension hatte, ich heute noch für ihre Menschlichkeit
nahm die anderen fünf zunächst zu sich und ihre Bereitschaft, mir dabei zu hel-
und kümmerte sich gemeinsam mit mei- fen, dass ich mich immer mit irgendet-
ner Mutter bis zum Beginn der Fremden- was beschäftigen konnte, mit Waschen,
180
verkehrssaison um sie. Dann kamen die Handarbeiten und anderem nützlichen
beiden Buben Wolfram und Manfred Tagwerk. Mit ihrer Hilfe konnte ich auch
nach St. Martin zur Familie meines Bru- bewirken, dass wir in der Frauenabtei-
ders, Judith zu einer Familie, in deren lung einige Schränke bekamen, ordentli-
181
182
183

Jaufenpass, September. Rosa Klotz und ihre Kinder Eva


und Wolfram schauen mit dem Fernglas zum Heustadel
der Brunner Mahdern. (Passeierstraße Richtung
Jaufenpass und Brenner)
ches Besteck, eine Schere zum Schnei- nehmen des geistlichen Herrn auch kein
dern und dass wir, so wie die Männer, Verständnis hatte und dies offen zum
zweimal in der Woche fernsehen durf- Ausdruck brachte.
ten. Überhaupt habe ich im Gefängnis die
Sie, diese italienischen Wärterinnen, Zivilcourage und den Gerechtigkeitssinn
waren es auch, die den Weihbischof mancher Italienerin schätzen gelernt und
Forer durch ihren Protest dazu zwangen, oft an das klägliche und unwürdige Ver-
etwas gutzumachen, womit er mich ge- halten, vor allem an die Feigheit unserer
kränkt hatte. Anlässlich einer Weih- Landsleute, denken müssen. Wie habe
nachtsfeier im Bozner Gefängnis, zu ich mich manchmal vor den Italienern für
welcher sich alle Gefangenen versammelt sie geschämt!
hatten, kam der Weihbischof, drückte Zu Weihnachten 1968 wurde ich
jedem und jeder die Hand und übergab endlich, nach 14 Monaten und 10 Ta-
ein kleines Geschenk, nur mich hatte er gen, aus der Untersuchungshaft entlas-
ausgelassen. Da ich als letzte in der Linie sen, jedoch mit der Auflage, das Gemein-
der politischen Häftlinge stand, konnte degebiet von Bozen ein Jahr lang nicht
er mich nicht übersehen haben. Ich emp- zu verlassen und mich jeden Tag beim
fand es als Demütigung vor allem vor Carabinierikommando in der Dantestra-
den Kriminellen, von denen wir uns Po- ße zu melden. Das waren harte Bedin-
litischen in jeder Hinsicht und bei jeder gungen, denn wie sollte ich meine Kin-
Gelegenheit zu unterscheiden wussten der nach Bozen bringen und dort für sie
und, was vor allem das Aufsichtsperso- sorgen. Doch auch in dieser Situation half
nal immer wieder positiv zur Kenntnis die Devise, nur nicht verzagen.
nahm. Diese Geringschätzung durch ei- Eine verwitwete Schwester meines
nen deutschen kirchlichen Würdenträger Mannes lebte mit einigen ihrer bereits
war mir unangenehm, jedenfalls brachte erwachsenen Kinder in einer großen
ich kein Wort mehr heraus und ging in Bozner Mietwohnung. Ich konnte die
meine Zelle. ersten Monate dort bleiben und mich um
Die Wärterinnen waren sehr empört, eine Arbeit umsehen. Die unerschrockene
sie besprachen sich sofort und veranlas- und nimmermüde Lehrerin, Frau Profes-
sten ihn, zu mir in die Zelle zu kommen, sor Gabi von Pidoll, half mir dabei, we-
184
um sich zu entschuldigen. Das Geschen- nigstens eine provisorische Halbtagsbe-
klein hat mir dann der allseits geschätzte schäftigung zu finden. Wir machten da-
und unvergessliche Gefängnisgeistliche bei allerlei Erfahrungen. So hatte Frau Dr.
Don Nicoli überreicht, der für dieses Be- Pidoll die Idee, zum Landeshauptmann
Dr. Magnago zu gehen, um ihn um Hilfe tigste war, dass wir alle wieder zusam-
bei der Arbeitssuche zu bitten. Wir gin- men waren und die Kinder in Bozen
gen in die Runkelsteinerstraße, wo er weiter die Schulen besuchen konnten.
wohnte, doch er ließ uns ausrichten, er Gerne verrichtete ich die tägliche Arbeit
sei nicht bereit, uns zu empfangen. für fünfzehn, sechzehn Leute, ich wus-
Wohl empfing uns aber seine Frau, ste, wofür ich es tat! Wir konnten von
der wir meine Situation schilderten und meiner Arbeit leben, die älteren Kinder
meine Bitte betreffend der Arbeitsplatz- brachten auch den einen und anderen
beschaffung vortrugen. Da zog sie ein Kreuzer ins Haus, wenn sie irgendwo
Säckchen mit Zuckerlen heraus und frag- eine Aushilfsarbeit übernehmen konnten.
te mich, wie viele Kinder ich hätte. Als Noch immer durfte ich das Gemeindege-
ich ihr sagte, es seien sechs an der Zahl, biet von Bozen nicht verlassen, das än-
da zählte sie sechs Zuckerlen heraus und derte sich erst nach meinem Freispruch
gab sie mir in die Hand, für meine Kin- beim 3. Mailänder Prozess im Frühjahr
der. Gabi von Pidoll war so entsetzt, dass 1969. Natürlich wusste ich, dass man
sie mich nur bei der Hand fasste und mich freisprechen müsste, wenn es ge-
sagte: «Kommen Sie, Frau Rosa, wir recht zuginge, denn als Mutter von sechs
gehen!» Kindern, die auch für den Lebensunter-
Wir waren beide sprachlos und mus- halt sorgen musste, hatte ich anderes zu
sten erst einmal tief durchatmen, als wir tun, als Masten zu sprengen oder mich
wieder auf der Straße waren! Dafür griff mit Bandenbildung zu befassen. Aber
das Schicksal wieder einmal helfend ein. alles hing vom Gericht ab, schließlich
Im Haus, in dem meine Schwägerin waren ja auch die mehr als 14 Monate
wohnte, wurde eine große Wohnung Untersuchungshaft möglich, ohne dass
frei. Ich setzte mich sofort dahinter und ich etwas von dem getan hatte, wofür
ich bekam sie tatsächlich zu mieten. Da ich im Gefängnis saß.
gerade Sommerferien waren, ließ ich Es war damals reine Sippenhaft.
meine Kinder nach Bozen kommen, wir Nachdem man meines Mannes weder
schrubbten, putzten und brachten alles lebendig noch tot habhaft werden konn-
in Ordnung, um zu Beginn des Schuljah- te, wollte man ihn ganz offensichtlich
res Studenten aufzunehmen, für sie zu psychisch fertigmachen, indem man die
185
kochen und zu sorgen, denn unterrich- Familie auseinanderriss und den Kindern
ten durfte ich ja nicht mehr. Wir beka- auch noch die Mutter wegnahm! Doch
men jedes Bett voll und gemeinsam Jörg wusste, was ich zu verkraften fähig
schafften wir die viele Arbeit. Das Wich- war. Aber leicht war es freilich auch für
ihn nicht, zumal er gerade während ei- von Studenten, die viel Leben in das Haus
nes Besuches der drei ältesten Kinder in brachten und für Teilhabe an ihrem schu-
Absam vor ihren Augen verhaftet und lischen Alltag sorgten, sodass außer dem
wieder nach Wien gebracht wurde. Kochen und Putzen auch anderes zu er-
Bei diesem Mailänder Prozess, wie ledigen war, wie Sprechstunden, Schul-
zuvor bei den vielen Verhören, hatte es veranstaltungen und dergleichen mehr.
sich bewährt, dass ich nicht zu viel wus- Meine Kinder integrierten sich sehr gut
ste. Es waren damals noch mehrere an- in dieses neue Leben und fanden sich in
dere mit mir auf der Anklagebank. ihrer Umgebung sehr schnell zurecht,
Als mich der beim Prozess hinter mir sodass jedes eine Ausbildung bekam. Das
sitzende Richard Kofler fragte, was ich war für meinen Mann und mich immer
alles gesagt hatte, kam mir erst richtig das Wichtigste. Jörg sagte immer, Häu-
zum Bewusstsein, dass ich überhaupt ser und Besitz können wir euch nicht
kaum etwas und schon gar nichts über geben, aber für eure Ausbildung werden
ihn wusste. So konnte ich ihm reinen wir sorgen. Und er tat, was er konnte,
Gewissens antworten, dass ich gar nichts um dies zu bewerkstelligen.
gesagt habe. Große Sorgen und Aufregungen gab
Natürlich hatte ich nach dem Prozess es dann in Zusammenhang mit dem
den Wunsch, endlich wieder in meinem Prozess von Perugia, wo der Mord an
Lehrerberuf tätig zu sein. Einige Gönner Luis Amplatz und der versuchte Mord an
mit gewissen Einflussmöglichkeiten ver- meinem Mann verhandelt wurden. Jörg
wendeten sich für mich bei allen mögli- sollte dort als Hauptzeuge aussagen, und
chen Stellen, auch beim Schulamt. Das zu diesem Zweck wurde ihm freies Geleit
Gericht von Mailand hatte nämlich auf angeboten. Er war zunächst gar nicht
entsprechende Anfrage geschrieben, es einmal so abgeneigt, dieses Risiko
liege allein im Ermessen des Schulamtes einzugehen, doch seine Innsbrucker
von Bozen, ob man mich wieder als Leh- Freunde, vor allem Anwälte und andere,
rerin anstellen wolle. mit der Justiz vertraute Leute, be-
Auch dort fehlte es jedoch an der schworen ihn, nicht nach Perugia zu fah-
nötigen Zivilcourage, man hatte wohl ren. Auch ich fuhr sofort nach Innsbruck,
Angst, es sich mit irgendwelchen italieni- wo er sich gerade aufhielt und beriet
186
schen Stellen zu vertun, obwohl gerade mich mit ihm, gab alles zu bedenken,
sie diese Art von Unterwürfigkeit nicht vor allem, dass man den Italienern nie-
besonders schätzten. Also verdiente ich mals trauen könne, sie würden sicher ir-
unser Brot weiterhin mit der Verpflegung gendeinen schlauen Schachzug finden,
um ihn doch in ihre Gewalt zu bringen. Welche Ängste hatten wir doch immer
Zum Glück konnte er davon überzeugt wieder, man könnte ihn einfach entfüh-
werden, dass das Risiko zu groß war, ren und an den Brenner stellen, doch er
obwohl er gerne das seine zur Urteilsfin- hatte da überhaupt keine Angst, denn er
dung beigetragen und den Verlauf die- bewegte sich sicher und frei, so wie er
ses Prozesses miterlebt hätte. Dafür bin überhaupt jedem ohne Scheu und Vor-
ich dann nach Perugia gefahren, um mir behalt entgegentrat.
alles anzuhören und Jörg dann darüber Natürlich haben auch wir als Familie
berichten zu können. hier in Südtirol versucht, alles in
Überhaupt ließ ihn der Gedanke nicht Bewegung zu setzen, um Hilfe zu finden,
mehr los, irgendwie heim nach Südtirol den Weg für seine Rückkehr in die
zu kommen, er litt mehr unter ständigem Heimat wenigstens einzuleiten, sodass er
Heimweh, als man ahnte und wollte ein- größere Hoffnung schöpfen konnte.
fach wieder ein normales Leben in seiner Doch die versuchte Vorsprache beim
vertrauten Umgebung führen. Er nahm Bischof und die erfolgte bei Landes-
Kontakte mit italienischen Journalisten in hauptmann Magnago waren mehr als
Österreich auf, um zu sondieren, inwie- ernüchternd, wir spürten genau, dass
fern eine Rückkehr nach Südtirol mög- von diesen Leuten keine Hilfe zu erwar-
lich und wie hoch das Risiko dabei wäre. ten war und, dass sie sich in keiner Weise

Freiheitskämpfer überschreiten die Grenze.

187
dafür verwenden würden. Der Name schaffen hatte, weil er es in der Stadt
Klotz sollte am besten überhaupt nicht nicht mehr aushielt. Er lebte von der
mehr fallen, er schien nur zu stören. Holzarbeit und von der Kohlenbrennerei.
In diese Zeit fiel auch eine andere viel- Die Glockengießerei Grassmayr nahm
sagende Begebenheit: Freunde meiner seine Holzkohle gerne ab, weil sie von
heranwachsenden Kinder wollten mir zu guter Qualität war. Im Sommer konnte
meinem Geburtstag Glückwünsche durch ich mit zwei und auch mehreren unserer
das Wunschkonzert des Senders Bozen Kinder einige Wochen dort bleiben, um
zukommen lassen. Als für mich keine zu kochen und die Wirtschaft zu führen,
Glückwünsche durchgesagt wurden, bei der strengen Holzarbeit und dann vor
setzten sich die jungen Leute mit den allem bei der gefährlichen Holzdrift im
direkt Zuständigen in Verbindung und eiskalten Ruezbach war das besonders
bekamen zur Antwort, man habe wichtig. Da standen die Buben und Jörg
Schwierigkeiten, für die Frau des Georg oft bis zu den Hüften im reissenden Was-
Klotz Geburtstagswünsche zu vermitteln! ser, um die verkeilten Baumstämme aus-
Das war weiter nicht schlimm, wussten einander zu treiben. Da musste im Herd
wir doch inzwischen, dass wir von ge- dauernd Feuer sein, um die nassen Klei-
wisser Seite nicht viel zu erwarten hat- dungsstücke und die Bergschuhe zu
ten, aber weh getan hat es trotzdem! trocknen. Wie oft bangte ich da, als ich
Dafür gab es einige wenige, um so groß- sah, welch gefährliche Arbeit das ist. In
artigere Menschen, die immer zu uns jenem Sommer, bevor Jörg diese Holz-
gehalten haben, uns auch mit Rat und partie übernommen hatte, waren
Tat zur Seite standen und mich informier- nämlich zwei Männer von den Baum-
ten, wenn etwas Wichtiges anstand, stämmen erdrückt worden und ums
denn mit der vielen Arbeit mit den eige- Leben gekommen. Es war also gefährlich
nen Kindern und den Studenten hatte und entbehrungsreich, aber so hatten wir
ich wenig Zeit für Nachrichten und Zei- wenigstens noch ein bisschen Familien-
tungslesen. Aber die Kinder wurden im- leben. Jörg hatte sich in dem Sommer
mer selbständiger und ich hatte bald bei der Arbeit zwei Rippen gebrochen
auch größere Hilfe durch sie. und sich in der Folge eine Rippenfell-
Als sich die Buben das erste ge- entzündung zugezogen, die seinen Auf-
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brauchte Auto anschafften, konnten wir enthalt im Krankenhaus notwendig
endlich öfter zu Jörg nach Nordtirol fah- machte. Die Medikamente bewirkten
ren, wo er sich inzwischen in einer Forst- zwar eine baldige Gewichtszunahme,
hütte im Rueztal eine neue Bleibe ge- denn er war schrecklich abgemagert,
aber richtig erholt hat er sich davon nicht Wenn ich heute auf diese bewegte
mehr. Schließlich erlitt er nach einem am- und schicksalshafte Vergangenheit zu-
bulanten operativen Eingriff eine Lun- rückblicke, kann ich sagen, dass sie zum
genembolie und starb im Jänner 1976 Glück keine Bitterkeit hinterlassen hat,
mit 56 Jahren ganz plötzlich. Das war wohl aber sehr viele, nicht immer erfreu-
für mich und uns alle eine schreckliche liche Erkenntnisse. Das Ganze doch ge-
Nachricht, wie oft aber hatten wir uns meistert und vor allem die Kinder zu
auf das Schlimmste gefasst machen müs- anständigen Menschen erzogen zu ha-
sen und ihn in höchster Gefahr gesehen! ben, die zu ihrem Vater und seiner Le-
Erst als mein Mann tot war, da durf- bensaufgabe stehen, erfüllt mich doch
te ich dann wieder unterrichten und mir mit Genugtuung und Freude.
doch noch einen Pensionsanspruch er- Und es hat in jeder noch so schwie-
werben, vorher war das nicht gegangen! rigen Situation Menschen gegeben, die
Ich möchte mich dazu jeden weiteren uns beigestanden sind und weitergehol-
Kommentars enthalten! Heute wissen fen haben. Allen diesen Menschen, auch
wir, dass Jörg wohl nie mehr als freier in Deutschland und Österreich, möchte
Mensch hätte zurückkehren dürfen, so ich heute von ganzem Herzen dafür dan-
war er als Toter heimgekehrt. ken.»
GRÜSS MIR DIE HEIMAT,
DIE ICH MEHR GELIEBT ALS MEIN LEBEN

Im Verlauf des Widerstandskampfes vielleicht besser verstehen, wenn man ei-


nach der Feuernacht wurde neben Jörg nige Ereignisse aus seiner Kindheit und
Klotz sein Freund Luis Amplatz zu einem Jugend kennt.
der bekanntesten, am meist gesuchten Keiner kann besser darüber berich-
und gejagten Freiheitskämpfer. Sein of- ten als sein Bruder Franz Amplatz.
fenes Auftreten und sein überzeugter Luis wurde in Gries bei Bozen am
Wille, für das Wohl der Heimat zu kämp- 28.08.1926, als zweites Kind von 8 Ge-
fen, ließen ihn bald zu einer Symbolfi- schwistern geboren. Drei Kinder starben
gur des Südtiroler Widerstandes werden. schon im Kindesalter. Unser Vater Luis
Warum Luis Amplatz bis zu seinem Amplatz hatte sich zusammen mit sei-
Tode kompromisslos den harten Weg des ner Mutter und seiner Frau ein kleines
Widerstandes, der Flucht, der Verfolgung Haus gekauft, das wir heute noch besit-
und des Untergrundes wählte, kann man zen.

Franz Amplatz über seinen Bruder Luis


Schon früh, mit 5 Jahren, erkrankte Luis in Trient mit einer Krankheit einge-
Luis schwer an einer doppelseitigen Lun- liefert. Sie starb nach einigen Monaten.
genentzündung und wurde in das allge- Wie wir alle besuchte auch Luis die
meine Krankenhaus von Trient eingelie- Volksschule in Gries. Die Lehrpersonen
fert. Luis war drei Jahre in Trient und der Jahre 1924-25 bis 1938-39 waren
verlernte dabei die deutsche Sprache ausschließlich überzeugte Faschisten. Sie
völlig. Ich erinnere mich noch sehr gut, hätten gar nicht unterrichten können,
ich war ein Jahr jünger als Luis, wie ich wenn sie nicht in diese Partei eingeschrie-
ihm italienisch nachgespottet habe, wor- ben gewesen wären.
auf ich dann vom Vater eine Watschen Die Schulzeugnisse von damals wa-
geknallt bekam. ren nicht besonders gut ausgefallen,
191
Unsere Muttersprache wieder zu er- weder bei Luis noch bei mir. Unser Vater,
lernen ging dann schnell, da er nichts ein strenger (wohl einer der strengsten
anderes hörte. Übrigens wurde auch eine der Umgebung, aber ein sehr korrekter
Schwester von uns im gleichen Alter wie und ausgeglichener Mann, den wir sehr
Luis Amplatz war Leutnant und Gründungsmitglied der Schützenkompanie Bozen/Gries.

respektierten) sagte uns eines Tages, als Nasenlänge voraus zu sein, die die deut-
wir wieder mit unseren Noten nach Hau- sche Sprache nicht lernen konnten oder
se kamen: «Italienisch ist für euch nicht wollten. Dadurch konnten wir alle, die
so wichtig, besser ist, ihr lernt richtig diese Schule besuchten, nach der Option
Deutsch.» Und so war es auch, Gott sei im Jahre 1939 gleich in die Oberstufe
Dank. Wir besuchten zur damaligen Zeit aufsteigen (denn nach 1939 wurde
die Katakombenschule, wie sie bei uns allgemein die deutsche Schule einge-
genannt wurde und zwar zwei Mal die führt).
Woche jeweils 1 Stunde. Die Jahrgänge von 1919 bis 1928,
Man konnte nicht die zwei Stunden also 9 Jahrgänge, waren am schlechtes-
in der Woche im selben Haus am Unter- ten dran; die kamen gerade zur Faschis-
richt teilnehmen, das musste getrennt in tenzeit in die Schule. Viele davon haben
zwei Häusern geschehen. Diese Schule dann das Schreiben und Lesen auf
war streng geheim; so mussten jeweils 4 Deutsch erst beim Deutschen Heer er-
192
bis 5 Schüler, die unterrichtet wurden, lernt.
einzeln in die Häuser schleichen. Aber Ich erinnere mich noch genau, wie
für uns war es lustig und reizvoll, etwas Luis das erste Mal das Ballila-Gewand (so
Geheimes zu tun und den anderen eine hieß die kleinste Uniform der Faschisten,
die in vier Stufen bis zur vormilitärischen wider. Der genannte Lehrer bekleidete
ihre verschiedenen Namen hatte) anzie- den Rang eines Oberst des italienischen
hen sollte und sich weigerte; zwar wohl Heeres. Wir haben ihm mit dieser Aktion
wie wir alle, bis auf ein paar Einzelne, die «Schneid abgekauft».
die es anzogen, weil ihre Eltern eine Luis‘ Klassenkameraden brachten ihm
Staats- oder eine Beamtenstelle innehat- des öfteren was zum Naschen mit: Kek-
ten. Aber Luis scheute sich vor nieman- se, Würste, Nüsse usw., damit er etwas
dem, sagte es dem Lehrer ins Gesicht: anstellte. Natürlich waren das nur Laus-
«Das welsche Gewand ziehe ich niemals bubenstreiche: das Ausleeren des Tinten-
an!» Und so bekam er auch vom Lehrer fasses des Lehrers nach Schulschluss, sich
heftige Prügel, sodass er aus Nase und in den Pausen vom äußersten Ast kopf-
Mund blutete, aber das bewegte ihn über hängenlassen oder das Herunter-
nicht zur Umkehr! Im Gegenteil, er wur- holen der italienischen Fahne. Das brach-
de trotziger. Dementsprechend fielen te die Lehrpersonen auf die Beine.
auch dann die Noten aus. Allgemein war Luis bei seinen
Eines Tages, ich ging in die 3. Klasse Mitschülern sehr beliebt. Sie hatten mit
Volksschule und der Luis in die 4. Klasse, ihm sozusagen eine Mordsgaudi und
musste ich zur Strafe für ein Vergehen in keiner wagte, das auszuführen, was ihm
der Ecke der 4. Klasse vom Luis stehen. Spaß machte. Umsonst sagte der Schul-
Ich unterhielt mich während des Unter- diener nicht: «Wenn was ist, immer die
richts mit den Klassenkollegen von Luis, Amplatz!» Das traf, ohne dass ich den
bis der Lehrer wutentbrannt zu mir her- Scheinheiligen spiele, zu 80% den Luis.
unter in die Ecke kam und mir zwei Unser Grundstück lag von unserem
klatschte. Meine Antwort war: «Walscher Wohnort Gries ungefähr 3 km entfernt.
Fock!» Er nahm mich beim Kragen und Wir Schulkinder mussten immer zu Fuß
zerrte mich zur Tafel hinauf, ich ließ mich hinlaufen, um dem Vater im Feld zu
fallen, packte den Lehrer (der übrigens helfen. Das waren die Jahre 1935-36, wo
als einer der wenigen Deutsch verstand) eigentlich die große Verbauungspolitik
bei den Füßen und biss ihm in die Beine. einsetzte: Es wurden dort die schönsten
Luis lief, bewaffnet mit der hölzernen Gründe enteignet, um Fabriken zu bau-
Griffelschachtel, heraus und haute sie en und gleich darauf diese Volkswohn-
193
dem Lehrer auf den Kopf. häuser (wir nannten es Shanghai-Viertel),
Natürlich sind das unschöne Sachen, die von unserem Grundstück nur wenige
aber sie spiegeln die Situation und den Meter entfernt waren. Wie das alles ge-
Tagesablauf an den Schulen Südtirols baut wurde, da fühlte man, wie sich die-
se faschistische Horde stark fühlte. Alles Südtiroler hereinbrach: Die Enteignungen
gehörte schon ihnen und sie wussten der Gründe, die Übersetzung deutscher
immer, was dein ist und mein. Namen ins Italienische, auf dem eigenen
So wurden die Zäune rings um unse- Grund nicht mehr sicher vor den Diebes-
ren Grund aufgerissen oder mit Zangen horden. Eines hat den Luis sehr bewegt:
aufgeschnitten. Aber nicht nur bei uns, Die Inschriften der Grabmäler, die vom
sondern überall, wo Gründe um diese Deutschen ins Italienische übersetzt wur-
Neubauten herum waren. Die Ernte den, dazu noch sehr fehlerhaft.
wurde uns zu 50% gestohlen. Unreifes In den Jugendjahren trug Luis gerne
Obst, hauptsächlich Trauben, wurde bos- die Lederhose mit weißen Stutzen, was
haft abgerissen und auf den Boden ge- den Italienern sehr ins Auge stach. Bei
worfen. Den Vater hätte man beinahe einem Herbstfest, in unmittelbarer Nähe
eingekerkert, nur weil er Diebe ertappte, von uns, gesellten sich zwei Italiener zu
diese auf seinem Grund und Boden zu- diesem Fest. Einige dumme Bemerkun-
rechtwies und zu ihnen sagte: «Geht hin, gen über uns Südtiroler von diesen bei-
wo ihr hergekommen seid, wir haben den genügten Luis schon, um in die Luft
euch nicht gerufen.» zu gehen. Mit zu den Lederhosen in der
Nicht weniger oft kam es vor, dass Seitentasche gehörte der Dolch oder das
wir die Diebe vertrieben oder selbst von Stilett. Luis zog das Stilett, das übrigens
mehreren vertrieben wurden. Wenn es verboten war. Nach einem Wortwechsel
nicht gerade eine Übermacht war, ver- fragte er einen der beiden, ob er ihm
prügelten wir sie auch, denn diese fei- den Bauch aufschlitzen solle; eine Dro-
gen Kerle fühlten sich nur stark, wenn hung, die Luis niemals wahr gemacht
sie in dreifacher Übermacht waren. hätte. Die beiden verschwanden und es
Nach verrichteter Arbeit führte der dauerte keine halbe Stunde und sie kehr-
kürzeste Weg vom Feld nach Hause an ten in Begleitung einiger Polizisten zu-
den teilweise schon errichteten Häusern rück. Luis und ich bestiegen unsere Fahr-
vorbei. Da hat man uns, den Luis und räder und verschwanden. Die Italiener
mich, mit Steinen beworfen. Nicht nur hatten aber Lunte gerochen und verfolg-
einmal mussten wir dieses Shanghai-Vier- ten uns. Die Nacht kam uns zur Hilfe,
tel umgehen, besonders, wenn es eine wir nahmen Deckung in der Straßenbö-
194
Schlägerei auf unserem Grund gegeben schung hinter einem Strauch, während
hat. die anderen uns vergeblich suchten.
So wuchs Luis auf, das große Unrecht Ungefähr zwei Monate nach diesem
immer mehr erkennend, das auf uns Vorfall kam die Polizei auf das Feld, wo
Luis Amplatz war Vater von drei Kindern.
Er war ein Kleinbauer und sein Leben
galt dem Wohl seiner Familie und seiner Heimat.

195
Ostern 1957– Luis Amplatz feiert mit Mitgliedern der Stieler-Gruppe die Entlassung aus der Haft. V.l.n.r. Luis
Amplatz, Sepp Stieler, Toni Kasslater, Othmar Plunger und Hartl Pernter.

Luis und ich als Tagelöhner arbeiteten ins Krankenhaus nach Innsburck. Er hat-
und ohne Umschweife verhafteten sie te ein unheilbares Leiden, das er sich in
ihn. Luis war verraten worden. Dieser vier Jahren sibirischer Gefangenschaft zu-
Spaß, so kann man den Vorfall ruhig gezogen hatte. Im Jänner 1940 kam er
nennen, kostete Luis zwei Monate Ar- nach Innsbruck, im Jänner 1941 verstarb
rest. Durch gute Führung kam er nach 6 er in Wien, wie alle anderen, die von
Wochen wieder in Freiheit. Umgekehrt dieser Krankheit befallen waren.
konnten die Besatzer sogar Pistolen zie- Mutter stand mit fünf schulpflichti-
hen, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmt gen Kindern alleine da, ohne Hinter-
wurde. bliebenenrente, nur mit ihren arbeitsa-
Wir mussten schon früh auf eigenen men Händen, die heute noch schaffen,
196
Füßen stehen: Luis übernahm schon als mit über 80 Lenzen. Luis wuchs auf, le-
16-Jähriger den Grund, den wir bis da- bensfreudig, seine Berge liebend. Der
hin gemeinsam bearbeitet hatten. Nach Witz fehlte ihm nicht und viele mochten
der Option kam unser Vater im Jahr 1940 ihn gern, weil er so spontan und aufge-
weckt war. Sogar einige Italiener hatten schnallt, mit Gasmaske, Seitengewehr,
Spaß mit ihm. Brotbeutel, Rucksack, Gewehr und mit
Keinen Spaß verstand er aber, als er dem Stahlhelm auf dem Kopf. Seine Stu-
als Feldsaltner fungierte. Auf dem Fahr- benkameraden unter den Decken bogen
rad sitzend schwang er die Ochsenpeit- sich vor Lachen, als der U.v.D. kam. Der
sche und neben ihm lief ein scharfer schleifte den Luis dann Stuben ein, Stu-
Schäferhund, der gut auf die Obstdiebe ben aus, Stiegen auf, Stiegen ab. Vom
abgerichtet war. lauten Gelächter wachte die ganze Ka-
Das Hissen der Tiroler Fahne an den serne auf.
waghalsigsten Orten, auf Felsen, wo man Wie der Krieg zu Ende war, kam er in
sich abseilen musste oder auf Hochspan- amerikanische Gefangenschaft. Am 14.
nungsmasten, war seine Spezialität. Um Mai 1945 wurden er und seine Mit-
die Fahnen herunter zu holen, musste gefangenen nach Bozen transportiert
die Hochspannung ausgeschaltet wer- und dort in einer Kaserne interniert. Alle
den. Luis führte uns einmal während der glaubten, jetzt zu Hause zu sein und bald
Obsternte vor, wie man einen hohen entlassen zu werden. Aber es kam
Masten erklettert und am obersten Ende anders. Nach zwei Tagen wurden sie
einen Kopfstand machen kann. wieder auf LKWs geladen und in
Luis wurde im Mai 1944 einberufen Strafgefangenenlager nach Süditalien
und kam zum Polizeiregiment Alpen- transportiert. Luis glaubte nicht mehr an
vorland nach Schlanders. Nach der Aus- eine Entlassung. Er und ein Kamerad
bildung zwischen Schlanders und Mals brachen aus und waren bald zuhause,
kam das Regiment zum Partisaneneinsatz wohl die zwei einzigen, die es so schaff-
nach Oberitalien. Was sich Luis während ten.
dieser Ausbildung leistete, war einmalig, Im Jahr 1946 wurden wir Mitglieder
sogar seinen strengen Kompaniechef des Jugendbundes von Bozen. Das «Alte
Schwertfäger (gefallen 1945) brachte er Haus» war durch Bomben schwer
zum Lachen. Luis war das Kasperl des beschädigt worden, sodass man sich
Regiments; hätte sich ein anderer Soldat gezwungen sah, es gänzlich abzureissen
diese Sachen geleistet, wäre dieser vor und ein neues aufzubauen. Nach der
dem Kriegsgericht gelandet. schweren Feldarbeit am Abend kamen
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Eines Abends hatte Luis Stubendienst so 10 bis 15 Burschen zusammen, um
und musste die Stube vor dem U.v.D. den Schutt mit Schubkarren wegzuräu-
abmelden. Er stand in den Unterhosen men und die Ruine abzutragen. Auch
und mit Leibchen da, die Koppel ange- hier war Luis wieder vorne dabei.
Niemand wagte sich so weit hinauf wie Wir gründeten dann wieder die Hei-
er. Bewaffnet mit einer Brechstange und matbühne, bei der Luis auch als Schau-
mit seinem guten Humor brach er Meter spieler mitwirkte und mit dem Erlös
um Meter das Gebäude ab. Unser wurde zum Teil der Wiederaufbau finan-
damaliger katholischer Präses erzählt ziert. Dieses Haus heißt heute «Lehrlings-
heute noch gerne von dieser Leistung, heim Bozen», die Bühne heißt heute
die wir unentgeltlich vollbracht hatten, «Volksbühne Bozen»; sie spielt heute im
besonders von Luis. Walther-Haus weiter.

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Nach dem Tode von Luis Amplatz gegenüber war. Zu Terroristen und Ver-
entstanden im Volk Geschichten über brechern wurden sie von der offiziellen
sein Leben, seine Taten und sein unglück- Presse und Politik gemacht.
liches Ende. Dies beweist, wie groß im Über den Mord an Luis Amplatz
Grunde die Sympathie großer Bevöl- herrscht heute noch Unklarheit. Mörder
kerungsschichten den Freiheitskämpfern und Mordaufträger blieben unbestraft.

Die Tragödie auf den Brunner Mahdern


von Günther Obwegs

Man schreibt das Jahr 1964. Seit der Luis Amplatz ermordet. Noch heute sind
Feuernacht – jenem Protestschrei der die genauen Umstände dieses Mordes
Südtiroler gegen die vom faschistischen nicht aufgeklärt und Mörder und Auf-
Regime begonnene und vom «demokra- traggeber ungestraft. Noch heute wer-
tischen» Staat Italien fortgesetzte den Luis Amplatz und seine Mitstreiter
Italienisierungspolitik und gegen das ver- oft verkannt und verurteilt, um die
weigerte Recht auf Selbstbestimmung – Schuld des italienischen Staates am Süd-
sind bereits drei Jahre vergangen. Von tirol-Problem und den Opfern des Frei-
Frieden im Lande kann noch niemand heitskampfes der späten 50er und der
sprechen, dazu sind die Detonationen der 60er Jahre zu verbergen und jene zu
Sprengungen, die Schreie der gefolter- schützen, die Täter und Auftraggeber
ten Südtiroler Häftlinge noch zu allge- waren.
genwärtig und spürbar und die politi- Für manche scheint eine Ewigkeit ver-
schen Verhandlungen zwischen Öster- gangen, für andere scheint es erst ge-
reich und Italien auf bilateraler und inter- stern gewesen zu sein. Jahre danach soll-
nationaler Ebene voll im Gange. ten wir nicht Gefahr laufen, jene Zeit und
Der Wunsch der Südtiroler nach Ge- jene Männer, die für Werte eingetreten
rechtigkeit, der Wunsch nach einer Lö- sind, die heute immer mehr verblassen,
sung der Südtirol-Frage durch die An- leichtfertig und vielfach aus reiner Be-
199
wendung des Selbstbestimmungsrechtes quemlichkeit zu vergessen.
ist noch nicht gebrochen. Die Eltern von Luis Amplatz, die ei-
In der Nacht vom 6. zum 7. Septem- nen kleinen Bauernhof in der Kaiserau
ber 1964 wird auf der Brunner Mahder bewirtschaften, erteilen ihren acht Kin-
Für das gemeinsame Ziel. Luis Amplatz
und Jörg Klotz im österreichischen Exil.

dern eine strenge und ebenso heimatbe- am eigenen Leib. Aber genauso wächst
wusste Erziehung. Die faschistische in ihm auch der Wille, dagegen Wider-
Italienisierungspolitik, die Katakomben- stand zu leisten und seine Heimat zu
200
schule und besonders die massive Zu- verteidigen. So weigert er sich als Kind,
wanderung prägen die Jugend von Luis in die faschistische Jugendorganisation
Amplatz. Schon von seiner Kindheit auf Balilla einzutreten und wird bereits mit
erlebt er Faschismus und Italienisierung 16 Jahren zum ersten Mal von Carabi-
nieri verhaftet und für zwei Monate ein- Germain an Tirol verübte Unrecht der
gekerkert. Nach seiner Enthaftung muss Teilung wird nicht beseitigt, sondern
er die Sorge für die Familie übernehmen bekräftigt und nur notdürftig durch ei-
und seiner Mutter und den sieben Ge- nen internationalen Vertrag, das Gruber-
schwistern helfen, da sein Vater, der im De-Gasperi-Abkommen, in Paris beschö-
Ersten Weltkrieg schwere gesundheitliche nigt. Tirol bleibt zerrissen und Südtirol
Schäden erlitten hatte, erkrankt ist und als Herzstück des Landes weiterhin
bald darauf sterben wird. Kriegsbeute Roms.
1944 wird Luis Amplatz zum deut- Durch das Pariser Abkommen wur-
schen Militärdienst eingezogen und den den Südtirolern einige Grundrechte
kommt als Mitglied des Südtiroler Poli- zugesichert, doch das demokratische Ita-
zeiregimentes Alpenvorland zur Partisa- lien zeigte nicht das geringste Interesse,
nen-Bekämpfung nach Oberitalien. Am den Minderheitenschutz zu verwirklichen.
14. Mai 1945 wird er aus amerikanischer Es wurde immer deutlicher, dass Italien
Gefangenschaft entlassen und kehrt in nur unter dem alliierten Druck der Auf-
seine Heimat zurück. nahme der Minderheitenschutzrechte in
Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende und den Friedensvertrag zugestimmt hatte,
damit auch die Zeit der faschistischen um den territorialen Besitz Südtirols zu
Herrschaft. Und wieder hoffen die Südti- sichern. Sobald dieses Ziel erreicht war,
roler – wie nach dem Ersten Weltkrieg – fühlte sich Rom wieder gestärkt und setz-
auf eine gerechte Lösung des Südtirol- te in vielen Bereichen die Italienisierungs-
Problems. pläne des faschistischen Regimes fort.
Wieder hofft die Bevölkerung, dass Dazu gehörte vor allem das Ziel, die deut-
die Alliierten vor der offenen Tirol-Frage sche Bevölkerung durch die staatliche
nicht die Augen verschließen und erneut Förderung einer massiven Zuwanderung
den italienischen Nationalisten Recht von Italienern zu majorisieren.
geben werden. Luis Amplatz gehörte sicher zu den
So werden im ganzen Land Unter- ersten, die dieses falsche Spiel erkannten
schriften für die Selbstbestimmung und und die Machenschaften Roms durch-
die Wiedervereinigung mit Österreich schauten. Zu augenscheinlich war, dass
gesammelt. Fast jeder wahlberechtigte zahlreiche italienische Beamte, Richter,
201
Südtiroler unterstützt diese Forderung mit Politiker, Offiziere und Carabinieri zwar
seinem Namen. Aber erneut sollte alles das faschistische Schwarzhemd abgelegt,
anders kommen! Das nach dem Ersten aber nicht ihre Gesinnung geändert hat-
Weltkrieg im Diktat-Frieden von Saint ten.
Was das faschistische Italien mit bru- Anwesenden auf dem Schlossturm die
talen Zwangsmethoden begonnen hatte, damals noch verbotene weiß-rote Tiroler
führte nun das «demokratische» Italien Landesfahne.
mit feineren und eleganteren Mitteln Die Tirolerfahne hatte er schon in den
fort. Der Todesmarsch der Südtiroler, wie Jahren zuvor immer wieder an schwer
ihn der streitbare Kanonikus Michael zugänglichen, aber weithin sichtbaren
Gamper Anfang der 50er Jahre in einem Stellen gehisst und damit ein stummes
dramatischen Appell nennt, geht schein- Zeichen des Widerstandes gesetzt. Dabei
bar unaufhaltsam weiter. Luis Amplatz scheute er sich auch nicht davor, weiß-
scheut keine Mühen, davor zu warnen, rote Fahnen selbst auf Hochspannungs-
wachzurütteln, anzuklagen und für die masten (Symbole der Fremdherrschaft) zu
Rettung seiner Heimat zu arbeiten. 1957 hissen, wo sie tagelang wehten, bevor
ist er maßgeblich an der Wiedergrün- es den Carabinieri gelang, sie zu entfer-
dung der Schützenkompanie Gries betei- nen.
ligt und wird von seinen Kameraden zum Bereits vor der «Feuernacht» im Juni
ersten Fahnenleutnant gewählt. 1961, führte Luis Amplatz Sprengstoff-
Auf seinem kleinen Obstgut in Bozen anschläge auf in Bau befindliche Volks-
muss er täglich erleben, wie sich die wohnhäuser durch, die für die italieni-
Stadt durch die von Rom betriebene ita- schen Zuwanderer bestimmt waren. Der
lienische Zuwanderung immer weiter großen Verhaftungswelle nach der Herz-
ausdehnt und zahlreichen Bauern im Jesu-Nacht des Jahres 1961 kann sich
Bozener Talkessel die Lebensgrundlage Luis Amplatz nur durch eine dramatische
raubt. Deshalb ist er seit den Anfängen Flucht entziehen.
der Freiheitsbewegung, dem späteren Über die Berge flüchtet er nach Nord-
BAS (Befreiungsausschuss Südtirol), in tirol, in den für ihn freien Teil des Lan-
führender Stellung aktiv. Bei der Groß- des, wo er von Mitkämpfern und Freun-
kundgebung von Sigmundskron, am 17. den des BAS aufgenommen wird. Dort
November 1957, wo sich 35.000 Südti- erreicht ihn bald auch der Schützenma-
roler zu einer eindrucksvollen Protestver- jor Jörg Klotz aus Walten in Passeier, der
sammlung einfinden, um die Weltöffent- sich ebenfalls durch die Flucht über die
lichkeit auf ihre Not und Verzweiflung Berge der Verhaftung durch die Carabi-
202
aufmerksam zu machen und um ihren nieri entziehen kann.
Willen kundzutun, etwas für die bedroh- Luis Amplatz und Jörg Klotz stellen
te Heimat zu tun, hisst Luis Amplatz ihren Kampf aber nicht ein und versu-
unter stürmischem Beifall und Jubel der chen auch von Nordtirol aus, weiter ihr
Seit seiner Flucht im Sommer
1961 kehrte Luis Amplatz
alleine oder mit Kameraden
über die Grenze in seine
Heimat zurück, um den
begonnenen Kampf
fortzuführen.
Mehrmals entging er
dabei knapp einer Verhaftung.
In der Bevölkerung entstand
so fast eine Legende.

203
Ziel zu verfolgen. Immer wieder ziehen und Amplatz angekündigten Aktionen
sie über die Berge nach Südtirol und die Verhandlungen zwischen Wien und
bekunden durch erneute Anschläge vor Rom belasten könnten. Im Wiener Exil
allem auf Hochspannungsleitungen, dass wachsen Verbitterung und Heimweh.
der Widerstandswille trotz der Verhaf- Aus dieser Zeit stammt auch die Aussage
tungswellen und trotz der grausamen von Luis Amplatz, die die Tragik jenes
Folterungen der Verhafteten nicht am Augenblicks widerspiegelt: «Rom und
Ende ist. Es ist aus heutiger Sicht schwer Wien mocht ins hin!» Luis Amplatz un-
nachvollziehbar, was in den Herzen und terzieht sich einer längst fälligen Menis-
Köpfen dieser Männer, die bereit waren, kusoperation. Im August 1964 wird dann
für die Heimat, aus der sie fliehen mus- das Heimweh der beiden Schützen so
sten, alles – ja selbst das Leben – aufs groß, dass sie beschließen, sich aus Wien
Spiel zu setzen, vor sich ging. abzusetzen und sich erneut nach Südti-
In diesen Jahren werden Jörg Klotz rol zu begeben. Dieser Aufbruch ge-
und besonders Luis Amplatz für den ita- schieht vor allem vor dem Hintergrund
lienischen Staat zu gefürchteten Terrori- des großen «Mailänder Prozesses» ge-
sten, für die Südtiroler zu einer Legende, gen zahlreiche Südtiroler Mitstreiter, un-
zu einem lebenden Symbol des Wider- ter ihnen auch Sepp Kerschbaumer, der
standes gegen den fremden Staat. Luis bereits seit drei Jahren in Italien in Haft
Amplatz musste wie Jörg Klotz eine Fa- ist. Durch neue Aktionen wollen sie ih-
milie in Südtirol zurücklassen, seine Frau ren Kameraden im Gefängnis ihre Soli-
und vier Kinder. Immer wieder ziehen sie darität bekunden.
– oft mit wenigen guten Freunden und Seit der Feuernacht ist der Kampf in
Mitstreitern – über die Grenze, um den den Bergen und Tälern Südtirols immer
Freiheitskampf fortzusetzen. Oft mag sie verbissener geworden. In der Nähe der
dabei mehr das Heimweh und die Sehn- Zwickauer Hütte überschreiten sie den
sucht nach den Lieben zu Hause ange- Rotmoosferner und gelangen in das Pas-
trieben haben. seiertal, der Heimat von Andreas Hofer
1964 werden Luis Amplatz und Jörg und Jörg Klotz. Aber sie werden dort
Klotz – sie sind bereits seit drei Jahren im schon von der italienischen Besatzungs-
österreichischen Exil – von der österrei- macht erwartet.
204
chischen Regierung zuerst in Schubhaft Durch Anschläge der «Pusterer-
genommen und dann von Nordtirol nach Buam» befinden sich in Südtirol über
Wien verbannt, da die österreichische 25.000 Carabinieri, Polizisten, Finanzpo-
Regierung befürchtete, dass die von Klotz lizei und Soldaten in höchster Alarmbe-
Im September 1964 wurde Luis Amplatz auf den Brunner Mahdern von Christian Kerbler,
einem vom italienischen Staat gedungenen Mörder, erschossen.

