Albert Einstein
ANTIFASCHISTISCHE LINKE BERLIN [ALB]
||||| GLOBAL RESISTANCE 2 |||||
inhalt
krisenkolonialismus.
sechs thesen über globalisierung,
imperialismus und
herausgeberin radikaler kritik
antifaschistische linke berlin ::[ALB]:: (robert kurz) 20
wenigen Ausnahmen abgesehen reden die punkt erstaunt aber nur, wenn man ausblen-
Männer; alles läuft auf Englisch. det, dass die Realität aller Bedingungen, in
Es geht um eine Bestandsaufnahme der denen gekämpft wird, mehr und mehr den sel-
gesellschaftlichen Situation der radikalen ben Zwängen unterworfen wird; den selben
vier Linken in den einzelnen Ländern, um Fragen Logiken von Arbeiten-Müssen, Sparen-Sollen
Siehe dazu der europäischen Koordinierung, um Gemein- und Überwacht-Werden folgen.4 Dies spiegelt
„Das Kapital baut um“ samkeiten und Differenzen. Sie deuten sich sich deutlich in der Linken wieder:
von Joachim Hirsch, schemenhaft an; es fehlen Zeit, Sprachkennt- Die Angleichung an das soziale Niveau
Seite XX nisse und Vorbereitung für ein intensiveres derjenigen Länder, in denen es nie ein ver-
Gespräch. Wir diskutieren konkret. gleichbares Sicherungssystem gab, trifft die
Fragen der Geschichte und theoreti- Länder des „Nordens“ – Skandinavien, die
scher Bezüge werden nicht angesprochen, hän- Benelux-Länder, Deutschland und Frankreich
gen aber unsichtbar zwischen den Statements – in einer gesellschaftlichen Situation, in der
und Berichten aus den Ländern – sie sind das radikale linke Forderungen bislang lästige
Fundament, auf dem wir uns heute begegnen: Randerscheinungen am neo-liberal-konserva-
die Geschichte der Industrialisierung, der tiv-sozialdemokratischen Himmel waren. Wäh-
ArbeiterInnenklassen, des ersten Weltkriegs rend hier „soziale“ Kämpfe in linksradikaler
und der Oktoberrevolution – die ungleichzeiti- Politik zumindestens in den 90ern eine geringe
ge Geschichte des Faschismus in Europa – Rolle spielten, gab es aufgrund geschichtlicher
Linke Gewerkschaftstradition gegen korporati- und gesellschaftlicher Bedingungen in Län-
plötzlich ab, rennen los, Ziel ist die Besetzung rende NGO-buisiness-people, gestern in Porto
eines Ministeriums, verantwortlich für massi- Alegre, heute in Paris, morgen in Bombay, jet-
ve Kürzungen. Die Entschlossenheit dieser ten für eine bessere Welt. Mit Skepsis fragt
Leute in mittleren Jahren, die spielerisch, aber man sich, ob die Versammelten hier wirklich
mit Wut im Bauch eine Spontanität herstellen, alle einen Kampf führen, ob wir selber mit
die direkter Ausdruck ihrer gesellschaftlichen allen so verbunden sein wollen, ob es nicht
Situation ist, verwundert uns; so etwas kennen langsam an der Zeit wäre, die reine Quantität
wir nicht aus unserem zu undefinierbaren Brei als Bezugspunkt aufzubrechen und auch nach
befriedeten und von sozialen Erschütterungen der qualitativen Seite des „Zusammen“ zu
gereinigten Kartoffelland. Viele solcher – schauen. Die Auseinandersetzung wäre mög-
scheinbar kleinen, vielleicht tatsächlich klei- lich. Denn allen Segmenten der „Bewegung“ –
nen – Beispiele ließen sich aufzählen. Kurze oder doch der „Bewegungen?“ – ist gemein,
Momente der Hoffnung; aber sind sie wirklich dass sie organisierte Kerne haben, die verbind-
sechs mehr als die Summe der einzelnen Teile? lich diskutieren, initiieren, vorbereiten.6 Das
Siehe dazu gilt auch für den linksradikalen Teil der
„Common places“ move the movement Bewegung.
