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Globalisierung der Bilder (9)

"Signale der Erde" – Die ganze Welt in 116 Bildern


19.2.2004

[Dia links: Nr. 89: Innenraum eines Hauses]


dieses Dia zeigt die möglicherweise letzten Gemälde, ja zeigt die letzte Kunst, die von der
Erde (wenigstens als Foto) übrig bleiben wird – zeigt den eventuell letzten Maler, dessen
Schaffen dokumentiert sein wird – auch wenn unsere Zivilisation oder die Erde im Ganzen
einmal nicht mehr existiert
dieses Foto gehört nämlich zu einer Auswahl von 116 Bildern, die im Jahr 1977 in das Weltall
geschossen wurden, um möglichen extraterrestrischen Kulturen ein Porträt unseres Planeten
und unserer Zivilisation zu liefern, ja um gleichsam eine Visitenkarte der Erde an einen
unbekannten Adressaten – an Außerirdische – zu schicken
116 Bilder, die im wörtlichsten Sinn ein Weltbild ergeben bzw. ausdrücken sollen – die
repräsentativ, aussagekräftig und zugleich auf den Adressaten abgestimmt sein sollen (daß
dieser unbekannt ist, erschwert die Sache natürlich, doch dazu nachher noch mehr)
anders formuliert: ein Kanon an Bildern, eine begrenzte Anzahl von Bildern, denen zugetraut
wird, besonders gut zu zeigen, was auf der Erde passiert, ja die insgesamt die Wirklichkeit
wiederzugeben vermögen
es handelt sich bei diesem Projekt um den mutmaßlich merkwürdigsten Bilderkanon, der je
angelegt wurde, weil der damit verbundene Anspruch der größtmögliche ist: nicht nur eine
bestimmte Epoche, ein begrenztes Thema, eine einzelne Kultur, sondern die Welt 'im Ganzen'
soll dadurch repräsentiert sein
d. h. es wird hier von vornherein unterstellt, daß es so etwas wie globale Bilder gibt, die nicht
spezifisch kulturell codiert sind, sondern gleichermaßen repräsentativ für den gesamten
Planeten
im Grunde wird sogar vorausgesetzt, daß die Bilder so gut und repräsentativ ausgewählt
wurden, daß sich nicht nur alle irdischen Kulturen darin wiederfinden können, sondern daß sie
auch für wie auch immer geartete extraterrestrische Zivilisationen begreiflich, 'lesbar' sind
Kanons drücken meist Machtinteressen aus, wollen diejenigen, für die sie zusammengestellt
sind, formatieren, ideologisch beeinflussen, normieren – in diesem Fall jedoch ist der Kanon
für jemand zusammengestellt, den man gar nicht kennt, zu dem man in keiner Beziehung steht
– wie also kann und soll man beeinflussen? – oder sollte der Kanon doch eher mit Blick auf
die Menschen hier auf der Erde zusammengestellt sein, für die er ja auch veröffentlicht
wurde? – was aber wären dann für Interessen damit verbunden? – soll hier so etwas wie
globales Bewußtsein gefördert werden?
wie kam es überhaupt zu diesem Kanon?
die NASA startete 1977 im Abstand von zwei Wochen zwei Raumkapseln – Voyager 1 und
Voyager 2 –, die vor allem die Aufgabe hatten, Bilder vom Jupiter und vom Saturn zu machen
sie sollten weiter fliegen als alle bisher gestarteten Kapseln, und es war klar: nach Erfüllung
ihres Zwecks würden sie das Sonnensystem verlassen und weiter ins All treiben
daraus ergab sich die Frage, ob die Kapseln nicht noch eine weitere Mission erfüllen könnten,
und man entschied sich, sie mit Botschaften der Erde zu versehen, die in viel späteren Zeiten
einmal – wenngleich mit höchst geringer Wahrscheinlichkeit – von einer fernen Zivilisation
entdeckt werden könnten
dieses Projekt war umstritten – manche Forscher befürchteten (ernsthaft!), durch eine solche
ins All gesandte Botschaft könnten fremde Zivilisationen überhaupt erst auf die Erde
aufmerksam werden und diese eventuell angreifen
dagegen sprach: seit einigen Jahrzehnten, nämlich seit Beginn des Funkverkehrs, sendet die
Erde ohnehin fortwährend Signale, dies zudem mit Lichtgeschwindigkeit, während eine
Sonde sich viel langsamer bewegt, also auch erst viel später wahrgenommen werden könnte