So fanden die «ersten» Carabinieri, welche am Tag nach dem Mord die
Brunner Mahdern aufsuchten, Luis Amplatz tot in seinem Schlafsack.
Noch immer bleibt vieles bei diesem Verbrechen ungeklärt.

205
reitschaft. Gleich- Grenze geschmuggelt und bei der Aus-
zeitig war es den führung von Anschlägen mitgeholfen.
italienischen Ge- Da die beiden Kerbler-Brüder in
heimdiensten ge- Italien polizeilich unbelastet sind, sollen
lungen, in den sie regulär die Grenze am Brenner
Kreis der Südtirol- Richtung Südtirol überschreiten, während
Aktivisten in Luis Amplatz und Jörg Klotz über die
Nordtirol Agenten Berge gehen. Wie verabredet, will man
und Spitzel einzu- sich dann auf einer Alm in Passeier
schleusen. Zwei treffen. Die ausgelegte Falle des italieni-
davon haben zu schen Geheimdienstes beginnt zuzu-
Christian Kerbler jenem Zeitpunkt schnappen.
bereits einen klaren Auftrag erhalten, den Als Jörg Klotz und Luis Amplatz die
sie bis zur letzten Konsequenz auch aus- Grenze über den Rotmoosferner über-
führen werden. schreiten, stoßen sie bereits nach weni-
Es sind die Gebrüder Franz und Chri- gen Stunden Marsch auf eine starke Ein-
stian Kerbler, die einer angesehenen, heit der italienischen Finanzwache und
patriotisch gesinnten Nordtiroler Familie werden in ein Feuergefecht verwickelt.
entstammen. Es war ihnen bereits seit Mit einem Verletzten zieht sich die Fi-
einiger Zeit gelungen, in das engere nanzpolizei zurück. Doch bald müssen
Umfeld von Jörg Klotz vorzustoßen und Jörg Klotz und Luis Amplatz, die in ihren
sich diesem als Helfer und Mitstreiter geliebten Bergen ortskundig sind, erken-
anzubieten. Jörg Klotz und Luis Amplatz nen, dass sie von anderen starken Mili-
entschließen sich im Sommer 1964, die täreinheiten eingeschlossen werden. An
beiden Brüder als Helfer bei ihrer Aktion den Uniformen können sie erkennen,
im Passeiertal mitzunehmen. Luis Am- dass es sich dabei um gefürchtete Son-
platz äußert zwar mehrfach gegenüber dereinheiten handelt. Um der Einschlie-
Jörg Klotz und anderen Mitstreitern Vor- ßung zu entkommen, müssen sie ihre
behalte gegenüber den beiden Kerbler- Ausrüstung zurücklassen, um sich durch
Brüdern. eine schnelle Ausweichbewegung der
Schließlich stellt aber auch er seine drohenden Gefangennahme zu entzie-
206
Bedenken zurück und willigt in ihre Be- hen. Den Zusammenstoß erklären sich
teiligung an der geplanten Aktion ein. die beiden mit der verstärkten Grenz-
Christian und Franz Kerbler haben schon überwachung, erst später wird deutlich,
vorher mehrfach Sprengstoff über die dass sie bereits erwartet wurden.
Das Begräbnis von Luis Amplatz, welchem viele tausende Südtiroler beiwohnten, war ein stilles Bekenntnis
der Südtiroler Bevölkerung zum aktiven Widerstand gegen den italienischen Staat.

Wahrscheinlich bewahrt sie nur die Jörg Klotz und Franz Kerbler in das Dorf
Tatsache, dass sie von den ursprünglich Saltaus hinunter, um Proviant zu holen.
vereinbarten Terminen abweichen, davor, Es ist der 4. September 1964. Jörg Klotz
schon an der Grenze im Kugelhagel der wartet am Dorfrand auf Franz Kerbler,
italienischen Sondereinheiten zu sterben. der die nötigen Einkäufe tätigt. Bei Nacht
Da die ursprünglich geplante Aktion nicht auf dem Rückweg werden die beiden von
gelungen ist, bekommen die beiden einer Carabinieripatrouille überrascht und
Geheimdienstagenten Christian und beschossen. Leuchtraketen erhellen den
Franz Kerbler, die Klotz und Amplatz am Himmel. Franz Kerbler verschwindet in
vereinbarten Ort erwarten, von höchsten der Dunkelheit und taucht nicht mehr
italienischen Sicherheitskreisen über den auf. Jörg Klotz entkommt und kann nach
Oberst des Geheimdienstes Monico den mehreren Stunden das gemeinsame Ver-
207
Befehl, selbst zur Tat zu schreiten. Nach- steck auf der Brunner Mahder erreichen.
dem Luis Amplatz und Jörg Klotz mit den Am nächsten Tag, einem Sonntag, ver-
Kerbler-Brüdern schließlich auf der Brun- lässt auch Christian Kerbler das Versteck,
ner Mahder zusammentreffen, steigen um, wie er sagt, nach dem verschwun-
denen Bruder zu suchen. Erst am Nach- enthalten ist. Luis Amplatz bietet er so-
mittag des 6. September erreicht Christi- gar seinen Schlafsack an, den dieser zu-
an Kerbler wieder die Alm. Seinen Bru- erst abweist, dann aber dennoch be-
der will er nicht gefunden haben. Es nützt. Luis Amplatz und Jörg Klotz ha-
gelingt ihm dennoch geschickt, das Miss- ben bereits seit zwei Nächten nicht mehr
trauen von Luis Amplatz zu zerstreuen. geschlafen.
Wo ist Franz Kerbler geblieben? Wo war In der Nacht schreckt Jörg Klotz aus
Christian Kerbler die ganze Zeit? Fragen, seinem Schlaf auf. Er hört Schüsse und
die bis heute nicht restlos geklärt sind. sieht im Schein einer Taschenlampe Chri-
Es gibt Zeugen, die Christian Kerbler an stian Kerbler vor sich stehen. Der erste
jenem Tag längere Zeit am Dorfeingang Gedanke, der ihn durchfährt – die Hütte
von Saltaus mit Unbekannten in einem wird von den Italienern beschossen. Er
dunklen Personenwagen sitzen sahen. schreit Kerbler zu, er solle die Taschen-
Aus den Tagebüchern des Carabinieri-Of- lampe ausschalten. Das Licht wird aus-
fiziers Manes geht hervor, dass am Abend geschaltet und Kerbler verlässt die Hüt-
vor dem 6. September 1964 in Bozen te. Erst jetzt bemerkt Jörg Klotz, dass er
eine Zusammenkunft zwischen rangho- von zwei Schüssen getroffen ist. Er blu-
hen Offizieren der in Südtirol operieren- tet stark an der Oberlippe und verspürt
den Carabinieri-, Polizei- und Geheim- einen stechenden Schmerz im Brustkorb.
diensteinheiten sowie einem hohen Ver- Er kriecht in das andere Eck der Hütte,
treter aus den römischen Regierungskrei- wo Luis Amplatz liegt. Er will ihn wek-
sen stattgefunden hat. Dort sei der end- ken, ruft seinen Namen, rüttelt ihn und
gültige Beschluss gefasst worden, Luis muss mit Entsetzen feststellen, dass sein
Amplatz und Jörg Klotz noch im Passei- Kampfgefährte und guter Freund tot ist.
ertal zu ermorden. Auch was in jener Jörg Klotz verlässt daraufhin schie-
Nacht auf der Brunner Mahder geschieht, ßend die Hütte, da er noch immer über-
ist noch nicht restlos geklärt. Fest steht zeugt ist, dass sie von außen beschossen
nur, dass sich Luis Amplatz, Jörg Klotz werden. Schwer verwundet schleppt er
und Christian Kerbler in die Hütte auf sich, mit Hilfe von Passeirer Freunden, ge-
der Brunner Mahder zurückziehen, nach- jagt von tausenden Carabinieri und Sol-
dem sie zuvor in der Almhütte beim alten daten, über die Grenze nach Nordtirol.
208
Brunnerbauern etwas gegessen hatten. Christian Kerbler wird angeblich von
Kerbler bietet beiden vor dem Ein- der Polizei verhaftet, kann aber wie durch
schlafen noch einen Tee an, in dem sehr ein Wunder auf der Fahrt von Meran
wahrscheinlich ein starkes Schlafmittel nach Bozen aus dem Polizeiwagen flüch-
209

Ein Auszug aus dem Testament von Luis Amplatz


ten. Er gilt seither als verschollen. Wohl die Mörderhand eines Tirolers, der zu-
mit falschen Papieren und dem Lohn sei- gleich italienischer Agent war, in der
ner Arbeit ausgestattet, dürfte er sich Nacht vom 6. zum 7. September 1964,
unter neuer Identität in ein Drittland ab- erlischt.
gesetzt haben. Als das Interesse an sei- Das Begräbnis von Luis Amplatz wird,
ner Person in der deutschen Presse nicht wie die Beisetzung seines Freundes und
abreisst, wird das Gerücht ausgestreut, Mitstreiters Sepp Kerschbaumer wenige
er sei im Bodensee ertrunken. Seine Monate später zu einer eindrucksvollen
Leiche konnte trotz ausgedehnter Such- wie tragischen Kundgebung des Tiroler
aktionen aber nie gefunden werden Mit Volkes für Freiheit und Gerechtigkeit.
dieser falschen Fährte sollten wahr- Mehr als 20.000 Menschen geben ihm
scheinlich nur endgültig alle Spuren hin- am Friedhof von Bozen das letzte Geleit.
ter ihm verwischt werden. Auf seinem Grab wird der tiefgrün-
So endet das Leben von Luis Am- dige Satz angebracht, der am besten die
platz, dem Schützenleutnant aus Gries, Lebenseinstellung und die Ideale von Luis
der bis zuletzt daran geglaubt hat, dass Amplatz zum Ausdruck bringt, und der
seine Heimat Tirol wieder eins wird, der uns heute noch ernste Mahnung ist:
für diese Überzeugung alles aufs Spiel «Freund, der Du die Sonne noch
gesetzt hat, seine Gesundheit, seine Fa- schaust, grüß mir die Heimat, die ich
milie und selbst sein Leben, das durch mehr als mein Leben geliebt.»

210
WIR TIROLER WOLLEN SELBER FREI ENTSCHEIDEN…

Sepp Kerschbaumer warnte in zahl- Überfremdung des Landes eine Bedro-


reichen Briefen, Leserbriefen, Rundschrei- hung, sondern auch der Werteverlust,
ben u.ä Land und Leute vor den Gefah- den er überall beobachten konnte. Sein
ren, die seiner geliebten Heimat drohten. Handeln war immer politisch und mora-
Für ihn war nicht nur die vom italieni- lisch motiviert.
schen Staat mit allen Mitteln geförderte

«An alle, die es angeht:


Schon des öfteren, wenn mir vorkam, nicht mehr schweigen zu können, habe
ich meine Gedanken in Bezug auf unser Heimatproblem «Südtirol» in Briefen
und Rundschreiben kundgetan und sie so anderen vermittelt. Wenn auch das
alte Sprichwort wahr ist, das sagt: «Reden ist Silber – Schweigen ist Gold»,
so gibt es doch Umstände, die das Reden zur Pflicht machen, ja wo das
Schweigen ein Verbrechen wäre.
Ich weiß, wie hart und hoffnungslos es oft ist, sich bei hochgestellten Persön-
lichkeiten Gehör zu verschaffen, denn leider Gottes sind diese Menschen für
gewöhnlich durch ihr zu großes Wissen so wirklichkeitsfremd, dass man oft
versucht ist, wirklich mutlos zu werden. Und trotz allem wage ich wiederum
den Versuch, meine Meinung kundzutun. Wer von Ihnen, die es hauptsäch-
lich angeht, noch einen Funken sittlichen Anstand bewahrt hat und noch
imstande ist, «gerecht» zu denken und wer nicht schon ganz vom neuzeit-
lichen Geist, dem persönlichen Egoismus befallen ist, wird sich meinen Aus-
führungen nicht ganz verschließen können. Und insbesondere all jene, die
wirklich noch imstande sind, an einen Idealismus zu glauben und nach die-
sem zu handeln, bitte ich dies zu tun, dem Mitmenschen zuliebe, denn es
211
steht nicht nur «Südtirol» auf dem Spiele, als vielmehr Grundsätze, ohne die
die Menschheit nicht in Frieden und Ruhe leben kann.
Unser Heimatproblem «Südtirol» steht auf dem Kalender der Weltpolitik und
wird von dort erst gestrichen werden können, wenn dieses dornenvolle Pro-
blem «gerecht» gelöst sein wird.
Ich wende mich mit diesem Schreiben in erster Linie an Sie alle, die Sie mit
unserer Lebens- und Existenzfrage hauptamtlich oder ehrenamtlich vom Staat
oder vom Volk aus betraut wurden. Es obliegt Ihnen die harte Aufgabe, unser
Heimatproblem gerecht lösen zu helfen durch Verhandlungen etc. Wenn Sie
es ehrlich meinen und mit ganzem Herzen bei der Sache sind, dann haben Sie
eine schwere, verantwortungsvolle Aufgabe vor sich, und ich wünsche Ihnen
von ganzem Herzen den Segen des Allerhöchsten bei Ihren Bemühungen um
eine wahre Gerechtigkeit!
Es wäre mehr als wünschenswert, wenn ein jeder von Ihnen das miterleben
könnte, was wir Südtiroler nun schon seit über 40 Jahren täglich erleben
müssen, um richtig begreifen zu können, um was es hier grundsätzlich geht.
Eines muss ich vorwegnehmen: Es geht hier nicht bloß darum, ob unser
Problem gut oder schlecht «gelöst» wird, sondern vielmehr geht es hier um
fundamentale Grundsätze im allgemeinen. Deswegen muss der ganze Fragen-
komplex in diesem Licht gesehen und danach gehandelt werden, soll nicht
neuer schlechter Samen gesät werden.
Nun werden Sie mich vielleicht fragen, ob ich an Ihrer aufrichtigen Einstellung
zweifle, weil ich so hart auf Ihren Idealismus poche. Nun dazu Folgendes:
Zuerst ein grausames italienisches Sprichwort (grausam deshalb, weil es zu oft
wahr ist) «La Politica è la più grande P…»(«Die Politik ist die größte H…»).
Verzeihen Sie mir, wenn ich solch grausame Wörter einfüge, aber ich muss
gerecht bleiben und so grausam wie das letzte Wort des zitierten Sprichwor-
tes, so grausam hart ist auch die Politik. Wir haben schon so viele Enttäu-
schungen erleben müssen, dass man etwas Gutes kaum mehr zu glauben
wagt. Nehmen wir nur als Beispiel den Degasperi-Gruber-Betrug her – die
Weltpolitik im allgemeinen – das geringfügige Südtirol-Problem Figls.
212
Ja meine Herren, es scheint ein kleines Problem zu sein, dieses «SÜDTIROL-
PROBLEM», gemessen an den großen Weltproblemen; und die internationale
Presse möchte es gerne mit einem Achselzucken abtun.
Ja, man glaubt noch im guten Glauben zu handeln, wenn man nach diesem
einfachen Maßstab misst, verhandelt und ein Volk verhandelt. Nur vergisst
man dabei, dass es auch hier, bei diesem anscheinend so kleinen Problem, um
Grundsätze geht, ohne welche die menschliche Gesellschaft überhaupt nicht
in Frieden existieren kann. Wenn die göttliche bzw. natürliche Ordnung im
Kleinen wie im Großen von den Menschen nicht respektiert wird, dann tritt
an die Stelle des Friedens der Unfriede. In die Natur selbst ist die rechte
Ordnung schon vom Schöpfer hineingelegt worden und diese Ordnung fußt
auf Grundsätzen, um die die Menschheit eben nicht herum kommt, wenn sie
nicht der Unordnung Platz machen will. Seit es Menschen gibt, ist dieses
Naturgesetz in Kraft und wir wissen (die Geschichte lehrt es uns eindringlich
und jeden Tag wird dies unter Beweis gestellt), was es heißt, die natürliche
Ordnung außer acht zu lassen. Ob die Grundsätze nun im Kleinen oder Gro-
ßen missachtet werden, ist einerlei. Es ist immer dasselbe, es geht um den
Kern selbst.
Ich bin nun der Auffassung, es wird sich erübrigen, dass ich unsere ganze
tragische Lage näher beleuchte, denn ich setze voraus, dass die zuständigen
Südtirolexperten darüber hinreichend unterrrichtet sind. Wie ich schon betont
habe, stellt anscheinend unsere Angelegenheit ein kleines Problem dar, und
man hört so oft den gutgemeinten Rat Außenstehender, es brauche nur der
beiderseitige gute Wille vorhanden sein, dann werde sich eine Lösung schon
finden lassen.
Nun stelle ich aber die Behauptung auf, dass unsere Angelegenheit nicht ein
kleines, sondern ein großes Problem darstellt und betone, dass es in seinen
Grundzügen kein kleineres Problem darstellt, als das kommunistische. Sie
werden zunächst den Kopf schütteln und glauben, ich übertreibe. Ich werde
Ihnen aber beweisen, dass mein Standpunkt doch richtig ist. Gewiss, auf den
ersten Blick hin mag mein Vergleich, das Südtirolproblem und das Problem
213
des Weltkommunismus auf eine Stufe zu stellen, vermessen sein. Nun, meine
Herren, frage ich Sie alle, ich frage Ihr Gewissen: Welche Methoden hat der
Kommunismus seit dem Beginn seines Bestehens zur Erreichung seiner Ziele
angewandt? Die Zwecklüge und die brutale Staats- bzw. Polizeigewalt. Nun,
ich kenne die Geschichte des Kommunismus nicht von Büchern her und auch
nicht aus eigenem Erleben, wohl aber aus den Zeitungsnachrichten und
Meldungen. Dies genügt mir vollkommen, um mir ein annäherndes Bild da-
von zu machen. Nun stellen wir einen kurzen Vergleich an, auf welche Art
Italien unsere Heimat Südtirol seinem Staatsverband einverleiben und so lange
(nun schon über 40 Jahre) in seinem Besitz behalten konnte. Mit dem Mittel
der Zwecklüge und der Staats- bzw. Polizeigewalt. Nun werden Sie mir aber
prompt mit Abschwächungen entgegnen und zwar mit folgenden Argumen-
ten: Wir Südtiroler sind keiner Religionsverfolgung ausgesetzt (stimmt), unsere
Wirtschaft kann sich frei entwickeln, also wir kennen kein Kolchosensystem
(stimmt), wir können zum größten Teil (Einschränkungen gibt es leider) ins
Ausland reisen (stimmt), wir müssen keiner Pflicht-Partei oder Organisation
beitreten und so weiter. Also, werden Sie sagen, stimmt mein Vergleich doch
nicht. Und doch behaupte ich, dass meine These richtig ist. Nun brauche ich
Ihnen bestimmt nicht die völkische und staatliche Entwicklung unserer Heimat
Südtirol in Erinnerung zu rufen, denn ich nehme an, dass Sie die Geschichte
besser kennen als ich. Jedenfalls ist es eine klare Tatsache, dass Italien nie
auch nur den geringsten Anspruch auf unser Gebiet bis Salurn hatte. Italien
hat nun mittels der gemeinen Lüge und des schwersten Betruges die Einver-
leibung unserer Heimat von Salurn bis zum Brenner durchführen können.
Leider waren ihm dabei jene Staaten, welche heute die ganze freie Welt
gegen die Gefahr des Kommunismus mobilisieren, behilflich. Im Verlaufe der
ganzen Zeit, die wir nun unter dem italienischen Joch verbringen mussten,
lernten wir nur eines kennen und ein jeder Landsmann bekommt es mehr
oder weniger zu spüren: die Macht des Staates und der Polizei.
Erst vor einigen Wochen hat ein italienischer Politiker im Parlament erklärt:
«Die Südtirolfrage löst man nicht mit Verhandlungen, sondern mit der Poli-
214
zei.» Diese These ist nichts Neues, denn abertausende Beispiele haben dies im
Kleinen wie im Großen immer wieder bewiesen. Besonders in der letzten Zeit
hat es sich erwiesen, dass man italienischerseits auch imstande ist, -siehe
Pfunderer Prozess, Knüppelsonntag- nach genau kommunistischen Methoden
gegen uns vorzugehen. Aber das auffallendste Merkmal des italienischen
Verbrechens an Südtirol, wie das des Kommunismus in der Welt ist Folgendes:
WO DER KOMMUNISMUS HERRSCHT, MUSS ALLES KOMMUNISTISCH WER-
DEN UND WO ITALIEN HERRSCHT, MUSS ALLES ITALIENISCH WERDEN. Hier
haben wir eine Parallele, die ganz genau stimmt. Hier werden Sie, meine
Herren, mir kaum etwas dagegen antworten können, denn dies ist eine un-
umstößliche Tatsache. Brutal und rücksichtslos steuert Italien seit über 40
Jahren diesem Ziel zu und genau wie der Kommunismus kümmert Italien sich
nicht um Völkerrecht, Naturrecht, Verträge und dergleichen. Man lässt das
Problem eben mit der Polizei und den verhetzten Massen auf der Straße
lösen. Hier wie drüben im Osten wird der Grundsatz befolgt: «Gewalt geht
vor dem Recht.» Nun frage ich Sie, ist das Recht teilbar, gibt es vielleicht
verschiedene Arten von Recht? Die Antwort gebe ich Ihnen, wenn ich auch
nur die paar Jahre Volksschule besucht habe. Der freie Wille, den uns Men-
schen der liebe Herrgott mit in die Wiege gegeben hat, ist wohl eines der
höchsten Güter, mit dem der Mensch ausgestattet ist. Solange sich nun der
Mensch oder eine Gemeinschaft von Menschen seinem bzw. ihrem freien
Willen gehorchend, eine Lebensart, religiöse Ausrichtung, Sprache, Kultur,
Gemeinschaft mit Gleichgestellten und –gesinnten sucht, die aber in keinem
Widerspruch zu den allgemeinen Natur- und Sittengesetzen stehen und keiner
anderen Menschengemeinschaft Schaden zufügen, hat niemand das Recht,
dieser Gemeinschaft von freien Menschen dies zu nehmen, was ihr vom
Schöpfer und der Natur gegeben ist. Derjenige, der eben dieses Recht auf die
Freiheit schmälert oder gar ersticken will, der begeht nicht nur ein Unrecht
schlechthin, sondern im wahrsten Sinne des Wortes ein großes Verbrechen.
Nun wissen wir zu gut, wie die Sache in Wirklichkeit steht: Der Weltkommu-
nismus gilt als Hauptsündenbock und die meisten, die nicht notgedrungen
215
mit ihm sind, sind gegen ihn, schon um der Freiheit willen und aus Angst vor
der Unterdrückung. Wir wissen alle, dass zum Zweck der Abwehr so manche
Organisation ins Leben gerufen wurde, um die gemeinsame Abwehr zu stär-
ken. In dieser Gemeinschaft des Abwehrkampfes befindet sich auch Italien,
ausgerechnet dieses Land, welches an uns Südtirolern das gleiche Verbrechen
begeht, welches man auf der anderen Seite zu verhindern sucht. Und noch
eines – man spricht so gerne vom christlichen Abendland, das bedroht sei.
Ja, nun frage ich Sie, meine Herren, was nützt es, den Feind der Freiheit nach
außen hin abzuwehren, wenn der gleiche, nur mit einer christlichen Maske
versehen, im eigenen Lager ruhig und ungestört sein verbrecherisches Treiben
ausführen kann? Man geht ja so weit, dass man es nicht einmal wagt, ihn vor
aller Welt offen zur Rede zu stellen. Und seit wann ist es Brauch, dass man
mit Verbrechern verhandelt und sich jahrzehntelang an der Nase herumführen
lässt? Ja glauben Sie denn wirklich im Ernst, dass Sie diese Menschen mit
gutem Zureden bekehren können? Wenn Sie dies glauben sollten, dann muss
ich folgenden Schluss daraus ziehen: Sie wollen dies um jeden Preis erreichen
– in diesem Fall um den Preis Südtirols und zugleich um die Preisgabe des
Rechtes auf die Freiheit. Wenn Sie dazu imstande sein sollten, dann werden
Sie eines bewirken, nämlich, dass Sie die These des Weltkommunismus,
wonach der Westen im Zerfall begriffen ist, tatkräftig unterstützen. Dies nicht
nur wegen uns Südtirolern, sondern weil Sie selber mithelfen und zwar aus
freien Stücken, die Freiheit zu begraben. Und wenn Sie dann des feigen
Verrates bezichtigt werden, dann ist es eben so.
Es gibt Menschen, bei denen das moralische und das völkische Gewissen
schon lange erloschen zu sein scheint; und warum denn? Weil ihr persönli-
ches Wohlergehen ihr erster und letzter Wunschtraum ist und weil diese
Menschen auf Grund ihrer Selbstzufriedenheit das Unrecht und die schreien-
de völkische Not entweder nicht sehen oder nicht sehen wollen und anderer-
seits die brutale Gewalt des Unterdrückers gewollt oder ungewollt übersehen
und wenn sie zu feige sind, dagegen etwas zu unternehmen. Das Südtiroler
Volk hofft – und hofft schon seit über 40 Jahren – von der Zwangsherrschaft
216
des italienischen Nationalismus befreit zu werden. Wird ihm, diesem arbeit-
samen, christlichen Volk noch einmal die Freiheit zurückgegeben werden, die
ihm von Italien geraubt wurde und wird es wieder mit seinen Stammesbrü-
dern jenseits des Brenners (und dies ist die einzige gerechte Lösung) ein
gemeinsames Leben führen können? Wenn die verantwortlichen Männer
unserer Zeit sich über unser gutes, heiliges, von Gott gegebenes Recht, kalt
hinwegsetzen, dann wird das gleiche Schicksal auch sie eines Tages erreichen.
Und wer nicht den Mut aufbringt, sich gegen die Gewalt im kleinen Rahmen
zu wehren, der wird es im großen überhaupt nicht imstande sein. Südtirol
wird für alle, die glauben, für das Recht der Freiheit zu kämpfen, ein Prüfstein
sein.
Aus dieser einfachen und klaren Erkenntnis heraus gibt es für Sie nur eine
Konsequenz: Ihre Bemühungen, uns Südtiroler zu unserem heiligen Recht zu
verhelfen – d. h., das schwere Unrecht wieder gutzumachen. Es geht in
diesem Fall nicht um Einzelfragen, sondern um das Ganze. Italien hat die
heilige Pflicht, das in seinen Händen befindliche, gestohlene Gut – Südtirol –
wieder zurückzuerstatten. Wir Tiroler wollen selber frei entscheiden, mit wem
wir zusammenleben wollen. Es gibt für uns, und dies muss Ihnen klar sein,
nur eine Sicherheit, in Frieden und Freiheit als Tiroler weiter leben zu können,
vereint mit allen übrigen Tirolern im Staate Österreich. Nicht das Schicksal
Südtirols steht hier auf dem Spiel, sondern es geht letzten Endes um Sein oder
Nichtsein der freien Welt. Haben Sie daher Mut, bestehen Sie diese Bewäh-
rungsprobe vor der Geschichte. Gott möge Ihnen dabei helfen!
Unser Gebet und unsere Mitarbeit wird Sie in Ihren schweren Aufgaben
unterstützen.
Mit den besten Grüßen und Wünschen
Sepp Kerschbaumer

Frangart bei Bozen, Südtirol, im Februar 1961

217
DAS LEBEN DES SEPP KERSCHBAUMER
von Sepp Mitterhofer

Es sei vorausgeschickt, dass es wohl weltlichen und kirchlichen Würdenträ-


immer ein schwieriges Unterfangen sein gern offen seine Meinung zu sagen.
wird, ein vollständiges Bild von einem Das große politische Unrecht, die
Menschen zu zeichnen; da es sich bei Teilung Tirols und die nachfolgende, har-
Sepp Kerschbaumer um eine außerge- te Unterdrückung der Südtiroler durch
wöhnliche Persönlichkeit handelt, gilt den Faschismus, hatte auch ihm schwer
dies wohl besonders. zu schaffen gemacht. Er hatte schon
Er war in seinem Leben immer ir- früh, im Jahre 1934, mit der faschisti-
gendwie Mittelpunkt, unbewusst und schen Gewaltherrschaft Bekanntschaft
bewusst, auch, wenn er es nicht wollte. gemacht. Damals wurde er von einem
Auf seine Mitstreiter wirkte er immer vor- Sondergericht zu eineinhalb Jahren Ver-
bildhaft und ausstrahlend, aber auch auf- bannung nach Süditalien verurteilt.
nehmend. Er war in jener harten Zeit für Nach dem zweiten Weltkrieg hoffte
seine Landsleute ein Zeichen der Hoff- auch er, wie die meisten Südtiroler, dass
nung, an die sich manche klammerten. unser Land aufgrund des Selbstbestim-
Wer war dieser Sepp Kerschbaumer, mungsrechtes wieder mit Österreich ver-
der in den sechziger Jahren soviel von einigt werden könnte. Stattdessen bekam
sich reden machte? War er ein Michael Südtirol nur den Pariser Vertrag und die
Gaismair, ein Andreas Hofer oder ein nachträgliche, verhängnisvolle Zwangs-
Terrorist? Die Antwort scheint einfach ehe mit der italienischen Provinz Trient.
und doch wieder nicht. Dieses geschickte Manöver des damali-
Sepp Kerschbaumer war ein einfa- gen italienischen Außenministers Alcide
cher, tief religiöser Mann, der nach christ- Degasperi, hatte zum einen zum Ziel, den
lichen Grundsätzen lebte und handelte, Trentinern den Genuss der Autonomie zu
einen ausgesprochenen Sinn für Gerech- verschaffen und zum anderen, die Südti-
tigkeit hatte, seine Heimat über alles lieb- roler innerhalb dieser regionalen Verwal-
te und auch bereit war, alles für sie hin- tungseinheit Trentino-Südtirol in die Min-
219
zugeben! Er war ein offener, geradlini- derheit zu drücken.
ger Charakter mit dem Herzen auf dem Sepp Kerschbaumer verfolgte diese
rechten Fleck, der Ungerechtigkeiten politische Entwicklung in den fünfziger
anprangerte und sich nicht scheute, den Jahren sehr genau und legte dabei die
220
Hände nicht in den Schoß, sondern wur- Raffeiner ans Tageslicht zu bringen. In
de selbst aktiv. Als sich nach dem 2. dieser Zeit wurde Sepp Kerschbaumer
Weltkrieg die Hoffnung auf eine Rück- Ortsobmann der SVP in seinem Heimat-
kehr Südtirols zu Österreich durch die ort Frangart und war als solcher uner-
alliierten Beschlüsse zerschlagen hatte, müdlich für die Partei tätig. Als tiefgläu-
sah auch Kerschbaumer, dass es das vor- biger Katholik wollte er einfach nicht
dringlichste Bestreben sein musste, aus glauben, dass das «christliche» Italien
der sehr bescheidenen Autonomie das den Südtirolern ihre Rechte nicht gewäh-
Beste zu machen. Diese Bestrebungen ren wollte.
erwiesen sich jedoch bald als Trugbild, Für ihn war es Selbstverständlichkeit,
als Weg, der in der Sackgasse enden dass jeder Bürger seinen Platz und sein
musste, denn mit ihrer Zweidrittelmehr- Recht auf Anerkennung in der Gesell-
heit zeigten die Italiener nicht die ge- schaft hatte. Es gibt keine andere Erklä-
ringste Bereitschaft, in der Region die rung dafür, dass Kerschbaumer einerseits
Interessen der Deutschen und der Ladi- verarmte italienische Industriearbeiter
ner zu respektieren. Sie ließen diese unterstützte und andererseits der führen-
Majorität immer wieder spüren und nütz- de Kopf der Untergrundbewegung BAS
ten die Autonomie, die ja eigentlich für war. Er hat dies bestimmt nicht aus küh-
die deutsche Volksgruppe in Südtirol ge- ler Berechnung getan, um seine illegale
schaffen wurde, für ihre Zwecke aus. Tätigkeit nach außen abzudecken, son-
Ein teuflisches Spiel, welches die da- dern ganz einfach aus christlicher Über-
maligen Vertreter der SVP wohl durch- zeugung heraus. Er war eben ein her-
schaut hatten, sich aber von der dama- zensguter Mensch, der notleidenden
ligen italienischen Regierung überfahren Mitbürgern geholfen hat, wo er konnte.
ließen. Die Geschichte über die tatsäch- Er war sozialen Problemen gegenüber
liche Ausrichtung der damaligen SVP sehr aufgeschlossen, hatte für die Verei-
muss erst noch geschrieben werden, um ne im Dorf immer eine offene Hand und
die tatsächlichen Machenschaften füh- pflegte zur Dorfkirche bzw. zum Pfarrer
render Funktionäre, wie Parteiobmann stets ein gutes Verhältnis. Deshalb war
Erich Amonn, dessen Bruder Walther er im Dorf auch angesehen.
Amonn oder des Parteisekretärs Josef Es ist eine Tatsache, dass die Familie
221
durch die illegale Tätigkeit des Vaters und
1958. Eine Protestaktion von Sepp Kerschbaumer.
Carabinieri entfernen und beschlagnahmen eine deren Folgen schwer zu leiden hatte.
Tiroler Fahne, die Sepp Kerschbaumer am Kirchturm Trotzdem hat Kerschbaumer seine Fami-
gehisst hat. Für die «Tat» wurde Sepp Kerschbaumer
zu 10 Tagen Haft verurteilt. lie sehr geliebt. Seine Frau Maria war
tüchtig, er wusste das Geschäft in guten Kundgebung wurde aus «Sicherheits-
Händen und konnte sich deshalb auch gründen» in Bozen verboten. Dass uns
verstärkt der Politik zuwenden. Seinen Südtirolern die Hauptstadt versperrt wur-
Grund bearbeitete er zwar gerne, aber de, verbitterte Sepp Kerschbaumer und
ein richtiger Bauer war er wohl nie. viele andere natürlich sehr. Im kleinen
Der moralische und sittliche Verfall in Kreis wurde auch darüber diskutiert, ob
der damaligen Zeit bedrückte ihn schwer, man nicht trotzdem in einem Protest-
was er auch mir gegenüber immer wie- marsch von Sigmundskron nach Bozen
der erwähnt hat. Alles, was Kerschbau- marschieren sollte, das an jenem Tag von
mer unternahm, geschah aus christlicher italienischen Carabinieri, Polizei und Mi-
Überzeugung. Auch die Untergrundtätig- litäreinheiten zu einem Heerlager verwan-
keit brachte er ohne weiteres mit seinen delt worden war. Es kam nicht dazu, weil
christlichen Grundsätzen in Einklang. Al- der damals frischgebackene Obmann der
lerdings war es stets sein oberstes Ziel, SVP, Silvius Magnago, dem italienischen
niemals Menschenleben zu gefährden. Er Quästor das «deutsche Wort» gegeben
wollte nicht gegen Menschen, sondern hatte, dies zu verhindern. Quästor Maz-
gegen die Politik des Staates kämpfen. zoni hatte einige Monate vorher dem In-
Die italienische Politik in Südtirol hat- nenminister Tambroni einen denkwürdi-
te sich in der zweiten Hälfte der fünfzi- gen Brief geschrieben, in dem er diesem
ger Jahre zusehends verschärft. Die fa- vorwarf, in Südtirol eine falsche Politik
schistische Südtirol-Politik hatte sich in zu betreiben. Ebenso griff er die Trenti-
Rom und in Bozen unter dem Deckman- ner Politiker scharf an und prophezeite
tel der DC verkrochen und agierte von eine unheilvolle Entwicklung, wenn Itali-
dort aus immer offener. Als 1957 Minis- en seine Politik der Unterdrückung und
ter Togni (Öffentliche Arbeiten) 2,5 Mil- Konfrontation in Südtirol nicht ändere.
liarden Lire für den Bau von 5000 Woh- Der Quästor wurde bald darauf nach
nungen in Bozen bereitstellte, die einer Treviso versetzt und beging dort ein Jahr
weiteren italienischen Einwanderungs- später Selbstmord.
welle dienen sollten, kam es zur großen Erwähnenswert ist auch der Prozess
Protestkundgebung auf Schloss Sig- gegen die Pfunderer Burschen und des-
mundskron, an der 35.000 Südtiroler teil- sen politisches Schandurteil. Einige junge
222
nahmen. Damals wurde von der SVP Männer hatten mit zwei Angehörigen der
offiziell das «Los von Trient» ausgerufen, italienischen Finanzwache zunächst in
obwohl die meisten Teilnehmer für ein einem Gasthaus zusammen getrunken.
«Los von Rom» gekommen waren. Diese Daraus entwickelte sich eine Schlägerei.
223
Sepp Kerschbaumer war lange Jahre
Mitglied der Südtiroler Volkspartei.
Bei vielen Versammlungen dieser Partei
ergriff er das Wort, um auf Missstände
in der Heimat hinzuweisen.
Als er sah, dass die Partei ihren
Grundsätzen der Selbstbestimmung nicht
mehr folgte, trat er aus Protest aus.
Am nächsten Tag fand man einen der setzung der radikalen Politik der italieni-
Finanzer tot im Bachbett. Er war im schen Regierung nur mehr mit Gewalt
Dunkel der Nacht ins Bachbett gestürzt. reagiert werden könnte. Sepp Kerschbau-
Die Polizei behauptete hingegen, dass er mer wurde von Anfang an zum unum-
erschlagen worden sei und stellte alle strittenen Kopf der Bewegung. In seiner
zuvor im Gasthaus gewesenen jungen Einfachheit und Bescheidenheit war er
Burschen unter Anklage. eine Persönlichkeit, die auf uns einen gro-
Kerschbaumer konnte diesen Justiz- ßen Eindruck machte und wie eine Va-
skandal nur schwer verkraften und be- terfigur wirkte, die über alles wachte und
gann aus Protest in Pfunders einen 14- auch für alle sorgte. Er hatte allerdings
tägigen Hungerstreik. Sein Gerechtig- auch eine Schwäche in dieser Position:
keitssinn war so stark, dass er einfach Er war kein Logistiker, militärische Aktio-
nicht begreifen konnte, wie im christli- nen lagen ihm einfach nicht und mit dem
chen Italien eine angeblich unabhängige Sprengstoff konnte er wenig anfangen.
Justiz ein solches Hassurteil fällen konn- Aber er hatte einen gesunden Hausver-
te. Der Hauptangeklagte, Luis Ebner, wur- stand, politischen Spürsinn und eine na-
de zu 24 Jahren Haft verurteilt und seine türliche Überzeugungskraft, die uns im-
Mitangeklagten zu Strafen zwischen 10 mer wieder beeindruckte. Bei den vielen
und 20 Jahren. Es war ganz sicher mit Besprechungen versuchte er zwar, seine
ein Grund, dass er immer mehr zur Über- Meinung durchzusetzen, wurde dabei
zeugung gelangte, dass es ohne Gewalt- aber nie undemokratisch. In unzähligen
anwendung nicht mehr weitergehen Briefen hatte er Politikern, Persönlichkei-
konnte. ten des öffentlichen Lebens, der Wirt-
In dieser Zeit begann sich der BAS schaft und auch der Kirche seine Mei-
(Befreiungsausschuss Südtirol) zu formie- nung zum Südtirolproblem dargelegt, sie
ren. Kerschbaumer redete mit mehreren aufgefordert, sich stärker für unsere
Gleichgesinnten im Unterland, in Bozen, Rechte einzusetzen und sie auf die Ge-
Meran und im Pustertal. Mit Jörg Pircher fahr einer möglichen Radikalisierung hin-
aus Lana, Luis Amplatz aus Bozen und gewiesen.
Karl Titscher aus Bruneck war er öfter In einem der letzten Rundschreiben
beisammen und fuhr später mit ihnen von 1961 schrieb er:
224
auch nach Innsbruck und Wien. Mehr «Aus dieser einfachen und klaren Er-
oder weniger entstanden im Laufe der kenntnis heraus gibt es für Sie (die Poli-
Zeit im ganzen Land Widerstandsgrup- tiker) nur eine Konsequenz bei Ihren Be-
pen mit der Überzeugung, dass bei Fort- mühungen, uns Südtirolern zu unserem
Bereits vor der Feuernacht war Sepp Kerschbaumern durch sein Auftreten für die Rechte der Südtiroler in
ganz Südtirol bekannt.

