Ad eund!em"
***
In Philologiam seu Crisin.
Per classicam gentem volasse quid prodest,
Quum nec polus petatur hisce nec terra?
Ad Auctorem libri.
Musaeis, Weigeli, diis adamate, Poetae
In te qui iuuenis sit amor penna indice nosce:
Ardore in tantum te diligit admirando
Vt quaecunque potest, quanquam sint paucula, voto,
Andreas, teurer Freund, wenngleich seit kurzem erst: So wie heute der Menschen
Sitten sind, kriechen viele, obwohl sie selbst bequem auf Gänsedaunen liegen
und wünschen, daß andere sich bei der überreichlichen Ernte handfester Freude
anstrengen (und das nicht wenig), trotzdem – mir nichts, dir nichts – öfters mit
ziemlich dreistem Bemühen auf recht niedrige Gipfel. Andere mühen sich an-
fangs ein wenig, aber bevor es genug ist, hören sie, der Mühen ungewohnt, auf.
(10) Du und ich, da täusche ich mich nicht, sind im Innersten der festen Über-
zeugung: Sowohl der Unbeständige wie der Faule sind beide arm an Ruhm, denn
der Unbeständige wird den Ruhm bald nicht mehr haben, der Faule hat ihn über-
haupt nicht. Also mach weiter, was Du auch bisher getan hast, ruhmvoll bewege
dich so durch den Sturm zum Gipfel.
***
Gegen die Philologie oder Kritik.
Was nützt es, die klassischen Gefilde durchflogen zu haben,
Wenn in diesen weder Himmel noch Erde angesteuert werden?
– ET NOS CEDAMVS –
Mart. Opicius Silesius
fecit inuocatus
fratri coniurato et
quasi–vero
VII. Quintilis.
Anno M DCXV.
***
URbem qvi volet aestimet, diesque
Civico numeret meros labello,
Otioque terat laborioso
Ad marcorem animi virentis annos.
5 Nobis non vacat esse tam beatis,
Et per rura, per arva, perque colles
Festivos nimis et nimis facetos
Malumus, Deus audiat, beari:
Bene hic vivere, et hic bene esse salvi.
10 Scultetus pater integri bonique
Exemplum probitatis invidendae,
Qvanta qvaeso beatitate fertur,
Qvi hic ad assiduas humi medullas,
Campi Gratiolas Lubedinesque,
15 Ut vixit sibi, sic Deo interivit.
M ART. O PITIUS S ILESIUS.
THRENUS DE VITA
numeris simplicibus.
CEu muto Zephyri sub murmure fota canori,
Infans et lucis nescia, luxuriat
Ad spinas belle rosa, desiliente humore
Roscida sub noctis sidera de foliis
5 Vix ac vix clausis: jam sensim blanda videres
Alarum lepidi surgere remigia
lieber Dir anvertrauen will, als hundert undankbaren Gimpeln erfolglos zu nüt-
zen. Toll ist, wer von sich aus den wahren Freund verschmäht.
Denn das Edle wirst Du wohl von den Edlen lernen.
***
Wer will, mag die Stadt hochschätzen und seinem städtischen Liebling ganze
Tage widmen, und er mag in mühseliger Muße seine Jahre bis zur Auszehrung
des jugendlichen Sinnes hinbringen. Uns steht es nicht frei, so glücklich zu sein,
sondern lieber wollen wir uns auf dem Land, in den Feldern, auf den allerlieb-
sten, prangenden Hügeln – Gott mag’s hören – vergnügen. Hier ist gut leben,
und hier ist gut sicher leben. (10) Scultetus, der Vater des Reinen und Guten, ein
Vorbild bewundernswerter Rechtschaffenheit – in welcher Glückseligkeit eilt er
wohl dahin, er, der, wie er hier auf dem besten Stück der Erde, in der Grazie und
Anmut des Landlebens sich selbst lebte, so für Gott gestorben ist.
Martin Opitz aus Schlesien
***
FLecte Venus roseas aura nubente columbas,
Et fla festiuis insolitum Zephyris:
[D2v] Cernis vt auratis virgo redimita corymbis,
Ignoto timidas picta pudore genas,
5 Defendat Sponsi ferventia corda novelli,
Queis dudum curis ebrius intimiis
Fluctuat et vireis iterum atque iterum elanguenteis
Solari integris inde cupit lacrymis.