1
immerhin: die nächsten Sonnensysteme, die eventuell Planeten besitzen, auf welchen sich
Leben gebildet haben könnte, sind viele Lichtjahre entfernt – dafür braucht die Sonde, die
sich mit ca. 10 km pro Sekunde bewegt, hunderttausende, wenn nicht Millionen von Jahren
=> damit überhaupt eine Chance bestünde, Außerirdischen Botschaften zu übermitteln,
müssen diese in eine sehr haltbare Form gebracht sein (wobei die Existenz der Funksignale
auch die Frage eröffnet, ob es nicht unnötig ist, eine eigene Botschaft zu entwerfen:
eventuelle Außerirdische können in der Zukunft ein Vielfaches an Nachrichten 'einfach so'
auffangen und sich auf diese Weise ihr Bild machen – tatsächlich ging es nicht zuletzt darum,
dieses Bild zu korrigieren, ein 'besseres' Bild zu liefern)
um die Sonde für ihre lange Reise zu rüsten, ist ein Trägermedium für die Erd-Botschaften
gewählt worden, dem man eine Haltbarkeit von ca. 1 Milliarde Jahren zutraut
es handelt sich hierbei um eine Platte aus Kupfer, die wie eine Schallplatte aufgebaut ist, d. h.
die Rillen besitzt, deren Profil die Informationen trägt, welche beim Abspielen in eine sinnlich
wahrnehmbare Form übertragen werden
die Platte enthält sowohl Bilder als auch Musik, Sprache und Geräusche, ist beidseitig bespielt
und zudem in eine Aluminiumhülle eingepackt – das Paket ist an der Außenseite der Sonde
angebracht, um sofort aufzufallen – in der Sonde befindet sich zudem ein Abspielgerät [Dia
rechts: Voyager-Platte]
in die Plattenumhüllung sind noch etliche Informationen eingraviert – so ist z. B. links oben
schematisch angegeben, wie die Platte abzuspielen ist, oben rechts finden sich Angaben
darüber, wie die Schwingungen in Bilder zu übersetzen sind
unschwer zu sehen: diese Graphiken setzen hochintelligente Rezipienten voraus, die z. B. mit
dem Binärcode oder mit den Naturgesetzen vertraut sind (unten rechts: das Wasserstoffatom
in seinen zwei niedrigsten Energiezuständen)
als zusätzliches Signal an die Außerirdischen – gleichsam als Uhr – wurde auf die Platte
reines Uran 238 aufgedampft, aus dessen Halbwertszeit (4,51 Milliarden Jahre) die
Außerirdischen erschließen sollen, wann die Sonde gestartet wurde
=> man spekuliert auf einen 'Finder', der mindestens so intelligent ist wie die Menschheit –
der die Sonde im Weltraum als UFO entdeckt und einzufangen vermag
würde die Sonde nämlich auf einen Planeten treffen, würde sie beim Eintritt in die dortige
Atmosphäre verglühen oder spätestens beim Aufprall zerstört werden – insofern muß sie
'eingefangen' werden
natürlich machte man sich Gedanken darüber, ob es überhaupt vorstellbar ist, daß eine fremde
Zivilisation die Botschaft der Erde – die Bilder, Töne etc. – zu entschlüsseln vermöchte
man stellte die Frage, ob alle intelligenten Lebensformen etwas gemeinsam haben müssen –
und vermutete es in Mathematik, Logik, sogar in Wissenschaft – die These der an der
Vorbereitung der beiden Voyager-Bild-Ton-Platten beteiligten Wissenschaftler lautete: es ist
keine intelligente Lebensform denkbar, für die 1+1 nicht 2 ist
zugleich war den Wissenschaftlern klar: wirklich interessante, ergiebige Information über die
Erde kann man nur bieten, wenn man über das Mathematisierbare hinausgeht
dann jedoch wird auch um so unwahrscheinlicher, daß die Information richtig verstanden
werden kann
vor allem ist angesichts des unbekannten Adressaten bei jedem Bild zu überlegen, wie es
eventuell mißdeutet werden könnte, ja welche Botschaften es 'noch' enthält, die einem
irdischen Betrachter, der derselben Lebenswelt entstammt, die das jeweilige Foto zeigt, gar
nicht unmittelbar bewußt sind
=> es ging hier in großem Stil um eine ähnliche Frage wie bei im Lauf des Semesters
besprochenen Versuchen einer Globalisierung der Bilder – hatte ein Vasarély mit
Wahrnehmungspsychologen etc. zusammengearbeitet, um Bildmuster zu entwickeln, die
interkulturell freundlich wirken, oder arbeiten die Manager bei Corbis oder Getty Images
daran, Bilder zu generieren, die sich weltweit verkaufen lassen, so stand man hier vor der

2
Aufgabe, Bilder zu suchen, die nicht nur global, sondern interstellar mühelos rezipiert werden
können
es war den Initiatoren wichtig, daß die auswählende Kommission hochkarätig und mit
Fachleuten aus verschiedenen Bereichen besetzt ist – dabei waren Professoren aus Physik,
Astronomie, Philosophie, Soziologie, Leute aus der Biologie oder der Wirtschaft, aber auch
berühmte Science-Fiction-Autoren wie Isaac Asimov oder Robert Heinlein wurden konsultiert
– allerdings waren allein Repräsentanten der westlichen Kultur (inklusive der Sowjetunion) in
der Kommission – daß die beiden Supermächte gemeinsame Sache machten, galt offenbar
bereits als hinreichender Ausweis globaler Repräsentanz – die Folgen dieser Restriktion
werden noch deutlich werden...
natürlich ging es auch darum, wie man sich mögliche Außerirdische vorstellen soll, um darauf
die Auswahl und Art der Bilder sowie weiteren Informationen abzustimmen
nicht uninteressant: die Vorstellung von den Außerirdischen hat sich im Lauf der Zeit
erheblich gewandelt
im 18. Jahrhundert gingen die meisten Intellektuellen noch selbstverständlich davon aus, daß
alle oder zumindest fast alle Planeten bewohnt seien – es erschien ihnen unlogisch, mit dem
Schöpfungsgedanken unvereinbar, daß Gott 'einfach so' Planeten geschaffen haben sollte
entsprechend dachte man sich die Außerirdischen auch nahe an den Menschen – höchstens in
Größe und Lebensgewohnheiten sollten sie sich unterscheiden
vgl. Kant "Von den Bewohnern der Gestirne" innerhalb der "Allgemeinen Naturgeschichte"
(1755) – aus der Größe und Lage des jeweiligen Planeten wird das Aussehen und die
Konstitution der dortigen Lebewesen gefolgert
mittlerweile jedoch ist es üblich geworden, sich Außerirdische möglichst 'anders' vorzustellen,
ja sie sind Inbegriff des 'Anderen' – entsprechend ist man fast immer enttäuscht, wenn ein
Film Außerirdische zum Thema hat: man findet sie zu nah an dem, was man von der Erde her
kennt, zu anthropomorph, ja man hat die vage Vermutung, Außerirdische müßten noch viel
ungewöhnlicher sein
es ist geradezu ein intellektuelles Spiel, sich zu überlegen, in welchen Hinsichten sich
Lebensformen von den auf der Erde bekannten unterscheiden könnten – wie groß die
Differenz sein kann, ohne daß deshalb jegliche Kontaktaufnahme bzw. Kommunikation
unmöglich ist
am Beispiel des Maler-Bilds läßt sich durchspielen, wie unterschiedlich es je nach
Fremdheits-Grad des Rezipienten von diesem wahrgenommen würde – dies als Anlaß, über
Bildwahrnehmung überhaupt nachzudenken
schon für uns heute, 25 Jahre nachdem das Bild als repräsentativ ins All geschickt wurde,
enthält es Aussagen, die 1977 nicht bewußt damit intendiert gewesen sein dürften – und die
heute ganz präsent sind, weil sich Werte verändert haben, andere Themen in den Mittelpunkt
der Aufmerksamkeit gerückt sind
so wird durch das Foto z. B. eine klare, aus heutiger Sicht problematische
Geschlechtertrennung suggeriert – der Mann malt, ist kreativ, während die Frau sich lediglich
darum kümmert, daß es im Raum gemütlich warm ist – sie ist für's Atmosphärische zuständig
auch die Auffassung von Kunst, die dieses Bild in Szene setzt, erscheint antiquiert – und wäre
im übrigen bereits 1977 vielen antiquiert erschienen – der Maler malt offenbar ausschließlich
idyllische Landschaften, malt sie aber nicht ab, sondern sitzt an der Staffelei
=> es ist (das suggeriert auch der Raum mit Holzvertäfelung) ein Hobbymaler – doch wie
sollte ein Fremder den Unterschied zwischen Beruf und Hobby begreifen, wenn ihm nur ein
Bild von Malerei gezeigt wird? – wie sollte er, ist er noch etwas fremder, überhaupt begreifen,
daß der Mann mit dem Gerät in seiner Hand die Fläche, auf die er blickt, verändert?
die Auswahl jedes Bilds wurde von den dafür Zuständigen eigens begründet – liest man die
Erklärung zu diesem Bild, erkennt man, daß es eigentlich um etwas ganz anderes ging – und
wie sehr allein unsere Zugehörigkeit zum Kunstbetrieb genügt, eine im Sinne der Absender