von Derive Approdi, Sowohl in der Praxis wie in den So dreht sich die Diskussion auf dem
Seite 29 Diskussionen wird deutlich, dass es ein gewis- Workshop viel um Politikkonzepte, um den
ses Maß an organisierten Kernen bedarf, um Versuch, Verbindlichkeiten und Kontinuitäten
Ereignisse entstehen zu lassen. So spontan, zu schaffen. Das Herangehen der italienischen
jung und eigendynamisch die „Bewegung“ Desobidienti scheint attraktiv zu sein. In
nach aussen erscheint, so wenig stimmt dieses Deutschland, Finnland, Schweden, Italien und
Bild nach innen. Insbesondere auf den ESFs ist Spanien schießen zeitgleich „Free Public
ein sehr breites Spektrum vertreten – in Paris Transport“-Kampagnen aus dem Boden, wird
treffen wir alle erdenklichen Leute; Ökobau- mit „weichen“ Formen meist städtischer
ern, die über offenem Feuer ein ganzes, aufge- Politik experimentiert. Die gesellschaftliche
spießtes Schwein braten, neoliberales Mittel- Isolierung der radikalen Linken aufbrechen,
alter?; unorthodoxe Christenomis, die rüstig sich nicht als Destruktions-Avantgarde, son-
für den Weltfrieden streiten; französische dern als Teil einer breiteren Bewegung sehen,
Metallgewerkschaftler, die ungleich ihren wieder ein bisschen versponnener, utopischer
deutschen Kollegen auf der Demo mit bengali- werden. Forderungen wie die der Zapatisten
schem Feuer und allem, was Rauch und Blitz „für alle alles –für uns nichts!“ rücken ins Zentrum
produziert, ein Riesenspektakel veranstalten; der Orientierung. Ebenfalls gemeinsam sind
MigrantInnen mit und ohne Papieren und viel die Bezüge auf antimilitaristische Positionen:
Politprominenz. Das heißt professionell agie- die seit den Anschlägen am 11/09/01 zu vollem
Ausmaß angewachsene Politik der Neuen
Weltordnung mit den USA als hegemonialer
Macht hat den heutigen Kriegszustand der
Welt als einen extremen Ausdruck der barbari-
schen Seite des Kapitalismus zum Thema der
Linken gemacht. So teilt man die Einschät-
zung, dass die weltweiten Antikriegsdemon-
strationen am 15. Februar 2003 zu den Anti-
globalisierungsbewegungen dazu gezählt wer-
den muss. das ist die eine seite
Die andere, die immer schon problema-
tischere, bestimmt sich über die vorgefunde-
nen Bedingungen, in denen wir agieren. Und
die, es war nie anders, sind gewalttätig. So
bewegen sich die europäischen Diskussionen
entlang all der Graustufen zwischen Un-
weicher, mal harter Form. Gemeinsamer Mischung der Leute betrachtet, so merkt man
Bezugspunkt ist ein recht diffus bleibender doch, dass wir uns mitten in einem Prozess
Antikapitalismus, was von Kritikern der Glo- befinden, in dem kommuniziert, diskutiert
balisierungsbewegungen oft bemängelt wird. und zusammen agiert wird. Wir also stolpern
Aber jenseits davon geht es darum, festzuhal- endlich in eines dieser verstopften Etablis-
ten, dass sich seit dem Zusammenbruch des sements, plumpsen auf die elegant-robusten
Ostblocks das erste Mal eine sich weltweit ver- Metallstühle, die es in ganz Frankreich in
stehende und agierende Bewegung formiert, in jedem Café gibt, irrational blitzen Gedanken an
der der internationalistische Bezug Voraus- die Monopolisierung spezifischer Märkte und
setzung und nicht erst Ziel ist. Die Bewegungen Lobbyismus auf, und bestellen endlich Kaffee -
in Europa stehen aus unserer Sicht eher an pardon, Grand Café Creme. Der Garcon ist
einem Anfangs- als an einem Endpunkt. Über- höchstens siebzehn, Papa steht hinter dem
all gibt es Neuorientierungen und eine gene- Tresen und unterhält sich mit anderen alten
rellen Bereitschaft, sich der Problematik von Männern; was machen eigentlich ihre Frauen,
global thinking and local acting zu stellen. kochen sie gerade Mittagessen, gehen sie arbei-
Und nicht nur von den Zapatisten wis- ten oder sitzen sie mit Freundinnen und reden
sen wir, wie wichtig es ist, fragend voranzu- über who knows? Der Junge serviert mit
schreiten. Was das heißt? Erst einmal die wich- schnellen und präzisen Handgriffen, routi-
tigen Fragen zu erkennen, die hinter all dem niert. Probiert an uns ein paar Brocken
Gesagten liegen: wie schafft man es, das Englisch und Deutsch aus, wir stöckern müh-
Spezifische im Bezug aufeinander zu durch- sam mit unserem Französisch rum, alle lachen,
brechen, ohne es in den jeweiligen lokalen Internationalismus light. Ist er auf unserer
Kämpfen wegzuwischen, gar zu negieren ? Wie Seite? „Unsere“ Seite? Welche der vielen
kann man die Differenz in der Suche nach Seiten? Er jedenfalls kennt uns – Touristen,
Gemeinsamkeiten integrieren und sich nicht Kundschaft eben, so wie hunderte an einem
an ihr abarbeiten? Wie schafft man es, sich in Tag; in einer einzigen Bewegung wird das
der polaren Struktur der einerseits immer stär- Trinkgeld eingestrichen, der Aschenbecher
ker verknüpften Machtapparaturen zu be- ausgeleert und der Marmortisch abgewischt,
wegen, die andererseits bei Polizeiapparaten au revoir… kk
und Gesetzmäßigkeiten durchaus eine Auto-
nomie bewahren und dadurch noch unbere-
chenbarer werden? Sind die sich ergebenden
(nationalen) Widersprüche für eine europäi-
sche Linke nutzbar? Wie verhalten wir uns
gegenüber den Bewegungen der anderen
Kontinente? Wie integrieren wir eine Kritik
am Eurozentrismus in unsere Kämpfe und
schlittern nicht in eine „EU-Linke“-Identität?