Et flammis rigidi totum externata caloris,
10 Tantum secretis artibus incaleat,
Ceu Maenas, sacro Bacchi lymphata furore,
Huc illuc thyrso perfurit icta gravi,
Ipsa, sui plane non conscia, lente inclinat,
Nec sensit grauidis saucia vulneribus?
Mart. Opicius Silesius.
***
Bereitgestellt von | Universitaet Wuppertal
Angemeldet
Heruntergeladen am | 22.01.18 17:19
FLecte Venus 7
zieren, solange der Morgenstern die Welt mit krokusfarbenen Schatten umspielt
(10) und das muntere Volk mit musischem Organ singt. Ringsherum regt Kypris
zu ungetrübter Liebe an, die Nymphen vergnügen einander mit Küßchen und
gegenseitigen Liebkosungen und die anmutigen Grazien strömen in harmlosen
Tänzen lieblich über die Felder. Sobald jedoch die Sonne zunimmt, die dürsten-
den Felder erwärmt, ihr flammendes Antlitz auf die zarte Rose richtet und all-
mählich die vom frühen Wettstreit mit Venus Erschöpfte ausdörrt, indem sie die
Wasserspeicher des Dornbuschs angreift, da stirbt bald der honigduftende Blü-
tenkelch ab, (20) zieht die Rose, an ihren empfindlichen Enden eingesunken, mit
demütigem Seufzen ihre an der Spitze eingerollten Blütenblätter zusammen,
wird schlaff und senkt sich zu einem Bogen. Doch den Nymphen bleiben nur
entstellende Tränen und Schluchzer, und der keuschen Blume beraubt, seufzen
die Unglücklichen. So ist das nichtige Leben von Dornen bedrückt; rasch ent-
steht es, und in einem traurigen Untergang löst es sich wieder auf.
Derselbe Martin Opitz aus Bunzlau
[R.S.]
***
Lenke, Venus, den Flug der rosigen Tauben, umhüllt von
Wolken, und lasse zum Fest seltenen Zephyrus wehn!
Siehst du: die Jungfrau, bekränzt mit golddurchwundenem Efeu,
Schamrot auf neue Art schüchterne Wangen gefärbt,
Wehrt den glühenden Sinn ihres frischgebacknen Gemahls ab – 5
Trunken von furchtlosem Drang schwankt er schon lang hin und her,
Sucht sich hierauf mit Tränen, ganz runden, darüber zu trösten,
Daß die Beherrschung der Kraft wieder und wieder erschlafft –,
Sie, durch die Flammen der Glut von Sinnen, die gnadenlos aufsteigt,
Gänzlich von Sinnen, sie schwitzt, heimlich von Listen erhitzt, 10
Wie die Mänade, erregt von heiligem bacchischem Wahnsinn,
Wenn sie hierhin und dort heftig der Thyrsusstab traf,
Rast und, ganz des Bewußtseins beraubt, allmählich dahinsinkt,
Schwanger verwundet, jedoch ohne Empfindung davon.
Martin Opitz aus Schlesien.
[G.B.]
***
Bereitgestellt von | Universitaet Wuppertal
Angemeldet
Heruntergeladen am | 22.01.18 17:19
8 NOn sum augur
I.
LAdae tuo remorae esse, summe Bucreti,
Non est lubido, sed tamen
Properare carmen posse festivum nego,
Lentor cerébrum praegravat,
5 Ante ista concinnata mitto tempora,
Nova fingat Sponsus omnia.
Non ita me tristes rigidum cepêre Catones,
Non ita Musaeis ebria charta jocis,
Ut nullos, mi Sponse, qveam effutire lepóres,
10 Aversisque tuam vultibus aspiciam
Sponsam, qvae tanto tibi cor splendore serenat,
Ceu cum Luna vagum protulit os latebris
[B3r] Coeli suspensis, astri hanc comitare choreae
Protenus, et taciti lumina sparsa poli.
15 Cernis ut ignoti mens praescia tota pudoris,
Purpureis blandum vultibus incaleat,
Occultosque oculis furtivis spiret amores,
Mnemosynesque avidas fixa trahat pateras.
Queis te corditrahis solabitur elanguentem
20 Fluctibus, et gratis implicitum stimulis.
II.
Ad Sponsum.
NOn sum augur fateor, verum hoc praedíco: maritus
Probabis et probabere.
MART. OPITIUS SIL.
***
I.
Nein, Euren Eilkurier, Herr Rindfleisch, hoher Herr,
Will ich nicht warten lassen, doch
Ein Festtagscarmen eilig schreiben kann ich nicht,
Erschlaffung lähmt mir schwer das Hirn.