3
'falsche' Deutung des Fotos vorzunehmen – anderes für zentral zu halten als diejenigen für
zentral hielten, die das Bild ausgewählt haben
"Wir wählten dieses Foto vor allem aus, weil es einen Kamin zeigt, und wir dachten, es müsse
irgendwo Feuer gezeigt werden. Dies ist wegen der Sauerstoffatmosphäre möglich. Zufällig
vermittelt das Foto noch eine Menge anderer Informationen – zum Beispiel wie wir auf einem
Schemel sitzen. Vielleicht kann die Tätigkeit des Mannes mit den bereits an der Wand
hängenden Bildern in Zusammenhang gebracht werden, die ein wenig von unserem
schöpferischen Trieb (hier als Landschaftsmalerei) verraten. Dieses Foto wurde in Farbe
aufgenommen, um das Feuer möglichst deutlich zu zeigen."1
à propos: insgesamt wurden 20 der Bilder in Farbe auf die Platte gepreßt
> es verwundert, daß das Feuer das eigentliche Sujet des Fotos sein soll – so auffällig und
manieriert der Kamin auch erscheinen mag, das Feuer selbst ist kaum zu erkennen, nimmt
auch nur einen sehr kleinen Teil des Bilds ein
=> um es überhaupt als wichtig identifizieren zu können, muß man bereits sehr gut mit all
dem vertraut sein, was auf dem Foto zu sehen ist
auch das Schemel-Sitzen wirkt nicht gerade als Haupt-Information des Fotos – wie sollte das
dann erst für Außerirdische klar werden?
ohnehin fällt auf, daß ein solches Foto ziemlich undeutlich ist – und enorm viel voraussetzt:
> die Raumordung ist nur schwer zu begreifen – wohin mündet z. B. der Kamin? was für eine
Decke besitzt das Zimmer? welche Ausmaße hat es? => warum hat man kein Foto
ausgewählt, das einen klareren Eindruck von einem Innenraum vermittelt?
> die Position und Tätigkeit der Frau ist kaum nachvollziehbar: sitzt sie auf dem Boden? oder
ist sie in der Hocke? was genau macht sie mit ihren Händen? wie paßt ihre Kleidung zu ihrem
Tun? => warum hat man kein Foto ausgewählt, das eine klare und alltagstypische Handlung
zeigt?
> das Design des Kamins paßt nicht zu den Zimmerwänden, merkwürdig wirkt auch die
Steinumfassung der Feuerstelle, ist aber ebenfalls nur schwer zu identifizieren
=> für auch nur 'ein bißchen' Außerirdische (wie uns) kann das Foto eigentlich bloß
unverständlich sein – für 'richtig' Außerirdische ist es mutmaßlich völlig unbegreiflich
z. B. ist zu fragen, ob eine außerirdische Zivilisation den Unterschied von organisch und
anorganisch kennt und daher die Personen auf dem Bild als etwas kategorial anderes
gegenüber z. B. den Bildern oder dem Kamin ansieht – abgesehen davon, ob sie den
Unterschied von weiblich und männlich oder auch die Differenz von Vorder- und Hintergrund
bei einer bildlichen Darstellung zu identifizieren vermag (vgl. Bilderkennung von Computern)
tatsächlich: es ist nicht einmal unbedingt vorauszusetzen, daß eine andere Intelligenz dazu in
der Lage ist, mit Bildern umzugehen, ja daß sie überhaupt über visuelle Sinneswahrnehmung
verfügt
vielleicht würden die Signale auf der Platte zwar abgespielt, aber nicht in Bilder übertragen
werden, sondern als Geräusche oder als Schwingungen ganz anderer Frequenzbereiche
rezipiert werden – mit entsprechend anderen 'Ergebnissen'
=> man sieht: es erscheint im Nu als ein höchst spekulatives, ja sogar durch und durch
absurdes Projekt, den Planeten Erde bzw. die Menschheit extraterrestrischen Wesen
präsentieren zu wollen, ja eine Kommunikation via Bilder oder Töne zu versuchen
da man keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich des Adressaten hat, kann man natürlich auch so
tun, als sei dieser den Menschen (den heute in einer westlichen Kultur lebenden Menschen)
ziemlich ähnlich – es ist nicht unwahrscheinlicher, daß eine fremde Kultur menschenähnlich
ist als daß sie völlig menschenunähnlich ist
=> so zu tun, als sei der Adressat intellektuell verwandt, hat zumindest den Vorteil, daß man
eine Botschaft entwickeln kann, die wenigstens nach den eigenen Kriterien möglichst
1
Jon Lomberg, Bilder von der Erde, in: Carl Sagan, Signale der Erde. Unser Planet stellt sich vor, München
1980, S. 149.