Und wenn man, wie bei allen inter-
nationalen Gipfeln, in den vollen Cafés,
Fressbuden oder Kneipen sitz, kaputt, zugebal-
lert mit Eindrücken, um sich ein Stimmen-
gebrabbel, das sich aus verschiedensten
Sprachen zusammensetzt und die bunte
gewicht des Kalten Kriegs außer Kraft gesetzt ein politisch-institutionelles System, das die
worden ist, notfalls durch die Androhung mili- angeblichen Sachzwänge des globalen
tärischer Zwangsgewalt durch die Staaten des Kapitalverwertungsprozesses in einer quasi
kapitalistischen Zentrums. Diese stehen dabei entpolitisierten Weise exekutiert. Für die ein-
in einem komplexen Kooperations- und Kon- zelstaatlichen Regierungen hat dies den legiti-
fliktverhältnis: auf der einen Seite sind sie in matorischen Vorteil, dass Entscheidungen, die
permanente Konkurrenzkämpfe um „Stand- sie selbst mit getroffen haben, als unbeein-
ortvorteile“, Kontroll- und Einflusssphären flussbare politische Rahmenbedingungen dar-
verstrickt, und andererseits haben sie ein gestellt werden können.
gemeinsames Interesse an der militärischen Die Europäische Union ist ein
und politischen Kontrolle der Welt. Innere besonders herausragendes Beispiel für diese
polizeistaatliche und nach außen gewendete Entwicklung. Die entdemokratisierende
militärische Aufrüstung zwecks Herstellung Wirkung der Verlagerung politischer
globaler „Interventionsfähigkeit“ stehen des- Entscheidungen auf die überstaatliche Ebene
halb in einem engen Zusammenhang. Obwohl wird hier besonders deutlich. Nicht zuletzt bei
die internationalen Organisationen von den den Maastricht-Verträgen, die den finanz- und
Regierungen vor allem der dominierenden damit vor allem sozialpolitischen Spielraum
Staaten getragen und bestimmt werden, ist der einzelnen Regierungen und Parlamente
ihre Politik von einzelstaatlichen politischen entscheidend einschränken, wird deutlich,
Prozessen, insbesondere von den im Rahmen was neoliberaler Konstitutionalismus heißt.
liberaldemokratischer Verhältnisse immerhin Mit der geplanten europäischen Verfassung
beschränkt möglichen Einflussnahmen weitge- wird versucht, die Prinzipien der kapitalisti-
hend abgekoppelt. Man kann dies als neolibe- schen Gesellschaft in ihrer neoliberalen
ralen Konstitutionalismus bezeichnen, d.h. als Ausprägung zum verbindlichen, die nationale
Politik und Rechtsprechung bindenden
Grundgesetz zu machen. Europa wird damit
zu einer höchst autoritär strukturierten
Festung relativen Wohlstands, die immer
deutlicher die Voraussetzungen dafür schafft,
ihre ökonomischen und politischen Inte-
ressen militärisch in globalem Maßstab
durchzusetzen.
Dass der Widerstand gegen diese
Entwicklung eher schwach und zersplittert
ist, hat mehrere Gründe. Dazu gehört nicht
nur, dass die schon durchgesetzten sozialen
Spaltungs- und Marginalisierungsprozesse,
Privatisierung und erzwungene Individua-
lisierung ihre Wirkung tun, sondern auch,
dass die von Politik, Medien und Wissen-
schaft massiv durchgesetzte neoliberale ideo-
logische Hegemonie sich immer stärker in
den Köpfen der Menschen festgesetzt hat.
