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Süddeutsche Zeitung Magazin, Heft 06/2010

Machen Sie sich bitte frei


von Werner Bartens, Illustration: Richard Wilkinson
Machen Sie sich bitte frei
Wer schwere Gedanken los wird, lebt gesünder. Wer Depressionen hat, bricht sich leichter die
Knochen. Wir haben es immer geahnt: Unsere Gesundheit hängt von unseren Gefühlen ab.
Was wir nicht geahnt haben: Jetzt gibt es dafür wissenschaftliche Beweise.

Von Werner Bartens Richard Wilkinson (Illustration)

Ein erstaunliches Experiment wurde in den Dreißigerjahren in Indien zugelassen: Opfer des
Versuchs war ein zum Tod durch den Strang verurteilter Verbrecher. Ein Arzt überzeugte den
Gefangenen, dass es angenehmer – weil schmerzlos – sei, zu verbluten. Der Gefangene
willigte ein, ließ sich ans Bett fesseln und die Augen verbinden. Der Arzt hatte mit Wasser
gefüllte Beutel am Bett angebracht. Er ritzte die Haut des Gefangenen an Händen und Füßen
ein. Im selben Moment ließ er das Wasser in Blechschüsseln tropfen. Erst schnell, dann
langsamer, dazu stimmte er einen monotonen Singsang an.

Der Gefangene hörte es tropfen und fühlte sich bald schwächer. Als alles Wasser in die
Schüsseln getropft war, hörte der Arzt auf zu singen. Er dachte, der Gefangene schlafe. Ein
Irrtum – der gesunde junge Mann war gestorben, dabei hatte er kaum Blut verloren.

Negative Gedanken können immense Kräfte entfalten – sie können gesunde Menschen sogar
umbringen. Aber es muss ja nicht immer gleich zu Ende gehen, schlimm genug, dass
depressive Gefühle uns auch anfälliger für Krankheiten machen. Angst und Stress erhöhen die
Gerinnungsneigung, das Blut wird zäher. »Aus evolutionärer Sicht war es sinnvoll, dass
während eines Kampfes das Blut dicker wurde«, sagt Carl Scheidt, Psychosomatiker an der
Uniklinik Freiburg. »Die Stressreaktion führte dazu, dass sich Wunden schneller schlossen.«
Wer sich dagegen im Alltag ständig sorgt oder ängstigt, wer bedrückt oder verzweifelt ist, lebt
gefährlich: Forscher haben in einer Studie an 20 000 Briten gezeigt, dass Menschen mit
depressiver Neigung fast dreimal so oft an Herzinfarkt sterben wie gleichaltrige Nicht-
Depressive.
Pragmatische Schulmediziner wollten es lange nicht wahrhaben, aber es stimmt: Unsere
Gefühle beeinflussen den Körper, unsere Stimmung schlägt sich in den Organen nieder. Nicht
irgendwann, sondern sofort. Nicht irgendwie, sondern konkret. Nervenbahnen,
Schmerzschwellen, Stressmoleküle und Rezeptoren verändern sich abhängig davon, wie es
uns geht.
Mehr und mehr Neurobiologen, Genforscher, Internisten und Chirurgen begeben sich auf
Spurensuche und entdecken, was Wut und Hass, Freude und Glück im Körper anrichten
können. Ihre neuesten Befunde kommen einer Revolution der Heilkunde gleich. Was lange
als Gefühlsduselei oder Weisheit der Laien galt, als esoterischer Quatsch und fernöstliche
Lebenshilfe, mit der vor allem Geld gemacht wird, wird derzeit von hochrangigen
Wissenschaftlern experimentell bestätigt. Mit Psycho-Gequatsche hat das nichts zu tun – im
Gegenteil. Experimentelle Wissenschaftler finden immer mehr Beweise für die Kraft der
Empfindungen und Emotionen.
So wurde bei Angehörigen von Alzheimer-Patienten nachgewiesen, dass die Rund-um-die-
Uhr-Betreuung chronischen Stress erzeugt, der nicht nur schwermütig macht, sondern auch
das Immunsystem schwächt. Pflegende Angehörige erkranken öfter, werden schlechter mit
Herpes- und Epstein-Barr-Viren fertig, ihre Wunden heilen langsamer.
Umgekehrt sind Gefühle wie Freude und Hoffnung, Gelassenheit und Begeisterung
gesundheitsfördernd: Zuneigung und Optimismus lindern Schmerzen und helfen bei der
Heilung. Zum Beispiel wurden Patienten mit Bluthochdruck darauf untersucht, wie sich
liebevolle Unterstützung durch den Partner auf Herz und Gefäße auswirkte. Wer abends
freundlich begrüßt wurde, einen Kuss bekam und sich aussprechen konnte, hatte einen um 2,5
Punkte verminderten Blutdruck. Außerdem nahm die Dicke der linken Herzwand ab, während
sie bei Menschen in lieblosen Beziehungen zunahm – ist sie verbreitert, zeigt das Schäden
durch Bluthochdruck an.
Wer geliebt wird, muss auch sterben, nur nicht so früh
»Zeigt Ihnen Ihre Frau, dass sie Sie liebt?« – diese Frage richteten Mediziner an ihre
männlichen Patienten. Von denen, die mit »Ja« antworteten, bekamen nur halb so viele
Infarkte im Vergleich zu jenen, die nicht das Gefühl hatten, geliebt zu werden. Auch wenn
Cholesterin und Blutdruck erhöht sind, scheinen Männer allein durch das Gefühl, geliebt zu
werden, geschützt zu sein. Ähnliches gilt für Geschwüre im Zwölffingerdarm. Wer sich nicht
von einer Frau geliebt fühlte, entwickelte häufiger Beschwerden im Bauchraum. Bei Frauen
mit Brustkrebs sind die Überlebenschancen höher, wenn sie Rückhalt durch ihren Partner
spüren. Hatten Frauen mit dem Tumor das Gefühl, dass sie zu wenig Liebe bekamen, starben
sie früher.