4
unmißverständlich ist – geht man von einem grundsätzlich anderen Adressaten aus, hat man
hingegen keine Kriterien hinsichtlich Klarheit, Eindeutigkeit, Lesbarkeit von Bildern bzw.
anderen Botschaften
=> was zuerst beschränkt – naiv – anthropozentrisch erscheinen mag, erweist sich als
zumindest nicht 'dümmer' als jeder andere Standpunkt, den man versuchsweise einnehmen
könnte, um sich Außerirdische vorzustellen, an die man etwas adressieren möchte
=> der Kanon an Bildern ist nach Kriterien des Absenders ausgewählt, d. h. es handelt sich
hierbei um eine Art von Selbstbildnis – um eine Auswahl, die sich nicht wesentlich
unterscheidet von einer Auswahl, die man für ein Lexikon vornehmen würde, das den
Anspruch hat, ein möglichst repräsentatives Bild von der Welt zu liefern
das Besondere besteht in diesem Fall jedoch darin, daß man nur sehr geringe Kapazitäten
hatte: die Welt in 116 Bildern zu präsentieren, verlangt viele Abstriche, Kompromisse
dieser Kanon läßt sich mit einem Touristen-Prospekt vergleichen – in diesem Fall stellt sich
nicht nur eine Stadt oder ein Land, sondern der gesamte Planet vor – man zeigt
Sehenswürdigkeiten, das, worauf man stolz ist, was man als das 'Eigene' der Erde ansieht
(insofern globale Dimension!)
insofern läßt sich das Problem, vor dem die NASA stand, auch als Marketingproblem
formulieren: man wußte nichts über die Zielgruppe, über die Bedürfnisse der außerirdischen
'Touristen', die man mit der Voyager-Platte auf die Erde aufmerksam machen wollte
aber man hatte durchaus Angst, die Fremden zu verstören, zu beleidigen, zu Aggressionen zu
reizen
daher wurde die Auswahl der Bilder und anderen Botschaften enorm ernst genommen, es gab
über jedes Bild längere Verhandlungen – und einige zuerst vorgesehene Bilder wurden auch
abgelehnt, wobei sich zeigt, daß die Rücksicht auf die Außerirdischen oft nur vorgeschoben
war, in Wirklichkeit aber eine spezifisch US-amerikanische Prüderie ihren Tribut verlangte
[Dia rechts: Paar]
"Zu den Bildern, deren Einbeziehung wir für wichtig hielten, gehört eine Folge über die
menschliche Fortpflanzung. (...) Es schien uns nicht wahrscheinlich, daß eine Darstellung der
menschlichen Fortpflanzung, gleichgültig, wie graphisch dargeboten, von den Empfängern als
pornographisch empfunden werden könnte (...). Die NASA hatte uns jedoch klargemacht, daß
sexuelle Informationen besonders deutlicher Natur hier unten auf der Erde unangenehme
Auswirkungen haben könnten. (...) Dementsprechend wählten wir ein Foto aus, das wir für
äußerst geschmackvoll hielten. Es zeigte einen jungen Mann mit einer jungen Frau, die
sichtlich schon mehrere Monate schwanger war, und man konnte in den Blicken der beiden
gegenseitige Zuneigung erkennen. Wie es die Logik der Bilderfolge erforderte, kehrten sie der
Kamera ihre Vorderseite zu, doch das Ausmaß an sinnlichem Interesse schien uns minimal.
Das Bild erfüllte auch die Voraussetzungen, daß es in keiner Veröffentlichung erschienen
war, die man als pornographisch hätte betrachten können (...) – es wird jedoch von keinem
außerirdischen Interpreten der Voyager-Botschaft je betrachtet werden können."2
an dieser Passage wird die gesamte Problematik – Absurdität? – der Bildauswahl nochmals
deutlich:
> die Unfähigkeit, aber auch der fehlende Wille, über den menschlichen Horizont
hinauszudenken – wie sollten Außerirdische jemals dazu in der Lage sein, z. B. den
Gesichtsausdruck der beiden Menschen (die gegenseitige Zuneigung in den Blicken) zu
deuten? – wieso sollten sie einen Begriff von Nacktheit oder von Pornographie haben? – wie
sollten sie durch ein Foto empört werden, das mehr nicht zeigt als zeigt, ja das gerade das,
was vermeintlich sein Thema ist, nämlich die Geschlechtlichkeit des Menschen, in Schatten
und Unschärfe zu verbergen sucht?

2
Carl Sagan, Für künftige Zeiten und Existenzen, in: Ders., a.a.O., S. 39f.

5
=> es sind allein irdische – und spezifisch puritanische – Maßstäbe, die hier zur Geltung
kommen – es geht tatsächlich primär darum, "unten auf der Erde unangenehme
Auswirkungen" zu vermeiden
=> der Bildkanon ist aus einer seltsamen double-bind-Situation heraus entstanden, indem er
weder einzelne Interessengruppen auf der Erde, noch potentielle Außerirdische brüskieren
will (doppelte political correctness) – mit dem Verweis auf die eventuellen Gefühle der
Außerirdischen wird ein Bild ausjuriert, das in Wirklichkeit vor allem eine religiöse,
politische oder ethnische Gruppe auf der Erde gestört hätte
auch überlegte man sich, welche Reaktionen die Bilder bei den Außerirdischen auslösen
könnten – ob es etwa klug wäre, die die Menschheit bedrohenden Probleme zu zeigen – und
damit die eigene Verletzlichkeit einzugestehen
infolge vieler solcher Überlegungen und Rücksichtnahmen wurde aus dem Kanon eher eine
Ansammlung von Unverbindlichkeiten denn eine prägnante Darstellung der Verhältnisse auf
der Erde – Schönfärberei wie im Prospekt einer Sekte
"Es gab einige Themen, die wir bewußt vermieden. Wir einigten uns darauf, Krieg, Krankheit,
Verbrechen und Armut nicht darzustellen. Es wäre naiv, die Bedeutung dieser Phänomene für
die menschliche Kultur und Geschichte zu leugnen (...), wir waren jedoch der Ansicht, daß
wir etwas schaffen wollten, das uns und unsere Zeit überleben sollte – vielleicht das einzige
Zeugnis von der Erde, über welches das Universum verfügen würde. Wir beschlossen, daß
das Schlimmste von uns nicht in die Galaxis geschickt zu werden brauchte. Wir wollten auch
jede politische Äußerung in dieser Botschaft vermeiden (...). Wir wollten auch nicht, daß
irgendein Teil der Botschaft den Empfängern drohend oder feindselig erscheint (...), deshalb
nahmen wir auch kein Bild von einer Kernexplosion auf. Ebenso beschlossen wir, kein Bild
mitzusenden, das spezifisch religiös war. (...) Schließlich beschlossen wir, keine Fotos von
Kunstwerken mitzuschicken – vor allem deswegen, weil wir uns nicht für kompetent hielten,
zu entscheiden, welche Art von Kunst aufgenommen werden sollte."3
man entdeckt hier die unterschiedlichsten Begründungen dafür, etwas nicht in den Kanon
aufzunehmen
neben der Angst vor der Reaktion Außerirdischer sowie Rücksichtnahmen auf menschliche
Interessengruppen ist etwa auch die Vorstellung leitend, die Voyager-Platte sei so etwas wie
ein Grabstein der Erde – das letzte und einzige, was von ihr übrig bleibt – es gibt aber: de
mortuis nil nisi bene, daher soll nur das Gute in Erinnerung bleiben
ferner und vor allem: die Aufgabe, 116 Bilder auszuwählen, um die gesamte Erde und
Menschheit zu repräsentieren, ist zu schwierig, zu groß dimensioniert bzw. das Thema ist zu
weit angesichts des stark limitierten Platzes
von allen Kunstwerken könnte lediglich eine Handvoll ausgewählt werden, was selbst die
größten Experten überfordern würde (auf hundert Meisterwerke kann man sich einigen, auf
fünf sicher nicht) – und wenn man eine Religion zeigt, müßte man viele andere Religionen
mit demselben Recht zeigen – und schon wären die 116 Bilder allein mit Fotos von Kirchen,
Moscheen und Tempeln ausgeschöpft
=> in gewisser Weise kollabiert bei der Voyager-Platte die Idee des Kanons infolge einer
Überforderung
was mit dem Anspruch einer besonders strengen Auswahl verbunden ist, endet in einem
Ausweichen vor allen Themen, die so viel Strenge nicht vertragen
=> statt Klarheit und Übersicht vermittelt der Kanon lediglich Unverbindlichkeit [Dia rechts:
Nr. 114: Sonnenuntergang]
es gibt einige Bilder in der vermeintlich rigorosen Auswahl, die von geradezu verblüffender
Banalität sind, ja die ein eklatanter Mangel an Präzision und Informationscharakter
kennzeichnet
was z. B. soll ein Sonnenuntergang?
3
Jon Lomberg, Bilder von der Erde, in: Sagan, a.a.O., S. 72ff.