heiligen Recht zu verhelfen, nämlich das Österreich. Unser Gebet und unsere Mit-
schwere Unrecht wieder gutzumachen. arbeit wird Sie in Ihrer schweren Aufga-
Es geht in diesem Falle nicht um Einzel- be unterstützen.»
fragen, sondern um das Ganze. Italien Gegen das Verbot, die Tiroler Fahne
hat die heilige Pflicht, das in seinen Hän- zu hissen, verstieß er mit Überzeugung.
den befindliche gestohlene Gut Südtirol 1958 hisste er öffentlich die weiß-rote
wieder zurückzuerstatten. Wir Tiroler Fahne vor der Frangarter Kirche und
wollen selber frei entscheiden, mit wem wartete auf das Eintreffen der Carabinie-
wir zusammenleben wollen. Es gibt für ri. Kerschbaumer wurde dafür zu 10 Ta-
225
uns, und dies muss Ihnen klar sein, nur gen Haft verurteilt, welche er aus Protest
eine Sicherheit, in Frieden und Freiheit im Hungerstreik absaß.
als Tiroler weiterleben zu können, ver- Bei dieser Gelegenheit kam er das
eint mit allen übrigen Tirolern im Staate erste Mal mit dem ehemaligen Wider-
Sepp Kerschbaumer wird zum Prozess geführt

standskämpfer und Journalisten Wolf- Dieser hörte sich interessiert das An-
gang Pfaundler in Kontakt. Durch diesen liegen der drei Südtiroler an und sagte
lernte er später die Südtirolaktivisten Kurt dann: «Ich sage euch nicht, tut’s etwas,
Welser, Heinrich Klier, den Nordtiroler ich sage auch nicht, tut’s nix, das wisst
Landesrat Luis Oberhammer, Bergisel- ihr schon selbst.» Sie wussten, was zu
Bund-Obmann Eduard Widmoser und tun war. Die Verbindung zur BAS-Grup-
den sozialistischen Abgeordneten Rupert pe in Innsbruck, welche sich um Pfaund-
Zechtl kennen. Dieser stellte auch den ler und Welser gebildet hatte, gestaltete
Kontakt zum damaligen Außenminister sich hingegen mit der Zeit immer schwie-
Bruno Kreisky in Wien her. Nach dem riger und war zeitweise sogar unterbro-
226
dritten Anlauf gelang es Kerschbaumer, chen. Die Innsbrucker wollten die Füh-
Ende 1960 endlich in Begleitung von Jörg rung der Untergrundbewegung überneh-
Pircher und Karl Titscher zum Außenmi- men, weil sie einerseits glaubten, dass
nister vorzudringen. Kerschbaumer nicht alle Voraussetzungen
dafür besaß und andererseits verhindern Magnago verstand es schon damals, die
wollten, dass im Falle seiner Verhaftung Versammlung in seinem Sinne zu beein-
der BAS ohne Führung dastand. Wir hin- flussen. Der ausschlaggebende Mann
gegen waren der Meinung, dass die Ent- wäre Hans Dietl gewesen. Dieser wurde
scheidungen bei uns fallen mussten, da aber vom Parteiobmann so unter Druck
wir die Betroffenen waren und wir die gesetzt, dass er sich schweren Herzens
italienische Politik und Mentalität besser der Parteidisziplin unterwarf und auch für
kannten. Außerdem haben die Innsbruk- die Autonomie das Wort ergriff. So kam
ker von Anfang an auf einen großen schließlich eine knappe Mehrheit für die-
Schlag hingearbeitet, weil sie glaubten, se zustande und das Schicksal nahm sei-
dass dies Italien und die Weltöffentlich- nen Lauf. Diese Entscheidung hat mit
keit nachhaltiger wachrütteln würde. dazu beigetragen, dass es zu den An-
Kerschbaumer vertrat hingegen die Tak- schlägen kam, denn Kerschbaumer und
tik der Nadelstiche, um gleichzeitig grö- seine Mitstreiter im BAS waren nicht auf
ßere Repressalien zu vermeiden. Ker- halbe Lösungen eingestellt, sondern auf
schbaumer wusste aber genau, dass die Wiedergutmachung des großen Unrech-
Innsbrucker Gruppe für uns außerordent- tes. Magnago hatte zwar, zum Unter-
lich wichtig war, weil ja der meiste schied zur alten Parteiführung, gegen-
Sprengstoff mit Zubehör von dort kam. über Rom eine härtere Gangart einge-
Kurt Welser war der Verbindungsmann schlagen, das eigentliche Gründungsziel
und Sprengstofflieferant und wohl die der SVP, die Wiedervereinigung mit Öster-
herausragendste Gestalt dieser Gruppe. reich, griff er jedoch genausowenig auf
Im späten Frühjahr 1960 fand im wie seine zweifelhaften Vorgänger. So
Rom-Kino in Bozen eine entscheidende hofften wir, dass unsere Aktionen nach
Landesversammlung der SVP statt. Es zwei Seiten hin wirken würden, einer-
wurde darüber debattiert, ob Österreich seits gegenüber Rom und andererseits in
mit der Forderung nach Selbstbestim- Richtung SVP.
mung oder nach einer besseren Autono- In Südtirol hatte sich in der Zwischen-
mie vor die UNO gehen sollte. Sepp zeit die politische Lage so zugespitzt, dass
Kerschbaumer, Luis Amplatz und viele etwas geschehen musste. Wir glaubten
andere sprachen sich vehement für das mit genügend «Material» ausgerüstet zu
227
Selbstbestimmungsrecht aus. Auf dem sein, das in strategischen Punkten auf das
Parteitag regnete es Flugblätter mit der ganze Land verteilt worden war. Viele
Forderung nach Selbstbestimmung von von uns waren im Laufe der Zeit nach
den Tribünen. Aber der wortgewaltige Nordtirol gefahren, um an Ausbildungs-
kursen teilzunehmen. Bei den ersten te Organisation zusammenbrach und
bilateralen Verhandlungen zwischen andererseits konnte er – wie wohl wir alle
Österreich und Italien über das Südtirol- – nicht begreifen, wie ein von christlichen
problem in Mailand, Zürich und Klagen- Politikern regierter und zur westlichen
furt legte die italienische Verhandlungs- Welt gehörender demokratischer Staat zu
delegation ein skandalöses Verhalten an solch brutalen Mitteln greifen konnte.
den Tag. Darum entschloss sich die BAS- Die Zeit im Gefängnis war für Sepp
Führung nach reiflicher Überlegung, zum Kerschbaumer, wie für uns alle und be-
großen Schlag auszuholen. Auf Schwei- sonders für unsere Familien, sehr schwie-
zer Gebiet wurde die «Feuernacht» be- rig. Besonders die ersten Monate waren
schlossen. Wir legten zunächst nur die sehr hart. Kerschbaumer, aber auch viele
Woche fest, während uns der genaue Tag andere, suchten Trost und Halt im Glau-
erst 48 Stunden vorher mitgeteilt wurde. ben. Gerade das hat uns allerdings der
Bei dieser Gelegenheit besprachen wir damalige Bischof Josef Gargitter schwer
auch einen Flugzettel, der an alle wich- gemacht, indem er uns im Hirtenbrief
tigen Politiker im In- und Ausland ver- vom August 1961 als kommunistische
schickt und in dem das Selbstbestim- Handlanger hinstellte. Kerschbaumer und
mungsrecht für Südtirol gefordert wer- andere gingen deswegen aus Protest
den sollte. mehrere Male nicht zur Messfeier. All-
Im letzten Absatz stand der Spruch abendlich betete er aber in seiner Ge-
von Kanonikus Michael Gamper: «Ein fängniszelle den Rosenkranz. Einer sei-
Volk, das um nichts anderes kämpft, als ner väterlich-markanten Aussprüche war
um seine natürlichen und verbrieften auch: «Buabm, das sage ich euch: Mit
Rechte, hat den Herrgott zum Bundes- dem Glauben steht und fällt unsere Hei-
genossen!» Das war und blieb der Leit- mat!» In dieser schicksalsschweren Zeit
spruch von Sepp Kerschbaumer. im Gefängnis wurde von Sepp Kersch-
Auf die Herz-Jesu-Nacht folgte eine baumer mehrfach der Wunsch geäußert,
große Verhaftungswelle, die auch Sepp dass wir nach unserer Enthaftung ge-
Kerschbaumer erfasste. Als er in der meinsam nach Maria Trens pilgern soll-
Eppaner Carabinierikaserne viele seiner ten. Zur Gottesmutter von Trens hatte er
Kameraden nach Folterungen in einem eine besonders innige Beziehung, bei der
228
elenden Zustand zu sehen bekam, brach er sich Kraft holte und Trost suchte. 1991
für ihn eine Welt zusammen. Einerseits haben wir dieses Versprechen, genau 30
sah er, wie schnell eine in jahrelanger, Jahre nach der «Feuernacht», wahrge-
mit vielen Opfern und Mühen aufgebau- macht. Sepp Kerschbaumer konnte sein
Versprechen nicht mehr einlösen, er soll- Hatte er bereits eine Vorahnung, dass er
te die Gefängnismauern nämlich nicht der nächste sein sollte?
mehr lebend verlassen. Am Herz-Jesu-Sonntag 1962 setzte er
Als im November 1961 Franz Höfler einmal mehr ein Zeichen seiner Zivilcou-
und im Jänner 1962 Toni Gostner an den rage. Er hängte ein zusammengenähtes
Misshandlungen im Gefängnis gestorben Taschentuch in den Tiroler Landesfarben
waren, gedachten wir gemeinsam im weiß-rot bei seinem Zellenfenster hinaus.
Gefängnishof mit einem Vaterunser un- Genau gegenüber lag die Redaktion der
serer verstorbenen Kameraden. Danach nationalistischen italienischen Tageszei-
sagte Kerschbaumer zu uns den denk- tung «Alto Adige», die gegen diese Ak-
würdigen Satz: «Das war das zweite tion Sturm lief. Kerschbaumer wurde
Opfer, wer wird wohl der dritte sein?» daraufhin in das Gefängnis von Venedig

Dezember 1964. Sepp Kerschbaumer wird zu Grabe getragen.


An seinem Grab stand Südtirol.

229
strafverlegt. Einige Monate später wurde uns gewährt hat, ist nur eine Scheinau-
er erneut verlegt, diesmal in die Haft- tonomie, ein Betrug zum Schaden der
anstalt von Verona. Durch ein Missge- Südtiroler, auch steht sie im Gegensatz
schick und wohl auch aus Schwäche zum Gruber-Degasperi-Abkommen.»
nach einem mehrtägigen Hungerstreik, Auch die heikle Selbstbestimmungs-
geriet er bei der Gefängnisarbeit mit der frage hat er geschickt formuliert, indem
Hand in eine Presse und verlor dabei vier er sagte: «Im Jahre 1953 hat Minister-
Finger. präsident Giuseppe Pella die Selbstbe-
Im Oktober 1963 trat er aus Protest stimmung für Triest gefordert. Zur glei-
gegen die Verzögerung der Prozesse und chen Zeit haben zwei Studenten in Brun-
die dadurch verlängerte Untersuchungs- eck folgenden Satz auf die Mauer ihrer
haft für Unschuldige erneut in den Hun- Stadt geschrieben: Selbstbestimmung
gerstreik, den er erst nach 23 Tagen auch für Südtirol. Sie wurden angezeigt,
abbrach, als der Prozesstermin bekannt- einer floh nach Österreich, der andere
gegeben wurde. wurde verhaftet und zu 8 Monaten Ker-
Am 9. Dezember 1963 begann in ker verurteilt. «Ich möchte jetzt fragen»,
Mailand der sogenannte «Erste Mailän- so Kerschbaumer, «weshalb das Recht
der Sprengstoffprozess». Sepp Kersch- auf Selbstbestimmung in Italien unter
baumer wurde zwei Tage lang verhört. Strafe gestellt werden kann?» Diese Fra-
Offen und klar hat er sich zur Sache ge hat selbst dem Gerichtspräsidenten
bekannt und die ganze Schuld auf sich Simonetti die Stimme verschlagen. Die
genommen. Das hat alle tief beeindruckt, Antwort blieb aus.
sogar der Staatsanwalt und die Zivilkläger Am 16. Juli gegen Mitternacht wur-
konnten ihm ihre Achtung nicht ver- de nach 36-stündiger Beratung das Ur-
sagen. Geschickt nutzte er seine Position teil verkündet. Von den Inhaftierten er-
und wurde vom Angeklagten zum Klä- hielt Kerschbaumer mit 15 Jahren und
ger. 11 Monaten die höchste Strafe.
Wörtlich sagte er: «Wenn Italien uns Nur wenige Monate später, am 7. De-
1947 die Autonomie zugestanden hätte, zember 1964, starb Sepp Kerschbaumer
wäre das alles nicht passiert, dann wä- im Gefängnis von Verona. Die große
ren wir jetzt zu Hause bei unseren Fami- Belastung beim Prozess und die Verant-
230
lien. Das macht unsere Tragödie aus. Die wortung, die er dabei auf sich genom-
Schuld an allem, was geschehen ist, liegt men hatte, waren wohl zuviel geworden.
bei Italien, das unsere Bestrebungen nicht Die vielen Tränen und das Leid der Fami-
akzeptiert hat. Die Autonomie, die man lien, ebenso seiner Kameraden, hatten
ihn immer schwer belastet. Wir waren men. Niemand hatte gerufen, trotzdem
schockiert, als wir die Nachricht erhiel- war das ganze Volk gekommen, um dem
ten. Unser Vorbild und politischer Führer einfachen Kaufmann aus Frangart, dem
unseres Aufstandes war tot. Mann, über den in- und ausländische Zei-
Seine Bescheidenheit war beeindruk- tungen voller Achtung geschrieben hat-
kend, seine Geradlinigkeit, sein Mut und ten, das letzte Geleit zu geben. Auf ei-
sein opferbereiter Einsatz für die Rechte ner großen Doppelschleife standen die
unserer Heimat waren und sind beson- Worte: «Mit ihm sein Land Tirol.»
ders heute für unsere Wohlstandsgesell- Aus Hochachtung vor seiner Persön-
schaft beispielgebend! lichkeit sowie seines selbstlosen Einsat-
Über 20.000 Menschen aus allen zes für Recht und Gerechtigkeit für Süd-
Teilen Tirols waren zusammengeströmt, tirol haben sowohl sein Heimatort
um diesem großen Sohn unserer Heimat Frangart als auch die Tiroler Landes-
die letzte Ehre zu erweisen. Viele Politi- hauptstadt Innsbruck eine Straße nach
ker, darunter auch der damalige Landes- Sepp Kerschbaumer zum ehrenden Ge-
hauptmann Magnago, waren gekom- denken benannt.

231
Einen Monat vor seinem Tod ließ sich herrschten. Als ob er seinen frühzeitigen
Sepp Kerschbaumer von Trient in das Ge- Tod erahnt hätte, schrieb er seinen Ka-
fängnis von Verona versetzen, da dort meraden im Gefängnis von Trient einen
für ihn bessere Arbeitsbedingungen Abschiedsbrief.

«… Trient, im Gefängnis, den 6. November 1964

Meine lieben Kameraden!


Bevor ich mich von Euch, meine lieben Leidensgenossen und Kamera-
den, für unbestimmte Zeit trenne, ist es mir ein Herzensbedürfnis mit Euch
noch eine Abschieds-Zwiesprache zu halten.
Vor allem hoffe und wünsche ich, dass meine zeitweise Trennung von
Euch, die auf meinen Wunsch hin erfolgt nur in dem Zusammenhang gesehen
wird, wie sie tatsächlich ist, nämlich eine richtige dauernde Arbeitsmöglich-
keit, wie sie eben in Verona geboten wird. Außerdem gibt es, wie wir alle
schon erlebt haben, von einem Gefängnis zum anderen gute und böse Un-
terschiede, und diese gleichen sich zwischen Trient und Verona völlig aus.
Gewiss, es wurde mir gegenüber des öfteren der Vorwurf erhoben, dass bei
meinem zeitbegrenzten Verlassen unserer Gemeinschaft im allgemeinen und
besonders nach außen hin der Eindruck entstehen könnte, dass die Ursache
meiner Trennung eine Meinungsverschiedenheit von mir zu Euch sein könnte.
Nun, die Hauptsache ist und bleibt, dass das nicht der Fall ist und ich gebe
auch meiner Hoffnung Ausdruck, dass Ihr, meine Kameraden, mir diesen
Schritt nicht übel nehmt und für mein Verhalten das nötige Verständnis auf-
bringt
Zu einem meiner engsten früheren Mitarbeiter in der Kampfzeit habe
ich, als er mir Vorhaltungen machte wegen meines Vorhabens, nur das eine
gesagt: «Ich hoffe, dass unter uns als Tiroler noch soviel Handlungsfreiheit
erlaubt ist.» Das gleiche sage ich heute beim Abschied zu Euch, in der Hoff-
nung auch recht verstanden zu werden. Hätte ich von hier aus für unsere
233
geliebte Heimat Südtirol im Besonderen etwas tun können, dann hätte ich an
diesen Schritt nie gedacht. Nachdem aber dieser Umstand leider nicht gege-
ben ist und auch für die nächste Zukunft nichts derartiges sehe, so glaube ich,
dass ich keinen Fehler gemachte habe. Mit schweren Sorgen und Gedanken
und da die Zukunft alles andere als rosig aussieht, nehme ich Abschied von
Euch allen, die Ihr für ein großes Ideal gestritten und nun seit Jahren gelitten
habt und noch weiter auf unbestimmte Zeit erdulden müsst. Vielleicht drängt
sich dem einen oder anderen die große Frage auf, ob dieses Opfer letzten
Endes überhaupt eine sichtbare dauerhafte Frucht für unser Volk bringen
wird.
Gewisse Umstände und Begebenheiten sind oft dazu angetan, dass
einem das gute Hoffen schwer fällt. Und doch, trotz aller Widerstände, die
sich unserem Rechte und unserem Freiheitswillen entgegenstellen, ist die gute
Hoffnung berechtigt. Und so, wie auch im täglichen Leben, das Hoffen auf
dies und jenes, den weitesten Traum im Leben des Menschen im Einzelnen in
der Familie und im Volksganzen einnimmt, so darf und kann es in unserem
besonderen Falle nicht anders sein.
Nachdem uns allen das Leben, insbesondere das eigene und das un-
serer Vorfahren, immer wieder gezeigt hat, dass das Hoffen allein nicht ge-
nügt, sondern dass man selber mit der ganzen inneren und äußeren Kraft
unserer ganzen Persönlichkeit, die uns der liebe Gott in geistiger und leibli-
cher Form gegeben hat, mitwirken muss, damit das Hoffen auf unser Verlan-
gen wirksam werden kann; und daraus ergibt sich die einzig logische
Schlussfolgerung, selber immer wo es möglich, mit Leib und Seele mitzuwir-
ken und dabei zu sein.
Nun werdet Ihr mir die große Frage stellen, wie wir bei unseren so eng
begrenzten Möglichkeiten überhaupt noch wirksam sein können, um die von
mir gepriesene Hoffnung erfüllt zu sehen.
Wir alle wissen aus Erfahrung und erleben es täglich im Verfolgen des
Weltgeschehens, wie das Gute und das Böse dauernd im Streite liegen. Und
wir sagen nicht umsonst, dass das Leben schlechthin ein dauernder Kampf
mit allen möglichen Widerwärtigkeiten des Lebens ist.
So sehen wir, wenn wir die Geschichte unserer tirolischen Vorfahren
234
betrachten, zwei besondere Merkmale heraus, die unserem Tiroler Volke von
jeher eigen waren: der große Freiheitswille und der tiefe und aufrichtige
Glaube an unseren lieben Herrgott. Diese entscheidenden Charakterzüge
unserer Vorfahren müssen wir uns ständig vor Augen halten und versuchen,
sie in unserem bescheidenen Leben stets zu verkörpern. Nur aufgrund dieses
Fundamentes kann etwas Gutes und Dauerhaftes aufgebaut und erhalten
werden, denn es sind ewige Werte. Lassen wir uns nicht durch den heutigen
Zeitgeist, bei dem nur mehr rein greifbare materielle Güter und nicht mehr die
Ideale etwas gelten, irre machen. Und wenn wir diese menschlichen und im
besonderen diese tirolischen guten Eigenschaften beibehalten wollen, dann
brauchen wir so notwendig eine Kraft, die uns immer Halt und Ausdauer gibt.
Diese bekommen wir vom Schöpfergott, der letztlich von Anfang bis Ende
unser Schicksal in den Händen hat. Der Glaube an unseren Schöpfer darf
nicht nur Kindersache sein, sondern muss uns alle erfassen und zwar in seiner
ganzen Tiefe. Und nach diesem Glauben müssen wir unser Leben einrichten.
Wir kommen darum nicht herum, wenn wir es mit unserer geliebten Heimat
ehrlich meinen und würdige Nachfolger unserer Väter sein wollen. Unser Land
und Volk wurde von unseren Vätern in höchster Not und im feierlichen Schwur
und gläubigen Herzen dem heiligen Herz Jesu geweiht und wir, als ihre Nach-
kommen, haben die heilige Pflicht, diesen Schwur weiter an die kommenden
Geschlechter zu verpflanzen. Und wenn wir wollen, dass dies so ist, dann
müssen wir alle Anstrengungen unternehmen und nach diesem Schwur nach
besten Wissen und Gewissen leben.
Ich hoffe, dass diese meine Worte, die mir vom Herzen kommen, auch
in Eure tirolerischen Herzen hineingehen und richtig verstanden werden.
Nur in diesem Sinne, und nur in diesem, sehe ich mit Hoffnung der
Zukunft unserer geliebten Heimat entgegen. Für eine ganze Sache braucht es
auch eine ganze Arbeit.
Nun will ich mit der Bitte schließen, sollte ich jemanden von Euch je
beleidigt oder etwas Ungutes angetan haben, mir zu verzeihen, und so ver-
bleibe ich in treuer tirolerischer Verbundenheit

Euer Sepp Kerschbaumer»


235
Jörg Pircher
BRIEF AUS DEM GEFÄNGNIS,
Herbst 1966

1966 schrieb Jörg Pircher folgenden


Brief aus dem Gefängnis. Augenschein-
lich wird dabei der ungebrochene Wille,
für die Heimat weiter zu kämpfen.

«Lieber Freund!
Es kommt nicht oft vor, dass ich Ge-
legenheit habe, Dir einen Kassiber zu
senden und hoffe auch, dass er Dich
erreicht. Vor allem sei recht herzlich
gegrüßt mit Frau und Kindern. Ein
besonderer Gruß an die treuen und
aufrechten Freunde. Mit einem auf-
rechten Tiroler «Vergelt’s Gott» möchte ich mein Schreiben beginnen und für
alles, was Du und Deine Freunde für die heißgeliebte Heimat, für unsere
Familien und nicht zuletzt für uns politische Häftlinge getan habt. Mit ban-
gem Herzen verfolgen wir die Geschehnisse in und um unsere Heimat, die
sich in letzter Zeit von Tag zu Tag verschlechtern und den Anschein haben,
endgültig unseren Todfeinden ausgeliefert zu werden. Den langen Opferweg,
den wir bis heute beschritten haben, angefangen von den schrecklichen Fol-
tern und Qualen in den Polizeikasernen, durch zwei aufreibende Prozesse bis
hinauf zu den ständigen Verleumdungen von unseren politischen Vertretern
– wo auch der «walsche Seppl» seine dreckigen Hände mit im Spiel hat –
greift uns nicht so sehr an wie der schändliche Verrat, den die Wiener Regie-
rung dabei ist zu begehen.
Dass wir Südtiroler ausgerechnet so lange warten mussten, bis uns eine rein 237
schwarze Regierung auf dem Altar der EWG opfert und somit eine Volksgrup-
pe seinem Schicksal überlässt, das den sicheren Tod bedeutet, hätten wir nie
zu denken gewagt. Es ist bekannt, dass Wien nicht das erste Mal die Tiroler
verraten hat. Ich weigere mich aber zu glauben, dass das österreichische Volk
diesen Verrat an seinen Brüdern im Süden gutheißt und damit einverstanden
ist.
Wenn der Herr Kanzler Klaus den Italienern immer noch sein volles Vertrauen
schenkt (was er mir einmal persönlich bestätigte), sein unreifer Außenminister,
der obendrein auch zu schwach ist, diesem haushoch unterlegen ist, so müsste
wenigstens der Landeshauptmann von Tirol sich entgegenstemmen und sei-
nen Landsleuten ein treuer Befürworter bleiben und nicht, wie in letzter Zeit,
immer mehr von der aufrechten Linie in das andere Lager abrutschen. Im
eigenen Land steht es auch nicht zum Besten. Die Aufrechten will man um
jeden Preis und mit jedem Mittel mundtot machen, das Volk weiterhin irre-
führen und so ihr teuflisches Spiel zu Ende treiben. Es bleibt kein anderer
Weg, als den Freiheitskampf fortzusetzen, wenn er auch lange und dauervoll
ist, es ist das einzige Mittel, von dem Joch der Unterdrückung loszukommen,

Als letzter Südtiroler Häftling von den 1961 verhafteten, durfte Jörg Pircher aus Lana das Gefängnis verlassen.
Nach seiner Entlassung widmete er viel Zeit und Energie dem Aufbau des Südtiroler Schützenbundes
und war lange Jahre stellvertretender Landeskommandant.

238
der Kolonialherrschaft ein Ende zu setzen, der Assimilation im letzten Mo-
ment noch vorzubeugen und das Deutschtum im Süden zu retten. Dass dies
der richtige Weg ist, zeigt auch die Reaktion von der anderen Seite, die
diesem Kampf machtlos gegenüberstünde, hätte sich unser «Schutzpatron»
nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Wie bei uns die politischen Verhältnisse liegen, ist das der einzige Ausweg
oder besser die einzige Rettung von dem sicheren Untergang, denn diesmal
geht es nicht mehr bloß um einzelne Kompetenzen für eine ungenügende
Autonomie – was nichts anderes bedeutet als neuen Zeitgewinn an ihrem
Vorhaben – sondern um Sein oder Nichtsein einer ganzen Volksgruppe. Dies-
mal darf nicht wieder der gleiche Fehler gemacht werden wie 1946-48, dies-
mal kann nur mehr eine Forderung gelten und die heisst SELBSTBESTIM-
MUNG FÜR DAS SÜDTIROLER VOLK.
Es ist im wahren Sinne des Wortes fünf Minuten vor zwölf, es ist unweigerlich
die letzte Chance im langen Ringen. Wenn es diesmal nicht gelingt, ist Süd-
tirol endgültig verloren und was uns dann bevorsteht, kann nur der ahnen,
der einmal unter diesen Henkersknechten gefoltert wurde.
Darum richte ich die eindringliche Bitte an alle Freunde unserer geliebten
Heimat in- und außerhalb Tirols, helft! Helft in letzter Stunde, bevor es zu
spät ist, lasst nicht zu, dass wir dem sicheren Untergang entgegengehen, dass
ein Volk von seiner tausendjährigen Scholle vertrieben wird und das Land
Andreas Hofers endgültig verwalscht wird und so für immer der deutsche
Mutterlaut zwischen Eisack und Etsch verstummt!
Diese Bitte möchte ich auch im Namen unserer erschlagenen, ermordeten und
verstorbenen Kameraden wiederholen, die ihr Blut und Leben für ein freies
und einiges Tirol hingegeben haben. Mit einem aufrechten Tiroler «Vergelt’s
Gott» möchte ich schließen und grüße Dich und alle Freunde in tiefer Verbun-
denheit und rufe Euch zu: «Lang lebe unsere heissgeliebte Heimat Tirol!»

Dein Freund Jörg»


239
DIE NACHT UND DIE BERGE GEHÖRTEN IHNEN…
Eine Stimme aus dem Exil
Siegfried Steger

Siegfried Steger gehört zu jenen Süd- heitskämpfer meist


tirolern, die ihre Heimat verlassen mus- unentdeckt bewegen.
sten und diese noch immer nicht betre- Die Nacht und die Ber-
ten dürfen. Für diese Männer hat das so ge gehörten ihnen. Siegfried Steger

oft gelobte Europa ohne Grenzen noch Im Laufe der Zeit hatten sich die
Grenzen. Grenzen, die durch Krieg und Freiheitskämpfer im Pustertal einige Ver-
Unrecht entstanden und weiterhin ein stecke in den Bergen errichtet, welche,
Unrecht bleiben. mit verschiedenem Material versorgt, es
Siegfried Steger, Sepp Forer, Erich ihnen erlaubten von dort aus immer
Oberlechner und Heinrich Oberleitner wieder neue Aktionen zu starten und bei
leisteten dem italienischen Staat einen Gefahr für einige Tage unterzutauchen.
erbitterten Widerstand. Seit der Feuer- Nicht zu allen Anschlägen, die man
nacht im Jahr 1961 flammte der Wider- ihnen anlastete und für die sie verurteilt
stand im ganzen Land immer wieder von wurden, haben sich die Freiheitskämpfer
neuem auf. Besonders im Pustertal kam bekannt. So kam es auch zu ungeklärten
es zu verschiedenen, teilweise dramati- Mordanschlägen. Die Italienische Justiz
schen Aktionen und den daraus folgen- und die italienische Öffentlichkeit erklär-
den Gegenaktionen der italienischen te für alles und überall die Südtiroler Frei-
Sicherheitskräfte. heitskämpfer zu den selbstverständlichen
Der Staat versuchte mit allen Mitteln, Schuldigen und machte sie zu willkom-
den Widerstand zu unterbinden. Die menen Prügelknaben… Doch weisen
Grenze in den Bergen des Pustertals zahlreiche Ungereimtheiten darauf hin,
wurde noch besser bewacht als anders- dass die wahren Schuldigen bei zahl-
wo. Große Carabinieri-, Polizei- und reichen Taten ganz woanders zu suchen
Militäraufgebote durchstreiften und sind. Es ist ein offenes Geheimnis, dass
durchsuchten die Täler. Aber da sich man immer schon vermutete, der
241
große Teile der Bevölkerung immer italienische Geheimdienst stecke hinter
wieder mit den Freiheitskämpfern im vielen Anschlägen, um damit die
Stillen solidarisierten und ihnen oft Hilfe Unterstützung der Bevölkerung zu
zukommen ließen, konnten sich die Frei- unterbinden und das oft übertriebene
Vorgehen der Polizei- und Miltäreinheiten In jenen Septembertagen spitzte sich
sowie die unbeugsame italienische Politik die Lage im Pustertal immer mehr zu.
zu rechtfertigen. Trotz des Masseneinsatzes der Polizei und
Am 4. September 1964, nach dem Armee gelang es einer Gruppe von Frei-
Mordanschlag auf den Carabiniere heitskämpfern am 6. September bei Vintl
Tiralongo in Mühlwald, reagierten die einen wichtigen Fernsprechmasten zu
italienischen Besatzungskräfte hart wie sprengen. Am 9. September wurde im
nie zuvor. In den frühen Morgenstunden Antholzertal auf eine Carabinieristreife
wurden die Ortschaften Mühlen, Sand ein Minenanschlag verübt. Ein Insasse des
und Kematen von Polizeikräften unter Jeeps wurde schwer verletzt, die ande-
dem Kommando von Carabinierioberst ren vier Insassen nur leicht.
Marasco umstellt. Rund vier- bis fünfhun- Am 10. September 1964 kam es in
dert Personen im Alter zwischen 16 und Tesselberg oberhalb von Gais zu einem
70 Jahren, darunter auch zahlreiche kurzen Feuergefecht zwischen drei Frei-
Frauen, wurden festgenommen. In der heitskämpfern und Einheiten der Carabi-
Carabinierikaserne von Mühlen wurden nieri. Ein für die italienische Polizei täti-
die Festgenommenen stundenlang ger Spitzel hatte den Carabinieri mitge-
verhört. Die Festgenommenen erhielten teilt, dass sich drei Freiheitskämpfer in
kein Essen und konnten weder ihre einem Heuschuppen in der Nähe des klei-
Angehörigen noch ihre Rechtsanwälte nen Bergdorfes Tesselberg aufhielten.
informieren. Die Freiheitskämpfer konnten unter
Da der mutige und standfeste Staats- Zurücklassen ihrer Ausrüstung entkom-
anwalt Corrias Oberst Marasco die ge- men und mit Hilfe aus der Bevölkerung
forderten Blankohaftbefehle verweigerte, gelang ihnen die Flucht vor den schnell
mussten bald alle Festgenommenen, herangeführten Militär- und Polizeikräf-
nach ergebnislosen Verhören, wieder frei- ten.
gelassen werden. Das Gebiet wurde von Tausenden
Für den Mord in Mühlwald wurden Soldaten und Carabinieri abgeriegelt.
sofort die Freiheitskämpfer verantwortlich Dabei überschlug sich ein Militärjeep und
gemacht, aber bald wurde bekannt, dass ein Alpini-Soldat wurde tödlich verletzt.
der aus Sizilien stammende Tiralongo Weiters erschoss ein verängstigter Alpi-
242
einem Racheakt aus gekränkter Familien- ni-Soldat einen Kameraden, da er ihn für
ehre zum Opfer gefallen war. Die gericht- einen der Gejagten hielt.
lichen Untersuchungen darüber wurden Gegen Mittag desselben Tages wur-
nie veröffentlicht. de dann überfallartig das Bergdorf Tes-
selberg von 1200 Carabinieri gestürmt, werden, dass die Einwohner von Tessel-
verwüstet und geplündert. Schützenpan- berg trotz allem noch Glück im Unglück
zer beschossen die Heuschuppen wo es hatten.
vorher zu einem Feuergefecht mit den Am 29. Juli 1991 berichtet der
Freiheitskämpfern gekommen war. Die Carabinierigeneral im Ruhestand,
Heuschuppen brannten ab. In den Häu- Giancarlo Giudici, in einem Zeitungs-
sern des kleinen Dorfes wurden Hand- bericht, was er während der Razzia in
granaten geworfen und die Carabinieri Tesselberg erlebt hatte: Oberst Marasco
schossen wie wild um sich. war aus Bozen mit einem Hubschrauber
Die gehbehinderte, 22-jährige Hilde eingeflogen worden und gab dem
Mayr wurde durch einen Brustdurch- damaligen Oberstleutnant folgenden
schuss schwer verletzt. Die Carabinieri Befehl: »HAST DU 15 PERSONEN FEST-
verweigerten ihr jegliche ärztliche Hilfe. GENOMMEN? GUT! STELL SIE AN DIE
Erst am nächsten Tag konnte ihr ein vom WAND UND LASS SIE ERSCHIESSEN!
Feuerwehrhauptmann von Gais nach Tes- DANN BRENN DAS DORF NIEDER!» Gui-
selberg geführter Arzt die notwendige dici weigerte sich und Marasco wider-
Hilfe leisten. holte seinen Befehl: «DU MUSST SIE ER-
Das gesamte Dorf wurde evakuiert. SCHIESSEN, HAST DU VERSTANDEN?
Die Bewohner, Männer, Frauen und Kin- STELL SIE AN DIE WAND UND BRENN
der wurden auf einer Wiese zusammen- DAS GANZE DORF NIEDER! BRENN ES
getrieben. Die Männer wurden gefesselt NIEDER BIS ZUM BODEN!» Gudici wei-
und mussten stundenlang, mit dem Ge- gerte sich und meldete nach Abschluss
sicht zu Boden, in der nassen Wiese lie- der Razzia diesen Vorfall seinem Vorge-
gen. setzten General De Lorenzo. Dieser nahm
Schließlich wurden 25 Personen ab- den Bericht kommentarlos zur Kenntnis.
geführt. Zwischen zwei Jeeps eingekeilt Einen Tag später wurde Guidici nach
mussten sie zu Fuß bis ins Tal nach Auf- Udine versetzt.
hofen bei Bruneck laufen, wo sie auf General Giorgio Manes, der von 1966
Fahrzeuge verladen wurden und in die bis 1968 die Staatsstreichpläne von Ge-
Carabinieristationen von Bruneck und neral De Lorenzo untersuchte, berichtete
Mühlbach gebracht wurden. dazu in seinem Tagebuch, dass Marasco
243
Nachdem der Spuk im Dorf vorüber für jeden getöteten Italiener fünf Südti-
war, stellten die Bewohner fest, dass roler erschießen lassen wollte. «DER BE-
überall Geld und Wertgegenstände fehl- FEHL DAZU IST DIREKT VON GENERAL
ten. Jahrzehnte später wird bekannt DE LORENZO GEKOMMEN.»
244
Josef Forer, Siegfried Steger, Heinrich Oberleiter und
Erich Oberlechner bildeten den harten Kern der
Widerstandstruppe, die seit der Feuernacht 1961
im östlichen Teil Südtirols immer wieder Anschläge
und Überfälle durchführte.
Große Teile der Bevölkerung sympathisierten bis zuletzt
mit den Freiheitskämpfern.

244
245

245
Siegfried Steger wurde am 24. Okto- Ich musste auch leidvoll miterleben, dass
ber 1939 als ältester Sohn einer acht- viele junge Burschen Südtirol den Rücken
köpfigen Familie in Mühlen in Taufers kehrten, um im Ausland Arbeit zu finden,
geboren. Er lebte dort bis zu seiner Flucht da sie in der Heimat keine Möglichkeit
im Juni 1961. fanden. Ende der 50er und Anfang der
60er Jahre wanderten jährlich bis zu
Da ich in einem Gasthof aufgewach- 2.000 junge Südtiroler ins Ausland ab.
sen bin, erlebte ich als Jugendlicher viele In mir erwachte immer bewusster die
Auseinandersetzungen und Gespräche Bereitschaft, selbst irgendwie Widerstand
über die Tragödie in unserem Land. zu leisten.
Durch diese Erlebnisse und das entspre- Als erstes Zeichen des Widerstandes
chende Umfeld ist in mir so langsam – malten wir den Tiroler Adler, unser Lan-
ohne dass ich dies bewusst plante – der deswappen, bei Nacht an eine Felswand,
Widerstand gewachsen, d. h. der Wille, in einer Größe von 11 m Höhe und 9 m
etwas dagegen zu unternehmen. Breite.
Als in Pfunders der Finanzer tödlich Daraufhin habe ich das erste Mal mit
verunglückte und danach diese jungen den Carabinieri zu tun bekommen, die
Burschen beschuldigt wurden, ihn um- mir sofort zu verstehen gegeben haben,
gebracht zu haben, hatte ich persönlich wer hier das Sagen hat und zwar durch
das Gefühl, hier wird den Pfunderer Bur- Äußerungen wie: «Diese deutschen Köp-
schen Unrecht getan. fe gehören an die Wand geschlagen, bis
Im Jahr 1957 war ich bei der Kund- sie platt sind wie Laub…!» Sie gaben
gebung in Sigmundskron anwesend und mir von Samstag bis zu meiner Freilas-
es wurde mir klar, wie es um Südtirol sung am Montag weder zu essen noch
stand! Für mich, als 18-jährigen Bur- zu trinken! Ich musste überwiegend mit
schen, war es unbegreiflich, was sich an erhobenen Händen in der Ecke stehen
diesem Tag abspielte. Zum ersten Mal sah und die ganzen Drohgebärden sowie Be-
ich diese gewaltige, bewaffnete Polizei- schimpfungen übelster Art über mich er-
und Militärpräsenz der Italiener, und auf gehen lassen. Von da an wusste ich, dass
der Südtiroler Seite 35.000 Menschen, die zu allem fähig waren, sobald wir uns
die nach Sigmundskron gekommen wa- auflehnen würden. Trotzdem ist in mir
246
ren, um den Freiheitswillen zu demon- die Bereitschaft gewachsen, Widerstand
strieren. Selbstverständlich habe ich auch zu leisten; ebenso die Entschlossenheit,
die ersten Anschläge der Stieler-Gruppe mich nicht von denen verhaften zu las-
sowie deren Verhaftung mitbekommen. sen.
247
Ein Fahndungsplakat aus den 60er Jahren, das immer noch seine «Gültigkeit» hat.
Viele tausende italienische Soldaten machten Jagd auf die Freiheitskämpfer, aber ohne Erfolg.

248
Zu dieser Zeit wurde ich auf Sepp von uns ist nach Innsbruck gefahren, um
Kerschbaumer aufmerksam, durch seine dort eine praktische Ausbildung zu absol-
widerrechtliche Aushängung der Tiroler vieren. Wir haben nach unseren Möglich-
Landesfahne sowie durch seine anschlie- keiten alles vorbereitet für den Tag «X».
ßende Verhaftung und die Hungerstreiks. In der Zwischenzeit hatten wir noch
Da kamen wir zur Überzeugung, dass zwei bis drei Mal von Kurt und seinen
wir uns vorbereiten mussten, um zu ge- Leuten Besuch.
gebener Zeit gezielt Anschläge auf fa- Uns hatte man als erste Aktivität den
schistisch-provokante Symbole durchzu- Anschlag auf das Alpini-Denkmal, dem
führen. Wir stahlen den Erbauern des sogenannten «Kapuziner-Wastl», in
Kraftwerkes in Mühlen Sprengstoff, Bruneck zugewiesen. Anschlag 2 war, die
Zündschnur und Kapseln, legten ein Ver- Stromversorgung nach Italien zu unter-
steck an, um das Material sicher und binden und Schlag 3, die Eisenbahn-
trocken zu deponieren. In dieser Zeit verbindung nach Italien zu stoppen so-
haben wir auch Kontakt mit dem BAS wie, als letzte Konsequenz, die bewaff-
aufgenommen. Dies wurde in Innsbruck nete Auseinandersetzung mit der Staats-
gemeldet und so bekamen wir Besuch macht. Dass es so nicht gekommen war,
von Kurt Welser. Das war auch der Tag, ist wohl darauf zurückzuführen, dass es
an dem wir ihm unsere Bereitschaft be- zwischen den führenden BAS-Leuten zu
kundeten mitzumachen. verschiedene Meinungen gab.
Er unterrichtete uns, worum es ging: Es kam das Jahr 1961! Wir warteten
selbstverständlich über das Selbstbe- auf das Signal, das Alpini-Denkmal in
stimmungsrecht, um die Wiedervereini- Bruneck zu sprengen. Wir hatten alles
gung Tirols zu erreichen. Ich muss hinzu- genau ausgekundschaftet sowie das nö-
fügen, dass keiner dieser Freiheitskämp- tige Material vorbereitet. Als dann im
fer, die ich kennen und schätzen gelernt Jänner 1961 der Aluminium-Duce ge-
habe, sich für eine Autonomie in Südti- sprengt wurde, waren wir sehr ent-
rol eingesetzt hat. täuscht und haben uns bei Kurt Welser
Als Kurt Welser das nächste Mal kam, beklagt, das es nun schwierig sein wür-
brachte er bereits Material und Waffen de, das Alpini-Denkmal zu sprengen.
mit und begann mit uns eine theoreti- Aber Kurt Welser hat uns gebeten, nur
249
sche Schulung, die Waffen- und Spreng- auf seine Anweisungen hin etwas zu un-
kunde beinhaltete sowie das richtige ternehmen, was wir auch befolgten. Es
Verhalten gegenüber der Polizei bzw. wie wurde uns versprochen, dass wir zwei
man sich selber zu verhalten hatte. Einer Wochen vor dem großen Schlag Infor-
mationen erhalten würden, um genü- geschehen war. Wir hatten ja in der Nähe
gend Zeit zu haben, Vorbereitungen zu des Hofes eines Bergbauern, der selber
treffen, die Stromversorgung nach Italien aktives Mitglied war, ein Versteck, wo wir
auszuschalten. Leider kam es anders als uns aufhalten konnten. An diesem Ort
vereinbart. Am 11. Juni 1961 (es war sind wir auch in der Nacht zum 13. Juni
Herz-Jesu-Sonntag) kam ein uns unbe- wieder zusammengekommen. Wir
kannter Mann, der aber das Losungswort schickten den Bergbauern ins Dorf hin-
wusste und sagte: «Heute Nacht geht’s unter, um nachzusehen, was geschehen
los …!» war. Er kam mit der Meldung zurück,
Am Montag, den 12. Juni in der Früh, dass unsere Väter verhaftet worden sei-
wollten die Carabinieri mich abholen. Sie en. Wir blieben noch drei Tage in unse-
fragten mich auch, wo Josef Forer wohn- rem Versteck und gingen dann über die
te. Mich brachte man in den Jeep, der Zillertaler Alpen nach Ginzling, wo uns
vor dem Haus stand. Drei Mann bewach- Kurt Welser abholte. Somit begann für
ten mich. Ich konnte zwar flüchten, uns ein Leben als Gehetzte und Gesuch-
wusste aber nicht, was mit Sepp Forer te fern der Heimat!

Das italienische Militär errichtete an der Grenze in den Bergen zahlreiche Stützpunkte. Heute noch verunstalten
Stacheldraht und rostige Baracken die Bergwelt Südtirols.

250
Es gab zahlreiche Tote auf beiden Seiten. Zu vielen Anschlägen haben sich die Freiheitskämpfer bis heute
noch nie bekannt. Vieles deutet darauf hin, dass der italienische Geheimdienst die eigenen Leute opferte,
um den Südtiroler Widerstandskämpfern diese Verbrechen anzulasten. Die Bevölkerung sollte damit ihre
Sympathie für die Freiheitskämpfer verlieren. Es liegt am italienischen Staat selbst, durch die Öffnung aller
Geheimarchive, diese Verdachtsmomente zu beseitigen und so eine endgültige Klärung und Befriedigung
einzuleiten.