Darüber hinaus gelingt es immer noch, die
sich vertiefenden sozialen Ungleichheiten
zur Grundlage wohlstandschauvinistischer
Legitimationsstrategien zu machen. Der
Abbau politischer und sozialer Rechte wird
damit gerechtfertigt, dass es anderen noch
schlechter geht. Still gestellt ist der Kampf
freilich nicht. Dies nicht zuletzt deswegen,
heit ist die Voraussetzung für Widerstand durchgesetzt. So wurden z.B. nach
sicher Freiheit“, zitierte Bundesinnen-
minister Schily Wilhelm von Humboldt unter
dem Anschlag auf das World Trade Center
längst vorbereitete polizeiliche Kompetenz-
dem Eindruck des Anschlags auf das World Trade erweiterungen aus der Schublade geholt und
Center. Dann fand Schily ein „Grundrecht auf durch das Gesetzgebungsverfahren geboxt. Sich
Sicherheit“ in Artikel 5 der Europäischen dazu auf ein Grundrecht auf Sicherheit zu
Menschenrechtskonvention (EMRK) und recht- berufen, greift aber zudem das traditionelle
fertigt damit den Schutzauftrag des Staates. Wer Verständnis des liberalen Rechtsstaats an.
oder was geschützt werden muss, liegt auf der Art. 5 EMRK garantiert tatsächlich, so wie es
Hand: Das System der Umverteilung von Arm zu Wilhelm von Humboldt gegen den preußischen
Reich. Die Globalisierung der Märkte schreitet Obrigkeitsstaat forderte, das Recht des Ein-
voran. Deregulierung, Privatisierung, Abbau zelnen vor staatlicher Willkür. Sowie alle
des Sozialstaates heißen nur einige der euphe- Grundrechte stellt es ein Abwehrrecht gegen
mistischen Antworten hierauf. Grundsicher- den Staat dar, also eine Beschränkung staat-
heiten fallen weg. Die Angst vor der Zukunft licher Macht. Schily und Konsorten kehren die
wächst und führt zu einem Bedürfnis nach Bedeutung der Grundrechte in ihr Gegenteil.
mehr Sicherheit und Kontrolle. Die vermeint- Sie dienen danach zur Legitimierung eines
liche Lösung stetig steigende polizeiliche Kom- starken Schutzstaates. Das „Grundrecht auf
petenzen. Um diese politisch durchzusetzen, Sicherheit“ gibt nun dem Staat den Auftrag,
werden von den selbsternannten Sicher- die Freiheitsrechte zu beschränken und ver-
heitsstrategen Ängste geschürt: vor „Migration pflichtet den Einzelnen, sich angepasst zu ver-
und Ausländerkriminalität“, „Organisierter halten.
Kriminalität“ und „Terrorismus“. Unterstützt
von Medienkampagnen, wie kürzlich in der „Ein Tatverdacht
Berliner Zeitung. Polizisten durften dort ist nicht mehr erforderlich“
wochenlang berichten, dass sie sich in einige Auch im Strafverfahren finden grund-
Stadtteile Berlins nicht mehr hineintrauten, legende Veränderungen statt. Der Schwer-
weil diese in der Hand ausländischer Groß- punkt im Strafverfahren verlagert sich von der
familien seien, die in die „Organisierte Krimi- öffentlichen Gerichtsverhandlung in das un-
nalität“ verwickelt seien und ihren Aufent- kontrollierte polizeiliche Ermittlungsverfah-
haltsstatus erschlichen hätten. Einen Beleg für ren. Zudem genügt schon die polizeiliche Zu-
die Behauptungen lieferten sie nicht. Dagegen ordnung zu einer Risikogruppe, um z.B. die
sind nach einer Untersuchung des Berliner Aus- bzw. Einreise in ein anderes Land oder die
Ausländerbeauftragten die Straftaten von Ju- Teilnahme an Versammlungen zu verbieten
gendlichen nichtdeutscher Herkunft um 20 % oder um jemanden vorbeugend festzunehmen.
zurückgegangen. Erhöht hat sich nur die Ein Tatverdacht ist nicht mehr erforderlich.