6
drei Argumente nannte die Kommission, die für diese Auswahl verantwortlich war:
1. das Rotwerden von Licht gibt Aufschluß über die Atmosphäre
2. die Vogelsilhouetten führen den Mechanismus des Vogelflugs vor
3. man will zeigen, wie schön es auf der Erde ist
alle drei Argumente vermögen nicht zu überzeugen:
> so ist das Bild zu schlecht konturiert, um erwarten zu können, daß irgendein Außerirdischer
überhaupt Himmel und Wasser voneinander unterscheiden und damit den Horizont
identifizieren kann; wenn das schon nicht gelingt, sind aber auch keine Rückschlüsse auf
physikalische Phänomene wie Farbverschiebungen möglich
> die Vögel sind zu klein, zum Teil auch zu unscharf, um sie überhaupt als Tiere, als bewegte
Lebewesen erkennen zu können
> was viele Menschen als schön empfinden, könnte genauso als bedrohlich aufgefaßt werden:
die grellen Rot- und Gelbtöne – warum sollte rein ästhetisch betrachtet ein Sonnenuntergang
schöner sein als eine Kernexplosion mit Atompilz, den man sich nicht aufzunehmen getraut
hat?
es zeigt sich: bei den Bildern ist der Informationswert höchst relativ, jeweils wird sehr viel
vorausgesetzt, damit sich überhaupt auf das 'zugreifen' läßt, was ein Foto an Information
enthalten mag
noch etwas fällt bei nahezu allen Bildern der Voyager-Platte auf: sie sind gerade nicht
didaktisch, nicht so klar wie z. B. Illustrationen im Bild-Duden, sondern es handelt sich um
weitgehend unspezifische Bilder
tatsächlich: man machte sich in fast keinem Fall die Mühe, eigens für die Platte Bilder
anzufertigen, sondern bediente sich bei Bildagenturen – man hatte vielleicht auch zu wenig
Zeit dafür, insgesamt nämlich kaum mehr als ein halbes Jahr zwischen den ersten
Konsultationen und dem Start der ersten Voyager-Kapsel
=> die Bildplatte besteht zu nicht unerheblichen Teilen aus Stock-Fotografie, d. h. aus
Lagerware, die ja gerade dadurch gekennzeichnet ist, möglichst unverbindlich zu sein, um so
möglichst oft, für verschiedene Situationen und Kontexte verwendet werden zu können
der jeweilige Kontext, eine Bildunterschrift formatiert das Foto gleichsam erst, das sonst
merkwürdig neutral, aussagelos ist [Dia links: Nr. 48: Abgefallene Blätter]
das Foto mit dem Herbstlaub soll nicht nur etwas über die Jahreszeiten auf der Erde
vermitteln, sondern angeblich auch Aufschluß darüber geben, welche Pigmente bei der
Fotosynthese von Bedeutung sind
die leichte Überbelichtung wirkt nicht nur verfremdend, sondern erschwert auch die
Erkennbarkeit, wie es übrigens bei etlichen Fotos der Fall ist [Dia rechts: Nr. 45: Monument
Valley] – so sind etwa die Schafe und Ziegen eines Fotos einer Vulkanlandschaft kaum zu
identifizieren
[Dia links: Nr. 49: Mammutbaum und Schneeflocke] das Foto verschneiter Mammutbäume
mit einer vergrößerten Schneeflocke am rechten unteren Bildrand soll auf die Existenz von
Wasser auf der Erde hinweisen (und natürlich ebenfalls auf die Jahreszeiten)
freilich: das Bild erscheint fast surreal, selbst für viele Menschen dürfte nicht zu erkennen
sein, was da genau abgebildet ist (besonders absurd: der Kopf am unteren Bildrand soll auf
Größenverhältnisse aufmerksam machen) [Dia rechts: Nr. 46: Waldansicht mit Pilzen]
eine Waldaufnahme soll eine Vorstellung von Bäumen vermitteln – wiederum erscheint die
Auswahl äußerst problematisch: warum nimmt man hierfür ein Foto, das lediglich
Baumstämme und Dickicht zeigt und nicht ein oder zwei Bäume in Gesamtansicht?
für jemand, der Wald nicht kennt, muß das Bild völlig unverständlich bleiben, ja erscheint
abstrakt – es ist das Gegenteil eines anschaulichen, um Eindeutigkeit bemühten Fotos
es fasziniert beinahe, wie offenkundig ungeschickt die Bildauswahl stattgefunden hat – etwas
für uns Menschen Eindeutiges braucht für Außerirdische noch längst nicht eindeutig zu sein,

