12 twelve
Fotoszene
. brennpunkt . ausgabe 1/ 2010
Exp12
»Twelve Exposures«
brennpunkt 1/2010 57
. Zwölf Welten .
exposure twelve – zeitgenössische Fotografie
Wo sich zwölf zusammen zeigen, wird der Betrachter der dreizehnte sein. eine Abkürzung von Photographie, dem Schreiben, dem Zeichnen mit Licht. Die Abkür-
Den einen Standpunkt der zwölf zu nennen, ist schwer, unnötig auch. Möglich, daß es ihn zung (oder der Ausschnitt) wird in die Mitte der Wahrnehmung gerückt, aus der sie kein
gibt – wenn, stellt er sich im Auge des Betrachters her. Wir sind es, die den Fotografen Steinwurf, kein saurer Regen, kein Schuß, kein Schrei, kein Peitschenknall nimmt.
über ihre Schulter schauen, wir sind der verlängerte Blick, der sieht, was sie gesehen
haben und mehr. Das Mehr ist, was ein Foto ausmacht für uns. Andere nehmen anderes wahr. Die Interieurs (Claire Laude) der kleinen Läden und Ge-
schäfte, Abbilder von Arbeit, die es – erstaunlich – um uns noch gibt; auch hier hält die
Was die Verschiedenheiten bündelt, ist der sichtbare Versuch der zwölf, an Unberühr- Kamera ins Zentrum des Vorgangs, der Ruhe formuliert und Ordnung, wie wir sie sonst
bares zu rühren: an verdeckte Welt zu rühren, eine Welt unter der Welt, etwas, das lebt vielleicht nicht wahrgenommen hätten. Oder die Farbstudien an freier und unfreier Natur
unter dem, was wir leichthin als wirklich bezeichnen, sichtbar nur im Augenblick, den der (Nadine Ethner), die Stilleben einer depravierten Flora sind, die nur für den Fotoapparat
Fotograf mit dem Auslöser aus dem Flüchtigen schneidet wie die letzte Parze, Morta mit noch vegetiert. Die Studie am bewegten Körper (Oona Eberle), der, vorausgesetzt, man
der Schere, den Schnitt macht, wann sie es will. Der Ausschnitt ist das Bild, das bleibt, rückt ihm nah genug auf den Leib, den Tanz der Moleküle wiedergibt, schön und vergäng-
die eine Wirklichkeit für sich. Er ist die Welt, die gegen die Welt zu halten ist, sobald der lich wie die Flocke Schnee auf der Hand. Die schwarzweiß gehaltene Projektion einer
Fotograf sie freigibt. Die Freigabe ist die Positionsbestimmung. Sie ist als das Anliegen Abwesenheit in die offenstehende Tür (Anna Meschiari), die den Schatten beschwört,
der zwölf Bildproduzenten zu sehen: ihre Arbeit, die sie als gemeinsame verstehen, als Geburtshelfer der Fotografie, oder der Traum von einem Zirkus am Fuß der Alpen, der
fotografische Positionen bezeichnen, deren Schnittmenge immer neu und wieder neu zu auch ein Traum von Farbe ist, ein Traum von Fotografie, ext./int., und die frühen Colla-
finden sein wird. gen der Pop Art wie aus einem somnambul verlorenem Gedächtnis zitiert: „Was macht
eigentlich unsre Umwelt heute so anziehend, so anders?“ Oder die Bestandsaufnahmen
exp12 – die vielfache in exposure wohnende Bedeutung des sich Ausstellens, sich Aus- einer zivilisatorischen Gegenwart (Birgit Krause), die ihre Urzeit gerade neu erfindet,
setzens (der Öffentlichkeit, einer Gefahr, dem Licht usw.) ballt die Behauptung des fort- gegen die Rückbilder (Dorothee Deiss) einer sich aus dem Staub machenden Welt, die
währenden Experiments, einer fortwährenden fotografischen Expedition in ein Wort; für uns vor allem eins übrig hat, Verfall. Abraum zu Abraum; daß er hier als Schauspiel
einen Stummel von Wort, der durch die folgende Zahl weniger konkretisiert als auf- registriert wird, kann uns nicht trösten. Oder die verlorene Kreatur, ob Mensch ob Tier,
gefächert wird. So treten sie auf als fotografisches Dutzend oder die zwölf Jünger der unterfordert und fremd im jeweiligen Gehege (Verena Blank), unwirklich schön wie das