Auch unter grippalen Infekten, Magenverstimmung und Blasenentzündung leiden Frauen


häufiger, wenn sie mit Männern verheiratet sind, die lieber Fußball schauen oder Karten
spielen, statt mit ihnen einen Spaziergang zu machen. In harmonischen Beziehungen werden
beide Partner seltener krank. Und so absurd es klingt: Wer einen Hund oder einen Hamster
hat, ein paar Orchideen, einen Ficus oder Kaktus, bekommt seltener einen Infarkt oder
Schlaganfall. Die regelmäßige Pflege eines Haustiers oder einer Zimmerpflanze macht robust,
einer Studie zufolge sind Haustiere sogar gesünder für das Herz als der Partner.
Wahrscheinlich widersprechen sie seltener.
Diese Befunde müssten eigentlich zu einer Wende in der gegenwärtigen Medizin führen.
Schon jetzt leiden fast die Hälfte aller Patienten, die eine Arztpraxis aufsuchen, an
somatoformen Störungen. Das heißt, der Kopf schmerzt, das Herz rast, der Rücken drückt, die
Verdauung spielt verrückt – aber für alle diese Beschwerden lässt sich keine organische
Ursache finden. Die Gründe für die Symptome sind psychosomatischer Natur – Ärger im Job,
mit dem Partner, ungelöste Probleme. Diesen Patienten helfen keine Spiegelungen und
Röntgenbilder, keine Operationen und Medikamente.
Die Medizin müsste die Ressourcen der Kranken stärken, ihre Selbstheilungskräfte wecken.
Der Arzt wäre dann für den Patienten der unterstützende Partner, der dabei hilft, das Problem
eigenständig zu meistern. Stattdessen nehmen Ärzte es weitgehend resigniert hin, wie
Verzagtheit und schlechte Stimmung unser Leben verkürzen. Die Folge: Patienten laufen von
Arzt zu Arzt und sind am Ende frustriert, weil ihnen keiner zuhört, keiner glaubt und vor
allem: keiner helfen kann.

Wie groß der Einfluss unserer Gefühle auf unser Wohlergehen ist, zeigt ein Versuch, in dem
sich Patienten nach einer Operation der Gallenblase in verschiedenen Zimmern erholen
konnten: Die eine Hälfte schaute tagelang auf den Park, die andere auf einen Parkplatz. Wer
in die Natur blicken konnte, erholte sich wesentlich schneller.