7
doch ist nicht zu erwarten, daß ein schon für uns unklares Bild von Außerirdischen so
gedeutet wird, wie es die Kommissionsmitglieder gerne haben würden
diese unprofessionelle Bildauswahl überracht um so mehr, als das Problem fehlender
Eindeutigkeit durchaus bewußt war
so bemerkte der Schriftsteller und Künstler Jon Lomberg, der an der Bildauswahl beteiligt
war:
"Ich sah mir die Fotos an und versuchte mir vorzustellen, den Gegenstand noch nie gesehen
zu haben. Wie könnte das Foto falsch ausgelegt werden? War es mehrdeutig? Wie könnte die
Größe des Dargestellten logisch gefolgert werden?"4
offenbar reichte die Einbildungskraft oft nicht sehr weit...
immerhin handelt es sich bei den bisher gezeigten Bildern um einige der Farbaufnahmen, d. h.
um die Bilder, denen besondere Wichtigkeit zugesprochen wurde
das Gros der Bilder ist nur Schwarz-Weiß – und entsprechend oft ist erst recht kaum zu
erkennen, was eigentlich dargestellt sein soll [Dia links: Nr. 83: Chinesische Mauer]
so naheliegend es sein mag, die Chinesische Mauer als Dokument menschlicher Baukunst für
den Kanon auszuwählen, so schwer ist es doch, diese auf einem einzigen Foto angemessen
abzubilden – die scharfen Hell-Dunkel-Kontraste auf dem ausgewählten Foto erschweren es
freilich unnötig, überhaupt zu erkennen, daß es sich hier um eine Mauer handeln soll
selbst die wenigen Bilder, die eigens für den Kanon angefertigt wurden und die in klar
didaktischer Absicht entstanden, wirken seltsam ungeschickt, ihrer Aufgabe nicht gewachsen
[Dia rechts: Nr. 82: Lecken, Essen und Trinken]
ein Foto etwa soll drei Arten der Nahrungsaufnahme zeigen – Lecken (bei Eis), Essen und
Trinken – dies wird jeweils demonstrativ dargestellt, was seltsam unnatürlich wirkt – gerade
im Kontrast zu vielen anderen Bildern, denen jegliche demonstrative Note abgeht [Dia links:
Nr. 80: Fischzubereitung]
so ist das Zubereiten von Fisch, dem ein weiteres Bild gewidmet ist, wieder ziemlich lapidar
in Szene gesetzt und z. B. wohl schon für menschliche Kulturen, die keine Fische kennen,
nicht verständlich
[Dia links: Nr. 76: Mann mit Trauben] [Dia rechts: Nr. 77: Supermarkt]
manche Bilder sind auch als Paare angelegt (und folgen entsprechend direkt aufeinander)
eines dieser Paare soll demonstrieren, auf welche Weisen der Mensch zu seinen
Nahrungsmitteln kommt, nämlich entweder direkt oder indirekt, via Handel
zweimal ist jemand zu sehen, der gerade Trauben ißt, einmal von der Rebe, das andere Mal im
Supermarkt stehend
das zweite der Bilder ist eigens für die Bildplatte gemacht und wirkt wieder entsprechend
unnatürlich, gestellt
angeblich gingen fünf Mitglieder der Kommission in einen Supermarkt, füllten einen
Einkaufswagen, provozierten einen Streit mit dem Geschäftsführer, als sie zu fotografieren
begannen, und verursachten einen Menschenauflauf, als sie den Zweck des Fotos erklärten
[Dia links: Nr. 93: United Nations bei Tag] [Dia rechts: Nr. 94: United Nations bei Nacht]
ein anderes Bildpaar zeigt das Gebäude der Vereinten Nationen in New York – einmal bei
Tag, einmal bei Nacht, womit man demonstrieren wollte, daß es auf der Erde elektrisches
Licht gibt
[Dia links: Nr. 37: Familie in Silhouette] [Dia rechts: Nr. 38: Familienporträt]
wieder ein anderes Bildpaar zeigt das Foto einer (amerikanischen) Familie sowie eine
schematische Zeichnung von einigen ihrer Mitglieder
diese Übersetzung eines Bilds in eine andere Darstellungsform erscheint sinnvoll, wird so
doch eine 'Lesehilfe' gegeben und z. B. überhaupt erst verdeutlicht, wie wir Menschen
Einheiten erkennen und etwa mehrere Teilflächen zu einer Gesamtform zusammensetzen