„gefühlte Bedrohung“. Durch die europäische Politik wird die
Hat sich das Sicherheitsbedürfnis ein- Erosion elementarer rechtsstaatlicher Prinzi-
gestellt, werden die Sicherheitskonzepte ohne pien noch verstärkt. Die Rechtssetzung im
stellen (in Deutschland das BKA) leiten ohne Vernehmungen von Verdächtigen oder Zeugen
besondere Anfrage ganze Datensätze an den sowie Durchsuchungen teil. Zudem organisie-
jeweiligen Mitgliedsstaat weiter. Die Daten ren sie den Informationsaustausch mit Ver-
sind nach Kriterien sortiert, wie Größe, Art bindungsbeamten (ILOs) anderer EU-Staaten.
und Zusammensetzung einer Gruppe, Moti- Mittlerweile gibt es ein Netz von ILOs aus allen
vation, Gewalttätigkeit sowie die Art der An- Mitgliedsstaaten, die die Weiterreise von
reise, Orte und Zeiten von Versammlungen. MigrantInnen verhindern sollen. Sie beraten
Dabei dürfen auch nicht überprüfbare Daten die Grenz- und Sicherheitsorgane über die
weitergegeben werden, wie bloße Verdachts- Auswirkungen der Migration auf die EU und
fälle oder Angaben von V-Leuten. Zudem befin- fordern sie auf, geeignete Maßnahmen zu er-
den sich Verbindungsbeamte aus den Her- greifen. Kooperieren diese Drittstaaten nicht,
kunftsländern von DemonstrantInnen un- drohen ihnen Sanktionen seitens der EU. Diese
mittelbar vor Ort. Diese sollen Gruppen identi- Ermittlungsgruppen von Polizei, Grenztruppen
fizieren, die „eine Gefahr für die öffentliche und Nachrichtendiensten finden sich nahezu
Sicherheit darstellen“. Identifizierte Personen an allen bedeutenden Flughäfen. Mangels
werden gegebenenfalls als Störer festgenom- Alternativen bleibt Flüchtlingen nur die illega-
men oder gleich ausgewiesen und in ihr le Einreise. Deren dauerhafter Aufenthalt wird
Heimatland abgeschoben. So wurden z.B. auf- jedoch durch Rückführungsvereinbarungen
grund österreichischer Daten die mit Transit- und Herkunftsländern verhindert,
25 Schauspieler des international besetzten auf Kosten des internationalen Rechtsan-
Theater-Ensemble PublixTheatre im Zu- spruchs auf Asyl. Konsequenz ist, dass 80 % der
sammenhang mit den Protesten in Genua Daten im SIS Personen betreffen, die abgescho-
wegen Verdachts einer kriminellen Ver- ben oder an der Grenze zurückgewiesen wer-
einigung festgenommen. Sie tourten als aktio- den sollen.
nistische Performance-Karawane im Rahmen
der No-Border-Kampagne durch Europa. Der europäische Haftbefehl
Solche Fälle werden in Zukunft zuneh- Das neuste europäische Repressions-
men. Denn das SIS wird aus den nationalen instrument ist die unmittelbar bevorstehende
politisch motivierten Informationssystemen Einführung des europäischen Haftbefehls.
gespeist. In Deutschland ist insbesondere die Weitgehend ohne öffentliche Diskussion wird
LIMO – Datei (linkspolitisch motivierte Gewalt- damit das bisherige Auslieferungsverfahren
täter) aus dem sogenannten INPOL-System des zwischen den EU-Staaten durch den europäi-
BKA von Bedeutung. Hier wurden eifrig schen Haftbefehl ersetzt. Die Prüfung der
Personendaten gesammelt, insbesondere im Voraussetzungen zur Überstellung eines im
Zusammenhang mit Demonstrationen. In den Nachbarland Gesuchten wird praktisch nicht
Datensätzen finden sich zahlreiche Ungenauig- mehr stattfinden. Es genügt nun bereits, dass
keiten: Ermittlungsverfahren werden als Ver- die vorgeworfene Tat im ersuchenden Staat
urteilungen geführt, Freisprüche nicht berück- strafbar ist, unbeachtlich ob die Tat auch im
sichtigt und unrechtmäßig erhobene Daten Heimatland des Betroffenen strafbar wäre.
nicht gelöscht. Wenig Raum bleibt für eine Verteidigung im
Auslieferungsstaat. Dabei werden erfahrungs-
„80 % der Daten gemäß gerade bei Ermittlungen wegen politi-
betreffen MigrantInnen“ scher Straftaten die Rechte der Beschuldigten
Am schwersten betroffen von der schär- wenig beachtet. Selbst dürftigste Beweislagen
feren europäischen Gangart sind Migrant- reichen regelmäßig für ein Ermittlungsver-
Innen. Die legale Einwanderung wird systema- fahren und eine spätere Verurteilung aus. Sind
tisch verhindert. Zugleich wird die unerlaubte die Personalien erst einmal festgestellt wor-
Immigration immer schärfer kriminalisiert. den, genügt später die einzelne Aussage eines
Das BKA hat in die Transitländer Verbindungs- Polizisten. Schutz bietet auch nicht mehr die
beamte entsendet, die die örtlichen Polizeien Staatsangehörigkeit, denn auch eigene Staats-
ausbilden und unterstützen. Sie nehmen an angehörige des Auslieferungslandes müssen
olaf griebenow
arbeitet als Rechtsanwalt
in Mainz. Er ist Redaktions-
mitglied der Zeitschrift
Bürgerrechte & Polizei und
hat zu Rechtsstaatdefiziten
der europäischen Polizei-
kooperation promoviert.
alain mundt
arbeitet als Strafverteidiger
in Berlin. Er arbeitet im
Republikanischen
AnwältInnenverein (RAV)
und bei EDA mit.