So schick’ ich etwas, was in früh’rer Zeit entstand; 5
Der Bräut’gam forme alles neu!
Traurige Richter der Sitten vermochten es nicht, mich zu härten,
Mein von musischem Spaß volles Papier untersagt
Nicht, daß ich Euch, Herr Gemahl, ein paar Scherze verplausche, bewirkt nicht,
Daß ich die Braut, das Gesicht seitwärts gewendet, beschau’, 10
Die Euch das Herz so sehr, mit solchem Strahlen erheitert,
So wie, wenn Lunas Gesicht schweifend aus ihrem Versteck,
Hangenden Wolken, erscheint, sofort der Reigen der Sterne
Luna umgibt und Gestirn, streuend in schweigsamer Höh’.
Seht Ihr, wie ihre Seele in Ahnung noch neuer Beschämung 15
Ganz sich erhitzt, ihr Gesicht lieblich sich purpurn verfärbt,
Wie sie aus diebischen Augen die heimliche Liebe verströmt und
Schalen der Musen bekommt, gierige, ist sie durchbohrt.
Diese Verströmungen sind’s, die das Herz erhöhen, womit sie
Schlaffheit beseitigen wird, einwickeln, reizen nach Wunsch. 20
II.
An den Bräutigam.
Freilich, ich bin kein Prophet, doch sag’ ich voraus: Nach der Hochzeit
Gefällt’s Euch, Ihr gefallt dann auch.
***
MARTINI
OPITII
BOLESLAVIENSIS
SILESII
STRENARUM
LIBELLUS,
VAL. SANFTLEBEN
Praetori & Rectori patriae
consecratus.
GORLICII
Iohannes RhaMba eXCVDebat.
[A1v]
MARTINO OPITIO
Juveni Literatissimo.
C ASPAR C UNRADUS
Phil. et Med. D.
Breslae.
[A2r]
Des Martin
Opitz
aus Bunzlau
in Schlesien
Neujahrswünsche,
Valentin Senftleben,
dem Richter und Rektor der Heimatstadt,
gewidmet.
Gedruckt in Görlitz
bei Johannes Rambau.
Caspar Cunrad,
Doktor der Philosophie und der Medizin,
in Breslau.
Wie stolz ich darauf bin, würdiger Herr, in dieser eurer Stadt geboren und erzo-
gen worden zu sein, läßt sich nicht in Worte fassen, weil sowohl deren Ruhmes-
würdigkeit die Sprachlosigkeit meiner Rede überfordert als auch die Wohltaten,
die ich aus ihr geschöpft habe, über das, was ich erwidern kann, hinausgehen, da
ich hier nichts beitragen kann als den breiten und unerschöpflichen Strom mei-
ner Liebe. Neben allem anderen aber denke ich immer wieder an den Tag, an
dem ich dich zum ersten Mal zum Lehrer hatte. Als du mein großes Interesse an
der lateinischen Sprache erkanntest, stattetest du den Knaben mit einer anstän-
[A3r]
JESU CHRISTO
IMMANUELI
Saluti Viventium.
DUm Cauri ac miseri Boreae gemitus spirantes
Tristia sub brumae frigoris egelida
Eructant rigidas glaciali murmure crustas,
Aeraque infestis spiritibus feriunt,
5 Tunc miserabilibus languescunt mortibus omnes
Fontes et montes et nemora et siluae.
Sed quando molli se verna nitela susurro
Exerit, et dulces jam renovant Zephyri,
Ingeminant blandos formosa prata cachinnos,
10 Et totus mundi circulus una rosa est,
Et pecus emissum late detondet eburnis
Falcibus arguti graminis ambrosiam,
Pastores ovibus juncti palantibus, antro
Pana omnes, omnes Pana venire fremunt.
15 Pan venit, atque feras ovibus defendit, amore
Longo irretitus languiduli pecoris.
Iam caput auricomum maturius extulit Eos,
Solans diffusis obvia tempe oculis,
Musaeisque avium junctim pendentia ramis
20 Collegia aetherio carmine luxuriant,
[A3v] Pan venit, et laetum mundo meditatur amictum,
An Jesus Christus
Immanuel,
den Heilsbringer der Lebenden.