4
Ebd., S. 82.

8
zudem wird etwas der Schwierigkeit begegnet, daß viele der ausgewählten Bilder ohne
Textlegende ziemlich aussagelos erscheinen, nicht von sich aus zeigen, was das Wichtigste,
das eigentliche Thema des Bilds ist (daß sie gleichsam eine homogene Bildoberfläche
besitzen, aus der nichts besonders heraussticht – eine Neutralität, wie sie für Stock-Fotografie
typisch ist)
eine Silhouetten-Zeichnung deutet an, worum es auf einem Bild geht – in diesem Fall um
Lebensalter, um die verschiedenen Generationen (wobei das Foto insofern etwas ungeschickt
ausgewählt scheint, als die mittlere Generation darauf nahezu fehlt, es also wirkt, als gebe es
fast nur junge und alte Menschen)
=> die Silhouetten-Zeichnung wird zur Erklärung, zum Kommentar – erst durch solche
Bildpaare bzw. Bildfolgen entsteht eine diskursive Ebene, d. h. wird aus bloßer
Bildinformation eine Bildaussage
generell gilt: ein Bild hat für sich allein nicht den Charakter einer Aussage, eines Satzes (ein
Bild kann z. B. nichts verneinen, keine Frage stellen, nichts relativieren)
erst durch seine Einbettung in einen Kontext sagt ein Bild etwas aus – für sich allein liefert es
höchstens Angebote für Aussagen, kann (z. B. durch eine Bildunterschrift) als Illustration
einer Aussage, als treffende Visualisierung erscheinen – wenn ein Bild bzw. Bildtyp immer
wieder von derselben Aussage begleitet wird, ist diese ihm gleichsam eingewachsen, ist sie in
das Bild verinnerlicht, so daß es selbst den Charakter einer Aussage enthält
auch sonst trägt ein Bild den es erschließenden Kontext oft schon in sich – ein
mittelalterliches Bild z. B., das wesentlich aus Dingsymbolen aufgebaut ist, ist unmittelbar für
jeden lesbar und in seiner Botschaft verständlich, der mit dieser Symbolwelt vertraut ist – der
die Sprache beherrscht, in der das Bild formuliert ist
kulturelle Kompetenz besteht gerade darin, solche Symbolsprachen zu können, auch
Bildmuster zu erkennen und allein daher zu wissen, worum es auf einem Bild geht
der vorher gesehene Sonnenuntergang z. B. ist für uns eindeutig, weil wir alle zahlreiche
ähnliche Bilder gesehen haben – und daher wissen, was das Thema, die Aussage eines
solchen Bilds ist (Schönheit, Romantik, Urlaub, Freiheit, Marlboro) – das einzelne Bild wird
gleichsam durch alle ähnlichen Bilder, die wir schon gesehen haben, kommentiert/erklärt
das passiert unbewußt und betrifft im übrigen genauso die Bildproduktion – jedes neue Bild
steht von vornherein in einem Kontext anderer, verwandter, bereits bekannter Bilder – d. h.
die 'Neuheit' ist ohnehin relativ, alles reduziert sich auf Bildmuster
(Agenturbilder versuchen, kontextoffen zu sein, um sich für verschiedene
Verwendungsweisen zu eignen)
ohne Kenntnis solcher Bildmuster, d. h. ohne ikonographisches Vorwissen sind Bilder jedoch
zuerst nur homogene Oberfläche, ein gleichförmiger Teppich von Einzelinformationen
dieses ikonographische Vorwissen ist häufig jedoch rein kultur- oder sogar bildungsspezifisch
– Menschen in einem innerafrikanischen Wüstenstamm haben bei Sonnenuntergängen
vermutlich ganz andere Konnotationen als wie Westler, die in romantischer Traditionen
stehen
dies macht erst deutlich, wie unreflektiert die Bildauswahl der Voyager-Kommission
getroffen wurde – es liegt hier kein Anthropozentrismus vor, sondern ein Euro-
Americozentrismus – keine globalen Bilder!
=> wer die Tradition dieser westlichen Bildkultur nicht kennt, wird die Voyager-Bilder nicht
einordnen und daher auch nicht lesen können
für einen Außerirdischen wären es sogar die ersten Bilder der Erde, und es ist höchst
unwahrscheinlich, daß eine Kultur auf einem fernen Stern ähnliche Bildtypen
(Sonnenuntergang, Familienfoto, Naturaufnahmen etc.) entwickelt hat, um ein Bild sogleich
entsprechend einordnen und in seiner Bildaussage begreifen zu können

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allein durch die angesprochenen Bildpaare sowie durch die Tatsache, daß die Bilder
insgesamt in einer Reihenfolge präsentiert werden, wird die Aussagelosigkeit, die
merkwürdige Homogenität der Bilder etwas gemildert
tatsächlich hat man sich genau überlegt, in welche Abfolge man die Bilder bringt, ja sie zum
Teil sogar danach ausgewählt, daß sie sich in eine 'Geschichte' fügen [Dia links: Bild 1-18]
[Dia rechts: Bild 19-36]
es beginnt ganz einfach mit einem Kreis als einfachster geometrischer Form, als Abbild der
Platte und damit gleichsam als logischer Beginn der Bildfolge, aber auch wegen seiner
Eignung zur Kalibrierung
es folgen Bilder, die das naturwissenschaftliche System darstellen und gleichsam die Basis
dessen zeigen, was die Voyager-Sonde erst möglich gemacht hat
Bilder einzelner Planeten des Sonnensystems sollen Außerirdischen helfen, die Erde als den
Absender der Botschaft zu lokalisieren
dann geht es um die Grundlagen irdischen Lebens – DNS, Zellteilung, Fortpflanzung etc.,
konzentriert auf den Menschen [Dia links: Bild 37-54] [Dia rechts: Bild 55-72]
in einer weiteren Folge von Bildern wird die Vielfalt des irdischen Lebens gezeigt –
verschiedene Tierarten, Landschaftstypen, Naturphänomene sind abgebildet
dann wird ein Einblick in die verschiedenen menschlichen Rassen gegeben [Dia links: Bild
73-90] [Dia rechts: Bild 91-108]
als nächstes sind diverse menschliche Tätigkeiten dargestellt, danach ist vorgeführt, wie der
Mensch seine Umwelt gestaltet und verändert, wie er Kultur in Zivilisation verwandelt – die
technischen Errungenschaften werden am Beispiel der Fortbewegung illustriert (vom Auto
über die Bahn bis zum Flugzeug und schließlich zum Raumflug – als Voraussetzung für die
Voyager-Kapsel) [Dia links: Bild 109-116]
insoweit besitzt die Bild-Abfolge eine gewisse Plausibilität – allerdings bleiben die meisten
einander benachbarten Bilder wohl doch zu unvermittelt, als daß ein Außentstehender (und
erst recht ein Außerirdischer) die Zusammenhänge begreifen könnte
sinnvoll wäre es, wenn auf einem Bild jeweils etwas auftaucht, was auf dem Bild davor
bereits zu sehen war – damit würden sich Kontexte aufbauen, Relationen deutlicher werden,
Hypothesen bestätigen oder widerlegen lassen
vgl. die Konfrontation mit einer fremden Sprache: Wörter, die nur einmal auftreten, kann man
in ihrer Bedeutung eigentlich nicht erschließen – Wörter erklären sich vielmehr wechselseitig,
nur wenn sie öfters auftauchen, läßt sich allmählich erahnen, was mit ihnen gemeint ist
(Kontextprinzip)
=> günstig wäre ein Domino-Prinzip der Bildanordnung gewesen – außerdem hätten einzelne
Motive/Sujets auf vielen Bildern wiederkehren sollen, so wie in einem Comic, das ja ebenfalls
davon lebt, daß man die Handlung (fast) ohne Text oder Zusatzerklärungen begreift
=> die NASA-Kommission hat tatsächlich eher einen Kanon aus Einzelbildern aufgestellt,
anstatt einen 'Bildroman' zu entwickeln – jedes Bild steht für sich
=> nach allem, was bisher besprochen wurde, dürfte jedenfalls klar geworden sein: man hat
nicht gerade alles getan, um sich einer extraterrestrischen Zivilisation verständlich zu machen,
wie rein menschlich-westlich man gedacht hat, demonstriert gerade auch das Ende der
Bildsequenz – auf einen Raketenstart folgt der bereits besprochene Sonnenuntergang und soll
die emotionale-romantische Seite des Menschen zeigen, auch als Überleitung zu einer
Auswahl an Musikstücken, die sich an die Bilder anschließen [Dia links: Nr. 115:
Streichquartett] [Dia rechts: Nr. 116: Quartettpartitur und Geige]
natürlich sind die Bilder für jemand unserer Zivilisation Fernstehenden wieder einmal
zwangsläufig unverständlich – vor allem wird das damit verbundene Pathos nicht vermittelbar
sein
die Partitur enthält einen Teil eines Satzes eines späten Streichquartetts von Beethoven (opus
130), mit dem auch die gesamte Bild-Ton-Platte endet – diese Musik soll besonderen Ernst,