Zur Freude aller wurde uns Luis Am- entstand ein aufrichtiges, freundschaftli-
platz vorgestellt, worauf sofort Sympa- ches Verhältnis. Er hat uns theoretisch
thie und Freundschaft mit vollem gegen- wie auch praktisch unterrichtet. Da er
seitigen Vertrauen entstand, bis zu sei- jedoch im Mittelpunkt der Öffentlichkeit
ner heimtückischen Ermordung. Luis stand, war es für uns nicht ratsam, mit
Amplatz war für uns eine Leitfigur und ihm intensiveren Kontakt zu pflegen.
ein Kamerad! In allen Belangen stand er Auch mit den anderen Südtiroler Flücht-
uns mit Rat und Tat zur Seite. Ein Spruch lingen hatten wir ein sehr kameradschaft-
von ihm: «Mander, merkt enck oans liches, geselliges Zusammensein in der
beim Verhör: sagst du JA, bleibst du da, «Tempelstraße» in Innsbruck gepflegt. Da
251
sagst du NEIN, gehst du heim!» wurden Meinungen ausgetauscht über
Im Sommer 1961 sind weitere Südti- das weitere Vorgehen mit dem gemein-
roler geflüchtet; so machten wir auch mit samen Ziel der Befreiung unserer Heimat
Jörg Klotz Bekanntschaft. Auch mit ihm von der Fremdherrschaft. Man war in
großer Sorge über die Angehörigen, wie empfangen. In langen Gesprächen wur-
sie wohl das alles überstehen würden. den verschiedene wichtige Informationen
Man versuchte immer, den Kontakt zu ausgetauscht und oft wurden wir vor so
Südtirol aufrecht zu erhalten, um über mancher Gefahr gewarnt.
die Ereignisse in der Heimat am Laufen- Es gab aber auch Gespräche über die
den zu sein. Allmählich wurden die Tref- damalige Situation im Lande, über die
fen in der «Tempelstraße» weniger, da schrecklichen Folterungen.
wir nicht wollten, dass der italienische Oft wurde uns von den Frauen ein
Geheimdienst auf uns aufmerksam wür- festliches Essen, oft Wildbraten, vorge-
de. Somit haben wir uns verteilt und die legt, damit wir neue Kräfte sammeln
Zusammenkünfte wurden mehr und konnten für den harten und gefährlichen
mehr geheimgehalten. Weg zurück über die Berge ins Exil. So
Nach der Flucht im Juni 1961 sind verbrachten wir trotz allem auch in jener
wir im selben Jahr über die Berge nach Zeit, in der wir gejagt und gehetzt wur-
Südtirol gegangen. Mit dabei war auch den, einige frohe und glückliche Stun-
Luis Amplatz sowie ein Freund von ihm. den. Manchmal sangen wir frohe Lieder
Dieser hieß Johann und war Lehrer. Als und vergaßen so die missliche Lage, in
der Schulunterricht wieder begann, ging der wir uns befanden.
dieser nach Südtirol zurück und ich hör- Mir ist bis heute unverständlich, war-
te nie mehr was von ihm. um Amplatz mit Christian Kerbler mitge-
Luis Amplatz war sehr begeistert, als gangen ist. Als er mich im April 1964
er sah, mit welcher Herzlichkeit wir bei mit nach Innsbruck nahm und sich mit
unseren Leuten, Mitkämpfern und Hel- Christian Kerbler traf sagte er mir, dieser
fern empfangen wurden. Diese Men- sei ein Agent und arbeite für die Italie-
schen waren froh, dass es Leute von ner. Bei diesen Treffen zwischen Luis
unserem Schlag gegeben hat, die sich Amplatz und Kerbler sah ich auch mei-
gegen das Unrecht des italienischen Staa- nen Freund Amplatz das letzte Mal, da
tes gewehrt haben. er kurz nach diesem Treffen nach Wien
Wo wir einkehrten, wurden wir gut abgeschoben wurde.
aufgenommen. Immer wieder boten sich Sehr bedrückend war für mich die
Leute an, uns zu begleiten oder uns die Verhaftung meines Vaters und später
252
schweren Rucksäcke für einen Teil des auch die Verhaftung meiner Mutter und
Weges abzunehmen. meiner Schwester Lina. Meine Mutter
Vor allem bei den Bergbauern hoch und meine Schwester wurden nach der
oben wurden wir immer wieder herzlich Haft sogar längere Zeit verbannt.
Pfalzen 1963.
Nachdem ein Carabiniere von einem
Unbekannten angeschossen wurde,
besetzten und durchsuchten starke
Carabinierieinheiten das Dorf.
Bei solchen Aktionen gingen die
Polizeinheiten meist sehr brutal vor.

Ein gesprengter Strommasten zwischen Gais und Uttenheim.

253
Überfall auf einen Carabinieri-Jeep im Antholzertal – September 1964

Mir wurde weder von Seiten meiner Zum Glück hatten wir in Nord-Tirol
Eltern noch von Seiten meiner Schwester gute Freunde, die uns Unterschlupf und
jemals ein Vorwurf gemacht für die Lei- Hilfe zukommen ließen, die wir auch
den, die sie für mich und unsere Heimat benötigten. Für uns war es eine große
ertragen mussten. Freude, als Senator Dr. Peter Brugger uns
Im Laufe der Zeit und der Ereignisse zum ersten Mal in München besuchte.
in Südtirol wurde das Leben für uns Wir waren einen ganzen Nachmittag
immer problematischer. Da Italien Öster- beisammen und Dr. Brugger hat uns über
reich mit Wirtschaftssanktionen und an- die schwierige politische Lage in Südtirol
254
deren Repressalien drohte, kam die Wie- unterrichtet. Es wurde auf seinen Wunsch
ner Regierung ins Schwanken und hat hin auch ein Tonband eingeschaltet, das
sich, nach meiner Ansicht, von Italien sich in meinem Besitz befindet. Auch
unnötig erpressen lassen. Hans Dietl hat uns in München besucht;
255

Die Weihnachtsgrüße von Senator Peter Brugger 1975 an Siegfried Steger. Vor seinem Tod stellte Senator
Peter Brugger seinem Sohn Siegfried Brugger die vier im Exil lebenden Freiheitskämpfer aus dem Tauferer-
Ahrntal vor.
es entstand eine herzliche Aussprache Sicher erwähnenswert sind auch
und natürlich wurde mit großer Sorge Weihnachts-Glückwünsche von 1975, die
über Südtirols Zukunft gesprochen. mir Dr. Peter Brugger geschrieben hat:
Beim nächsten Treffen mit Senator «Dankbarst erwidere ich die Weihnachts-
Brugger in Nord-Tirol gab es kein SIE grüße. Wir wünschen Dir im Jahre 1976
mehr unter uns, da eine Vertrauensbasis reichlichst Glück und Erfolg, Freude und
entstanden war. Die Gespräche gingen Gesundheit. In Verbundenheit Peter
bis tief in die Nacht hinein. Bei diesen Brugger und Familie.»
Gesprächen hat uns Dr. Brugger eine Für mich ist es sicher eine große Be-
militärische Ausbildung angeboten. Es sei lastung, fast 40 Jahre im Exil leben zu
alles vorbereitet, wir bräuchten nur zu- müssen, ohne die Hoffnung, die geliebte
zustimmen. Aus verschiedenen Gründen Heimat wieder einmal sehen zu können.
lehnten wir die Ausbildung ab. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man
Auch mit Hans Dietl hatten wir noch- nicht an die Heimat denkt. Besonders zu
mals ein Treffen in Innsbruck, bei dem er Weihnachten und an bestimmten
uns über die Lage in Südtirol berichtete Feiertagen schmerzt die Seele. Oder,
und uns über sein Vorhaben, eine eigene wenn die Eltern zu Grabe getragen wer-
Partei zu gründen, unterrichtete. den, oder Verwandte und Freunde. Oder,
Im Jahr 1968 sind Sepp Forer und wenn Hochzeiten, Taufen und derglei-
Heinrich Oberlechner in Österreich ver- chen stattfinden.
haftet worden. Mir gelang die Flucht
nach Bayern. Somit begann für mich ein Die Zeit heilt zwar Wunden, aber die
neuer Lebensabschnitt. Narben in der Seele bleiben. Kein Chir-
Ich möchte mich bei vielen in Tirol urg kann sie wegschleifen. Sie bleiben
und Österreich bedanken, die uns bis zum Tod.
geholfen haben. Auch den Leuten in
Bayern gilt ein Dankeschön. Zwei von
unseren Helfern, die ich namentlich nen-
nen möchte, gilt ein besonderer Dank.
Und zwar dem ehemaligen Landes-
hauptmann von Tirol Eduard Wallnöfer
und dem langjährigen Landesrat aus
Starnberg und Freund Südtirols, Dr. Ru-
dolf Widmann, die leider beide schon ver-
storben sind.
SÜDTIROLER FREIHEITSKAMPF
ALS ÖSTERREICHER IM DIENST DER SACHE
von Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung – Innsbruck

Universitätsprofessor Dr. med. univ. schrift noch Urteil


Erhard Hartung wurde am 14.01.1943 erhalten) in Florenz
als drittes von fünf Kindern in Innsbruck in Abwesenheit zu
geboren, der Vater war Berufssoldat lebenslangem Ker-
(Oberstleutnant der «Reitenden Tiroler ker verurteilt; da- Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung
Kaiserschüzen», Oberst der Wehrmacht, her bis heute Einreise nach Südtirol nicht
Diplom-Reit-Sportlehrer), die Mutter Ärz- möglich. Um weiterer Haft zu entgehen,
tin. Schulbesuch in Innsbruck, Zams und Flucht nach Deutschland, dort als Asy-
Wien. lant 6 Jahre im politischen Exil.
Während des Studiums in Wien und Auf persönliche Anregung von Bun-
Innsbruck über 44 Monate als Arbeiter deskanzler Dr. Kreisky und UN-Men-
vollbeschäftigt, trotzdem 1966 in kürzest schenrechtsbeauftragten Univ.-Prof.
möglicher Zeit Abschluss in 6. Generati- DDr. Ermacora Gründung der «Kamerad-
on zum Arzt. Währenddessen zum «Be- schaft der ehemaligen Sütiroler Freiheits-
freiungsausschuß Südtirol» gestoßen, kämpfer», seit damals deren 1. Sprecher.
dort ausschließlich humanitär tätig. Des- In Berlin und Düsseldorf zum Anäs-
halb 1967 Verhaftung, 14 Monate Un- thesisten ausgebildet, als solcher in
tersuchungshaft (1 Jahr in Einzelhaft) und Deutschland, den USA, China, Israel und
Schwurgerichtsverfahren in Wien wegen Ländern der Dritten Welt in Lehre, in der
angeblicher Beteiligung an einem Atten- Forschung und Patientenversorgung tä-
tat auf der «Porzerscharte» (vier tote ita- tig und berufspolitisch aktiv. Träger des
lienische Soldaten); erstinstanzlich wegen «Samuel-Hahnemann-Ringes», diverse
vierfachen Mordes lediglich zu einem Auszeichnungen und Ehrungen. Lebt in
Jahr Kerker verurteilt; in zweiter Instanz Tirol, verheiratet, drei Kinder.
nicht rechtskräftig gewordener Frei-
spruch. Letztlich Einstellung des Verfah- Durch eigene Erkenntnis und Erfah-
rens durch den Bundespräsidenten Dr. rung, Erziehung im Elternhaus und in der
257
Kirchschläger im Mai 1975. Schule ist mir das Schicksal meiner Tiro-
Ob gleicher Vorwürfe 1971 men- ler Heimat bekannt. Gerade deshalb ge-
schenrechtswidrig (minimalste Rechte der stehe ich: es hat mich gefreut, als ab
Verteidigung verletzt, weder Anklage- Ende der 50er Jahre meine Südtiroler
Landsleute sich gegen den Terror der ita- 1961 durchführte, erklärte Dr. Magnago
lienischen Besatzungsmacht zur Wehr unter anderem: «Der Ursprung dieser
setzten. Lage liegt in der Tatsache, dass der Pari-
ser Vertrag in verschiedenen wesentli-
Die Feuernacht
chen Punkten nicht durchgeführt und
Die Lage in Südtirol hatte sich bis zum
daher das Problem nicht gelöst wurde;
Äußersten zugespitzt. Bereits im Jänner,
er liegt in der Verständnislosigkeit, die
Februar und April 1961 hatten einzelne
von den Organen des Staates gegenüber
Sprengstoffanschläge – darunter der auf
den Forderungen an den Tag gelegt
den «Aluminiumduce» in Waidbruck und
wurde, welche ich als gerecht und durch-
auf den Ansitz im Unterland, den ehe-
führbar sowie dem Pariser Vertrag ent-
mals Tolomei bewohnte – stattgefunden.
sprechend ansehe und gegen welche die
Die italienische Regierung begegnete ih-
verschiedenen Regierungen in den letz-
nen mit scharfen Polizeimaßnahmen. Im
ten fünfzehn Jahren eine, meines Erach-
Rahmen dieser Maßnahmen kam es auch
tens, ungerechtfertigte Politik der Ver-
zum Gebrauch der Schusswaffe seitens
schleppung und der Verständnislosigkeit
Polizei und Militär. Die Erbitterung der
angewendet haben.»
Bevölkerung wuchs, die Entschließung
der SVP vom 25. März blieb ohne Echo. Häftlinge gefoltert
Es folgte jenes Ereignis, das als die Ab 10. Juli wurden 67 in die Anschlä-
«Feuernacht» in die Geschichte Südtirols ge verwickelte Südtiroler verhaftet. Bald
eingegangen ist. In der Nacht vom darauf stieg die Zahl der Inhaftierten auf
Herz-Jesu-Sonntag 1961 wurde im über 100. Viele von ihnen wurden Folte-
ganzen Land eine Reihe von Sprengstoff- rungen unterzogen, die auch beim Cara-
anschlägen auf Masten der Elektro-Über- binieri-Prozess in Trient und in den spä-
landleitungen durchgeführt. Diese mas- teren Mailänder-Prozessen gegen die
siven Anschläge ließen nicht nur Italien, angeklagten Südtiroler bestätigt wurden.
sondern darüber hinaus weite Kreise im Der erste Mailänder-Prozess gegen die
Ausland aufhorchen. Mit einem Mal Angeklagten fand nach einer überlangen
stand Südtirol im Mittelpunkt der Bericht- Untersuchungshaft derselben im Jahr
erstattung der Presse. Anfang Juli fan- 1964 statt.
258 den weitere Anschläge statt.
Stellvertretend für eine Reihe meiner
Schuld – Verständnislosigkeit österreichischen Kameraden möchte ich
In einer Debatte, die der Südtiroler folgende, mir gestellte Fragen, beantwor-
Landtag zu diesen Ereignissen am 7. Juli ten:
1. Was hat uns Jugendliche, damals Nach den leidvollen Erfahrungen der Ver-
noch überwiegend Studenten, bewo- gangenheit, insbesondere des National-
gen, sich dem Südtiroler Freiheits- sozialismus haben die Schöpfer der Ver-
kampf anzuschließen? fassung gerade dieses Widerstandsrecht
2. Für welche Ziele haben wir damals verankert. Selbstverständlich kann dieses
gestritten? Widerstandsrecht nicht leichtfertig in
3. Welche Erfahrungen mussten wir ob Anspruch genommen werden (z.B. RAF
unseres Südtirolengagements ma- in Deutschland), sondern es bedarf einer
chen? gewissenhaften Prüfung.
Vor einer Wertung oder ober-
1. Der Aufruf des Gewissens flächlichen Ausführung ist es Pflicht zu
Diverse Publikationen verurteilen prüfen, ob das Widerstandsrecht durch
nicht nur pauschal große Teile der Tiroler die damals verantwortlichen Männer und
Bevölkerung, sondern offenbaren eine Frauen begründet wahrgenommen
Unwissenheit über die historische Ent- wurde. Gewalthafter Widerstand gegen
wicklung und die Situation in Südtirol. einen Unrechtsstaat ist ja nicht von
Keine deutsche Volksgruppe hat länger, vornherein ein Unrechtstatbestand. Der
stärker unter dem faschistischen und Widerstand gegen die NS-Diktatur, das
nationalsozialistischen Terror gelitten und Attentat auf Hitler, die Aufstände in
Opfer für die Freiheit gebracht, als wir Berlin und Ungarn gegen kommunis-
Tiroler. Für die Landeseinheit gaben von tische Diktaturen, der Freiheitskampf der
1918 bis heute 47 Personen ihr Leben. Kolonialvölker und der Kampf der Juden
Deshalb wird die Gleichsetzung des Süd- für Israel sind Beispiele einer allgemein
tiroler Widerstandes mit Extremismus und gerechtfertigten Anwendung von Ge-
Terror von vielen als Verunglimpfung des walt.
Andenkens Verstorbener verstanden. Was die Bundesrepublik Deutschland
Vielfach wird ohne weitere Prüfung anbelangt, so blieben Gewalthandlungen
unterstellt, dass die Gewaltanwendung gegen das Obristenregime in Griechen-
während der 60er Jahre durch Südtiroler land, die von hier aus vorbereitet und
Freiheitskämpfer verwerflich und rechts- durchgeführt wurden, in Deutschland
radikal sei. Nicht nur das Völkerrecht, ohne Strafverfolgung. Noch viel mehr:
259
sondern auch die Verfassung der Bun- Prof. Dr. Mangakis, der an einem Spreng-
desrepublik Deutschland sowie zahlrei- stoffanschlag auf eine Athener Tankstel-
cher Länder erlauben, ja verpflichten le beteiligt war, wurde mit einem Bun-
sogar ausdrücklich zum Widerstand. deswehrflugzeug nach Deutschland ins
260
261

Der Fremdenpass von Dr. Erhard Hartung.


Wie Erhard Hartung mussten auch zahlreiche andere Österreicher
ihre Heimat verlassen, um sich einer Verhaftung zu entziehen.
Exil gebracht und mit einer Professur an minierten; vielmehr wird deutlich, dass
der Bonner Universität betraut. ehemalige Widerstandskämpfer gegen
Bevor ich auf den Befreiungsaus- das NS-Unrechtsregime und den Faschis-
schuss Südtirol (BAS) und meine persön- mus sowie Konservative die Führung im
liche Verantwortung im Südtiroler Frei- Freiheitskampf innehatten und die Ver-
heitskampf der 60er Jahre eingehe, er- antwortung trugen. Trotz zum Teil unter-
laube ich mir die Wertung von Dr. Her- schiedlicher Herkunft, Religion, Weltan-
bert Salcher vom 12.01.1995 (SPÖ-Lan- schauung und Beruf waren sich alle ei-
deshauptmannstellvertreter von Tirol und nig in der Sorge um die Zukunft ihrer
jahrelanger Finanzminister Österreichs) Kinder und Südtirols, in der Liebe zur
zum Südtiroler Widerstand zu zitieren: Heimat sowie im Glauben an die Werte
«Wer das Notwehrrecht der Südtiro- der Demokratie.
ler zur Erreichung des Selbstbestim- Der BAS-Führungskreis hat den Frei-
mungsrechtes in Frage stellt, wird sich heitskampf in Südtirol sorgsam und ver-
schwer tun, das Notwehrrecht gegen antwortungsbewusst geplant, um so mit
faschistische oder kommunistische Dik- minimalem Aufwand die größtmögliche
taturen glaubwürdig zu rechtfertigen». Aufmerksamkeit und dadurch politischen
BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) – ak- Druck auf Rom zu erreichen. Um deut-
tiv: 1959-1969 lich zu demonstrieren, wo die Südtiroler
Nach dem Ausschöpfen sämtlicher Freiheitskämpfer politisch stehen, wurde
demokratischer Mittel, zahlreichen ge- von ihnen als erste Handlung 1961 bei
waltlosen Protestkundgebungen (u.a. Waidbruck das überlebensgroße Musso-
Großkundgebung auf Schloss Sigmunds- lini-Denkmal, welches gemäß Inschrift
kron 1957 unter der Führung der SVP dem «Genio del Fascismo» gewidmet
und Parteiobmann Dr. Silvius Magnago) war, gesprengt. Wie dem Buch «Feuer-
und dem Scheitern jeglicher Verhandlun- nacht – Südtiroler Bombenjahre; ein zeit-
gen wurde wegen der Verschleppung geschichtliches Lesebuch» von Elisabeth
vertraglich zugesagter Rechte und der Baumgartner u.a. (Edition Raetia, Bozen
Verständnislosigkeit des italienischen 1992) entnommen werden kann, hatte
Staates sowie den Todesmarsch der Süd- der BAS ausführliche Beratungen und
tiroler Volksgruppe vor Augen, der Be- Gespräche mit fast allen verantwortlichen
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freiungsausschuss Südtirol von Tiroler österreichischen Politikern. Insbesonders
Patrioten gegründet. darüber informiert und den Freiheits-
Es ist bekanntes Faktum, dass im BAS kampf gefördert bzw. begrüßt haben:
keineswegs rechtsradikale Personen do- Bundeskanzler Dr. Alfons Gorbach (ÖVP),
Außenminister Dr. Bruno Kreisky (SPÖ), Seite 58, letzter Absatz: «Es wird nur
Landeshauptmann Tschiggfrey, Wallnöfer, wenige Fälle im staatlich-politischen Ge-
Gleißner, Krainer (alle ÖVP), Tiroler Lan- schehen der neueren Zeit geben, in de-
desräte Zechtl (SPÖ) und Mader (FPÖ). nen das aktive Widerstandsrecht so ein-
Der Tragweite ihrer Antwort wohl deutig anerkannt werden muss wie im
bewusst, rieten um Rat gefragte Priester Falle Südtirols. Dass beispielsweise die
den gläubigen Freiheitskämpfern, ihrem Erhebung vom 20. Juli 1944 und der
Gewissen zu folgen. Ungarn-Aufstand im Jahre 1956 recht-
Von Zeitzeugen, Historikern und um lich legitimiert waren, wird nur selten
die Wahrheit bemühten Journalisten wird bezweifelt.»
bestätigt, dass «… die Südtiroler Spreng- Seite 65: «Die Entscheidung für den
stoffattentate der 60er Jahre, bei denen aktiven Widerstand ist nicht nur rechtlich
es keine Toten gab, zunächst inoffiziellen erlaubt, sondern moralisch von höchstem
Rückhalt in Österreich hatten …». (Die Wert, weil hier der einzelne sich mit dem
Presse vom 18.03.1991: Auch Kreisky ließ Risiko seiner Existenz in den Dienst der
es ein «bißl tuschen», Südtirols «Bum- Gemeinschaft stellt. Die Südtiroler Volks-
ser» mit Freunden in Wien). gruppe hat das Recht, entweder der ita-
Mittels Meinungsumfragen wurde die lienischen Staatsgewalt so lange aktiven
Akzeptanz des Widerstandes in der Be- Widerstand entgegenzusetzen, bis der
völkerung überprüft. Völkerrechtsexper- Schutz des Volkstums durch rechtlich-in-
ten und Theologen haben in notwendig stitutionelle Sicherungen gewahrt ist,
anstehenden Fragen beraten. Beispielge- oder den Kampf solange weiterzuführen,
bend dafür sei nachFolgendes Gutach- bis zur vollen Herauslösung Südtirols aus
ten genannt: «Moraltheologische und dem italienischen Staatsverband.»
rechtliche Beurteilung aktiven Widerstan- Seite 76: «Auch das Strafrecht aner-
des im Kampf um Südtirol», von Univer- kennt den Grundsatz der Epikie als allge-
sitätsprofessor Dr. Dr. Fritz Klüber, Moral- meinen Rechtsgedanken und sucht den
theologe an der Universität Regensburg. Besonderheiten von Grenzfällen und Aus-
Dieses Gutachten wurde vom Mondseer nahmesituationen gerecht zu werden mit
Arbeitskreis (befasste sich insbesondere Hilfe der verschiedenen Rechtfertigungs-
mit dem Südtirol-Problem), zu dessen und Entschuldigungsgründe. Im Zusam-
263
Mitgliedern auch der deutsche Bundes- menhang mit unserer Fragestellung
minister Josef Ertl zählte, in Auftrag ge- kommt dem von der Rechtspraxis ent-
geben und 1966 veröffentlicht. Daraus wickelten Institut des übergesetzlichen
folgende Zitate: Notstandes entscheidende Bedeutung zu.
Strafrechtslehre und Strafrechtspraxis be- ten, ist also moralisch und rechtlich er-
gründen den übergesetzlichen Notstand laubt und ethisch von hohem Wert.»
als Rechtfertigungsgrund mit dem Prin- Diese Wertung wird lediglich von
zip der Güter- und Pflichtabwägung, das Linksradikalen, deren Sympathisanten
will sagen, dass im Falle einer Kollision und italienischen Faschisten nicht geteilt.
berechtigter Interessen das weniger wert- Ursächlich dafür sind: der Verzicht des
volle Rechtsgut dem höherwertigen ge- «Befreiungsausschusses Südtirol» – trotz
opfert werden muss.» wiederholter Angebote – auf Unterstüt-
Und Seite 89 in der Zusammenfas- zung von kommunistischen Staaten und
sung: «Das Verhalten österreichischer Weigerung als Gegenleistung dafür,
Staatsbürger, die in dieser Weise Südtiro- NATO-Basen in Südtirol und Italien anzu-
ler Widerstandskämpfer unter Außer- greifen. Ferner die Rücksichtnahme auf
achtlassung des Wortlautes positiver nationale Kräfte in der kommunistischen
Rechtsnormen Hilfe zu leisten versuch- Partei Italiens und nicht zuletzt Scham

Ottokar Destalter (links), der Gründer des


«Freundeskreises Südtirol» in Graz, mit Luis Amplatz.

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über den Verrat der eigenen Ideologie Folterknechte mit Auszeichnung durch
durch Nichtteilnahme am Südtiroler Frei- den neofaschistischen Carabinierigeneral
heitskampf. Es verwundert daher nicht, De Lorenzo. Unabhängig davon mahnte
dass in dieser Frage die Linksextremisten mich mein Gewissen.
mit den Faschisten einig sind und öffent- Mein Glaube an die Menschenrech-
lich gemeinsam gegen uns Freiheits- te, Demokratie und das Wissen um die
kämpfer agieren. Verbrechen der gerade überstandenen
Meine persönliche Verantwortung im Diktaturen machten mich sensibel für
Südtiroler Freiheitskampf der 60er Jahre Unrecht. In meinem unmittelbaren Le-
Als ich mich für humanitäre – medi- bensraum erstand der Faschismus wie-
zinische Hilfe zur Verfügung gestellt der! Sollte ich schweigen oder handeln?
habe, war ich 20 Jahre alt und hatte In Erinnerung an die Münchner Wider-
gerade das 1. Medizinische Rigorosum standsgruppe «Weiße Rose», welche z.T.
bestanden. Durch meine medizinischen an der Innsbrucker Universität (Christoph
Erfahrungen in der elterlichen Praxis, Probst, am 22.02.1943 vom Volksge-
beim Roten Kreuz (Burghard-Breitner- richtshof zum Tode verurteilt und hinge-
Gruppe) und in der Klinik als Famulant, richtet) wurzelte und mir Vorbild war,
fühlte ich mich dazu fachlich ausreichend entschloss ich mich zur Verteidigung von
kompetent. Über meine Familie und die Recht und parlamentarischer Demokra-
Universität Innsbruck waren mir Füh- tie, aktiv zu werden. Meine christliche
rungspersönlichkeiten des BAS bekannt. Erziehung und das angestrebte ärztliche
Ich hatte keinen Grund gesehen, er- Berufsethos setzten mir von Anfang an
fahrenen, verantwortungsbewussten und enge Grenzen.
im Widerstand gegen den Nationalsozia- Bestärkt in meiner aus dem Inneren
lismus und Kommunismus bewährten kommenden Entscheidung, den Südtiro-
Persönlichkeiten zu misstrauen oder an ler Freiheitskämpfern – gleich anderen
ihrer ernsthaften, ethischen Verantwor- Ärzten – als Mediziner beizustehen,
tung zu zweifeln. Für meine Entschei- wurde ich einerseits durch internationale
dung, humanitär zu helfen, waren von Vereinbarungen, welche einen humani-
Bedeutung: die bestialischen Folterungen tären Einsatz ausdrücklich gestatten, als
an wehrlosen, politischen Gefangenen, auch durch die bis heute währende An-
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der Tod von gefolterten Häftlingen in ita- erkennung meines lateinamerikanischen
lienischen Gefängnissen, das An- und Er- Kollegen Ernesto Che Guevara, verehrtes
schießen von unbeteiligten Zivilpersonen Idol und Symbolfigur des Antiimperialis-
und der später erfolgte Freispruch der mus.
Brief Oberhollenzer David

Bozen, 26.03.1967

Ich schreibe jetzt einige Zeilen über die ersten Tage meiner Verhaftung. Ich wurde
am 14.02.1967 in Mühlen verhaftet, anschließend in die Carabinieri-Kaserne von
Sand gebracht, dort gründlich durchsucht, gebunden und nach Bruneck gefah-
ren. In Bruneck angekommen, hatten sie mich verhört. Sie kamen gleich wie die
wilden Tiere. Sie leuchteten mir mit einer scharfen Lampe ins Gesicht, ich wurde
geschlagen, bei den Haaren herumgezogen, verspottet und verhöhnt. Sie verban-
den mir dann die Augen, brachten mich zu einem Wagen, der in Richtung Bozen
fuhr. Bevor wir nach Bozen kamen, bedeckten sie mich noch mit einem Tuch. Ich
musste aussteigen, und sie trugen mich in ein Gebäude, wo sie mich bald hinauf,
dann hinunter, hin und dann wieder her trugen, endlich stellten sie mich auf den
Boden, nahmen mir die Binde ab und entfesselten mich. Zuerst war ich wie blind,
dann sah ich vor mir einen Herrn sitzen, bald kamen noch drei dazu, dann ging
es wieder los. Einige blieben vor mir stehen und einige hinter mir. Zuerst bekam
ich es ins Gesicht, die anderen gaben mir in den Rücken und in die Rippen, sie
rissen mich bei den Haaren herum und gaben mir in den Magen, dass ich nur
mehr schrie und so herumtaumelte und sie konnten freilich lachen. Ich weiß nicht
mehr, wie lange alles gedauert hat. Sie verbanden mir dann wieder die Augen,
füllten die Augenhöhle mit Watte, fesselten mich und trugen mich hinaus. Sie
trugen mich ins Freie, dann wieder ins Innere eines Hauses, es ging eine Stiege
hinunter, dann stellten sie mich nieder. Ich riss mir die Binde vom Kopf, da sah
ich, dass ich in einem Keller war. Die Gesichter dieser Männer durfte ich anschei-
nend nicht sehen, da sie gleich alle hinter mir waren. Ich bekam eins hinter die
Ohren, dann verbanden sie mir die Augen umso strenger, sodass es schmerzte.
Sie entfesselten mich, zogen mich nackt aus und setzten mich auf eine meterho-
266
he Bank, banden mir die Füße zusammen und die Hände auf den Rücken und
legten mich hin und her auf die Bank. Die Füße banden sie mir am Boden in
zurechter Höhe fest und die gebundenen Hände trieben sie hinter der Bank
immer tiefer hinunter, bis ich nur mehr schrie, ich habe jeden Moment geglaubt,
der Rücken muss entzweibrechen, so ließen sie mich hängen. Dann wurde mir ein
scharfes, salzartiges Wasser, ich weiß nicht, was es war, in Mund und Nase
eingepumpt, so dass ich keine Luft mehr bekam. Als sie mich losließen, war ich
ganz schwach und schwindelig. Sie hielten mich fest, putzten mir mit einem
nassen Lappen den ganzen Körper ab, zogen mich an und trugen mich in das
andere Gebäude. Dann ging das Verhör wieder weiter. Einmal brachten sie mir
was zum Essen, aber ich hatte keinen Hunger mehr. Am nächsten Morgen brach-
ten sie mich dann in eine Zelle und holten mich einige Stunden später wieder. Sie
sagten, sie holen jetzt einen Pfarrer, dann kann ich beichten, weil jetzt wird
Schluss gemacht mit mir. Sie schrien mich an, ich werde nur mehr in Stücken hier
hinauskommen. Manchmal wurde mir ganz schwindlig vor Schwäche. Am Freitag
wurde ich dann in das Gerichtsgefängnis von Bozen, gebracht, dort hatte ich
endlich meine Ruh, bekam zum Essen und konnte schlafen.
– Was ich hier niederschrieb, ist meine Wahrheit und ich werde diese Wahrheit
nicht mehr vergessen und werde desto fester und umso treuer zu meiner Heimat
Südtirol stehen.
Oberhollenzer David

Bis heute meist unbekannt und verschwiegen: Nicht nur bei den Verhören nach der großen
Verhaftungswelle im Juli 1961, nach der Feuernacht, kam es zu grausamen Folterungen. Die
italienischen Sicherheitskräfte benutzten auch später bei den Verhören immer wieder systematisch 267
die Folter als Mittel zum Erfolg. Es gibt zahlreiche noch unveröffentlichte Dokumente und Berichte,
die diese Übergriffe bestätigen. Der Brief von David Oberhollenzer ist nur einer von vielen. David
Oberhollenzer wurde am 24. März 1967 verhaftet und zu 27 Jahren und 10 Monaten Gefängnis
verurteilt. Im November 1971 wurde er begnadigt.
Unabhängig davon hatten meine Kampf um die Erhaltung ihrer Heimat zu
Eltern, welche schon immer politisch unterstützen».
Verfolgten und Schwachen halfen, die Und immer wieder erreichten uns Be-
damals polizeilich gesuchten Freiheits- richte von Folterungen an Südtiroler Frei-
kämpfer Sepp Forer und Siegfried Ste- heitskämpfern, auch solchen, die mir
ger, welche zeitweise gleich Geschwi- persönlich bekannt waren, da sie aus
stern mit mir unter einem Dach wohn- Österreich stammten. Das Ausmaß der
ten, Gastrecht und Zuflucht gewährt. dadurch entfachten Emotionen, welche
Auch blieb mir nicht verborgen, dass der mich als an Recht und Gerechtigkeit
BAS-Führer Dr. Heinrich Klier auf unse- Glaubender ergriff, kann jeder nachvoll-
rem Besitz ein Waffen- und Sprengstoff- ziehen, der die Folterberichte dieser Jah-
depot unterhielt; Dr. Norbert Burger re liest. Da weitaus unbekannt, gebe ich
wurde bei der Beibringung einer Kauti- die Aussagen von noch 1967 Gefolter-
on, welche Voraussetzung für eine Ent- ten wieder: «… Man hat mich die ganze
lassung aus der Untersuchungshaft war, Nacht gefoltert, von dem Genitale bis
geholfen. hinten mit Fußtritten von Offizieren und
Zu alledem kam noch das Gedenken hinauf mit Faustschlägen. Ich musste auf
an den Landesfestumzug 1959, das Vor- einem Fuß stehen und die Hände in die
bild von Andreas Hofer (das Marmorreli- Höhe halten. Sobald ich müde wurde,
ef am Sockel seines Grabes in der Inns- hat mir ein Offizier die Bauchhaare mit
brucker Hofkirche ist von Kleiber, einem einer Zigarette verbrannt und wenn die
Verwandten von mir, gefertigt) sowie Hände müde geworden sind, sodass sie
politische Versprechen. Ich rufe in Erin- heruntergerutscht sind, wurde ich auf
nerung: Als ihre Abgeordneten nach er- dem Kopf geschlagen. Dann ist der
folgter Ratifizierung des Unfriedensvertra- Hauptmann auch mit einer Zigarette
ges von St. Germain am 4. September gegen die Hände gefahren, damit ich sie
1919 aus dem Wiener Parlament schei- wieder hochriss.
den mussten, gab der Präsident des Dann hat man mir die Augen ver-
Hohen Hauses den Südtirolern auf den bunden und mich weggebracht. Ich
künftigen Leidensweg das «Heilige Eh- wurde weggetragen und in ein anderes
renwort» mit, dass es niemals ein öster- Gebäude gebracht; ich konnte hören,
268
reichisches Parlament und niemals eine dass es sich um eine Kaserne handeln
österreichische Regierung geben werde, musste. Ich kam in einen Keller, ich
«der ein Opfer von Blut und Gut zu hoch wurde entkleidet, nackt auf den Tisch
sein wird, um die Südtiroler in ihrem gelegt und gestreckt, dabei wurde mir
eine Flüssigkeit in den Mund geschüttet; mehreren Torturen unterzogen, um ein
da ich die Zähne zusammenbiss, haben entsprechendes Geständnis von mir zu
sie mir einen Schlauch in die Nase ge- erhalten. Ich wurde geschlagen, ge-
schoben und die Flüssigkeit dort hinein- bunden und mehrmals gestreckt, getre-
geschüttet. Zwei haben auf meinen ten und angebrüllt. Das alles dauerte drei
Bauch getrommelt und die Hoden zu- Tage und drei Nächte … Ich kann heute
sammengedrückt. Dann haben sie mich auch nicht mehr sagen, was für Proto-
aufgehoben, die Hände durchgeschüttelt, kolle ich damals unterschrieb, sie wur-
dann wieder niedergebunden und ge- den zwischendurch alle vorgefertigt. Si-
streckt … sie haben mich in einem Kom- cher war ich damals auch gar nicht in
biwagen gelegt und zurückgeführt; dort der Lage, sie richtig zu lesen. Ich kannte
ging es weiter mit Fußtritten gegen die jedenfalls die mir vorgetragenen, angeb-
Rippen, Genitalien und Gesicht, Stock- lichen Täter von der Porzescharte gar
schläge auf den Kopf; es ging in die Früh nicht und hatte damit auch niemals zu
…» (Quelle: gerichtliche Aussage des tun. Die Sprenganschläge, an welchen
Osttirolers Andreas Egger vom 9. Mai ich beteiligt war, habe ich schließlich
1971, beim Landesgericht für Strafsachen gestanden. Fiecht, den 1. Dezember
Wien: Onr. 364, Blatt 499 ff, 20 Vr 6502/ 1979.»
67 Hv 41/63). Eine Veröffentlichung dieser Zeitdo-
Kaum weniger ergreifend sind die an kumente durch Amnesty International
Karl Schafferer (Innsbruck) verübten (Frau Dr. Irmgard Hutter, Österreichische
Folterungen, wie er diese Jahre später an Sektion in Wien und Herr Zbynek Zeman,
Eides Statt bei Gericht schildert: «Folte- Head of Research International Secretari-
rung – Zur Vorlage bei Gericht oder Be- at in London) erfolgte meines Erachtens
hörden, erkläre ich nachstehend an Eides nicht, obschon eine schriftliche Doku-
statt: Ich wurde am 12.09.1967, gemein- mentation durch mich vorgelegt wurde.
sam mit Hansjörg Humer, in Sarns bei Auch wenn die Garanten der Menschen-
Brixen von italienischer Geheimpolizei rechte, die Verfechter der Europäischen
verhaftet und nach Bozen in die Carabi- Werte und die Wächter der political cor-
nierikaserne, Dantestraße gebracht. Dort rectness dazu geschwiegen haben, ich
wurden wir, jeder in einem anderen konnte das nicht.
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Raum, verhört. In den folgenden drei Gemeinsam mit Freunden und dem
Tagen und Nächten, in welchen ich we- Rechtsanwalt Dr. Hugo Gamper, Vize-
der zu trinken noch zu essen bekam, bürgermeister von Bozen und SVP-Abge-
auch nie schlafen durfte, wurde ich ordneter im römischen Parlament, haben
wir im «Buchdienst Südtirol» (Nürnberg) den damaligen Aktivitäten zu distanzie-
in mehrfach 10.000-facher Auflage die ren. Alle sind in meiner Heimat hochge-
seinerzeit vom Mondseer Arbeitskreis schätzte Persönlichkeiten. Ich habe auch
herausgegebene Broschüre «Die Schän- zu keiner Zeit Gewalt befürwortet. DEN
dung der Menschenwürde in Südtirol. DAMALIGEN FREIHEITSKÄMPFERN WAR
Eine Dokumentation über die Folterun- DEUTLICH KLAR, DASS SICH IHR RECHT
gen der Südtiroler politischen Gefange- ZUM AKTIVEN WIDERSTAND AUS-
nen durch die italienische Polizei» gegen SCHLIESSLICH AUF EINE IN JEDER HIN-
großen Widerstand heimischer Persön- SICHT STRENG BEGRENZTE UND ÜBER-
lichkeiten auf eigene Kosten neu heraus- PRÜFBARE SITUATION BEZOG.
gegeben. Zeitgleich wurde ein demokra-
tischer Protest gegen das faschistische 2. Zielsetzung und Ergebnisse
Siegesdenkmal in Bozen durch uns ge- Unser aller Wunsch und primäres Ziel
startet. war, für Südtirol die Selbstbestimmung
Zusammenfassend stelle ich fest: Es und dadurch die Rückgliederung an das
ist erwiesen, dass ich zu keinem Zeit- Vaterland Österreich zu erreichen. Dass
punkt an aktiven Widerstandshandlun- wir hierbei nicht erfolgreich waren, lag
gen beteiligt war. Meine Hilfe hatte sich wahrlich nicht an fehlendem Einsatz und
stets auf medizinischen Beistand be- mangelnder Opferbereitschaft von uns
schränkt. Dazu bekenne ich mich auch Freiheitskämpfern, sondern ausschließlich
heute noch und sehe keinen Anlass, mich an den dafür verantwortlichen Südtiroler
davon zu distanzieren. Sämtliche Frei- und österreichischen Politikern sowie den
heitskämpfer bedauern, dass zur Erlan- damaligen internationalen Umständen.
gung legitimer Ziele überhaupt Gewalt In Südtirol war die Situation anders
angewandt werden musste. DER AKTIVE als z.B. in Zypern: dort gab Erzbischof
WIDERSTAND WURDE IN NOTWEHR Makarios, der politische Führer der grie-
GEGEN EINEN DAMALS GEWALT AUS- chischen Zyprioten, der Unabhängigkeit
ÜBENDEN, IN SÜDTIROL UNDEMOKRA- seines Landes Vorrang vor seiner persön-
TISCH UND FASCHISTISCH HANDELNDEN lichen Freiheit und teilte mit seinen
STAAT AUSGEÜBT. Auch wenn ich selbst EOKA-Kämpfern die Sorgen und Qualen
jegliche Gewalt ablehne, so habe ich einer politischen Haft. Solch positive Bei-
270
Verständnis dafür, dass damals Landsleu- spiele von Politikern gibt es nicht nur in
te in den Widerstand gegangen sind. Europa, sondern in fast allen Ländern,
Keiner der damaligen Führungspersön- welche erst durch einen Freiheitskampf
lichkeiten sieht sich veranlasst, sich von ihr koloniales Joch abschütteln konnten.
In der von Dr. Harald Ofner erstellten und dem Gericht in Linz 1996 vorgelegten Studie
zur italienischen Unterwanderung Südtirols hieß es wörtlich:

1. Als Südtirol vom italienischen Militär konnte er von 1960 auf 1964 (36,3%) erst-
besetzt wurde, gab es im Lande ca. 3% mals praktisch gleich hoch gehalten wer-
Italiener. Durch die konsequente Förderung den. Während von 1956 auf 1960 die Zahl
der Zuwanderung lag bei den Landtagswah- der Südtiroler Stimmen nur um 6.766
len von 1960 die Zahl der von Italienern gestiegen war, die der italienischen Stim-
abgegebenen Stimmen bei 36,1%. Die Zu- men jedoch um 7.666 – so stieg nun von
nahme des italienischen Bevölkerungsantei- 1960 auf 1964 die Zahl der Tiroler Stim-
les erfolgt kontinuierlich all die 42 Jahre men stärker, nämlich um 7.091, die der
hindurch. In der Legislaturperiode des Süd- Italiener stieg aber wesentlich geringer,
tiroler Landtages von 1956–1960 stieg die nämlich nur mehr um 4.630, was ungefähr
Zahl der italienischen Stimmen in Südtirol der Quote des natürlichen Zuwachses
noch um 1,2% von 34,9% auf 36,14%. Alle entspricht.
Bemühungen von 1918 bis 1960, die Zu- Öfners Studie, die von dem Linzer Schwur-
wanderung mit friedlichen Mitteln zum gericht als Beweismittel zugelassen worden
Stillstand zu bringen, schlugen fehl. war, trug wesentlich zu den Freisprüchen
2. Bei Anhalten der Zuwanderung in der in der Freiheitskämpfer bei, da die Geschwo-
den letzten Jahrzehnten gezeigten Intensität renen nun von dem Sinn des Freiheitskampfs
wäre abzusehen gewesen, dass die Italiener überzeugt worden waren.
über kurz oder lang eine Mehrheit von 51%
in Südtirol hätten erlangen können. Südtirol Die Volkszählungen bestätigen
wäre damit von einem fast rein deutschspra- Ofners Feststellung
chigem Land im Jahre 1918 zu einem mehr- Die Volkszählungen von 1961, 1971 und
heitlich italienischsprachigem Land gewor- 1981 bestätigen voll die Feststellungen, die
den. Dr. Ofner anhand der Landtagswahlergeb-
3. Ab 1961 erfolgte dann tätiger Wider- nisse hatte treffen können:
stand in Südtirol. Wie die Auswertung der
Landtagswahlergebnisse und die Gegen-
überstellung derselben ex 1956, 1960 und Jahr Gesamte Deutsche (%) Italiener (%)
1964 zeigt, brachte der Beginn des tätigen ansässige Ladiner (%)
Bevölkerung Deutsche u. Ladiner (%)
Widerstandes den faktischen Stillstand
der italienischen Zuwanderung mit sich, 232.717 (62.25%)
der schließlich sogar in eine italienische 1961 373.863 12.594 (3.37%) 128.271 (34.21%)
Abwanderung aus Teilen Südtirol münde- (65.62%)
te.
Dem tätigen Widerstand war also gelun- 260.351 (62.99%)
gen, was mit friedlichen Mitteln in den 42 1971 414.041 15.456 (3.73%) 137.759 (33.27%)
Jahren von 1918 bis 1960 nicht hatte (65.62%)
erreicht werden können, nämlich den
279.544 (64.9%)
Südtirolern eine Atempause in ihrem Rin-
1981 430.688 17.736 (4.1%) 123.696 (28.70%)
gen um die Mehrheit im eigenen Lande (69.00%)
gegen die italienische Zuwanderung zu
verschaffen.
4. Im Einzelnen ergibt die Auswertung der Zwischen 1961 und 1971 hatte eine Trend- 271
Südtiroler Landtagswahlen aus den Jah- umkehr stattgefunden. Die Italiener hatten
ren 1956, 1960 und 1964… folgendes: um einen Prozentpunkt abgenommen, die
Während, wie schon erwähnt, bis 1960 Deutschen hatten um 0,7% zugenommen
der Anteil der italienischen Stimmen kon- und die Ladiner hatten um 0,3% dazuge-
tinuierlich auf 36,14% gestiegen war, wonnen.
Dazu im Gegensatz stehen jene, wie der Heute hat Südtirol für europäische
Franzose Marschall Petain, der Norweger Minderheiten laut Aussagen von Politi-
Quisling und sämtliche Regierungspräsi- kern Modellcharakter. Die gezielte Un-
denten des ehemals kommunistischen terwanderungspolitik wurde erfolgreich
Osteuropas, welche sich, aus welchen unterbunden. Beides ist nach allgemei-
Gründen auch immer, mit der Besat- ner Auffassung überwiegend jenen Per-
zungsmacht arrangierten. Über Letztge- sonen zu danken, die für die Heimat
nannte hat die Geschichte bereits geur- Südtirol ihr Leben opferten, eingekerkert,
teilt: über unsere damals verantwortli- gefoltert oder in das Exil verwiesen wur-
chen Politiker steht, meiner Ansicht nach, den. Wird post festum die Verhältnismä-
ein endgültiges Urteil noch aus. ßigkeit der seitens der Südtiroler Frei-
Der BAS hat 1969 seinen Widerstand heitskämpfer angewandten Gewalt ge-
eingestellt, nachdem das sogenannte prüft und im Vergleich zum Erreichten
«Südtirolpaket» zwischen Österreich und gesetzt, so ist diese Frage beim Blick nach
Italien verabschiedet wurde, um nun den Nordirland, dem Baskenland, Israel-Palä-
Politikern die Chance zu geben. Auch stina, Tschetschenien oder dem ehemali-
wenn dieses «Paket» inhaltlich in ent- gen Jugoslawien sicher einfach zu be-
scheidenden Punkten schlechter z.B. als antworten.
die vorbildliche Regelung auf den Aa- Unabhängig von dieser politischen
landinseln ist, hat es den Südtirolern eine Forderung war es unser Hauptanliegen,
«Verschnaufpause» und Wohlstand ge- die italienische Unterwanderung zu stop-
bracht. pen und den deutsch-tiroler Charakter
Es hat weitere 25 Jahre gedauert, bis unserer Heimat auch für die eigenen
die im «Südtirolpaket» gemachten Zusa- Nachfahren zu erhalten. Zu Recht sprach
gen von Rom verwirklicht wurden. Offen Kanonikus Michael Gamper vom «Todes-
ist heute lediglich der vorgesehene marsch» unserer Tiroler Volksgruppe:
Freundschaftsvertrag zwischen Österreich Durch die gezielte italienische Unterwan-
und Italien. Die bis heute nicht eingelöste derung und das Abdrängen der dadurch
Zusage auf eine Generalamnestie seitens arbeitslos gewordenen Jugend in das
Italiens und das durch Parlamentsbe- Ausland war der Tatbestand des Geno-
schluss dazu verpflichtete Österreich ste- zids erfüllt. Wie beiliegendes Dokument
272
hen dem entgegen. Im August 1994 ist nachweist, wären wir Tiroler während der
eine zuvor abgesprochene Lösung wegen 60er Jahre in der eigenen, angestamm-
des Vetos des ultrarechten Koalitionspart- ten Heimat zur Minderheit geworden.
ners Alleanza Nazionale gescheitert. Wie bereits in «Der Tiroler» (Heft 2/1984
Die Elite der österreichischen Rechtsanwälte
verteidigt bei den Südtirol-Prozessen in Graz.

und Heft 43/1995) berichtet, brachte der unbefangen Stellung nehmen, weil ich
Freiheitskampf die Wende. stets für gewaltfreie Politik eingetreten
Dr. Gerulf Stix, 3. Nationalratspräsi- bin und mich selbst auch niemals an ir-
dent und Träger des großen, goldenen gendwelchen mit Gewalt verbundenen
Ehrenzeichens von Tirol, beurteilt in ei- Aktivitäten beteiligt habe. Die Diskussion
nem Schreiben an mich, vom 06.01.1995, darüber, in welchen Situationen Gewalt
die damalige Situation wie folgt: in der Politik als ultima ratio moralisch
«Aber alle diese Vorwürfe gegen Ihre vertretbar erscheint, ist eine Sache. Eine
Person machen mich trotz ihrer Unbe- ganz andere Sache ist die unkritische
273
greiflichkeit nicht so betroffen, wie die Gleichsetzung von Freiheitskampf mit
Sie belastende Gleichsetzung des Südti- Rechtsextremismus.
roler Freiheitskampfes mit Rechtsextre- Den Südtirol-Aktivisten ging und geht
mismus. Ich kann in dieser Frage völlig es um den praktisch wirksamen Schutz
der Südtiroler, also einer deutschen Min- Spätere und mit beklagenswerten To-
derheit im Staate Italien. Der kulturelle desfällen belastete Anschläge in Südtirol
Bestand dieser Tiroler Volksgruppe war wurden zwar dem Freiheitskampf der
bis in die 60er Jahre ernstlich gefährdet, 60er Jahre zugeschrieben, dürften aber
weil in Südtirol entgegen den demokra- nach heutigem Wissensstand, den wir
tischen Traditionen des italienischen Na- der objektiven Aufdeckungsarbeit italie-
tionalstaates im fortlebenden Geiste der nischer Juristen verdanken – sie verdie-
faschistischen Traditionen des Italiens nen unsere Hochachtung – auf das Kon-
Mussolinis die politischen Weichen auf to bestimmter Kreise innerhalb des italie-
kulturpolitische «ethnische Säuberung» nischen Geheimdienstes gehen. Wer von
gestellt blieben. Erst eine UNO-Resoluti- allen diesen Zusammenhängen nichts
on musste den italienischen Staat auf sei- weiß, sollte nicht vorschnell den Stab
ne Verpflichtung zur Schaffung einer über die frühen Südtirol-Aktivisten bre-
echten Autonomie für die Südtiroler hin- chen.»
weisen. Und auch dann zögerte Rom dies
hinaus. Tatsächlich begannen die ziel- 3. Erlebtes Unrecht
führenden Verhandlungen über einen Um die Hilfe aus Österreich zu unter-
Autonomie-Status für Südtirol erst, nach- binden, handelte Italien wider die euro-
dem die Sprengung von Strommasten päischen Werte: gegen Österreich wer-
durch Südtirol-Aktivisten die Öffent- den, teilweise bis heute aufrechte Einrei-
lichkeit wachgerüttelt hatte. Man mag severbote («Schwarze Listen») erlassen
diese Aktionen bedauern, es bleibt histo- und wir benötigten, gleich wie bei Rei-
risch gesehen ein Faktum, dass erst durch sen in totalitäre Staaten, ein Visum (sie-
sie die heute relativ gute Autonomie für he Faksimile) für Fahrten in die Südtiroler
die Südtiroler auf dem Weg der (langsa- Heimat.
men!) Realisierung gebracht werden Die österreichische Regierung unter-
konnte. stützte nach den ersten größeren Spreng-
Es bleibt ein weiteres Faktum, dass stoffanschlägen der Herz-Jesu-Nacht
man die Motive der seinerzeitigen Südti- 1961 nicht die Südtiroler «in ihrem
rol-Aktivisten moralisch als ein Eintreten Kampf um die Erhaltung ihrer Heimat»,
für Minderheitenschutz, für kulturelle sondern half auf vielfältige Weise den
274
Freiheitsrechte und als ein Kampf gegen italienischen Behörden bei der brutalen
faschistisches Unrecht anerkennen muss Unterdrückung des Tiroler Freiheitswil-
und auch dann, wenn man die Mittel lens. So folgte Wien der italienischen,
nicht billigt. aber auch kommunistischen Doktrin,
275
wonach der Südtirol-Widerstand angeb- kämpfer aber wollten im Gegenteil das
lich eine neonazistische Bewegung sei. von Mussolini gesetzte und von Hitler
Darauf angesprochen, wie es komme, sanktionierte Unrecht an Südtirol wieder-
dass der bewaffnete Kampf in Algerien, gutmachen. Selbst der italienische Straf-
auf Zypern und in Südvietnam in kom- rechtler Nuvolone bescheinigt dem Be-
munistischen Augen gut, der aktive freiungsausschuss Südtirol (BAS), dass in
Widerstand in Südtirol aber schlecht sei, seinen Flugblättern ein brennender
machte das KPÖ-Periodikum «Weg und Wunsch nach Freiheit und Demokratie in
Ziel» im Oktober 1966 den feinen ideo- Erscheinung tritt, «eine Geisteshaltung,
logischen Unterschied, dass die «…na- die zur nationalsozialistischen Ideologie
tionalen Befreiungskämpfe der unter- im krassen Gegensatz steht».
drückten kolonialen und halbkolonialen Gemäß dem stenographischen Proto-
Völker…» die «…demokratischen und koll (Wien, Parlament) sollen in «Sachen
sozialistischen Perspektiven in der gan- Südtirol» in Österreich 147 Personen in-
zen Welt…» fördern, wogegen die haftiert, davon aber lediglich 39 verur-
«…verbrecherischen Pläne neofaschisti- teilt (zumeist nicht rechtskräftig) worden
scher Gruppierungen…» in Südtirol dar- sein. Das heißt mit anderen Worten, dass
auf abzielen, «…mit der Aufrollung der etwa 130 Personen aus politischen Grün-
Grenzfragen in Europa…» die Ergebnisse den – im Fall von Peter Kienesberger über
des Zweiten Weltkrieges zu revidieren. mehrere Jahre – unschuldig eingesperrt
In diesem politischen Zweckdenken waren. Wir Österreicher haben ob unse-
befangen, erhob daher die österreichi- res Engagements für die Freiheit Südti-
sche Moskau-Partei von Anfang an ihre rols und die Verwirklichung der Men-
unpopuläre «Volksstimme» gegen den schenrechte im italienisch besetzten Teil
Südtiroler Freiheitskampf. Aber nicht nur unserer Heimat insgesamt knapp 50 Jah-
sozialistische, sondern auch katholische re in eigenen und italienischen Kerkern
Blätter folgten den Kommunisten auf oder/und Jahre im politischen Exil verbrin-
ihrem geistigen Abweg und begannen, gen müssen.
die Südtirol-Aktivisten als «Verbrecher» Meine eigenen Benachteiligungen,
und «Neonazis» in den Dreck zu ziehen. welche mir aus meinem Einsatz für die
Dabei ist nichts absurder als dieser Vor- Rechte meiner Südtiroler Landsleute ent-
276
wurf: Unter «Neonazi» muss man logi- standen, sind:
scherweise einen Menschen verstehen, - 15 Monate politische Untersuchungs-
der die Politik des Nationalsozialismus haft;
fortsetzen will. Die Südtiroler Freiheits- - 6 Jahre im Exil;
- seit 1967 die Südtiroler Heimat nicht Angesichts der frischen Gräber der
gesehen; von den Carabinieri in Haft zu Tode ge-
- wiederholte Gerichtsverhandlungen; marterten Südtiroler Anton Gostner und
- finanzielle Verluste durch: verspätete Franz Höfler aber, hatte die Polizei in
Approbation und Facharztanerkennung, Österreich Jagd auf alle Patrioten ge-
Verhinderung von Habilitation und macht, die auf Grund erfolterter Ge-
Chefarztposition; ständnisse von Italien verdächtigt wur-
- wiederholte Verleumdung durch den den. Am 25. August 1961 erfolgte im
italienischen Geheimdienst und die Zusammenhang mit dem Südtiroler Frei-
Medien; heitskampf die erste Verhaftung in Öster-
- anonyme Gewaltandrohungen gegen reich, der im Laufe der Zeit mehrere
Familie, eigene Person und Eigentum. Dutzend weitere folgten.
Trotz alledem widerfuhr den so Die Wiener akademische Burschen-
Verfolgten von offizieller Seite auch viel- schaft Olympia, der Dr. Norbert Burger
fach Hilfe und Sympathie: Ein Großteil und einige seiner Mitkämpfer angehör-
der Verteidigerkosten in diversen Süd- ten, verfiel aus diesem Grund der Auflö-
tirol-Prozessen wurde übernommen und sung durch den sozialistischen Innenmi-
unabhängig von der Weltanschauung nister Beppo Afritsch. Nach einigen Mo-
setzte sich Österreich stets für eine vor- naten Untersuchungshaft wieder freige-
zeitige Freilassung von politischen Süd- lassen, opferte Burger seine wissenschaft-
tirol-Häftlingen ein. Insbesonders wäh- liche Karriere an der Universität Innsbruck
rend der Zeit, als Italien mit internatio- dem Südtiroler Freiheitskampf. Durch
nalen Haftbefehlen nach Freiheitskämp- neue Verdächtigungen seitens der Behör-
fern fahndete, bemühte sich Österreich den, die sich zwar im weiteren Verlauf
in vorbildlicher Weise um seine in Dritt- als falsch erwiesen, jedoch einen Haft-
ländern lebenden, davon betroffenen befehl zur Folge hatten, wurde Burger
Staatsbürger. Mehrfache Auslieferungs- veranlasst, im Februar 1963 nach Mün-
begehren seitens Italiens und andere chen zu flüchten, um einer Untersu-
Verfolgungen konnten verhindert wer- chungshaft von unbestimmter Dauer zu
den. entgehen. Als ihn der bundesdeutsche
Im Widerspruch dazu seien eine Rei- Kameramann und italienische Agent Pe-
277
he bedenklicher Aktionen der eigenen ter Knips schließlich im Sommer 1964 in
Justiz- und Polizeibehörden, wie ich die- Klagenfurt an die österreichische Polizei
se von den Betroffenen erfahren oder verriet, lösten ausführliche Knips-Aussa-
selbst erlebt habe, genannt. gen eine neue Verhaftungswelle aus.
Angeklagte und ihre Verteidiger in Graz, Südtirol-Prozesse.

Dem italienischen Spitzel aber, der den holt mit Carabinieri-General Palombi in
Auftrag hatte, Burger zu ermorden, ge- der Schweiz und in Südtirol.
währten die österreichischen Behörden Auf dieser gemeinsamen Linie lag
trotz seiner Mitwirkung an der Vorberei- auch das Auftreten des Wiener Polizei-
tung von Sprengstoffanschlägen Straffrei- obersten Massak beim Prozess in Florenz.
heit. Knips durfte unbehelligt nach West- Nach telegraphischer Intervention des ita-
deutschland ausreisen, nachdem man es lienischen Justizministers wurde Massak
nicht einmal der Mühe Wert gefunden dieser Schritt möglicherweise von seinem
hatte, den Verräter über das italienische Vorgesetzten, dem österreichischen In-
Agentennetz in Österreich zu befragen. nenminister, nahegelegt. Als «Privat-
Seit 1967 arbeiten österreichische Behör- mann» belastete der Sprengstoffexperte
den mit italienischen eng zusammen. Um die Angeklagten im Südtirol-Prozess mit
278
den gemeinsamen Kampf gegen den seinem Wissen, welches er ausschließlich
Südtiroler Freiheitskampf zu koordinieren, in dienstlicher Eigenschaft erworben hat-
traf sich Nordtirols stellvertretender Si- te. Nach übereinstimmender Meinung
cherheitsdirektor Dr. Obrist sogar wieder- der Prozessbeobachter trug diese, nach
österreichischem Gesetz strafbare «Ge- Polizeipartner zugedacht hatten. Mit dem
fälligkeit» maßgeblich zur Verurteilung zum Glück misslungenen Massak-Massa-
von Freiheitskämpfern zu insgesamt vier- ker beabsichtigten die italienischen Initia-
mal lebenslänglich und 214 Jahren Ker- toren, Emotionen gegen die Südtiroler
ker bei. Auch nach Südtirol entsandte Freiheitskämpfer in Österreich zu schü-
man Massak mit dem Auftrag, den Ita- ren.
lienern beim Entschärfen von Minen in Auf italienischer Seite standen Teile
der «Landshuter Hütte» behilflich zu sein, der bis vor kurzem noch von Kommuni-
welche angeblich von Südtiroler Freiheits- sten unterwanderten österreichischen
kämpfern gelegt worden waren. Diese Staatspolizei ebenfalls nach den Anschlä-
Art von Hilfsbereitschaft hätte Massak gen, die am 23. September 1963 das
bald das Leben gekostet, denn in Wirk- Salzkammergut erschütterten. Dabei
lichkeit handelte es sich um eine Falle wurde nicht nur das Löwendenkmal an
des italienischen Geheimdienstes, die nie- der Straße gesprengt, sondern auch
mand anderem als ihm selbst zugedacht durch Haftladungen an der Ebenseer
war. Nur durch Zufall entging Massak Saline ein Gendarmeriebeamter getötet.
dem Tod, den ihm seine italienischen Ein Blutbad an Schülern, welche die Seil-

Auch österreichische Studenten beteiligten sich an den Widerstandsaktionen. Zahlreiche wurden während ihrer
Aktion verhaftet und eingesperrt. V.l.n.r. Helmut Golowitsch und Johannes Klein am 16.9.1961.

279
bahn benutzen wollten, wurde durch Waffenbesitzes davon. Um sich einer
einen glücklichen Zufall verhindert. Zwei späteren, erneuten Strafverfolgung zu
weitere Gendarmeriebeamte wurden entziehen, sollen sie letztlich nach Süd-
schwer, ein Gendarm und ein Journalist amerika ausgewandert sein.
leicht verletzt. Im Gegensatz zur provokanten Milde
Obwohl am Tatort italienische Aus- Italiens aber stand der blinde Eifer, den
weise und Abzeichen gefunden wurden österreichische Organe bei der Verfol-
und Zeugen vier junge Italiener beobach- gung von Südtirol-Aktivisten an den Tag
tet und beschrieben hatten, ignorierte die legten. Nach der Explosion auf der Por-
österreichische Staatspolizei bewusst die- zescharte, am 27. Juni 1967, wurde an-
se eindeutigen Spuren. Stattdessen wur- geblich dort ein Handschuh gefunden.
de der unschuldige Südtirol-Kämpfer Kurt Der dazu passende zweite aber fand sich,
Welser verhaftet, der aber für die Tatzeit als fast ein Dutzend österreichischer Po-
ein hieb- und stichfestes Alibi erbringen lizisten in der Wohnung von Peter Kie-
konnte und daher nach einmonatiger nesberger eine Hausdurchsuchung veran-
Untersuchungshaft wieder freigelassen stalteten. Dieser seltsame Zufall ging
werden musste. Verhaftet wurden aber selbst den Geschworenen im Strafprozess
auch die beiden Südtiroler Jörg Klotz und zu weit, welche die Angeklagten freispra-
Luis Amplatz, deren Ansehen man in der chen und im Beratungsprotokoll die
Öffentlichkeit dadurch herabzusetzen Handschuhgeschichte ausdrücklich als
trachtete, dass man die beiden ehren- unglaubwürdig bezeichneten. In der Nie-
haften Patrioten mit dem Mordanschlag derschrift der Geschworenen heißt es
von Ebensee in Verbindung zu bringen dazu wörtlich: «Das Beweisverfahren hat
suchte. gewisse Zweifel an der Schuld offen
Die italienische Polizei ermittelte gelassen, insbesondere die Zeit-Weg-
schließlich als Täter die Neofaschisten Rechnung lässt es nicht genau sicher
Giorgio Massara, Sergio Poltronieri und erscheinen, ob die Angeklagten genü-
Luciano Rolando. Da in Italien eine An- gend Zeit gehabt haben, das ihnen zur
klage wegen im Ausland begangener Last gelegte Delikt ausführen zu können.
Straftaten, die in diesem Fall immerhin Ferner waren einige Punkte nicht als
einen Toten und zwei Schwerverletzte stichhaltig anzusehen, so z.B. der Hand-
280
gefordert hatten, nur auf besondere schuh, der gefunden wurde und die dazu
Weisung des Justizministeriums erhoben geführten Untersuchungen.»
werden kann, kamen die Verbrecher mit Die starke politische Einflussnahme
einer Verurteilung wegen unerlaubten Italiens, das Österreich ständig mit sei-
nem Veto zu den für Österreich wirt- chen sein soll, gleichzeitig aber ein mög-
schaftlich notwendigen EWG-Vertrag er- licher Einsatz zur Verteidigung des Wald-
presste, ist bei diesem Prozess heute viertels eine Heldentat», erklärte Kienes-
ausreichend nachgewiesen. Leider reich- berger 1964 seine Bereitschaft, alle sich
te der seinerzeitige Bundeskanzler Dr. aus seiner Gewissensentscheidung erge-
Klaus diesen Druck weiter. So gab er am benden Konsequenzen zu tragen.
13.12.1968, wenige Tage nach der Ur- Dabei konnte er, als er nach zwei
teilsverkündung, seine «…volle Zustim- Tagen als Panzergrenadier der Reserve
mung zu dem Veranlassten…». Gemeint nach Hause geschickt wurde, noch nicht
waren unter anderem Weisungen, in das einmal ahnen, dass die österreichische
Verfahren eines unabhängigen Gerichtes Regierung unter «Kriegsminister» Prader
einzugreifen und den vorsitzenden Rich- im Sommer 1967 auf die Idee kommen
ter Dr. Kubernat zu veranlassen «…den würde, die Brennergrenze – nach den
Prozess in einer würdigen Form zu füh- Worten des Nordtiroler Landeshauptman-
ren…». Dies wurde von ihm so verstan- nes Wallnöfer ein Unrecht – durch Ein-
den, dass er in der Belehrung der Ge- heiten des österreichischen Bundeshee-
schworenen von diesen forderte, die res vor den Freiheitskämpfern schützen
außenpolitischen Folgen für Österreich zu lassen.
des ob der Sachlage zu erwartenden Frei- Über Anforderung des Innenministers
spruches zu bedenken. Für die Freiheits- stellte General Fussenegger (MFLV
kämpfer bedeutete dies vorerst einen nie Z1.378.732 vom 10.07.1967) in der Zeit
rechtskräftig gewordenen Schuldspruch, vom 12. Juli bis zum 15. November 1967
weitere Jahre der Untersuchungshaft insgesamt neun Bataillons, wovon jeweils
und/oder politisches Exil. Lange hat es drei gleichzeitig im Einsatz waren, gemäß
gedauert, bis diese Fehlentscheidung § 2 Abs. 1 Wehrgesetz dafür zur Ver-
zumindest juristisch korrigiert wurde. fügung. Mit Ausnahme von schweren
Um gegen die zwiespältige Haltung Waffen war die Ausrüstung an Personal
Österreichs in der Südtirol-Frage aufmerk- und Material «frontgerecht». Ferner war
sam zu machen, hatte Peter Kienesber- die Truppe im Raum Nordtirol auf Zu-
ger gleich Jahre später Erhard Hartung sammenarbeit mit einer Staffel Hub-
demonstrativ den Wehrdienst im öster- schrauber (Standort Schwaz), im Raum
281
reichischen Bundesheer verweigert, als sie Osttirol mit einer Kette Hubschraubern
den Stellungsbefehl erhielten: «Ich kann (Standort Lienz) angewiesen. Zur Durch-
nicht einsehen, warum der Einsatz für führung des zweifelhaften, vom Volk
Recht und Freiheit in Südtirol ein Verbre- nicht gebilligten Auftrages (wie Landes-
hauptmann Wallnöfer eingestand, gab er All dies war ein Schlag ins Wasser,
seine Zustimmung lediglich deshalb, da weil dadurch kein einziger Anschlag ver-
er Fehlinformationen aufsaß), wurde ex- hindert oder auch nur ein Freiheitskämp-
tra ein eigenes Regimentskommando Süd fer erwischt wurde. Diese hatten im
aufgestellt, welches der Sicherheitsdirek- Gegenteil guten Kontakt zu den Solda-
tion und dem Militärkommando Tirol ten und ihrem besonnenen Vorgehen ist
unterstellt wurde. Daher trugen auch alle es zu verdanken, dass jeglicher Konflikt
verwendeten Soldaten weiße Armbinden unterblieb. Auf Zusammenstöße hatte es
mit dem Dienstsiegel der Sicherheitsdi- Hetzenauer möglicherweise angelegt, um
rektion für das Bundesland Tirol, um die einen Vorwand für weitere Polizeiaktio-
Weisungsgebundenheit des Heeres an nen zu erhalten. Immerhin war in Krei-
die Anordnungen des Innenministeriums sen der ÖVP-Alleinregierung Klaus die In-
auch äußerlich sichtbar zu machen. ternierung ohne Gerichtsbeschluss von
Den durch Wachposten gesicherten Südtirol-Aktivisten in «Anhaltelagern»
Zugs- und Kompaniestützpunkten, die diskutiert worden, wie es sie nur in der
3-5 km von der Staatsgrenze entfernt Zeit des Ständestaates vor 1938 gege-
und bereits in Almböden über 1000 m ben hatte.
lagen, waren bei Tag Spähtrupps und Dass diesem Wunsche Italiens, vor-
Streifen bis zur Staatsgrenze, bei Nacht getragen durch Toscano und Gaja (Lon-
stehende Spähtruppen bis in 2000 m don 1967), welcher «…alle Hoffnungen
Höhe vorgelagert. Jeder Soldat besaß auf Änderung der bestehenden österrei-
dabei all jene Rechte, insbesondere das chischen Gesetzeslage setzte…» nicht
des SCHUSSWAFFENGEBRAUCHES, die stattgegeben wurde, ist vorwiegend dem
sonst nur der Exekutive zukommen. österreichischen Justizminister Prof. Dr.
Jenseits der Grenze hatten bereits seit Klecatsky und seinem Berater Franz Mat-
Jahren Finanzer, Carabinieri, Alpini und scher zu danken. In einem Warnschrei-
Spezialeinheiten den gleichen Auftrag: ben teilte er mit: «…Ein volles Eingehen
den vermeintlich auf diesem Weg kom- auf die italienischen Forderungen (die
menden Nachschub zu unterbinden. Seit sehr stark an diejenigen des österreichi-
Februar 1934 war dies der erste Einsatz schen Ultimatums an Serbien von 1914
von österreichischen Soldaten gegen oder an die von Hitler Schuschnigg ge-
282
Österreicher. Der aus Tirol gebürtige ÖVP- genüber im Berchtesgadener Gespräch
Innenminster Franz Hetzenauer, der da- erhobene Forderungen erinnern) würde
für verantwortlich zeichnete, musste vor- eine Preisgabe der primitivsten Selbstach-
zeitig den Hut nehmen. tung im internationalen Bereich gleich-
kommen und müsste auch immer poli- ker seiner Heimat genau in diesem Sinne
tisch zu unabsehbaren Folgerungen füh- gehandelt hatte, war im Juni 1961 nach
ren.» Nordtirol geflüchtet. Unter dem Verdacht,
Justizminister Broda (SPÖ) hatte er- am Sprengstoffanschlag gegen einen
klärt: «…Die Pflicht zum Widerstand Hochspannungsmasten beteiligt gewesen
beginnt schon dort, wo der kleinste Ver- zu sein, musste er im März 1962 erst-
such zur Kränkung von Menschenrecht mals Bekanntschaft mit einem österrei-
und Menschenwürde unternommen chischen Gefängnis machen.
wird. Hier muss Widerstand geleistet Obwohl er für die Tatzeit ein lücken-
werden. Hier beginnt die Pflicht zum loses Alibi erbrachte, wurde er erst nach
Widerstand – weil Widerstand noch aus- mehr als vier Monaten gegen Kaution
geübt werden kann, ohne dass es schon aus der Untersuchungshaft entlassen. Im
des letzten heroischen Einsatzes der ei- April 1964 wurde über den Schützenma-
genen Person bedarf. Jeder Bürger des jor sogar die Auslieferungshaft verhängt.
demokratischen Gemeinwesens möge Schließlich wurde er ebenso wie sein
täglich und stündlich überlegen und prü- Freund und Mitkämpfer Luis Amplatz
fen, ob nicht schon seine Pflicht zum nach Wien verbannt und die beiden
Widerstand beginnt…» mussten sich zweimal täglich bei der
Georg Klotz, der in seinem Wider- Polizei melden. Als sie es vor Heimweh
stand gegen die italienischen Unterdrük- in der österreichischen Hauptstadt nicht

Angeklagte und ihre Verteidiger in Graz, Südtirol-Prozesse.

283
mehr aushielten, entwichen Klotz und während der Haft eingesetzt werden.
Amplatz Ende August 1964 über die Nur so konnten z.B. Burger, Hartung,
Berge nach Südtirol. Dort wurde Amplatz Kienesberger und Kufner die annähernd
vom Verräter Christian Kerbler, einem ge- fristgerechte Aushändigung der Anklage-
dungenen Mörder des italienischen Ge- schrift erzwingen. Dem Schützenmajor,
heimdienstes, am 7. September im Schlaf der als Zeuge in Südtirol-Prozessen die
ermordet, der schwer verwundete Klotz Angeklagten stets entlastete, blieb es
aber entging diesem Schicksal und konn- nicht erspart, von einem Wiener Schöf-
te sich auf österreichischem Staatsgebiet fengericht am 11. Oktober 1968 zu 15
in Sicherheit bringen. Von Gendarmen Monaten schweren Kerkers verurteilt zu
festgenommen, wurde er ins Kranken- werden, von denen er 12 Monate abge-
haus Wörgl gebracht, wo durch eine sessen hat. Ähnliche Enttäuschungen
Operation die Pistolenkugel aus seinem mussten die sogenannten «Pusterer Bu-
Körper entfernt wurde. Den Versuchen ben», Forer und Oberlechner, in Kauf
der österreichischen Regierung, ihn aus nehmen, die kurz nach erfolgtem Frei-
Tirol zu entfernen, setzte Nordtirols Lan- spruch durch ein Wiener Schwurgericht
deshauptmann Wallnöfer ein mannhaf- (12. März 1968) ebenfalls monatelang in
tes «Klotz bleibt im Land!» entgegen. Auslieferungshaft genommen wurden.
Erst als der dem Tod entronnene Schüt- Wie heute bekannt, war es u.a. eine
zenmajor genesen war, musste er aufs der Forderungen des österreichischen
Neue den schweren Gang in die Verban- Botschafters Dr. Haymerle, dass alles
nung antreten. unternommen werden müsse, damit bei-
Aus Protest gegen die fortlaufenden de «…noch lange in Haft bleiben…».
Demütigungen und Verfolgungen er- Wie macht man das in einem demokra-
zwingt Klotz schließlich in einem fast 30 tischen Rechtsstaat? Hier fühlte sich zu-
Tage dauernden Hungerstreik, dass er erst die Bundespolizeidirektion Wien be-
seinen Wohnsitz nach Nordtirol verlegen rufen, «…dafür zu sorgen…», dass Fo-
darf. Hungerstreik war des öfteren die rer und Oberlechner «…unverzüglich in
einzige Möglichkeit, um die österreichi- Schubhaft genommen werden kön-
sche Justiz zu einem rechtsstaatlichen nen…» (Niederschrift über die intermini-
Vorgehen in der Verfolgung von Freiheits- sterielle Sitzung vom 01.03.1968). Da
284
kämpfern zu zwingen. Diese selbstzerstö- aber die Auslieferung der beiden nach
rerische Maßnahme musste zum Teil über Italien in Österreich politisch und juri-
Wochen als letzte Waffe im Kampf um stisch nicht durchsetzbar war, halfen die
die Durchführung garantierter Rechte italienischen Kollegen weiter. Unverzüg-
lich behauptete Italien, dass die Pusterer dizin auf dem Körper des Häftlings zahl-
zwei italienische Soldaten in Südtirol er- reiche, blutunterlaufene Stellen fest. Als
mordet hätten. Obwohl Forer und Larch, ebenso wie zwei Kameraden, aus
Oberlechner dies energisch bestritten und Protest gegen diese Behandlung in den
kein Beweismaterial gegen sie vorlag, Hungerstreik traten, wurden die Gefan-
rechtfertigte das eine weitere, obligatori- genen zur Beruhigung vom Direktor in
sche Untersuchungshaft. Da das von Ita- fenster- und wasserlose Tobsuchts- und
lien angekündigte Belastungsmaterial, Korrektionszellen gesperrt. Diese Behand-
das alleine den Haftgrund abgab, so lung gehörte ebenso wie fortlaufende
dürftig war bzw. nie in Österreich ein- Verbote (Lesen, Schreiben, Besuch, Post,
traf, mussten Forer und Oberlechner Spaziergang usw.), Schikanen und Ver-
letztendlich enthaftet werden. Dennoch höhnung zum breiten Repertoir profil-
verhängte das dafür zuständige Bezirks- süchtiger Justizbeamter.
gericht Feldkirch dermaßen einschneiden- Oberst Walchshofer, damals Direktor
de, unwürdige Auflagen, welche gegen- des landesgerichtlichen Gefangenenhau-
über Tirolern österreichischer Staatsange- ses zu Innsbruck, wird ob dieser Miss-
hörigkeit wohl schwer durchzusetzen stände in seinem Bereich von den politi-
gewesen wären. schen Gefangenen besonders verachtet.
Dass die dafür Verantwortlichen ge- Durch gesetzeswidrige, überlange Polizei-
genüber den 147 politischen Untersu- haft von mehr als drei Wochen, wie im
chungshäftlingen in Österreich vielfach Falle Hartung, aber auch durch häufige,
weder Menschlichkeit noch Pietät wal- überlange Untersuchungshaft, wie im
ten ließen, sei aus einer Fülle von Fällen Falle Kienesberger menschenwidrig bis zu
an nachfolgenden Einzelbeispielen de- fünf Jahren, davon – wie so mancher –
monstriert: Als Mitglied des BAS waren ein Jahr in Isolation, versuchten Polizei
die beiden Südtiroler Luis Larch und Karl und Justiz mit vereinten Kräften, dem Wi-
Ausserer im Oktober 1965 unter dem derstand das Rückgrat zu brechen. Als
Verdacht der Beteiligung an einem Feu- im September 1968 mein Vater, der von
erüberfall auf Carabinieri in österreichi- 1915 bis 1918 als Oberstleutnant der
sche Untersuchungshaft geraten. Bei der Reitenden Tiroler Kaiserschützen Südtirol
Einlieferung ins Innsbrucker Landesge- verteidigte, lebensbedrohlich erkrankte,
285
richtsgefängnis war Larch von einem Ju- durfte ich, auf Veranlassung des Unter-
stizbeamten mit Faustschlägen misshan- suchungsrichters Dr. Soterius, mich weder
delt worden und tatsächlich stellte Prof. vom Sterbenden verabschieden noch an
Dr. Holzer als Ordinarius für Gerichtsme- dessen Begräbnis teilnehmen. All diese
Maßnahmen machten deutlich, dass die Bei all diesen Prozessen wurden die
österreichische Justiz die Südtiroler Frei- Angeklagten ihren gesetzlichen Richtern
heitskämpfer als gewöhnliche Kriminelle entzogen, weil die Verfahren aus Miss-
behandelte. trauen gegen Tiroler Geschworene an
In einem Klima, vergiftet durch eine auswärtige Gerichte delegiert wurden.
Flut von Prozessen und Verfahren, wäh- Da aber die Grazer, Wiener und Linzer
rend der insgesamt 147 Personen – da- Laienrichter keine schlechteren Österrei-
von, wie sich später herausstellte, 108 cher als die Tiroler sein wollten, kam es
vollkommen unbegründet bzw. unschul- – zur Enttäuschung der Berufsjustiz – in
dig – eingesperrt, zahlreiche unbeschol- den meisten Fällen zu spektakulären Frei-
tene Bürger fortlaufend bedrängt und sprüchen. Wo es die Strafprozessordnung
unzählige Hausdurchsuchungen durchge- zuließ, wurde der Wahrspruch der Ge-
führt wurden, versuchten Österreichs schworenen regelmäßig ausgesetzt, da
Justizbehörden, den Widerstand in Süd- sich die Laien angeblich im Rechtsirrtum
tirol zu kriminalisieren. Kritiklose Oppor- befunden hätten. Die Schöffen und Ge-
tunisten bei Presse, Rundfunk und Fern- schworenen waren meistens den Argu-
sehen assistierten vorzüglich. menten der Verteidigung gefolgt, die für

Angeklagte und ihre Verteidiger


in Graz, Südtirol-Prozesse.

286
die Angeklagten den Rechtfertigungs- und insbesondere des italienischen Ge-
grund des übergesetzlichen Notstandes heimdienstes durch all die Jahre war, jene
erfolgreich in Anspruch genommen hat- in Richtung des Pangermanismus und des
te. Wo es nur möglich schien, war daher Neonazismus zu rücken, die sich für die
die Staatsanwaltschaft bemüht, die An- Selbstbestimmung Südtirols einsetzen.
klage nicht vor Laienrichtern, sondern vor Dies war die wirksamste Strategie gegen
«unabhängigen» Berufsrichtern zu ver- alle Bestrebungen im Zusammenhang mit
treten. Südtirol».
Beim sogenannten Presseprozess Für die Sache Südtirol waren die Pro-
mussten sich Dr. Burger und Kienesberger zesse zum Leidwesen ihrer Urheber inso-
1967 in Wien verantworten, da beide in fern von Vorteil, weil sie Gelegenheit
einem Interview angeblich zum bewaff- boten, durch Presse und Rundfunk die
neten Widerstand gegen den Unrechts- Öffentlichkeit auf das Problem aufmerk-
staat Italien in Südtirol aufgerufen hatten. sam zu machen. Außerdem handelte es
Dass gerade zur gleichen Zeit die griechi- sich um die größten, nicht nur politischen
sche Filmdiva und spätere Ministerin Prozesse, die jemals in Österreich statt-
Melina Mercouri in Wien öffentlich zum gefunden haben. Da in Österreich bis in
gewaltsamen Kampf gegen das heimat- das Jahr 1975 Haftbefehle gegen Südti-
liche Obristenregime aufrief, dafür warb roler Freiheitskämpfer bestanden, mus-
und Geld sammelte, wurde geflissentlich sten manche Österreicher bis zu maximal
übersehen. Es störte offensichtlich das 7 Jahren im Exil leben, um einer unge-
Rechtsempfinden des anklagenden rechten Verfolgung zu entgehen.
Staatsanwaltes Dr. Daum und des unab- Dr. Franz Pahl, späterer Vizepräsident
hängigen Richters Dr. Kubernat in keiner der Region Trentino-Südtirol schrieb in
Weise, dass Frau Mercouri für die gleiche «Schicksal Südtirol 1945-1979» (Heraus-
Tat ein gefeierter Star war, während sie geber: Junge Generation in der SVP) über
Burger und Kienesberger zu unbedingter die politischen Südtirol-Prozesse: «…Pro-
Haftstrafe verurteilten. zesse gibt es aber nicht nur in Italien,
Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Steidl, Süd- sondern auch Österreich glaubte zu-
tirol-Experte, Verteidiger in Südtirol-Pro- nächst, das Südtirol-Problem auf dem
zessen und langjähriger Stadtrat der Lan- Prozessweg lösen zu können. In allen
287
deshauptstadt Innsbruck, stellt dazu fest: Prozessen bekennen sich die Angeklag-
«Aus eigener Erfahrung darf ich noch ten zum Südtiroler Freiheitskampf und
anfügen, dass es eine bewährte und ziel- zur Gewaltanwendung gegen Unrecht
führende Taktik der italienischen Politik durch Italien. Die Geschworenen spre-
chen die Angeklagten frei, weil in Süd- Schutze der Menschenrechte und Grund-
tirol ein echter Notstand vorliege und freiheiten…» gewertet.
Widerstand dagegen rechtmäßig sei.
Weitere Südtirol-Prozesse werden in Tirol, ein Operationsgebiet
Wien gegen Südtiroler und Österreicher der Geheimdienste
geführt, die meistens nach Ausschöpfung Unter der Überschrift «…Geheim-
mehrerer Instanzen mit Freispruch enden dienst-Forschung steckt noch immer in
oder durch den Bundespräsidenten ein- den Kinderschuhen» veröffentlichte der
gestellt werden…» und «…Die Straf- Grazer Historiker Prof. Dr. Siegfried Beer,
verfahren gegen die Südtiroler «Dinami- der sich auf Geheimdienstfragen spezia-
tardi» leiten einen der umfangreichsten lisiert hat, in «Die Presse» (Wien,
Prozesse der italienischen Justiz ein. Die 27.12.1999): «…Auffallend ist auch, dass
Angeklagten werden als staatsfeindliche wir uns in Österreich lange Zeit viel zu
Elemente und kriminelle Terroristen wenig mit der ostdeutschen Stasi und
eingestuft, deren Tätigkeit man mit ihren Verbindungen zu und in Österreich
drakonischen Urteilen Herr werden will. auseinandergesetzt haben. Ich hoffe,
Die Prozesse gegen die Attentäter dass die jüngst gelungene Entschlüsse-
werden in einem gespannten Klima ge- lung von Datenbanken der DDR-Aus-
führt. Das Eintreten der Südtiroler Atten- landsspionage durch die Gauck-Behörde
täter für das Selbstbestimmungsrecht doch etwas Licht in das Dunkel bringen
und für eine Volksabstimmung sind laut wird…»
Anklage Hochverrat, Anschlag auf die Auch wenn der tschechische Über-
Integrität des Staatsgebietes und daher läufer Frolik gegenüber den österreichi-
mit lebenslänglichem Kerker zu bestra- schen Behörden eingesteht, dass östliche
fen…». Agenten in Südtirol und Oberitalien wie-
In Mailand, Florenz und Bologna derholt Bomben gelegt hätten (Scrinzi,
werden härteste Urteile, bis hin zu le- Chronik Südtirol, Seite 307), so berück-
benslänglichem Kerker, gefällt. Der öster- sichtigt dies der aus Westfalen stammen-
reichische Verwaltungsgerichtshof hat mit de und in Innsbruck lebende Historiker
Urteil vom 29.09.1982 und vom
11.12.1985, das im Fall Dr. Hartung und Durch diese Tabelle kann etwas Licht in das
288 dunkle Kapitel der geheimdienstlichen
Dr. Burger in Florenz 1971 gesprochene
Verwicklungen gebracht werden.
italienische Abwesenheitsurteil als Diese Tabelle basiert auf von meinem
«…eine Verletzung des Rechtes nach Art. zur Verteidigung im sogenannten
«Porzescharte-Prozess» (Wien 1967)
6 der Europäischen Konvention zum dem Gericht vorgetragenen Beweismaterial.
CHRONOLOGIE VON VORFÄLLEN MIT GEHEIMDIENSTLICHEM HINTERGRUND
Datum Ereignis Täter Bemerkung
seit 1960 Agents provocateur, unterschieben Flugblätter, Waffen und Henkelmann Robert aus Westfalen, war bei SS und wurde wegen
Sprengstoff, was zu Verhaftungen und Folterungen führte Erschießung von 9 Fremdarbeitern 1944 in der
Eiffel gesucht; in Südtirol untergetaucht
Kranzer Robert
Selm Josef Südt. Student im Dienst v. Lt. Manucci
Stainer Robert
Stötter Anton Betrüger aus Augsburg

20.10.1962 Bozen: Bombe vor Schuleingang («rechtzeitig gefunden und östlicher Geheimdienst
entschärft»)
Verona: Brandbombe in der Gepäcksaufbewahrung am Bahnhof
(1 Toter, erhebl. Sachschaden)

1962-1964 wiederholte Versuche, den BAS mit französischen (OAS), belgi- Erich B.; Fred B.;
schen, westdeutschen und österreichischen Extremisten (Legion Franz K.; Gerhard N.;
Europa) zu unterwandern Paul Wagner, Peter Z.
1963-1965 wiederholte Versuche, die Freiheitskäpfer als Rechtsextremisten Ing. G.: Gerhard N.;
abzuqualifizieren: sie würden von revanchistischen und panger- Gianni R.; Susanne T.
manistischen Kreisen aus der BRD mit dem Ziele finanziert und Renate Z.;
ausgebildet, den gegenwärtigen status quo in Europa gewaltsam Hermann Munk Makler, Defraudant und BND-Informant
zu verändern.