Dass sich die eigene Vorstellungskraft auch täuschen lässt, zeigt ein Erlebnis des
Schriftstellers Mark Twain: An einem heißen Sommertag übernachtete er in einem Hotel am
Mississippi. Die Luft war stickig, er konnte nicht schlafen. Nach Stunden warf er verzweifelt
einen Schuh gegen das Fenster. Er hörte das Glas zerspringen, spürte einen kühlen
Windhauch und schlief ein. Am nächsten Morgen wachte Twain erholt auf. Er sah, dass er nur
das Glas eines Spiegels zerbrochen hatte. Er hatte sich allein durch die Kraft seiner Gedanken
Kühlung verschafft. Wie wichtig die Imagination für den Heilungsprozess ist, untersuchen
Placeboforscher seit Längerem: Zum Beispiel halten Patienten eine Injektion für wirksamer,
je dicker die Nadel ist. Tabletten gelten als effektiver, je größer, teurer und bunter sie sind.

Massieren ist besser als reden, reden besser als streiten


Noch stärker als die eigene Imaginationskraft wirkt aber die Energie, die zwei Menschen sich
gegenseitig geben können. Der Neuroforscher Michael Meaney konnte zeigen, dass Ratten
mehr Rezeptoren für Stressmoleküle ausbilden und Belastungen besser ertragen, wenn sie als
Junge viel geleckt werden – Psychosomatiker betonen seit je, dass eine enge Bindung in der
ersten Lebensphase körperlich robuster macht.

Laborforscher finden jetzt Beweise für diese These. In einer Studie wurden Frauen, die schon
länger mit ihrem Partner zusammenlebten, in Gruppen eingeteilt. Die einen sahen die Partner
vor einem Stresstest nicht. Andere konnten sich mit ihnen unterhalten. Die dritte Gruppe hatte
zehn Minuten Körperkontakt – in Form einer Massage an Hals und Schultern. Dann kam der
Belastungstest.
Die Probanden mussten vor Publikum schwierige Aufgaben unter Zeitdruck lösen. Wer vom
Partner berührt worden war, hatte weniger Stresshormone im Speichel. Auch der Herzschlag
stieg nicht so stark an. Verbale Unterstützung führte hingegen nicht dazu, dass Stress besser
abgefangen wurde – die Alarmmoleküle im Blut und der Puls waren so erhöht wie bei Frauen,
die ihren Partner nicht gesehen hatten. Dazu passt, dass unter Geschiedenen und Verwitweten
Herzleiden, Diabetes und Krebs häufiger sind als unter Eheleuten.

Umgekehrt hinterlassen auch Konflikte und Streit Spuren im Körper. Wichtigste Nachricht:
Es ist ein Irrtum, dass es dem Körper wohl tut, »Dampf abzulassen«. Sich aussprechen, ja –
aber Flüche und Beschimpfungen haben noch keine Partnerschaft gekittet, dem Wohlbefinden
schaden sie nur. Um dies zu erforschen, wurden Paaren münzgroße oberflächliche Wunden
am Arm zugefügt. Das erste Mal wurden die Freiwilligen von Psychologen beraten, wie sie
Konflikte sinnvoll lösen können. Beim zweiten Mal sollten sie sich über ein heikles Thema
ihrer Beziehung unterhalten, woraus sich fast immer Streit entwickelte.
Bei allen heilten die Wunden nach den Gesprächen schneller zu. Gerinnung und
Abwehrsystem waren aktiviert. Nach einem Streit ohne Beratung lief das Alarmsystem des
Körpers hingegen auf Hochtouren: Wunden heilten langsamer, feindliche Erreger konnten
nicht gut bekämpft werden. Überraschend für die Forscher war, dass die Wundheilung bei
Paaren, die sich im Streit freundlich verhielten, kaum beeinträchtigt war. Bei Partnern, die
sich im Streit anschrien und abwerteten, waren die Entzündungsfaktoren im Blut hingegen
sogar noch am Morgen nach dem Streit erhöht.
Depressionen schwächen das Herz, Stress verschlimmert Herpes
Depressive Verstimmung gilt mittlerweile als ebenso großer Risikofaktor für einen
Herzinfarkt wie Bluthochdruck. Im Blut von Depressiven finden sich mehr
Entzündungsstoffe. »Es ist doch wahnsinnig«, sagt der Münchner Psychokardiologe Karl-
Heinz Ladwig, »dass der Körper nicht nur auf Gift oder Verletzungen mit einem Anstieg der
Entzündungswerte reagiert, sondern auch auf mentale Überforderung.« Die Art der Belastung
führt zu unterschiedlichen Symptomen: Ängste provozieren eher Rhythmusstörungen,
Depressionen, Koronargefäßverkalkung. Ärger und Frustrationen erhöhen das Risiko für
Arteriosklerose.
Depressionen schlagen sogar auf die Knochen. Der Mineralgehalt des Skeletts wird bei
Schwermütigen – vermutlich durch erhöhte Kortisonspiegel – so vermindert, dass es in einer
Studie innerhalb von zehn Jahren zu vierzig Prozent mehr Knochenbrüchen unter Depressiven
kam. Auch Hautleiden werden durch Stress oft schlimmer. »Hauterkrankungen lassen sich
provozieren«, sagt Matthias Augustin, Dermatologe an der Universitätsklinik Hamburg.
Forscher setzten Patienten mit Neurodermitis oder Schuppenflechte unter Stress. Sie sollten
ein Bewerbungsgespräch vor Publikum simulieren. Zudem mussten sie von einer vierstelligen
Zahl in Sprüngen von 17 herunterzählen. Forscher trieben die Probanden an und riefen
»schneller«. Die Neurodermitiker reagierten sofort. Zehn Minuten nach der Belastung waren
mehr Entzündungszellen im Blut aktiviert – sie können Blutgefäße angreifen und Organe
schwächen.