Veröffentlichungen zur
Versammlungsfreiheit
u.a. im Grundrechte-Report.
Handelsdefizit. Dieses Konstrukt ist nicht halt- vergieren EU und USA sowohl sozialökono-
bar und wird platzen. Aber die innere ökono- misch als auch kulturell. Die radikale Linke
mische Schwäche der USA ist nicht die Stärke muss die falschen und in jeder Hinsicht obsole-
der EU oder Asiens, sondern die Schwäche auch ten Alternativen der bürgerlichen Immanenz
aller anderen, die längst nicht nur militärisch, grundsätzlich verweigern, wenn sie mit dem
sondern auch ökonomisch von der Zentral- Kapitalismus wieder auf Augenhöhe kommen
macht abhängig geworden sind. Wenn die will. Der Bruch mit dem modernen System von
Überschuss-Ströme in die USA versiegen, wird „abstrakter Arbeit“, Wertform und männlich-
die Weltkrise das gesamte kapitalistische weißer westlicher Subjektform steht auf der
Zentrum mit voller Gewalt erfassen. Tagesordnung, nicht das Stochern nach irgend-
In diesem Kontext ist die linke Aus- einer „Realpolitik“ in den Ruinen von bürger-
einandersetzung um den „Antiamerikanismus“ licher Aufklärung und Wertvergesell-
besonders absurd und reproduziert abermals schaftung. kk
eine falsche Alternative. Die „Souveränisten“
eines kulturalistischen Antiimperialismus, die
den sozialstaatlichen „rheinischen Kapitalis-
mus“ retten wollen, werden tatsächlich im
klassischen rechtskonservativen Sinne anti-
amerikanisch; die linksbellizistische prowestli-
che Zivilisationshuberei möchte umgekehrt
jede Analyse der realen Rolle der USA im inte-
grierten Weltsystem des Krisenkapitalismus
und die Ansätze sozialer Kritik per se als anti-
amerikanisch denunzieren. In Wahrheit kon-
robert kurz
arbeitet als freier Publizist
in Nürnberg und ist
seit fast 40 Jahren in der
radikalen Linken aktiv;
er vertritt theoretisch den
Ansatz der Wertkritik.
Wichtigste Buch-
veröffentlichungen:
Schwarzbuch
Kapitalismus (1999),
Weltordnungskrieg (2002),
Die antideutsche
Ideologie (2003).
drei ment des politischen Systems der BRD. Welche rerseits an die lebenslange Erwerbstätigkeit im
Für einen Überblick vgl. die Folgen das hat, ob die Entwicklung nach rechts Normalarbeitsverhältnis infragegestellt. Da-
Diskussionen bei attac oder nach links geht oder ob daraus eine all- durch öffnen sich Räume gesellschaftlicher
(http://www.attac.de/sozsich/te tagszynische Zersetzung des Politischen nach Auseinandersetzung, in denen auch qualitative
xte-speicher.php), im Umfeld us-amerikanischem Vorbild resultiert, hängt Veränderungen in der Produktion und Repro-
der Rosa Luxemburg-Stiftung nicht nur, aber auch von den Linken ab. duktion zunächst der öffentlichen Güter einzu-
(www.wem-gehoert-die- fordern wären: wer stellt was wie für wen
welt.de), in „radikal- Soziale Rechte, öffentliche Güter bereit? Mehr noch: was ist überhaupt ein
reformistischen“ Kreisen Eine Gelegenheit zur strategischen Ver- „öffentliches Gut“ und was heißt es eigentlich,
(http://www.links-netz.de), in schiebung der Bewegungsdynamik nach links solche Güter der Verwertungslogik zu entzie-
der Vorbereitung des 27. Kon- bieten die Debatten um den eher unscheinba- hen? Letzterem entspricht eine Überschrei-
gresses der Bundeskoordi- ren Begriff der „sozialen Rechte“, die momen- tung der ebenfalls aus dem Fordismus stam-
nation Internationalismus tan am linken Rand des sozialdemokratischen menden Orientierung auf „Verteilungsgerech-
(http://www.buko.info/) oder bei Blocks, innerhalb von attac und den Sozial- tigkeit“ hin zu autonomen Praktiken direkter