Wenn das dumpfe Blasen des Nordwest- und des schrecklichen Nordwindes bei
der traurigen Kälte des Mittwinterfrostes unter eisigem Krachen starre Eis-
krusten bersten läßt und die Luft mit feindlichen Böen peitscht, dann liegen in
beklagenswerter Abgestorbenheit darnieder alle Quellen, Berge, Haine und Wäl-
der. Aber wenn Frühlingsglanz sich mit zartem Summen ausbreitet und dann die
süßen Zephyre sich erneut erheben, wenn aus anmutigen Wiesen wieder schmei-
chelndes Gelächter erschallt (10) und der ganze Erdenkreis eine einzige Rose ist
und das hinausgeführte Vieh weithin mit den elfenbeinfarbenen Sicheln seiner
Zähne des raschelnden Grases Ambrosia mäht, dann jauchzen die Hirten in der
Höhle gemeinsam mit der schweifenden Herde alle, daß Pan, daß Pan kommt,
jauchzen alle. „Pan kommt und wehrt die Raubtiere von den Schafen ab, be-
strickt von seiner langen Liebe zu dem trägen Vieh.“ Schon erhebt Eos ihr gold-
gelocktes Haupt früher und erquickt mit weitschweifendem Blick das vor ihr
hingestreckte Tal, und, auf beschwingten Ästen schwebend, (20) ergötzen sich
gemeinsam der Vögel Chöre mit luftigem Lied: „Pan kommt und ersinnt der
GEORGIO TIEFFENBACH
Viro Consulari.
TIeffenbachiades, patrij fons aureus agri,
In quo foeta situ terra Bolesla rigat,
Et Sais, et Charites, Paphie, Lepor, Hora, Venustas,
Et Themis, et Themidis Cypris alumna lavant,
5 Iustum in nescio quo dicunt mersisse profundo,
Hactenus ut nemo quiverit eximere.
In te deposuit justi alma potentia fontem,
Repperit in rivis patria nostra tuis.
ELIAE NAMSLERO
Viro itidem Consulari.
NAmslere ô patrij rector sublimis Olympi,
Te pueri tenuis vivere charta jubet,
Quippe in te solo conjunctim vivimus uno,
Nostraque, magne pater, vertimus ora tuis.
5 Te jussore olim dextrum traduximus aevum,
Fata velint sub te patria ducat idem.
[A4r] Vive precor, longumque tuis constare memento,
Publica quo melius res superesse queat.
Auguror, excesso te patria dilabetur,
10 Nec nobis etiam nota, nec ipsa sibi.
Sed taceo laudem, si te non ullus adulor,
Libertasque animum vindicat una meum,
Hoc fateor tantum: Patriae Namslerus amore
Cunctis plus, solus quam sibi quisque facit.
MARTINO NVSSLERO
Theologo incomparabili.
Nüßlere in cujus summas facundia laudes
Ceßit, et ingentis verba tremenda Dei,
Qualia credibile est, sancto livore furentem,
Ad Grajas Paulum saepe dedisse fores,
5 Cum mendax tellus, scelerum vexata ruinis,
Nesciret verae relligionis opus,
Welt ein fröhliches Gewand, Pan kommt und macht die Felder zu elysischen.“ So
frohlocken auch wir, die wir doch zur Finsternis verdammt waren, nach deiner
Ankunft, Jesuskind, als die von dir erwählte Schar auf den Wiesen des Frühlings.
nen lange erhalten zu bleiben, damit das Gemeinwesen eine bessere Zukunft hat.
Denn ich ahne es: Wenn du uns entrissen bist, wird die Heimat zerfallen, (10)
wird weder uns noch sich selber mehr bekannt sein. Aber ich verschweige deinen
Ruhm, wenn ich als ein Niemand dir schmeichle und allein der Freimut mein
Herz ergreift. Nur das bekenne ich: Aus Liebe zur Vaterstadt tut Namsler mehr 10
sich nicht in Scherzen ergießt, aber dennoch auch nie zu ernst wird, sondern die
[A4v]
GEORGIO COBERO
felicissimo Archiatro.
CObere Aesclepi mens, et sapientia Coi,
Ac Podaliraeo multum adamate deo,
Quicquid id est tandem quo vos mortalibus aegris,
Ignoto credo carmine, fertis opem,
5 Divinum est, ac divina se prodit ab arte,
Et medicûm natos hic furor unus agit.
Felicem patriam, cui numina maxima divûm
Tantum sufficiunt, urbis amore, deum.
VALENTINO SANFTLEBEN
Praetoriae ac Rectoriae digni-
tatis viro.