»Spannend ist, dass die Entzündungsreaktion auf Stress bei Patienten mit Neurodermitis
stärker ausfällt als bei denen, die keine Hautprobleme haben«, sagt Augustin. Wer an
Neurodermitis oder Schuppenflechte leidet, ist nicht unbedingt dünnhäutiger. Doch auf seiner
Haut werden Anspannungen sichtbarer. Das gilt auch für Menschen, die anfällig für Herpes
sind. Einigen Probanden wurden abstoßende Fotos gezeigt – Bilder von benutzten Tellern, auf
denen Fliegen lagen. Andere Probanden sahen Bilder von Blumenwiesen: Bei vierzig Prozent
derjenigen, die die unappetitlichen Bilder sahen, blühten Herpesbläschen auf. In der Gruppe,
die angenehme Bilder zu sehen bekam, war nicht eine Unebenheit zu erkennen.
Der Organismus reagiert auf Erlebnisse und Erfahrungen – in Extremsituationen wie im
Alltag. Er kann sich anpassen, Neues lernen, vergessen und Spuren tilgen. Auch nach Zeiten
der Niedergeschlagenheit ist der Körper wieder empfänglich für Hochgefühle, Lebensfreude
und Körperglück. Dann prägen sich positive Signale stärker ein, so wie die Muskeln eines
Leistungssportlers mit der Zeit kraftvoller werden als die eines Stubenhockers. Sind die
Nervenbahnen, auf denen Zufriedenheit und Freude weitergeleitet werden, oft in Gebrauch,
rasen Moleküle und Glückshormone häufig ihrem Bestimmungsort entgegen, verbreitern sich
die »positiven« Nervenbahnen und Zentren für Lustgewinn und Überschwang im Gehirn
werden größer.
Wie sich die Wege des Glücks permanent verändern, ist mit einem interaktiven Stadtplan zu
vergleichen, der zurückgemeldet bekommt, wie viel Verkehr unterwegs ist, und sich anpasst.
Anfangs sind die Straßen, auf denen frohe Botschaften verkündet werden, womöglich noch
schmal. Je öfter sie befahren – das heißt übertragen auf Nervenbahnen: benutzt – werden,
desto stattlicher werden sie. Man kann die Wege der guten Gefühle bahnen und ihnen so auf
die Sprünge helfen, dass sie zu prachtvollen Alleen werden. Es dauert eine Weile, aber es
lohnt sich.

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Werner Bartens war überrascht, wie schädlich schlechte Gefühle sein können. Seitdem er das
weiß, senkt er die Kortisol-Ausschüttung seiner Nebennierenrinde und zähmt die Faktoren der
Blutgerinnung, indem er Intrigen im Job auf das Nötigste beschränkt und seine Frau nur noch
auf Händen trägt.

Von Werner Bartens ist gerade das Buch “Körperglück - Wie gute Gefühle gesund machen”
im Droemer Verlag erschienen.

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