kanak attak (http://www.kanak- foren und in linksradikalen Zusammenhängen Aneignung sozialer Rechte wie öffentlicher
attak.de/ka/) bzw. der Gesell- geführt werden.3 Die Verteidigung und mehr Güter. Dass solche strategischen Verschie-
schaft für Legalisierung noch der Kampf um die Erweiterung sozialer bungen möglich sind, belegt die spontane
(http://www.rechtauflegalisieru Rechte verbinden sich darin mit der Vertei- Zustimmung, die die Forderung nach einem
ng.de/). Vgl. außerdem arranca! digung „öffentlicher Güter“ – soziale Siche- Recht der illegalisiert in Deutschland lebenden
28/03 (http://arranca.nadir.org/ rung, Bildung, Gesundheit, Kultur, städtische Menschen auf Legalisierung ihres Aufenthalts
aktuell.php3) und Fantômas und ländliche Umwelt etc. - gegen die neolibe- 2003 auf dem Bundeskongress von Ver.di und
4/03 (http://www.akweb.de/ rale „Akkumulation durch Enteignung“ (D. dem Ratschlag von attac fand. Wird dabei der
fantomas/index.htm). Harvey). Offensiv zu wenden ist beides, wenn postfordistische Zusammenhang von Neolibe-
dabei der Bezug zur postfordistischen Restruk- ralismus, Globalisierung und Krieg nicht auf-
turierung der Produktionsverhältnisse herge- getrennt und die Perspektive nicht auf eine
stellt wird. Je klarer soziale Rechte und der „sozialpolitische“ Auseinandersetzung im
Zugang zu öffentlichen Gütern bedingungslos nationalstaatlichen Rahmen verengt, zeichnen
für alle eingefordert werden, desto mehr wird sich Kämpfe ab, in denen globalisierungskriti-
die aus dem Fordismus überkommene Bindung sche Bewegung gewinnen könnte, was ihr bis
sozialer Rechte und öffentlicher Güter einer- jetzt fehlt: ein subversives Alltagsleben.
seits an den nationalen Sozialstaat und ande-
Eine postfordistische Linke
Davon sind die Linken nicht ausgenom-
men, im Gegenteil: ihre sozialen Milieus wer-
den von den aktuellen Umbrüchen so radikal
durcheinandergewirbelt, dass sie in eigener
Sache zur Intervention gezwungen sind. Das
gilt in einem historisch nahen und einem his-
torisch weiter zurückreichenden Sinn. Nah,
insofern radikale Linke in ihren milieuspezifi-
schen Reproduktionsstrategien seit 1968 zu-
gleich vom fordistischen Klassenkompromiss
und seiner postfordistischen „Modernisierung“
zehrten. Das galt für die Ausnutzung der
Zeitressourcen einer verlängerten studenti-
schen Existenz ebenso wie für alternativökono-
mische Experimente, für das JobberInnentum,
für die privilegierte Besetzung „kreativer“ wie
sozialer Berufe, sogar für die Teilnahme am
„Marsch durch die Institutionen“ und nicht
zuletzt die individuelle Nutzung sozialstaat-
nationalen auf die kontinentale Ebene über- bale Bewegung nennen. Außerhalb hiervon
tragen, d.h. auf Europa als dem starken gäbe es nichts, als zu einem ideologischen und
Subjekt eines erneuerten Anti-Amerikanismus entkörperten Streit innerhalb der Raum-Zeit
zeigen. Um genauer zu sein: Für uns geht es von selbstreferentieller Impotenz zurückzu-
nicht darum, nicht-praktikable politische kehren. Obwohl wir mit Schwierigkeiten und
Projekte auszuhalten, die versuchen, lokale Unsicherheiten konfrontiert sind, ist es für
und/oder nationale Rahmenbedingungen zu uns eine größere Herausforderung, mit dem
benutzen, um Erfahrungen der Kämpfe und Experimentieren fortzufahren und zusammen
des Widerstandes gegen das globale Kapital zu die beunruhigenden Gewässer der zuletzt doch
festigen. Wir wollen festhalten, dass jedes poli- noch stürmischen Meere zu untersuchen,
tische Projekt, unabhängig vom territorialen durch die wir segeln.