März 1964 Versuch, die Bomben von Ebensee (23.9.1963: 1 Toter, 2 Schwer- Hermann Munk legt Geständnis ab
verletzte; Täter: italien. Faschist Giorgio Massara) dem BAS Paul Wagner
anzulasten
22.06.1964 Versuch der Entführung von Dr. Norbert Burger in Kärnten, nach Peter Knips Journalist, im Auftrag und Sold des ital. Geheim-
Scheitern Auslieferung des Gesuchten an die österr. Staatspolizei dienstes

19.08.1964 vorgetäuschter Selbstmord von Paul Wagner in innsbruck: W. Geheimdienst österr. Polizei glaubt noch heute an Selbstmord
wollte als Agent abspringen, wußte aber zuviel

06./07.09.1964 Mord an Luis Amplatz, Mordversuch an Jörg Klotz im Passeier im Kerbler Christian Täter – dafür in Abwesenheit in Italien verurteilt
Auftrag und gegen Honorar des italienischen Geheimdienstes/Bozen Kerbler Franz Beihilfe bei der Vorbereitung
Platter Anton
Ravanelli Kerblers Fluchthelfer
Lechner Traudl überbringt Honorar und Pass
07.10.1964 Mord an Friedrich Rainer in Mals/Vinschgau Geheimdienst verbreiten These: R. beim Vorbereiten eines
Anschlages von Bombe zerrissen
16.11.1964 Bombe im «Brennerexpress» (rechtzeitig entdeckt und entschärft; Joosten Karl Franz Krimineller im Sold des ital. Geheimdienstes, in
Versuch, die Wahlen vom 16.11.1964 zu beeinflussen) Graz rechtskräftig verurteilt

1965-1967 Versuch der Einschleusung eines Spitzels in den inneren Kreis C. «Vinzenz» heute Besitzer eines bekannten Hotels in Südtirol
des BAS dazu: Anschläge und gestellter Schuss auf Carabinieri- Südtiroler
Offizier im Vinschgau

01.05.1965 erneute Bombe (19 Kerzen Donarit) im «Brennerexpress» (recht- Geheimdienst Spur soll nach Österreich weisen
zeitig gefunden)
19.05.1965 versuchter Bombenanschlag auf Wohnhaus in Bozen (diese beiden Kranzer Robert Südtiroler Doppelagent der österr. und italien.
letzten Attentate sollten die Geschworenen im Grazer Südtirol- Staatspolizei, Sekretär der italophilen «Tiroler
prozess gegen die angeklagten Freiheitskämpfer einnehmen) Heimatpartei» Raffeiners

17.07.1965 Mord an Helmuth Immervoll in Bozen (hatte Beweise der Ermor- Geheimdienst täuschten Explosion einer Bombe beim Hantieren
dung F. Rainers durch den italien. Geheimdienst in Händen) vor; I. war Sprengstoffexperte

15.02.1967 Bombe im Linienbus Bozen-Meran («rechtzeitig entdeckt») de Leeuw Leopold belg. Betrüger, im Solde des italienischen Ge-
heimdienstes
April 1967 erneuter Entführungsversuch von Dr. Norbert Burger in Innsbruck Lechner Traudl italienischer Geheimdienst
Weinberger Walter österreichischer Krimineller

25.06.1967 Peter Kienesberger soll über einen Nachschubweg auf der Por- Geheimdienst Kienesberger und seine Mitangeklagten werden
zescharte in eine Falle gelockt werden in einem 2. Schwurgerichtsverfahren freigespro-
chen. Gründe: Eindeutig unterschobene Beweis-
mittel und Weg-Zeit-Diagramm

20.08.1967 Andreas Egger aus Osttirol in das Pustertal gelockt und dort Kröss Helmut Heiratsschwindler und Bankräuber aus Südtirol
289
verhaftet, später gefoltert

30.09.1967 Bombe im «Alpenexpress» (2 ital. Bahnpolizisten in Trient getötet) Geheimdienst Siehe Bericht oben

In dieser noch unvollständigen Tabelle sind Vorfälle mit geheimdienstlichem Hintergrund enthalten.
Teilweise sind Namen bekannt, doch nicht immer sind die Beweise gerichtsverwendbar. In solchen Fällen sind die Namen abgekürzt und verändert.
Steininger nicht und schreibt zu den Das Urteil selbst war keineswegs ver-
Attentaten in Oberitalien (Band 3, Seite traulich, wie von Steininger fälschlich
58-60): «…In der 21 Schreibmaschinen- behauptet, sondern wurde bereits im
seiten umfassenden vertraulichen Urteils- März 1964 in der DDR-Fachzeitschrift
begründung finden sich interessante Ein- «Neue Justiz» im vollen Wortlaut veröf-
zelheiten über die Anschläge in Italien…» fentlicht.
Ausführlich wird über ein Verfahren Unerwähnt bleibt auch, dass Kühn
vom Februar 1964 gegen den westdeut- nach Entlassung aus der DDR-Haft in der
schen Staatsbürger Herbert Kühn vor Bundesrepublik Deutschland sich erneut,
dem obersten Gericht der DDR berichtet. diesmal gemeinsam mit anderen, wegen
Richtig ist, dass dieses Verfahren unter angeblicher Anschläge in Oberitalien vor
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, Gericht verantworten musste. Auch
aber Teile davon im Ostfernsehen zu wenn hier erstinstanzlich ein Schuld-
Propagandazwecken ausgestrahlt wur- spruch fiel, so wurde dieser vom Bun-
den. desgerichtshof mit vernichtender Kritik
Schnitzler, der Göbbels der DDR, hat aufgehoben. Letztendlich wurde dieses
alleine dazu eine internationale Presse- Verfahren nach erneuter Überprüfung
konferenz abgehalten und dort wahr- von der zuständigen Staatsanwaltschaft
heitswidrig behauptet, der Friede in Eu- in Bonn während der 80er Jahre rechts-
ropa sei in Gefahr, da in Westdeutsch- kräftig eingestellt.
land Pangermanismus und Revanchismus Trotzdem bezweifelt Steininger, in-
derart erstarkt seien, dass nicht nur wieweit hier östliche Geheimdienste ihre
«…die DDR nach Vorstellung Bonner Hand im Spiel hatten, wie dies 1996 in
Militaristen gewaltsam befreit…» son- der «Chronik Südtirol» von Kienesberger
dern auch «… das Sudetenland und und mir dargestellt wird. Offensichtlich
Südtirol heim ins Reich geholt …» wer- sind Steininger die Erkenntnisse seines
den müssten. Als Beweis dafür diente das Kollegen Dr. Hubertus Knabe unbekannt.
falsche, erpresste Geständnis von Kühn Letzterer ist seit 1992 wissenschaftlicher
sowie seine Mitgliedschaft in der «Ge- Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für
samtdeutschen Jugend» und seine Nähe Stasi-Unterlagen (sogenannte Gauck-Be-
zur Bundeswehr. Das nahezu idente Vor- hörde in Berlin) und ist über die DDR-
290
gehen der Italiener in Südtirol und Öster- Staatssicherheitsaktivitäten spezialisiert.
reich ist verblüffend und zeigt, dass die Knabe schreibt dazu in «Die unterwan-
Handschrift geheimdienstlicher Tätigkei- derte Republik – Stasi im Westen»:
ten unverwechselbar ist. «… Ich stellte fest, dass die Arbeit im
und nach dem «Operationsgebiet», wie «…Und – wie wir heute wissen – immer
die Stasi den Westen nannte, im MfS als wieder Aktionen des italienischen Ge-
sogenannte Hauptaufgabe betrachtet heimdienstes, die mit zur Verschärfung
wurde. Entgegen der weitverbreiteten der Situation beitrugen…» (Bd. 3, S. 199)
Vorstellungen war es auch nicht alleine so kommt es meiner Ansicht nach nicht
die jahrelang von Markus Wolf geleitete deutlich genug herüber, dass von dieser
Hauptverwaltung A (HVA), die in der Seite im staatlichen Auftrag Morde,
Bundesrepublik operierte, sondern das Attentate und andere schwere Verbre-
gesamte Ministerium war auf die eine chen begangen wurden. Während der
oder andere Weise daran beteiligt …» 60er Jahre hatte es eine Reihe von An-
Die von den Amerikanern geretteten schlägen gegeben, zu denen sich die
und von den Deutschen entschlüsselten, Südtiroler Freiheitskämpfer nie bekannt
sogenannten SIRA-Dateien, welche auch haben, ja, von denen sie sich distanziert
den Österreichern übergeben wurden, hatten und noch heute distanzieren.
geben erstmals ein genaues Bild von den Es hatte sich hier vor allem um sol-
vielfältigen Aktionen der DDR-Spionage che Anschläge gehandelt, die wirklich
und deren Austro-Agenten. oder vorgetäuscht auf das Leben un-
Trotz alledem negiert Steininger die schuldiger Zivilpersonen gezielt hatten.
Erkenntnisse seiner Kollegen und der in Diese – zum Teil sicherlich nur fingierten
dieser Sache rechtsstaatlichen, juristi- und rechtzeitig «entdeckten» – Bomben
schen Ermittlung; er verabsäumt es auch, waren dazu angetan, auch im Kreise von
die damit in Zusammenhang gebrachten Südtirol-Freunden auf der ganzen Welt
Personen zu befragen, obschon ihm da- Schrecken und Empörung hervorzurufen
von Herr Kienesberger persönlich be- und der Sache der Tiroler zu schaden.
kannt ist. Steiningers Beurteilung lautet Auf der anderen Seite konnte Rom für
einfach: «… Mir scheint das bei diesen seine harten Maßnahmen angesichts sol-
Attentätern mit dieser Begründung eher cher «Anschläge» Verständnis erwarten,
unwahrscheinlich …» (Bd. 2, S. 58) und ja sogar den internationalen Aufschrei
«… so mancher wird sagen: Na und? der Empörung angesichts der offenkun-
DDR. So einfach sollte man es sich aber dig gewordenen Folterungen entschei-
nicht machen …» (Bd. 3, S. 60). Es bleibt dend dämpfen. Die Sache hatte also Sinn
291
dem Leser überlassen, wer es sich hier gehabt.
wirklich einfach gemacht hat! Ein Teil dieser Anschläge, die nicht
Auch wenn Steininger den italieni- von der Seite der Südtiroler Freiheits-
schen Geheimdienst nicht schont (z.B.: kämpfer kamen, war jedoch nicht fin-
giert. Hier handelte es sich um tatsäch- Präsidenten der Belluneser Anwaltskam-
lich versuchte Massaker. Es war dieselbe mer, Peppino Zangrado (Alto Adige,
Handschrift wie bei den faschistischen 02.10.1994 und Dolomiten, 04.10.1994),
Blutbädern in Bologna und anderen Städ- der glaubt, genügend Unterlagen zu
ten Italiens. Wahrscheinlich wird man nie haben, die beweisen, dass der italieni-
Licht in alle düsteren Vorgänge bringen, sche Geheimdienst für das Attentat auf
bei denen Verwicklungen von Neofaschis- der Porzescharte verantwortlich sei. Sei-
ten und verirrten Elementen der italieni- ne Aktivitäten um eine Wiederaufnahme
schen Geheimdienste anzunehmen sind. dieses Verfahrens von 1970 scheiterte an
Für mich ist in diesem Zusammenhang der Staatsanwaltschaft ebenso, wie die
unverständlich, warum Steininger über wiederholten Versuche von 1976, 1990
den leitenden italienischen Geheim- und 1996, die italienischen Urheber des
dienstbeamten Dr. Silvano Russomanno Attentates von Trient (30.09.1967) aus-
nur über seine Treffen mit den österrei- zuforschen.
chischen Sicherheitsbehörden berichtet Meiner Ansicht nach haben Steinin-
(Bd.3, Seite 513 f), aber verschweigt, ger und andere Publizisten die Tätigkeit
dass dieser Geheimdienstspezialist später diverser italienischer und kommunisti-
von den Italienern selbst ob seiner rechts- scher Geheimdienste in Südtirol während
extremen Aktivitäten im Zusammenhang der 60er Jahre nicht ausreichend abge-
mit der sogenannten P2-Loge verurteilt handelt bzw. heruntergespielt; dies ins-
und eingesperrt wurde. besonders unter Berücksichtigung, wie-
Auch wenn Steininger als Täter der viel Raum anderen, minder gewichtigen
bisher vielfach den Freiheitskämpfern un- Vorfällen gegeben wird. Ich frage mich,
terstellten Attentate von der Porzeschar- warum und wem nützt das? Sicherlich
te (25.06.1967, vier Militärangehörige nicht den Südtiroler Freiheitskämpfern!
getötet) und Trient (30.09.1967, zwei Ob dafür die traditionelle Zurückhaltung
Bahnpolizisten getötet) «Unbekannt» deutscher Historiker, wenn es um die Er-
(Bd. 3, S. 545) bzw. «Unklar» (Bd. 3, S. forschung der Geheimdienste geht oder
630, Fußnote 47) angibt, relativiert er andere Gründe ursächlich sind, bleibt
diese Feststellung an anderer Stelle da- offen. Das zwangsläufige Resultat ist die
durch, dass er die während der 60er Ausblendung einer wichtigen Dimension
292
Jahre in Südtirol getöteten italienischen politischen Geschehens!
Soldaten auflistet. Wie gewaltig hier der Nachholbedarf
Völlig unberücksichtigt bleiben in die- bei der zeitgeschichtlichen Forschung ist,
sem Zusammenhang die Erkenntnisse des beweist die dazu jüngste Veröffentli-
293
chung in den «Dolomiten» (13.10.1999). Medien und den menschenrechtswidri-
Es wird aufgezeigt, dass mit der soge- gen italienischen Abwesenheitsurteilen
nannten Operation «Zveno», welche von basieren. Dies bestätigen österreichische
der Wiener Zentrale des sowjetischen Persönlichkeiten von höchster Reputati-
Geheimdienstes KGB im September ge- on, die ihr diesbezügliches Wissen aus
plant wurde, die Sprengung einer Ölpipe- eigenen Kontakten zu den Freiheits-
line am Bodensee versucht werden soll- kämpfern und amtlichen Erkenntnissen
te. In dem diesbezüglichen Dossier heißt hatten.
es: «… Man dachte, der Anschlag wür- Das war von allem Anfang an so.
de von der Öffentlichkeit als Aktion der Deshalb sah sich der damalige österrei-
extremen italienischen Rechten empfun- chische Außenminister Dr. Kreisky genö-
den, die damit auf die Südtirol-Attentate tigt, in seiner programmatischen Erklä-
reagierten.» Ausführende hätten KGB- rung im politischen Spezialausschuss der
bzw. DDR-Geheimdienstleute sein sollen. UNO in New York am 18.10.1960 zu
«… Die Wegstrecken unserer Agenten erklären: «…Wenn uns von italienischer
per Auto, Rad und zu Fuß zum Tatort Seite immer wieder vorgeworfen wird,
wurden festgelegt, die Zementträger der dass wir, weil wir hier die Interessen
Pipeline, ihre Abzäunung und Zugänge Südtirols vertreten, uns eines Wiederauf-
erhoben.» Der KGB Wien erstand Ther- lebens des Pangermanismus schuldig
mosflaschen und Kugelschreiber zum machen, so möchte ich schon an dieser
Verstecken von Sprengstoff und Zünder. Stelle betonen, dass der Hitlerische Pan-
Beide waren italienischer und österreichi- germanismus niemals Ansprüche auf
scher Herstellung, damit der Verdacht Südtirol erhoben hat, sondern dass es,
später in die gewünschte Richtung fiel. ganz im Gegenteil, zahlreiche Aussprü-
che Hitlers gibt, in denen er sich über
Rehabilitation und Südtirol und die Südtiroler verächtlich ge-
öffentliche Würdigung äußert hat…» (Karl Heinz Ritschel: Di-
Auch wenn kaum ein Freiheitskämp- plomatie um Südtirol. Politische Hinter-
fer in Österreich rechtskräftig verurteilt gründe eines europäischen Versagens.
wurde, so wurden wir, teils aus Unkennt- Erstmals dargestellt auf Grund von Ge-
nis der Wirklichkeit, teils aus politischer heimakten. Seewald Verlag Stuttgart,
294
Überlegung, vielfach geschnitten. Ursäch- 1966, S. 341).
lich dafür waren Verleumdungen und Als weiteres Zeugnis dafür sei aus
Hetze, welche auf Intrigen des italieni- einem Schreiben vom 12.01.1995 des so-
schen Geheimdienstes, linksorientierten zialistischen Finanzministers Österreichs,
Dr. Herbert Salcher, an mich angeführt: Schlussstrich unter die jahrelange Verfol-
«…das gegen Südtiroler im Friedensver- gung gezogen hat, deutet darauf hin,
trag von St. Germain begangene Unrecht dass sich nun auch das offizielle Öster-
zu beseitigen oder zumindest zu mildern. reich dem Urteil der Geschichte endgül-
Über die Parteigrenzen hinaus fühlten wir tig angeschlossen hat.
uns alle diesem politischen Ziel verpflich- Dass dem so ist, zeigen die Wieder-
tet. Wenngleich ich mit Norbert Burger herstellung des öffentlichen Ansehens
und seinen Mannen im allgemeinen po- und die öffentliche Anerkennung des
litisch nichts anzufangen wusste und ehemaligen Südtiroler Freiheitskampfes
weiß, so muss ich doch sehr deutlich zum durch das offizielle Österreich. Den er-
Ausdruck bringen, dass auf das Selbst- freulichen Anfang machte am
bestimmungsrecht gerichtete Südtirol- 11.04.1984 der Bundesminister für Ju-
Aktivitäten überhaupt nichts mit Neona- stiz, Dr. Harald Ofner, am «Gedenkkom-
zismus oder Rechtsextremismus zu tun mers 175 Jahre Tiroler Freiheitskampf».
haben. Verständlicherweise äußert sich Dort sagte er vor einem begeisterten
die italienische Propaganda, die ein völ- Publikum: «Wir gedenken des Tiroler
kerrechtliches Unrecht rechtfertigen Freiheitskampfes vor nunmehr 175 Jah-
muss, in dieser Frage anders…» ren. Wir gedenken damit eines Ereignis-
Mit zunehmendem Zeitabstand be- ses, das keineswegs von Anfang an und
gannen aber auch Politiker einzusehen, immer als das Fanal angesehen worden
dass der Südtiroler Freiheitskampf seinen ist, als das wir es heute alle verstehen.
Sinn hatte und daher keineswegs um- 1809 erhoben sich die Tiroler gegen
sonst war: «…Die Anschläge von damals fremde Truppen, gegen fremde Herr-
und die darauffolgenden Prozesse gehö- schaft. Die Frage nach der Legalität ihres
ren, genau wie vieles andere, zur Nach- Handelns wurde von Anfang an gestellt.
kriegsgeschichte Südtirols und stellen ei- Erfolge und Misserfolge wechselten ein-
nen bedeutenden Beitrag zu dieser Ge- ander ab. Es kam die Zeit, da sich die
schichte und zur Erreichung einer besse- Tiroler verraten und verkauft fühlten.
ren Autonomie für Südtirol dar…», mus- Schließlich endete alles in einer Kriegska-
ste Südtirols Landeshauptmann Magna- tastrophe. Unter schweren Verlusten
go schließlich eingestehen. Die Tatsache, brach der Aufstand zusammen. Andreas
295
dass auch der österreichische Bundesprä- Hofer und etliche seiner Mitstreiter wur-
sident Kirchschläger durch die Nieder- den füsiliert. Ganz Deutschland, ach, in
schlagung des letzten Südtirol-Prozesses, Schmach und Schmerz, mit ihm sein Land
am 20. Mai 1975, den längst fälligen Tirol.
Und doch hob sich der Ruhm von sionen und Preis. Heißen Herzen ist der
1809 bereits wenige Jahre nach diesem Weg Ziel genug, sie pflegen sich nicht zu
Zusammenbruch weit über die Grenzen erkundigen, was danach kommt.
des Landes im Gebirge hinaus und prägt Dieser Maßstab darf sich auch dann
heute das Geschichtsbild der Tiroler mit nicht ändern, wenn es um Ereignisse
wuchtiger Dominanz. Der Widerspruch geht, die noch kein Vierteljahrhundert
ist nur scheinbar. Wenn es um Recht und zurückliegen. Wer in seiner Verzweiflung
Freiheit, um Volk und Heimat geht, dann für die Freiheit seines Volkes kämpft, ist
zählen in Wahrheit und in geschichtlicher unseres Verständnisses sicher. Wer seine
Dimension Fragen der Berechtigung zum bürgerliche Existenz, den ruhigen Abend
Widerstand nur wenig. Auch der Erfolg im Kreis seiner Familie, seine Gesundheit,
des Augenblicks – so sehr ihn die Zeit- sein Leben dafür aufs Spiel setzt, verdient
genossen herbeisehnen, so sehr sie um unseren Respekt. Und wir richten uns
ihn ringen, so sehr sie ihn brauchen darauf ein, zu warten, bis Hass und Hohn
mögen wie einen Bissen Brot, tritt aus der Gegner der Gerechtigkeit der
historischer Sicht in den Hintergrund. Die Beurteilung aus der Warte zeitlichen
Früchte schwerer Saat reifen oft erst spät, Abstandes zur Gänze gewichen sein
erst jenseits der Gräber. Was bleibt, ist werden. Und wir freuen uns und fühlen
allein der ehrliche Wille der Kämpfer, das uns bestätigt, wenn wir Jahre nach den
Durchstehen derer, die schon verzweifeln Taten aus berufenem Munde hören
wollten, der Mut der meist materiell können, dass sie mitgeholfen haben, eine
hoffnungslos Unterlegenen. Wende – eine erste Wende – herbei-
Was bleibt, sind die Ziele, um die es zuführen, dass dem Wollen und dem
gegangen ist und ihre Bedeutung für das Handeln der Verfolgten und Geschmäh-
gemeinsame Ganze. Was bleibt, ist der ten auch noch Erfolg beschieden gewe-
Mensch in seinem heißen Bemühen um sen ist.
den Sieg – bis in die Niederlage hinein. Darin erkennen wir einmal mehr die
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Kraft der Geschichte, die Dinge aus der
Die Geschichte wägt immer mit gleichen Parteien Zank und Hader ins rechte Licht
Gewichten. Sie nimmt auch für unsere zu rücken. Und nehmen dieses Erkennen
Generation nicht zum Maßstab, wozu wir zum Anlass, nicht nachzulassen in unse-
296
gerade berechtigt gewesen sind und was rem Bemühen, unserem Volke und unse-
wir erreicht, sondern was wir gewollt und rer Heimat mit allen Kräften zu dienen
wie sehr wir darum gekämpft haben. Nur und uns von kleinen Geistern – und mö-
Krämerseelen fragen noch nach Konzes- gen sie noch so mächtig sein – nicht irre
machen zu lassen. Das geloben wir an in Europa notwendig war und auch in
diesem heutigen Ehrentage. dem Fall notwendig war, zu Mitteln zu
Und wir richten an die Verantwortli- greifen, um die Welt auf Menschen-
chen jenseits des Brenners die Bitte und rechtsverletzungen aufmerksam zu ma-
den Appell, es genug sein zu lassen mit chen, ist eigentlich eine Schande für je-
rechtlichen Konsequenzen – welcher Art nen Teil des Erdballs, den wir als zivili-
immer – aus der Zeit der heißen 60er siert und demokratisch bezeichnen. Dass
Jahre. Gestraft, gesühnt, ausgesperrt ist dies alles geschehen ist, dafür müssen
genug worden. Die Geschichte gebietet nicht nur Österreicher und Südtiroler
hier, einen deutlichen, einen eindeutigen dankbar sein, sondern alle jene, denen
Schlussstrich zu ziehen…» an den Menschenrechten etwas liegt.
Jahre später besuchten der Tiroler Denn was in Südtirol geschehen ist und
Landeshauptmann Dr. Weingartner und offenkundig auch noch in verminderter
der Innsbrucker Bürgermeister Dr. van Weise andauert, war und ist eine Verlet-
Staa ein Treffen der ehemaligen Freiheits- zung eines ganz großen Gutes, nämlich
kämpfer. Die im Beisein des Landes- das der Menschenrechte…» Und an die
hauptmannes und anderer Politpromi- Exil-Südtiroler und in Abwesenheit Ver-
nenz 1998 erfolgte Aufstellung der «Dor- urteilten gewandt: «…wenn man über
nenkrone», welche 1984 beim Landes- den Brenner fährt, gibt es dort keine
festumzug feierlich von Südtiroler Schüt- Grenzkontrolle mehr. Das heißt, nach
zen durch Innsbruck getragen wurde, in außen hin gibt es diese Brennergrenze
Telfs als Mahnmal für das ertragene Leid nicht. Wenn mir aber in Erinnerung ge-
durch Artur Thöni, Präsident der Tiroler rufen wurde… dass die Handhabung der
Industriellenvereinigung, war ein Meilen- Menschenrechte in Südtirol eine andere
stein der moralischen Wiedergutma- ist als in Nordtirol und den übrigen Teilen
chung. Der Empfang von 1999 im Wie- Europas, so muss man mit Bedauern fest-
ner Parlament und Österreichs Dank, stellen, dass es doch eine Grenze gibt.
ausgesprochen durch den 3. National- Mir ist es nicht so bewusst, wie es Euch
ratspräsidenten Prof. Dr. Brauneder und bewusst ist, dass man hier (in Österreich)
dem Bundesratspräsidenten Jaud waren sagen kann, ich lebe in einem Teil Euro-
weitere Höhepunkte der Anerkennung. pas, verurteilt zu einer Haftstrafe, ich
297
Nationalratspräsident Prof. Dr. Braun- habe meine Anklageschrift nicht gese-
eder würdigte die Freiheitskämpfer und hen, ich habe nie mein Urteil gesehen
stellte zu den Menschenrechtsverletzun- und natürlich habe ich an der Verhand-
gen Italiens in Südtirol fest: «…Dass es lung nie teilgenommen. Ich halte das für
einen Schandfleck ersten Ranges, dass es Da der BAS mit dem Ziel der Aus-
so etwas überhaupt gibt, dass es dies in übung des Selbstbestimmungsrechtes
Europa gibt. Und der zweite Schandfleck einen bewaffneten Konflikt gegen die
ist der, dass jemand sagen muss, ich kann italienische Fremdbesetzung führte, be-
heute von einem Teil Europas nicht in freite am 22.04.1977 die internationale
den anderen Teil…» Rechtsprechung (Konferenz über huma-
Der Präsident des Bundesrates, der nitäres Völkerrecht in Genf) die Südtiro-
Tiroler Gottfried Jaud, schloss sich diesen ler Freiheitskämpfer vom häufig vorge-
mahnenden Worten an und erklärte: tragenen Odium der Kriminalität und des
«…Zum anderen ist aber immer wieder Terrorismus. Dadurch, dass viele von ih-
darauf zu achten, dass in der Erinnerung nen uniformiert waren (bewusst wurde
aufrecht bleibt, dass die Brennergrenze die Uniform der österreichischen Kaiser-
eine Unrechtsgrenze ist. Und da gilt es schützen stets mit dem Tiroler Adler
vor allem, glaube ich, dass wir es den gewählt) und ihre Waffen stets offen tru-
Jüngeren weitersagen. Denn es besteht gen, sind sie als Kämpfende einzustufen
die Gefahr, dass diejenigen, die aus eige- und genießen auch damit in Ergänzung
ner Erfahrung das Leid kennen, das die der Genfer Konvention vom 12.08.1949
Bevölkerung erleben musste, die Älteren den Schutz regulärer Kriegsgefangener.
also, nicht mehr da sind und es deshalb Die Regierenden in Italien und Österreich
nicht mehr aus eigener Erfahrung wei- wären gut beraten, die Südtirol-Prozesse
tersagen können. Und dazu, liebe Freun- gemäß dem veränderten internationalen
de aus Südtirol, wünsche ich Ihnen viel Recht zu überdenken, um so bestehende
Kraft…» Benachteiligungen sozialer und juristi-
Trotz alledem erdreistet sich heute scher Natur, die den Freiheitskämpfern
noch immer verschiedentlich so mancher ob ihrer seinerzeitigen Aktivität erwuch-
mit der unwahren Feststellung, dass die sen, rasch zu beseitigen.
Südtiroler Freiheitskämpfer Terroristen Der Mitbegründer des «Befreiungs-
gewesen seien. Dabei wird gerne ver- ausschusses Südtirol» (BAS), Universitäts-
gessen, dass gerade österreichische professor Dr. Helmut Heuberger, der die
Gerichte dies wiederholt verneinten und Landeshauptstadt Innsbruck von der
den Freiheitskämpfern zubilligten, gegen NS-Diktatur befreite und der nach 1945
298
den fortlaufenden italienischen Staats- Südtirol weiterhin dem Staatsterror aus-
terror zur Verhinderung noch größerer gesetzt sah, hat 1999 zu maßgeblichen
Verbrechen in Notwehr gehandelt zu ha- österreichischen Politikern für uns alle,
ben. die wir uns aus Idealismus für Demokratie
und Recht in unserer bis heute italienisch standen alleine und ausschließlich im
besetzten Südtiroler Heimat eingesetzt Dienste dieser Sache. Es war zu erwarten
haben, folgende Worte gesprochen, mit und verständlich, dass italienische Po-
denen ich bewusst meine Ausführungen litiker und Medien uns politisch zu
schließe: ruinieren versuchten. Schmerzlich war es
«…Dadurch werden hier in Wien aber, dass sie Helfer in unseren Ländern
auch diejenigen offiziell gewürdigt, die gefunden haben. Und heute noch wird
seinerzeit ohne Rücksicht auf ihre Exis- im Rückblick politischer Tatsachen von
tenz und ihr Leben sich zum gemeinsa- damals herumkalkuliert und es werden
men Handeln entschlossen haben. Das künstliche Trennmauern aufgerichtet, die
moralische Recht dazu konnte nur von in Wahrheit nicht existiert haben.
den Südtirolern selbst kommen, denn sie Ich bekenne mich nach wie vor zur
alleine waren in ihren Lebensbedingun- Notwendigkeit und Tatsache unseres
gen, bis ins persönliche tägliche Leben gemeinsamen Handelns mit dem aus-
hinein, durch das Unrecht in Südtirol schließlichen Ziel, Südtirol zu helfen.
betroffen. Südtirol zu bewahren, nicht als
Wir, in Nordtirol, in Österreich, in Stolperstein, sondern als Baustein Euro-
Deutschland, die mitgeholfen haben, pas.»
DIE URTEILE…
Mahnung
Hinter Mauern eingeschlossen
Eine Südtiroler Schar,
Jedoch stolz und unverdrossen
Hinter Eisengitter schwer.
Weil wir für die Heimat fechten,
Unsrer Ahnen altes Recht,
Will man mit Gewalt uns knechten
Vor der Welt uns machen schlecht.
Unsre Heimat, unsre Äcker,
Sepp Doná
Unsere Wiesen, Feld und Flur
Sind seit mehr als tausend Jahren
Frucht des deutschen Geistes nur.
Doch wie unsre Väter kämpften
Um der Heimat Wohlgedeihn,
Wollen auch wir trotz Not und Kerker
Unser Leben der Heimat weihn.
Sepp Doná
Geschrieben zu Bozen, im Gefängnis, Herbst 1961

Zu vieles und zu schnell wird verges- haftet, für längere Zeit eingesperrt und
sen. Um dieser Entwicklung entgegenzu- verurteilt wurden.
treten wurde die nachfolgende Liste er- Manchem aufmerksamen Beobachter
stellt. Leider kann weder für die Vollstän- mag auffallen, dass sich unter den vielen
digkeit noch für die Fehlerlosigkeit ga- Personen zahlreiche Akademiker, vor al-
rantiert werden, nach 40 Jahren ist so lem aus Deutschland und Österreich,
301
manches schon klanglos vergessen wor- befinden. Sie waren in jenen Jahren noch
den. junge Studenten, die aus Idealismus und
Die Liste beinhaltet alle Personen, die Glaube an der Richtigkeit der Sache han-
im Rahmen der Widerstandaktionen ver- delten.
302
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Alber Josef Meran 1964 2 J. 10 M. 2 J. 1 M.

Aichner Anton Sarnthein 1961 U.-Haft 3 1/2 M.

Alessandri Hubert Frangart 1961 8 M. 3 J.

Alessandri Willi Frangart 1963 U.-Haft 6 M.

Ambach Franz Kaltern 1961 U.-Haft 6 M.


Liste der politischen Häftlinge

Ammering Max Österreich 1 M. in Österreich

Amplatz Alois Bozen 1961 25 J. 6 M. Seit 1961 im Exil


1964 verstorben

Andergassen Günther Innsbruck 1964 30 J. 6 J. 8 M.

Anegg Josef Kurtatsch 1961 5 1/2 M.

Angerer Engelbert Eyers 1961 2 J. 3.J

Anrather Hermann Kurtatsch 1961 2 J. 8 M. 3 J.

Assner Franz Brixen 1964 Freispruch 2 1/2 M.

Aster Alfred Ritten 1964 U.-Haft 1 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Astffäller Andreas Göflan 1979 6 J. 11 M.

Astfäller Erwin Göflan 1979 u. 84 4 J. 8 M. 2 J. 8 M.

Astfäller Oswald Göflan 1979 6 J. 1 J. 8 M.


u. 1 J. 3 M. Teilhaft

Auer Albin Walten/Passeier 1967 Freispruch. 1 J. 2 M.

Auer Ignaz St.Martin/Passeier 1961 Freispruch 9 M.

Auer Johann Sand in Taufers 1967 27 J. 8 M. 4 J. 7 M.

Auer Konrad Pfalzen 1966 1 J. 9 M. 1 J. 9 M.

Auer Paul Pfalzen 1966 1 J 7 M. Flucht kurz nach


der Verhaftung, musste
bis 1971 im Exil leben

Außerer Karl Innsbruck/Ulten 1961 24 J. 9 M. in Österreich


Lebt seit 1961
in Nordtirol im Exil

Barbieri Johann Terlan 1964 Freispruch 2 1/2 M.

Becker Ulrich Deutschland 8 M. in Österreich

303
304
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Berger Meinhard Bozen 1964 U.-Haft 1 M.

Bergmeister Alois Pfunders 1956 Freispruch 10 M.

Bernhard Dr. Günther Österreich 1 1/2 M. in Österreich

Brinkmann
Dipl Vw. Ingrid Deutschland 6 M. in Österreich

Bünger Dr. Fritz Deutschland 14 J. Exil

Bünger Dr. Heinrich Deutschland 7 M. in Österreich

Burger Grete Österreich 1 M. in Österreich

Burger Dr. Norbert Österreich 2 J. 4 M.


1 1/2 J. Exil
mehrfach inhaftiert

Carli Siegfried Meran 1961 19 J. 11 M. 30 J. im Exil

Clementi Johann Montan 1961 8 J. 10 M. 6 J. 10 M.

Colli KR Günther Österreich 1 1/2 M. in Österreich

Crepaz Josef Bozen 1961 U.-Haft 5 1/2 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Dibiasi Arnold Tramin 1962 Freispruch 1 J. 10 M

Dissertori Alois Kaltern 1961 2 J. 3 J.

Donà Sepp St.Leonhard/Passeier 1961 Freispruch 5 M.

Dunkel Jochen Deutschland 2 J. 5 M. 2 j. 4 M. in Italien

Dzugan Hans Österreich 1 M. in Österreich

Ebner Alois Pfunders/Meran 1956 Lebensläng. 13 J. 3 M.

Ebner Bernhard Pfunders 1956 17 J. 12 J. 3 M.

Ebner Franz Mühlen 1963 Freispruch 2 J. 7 M.


1966 U.-Haft 3M
1967 17 J. 9 M. 4 J. 8 M.

Ebner Rosa Mühlen 1963 Freispruch 1 J. 3 M.

Ebnicher Heinrich Bozen 1961 U.-Haft 2 M.

Egger Andreas Leisach – Osttirol 1967 5 J. 3 M. 2 J. 2 M.

Egger Alois St.Walburg/Ulten 1961 9 J. 5 J. 4 M.

305
306
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Egger Franz Neumarkt 1961 1 J. 4 M. 3 J.

Erharter Erich Innichen 1961 U.-Haft 1 1/2 M.

Fabi Josef Burgeis 1961 1 J. 4 M. 3 J.

Felder Josef Österreich 1 J. 3 M. in Österreich

Felderer Anton sen. Sarnthein 1961 Freispruch 8 1/2 M.

Felderer Anton jun. Sarnthein 1961 2 J. 7 M. 3 J. 1 M.

Fischer Franz Klobenstein 1964 5 J. 3 J.

Dr. Fontana Josef Bozen 1961 10 J. 6 M. 7 J. 9 M.

Forer Hermann Mühlwald 1964 U.-Haft 2 M.

Forer Robert Mühlen in Taufers 1967 U.-Haft 6 M.

Forer Sepp Ladis in Nordtirol-Mühlen in Taufers 1961 25 J. 5 M Seit Juni 1961 im Exil
2x lebensläng. in Österreich
9 J. 2 M. 2 J. 3 M.

Fritz Dr. Herbert Österreich 10 1/2 M. in Österreich


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Dr. Frötscher Karl St.Pauls 1967 1 J. 4 M. 1 J. 5 M.

Früh Albert Mühlen in Taufers 1966 U.-Haft 3 M.

Gallmetzer Norbert Kaltern 1961 8 M. 3 J.

Gamper Franz Vahrn 1961 7 J. 4 M. 5 J. 4 M.

Gamper Paul Vahrn 1961 Freisprucch 1 J. 6 M.

Gmünd Kofler
Dipl Vw. Renate Deutschland 1 1/2 M. in Österreich

Goebel Dr. Klaus Deutschland 6 1/2 M. in Österreich

Göller Heinrich Margreid 1958 8 J. 2 J. 7 M.

Goller Rudolf Bozen 1957 3 J. 5 M. 2 J. 7 M.

Golowitsch Dr. Helmut Österreich 2 J. 3 M. in Italien

Gostner Anton St. Andrä/Brixen 1961 In U.-Haft verstorben 8 M.

Gostner Engelbert St.Andrä/Brixen 1961 7 J. 4 M. 5 J. 4 M.

Graf Siegfried Tulfes/Nordtirol 1961 U.-Haft 1 1/2 M.

307
308
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Gritsch Anton Meran 1957 U.-Haft 8 M.

Gruber Walter Lana 1961 3 J. 3. J.

Grünbart
Dipl Vw. Reinulf Österreich 1 1/2 M. in Österreich

Gutmann Alois Tramin 1961 9 J. 4 M. 6 J. 2 M.

Gutmann Richard Tramin 1964 2 J. 10 M. 2 J. 1 M.

Hagen Dr. Harald Österreich 1 M. in Österreich

Hartung
Univ. Prof. Dr. Erhard Österreich 1 J. 2 1/2 M.
in Österreich
7 J. Exil in Deutschland

Hauser Alois Kurtatsch 1961 9 J. 1 M. 5 J. 6 M.

Henning Dr. Rudolf Deutschland 6 M. in Österreich

Heuberger
Univ. Prof. Dr. Helmut Österreich 1 1/2 M.in Österreich

Hinteregger Herbert Sterzing 1961 Freispruch 3 J.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Hofer Peter Brixen 1964 Freispruch 3 M.

Höfler Franz Lana 1961 In U.-Haft verstorben 4 M.

Höfner Dr. Godefried Österreich 1 1/2 M in Österreich

Holzinger Sepp Österreich 1 M. in Österreich

Hornberg Helmut Österreich 1 1/2 M.in Österreich

Huber Johann Pfunders 1956 13 J. 1 J. 8 M.

Huber Josef Sigmundskron 1961 3 J. 8 M. 3 J.

Hülsner Helmut Österreich 10 1/2 M.


Wien, München
Hummer Dr. Hans-Jörg Deutschland 4 J. 2 M In Italien

Innerhofer Josef Schenna 1961 3 J. 3 M. 3 J.

Issinger Wilfried Luttach 1963 U. Haft 6 M.

Knollseisen Georg Pfunders 1956 17 J. 12 J. 11 M.

Kargruber Peter Taisten/Welsberg 1961 U.-Haft. 5 M.

309
310
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Karnutsch Hermann Lana Ende 1982 2 M U.-Haft Starb im Februar 1983


im Krankenhaus

Kaslatter Anton Kollman 1957 3 M. 3 M.

Kerschbaumer Sepp Frangart 1961 15 J. 11 M. 3 J. 5 M.


in Haft verstorben

Kirchler Maria Sand in Taufers 1963 U.-Haft 5 M.

Kiensberger Peter Gmunden/Österreich 1961 25 J. 2 M. 6 J. 8 M


1964 21 J. 10 M. U.- u. Auslieferungshaft
in Österreich u.
3 1/2 Jahre Exil
in Deutschland

Dr. Klier Heinrich Zirl/Nordtirol 1961 21 J. 10 M.

Klein Johannes Deutschland 2 J. in Italien

Klotz Georg Walten/Passeier 1961 45 J. 4 M. Seit Juni 1961 im Exil


2 J. in Österreich
1976 verstorben

Klotz Rosa Bozen 1967 1 J. 4 M. 1 J. 2 M.

Koch Gretl Bozen 1965 U.-Haft 4 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Koch Martin Bozen 1961 9 J. 7 M. 6 J. 3 M.

Kofler Oswald Tramin/Söll 1961 11 J. 4 M. 8 J. 2 M.

Kofler Richard Unterrain 1966 Freispruch 2 J. 5 M.

Kofler Rudolf Unterrain 1963 5 J. 5 M. 2 J. 8 M.

Kritzinger Helmut Innsbruck 1961 Freispruch 8 M.

Kufner Egon Österreich 1 J. 2 M in Österreich


7 J. Exil

Ladurner Andreas Meran 1964 6 J. 9 M. 4 J. 6 M.

Laner Hermann Mühlwald 1964 U.-Haft 2 M.

Laner Josef Zirl – Nordtirol 1963 Freispruch 2 J. 7 M.

Lanthaler Johann Walten in Passeier 1967 U.-Haft 3 M.

Lanz Georg Terlan 1964 8 M. 2 1/2 M.

Larch Luis Südtirol 1961 1 J. 9 M. seit 1961 im Exil


1969 24 J.

311
312
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Lun Karl Bozen 1957 2 J. 5 M. 2 J.

Mairl Walter Mühlen in Taufers 1967 U.-Haft 2M

Mairl Wilhelm Sand in Taufers 1961 U.-Haft 1 1/2 M.

Mandl Fritz Sterzing 1961 7 J. 4 M. 5 J. 4 M.

Marth Rudolf St. Martin in Passeier 1967 2 J. 4 M. 1 J. 2 M.

Masoner Karl Bozen 1963 U.-Haft 1 M.

Matscher Josef Tisens 1961 2 J. 3 J.

Matuella Konrad Neumarkt 1961 7 J. 4 M. 5 J. 4 M.

Maurer Albert Deutschland 2 J. in Italien

Mauritz Dr. Rainer Österreich 2 J. 5 M.


Trient, Rom
Mayerhofer Hornberg
Mag. Margit Österreich 1 M in Österreich

Mayr Maya Bozen 1967 U.-Haft 1 J.