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Melancholie, gar eine Art von Einsamkeitsschmerz ausdrücken und signalisieren, wie
verloren im All der Mensch sich fühlt – zugleich soll es als Requiem auf die Menschheit
ertönen, wenn es Außerirdische einmal abhören, zu einem Zeitpunkt, zu dem es die
Menschheit mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr gibt
die Auswahl von insgesamt 27 Musikstücken war für die Kommission und eigens zugezogene
Musikwissenschaftler ähnlich kompliziert wie die Bildauswahl – konnte man dort mögliche
Konfliktthemen wie Religionen aussparen, ist dies bei Musik schwerer – auch wollte man
möglichst viele Musikkulturen berücksichtigen, um keine Gesellschaft oder Tradition zu
benachteiligen
die Auswahl beginnt mit einer Passage aus einem Brandenburgischen Konzert von Bach – als
Beispiel für eine besonders klare, geradezu mathematisch aufgebaute Musik
darauf folgen u. a.: ein Initiationsgesang von Pygmäenmädchen, ein japanisches Lied, die
Arie der Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte", der "Melancholy Blues" von Louis
Armstrong, ein peruanisches Hochzeitslied, ein Panflötenstück von den Salomoninseln,
Beethovens erster Satz aus der 5. Symphonie und ein Tanz aus Strawinskis "Sacre du
Printemps"
Bach und Beethoven sind als einzige Komponisten zweimal vertreten – vor dem ernsten
Beethoven kommt das Lied "Dunkel war die Nacht" von Blind Willy Johnson, das ebenfalls
bereits melancholisch stimmen soll
es wurde auch erwogen, die Musikauswahl, die insgesamt ca. 1,5 Stunden in Anspruch
nimmt, als Schallplatte zu veröffentlichen, was dann aber wohl nicht passiert ist – allein die
Überlegung zeigt jedoch, daß auch hier letztlich eher die Menschen selbst Adressaten des
Kanons waren als Außerirdische – es ließe sich hinsichtlich der Kriterien der Auswahl wohl
auch ähnlich viel kritisieren wie im Fall der Bilder
freilich: immer wieder kann man zur Entschuldigung anführen, daß es eigentlich gar nicht
möglich ist, jemandem eine Botschaft zu schicken, den man überhaupt nicht kennt
die daraus resultierende Hilflosigkeit zeigt sich nicht zuletzt auch an Grußbotschaften in
verschiedenen Sprachen, die der Bild-Ton-Platte beigegeben wurden (die darüberhinaus auch
noch eine Auswahl typischer Erdgeräusche vom Donner, über Vogelgezwitscher bis hin zu
einem Kuß enthält, der übrigens, so die Vorgabe der NASA, eindeutig heterosexuell klingen
mußte)
die Grußbotschaften sollten die Vielzahl irdischer Sprachen demonstrieren – und gingen
einmal mehr davon aus, daß es den Außerirdischen möglich sein würde, den jeweiligen
Wortlaut zu verstehen
die längste Botschaft sandte Jimmy Carter als Präsident der USA – darin heißt es über die
Voyager-Sonde:
"Wir Menschen sind noch in nationale Staaten unterteilt, aber diese Staaten werden bald eine
einzige, globale Zivilisation sein (...). Dies ist ein Geschenk von einer kleinen, fernen Welt,
ein Zeugnis unserer Geräusche, unserer Wissenschaften, unserer Bilder, unserer Musik,
unseres Denkens und unseres Fühlens. Wir versuchen, unsere Zeit zu überleben, so daß wir in
eurer leben können. Wir hoffen, nach der Lösung unserer gegenwärtigen Probleme einmal
einer Gemeinschaft von Milchstraßen-Zivilisationen beizutreten. Diese Platte soll für unsere
Hoffnung und unsere Entschlossenheit sprechen sowie für unsere Bereitwilligkeit inmitten
eines unermeßlichen, ehrfurchtgebietenden Universums."5
interessant: hier wird bereits eine globale Kultur behauptet – bzw. als unmittelbar
bevorstehend beschrieben – indirekt wird damit auch suggeriert, die Dokumente auf der Platte
seien Zeugnisse einer solchen Weltkultur – und nicht etwa nur die Auswahl, die allein
Mitglieder einer einzigen Kultur vorgenommen haben
auch bemerkenswert: die Globalisierung nicht als Endstufe der Entwicklung, sondern als
erster Schritt einer interstellaren Zivilisation, d. h. die Bilder und Töne auch als erster Beitrag
5
Ebd., S. 34.

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zu einer solchen Zivilisation – als nicht nur globalisierte, sondern universalisierte Bilder und
Töne
der in deutscher Sprache gesprochene Gruß gehört zu den kürzesten auf der Platte und lautet
einfach: "Herzliche Grüße an alle!"
etwas freundlicher dafür die Chinesen: "Hoffen, Euch allen geht es gut. Wir denken an Euch
alle. Bitte, kommt hierher und besucht uns, wenn Ihr Zeit habt!"
und überzeugt von der extraterrestrischen Verbreitung ihrer Sprache, heißt es von seiten der
Türken: "Liebe türkischsprechende Freunde, mögen die Ehrenbezeugungen des Morgens über
Euren Häuptern sein."

während der Dauer dieser Vorlesung haben sich die beiden Voyager-Sonden jeweils schon
wieder mehr als 50000 km von der Erde entfernt

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