SAnftlebi patriae spes admiranda Boleslae,
Cui faciles dixit Gratia docta sales,
Ac Themis indomitis linguae impluit aurea nimbis,
Et Tulli grandes te jubet ire vias,
5 Vt tua tam rigidum facundia nota sub aevum
Se quoque nectareis vincere discat aquis,
Dum sese in se ambit lustrator circulus anni,
Bifrontisque citas incipit ire vias,
Dum decet alternas donorum mittere sortes,
10 Donaque fautori dat sua quisque suo,
[A5r] Num tibi, quae mea sunt, mentis deposcis honores,
Hos dudum, Deus hoc scit, dare jußit amor.
Heroone jubes metra plena animare cothurno?
Vix misera in vestros sufficiunt titulos.
15 Nil superat nisi vota, at et hic quoque nulla supersunt,
Pro patria in te hoc consumsimus omne mea.
phen aufgeschreckt zu haben: Deinetwegen hat mir die neunköpfige Schar die-
sen Wunsch eingegeben.
mat, der die größten Götter aus Liebe zu unserer Stadt einen so großen Gott
schenken!
wandelnde Jahreskreis sich in sich selbst begegnet und aufs neue beginnt, den
raschen Weg des doppelköpfigen Janus zu gehen, wenn es an der Zeit ist, sich
im Wechsel seinen Anteil an den Geschenken zuzuschicken, (10) und ein jeder
seinem Gönner die gebührenden Geschenke gibt, forderst du da für dich – was
meine Verse sind! – Ehrenbezeigungen meiner Gesinnung? Die zu erweisen 10
befahl mir schon lange – Gott weiß es – meine Zuneigung zu dir. Wünschst du,
daß ich einem Gedicht, das voll ist von heroischen Versen, Leben einhauche?
Meine armen Verse reichen kaum für deine Ehrentitel aus! Nichts bleibt mir als
gute Wünsche – aber auch da sind keine mehr übrig: Um der Heimat willen habe
ich das alles für dich verbraucht. 15
DAVIDI PREIBISIO
integerrimo Senatori.
OPtime Preibisi, quem nati amplector honore,
(Sanguis amorque meum te facit esse patrem)
Cum tam sinceri et recti sis pectoris unus,
Vt te istoc alii nomine mille probent,
5 Integritas etiam mihi fato cesserit illa,
Qua sola jure glorior esse bonus,
Candide agam tecum, quales nos esse jubemur,
Et candor quales insitus esse facit:
Tu majora tua cum simplicitate severa
10 Praestas, quam cunctis lyncea turba dolis.
CHRISTOPHORO STOEBER-
KEYL à Judiciis aulicis.
SToeberkeyliades, quis dîs autoribus ipsis
Suppressae patriae te superesse neget?
[A5v] Tu vixisti aliquot per lustra subactus in aulae,
Vndique queis turget irrequieta, dolis,
5 Civiles etiam novisti ex ordine causas,
Nostras praeterea res bene fidus amas,
Hinc patriae, hinc aulae pote consuluisse labori,
Sit precor illa actis sarta, sit ista tuis.
JOANNI SEILERO
Syndico eruditissimo.
VIve ô jus Iuris, vive Astreae acer ocelle,
Vive, et te longi temporis inde rotis,
Annuit annosi antidea annuus annulus anni,
Et te pro patriae vivere amore jubet.
5 Deflemus patremque tuum, patrisque guberna,
Mors ejus vitae meta sit una tuae.
MELCHIORI POEPLERO
Collegae Theologo.
THeiologae, Pöplere meus, fax praevia Suadae,
Quem Dominus sanctas efficit ire vias,
Vellem equidem venti coelestis janitor anni
Me faceret dignis te celebrare modis,
5 Dum Salvatoris natalia laeta recentas,
Mit dir möchte ich ein reines Leben führen, wie es von uns gefordert wird und
wie uns die in uns angelegte Reinheit werden läßt. Du leistest Größeres mit dei-
ner strengen Ehrlichkeit (10) als die Schar der Luchse mit all ihren Listen.
Heimat, dort um des Hofes Sorgen zu kümmern: Möge dieser wie jene durch
dein Handeln in gutem Zustand bleiben!
MATTHAEO WIELANDO
Theologo pientissimo.
SAepe pias miror, Wielande polite, loquelas,
Cum tibi ter sancto nomine rostra fremunt,
Plenus ab ingenti lymphatus numinis aura
Insolito doctos fundis ab ore sonos.
5 Christo colloqueris, Triadisque in laudibus haeres,
Praesentem tibi tu conficis ipse polum.