Mayr Siegfried Terlan 1964 2 J. 9 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Miller Hartmut Deutschland 8 M.in Österreich

Mitterhofer Josef Obermais 1961 11 J. 11 M. 7 J. 11 M.

Moser Oswald Tramin 1964 10 M. 9 M.

Mumelter Dr. Norbert Bozen 1961 U.-Haft 7 M.

Muther Franz Laas 1961 9 J. 5 M. 6 J. 1 M.

Mutschlechner Karl Tesselberg 1964 U.-Haft 3 M.

Nachtmann
Dipl Vw. Herwig Österreich 1 M. in Österreich

Niedermair Oskar Ritten 1961 Freispruch 2 J. 11 M.

Oberdörder Ernst Latsch 1964 U.-Haft 2 M.

Oberhammer Dr. Alois Nordtirol 30 J.

Oberhofer Hans Goldrain 1961 9 J. 5 J. 4 M.

Oberhollenzer David Mühlen in Taufers 1967 27 J. 10 M. 4 J. 8 M.

Oberhollenzer Johann Mühlen in Taufers 1967 U.-Haft 6 1/2 M.

313
314
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Oberhuber Rudolf Brixen 1961 Freispruch 3 J.

Oberleiter Heinrich Luttach 1963 2 x lebenslang


geflüchtet 9 Jahre u. 4 M. seit 1963 im Exil
Oberlechner Heinrich Mühlen 1961 25 J. seit 1961 im Exil
1964 2 x lebenslang U.- und
9 Jahre u. 4 M. Auslieferungshaft
in Österreich

Obermair Alfons Bozen 1961 Freispruch 3 J.

Oberauch Luitfried Bozen 1961 2 J. 11 M. Geflüchtet

Orian Josef Kurtatsch 1961 U.-Haft 1 J. 6 M.

Obexer Adolf Südtirol 1961 24 J. 9 M. in Österreich


seit 1961 im Exil

Parth Matthias Eyrs 1961 Freispruch 3 J.

Peer Jakob Kurtatsch 1961 U.-Haft 2 M.

Peer Karl Kurtatsch 1961 U.-Haft 2 M.

Pellegrini Ferdinand Auer 1964 Freispruch 5 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Pergol Livio Lavis/Trient 1961 8 M. 5 M.

Pernther Leonhard St. Pauls 1957 3 M. 3 M.

Petermair Otto Frangart 1961 8 J. 4 M. 4 J. 11 M.

Pfaunder Wolfgang Innsbruck 22 J. 10 M.

Pfitscher Wendelin Schlanders 1961 U.-Haft 1 J. 8 M.

Pichler Paul Schenna 1961 Freispruch 3 J.

Pilz HR Dipl. Ing. Roman Österreich 1 1/2 M.in Österreich

Piock Engelbert Brixen 1961 2 J. 3 J.

Pircher Georg Lana 1961 14 J. 7 M. 8 J. 4 M.

Plaickner August Mühlen in Taufers 1967 16 J. 5 M 4 J. 8 M.

Ploner Rudolf Schabs 1957 2 J. 5 M. 2 J. 4 M.

Plunger Othmar St. Pauls 1957 3 M. 3 M.

Pomella Adolf Kurtatsch 1961 U.-Haft 1J. 6 M.

315
316
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Prantner Donat Bozen 1961 6 J. 8 M. 5 J. 5M.

Recla Karl Brixen 1957 1 J. 10 M. 2 J. 8 M.

Rainer Alois Moos in Passeier 1967 2 J. 2 J. in Österreich

Rainer Alois Meran 1961 U.-Haft 3 M.

Rainer Walter Meran 1964 5 J. 2 M. Geflüchtet

Reinstadler Anton Sulden 1964 U.-Haft 1 J.

Riegler Lorenz Bozen 1961 3 J. 3 J.

Riegler Franz Bozen 1961 3 J. 10 M. 3 J.

Rier Peter Mühlen in Taufers 1967 U.-Haft. 1 1/2 M.

Roner Sigmund Tramin 1961 3 J. 8 M. 3 J.

Röggla Dr. Max Auer 1961 U.-Haft 5 M.

Sauer Hubert Deutschland 3 M. in Österreich

Schäfer Helmuth Bozen 1957 3 M. 3 M.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Schafferer Albert Innsbruck 1965 U.-Haft 9 M.

Schafferer Karl Österreich 4 J. 2 M. in Italien

Scherer Jakob St. Pauls 1961 U.-Haft 3 J.

Scherz Walter Österreich 1 1/2 M. in Österreich

Schillinger Hannes Österreich 1 1/2 M. in Österreich

Schimp Dr. Otto Österreich 3 M. in Österreich

Schlegel August Deutschland 2 J. in Italien

Schönauer Alois Tiers 1964 1 J. 6 M. 1 J. 4 M.

Schönthaler Eduard Schlanders 1961 U.-Haft 1 J. 8 M.

Schwach Richard Wien 2 J. 3 1/2 M in Italien

Schweinberger
Dipl Ing. Günther Österreich 1 M. in Österreich

Schwienbacher Vigil St. Walburg in Ulten 1961 U.-Haft 2 J. 11 M.

Schwingshackl Andreas Taisten/Welsberg 1961 8 J. 4 M. 6 J. 4 M.

317
318
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Spiss Josef Latsch 1961 U.-Haft 3 J.

Stadlmayr HR Dr. Viktoria Innsbruck 1961 U.-Haft 1 1/2 M.

Staffler Johann Unterinn am Ritten 1964 1 J. 6 M. 1 J. 4 M.

Stampfl Hans Bozen 1961 2 J. 3 J.

Stanek Dr. Hans Brixen 1961 U.-Haft 3 J.

Steck Viktor Tartsch 1961 U.-Haft 3 J.

Steger Frieda Mühlen in Taufers 1967 U.-Haft. 1 1/2 M


2 Jahre
Zwangsaufenthalt
in der Provinz Belluno

Steger Johann Mühlen in Taufers 1961 Amnestiert 1 1/2 M.

Steger Lina Mühlen in Taufers 1967 3 J. 4 M. 3 J. 3 1/2 M.


amnestiert Verbannung

Steger Siegfried Telfs in Nordtirol 1961 25 J. 4 M. 2 M in Österreich


2 x lebenslang u. Seit 1961 im Exil
9 J. 4. M
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Steinegger Alois Söll bei Tramin 1961 8 J. 8 M. 5 J. 6 M.

Stieler Anton Bozen 1957 4 1/2 M. 4 M.

Stieler Johann Bozen 1957 4 J. 8. M. 2 J. 10 M.


1962 2 M. 2 M.

Stieler Josef Meran 1957 4 1/2 M. 4 M.

Stimpfl Franz Kurtinig 1962 Freispruch 4 M.

Sullmann Dr. Josef Klausen 1961 Freispruch 2 J. 11 M.

Tanzer Eduard Glurns 1961 1 J. 4 M. 3 J.

Tappeiner Anton Schlanders 1961 U.-Haft 9 M.

Tappeiner Franz Laas 1961 2 J. 3 J.

Thaler Hans Sarntein 1961 U.-Haft 1 J. 5 M.

Thaler Hans sen. Reinswald 1961 1 J. 4 M. 2 J. 11 M.

Thaler Christian Reinswald 1961 U.-Haft 1 J. 5 M.

Thaler Georg Reinswald 1961 U.-Haft 1 J. 5 M.

319
320
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Thaler Karl Tramin 1961 1 J. 4 M. 3 J. 2 M.

Thaler Viktor Tramin 1961 8 J. 4 M. 3 J.

Thaler Alois Bozen 1961 9 J. 3 M. 6 J. 2 M.

Thurner Arnold Vilpian 1969 U.-Haft 10 M.

Tietscher Karl Bruneck 1961 3 J. 4 M. 3 J.

Tischler Johann Mals 1963 U.-Haft 1 1/2 M.

Tratter Herbert Bozen 1961 U.-Haft 1 1/2 M.

Tschaikner
Dipl Ing. Gottfried Österreich 1 M. in Österreich

Tschenett Josef Prad 1961 2 J. 3. J.

Ungerank Franz Sterzing 1961 2 J. 3 J.

Unterholzner Bernhard St. Walburg in Ulten 1961 U.-Haft 2 J. 11 M.

Unterkircher Isidor Pfunders 1956 17 J. 12 J. 11 M.

Unterkircher Paul Pfunders 1956 12 J. 7 J.


Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Verdorfer Josef Lana 1962 U.-Haft 1 J. 10 M.

Veronesi Bruno Laag bei Neumarkt 1961 2 J. 4 M. 3 J.

Vetter Johann Schenna 1961 U.-Haft 10 M.

Villgratner Ernst Bozen 1961 1 J. 4 M. 3 J.

Volgger Dr. Friedl Ridnaun 1957 3 M. 2 1/2 M.

Vortisch
Univ. Prof. Dr. Walter Deutschland 4 M. in Österreich

Waid Anton Tramin 1962 Freispruch wegen 1 J. 10 M.


Mangel an Beweisen

Wallnöfer Karl Tisens 1961 2 J. 3 J.

Walter Erich Neumarkt 1961 Freispruch wegen 3 J.


Mangel an Beweisen

Weitlaner Johann St. Martin in Gsies 1967 U.-Haft 1 M.


Zwangsaufenthalt in Varone 1 J.

Weissteiner Florian Pfunders 1956 18 J. 12 J. 11 M.

321
322
Name Ort verhaftet od. verurteilt Haftzeit
geflüchtet zu

Welser Kurt Innsbruck 23 J. 10 M. 2 M. in Österreich

Wenger Anton Terlan 1957 2 J. 5 M. 1 J. 10 M.

Widmoser Dr. Eduard Innsbruck 19 J. 4 M.

Willich Hans Gerog Frankfurt 3 M. in Italien

Wintersberger Helmut Deutschland 2 J. 3 M. in Italien

Zangerle Paul Eyers 1961 U.-Haft 1. J 5 M.

Zinkl Josef Österreich 8 1/2 M. in Österreich

Zwerger Albin Tramin 1961 3 J. 2 M. 3 J.

U.-Haft = Untersuchungshaft, J = Jahr, M = Monate

Auch wenn für die Liste kein Anspruch der Vollständigkeit erhoben werden kann, ist die Gesamtsumme der “abgesessenen”
Gefängnisjahre der Südtiroler Aktivisten beeindruckend und mahnend zugleich: über 500 Jahre Gefängnis für das ungelöste
Südtirol-Problem.
Seit den 60er Jahren sind gegen folgende Personen ausgesprochenen Urteile und
Haftbefehle aufrecht, sie müssen deshalb im Exil leben.

Es sind einmal die Südtiroler


KARL AUSSERER, jetzt wohnhaft in Innsbruck
JOSEF FORER, wohnhaft in Ladis/Tirol
LUIS LARCH, jetzt wohnhaft in Graz/Österreich
ERICH OBERLECHNER, jetzt wohnhaft in Starnberg/Deutschland
HEINRICH OBERLEITNER, jetzt wohnhaft in Hohenroith/Deutschland
ADOLF OBEXER, jetzt wohnhaft in Innsbruck/Tirol
SIEGFRIED STEGER, wohnhaft in Telfs/Tirol

Weiters können folgende deutsche bzw. österreichische Staatsbürger nicht nach


Südtirol einreisen, weil sie dort noch immer steckbrieflich gesucht werden:
DR. FRITZ BÜNGER – Düsseldorf/Deutschland
DR. HEINRICH BÜNGER – Siegburg/Deutschland
DR. ERHARD HARTUNG – Innsbruck/Österreich
UNIV. PROF. DR. HELMUT HEUBERGER – Salzburg/Österreich
HELMUT HÜLSNER – Grünwald/Deutschland
PETER KIENSBERGER – Nürnberg/Deutschland
EGON KUFNER – Linz/Österreich
HELMUT MORITZ – Wien/Österreich
DIPL. ING. GOTTFRIED TSCHAIKNER – Innsbruck/Österreich

Interessant sind an dieser Stelle auch folgende Informationen:


Insgesamt waren beim 1. Mailänder Sprengstoffprozess dreizehn Rechtsanwälte mit
der Verteidigung der Angeklagten beauftragt. Sie erhielten über das Südtirolreferat
der Tiroler Landesregierung 1.350.000 Lire für jeden verteidigten Mandanten und
20.000.- Lire pro Aufenthaltstag in Mailand.
323

Zum Vergleich und besseren Verständnis sollte man sich die Tatsache vor Augen
halten, dass 1964 die Dolomiten 50 Lire kostete, heute im Jahre 2000 kostet sie 1500
Lire, also 30 mal soviel.
Insgesamt erhielten die Rechtsanwälte 62.645.000 Lire, davon:
Dr. Luis Sand aus Bozen 8.105.000 Lire
Dr. Karl Gartner aus Schlanders 6.650.000 Lire
Dr. Roland Riz aus Bozen 5.580.000 Lire
Dr. Sandro Canestrini aus Rovereto 5.250.000 Lire
Dr. Hermann Nicolussi aus Kaltern 5.010.000 Lire
Dr. Franz Monauni aus Meran 4.000.000 Lire
Dr. Günther Vinschger aus Bozen 3.150.000 Lire
Dr. Josef Tiefenbrunner aus dem Unterland 3.030.000 Lire
Dr. Hugo Gamper aus Bozen 1.860.000 Lire
Dr. Otto Vinatzer aus Meran 1.010.000 Lire

Die italienischen Staranwälte erhielten folgende Honorare:


Dr. Ettore Gallo aus Reggio Emilia 10.000.000 Lire,
Prof. Pietro Nuvolone aus Mailand 5.000.000. Lire und
Dr. Ricci aus Mailand 4.000.000 Lire.

Mit wieviel Idealismus mancher Rechtsanwalt die Verteidigung übernommen hat,


mag der Leser selbst urteilen. Hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass Rechtsanwalt
Dr. Roland Riz als Verteidiger während seiner Verteidigungsrede niemals ein Wort
zum Südtirolproblem – Grund allen Unheils – verloren hat. Hätten alle Verteidiger
diese Strategie verfolgt, wäre die politische Bedeutung des Widerstandes verschwie-
gen und alle Angeklagten als einfache Kriminelle verurteilt worden.

324
DIE TOTEN

Es ist eine grausame Tatsache der Ge- gezielten Schüssen von einem italieni-
schichte, dass menschliche Opfer, Tote schen Soldaten niedergestreckt.
nur in Zahlen ausgedrückt – niemals das Am 25. Juni 1961 wurde der 22-jäh-
wirkliche Ausmaß des Leides erkennen rige Wehrpflichtige PETER THALER wäh-
lassen. Und dennoch muss man die Opfer rend des Dienstes von einem italienischen
aufzählen, um ihr Leid und das ihrer Soldaten erschossen. Die Umstände die-
Angehörigen wenigstens teilweise zu ser Tat wurden nie geklärt und veröffent-
erahnen, zu verstehen und daraus zu licht.
lernen. Es ist aber nicht eine Auf- Am 22. November 1961 starb im
rechnung der Opfer auf beiden Seiten, Krankenhaus von Bozen FRANZ HÖFLER
denn es ist auch eindeutig, dass alles aus Lana an den Folgen der während
Leid, die Opfer, die vielen Toten nichts der Verhöre erlittenen Folterungen. Franz
anderes als die Folge einer falschen Po- Höfler war seit der Verhaftung am 15.Juli
litik waren. und den Verhören in der Carabinieri-
Nach der Feuernacht wurde Südtirol Kaserne von Meran, wo er wie die mei-
von italienischen Carabinieri-, Polizei- und sten anderen Verhafteten brutal misshan-
Militäreinheiten regelrecht besetzt. Es delt wurde, im Gefängnis von Bozen.
handelte sich dabei zumeist nicht um gut Immer wieder hatte er über nachhaltige
ausgebildete oder auf die besondere Si- Schmerzen gesprochen, bis er am 17.
tuation vorbereitete Einheiten. Eine Tat- November 1961 in seiner Zelle plötzlich
sache, die bald ihre tragischen Folgen zusammenbrach und in das Bozner Kran-
zeigte. Bereits am 19. Juni 1961 gab es kenhauses gebracht wurde. Die Behör-
die ersten Opfer, die ersten Toten. In Mals den fanden es nicht wert, seine Angehö-
wurde nach einem abendlichen Gast- rigen über den Vorfall zu informieren.
hausbesuch vor einem Offiziersheim der Jörg Pircher, Mitkämpfer und Zellenge-
25-jährige HUBERT SPRENGER von einem nosse von Franz Höfler, verständigte mit-
Militärposten ohne Vorwarnung erschos- tels Telegramm seine Familie. Der älteste
325
sen. Am selben Abend wurde im Sarntal Bruder von Franz Höfler begab sich so-
der landwirtschaftliche Arbeiter SEPP fort nach Bozen, aber weder er noch
LOCHER auf dem Heimweg in der Holz- ein anderer Angehöriger wurde zu ihm
kiste einer Materialseilbahn mit sechs vorgelassen.
Am 7. Jänner 1962 stirbt auch an Bald tauchten die ersten Wider-
den Folgen der erlittenen Misshandlun- sprüche auf: Warum war der Personal-
gen der 42-jährige ANTON GOSTNER aus ausweis völlig unversehrt, während der
St.Andrä bei Brixen im Gerichtsgefängnis Körper des Opfers völlig zerrissen wur-
von Bozen. Anton Gostner wäre vielleicht de? Laut der ermittelnden Behörden ge-
zu retten gewesen, wenn man der For- schah das Unglück am 8. Oktober. Ein
derung des mitinhaftierten Arztes Dr. Bauer aus der Umgebung hörte aber
Sullmann gefolgt wäre und ihn schnell- bereits am Tag vorher, am 7. Oktober,
stens ins Spital gebracht hätte. Anton eine laute Detonation. Am selben Tag,
Gostner war verheiratet und Vater von kurz nach der vernommenen Detonati-
fünf Kindern. on, wurde von zwei Personen beobach-
Am 7. September 1964 wurde auf tet, wie Carabinieri und Soldaten, die
den Brunner Mahdern im Passeiertal LUIS offensichtlich im Hinterhalt gelegen wa-
AMPLATZ von Christian Kerbler ermor- ren, einen jungen Mann stellten und
det. Kerbler handelte im Auftrag des ita- wegbrachten.
lienischen Staates und wird bis heute Friedrich Rainer hatte sich kurze Zeit
vom italienischen Geheimdienst gedeckt. vorher bei Mitgliedern des BAS in Nord-
Jörg Klotz hätte auch Opfer dieses Meu- tirol Sprengstoff besorgt und plante mit
chelmörders im Staatsdienst werden kön- Hilfe eines anderen Südtirolers wirklich,
nen. Er überlebte den feigen Mordan- das faschistische Beinhaus zu sprengen.
schlag schwer verwundet. Da Rainer aber den Verdacht bekam, dass
Auf mysteriöse Weise starb am 9. sein Südtiroler Bekannter ein Mitarbeiter
Oktober 1964 der 25-jährige FRIEDRICH der italienischen Polizei sein könnte,
RAINER aus Riffian. Laut offiziellen wollte er den Anschlag alleine, aber
Mitteilungen der italienischen Behörden immer noch zum selben Zeitpunkt durch-
soll Rainer beim Versuch, das italienische führen. Wurde Rainer das Opfer dieses
Beinhaus auf der Malser Heide zu Spitzels, der ihn an die italienischen
sprengen, sich während des Scharf- Behörden verraten hatte? Wurde Fried-
machens der Sprengladung versehentlich rich Rainer verhaftet, verhört und zu Tode
in die Luft gesprengt haben. Die Identi- gefoltert? Wollten die Verantwortlichen
tät des bis zur Unkenntlichkeit zerrisse- durch den vorgetäuschten Unfall die
326
nen Leichnams konnte nur durch einen Beweise ihres Verbrechens zerstören?
in der Nähe gefundenen, völlig unver- Bis heute herrscht über den Vorfall
sehrten Personalausweis festgestellt wer- totale Unklarheit und die betroffenen ita-
den. lienischen Behörden haben bis heute
nicht dazu beigetragen, die Unklarheiten von HELMUT IMMERVOLL. Helmut Im-
und Widersprüche aufzuklären. mervoll war Sprengstoffexperte und starb
Im Alter von 51 Jahren stirbt am am 16. Juli 1965 bei einer Sprengstoff-
7. Dezember 1964 SEPP KERSCHBAUMER explosion in einer Bozner Wohnung, die
im Gefängnis von Verona. Seit den Ver- dem verhafteten BAS-Mitglied Martin
hören und Misshandlungen im Juli 1961 Koch gehörte. Sofort nach dem Vorfall
war sein Gesundheitszustand schlecht. wurde die Frau des Wohnungsbesitzers,
Sepp Kerschbaumer war der dritte poli- Gretl Koch, verhaftet. Gretl Koch hatte
tische Häftling, der seit der Feuernacht mit Hilfe von Midl von Sölder und ande-
im Jahre 1961 im Gefängnis starb. Alle ren sofort nach der großen Verhaftungs-
Mithäftlinge von Sepp Kerschbaumer be- welle, welche der Feuernacht folgte, ei-
stätigten, dass Sepp Kerschbaumer seit nen Hilfsdienst für die Häftlinge und
seiner Verhaftung von der großen psy- deren Angehörige organisiert.
chischen Last geradezu erdrückt wurde. Auch in diesem Fall lautete die offizi-
Genauso ungeklärt und mysteriös wie elle Version, Immervoll hätte sich beim
der Tod von Friedrich Rainer ist der Tod Scharfmachen einer Ladung versehentlich

Das Begräbnis von Richard Kofler

327
in die Luft gesprengt. Aber in BAS-Krei- biet des Olanger Kraftwerkes zu entzie-
sen wurde sofort der Verdacht laut, dass hen, durch einen Sturz (!) schwere Kopf-
Helmut Immervoll Opfer einer Geheim- verletzungen erlitten, denen er kurze Zeit
dienstfalle geworden war. darauf im Krankenhaus Bruneck erlag.
ANTON REINSTADLER aus Sulden Diese Lügengeschichte wurde aber bald
wurde 1964 mit der Andergassen-Grup- aufgedeckt. Es gab einen Zeugen für den
pe verhaftet. Nach einem Jahr Untersu- Vorfall, der, wie der diensthabende Arzt
chungshaft ist er freigelassen worden im Krankenhaus Bruneck, durch seine
und das Verfahren gegen ihn wurde ein- Aussagen die Behörden dazu zwang,
gestellt. Beim 2. Mailänder Sprengstoff- nach und nach mit der Wahrheit über
prozess im Frühjahr 1966 besuchte er den Vorfall herauszurücken.
seine Freunde an einem Verhandlungs- Am 4. Jänner 1976 starb im Nordti-
tag. Bei der Heimfahrt hatte er zwischen roler Exil, von den jahrelangen Entbeh-
Mailand und Brescia auf der Autobahn rungen des Freiheitskampfes schwer ge-
einen Autounfall und wurde dort ins zeichnet, JÖRG KLOTZ. Nur mehr als
Krankenhaus eingeliefert. Zwei Tage spä- Toter konnte er seine über alles geliebte
ter starb er an den Folgen des Unfalles. Heimat betreten.
Am späten Abend des 24. Septem- Auch im Exil musste RICHARD KOF-
ber 1966 wurde der 18-jährige PETER LER aus Sigmundskron sterben. Laut Be-
WIELAND aus Niederolang auf dem richten seiner Freunde ist Richard Kofler
Heimweg von der Gesangsprobe auf ei- regelrecht am übermäßigen Heimweh
ner Wiese von einer Alpini-Streife kurzer- gestorben.
hand niedergeschossen. Wieland lag Wenn man bei dieser Aufzählung der
zwei Stunden schwer verletzt auf der Todesopfer von Seiten sprechen kann, so
Wiese und musste langsam ausbluten. waren dies die Toten auf der Südtiroler
Als man ihn dann ins Krankenhaus von Seite. Auch auf der italienischen Seite
Bruneck brachte, war es bereits zu spät: gab es Todesopfer, gab es Mütter, Väter,
Peter Wieland verstarb 30 Minuten nach Ehefrauen und Kinder, die um ihre Lieb-
seiner Einlieferung. sten weinten. Dies darf man nicht ver-
Die erste polizeiliche Mitteilung zum gessen und verschweigen. Es waren
Vorfall war völlig verdreht und darauf meist junge Soldaten, Carabinieri u.a.,
328
ausgelegt, die Schuld von der Alpini- die fern ihrer Heimat ihren Dienst leisten
Streife wegzuschieben. Sie lautete: Ein mussten. Wie so oft in der Geschichte
18-jähriger Südtiroler hat bei dem Ver- waren sie nur unbedeutende Figuren auf
such, sich einer Polizeikontrolle im Ge- dem Schachbrett der großen Politik.
Seit 1966 findet alljährlich in St. Pauls am 8. Dezember die
Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier statt, bei der auch aller toten
Freiheitskämpfer gedacht wird, welche ihr Leben für die Freiheit
der Heimat hingegeben haben. Diese Veranstaltung ist längst zu
einer Landesfeier angewachsen. 1999 hielt der Nordtiroler
Landeshauptmann Wendelin Weingarntner die Gedenkrede.

329
Genau wie man sie nicht vergessen darf, suchungshaft im Gefängnis von Meran
darf man nicht vergessen, dass sie im musste er plötzlich ins Krankenhaus von
Grunde Opfer der schlechten und verlo- Meran eingeliefert werden; dort verstarb
genen Politik ihres eigenen Staates ge- er nach einem Noteingriff. Waren das die
worden sind. Denn in diesem ungleichen Folgen der erlittenen Misshandlungen?
Kampf hatte bis zuletzt der italienische Am 24. Mai 1984 starben bei einer
Staat die «Wahl der Mittel». Um so gewaltigen Detonation in Lana der 52-
schrecklicher erscheint dieser Umstand, jährige WALTER GRUBER und der 27-jäh-
wenn immer wieder der Verdacht erhär- rige PETER PARIS aus Ulten. Walter Gru-
tet wird, dass einige der gefallenen ita- ber war Hauptmann der Schützenkom-
lienischen Sicherheitskräfte sogar Opfer panie Lana und Peter Paris Bataillonskom-
des eigenen italienischen Geheimdienstes mandant in Ulten. Beide waren auch
waren (siehe dazu Parlamentsbericht Mitglieder des Südtiroler Heimatbundes.
über Geheimdienstuntriebe von Senator Walter Gruber war Mitglied des BAS,
Marco Beato). wurde nach der Feuernacht verhaftet,
Hier darf man nicht drei Namen, drei von den Carabinieri misshandelt und
Tote unerwähnt lassen. Sie stehen indi- mehrere Jahre eingesperrt.
rekt mit den Geschehnissen in den 60er Wird es für immer ein Geheimnis blei-
Jahren in Verbindung. Die Anschläge in ben, warum die beiden Männer sterben
jenen Jahren sind nicht die einzigen und mussten? Sprengten sie sich beim Zusam-
nicht die letzten in Südtirol, genauso sind menbau einer Bombe selbst in die Luft
die Toten in diesen Jahren nicht die letz- oder wurden sie selbst Opfer eines fei-
ten. gen Attentates.
Im Februar 1983 starb HERMANN
KARNUTSCH. Er wurde unter dem Ver-
dacht, das Beinhaus in Burgeis gesprengt
zu haben, verhaftet. Die Carabinieri
fanden bei einer Hausdurchsuchung ein
halbes Kilo Schwarzpulver. Hermann
Karnutsch behauptete immer, ihm sei das
Schwarzpulver von Unbekannten im Haus
330
versteckt worden. Bei den Verhören in
der Carabinieri-Kaserne von Meran soll
Karnutsch schwerste Misshandlungen
erlitten haben. Nach 2 Monaten Unter-
UND NOCH KEIN ENDE?

Als 1969 die SVP bei ihrer Landesver- Höhepunkt dieser Anschläge sind die
sammlung das Paket als Lösung des Süd- Anschläge am 4.12.1979 auf verschiede-
tirol-Problems angenommen hat, ver- ne Seilbahnen in ganz Südtirol. In einer
stummt der Widerstand. Ganz Südtirol Nacht werden mit fast militärischer Per-
hofft auf eine gute und friedliche Lösung fektion fünf Seilbahnen beschädigt. Der
und Entwicklung. Wintertourismus soll in einem seiner Le-
Es beginnt eine Zeit des Auf- und bensnerven getroffen werden. Die Ge-
Ausbaus. Südtirol erlebt in vielerlei Hin- nauigkeit und der Umfang dieser An-
sicht einen rasanten Aufschwung und schläge lassen bereits erahnen, dass gut
trotzdem ist der Frieden im Lande nie so organisierte Kräfte die Hände mit im Spiel
perfekt wie er eigentlich sein sollte. Seit haben.
1969 ereignen sich in Südtirol fast 50 Parallel dazu entwickelt sich im Lan-
Sprengstoffanschläge und Feuerüberfälle. de eine Selbstbestimmungsbewegung,
Es beginnt damit, dass Mitte der 70er die mit friedlichen und legalen Mitteln
Jahre, nachdem die Paketverhandlungen ihr Ziel erreichen will. Der Südtiroler Hei-
ins Stocken geraten sind und eher ein matbund – zuerst nur die Vereinigung
Rückschritt als ein Fortschritt in Sachen der ehemaligen politischen Häftlinge –
Autonomie zu verzeichnen ist, einige tritt offen in die Tagespolitik ein und
Südtiroler wieder dazu übergehen, de- wirbt für sein Ziel: die Selbstbestimmung.
monstrative Anschläge gegen faschisti- Auch andere Organisationen und Ver-
sche Denkmäler durchzuführen. bände widmen sich der entstandenen
Bei einem missglückten Anschlag auf Selbstbestimmungsdiskussion. Aufmerk-
das Siegesdenkmal in Bozen, am 6. April same Beobachter warnen bereits zu Be-
1979, wird der aus Göflan stammende ginn dieser Entwicklung vor undurchsich-
Erwin Astfäller verhaftet und im Laufe tigen Personen, die plötzlich in volks-
der Ermittlungen auch sein Bruder An- tumspolitschen Kreisen auftreten und
dreas und sein Vater Oswald. Im selben ihre Dienste und Hilfe anbieten.
331
Jahr kommt es dann zu weiteren An- In den 80er Jahren spitzt sich die Lage
schlägen, bei denen fast abwechselnd weiter zu und es kommt immer zu neu-
«deutsche» und «italienische» Objekte en Anschlägen. Die Bevölkerung verur-
gesprengt werden. teilt diese Anschläge und auch die volks-
tumspolitischen Organisationen und Ver- Deutschland scheint schnell hergestellt.
bände schließen sich ihr an. Unterlassen wird dabei immer, auf
Im Mai 1984 explodiert in Lana eine gewisse sich wiederholende Merkwürdig-
Werkstadt. Bei der Explosion finden keiten hinzuweisen oder diesen gar zu
Walter Gruber – Schützenhauptmann aus folgen. Die Täter werden immer dort ge-
Lana – und Peter Paris – Bataillonskoman- sucht, wo man sie haben will. Die Hin-
dant aus Ulten – den Tod. Was ist ge- weise aus Verwicklung der italienischen
schehen? Bis heute gibt es darüber nur Geheimdienste in dieser Strategie der
Gerüchte. Dabei taucht aber immer wie- Spannung werden ignoriert oder als Hirn-
der ein und dasselbe Gerücht auf: der gespinste hingestellt.
italienische Geheimdienst hat die volks- Als schließlich bekannt wird, dass hin-
tumspolitische Szene infiltriert und so ver- ter den Anschlägen der Terrorgruppe
sucht die größer werdende Selbstbestim- «Ein Tirol» vorwiegend vorbestrafte Ge-
mungsbewegung zu stören und zu zer- legenheitsverbrecher stecken, wird die
stören. Sache noch deutlicher. Jemand bedient
Verschiedene Journalisten decken sich dieser skrupellosen Elemente und
immer wieder brisante Tatsachen auf und eines der Wirklichkeit leider entfremde-
stellen deutliche Verbindungen zwischen ten, ehemaligen Südtiroler Freiheitskämp-
den Anschlägen und dunklen, Südtirol fers, Karl Ausserer, um einer sich immer
keinesfalls freundlich gesinnten Kräften wieder und – trotz allem – neu formie-
her. Das Land erlebt, vor allem vor renden friedlichen Selbstbestimmungsbe-
Wahlen, sich wiederholende Anschlag- wegung den Boden unter den Füßen
serien, Hausdurchsuchungen, Verhaftun- wegzureissen.
gen und Fehlgriffe der italienischen Ju- Ein Höhepunkt in dieser Entwicklung
stiz. stellt die von vielen als Verschleppung
Im Februar 1987 werden Dieter San- angesehene Verhaftung von Karola Un-
drini und Franz Frick verhaftet und ver- terkircher im August 1994 am Timmels-
schiedener Anschläge beschuldigt. In ei- joch dar. Karola Unterkircher wird vor
nem fragwürdigen Indizienprozess wer- Gericht gestellt und wegen verschiedener
den sie verurteilt. Vor allem für die natio- Delikte verurteilt. Trotz ihres angeschla-
nalistisch eingefärbte Presse sind die Be- genen Gesundheitszustandes und Gna-
332
schuldigten willkommene Prügelknaben, dengesuch der Heimatgemeinde Terfens
denn die Verbindungen zu volkstumspo- in Tirol mit ungefähr 1000 Unterschrif-
litischen Kreisen und sogar zu ehemali- ten und der persönlichen Unterstützung
gen Freiheitskämpfern in Österreich und von Landeshauptmann Wendelin Wein-
gartner und Luis Durnwaldner sitzt sie nur eine logische Antwort: die italieni-
immer noch im Frauengefängnis von schen Geheimdienste haben im direkten
Opera bei Mailand ein. oder indirekten Auftrag immer wieder
Fast grotesk erscheint die Tatsache, verhindert, dass sich in Südtirol eine fried-
dass in Italien selbst in den letzten Jah- liche Selbstbestimmungsbewegung frei
ren verschiedene Umtriebe der verschie- entwickeln konnte. Diese Entwicklung
denen staatlichen Geheimdienste festge- konnte nur durch illegale, dunkle Me-
stellt und aufgedeckt werden. Zahlreiche thoden verhindert werden. Und dies ist
Verantwortliche werden zur Rechenschaft sicher kein Ruhmesblatt für die italieni-
333
gezogen oder wenigsten bekannt ge- sche Demokratie.
geben. Erwähnenswert erscheint an dieser
Nur in Südtirol wird diese Tatsache Stelle auch ein Beispiel, wie sich die ita-
nicht anerkannt. Warum? Es gibt dazu lienische Justiz selbst in den Jahren der
«Entspannung» oft zu unverständlichen ner Micheli, Sepp Michaeler, Alfred Ober-
und dreisten Vorgehen hinreissen ließ. hofer, Sepp Huber, Andreas Oberleiter,
Am 4. November 1986 demonstrier- Rudi Lang, Paul Pichler und Luis Reiterer,
ten in Wien 16 Südtiroler aus verschie- da er das Memorandum verfaßt hatte,
denen politischen Gruppierungen im zuerst verhaftet, dann unter Hausarrest
Rahmen der dort stattfindenden KSZE– gestellt und unter Berufung eines aus der
Konferenz friedlich für die Anwendung Zeit des Faschismus stammenden Geset-
des Selbstbestimmungsrechtes in Südti- zes wegen «... staatsfeindlicher Tätigkeit
rol. Ein Jahr später, am 3. August 1987, im Ausland…» unter Anklage gestellt.
wurden alle Teilnehmer an der Demonst- Das Vorgehen der italienischen Justiz
ration in Wien, Eva Klotz, Pius Leitner, wurde überall mit Bestürzung und Pro-
Eduard Stoll, Hans Mair, Hans Stieler, test aufgenommen, man sah sich in die
Stefan Gutweniger, Christian Waldner, dunkelste Zeit der jüngeren Südtiroler
Reinhard Geiser, Alois Oberhammer, Wer- Geschichte versetzt.

334
335
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337
DAS BUCH UND DIE WAHRHEIT DES PROF. ROLF STEININGER

Es sind Zeichen der Zeit, wenn man tatsch im Oktober 1999 gemacht hat,
immer wieder feststellen kann, dass es denn gelesen haben dieses umfangrei-
Menschen gibt, die glauben, nur ihre che und teure Werk nur wenige. Steinin-
Meinung sei die richtige. Sie verfallen ger behauptet nämlich erstens, dass die
dem Irrtum, niemand könne ihren Wis- Anschläge der sechziger Jahre kontrapro-
sensstand erreichen. Oft verkennen sie duktiv waren und zweitens, dass alles,
den Wert der Erfahrung und des selbst was nach der Feuernacht geschehen ist,
Erlebten. Genau so überschätzen sie die kriminell war und von Terroristen durch-
Wichtigkeit von Archiven und Dokumen- geführt wurde.
ten, können diese doch auch oft falsch Er versucht, die Gruppe um Kersch-
interpretiert werden, gefälscht sein usw. baumer als Idealisten und die Braven hin-
Aus Archiven kann man Informationen zustellen und die späteren Freiheitskämp-
herausholen, aber man kann darin ge- fer als die bösen Buben, eben als Terro-
nauso Informationen verschwinden las- risten.
sen. Bevor ich auf seine Aussagen antwor-
In seinem umfangreichen Werk hat te, komme ich nicht umhin, zuerst auf
Prof. Steininger aus Westfalen – Dozent die Person Steiningers einzugehen. Er ist
an der Universität Innsbruck – Behaup- Westfale, lebt erst seit 16 Jahren in Inns-
tungen aufgestellt, die nicht unwider- bruck, versteht unsere Tiroler Mentalität
sprochen bleiben dürfen. nicht und hat die Ereignisse und Repres-
Sepp Mitterhofer sieht sich im Na- salien der Italiener uns Südtirolern ge-
men seiner Mitstreiter und der selbst genüber nicht miterlebt. Er beurteilt die
erlebten Geschichte verpflichtet, einige Ereignisse von damals rein von den Do-
dieser Aussagen zu widerlegen. kumenten und Protokollen her und da
entsteht unweigerlich oft ein einseitiges
«Das Buch «Südtirol zwischen Diplo- Bild und führt oft zu falschen Schlüssen.
matie und Terror» von Prof. Rolf Steinin- Außerdem habe ich aufgrund meiner Re-
339
ger hat in Südtirol für beachtlichen Wir- cherchen den Eindruck gewonnen, dass
bel gesorgt. Genau genommen eigent- Steininger so von sich eingenommen ist,
lich zwei Aussagen von Steininger, wel- dass er keine andere Meinung gelten
che er bei der Podiumsdiskussion in Kur- lässt.
Ein gravierender Fehler eines Histori- (SVP) in Meran erklärt hat, dass die An-
kers ist sicher auch, dass er kaum Zeit- schläge wesentlich dazu beigetragen
zeugen befragt hat. Meines Wissens hat haben, dass das zweite Autonomiestatut
er außer Pepi Fontana, den er nicht be- zustande gekommen ist. Landeshaupt-
fragt hat, sondern nur seine Meinung mann Durnwalder hat im November
aufdrängen wollte, nur Siegfried Steger, 1996 bei einer Einladung der politischen
einen der Pusterer Buabn, kontaktiert. Häftlinge auf Schloß Tirol erklärt, dass
Dieser hat mir erzählt, dass sie am Tele- durch unseren Einsatz in den 60er Jah-
fon eine viertel Stunde lang gestritten ha- ren die heutige Autonomie zustande ge-
ben. Er ist ihn auf so arrogante Weise kommen ist.
angefahren, dass er ihn zutiefst beleidigt Landeshauptmann Wendelin Wein-
hat und damit war eine weitere Ausspra- gartner hat im Juni 1997 beim zweiten
che unmöglich. Kameradschaftstreffen in Innsbruck ge-
In Kurtatsch bei der Podiumsdiskussi- sagt, dass Südtirol den hier anwesenden
on habe ich, immer auf seine Aussage Freiheitskämpfern die heutige Autonomie
hin, dass die Anschläge kontraproduktiv und den Wohlstand zu verdanken hat.
waren, gesagt, dass Altlandeshauptmann Darauf hatte Prof. Steininger die Frech-
Magnago schon 1976 bei der Landesver- heit, zu antworten: «Magnago, Durnwal-
sammlung der Südtiroler Volkspartei der und Weingartner verstehen nichts

Die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion in Kurtatsch. Diskussionsleiterin, Vetreter der JG, Dr. Karl Zeller,
Dr. Josef Fontana, Botschafter a.D. Ludwig Steiner, Prof. Rolf Steininger, Dr. Joachim Dalsass, Franz Widmann,
Günther Pallaver ein weiterer Vertreter der JG, sprachen sich einstimmig dagegen aus, dass die Anschläge
der 60er Jahre kontraproduktiv waren.

340
von der Tiroler Geschichte.» Einschrän- somit konnte dieser auch nicht verstei-
kend sagte er dann, bei Magnago ist er gert werden. Als Innerhofer bei der Po-
sich nicht ganz sicher. diumsdiskussion in Schlanders anfangs
Ich bin der Meinung, dass dieser Dezember 1999 Prof. Steininger auf die-
Mann nicht die richtigen Eigenschaften sen Fehler aufmerksam machte, antwor-
besitzt, um über ein so heikles Kapitel in tete dieser lapidar: «So was kann schon
Südtirol ein Buch zu schreiben oder nicht mal vorkommen, dafür wird schon das
in der Lage ist, bestimmte Ereignisse übrige alles stimmen.»
objektiv zu beurteilen. Das Buch ist übri- Einem fähigen Historiker darf so et-
gens voller Fehler hier nur einige Beispie- was nicht passieren, das ist ein Zeichen
le, es ist ein Zeichen, dass Steininger von Oberflächlichkeit. Ich habe mit meh-
oberflächlich recherchiert hat; z. B. steht reren Persönlichkeiten über dieses Buch
im Band 2 auf Seite 502, dass Jörg gesprochen, darunter auch Landeshaupt-
Pircher Schützenmajor von Burgstall (ein mann Weingartner. Sie haben überein-
Dorf in der Nähe Merans) war. In Wirk- stimmend erklärt, dass sie das Werk als
lichkeit war er damals Bezirksmajor vom oberflächlich empfinden. Es ist zwar ein
Burggrafenamt. Weiters steht auf dersel- umfangreiches Werk, das sicher viel Ar-
ben Seite, dass er 1960 Stellvertreter des beit und Mühe gekostet hat, aber des-
Schützenkommandanten von Südtirol halb darf es nicht an Genauigkeit fehlen.
war. Diese Funktion hat er erst viel spä- Über Bischof Gargitter hat Steininger
ter, nach der Heimkehr aus dem Gefäng- wenig Lobenswertes geschrieben, u. a.
nis, anfangs der 70er Jahre, bekleidet. dass ihn die Südtiroler als «walschen
Dem geflüchteten Siegfried Steger Seppl» bezeichnet haben. Der ehemalige
hat Steininger (Band 3, Seite 592) in Generalvikar Josef Michaeler hat dann
Nordtirol einen Autounfall mit nachfol- am 21. Oktober 1999 in den Dolomiten
gendem Führerscheinentzug angelastet, einen Artikel veröffentlicht und den Bi-
der nie stattgefunden hat. Im Band 3 auf schof verteidigt. Er schreibt, dass Gargit-
Seite 177 schreibt Steininger, dass 1969 ter den Weg der Diplomatie gegangen
kurz nach Genehmigung des Pakets auf sei, er habe den italienischen Staat we-
der Landesversammlung der SVP dem gen der verweigerten Rechte und der Fol-
Meraner Josef Innerhofer sämtlicher terungen an Südtiroler Häftlingen oft kri-
341
Grundbesitz zur Tilgung von Prozessko- tisiert und habe versucht, Bischof für alle
sten versteigert wurde. Innerhofer ist drei Volksgruppen zu sein.
nicht Meraner, sondern aus Schenna, Michaeler kritisiert dann Steininger,
hatte damals keinen Grundbesitz und weil er wenig Positives über Gargitter ge-
schrieben hat, obwohl es für ihn nicht barsch: «Wenn ein Bischof in der Öffent-
schwer gewesen wäre, sich darüber zu lichkeit einmal etwas gesagt hat, kann er
erkundigen, wenn ihm an einem objek- es nicht mehr zurücknehmen(!!)»
tiven Urteil gelegen gewesen wäre. Mit Anton Gostner, der an den Fol-
Wir politischen Häftlinge und das gen der Folterungen im Gefängnis ge-
möchte ich mit aller Klarheit betonen, storben ist, hat Gargitter dieselbe Schule
genossen bei Bischof Gargitter nicht viel besucht, ja sogar dieselbe Schulbank
Sympathien. Im Hirtenbrief von August gedrückt. Er hat mir das selbst erzählt,
1961 bezeichnete er uns als Handlanger wir waren nämlich in derselben Zelle, er
des Kommunismus, obwohl wir alle reli- ist praktisch in meinen Armen gestorben.
giöse Menschen waren. Das hat uns tief Bei der Beerdigung von Gostner 1962 in
getroffen und sehr verärgert, besonders St. Andrä bei Brixen, hat sich aber sein
Kerschbaumer. Als ein Häftling (der nicht ehemaliger Schulkamerad Bischof Gargit-
genannt werden will) nach seiner Heim- ter nicht blicken lassen.
kehr aus dem Gefängnis Gargitter dies- Einem, durch ein Attentat getöteten
bezüglich zur Rede stellte, antwortete er Finanzer aber, hat er seine letzte Ehre

Der damalige Bischof Gargitter


besucht einen italienischen
Finanzsoldaten, der während
seines Dienstes in Südtirol
verwundet wurde. Zweifelsohne
war das Verhalten
des Bischofs parteiisch
und eindeutig staatstreu.
Während er immer wieder
italienische Politiker empfing,
empfand er kein Verständnis für
die Anliegen der Aktivisten und
ihrer Angehörigen.
Von dieser Zeit rührt der in der
Bevölkerung weit verbreitete
Übername des Bischofs
«Walscher Sepp».