Maß seiner Anwendung, durch eine offene
Haltung gegenüber der globalen Dimension Ein offener Raum
charakterisiert werden muß, zu deren pluraler Entwicklung
Errichtung die tatsächlichen Erfahrungen der In den ersten 21 Ausgaben zwischen
sechs ArbeiterInnenklasse und der postkolonialen 1992 und 2002 war die Zeitschrift6 insbesonde-
derive approdi, Kämpfe materiell mehr beigetragen haben als re mit Italien und, allgemeiner, mit dem kapi-
Anmerkung der Übers. die kapitalistische Entwicklung. talistischen „Westen“ beschäftigt. Dies basierte
Wie wir es nach Genua taten, kommen auf der Überzeugung, dass die Solidarität
wir heute hierher zurück, um auf die gegenüber den Bewegungen des „Südens“ der
Fortdauer der Bewegung als einem offenen und Welt kurzlebig sein würde, wenn man nicht die
komplexen Raum zu bestehen, in dem vielfälti- potentiellen Linien der Brüche und Krisen
ge Erfahrungen von der politischen Agitation innerhalb der „Metropolen“ aufzeigen würde.
und sozialer Konflikte, Experimente der Praxis Während wir teilweise andere Wege verfolgten
und der Sprache nicht auf die Summe ihrer als ursprünglich geplant, änderten sich die
einzelnen Teile reduzierbar sind: es ist ein kon- Dinge, als eine große soziale und politische
stitutiver Raum, in dem der Prozess der Explosion tatsächlich stattfand: sogar für
Subjektivierung immer offen bleibt. unser Herangehen signalisiert der Ausbruch
In dieser kontinuierlichen Unter- der globalen Bewegung in der Gewalt ihrer
suchung ist es offensichtlich nicht unsere Ereignisse einen zeitlichen Einschnitt.
Absicht, die besten Teile des Erbes, das die ver- Nach den großen und tragischen Tagen von
gangene radikale Praxis uns hinterlassen hat, Genua fingen wir untereinander eine
wegzuwerfen: aber um dieses „Testament“ nut- Diskussion an, die mit der Entscheidung ende-
zen zu können, erfordert es die eigene Be- te, die Organisation der Zeitschrift teilweise zu
freiung von jeglicher Nostalgie und das Ein- modifizieren und eine neue Serie in Gang zu
lassen auf dasjenige Hier und Jetzt, das uns setzen. Dies bedeutete auch, die Heraus-
lebendig und pulsierend weitergegeben wurde. forderung aufzunehmen, unsere Identität –
Dies heißt nicht, dass es keine Widersprüche, wie untypisch auch immer sie sein mag – als
Rückschritte und Fehler in der Bewegung gibt. einem Journal mit einer jahrzehnte langen Ge-
Die täglich neuen Schwierigkeiten sind offen- schichte zu hinterfragen. Es geht darum, unse-
sichtlich: wie die Suche nach dem momentan re Arbeitsthesen unter den neuen Umständen
möglichen Äquivalent zu Streik und Sabotage aufs Spiel zu setzen, sie zu verifizieren und zu
in tayloristischen Fabriken; die Schwierigkeit, erneuern.
die Materialität der Produktionsverhältnisse Überraschend war allein schon der
zu beeinflussen; oder wie den Krieg beendet zu Ausbruch der Bewegung, die in Genua gegen
bekommen, obwohl am 15. Februar 2003 schon den G8 demonstrierte, wie sie schon vorher bei
110 Millionen Männer und Frauen rund um den großen Ereignissen demonstriert hatte und es
Globus demonstrierten. danach auch weiterhin tat. Auf den Straßen
Zuerst müssen die Grenzen und und Plätzen dieser Stadt trafen sich sehr
Probleme aufgezeigt werden, aber innerhalb heterogene, individuelle und kollektive Sub-
des Raumes der Politisierung, wie wir die glo- jekte. Zwar aus verschiedenen Richtungen her-
Weltordnungskriege und
die „Renaissance“ der
Friedensbewegung
Wurde der Afghanistankrieg noch
fast ausschließlich mit dem Label des „war
against terrorism“ legitimiert, so ließ sich
schon der anschließende Irakkrieg (trotz
mehrerer dementsprechender Versuche)
damit nicht mehr offiziell begründen. So
wurde auf jene zynische Sprachregelung
zurückgegriffen, die schon zur Rechtferti-
gung des Jugoslawienkriegs einige Jahre
zuvor herhalten musste, die Rede vom
„humanitären Krieg“. Die bürgerlichen
Medien kaprizierten sich in der Folge auf
eine möglichst detailreiche Berichterstat-
tung von den jeweiligen Kriegsgebieten, die
Globalisierungsthematik blieb in der Ver-
senkung verschwunden. Der enge ursächli-
che Zusammenhang zwischen den aktuellen
Weltordnungskriegen und den Erforder-
nissen einer zunehmend globalisierten kapi-
talistischen Ökonomie, konnte und sollte im
medialen Diskurs nicht hergestellt werden.
Im Zug des Irakkriegs tauchte mit
der Friedensbewegung ein politischer
Akteur wieder auf, den viele schon auf dem
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