Fotografie, die ihren Blick über die Gegenwart streuen wie Scouts auf der Suche nach Seestück mit Steilküste, Wiese und Schafgefleck hinter dem Fenster, vor dem sich die
dem Zugang (einem der Zugänge) zur wirklichen Welt. Wir werden auch durch die zwölf weiße Geranie behauptet, Zitat gegen Zitat, wie die Blüte am Höhenleitwerk vor dem
nicht erfahren, was der Grund der Wirklichkeit ist. Was das Auge sieht ist der Grund. Hangar, wie zwischen zwei Sonnen eine Welt, die unter einem Ring aus Neon sich für
Die Fotografie ist die bildgewordene idealistische Philosophie. Das vollkommene Bild ist einen Palmenblick öffnet, eine Lagune, die so echt wie ein altberliner Hinterhof ist und
das virtuelle, digitale, zusammengesetzte, gefälschte, das totale Bild. Das echte Bild gibt genauso falsch wirkt. Oder die Kunstlichtverliebtheiten (Nicole Woischwill) und das vom
es nicht, konkret ist nicht der Inhalt, konkret ist die Form. Routemaster durch London geschleifte halbnackte Paar, das für die Fortpflanzung in
Jeans wirbt und das genmanipulierte Ende der Menschheit vorwegnimmt. Die verschie-
Konkret sind Namen, Namen sind: Blank, Brunner, Deiss, de Longueville, Eberle, Ethner, denen Verlorenheiten am Bosporus (Mark de Longueville), das Mädchen in Turnschu-
Fischer, Krause, Laude, Meschiari, Schneider, Woischwill. Die mit den genannten verket- hen, die ihr nicht helfen, die wirkliche Welt zu betreten, weil ihr (und uns) nicht klar ist,
teten Umstände – vorgestellt zunächst auf einem Blatt Papier (300 x 400, gefaltet zu welche die wirkliche Welt von mindestens zweien, durch mindestens eine Projektionsflä-
100 x 100 mm) – hießen in ein Wort gefaßt: Distanz. Deutlich in der Spannung von An- che getrennt, ist. Die ihre Wege wie fremdbestimmt Gehenden (Susanne Schneider), die
wesenheit/Abwesenheit, die die erste Auswahl der zwölf zeigt. Oft scheinen sie überfern nur so wahrzunehmen sind: der Menschheit auf die Füße geguckt, nicht aufs Maul. Oder
vom Gegenstand, dann wieder übernah, zentriert, wo der Fotograf eins wird mit seinem die an unserer Rückseite oder die, deren Rückseite wir sehen (Eva Brunner), Spuren von
Objekt. Die Wahl des Standpunkts ist zugleich auch der Zweifel am Standpunkt, das Den- ihnen, Reste von ihnen, Streiflichter, Schatten, Pochoirs, verwaschne Tatoos auf der Erd-
ken darüber die philosophische Geste der Fotografie. Die schwer auf einen Nenner zu oberfläche, einer Fläche über der Fläche; tempi passati, wenn wir zurückkommen, lesen
bringenden zwölf treten als Exponenten eines Blickwinkels auf, er legt das Ungewöhnli- wir da, dann als Foto, das ist es, was wir uns merken, das ist es, was bleibt.
che im Gewöhnlichen bloß. Der Effekt des Fremden entsteht weniger durch technischen
Zugriff (Manipulation des Bildmaterials) als durch die Positionsbestimmung der Fotogra- Kunst ist Form, Form ist Fläche, Verpackung. Daß die Risse in ihr der Zugang zur wirkli-
fen gegenüber dem jeweiligen Objekt. Das Wappentier der zwölf könnte das Pferd (Foto: chen Welt sind, sehen wir hier. Soviel zum ersten. Alles weitere von jetzt an dem Kalen-
Olle Fischer) sein, in die Bildmitte gepflanzt wie ein Stempel quer über den Goldenen der nach alle Monate, Monat um Monat, zwölf um zwölf.
Schnitt, dem sich das Arrangement (oder sein Ausschnitt) verweigert. Der Anspruch,
den die Figur ins Zentrum wuchtet, steht für das, was ein Foto zuallererst ist: Thomas Martin
. exp12 .
Ver n i s s a g e 1 9 . Mä rz 2010 um 19 U h r
exp exposure
12 twelve
senefelderstr. 35
10437. berlin. d
www.exp 1 2.com
news@exp12.com