342
durch einen Besuch erwiesen, ebenso einige Dutzend Idealisten, welche ihnen
einem verwundeten Soldaten im Brunek- schwer zu schaffen machten, zu jagen.
ker Krankenhaus. Die Feuernacht und die folgenden An-
Ein Beispiel von mehreren, das aus schläge haben außerdem dem chronisch
der Sicht der Häftlinge nicht darauf schwer verschuldeten italienischen Staat
schließen lässt, dass Bischof Gargitter alle auch einen enormen Schaden zugefügt.
drei Volksgruppen in Südtirol gleich be- Steininger ist diesbezüglich anderer
handelte! Ansicht. Im Band 2 Seite 560 steht unter
Nun aber zur Aussage Steiningers, anderem, dass der italienische Außenmi-
dass die Anschläge kontraproduktiv wa- nister Segni bei der Konferenz in Zürich
ren. Er behauptet, dass Italien nicht vor 1961 seinem österreichischen Amtskolle-
den Bomben Angst hatte, sondern vor gen Kreisky deutlich gesagt hat: «Mit
der Internationalisierung des Südtirol-Pro- Gewalt werde gar nichts erreicht!» Wei-
blems. ters schreibt er dort, dass Scelba trotz
Dass die Feuernacht und die nachfol- des Widerstands einiger Regierungsmit-
genden Anschläge, trotz der vielen Ver- glieder die 19er Kommission durchge-
haftungen in Südtirol, die italienischen setzt hatte. Also nicht wegen der Feu-
Politiker gleichgültig gelassen haben, ernacht, sondern trotz der Feuernacht.
scheint mir nicht der Fall gewesen zu Ja glaubt denn Steininger wirklich, ein
sein. Im Band 2 Seite 555 schreibt italienischer Politiker hätte damals öffent-
Steininger, «dass beim Treffen der SVP- lich zugegeben, dass sie unter dem Druck
Parlamentarier Tinzl und Mitterdorfer mit der Anschläge die 19er Kommission ein-
Scelba, dieser seine Verbitterung zum gesetzt hätten? Da kennt er sie wirklich
Ausdruck gebracht hat, dass die Anschlä- schlecht, ist ja auch kein Wunder, er hat
ge weiter gingen und die Polizei wegen mit ihnen wohl nie etwas zu tun gehabt.
ihres Vorgehens in Südtirol angegriffen Deswegen stimmt eine allein aufgrund
wurde.» Außerdem kostete der Freiheits- von Dokumenten basierende Beurteilung
kampf der Südtiroler den italienischen auch nicht immer und dann ist es oft
Staat eine Unmenge Geld. Bald nach der noch eine Auslegungssache; z. B. im
Feuernacht schickte der Staat 15.000 Sol- Band 2 Seite 559 steht Folgendes:
daten, Carabinieri und Polizisten nach In der Eröffnungsrede der 19er Kom-
343
Südtirol, um öffentliche Einrichtungen mission, am 1. September 1961, in Bo-
wie Kasernen, Denkmäler, Elektrizitäts- zen, hat Innenminister Scelba Formulie-
werke, Brücken u. a. zu bewachen. Spä- rungen gebraucht, in der der Journalist
ter kamen noch einige tausend dazu, um Klaus Gatterer das Recht der Südtiroler
auf Unterstützung durch Österreich her- stellungen gelöst werden muss. Es war
ausgehört hat und deshalb eher positiv diese Propaganda, die uns größer ge-
bewertet hat. Steininger hingegen hat macht hat und die uns mehr Mut gege-
eher das Gegenteil aus dieser Rede her- ben hat, auf dem Weg der vollen Auto-
ausgelesen und dementsprechend bewer- nomie für die Provinz Bozen weiterzuge-
tet. So kann man Dokumente eben ver- hen.»
schieden auslegen, je nach dem, aus wel- Aus diesem Beispiel ersieht man, wie
chem Blickwinkel man sie betrachtet. Politiker je nach Bedarf inhaltlich oft ver-
Dazu kommt noch die Tatsache, dass schiedene Aussagen machen. Der India-
Politiker inhaltlich verschiedene Aussagen ner würde sagen: der weiße Mann
machen, je nach dem, in welcher Situa- spricht mit gespaltener Zunge. Kreisky z.
tion und vor welchem Publikum sie sich B. hat die Attentate öffentlich auch im-
befinden, z. B. steht im Band 2 Seite 553, mer verurteilt und von Terrorismus ge-
dass am 27. Juli 1961 Magnago in Zü- sprochen. Aus dem Amplatz-Testament
rich bei einem privaten Gespräch zu Krei- wissen wir aber, dass Kreisky den An-
sky gesagt hat, dass die Anschläge Süd- schlägen wohlwollend gegenüberstand.
tirol wirtschaftlich und politisch schwer Zu Kerschbaumer hat er bezüglich der
geschadet hätten. Die Verurteilungen der Anschläge einen weisen Satz gesagt,
Attentate durch die SVP hätte die Atten- nämlich: «Ich sage nicht tut’s etwas, ich
täter moralisch isoliert, dies hätte auch sage auch nicht tut’s nix, ihr wißt schon
die italienische Regierung anerkannt. Im selber was ihr zu tun habt.» Dies aus
Band 2 Seite 595 hingegen steht Folgen- mündlicher Überlieferung von Kerschbau-
des: mer.
Im Oktober 1961 hat Magnago in Magnago hat ja auch von den An-
Sarnthein bei einer Versammlung gesagt: schlägen profitiert, trotzdem hat er sie
«Ich erinnere euch noch einmal daran, öffentlich immer verurteilt. Es leben heu-
dass wir die Attentate nicht gutheißen, te noch Zeugen, die dies bestätigen kön-
aber ich bitte euch, jene nicht zu verges- nen, leider haben sie nicht den Mut dazu,
sen, die sie durchgeführt haben und die weil sie vor der mächtigen SVP Angst
heute im Gefängnis sitzen. Nichtsdesto- haben.
weniger möchte ich erklären, dass ihr Zur Aussage Steiningers, dass Italien
344
Opfer nicht umsonst gewesen ist, dass vor der Internationalisierung des Südti-
die ganze Welt durch die Presse erfahren rol-Problems Angst hatte, ist Folgendes
hat, dass es in Südtirol wirklich ein Pro- zu sagen: Nach der Feuernacht wurde in
blem gibt, das entsprechend unserer Vor- ganz Europa über Südtirol berichtet, al-
lerdings nicht immer positiv. Aber jeder natürlich in ganz Europa darüber ge-
vernünftige Bürger versteht, dass Gewalt- schrieben worden. Sogar in Italien selbst
akte nicht aus Zeitvertreib oder Aben- hat das viel zu einem Umdenken in die-
teuerlust durchgeführt werden, sondern, ser Angelegenheit beigetragen.
dass im Verhältnis vom Staat zur ange- Damit haben die Anschläge einen
stammten Bevölkerung etwas nicht wesentlichen Beitrag zur Internationali-
stimmt. Gewaltakte in diesem Ausmaß sierung des Südtirol-Problems geleistet
sind immer ein Aufschrei, ein Hilferuf der und damit Druck auf die italienische
unterdrückten Bevölkerung. Regierung ausgeübt, um in dieser Sache
Als dann nach der Massenverhaftung einzulenken.
die Folterungen bekannt wurden, hat Prof. Steininger schreibt selbst, um
wieder die ganze Presse in Europa dar- ein endgültiges Urteil über die Wirkung
über berichtet und die Sympathie hat sich der Attentate abgeben zu können, müs-
zugunsten der Südtiroler gewendet und sten noch die letzten Archive in Rom frei-
Italien wurde angeklagt. Als dann im gegeben werden. Also ist er sich über
August 1963 der Prozess gegen die Fol- seine Beurteilung in dieser Angelegen-
terknechte in Trient über die Bühne ging, heit doch nicht so sicher, wie er vorgibt.
die meisten Angeklagten freigesprochen Bei der Podiumsdiskussion in Kur-
wurden und einige Tage später dann vom tatsch im Oktober 1999 und auch später
Carabinierigeneral De Lorenzo ausge- in den Dolomiten hat Steininger folgen-
zeichnet und befördert wurden, hat die de Aussage gemacht: Das Lob für die
internationale Presse wieder empört dar- Häftlinge von Magnago, Durnwalder und
über berichtet. Weingartner, dass die Anschläge den
Der erste große Mailänder Spreng- Weg für die heutige Autonomie geebnet
stoffprozess mit 69 inhaftierten Ange- haben, hat auch viel mit schlechtem Ge-
klagten, hat vom 09. Dezember 1963 bis wissen zu tun. Vielleicht hat Steininger
zum 15. Juli 1964 gedauert. In dieser mit dieser Aussage gar nicht so unrecht,
Zeit war viel nationale und internationale wenn man bedenkt, dass uns Häftlinge
Presse im Gerichtssaal anwesend. Bedingt Magnago schon 1963 die politischen
durch die Aussagen vieler Zeugen, dar- Idioten genannt hat. Später hat er uns
unter auch namhafte Politiker wie Ma- Heimatbündler, weil wir das Selbst-
345
gnago, Brugger, Dietl, Volgger, Erich bestimmungsrecht vertreten haben, ve-
Amonn u. a. und durch die Plädoyers hement bekämpft und die Utopisten,
der Rechtsanwälte, ist das Südtirol-Pro- Hirngespinstler, Spinner, politische Grün-
blem in allen Einzelheiten aufgezeigt und linge usw. genannt. Bei jeder nur mögli-
chen Gelegenheit hat die SVP die An- sche Regierungen uns jahrzehntelang um
schläge verurteilt und nur selten die unsere Rechte betrogen und vorher re-
Begründung mitgeliefert, warum diese gelrecht tyrannisiert haben, dann ist das
Aktionen stattfanden und das war unse- ein Zeichen von starkem Identitätsverlust.
rer Meinung (politische Häftlinge) nach Dieselbe Partei hat heuer (1999) das hart
ein gravierender Fehler. Sie hätten dar- erkämpfte zweite Autonomiestatut einer
aus viel politisches Kapital schlagen kön- italienischen Mehrheit im Regionalrat zur
nen, aber es fehlte ihnen augenschein- Reform preisgegeben, mit dem großen
lich der Mut dazu. Risiko, dass im italienischen Parlament
Durnwalder hat allen Grund, unse- oder im Senat lebenswichtige Abstriche
ren Einsatz von damals hervorzuheben vom Statut gemacht werden. Und das
und zu danken. Er profitiert am meisten alles nur, um die eigene Machtposition
von den Anschlägen und der damit ver- in Südtirol auszubauen und zu stärken.
bundenen heutigen Autonomie. Er kann Das ist nicht mehr Volksvertretung, son-
die Milliarden verteilen und kann sich da- dern Vertretung von Parteiinteressen.
durch die Stimmen sichern und damit Weiters will die SVP auf Vorschlag von
seine Macht und die der SVP ausbauen. Durnwalder rund 500 faschistische Orts-
Um die Loyalität der Südtiroler zu er- namen, welche Tolomei erfunden oder
halten, schickt Rom die vielen Milliarden übersetzt hat, anerkennen. Das ist Ver-
nach Südtirol und die SVP läßt sich dazu gewaltigung des höchsten Kulturgutes
als verlängerter Arm missbrauchen. eines Volkes! Kürzlich hat Durnwalder
Schlimmer aber ist, dass Durnwalder vorgeschlagen, eigene Ehrenzeichen in
und mit ihm die SVP heute eine Volks- Südtirol einführen zu wollen. Das ist
tumspolitik in Südtirol betreiben, die das neben der Universität in Bozen und dem
Gegenteil von dem bewirkt, für das wir Flugplatz ein weiteres Zeichen, dass die
damals den Kopf hingehalten haben. SVP die Trennung der beiden Landesteile
Nämlich für die Selbstbestimmung und anerkennen und festigen will.
die Wiedervereinigung Tirols, zu dessen Wenn man die Dinge aus dieser Sicht
Zweck die SVP eigentlich gegründet betrachtet, dürfte das späte Lob von Ma-
wurde, um letztendlich das Land vor der gnago und Durnwalder tatsächlich etwas
Überfremdung und Italienisierung zu ret- mit schlechtem Gewissen zu tun haben!
346
ten. Nun aber zur zweiten Aussage von
Wenn eine deutsche Partei (SVP) her- Steininger, nämlich, dass alles, was nach
geht und den Willen äußert, Italiener in der Feuernacht passierte, kriminell war
ihre Reihen aufzunehmen, deren italieni- und von Terroristen ausgeführt wurde.
Zunächst muss ich anführen, dass dass auch welche nachkamen und wei-
auch nach der Feuernacht mehrere Süd- terkämpften. Italien sollte einfach erken-
tiroler Gruppen im Sinne Kerschbaumers nen, dass unsere Geduld am Ende war
gehandelt haben, z. B. Luis Amplatz und und sie mit uns Tirolern nicht jahrzehn-
Georg Klotz, die Gruppe um Prof. Gün- telang tun und lassen konnten, was sie
ther Andergassen, die Gruppe um Rosa wollten. Es war uns selbstverständlich
Klotz, um Franz Ebner aus Mühlen, dann bewusst, dass wir gegen das Gesetz ver-
die legendären Pusterer Buaben um Sieg- stoßen haben, aber in Südtirol herrschte
fried Steger und Sepp Forer und Ende damals der volkstumspolititsche und so-
der 70er Jahre die Familie Astfäller aus ziale Notstand und es brauchte einfach
Göflan, die durch ihren späten Einsatz Männer, die bereit waren, Familie, Frei-
meist vergessen wird. heit und das Leben für diese unsere be-
Alle haben sie aus Liebe zur Heimat, drohte Heimat aufs Spiel zu setzen.
welche damals volkstumspolitisch und Dass ein Freiheitskampf kein Honig-
sozial wirklich schwer bedroht war, ge- schlecken ist, dürfte wohl bekannt sein.
handelt und ihr Leben und die Freiheit Und, dass bei einem solchen Kampf die
dafür aufs Spiel gesetzt, z. B. der wohl Spirale der Gewalt gegenseitig hochge-
bekannteste und aktivste Freiheitskämp- dreht wird, ist zwar bedauerlich, aber
fer aus Innsbruck, Kurt Welser, der als leider eine Tatsache. Sogar Sepp Kersch-
Verbindungsmann fungierte und uns baumer hat im Gefängnis erkannt, dass
unter ständiger Lebensgefahr mit Spreng- seine These, nur Sachschaden anzurich-
stoff und Waffen versorgte. Dann die ten, in einem Freiheitskampf auf die
vielen Studenten von der Uni in Inns- Dauer nicht haltbar ist.
bruck, welche freiwillig mit dem gleichen Die Tragik liegt meines Erachtens
Risiko nach Südtirol gefahren sind, um ganz wo anders, nämlich, dass es in ei-
uns zu helfen. Dass beim einen und nem demokratischen Staat überhaupt
anderen oder deren Auftraggebern im soweit kommen muss, damit man sich
Hinterkopf noch ein anderer Grund mit- Gehör verschaffen kann. Sepp Kersch-
gespielt hat, mag sein, aber für uns war baumer hatte bei seinem Verhör in Mai-
einfach die Tatsache wichtig, dass die land den Mut, den italienischen Staat
Anschläge weitergingen. Wir, die wir anzuklagen; er sagte: «Wenn uns Italien
347
untätig im Gefängnis sitzen mussten, die verbrieften Rechte gegeben hätte, die
hatten jedesmal eine Freude, wenn es uns zustehen, dann wäre die ganze Tra-
krachte. Der italienische Staat sollte se- gödie nicht passiert und wir wären da-
hen, dass sie nicht alle verhaftet hatten, heim bei unseren Familien.»
Auf der ganzen Welt gab es damals Buaben in die Schuhe geschoben. Sie be-
und gibt es heute noch Unruheherde und kamen dafür lebenslänglich. Recherchen
Gewalt wird überall dort angewendet, haben ergeben, dass diesem Vorfall ein
wo ein Volk oder eine Volksgruppe un- Streit zwischen Kameraden vorausgegan-
terdrückt und ausgebeutet wird. Es bleibt gen ist und der eine den anderen er-
leider oft nur mehr der Weg der Gewalt schossen hat. Im Gsieser Talbuch ist dies
übrig, weil die jeweiligen Regierungen genau beschrieben, würde dies nicht der
nicht imstande sind oder meistens gar Wahrheit entsprechen, so wäre der Ver-
nicht willens sind, die unterdrückten fasser schon längst wegen Verleumdung
Völker und Volksgruppen menschen- angeklagt worden.
rechtswürdig zu behandeln. Wer ist dann Auf der Steinalm hat 1966 auch eine
hier letztendlich der Verbrecher und Ter- Explosion stattgefunden, bei der drei Fi-
rorist? Die Antwort überlasse ich dem nanzer umgekommen sind. Verantwort-
Leser selbst. lich gemacht worden sind Jörg Klotz,
Ich bin der Auffassung, dass Prof. Richard Kofler u.a., obwohl sie die Stein-
Steininger kein Recht hat, alle Gruppen, alm nie betreten hatten. Heute weiß
welche nach der Feuernacht operiert man, dass es ein Sabotageakt war, wie
haben, als Kriminelle hinzustellen. Er die Presse schon damals gemunkelt hat.
weiß selbst genau, dass der italienische Der berühmteste Fall war sicher der
Geheimdienst in den 60er Jahren brutale Meuchelmord von Christian Kerbler an
Anschläge verübt hat, um den Freiheits- Luis Amplatz und dem schwer verwun-
kampf ins schlechte Licht zu bringen, deten Georg Klotz. Oder die Repressali-
damit wir den Rückhalt in der Bevölke- en in Tesselberg, wo die Carabinieri in
rung verlieren würden. Auf der Porze- die Häuser hineingeschossen, ein behin-
scharte sind 1967 durch einen Anschlag dertes Mädchen trafen und stundenlang
vier Finanzer ums Leben gekommen. In in ihrem Blute liegen ließen, Einrichtun-
Italien wurden deswegen Prof. Hartung, gen zerschlugen, Wertgegenstände mit-
Peter Kienesberger und Egon Kufner zu nahmen, Schupfen anzündeten, Frauen,
lebenslanger Haft verurteilt. In Österreich Kinder und Männer auf einer Wiese zu-
sind dieselben Personen wegen demsel- sammentrieben und die Männer dann
ben Delikt freigesprochen worden, weil zwangen, mit den Händen auf dem Rük-
348
sie nachweisen konnten, dass sie sich zur ken und auf dem Bauch liegend, stun-
Tatzeit nicht am Tatort aufgehalten ha- denlang auszuharren und schließlich die-
ben. In St. Martin in Gsies wurde ein se wie eine Herde Vieh zu Tal getrieben
Finanzer erschossen und den Pusterer haben.
Erst vor einigen Jahren ist aufgekom- sen machen und sich hineinfühlen. Wer
men, dass 15 unschuldige Tesselberger will oder darf sich da wohl das Recht
hätten erschossen werden sollen. Nur herausnehmen, diese Menschen zu ver-
dem mutigen Offizier Oberstleutnant urteilen? Ich zitiere hier nur ein Bibelwort,
Giudici ist es zu verdanken, dass sie noch das mir als Antwort gerechtfertigt er-
leben, weil dieser den Befehl verweigert scheint: «Wer von euch ohne Sünde ist,
hat. Das sind nur einige der schwerwie- der werfe den ersten Stein auf sie!» Auf
genden Vorfälle, die aufgekommen sind, keinen Fall scheint mir jedenfalls Steinin-
welche aber sicher dazu beigetragen ger der richtige Mann dafür zu sein!
haben, dass sich die Gangart der Frei- Im Band 2 Seite 560 schreibt Steinin-
heitskämpfer verschärft hat. Oder ganz ger, dass Friedl Volgger in seinen Erinne-
am Anfang bei der Verhaftungswelle die rungen Folgendes geschrieben hat:
schweren Misshandlungen an wehrlosen «Sepp Kerschbaumer, der 1964 im Ge-
Menschen mit zwei Todesfolgen, dann fängnis starb und seine Kameraden, ha-
Sepp Locher und Hubert Sprenger, wel- ben einen wesentlichen Beitrag zur Errei-
che am 19. Juni ohne jegliche Vorwar- chung einer neuen Autonomie geleistet.»
nung erschossen worden sind. Das sind Ähnlich äußerte sich noch im Juni 1997
nur die markantesten Beispiele, es gäbe Tirols Landeshauptmann Wendelin Wein-
noch genug ähnliche Fälle. Und das alles gartner. Zwei Fragen stellen sich in
angeordnet und durchgeführt von einem diesem Zusammenhang:
Staat, der uns ohnehin schon jahrzehn- 1.) Warum sind diese Stellungnahmen so
telang unserer Rechte beraubt hat. spät gekommen und
Ich frage noch einmal, wer hat hier 2.) treffen sie tatsächlich den Sachver-
die Verbrechen begangen? Eine Instituti- halt?
on, die für Ordnung und Frieden sorgen «Zum ersten ist zu sagen, dass die
sollte und vor der man normalerweise Attentate nach wie vor, insbesondere in
Respekt haben müsste oder jene, welche Nord- und Südtirol, ein besonderes sensi-
sich aus Verzweiflung gegen jahrzehnte- bles Thema sind. Das hängt zum einen
lange Unterdrückung und solche Greuel- mit der damaligen Haltung der offiziellen
taten zur Wehr gesetzt haben? Wer Politik gegenüber diesen Attentätern zu-
wundert sich da noch, dass die verblie- sammen und zum anderen mit dem Leid
349
benen Freiheitskämpfer auch zu härteren jener Leute. Sie sind misshandelt und ge-
Mitteln gegriffen haben. Nur wer dies foltert worden, sie saßen jahrelang im
alles miterlebt hat, kann sich ein richti- Gefängnis. Großartige Hilfe ist ihnen
ges Bild von den damaligen Verhältnis- nicht zuteil geworden. Politiker und Be-
völkerung lehnten ihre Aktionen zu- sen. Ja sie hatten nicht einmal den Mut
nächst ab; die Stimmung schlug erst um, und die Größe, uns im Gefängnis zu
als die Berichte über die Folterungen und besuchen, obwohl wir gerade nach den
Misshandlungen bekannt wurden. Aber Folterungen diese moralische Unterstüt-
auch dann kam von der Politik wenig zung notwendig gebraucht hätten. Le-
Hilfe. Insofern haben die späten Äuße- diglich Ing. Karl Voja hat uns nach dem
rungen auch viel mit schlechtem Gewis- Prozess in Trient öfters besucht. Einige
sen zu tun.» Soweit das Zitat von Steinin- Vertreter der SVP haben allerdings unse-
ger. re Familien eine zeitlang betreut und fi-
Dazu ist Folgendes zu sagen: Der nanziell unterstützt; das muss der Wahr-
Großteil der Bevölkerung lehnte zunächst heit halber gesagt werden.
die Anschläge ab, weil die wenigsten Nachdem das Allensbacher Institut im
wussten, wer sie durchgeführt hatte. Wir Auftrag von Fritz Molden (BAS Mitglied)
hatten die Untergrundorganisation BAS 1960 eine Umfrage in Südtirol gestartet
ja geheim aufgebaut und der Kreis, der hatte, mit dem Ergebnis, dass 82% der
davon wusste, war verhältnismäßig klein. Südtiroler die Rückkehr nach Österreich
Außerdem haben weder die Südtiroler befürworten und 26% den Freiheits-
noch die Italiener geglaubt, dass wir zu kampf unterstützen würden, hofften wir,
so etwas imstande wären, denn Anschlä- dass der Druck auf die SVP so groß
ge in so massiver Form hatte es in Süd- würde, dass sie auf unsere Forderung
tirol noch nie gegeben. Es kursierten die nach Selbstbestimmung einschwenken
wildesten Gerüchte und Spekulationen. würden. Das war leider ein Trugschluss.
Als dann die Verhaftungswelle zutage Einerseits war das Südtiroler Volk auf
brachte, wer die «Attentäter» waren, solch massive Anschläge nicht vorberei-
schlug die Stimmung um. Wir waren al- tet, also zuwenig eingebunden worden,
les gewöhnliche Bürger aus dem Volk was ja auch sehr schwierig gewesen wäre
heraus, arbeitsame Leute mit Familien und andererseits saß der Schock über die
und ohne Vorstrafen. Zusätzlich kamen große Verhaftungswelle und die Folterun-
dann noch die brutalen Misshandlungen, gen sehr tief. Sie hatten es mit der Angst
welche uns gegenüber die Sympathie der zu tun bekommen.
Bevölkerung noch erhöhte. Den Politikern dürfte es so ähnlich
350
«Aber auch dann kam von der Politik ergangen sein, allerdings hat bei den
wenig Hilfe.» Das stimmt tatsächlich. Die meisten auch der Wille zu so einem
Führung der Südtiroler Volkspartei (SVP) schwierigen Weg gefehlt. Sie sind den
hat uns damals politisch im Stich gelas- Weg des geringen Widerstandes gegan-
gen, den Weg der Autonomie. Man kann hen, waren unser Einsatz und die Opfer
uns heute den Vorwurf machen, dass wir unserer Familien umsonst. Schuld daran
damals beim Prozess in Mailand erklärt ist meines Erachtens einmal die große
haben, dass wir die Anschläge gemacht Verhaftungswelle; ca. zwei Drittel der
haben, um die Weltöffentlichkeit auf das aktiven BAS-Mitglieder wurden dadurch
Unrecht in Südtirol aufmerksam zu ma- zur Untätigkeit gezwungen und der
chen, aber für die Autonomie und nicht moralische Schaden für das restliche Drit-
für die Selbstbestimmung. Das war ein tel und die ganze Bevölkerung war
Vorschlag der Rechtsanwälte, sie sagten, enorm. Dann hatten die Politiker in Süd-
sonst werden wir laut Artikel 241 (An- tirol und Österreich bewusst oder un-
schlag auf die Einheit des Staates), der bewusst versagt und uns politisch im
lebenslänglich vorsah, verurteilt und das Stich gelassen, weil sie unsere Forderung
wäre für uns und unsere Familien eine nach Selbstbestimmung nicht mitgetra-
enorme Belastung gewesen. Es war für gen haben. Dann dürfte auch die schwie-
uns keine leichte Entscheidung. Eine Aus- rige nationale und internationale politi-
sprache unter uns Häftlingen hat dann sche Situation ihren Teil dazu beigetra-
ergeben, dass wir uns, um die Tragödie gen haben. Was herausgekommen ist, ist
nicht noch zu vergrößern, für die Auto- nur eine Teillösung, eine brauchbare
nomie entschieden hätten. Dafür beka- Übergangslösung.
men wir den Artikel 283 (Anschlag auf Wir politischen Häftlinge haben uns
die Verfassung) aufgebrummt, der uns schon 1969 bei der Abstimmung über
immerhin auch noch 5 Jahre und 4 das Paket im Meraner Kursaal dagegen
Monate einbrachte. ausgesprochen, weil wir der Meinung
Der verstorbene Senator Peter Brug- waren, dass halbe Lösungen immer ge-
ger hat 1980 zu uns gesagt: «Der Unter- fährlich sind. Der italienische Staat hat
schied zwischen euch Häftlingen und den nämlich längst erkannt, dass er mit Ge-
Vertretern der SVP ist der, ihr ward be- walt (Faschistenzeit) die Südtiroler nicht
reit, für die Heimat ins Gefängnis zu in die Knie zwingen kann, mit Milliarden
gehen, von denen aber ist kein einziger aber problemlos. Die Gefahr droht heute
auch nur einen Tag dazu bereit!» Unser weniger vom italienischen Staat, sondern
Ziel, für das wir uns in den 60er Jahren vielmehr von uns selbst. Wenn wir nicht
351
eingesetzt haben, war die Wiedervereini- mehr bereit sind, unsere Sprache, Orts-
gung Tirols, war das Freiwerden von der namen, Sitten und Bräuche tagtäglich zu
Fremdbesetzung durch Italien. Aus die- verteidigen, dann ist das ein untrügliches
ser Sicht, das müssen wir uns eingeste- Zeichen von Identitätsverlust. Wir haben
schon viele Gewohnheiten unserer politi- Wenn wir als Tiroler überleben wollen,
schen Gegner angenommen, wir merken müssen wir uns wieder mehr nach dem
das schon gar nicht mehr. Wenn z. B. Norden orientieren. Wir müssen unsere
eine rein deutsche Partei den Willen äu- Bindung zu unseren Brüdern nördlich des
ßert, Italiener in ihre Reihen aufzuneh- Brenners wieder besser ausbauen und
men, deren Regierungen uns jahrzehnte- stärken und nicht mit eigenen Infrastruk-
lang um unsere verbrieften Rechte be- turen, wie Universität, Flugplatz, eigenen
trogen haben, dann muss man wohl von Ehrenzeichen usw. die Trennung vertie-
fortschreitender Assimilierung sprechen. fen.
Von den ständig zunehmenden Misch- WIR MÜSSEN EINEN WEG FINDEN
ehen spricht kein Mensch mehr, das ist UND DIE SÜDTIROLER SOLLEN SELBER
schon Selbstverständlichkeit. Das nagt DARÜBER ENTSCHEIDEN KÖNNEN, DER
stark an der Tiroler Volkssubstanz und ist DIE DREI LANDESTEILE NORD-, OST- UND
ein untrügliches Zeichen, dass wir mitten SÜDTIROL AUF FREIDLICHEM WEG ZU
im Verelsässerungsprozess stehen. Nur EINER EUROPÄISCHEN REGION TIROL
will das niemand wahrhaben, weil es uns ZUSAMMENFÜHRT, DIE ES DANN AUCH
«zu gut» geht. Ein altes Sprichwort lau- UNSEREN NACHKOMMEN ERMÖGLICHT,
tet: «Kein Volk ist in der Armut zugrun- ALS TIROLER WEITERLEBEN ZU KÖN-
de gegangen, immer nur im Wohlstand.» NEN!

352
Die Südtiroler politischen Häftlinge desversammlung der SVP am 22. Novem-
haben sich gegen die Annahme des Pa- ber 1969 im Meraner Kursaal an der
ketes ausgesprochen. Eingangstür an die Delegierten verteilt
Dieses Schreiben mit dem klaren Nein worden und haben sicher zu dieser ho-
zum Paket und den 80 Unterschriften der hen prozentualen (48%) Ablehnung des
politischen Häftlinge, sind vor der Lan- Paketes mit beigetragen.

Lieber Landsmann!

Der 22. November dieses Jahres wird sicherlich als ein Meilenstein in die Geschichte
unseres Tiroler Volkes eingehen. Ob er als «Sternstunde» oder als schwärzester Tage
eingehen wird, liegt zum Großteil an der Entscheidung, die DU fällen wirst. Du sollst
ja über die Annahme oder Ablehnung des sogenannten Paketes entscheiden.

Wir ehemaligen Südtiroler politischen Häftlinge möchten Dich in diesem Rundschrei-


ben beschwören, zum Paket eine klares NEIN zu sagen.

Folgenden Überlegungen sollen Dir helfen, die noch bestehenden Zweifel zu besei-
tigen und Dir diese schwere Entscheidung zu erleichtern: 353
1.) Bedeutet die Annahme des Paketes das «Los von Trient»?
Nein, denn die Region bleibt und wir bleiben somit immer den Wünschen und
dem Willen der Trientner ausgeliefert.
2.) Durch die Annahme des Paketes werden die Italiener in die Lage versetzt, in alle
Welt hinauszuposaunen, daß das Südtiroler Volk mit diesem bescheidenen «Al-
mosen», d.i. das Paket, zufrieden ist. Für die Italiener wird ein Ja ein neuer
«Perassi-Brief» sein, der noch schwerwiegender sein wird, weil er ja von einem
Großteil der Südtiroler Bevölkerung unterzeichnet wurde. Durch die Annahme
des Paketes verzichten wir auf alle Forderungen, welche seit 1956 und seit
Sigmundskron gestellt und im Paket nicht berücksichtigt wurden.

3.) Durch die Annahme des Paketes wird die Südtiroler Frage, die heute bereits
wesentlich internationalisiert ist, wieder in eine rein inneritalienische Angelegen-
heit umgeformt. Alle Anstrengungen und Mühen, die seit dem Jahre 1960
unternommen worden waren, sind dann wieder zunichte.
4.) Bedenke, daß Du diesmal unter Zeitdruck entscheiden sollst, man will Dich
überfahren und Du sollst in Unkenntnis dieses komplizierten Machwerkes – das
Paket – eine Entscheidung fällen.

5.) Wir fragen Dich: Warum wehrt sich Italien so hartnäckig gegen eine wirkliche
internationale Verankerung? Der sogenannte «Operationskalender» ist ja keine
wirksame internationale Absicherung. Man merkt ja förmlich den schlechten
Willen Italiens gegenüber uns Südtirolern, deshalb will Italien nicht die Interna-
tionalisierung der Südtiroler Frage.

6.) Die Zu- bzw. Unterwanderung hört durch die Annahme des Paketes nicht auf,
ja sie kann eines Tages sogar noch gefördert werden, da wir nach der Annahme
des Paketes keinen internationalen Rechtsschutz mehr genießen.

7.) Warum haben die Italiener plötzlich solche Eile das Paket unter Dach und Fach
zu bringen? Am 1. März 1970 finden in Österreich die Nationalratswahlen statt,
die auch über die künftige österreichische Regierung entscheiden werden. Italien
ist sich nicht sicher, daß nach dem 1 März 1970 in Österreich wieder eine solche
willfährige Regierung an der Macht sein wird, die ohne Widerstand einem sol-
chen faulen Kompromiß zustimmen wird.
354
8.) Kannst Du, lieber Landsmann, diese schwere Verantwortung vor Deinem Gewis-
sen und Deinem Volk übernehmen? Wir glauben sicherlich nicht, denn wir
zweifeln nicht an Deiner guten, aufrechten Tiroler Gesinnung, deshalb gibt es
am 22. November 1969 nur ein klares NEIN zu diesem faulen Kompromiß!
Wenn Du Dir Folgendes merkst, lieber Landsmann, dann wird Dir die Entscheidung
bestimmt leichter fallen:

DAS PAKET BEDEUTET FÜR DAS SÜDTIROLER VOLKSTUM VERZICHT UND FÜR ITALIEN
DIE ERREICHUNG SEINES 50JÄHRIGEN TRAUMES:
DIE ENDGÜLTIGE ANERKENNUNG BESTÄTIGUNG DER BRENNERGRENZE!!

355
EIN LETZTES WORT UND DANK

Dieses Buch wäre nie entstanden Maria Mitterhofer aus Obermais, Midl
ohne den selbstlosen Beistand zahlreicher von Sölder aus Eppan, Rosa Klotz und
Helfer und Freunde, die uns und unsere Franz Amplatz aus Bozen, Siegfried Ste-
Bitten nie abgewiesen haben. Allen vor- ger aus Telfs, Dr. Erhard Hartung aus
an möchten wir dabei Dr. Otto Scrinzi Innsbruck. Danken möchten wir auch
für seine wohlwollende Hilfe danken. unseren Mitarbeitern Verena Obwegs
Genauso gilt unser Dank dem Landesrat und Peter Mitterhofer für ihre Mithilfe,
für Kultur, Herrn Dr. Bruno Hosp, für die sich nicht nur auf das Schreiben und
seinen Beistand. Korrigieren beschränkt hat und ohne die
Besonders danken möchten wir aber dieses Buch nicht so leicht zustande ge-
auch all jenen, die durch ihren persönli- kommen wäre.
chen Beitrag das Entstehen dieses Bu- Ein großer Dank gilt zuletzt auch
ches ermöglicht haben: Hans Stieler aus Roland Lang und seiner Frau Heidi, in
Bozen, Luis Steinegger und Luis Gutmann deren Heim wir für unsere Arbeiten im-
aus Tramin, Helmut Kritzinger aus Inns- mer herzlich aufgenommen und bewir-
bruck, Johanna Clementi aus Montan, tet wurden.

357
BENÜTZTE LITERATUR UND QUELLEN

CHRONIK SÜDTIROL – L. Stocker Verlag


SCHÄNDUNG DER MENSCHENWÜRDE IN SÜDTIROL – Buchdienst Südtirol
DER JÖRG – Verlag K. W. Schütz
FEUERNACHT – Edition Raetia
ES STAND NICHT GUT UM SÜDTIROL – Edition Raetia
BOMBEN AUS ZWEITER HAND – Edition Raetia
SÜDTIROL CHRONIK – Athesia
SÜDTIROL ZWISCHEN DIPLOMATIE UND TERROR – Athesia
SÜDTIROL WOHIN? – Druffel Verlag
SÜDTIROL ERLEBT ERLITTEN – R. H. Drechsler
GEORG KLOTZ – R. H. Drechsler
STORIA DEL TERRORISMO IN ALTO ADIGE – Manfrini

Weiters wurden zahlreiche Informationen aus verschiedenen privaten Archiven be-


nutzt, wie z. B. das von Günther Obwegs seit Jahren angelegte Informationen-, Bild-
und Dokumentenarchiv über den Südtiroler Widerstand in den 60er Jahren

359
BILDVERZEICHNIS
SEITE BILDQUELLE
21 ............................... Privat
23 ............................... Privat
26 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia
29 ............................... Dolomiten – Bildarchiv
30 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia
31 oben ...................... Dolomiten - Bildarchiv
31 unten .................... Dolomiten - Bildarchiv
35 ............................... Privat
36 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
38 oben und unten .... H. Veneri - Bozen
39 ............................... H. Veneri - Bozen
40 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia
41 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia
42 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
43 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
44 ............................... Die Bunte Illustrierte
47 ............................... Die Bunte Illustrierte
48 ............................... Dolomiten – Bildarchiv
52 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
59 ............................... Privat
60 oben ...................... Privat
60 unten .................... Privat
61 oben ...................... Die Feuernacht - Edition Raetia
61 unten .................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
62 ............................... Der Tiroler - Nürnberg
65 ............................... Privat
67 ............................... Der Tiroler - Nürnberg
69 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
70 oben ...................... Privat
70 unten .................... Privat
71 oben ...................... Privat
71 unten .................... Privat
73 klein ...................... Privat
73 groß ...................... Die Feuernacht - Edition Raetia
76 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia
77 ............................... Die Feuernacht - Edition Raetia 361
79 ............................... Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
80 ............................... Der Tiroler - Nürnberg
91 ............................... Privat
99 ............................... Privat
100 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
101 ............................. Die Bunte Illustrierte
111 ............................. Privat
123 ............................. Privat
125 ............................. Privat
127 ............................. Privat
129 ............................. Privat
133 ............................. Privat
135 ............................. Privat
136 ............................. Privat
137 ............................. Privat
138 ............................. Privat
140 ............................. Feuernacht - Edition Raetia
143 ............................. Privat
144 ............................. Privat
145 ............................. Privat
147 ............................. Privat
151 ............................. Privat
153 ............................. Privat
159 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
160 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
161 ............................. Privat
162 ............................. Privat
167 ............................. Privat
171 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
174 ............................. Privat
179 ............................. Privat
181 rechts oben ......... Die Feuernacht - Edition Raetia
181 links unten .......... Die Feuernacht - Edition Raetia
187 ............................. Quick Nr. 32, 2. August 1967
192 ............................. Privat
195 ............................. Privat
196 ............................. Privat
200 ............................. Archiv Pfaundler
203 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
205 ............................. Feuernacht - FF Wochenillustrierte
206 ............................. Privat
207 ............................. „... grüß mir die Heimat ...“ - P.P. Rainer
220 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
223 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
362 225 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
226 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
229 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
237 ............................. Privat
238 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
241 ............................. Privat
244-245 ...................... Der Tiroler - Privat
248 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
250 ............................. Archiv Obwegs
251 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia
253 ............................. Institut für Zeitgeschichte - Universität Innsbruck
254 ............................. Institut für Zeitgeschichte - Universität Innsbruck
257 ............................. Privat
264 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
273 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
278 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
279 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
283 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
286 ............................. Der Tiroler - Nürnberg
301 ............................. Privat
327 ............................. Privat
329 ............................. Privat
333 ............................. Chronik Südtirol - L. Stocker Verlag
340 ............................. Dolomiten – Bildarchiv
342 ............................. Die Feuernacht - Edition Raetia

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DIE HERAUSGEBER

SEPP MITTERHOFER, 1932 in Meran


geboren, von Beruf Landwirt. Verheiratet
und Vater von 4 Kindern. Mit 15 Jahren
ist er nach dem Zweiten Weltkrieg der
Musikkapelle Obermais beigetreten und
war 40 Jahre aktives Mitglied. Er ist
Mitbegründer und Ehrenmitglied der
Schützenkompanie Obermais. Ebenso
war er 18 Jahre im Aufsichtsrat der Obst-
genossenschaft Meran tätig, sowie 2
Perioden im Bezirksausschuss des Bera-
tungsringes für Obst- und Weinbau des
Burggrafenamtes. In den 50er Jahren
hat er sich zum Widerstand gegen die
Italienisierung Südtirols durch den italie-
nischen Staat entschlossen und ist des-
halb Anfang 1958 dem BAS beigetreten.
Er hat sich aktiv bei den Anschlägen
beteiligt, ist bei der großen Verhaftungs- GÜNTHER OBWEGS, 1966 in Brun-
welle schwer misshandelt und eingesperrt eck geboren, von Beruf Beamter. Seit
worden. seinem fünfzehnten Lebensjahr ist er in
Beim ersten Mailänder Sprengstoff- den Reihen des Südtiroler Heimatbundes
prozess ist er zu 12 Jahren Gefängnis politisch tätig.
verurteilt worden, bei der Berufung 2 Er ist begeisterter Bergsteiger und
Jahre Strafverminderung, 2 Jahre Sraf- Fotograf. Doch seine größte Begeisterung
nachlass und die restlichen 7 Jahre und gilt seiner Heimat und dessen Geschichte,
11 Monate hat er abgesessen. Er ist das Erforschen, das Aufschreiben und
Mitbegründer des Südtiroler Heimatbun- Sammeln von Informationen, das Aufbe-
des (SHB) 1974, seitdem im Bundesaus- wahren für kommende Generationen
schuss tätig, 2 Jahre Bezirksobmann des und das Ankämpfen gegen das allzu
Burggrafenamtes, 6 Jahre Obmannstell- leichte Vergessen bedeuten für ihn akti-
vertreter und seit 1990 Bundesobmann. ven Heimatschutz.

ISBN 88-8300-008-0

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