ZACHARIAE SCHUBERTO
Literatissimo Scholarchae.
SChuberte Aonidum dulcißime alumne Dearum,
Cui Veneres puro nectaris imbre fluunt,
Audi me, probro tibi me nisi duxeris, in te,
Eque tuo liquidò pectore nosce meum;
5 Intra me vivo mihi, Musas lenio Musis,
Sum patriae, cunctis velle deesse, nego,
Fido Deo, peregris nemo tero tempora curis,
Sum simplex, scio me temnere, mitto dolos.
Sperno si invidiae me, ut fit, livore lacessunt,
10 Se penetrant mores in mea corda tui.
[A6v]
NICOLAO FROBENIO
civi doctissimo.
FRobeni Phoebi non inficiande satelles,
Cui medicas junxit certa Hygieia manus,
Dum lapso ambiguo venit anni tempore limes,
Et redeundo perit, et pereundo redit,
5 Claude oculosque auresque, animum exere carmen in istud.
Pauca cano metri pondere, multa precor.
und das wiegende Behältnis der Göttin Cunina anstößt: Aber so weit der Ein- 5
zige, den du besingst, über dir steht, so weit stehe ich, der dich mit diesem Ge-
dicht preist, unter dir.
CHRISTOPHORO BUCH-
WELDERO viro optimo.
BVchweldere animi cui laeta modestia mentem
Finxit, et antiquae simplicitatis amor,
Nescio quo prono puer in te corde ferebar,
Prae reliquisque mihi charior unus eras.
5 Hoc memini quoties sancti aurea flumina Tulli,
Poenique indomito verba lepore dabas,
Protenus influere ad penitas dictata medullas,
Et stillare meros ambrosiae latices.
Hinc te mirandis arsi, pater optime, flam!m"is,
10 Et tuus hoc fixus pectore vivit amor.
Quod si tu simili me, ceu credo, uris amore,
Certe res serae Posteritatis eris.
[A7r]
MARTINO OPITIO
Medicinae Candidato.
AMbitio nullum te prodiga vexat, Opiti,
Transversumque aliò pompa supina rapit,
Cum tamen in medicis poßis praestare teipsum,
Atque etiam Cois cernere Marte viris.
5 Sensi ego, cum tristi quondam langore jacebam,
Et sanis privus viribus, atque mei,
Tu certis miscens praestantia pharmaca rebus,
Reddebas me omnem viribus, atque mihi.
Virtuti hoc omni sacrum et sollenne videmus,
10 Quam nosti tacito velle tremore coli.
GEORGIO SEVERO
Cantori benemerentissimo.
DOcte Severe anima ac nostri vox persona templi,
Et tuba laudati dulcicanora Dei,
Si praeceptori meritas cui debeo grates,
Id debere etiam me reor omne tibi,
5 Quo, non ingenii defectu, at mente petulca
Flectebam, atque sui prodigus ibat amor,
Tu benefacta probare, et non facienda negare,
Immiscens verbis dicta severa bonis.
Quod si, ceu fateor, me ais edocuisse, probabis
10 Ingenium nostrum, vestrum ego judicium.
Wenn du, der du freundliche Worte mit strengen Lehren mischst, sagst, daß ich,
wie ich bekenne, gelernt habe, richtiges Verhalten gutzuheißen und Fehlverhal-
ten abzulehnen, so wirst du damit (10) meine Naturanlage, ich aber dein Urteil
bestätigen.
[A7v]
CASPARI BERGMANO
Paedagogiarchae solertissimo.
DIgnus eras meliore loco, Bergmane, sed istud
Seu fortean livor seu tibi Fata negant.
Macte tamen teneram solitum formare juventam,
Quodque facis nostras perge beare domos.
5 Sic quos in sese ad majora evexit honorum,
Debebunt patriae, sed patria ipsa tibi.
MARTINO TSCHERNINGO
praeceptori charissimo.
Tscherninge è cujus ductu, ut scis, primitus hausi
Quicquid in infantum corda cadit bibula,
Saepe tuos mecum admirans perpendo labores,
Qua celeri ingenium duxeris arte meum,
5 Seu tuus iste labor, nostra aut solertia causa est,
Vt labor iste tuus causa, ut et ipsa mea est,
Quicquid sit pro quo meritum sibi nota supellex
Non dare quit, pietas nostra dat una tibi.
EROTOPAEGNIUM SCHE-
DIASTICUM .
MIror Virgilium dulces neglexe puellas,
Fors conscium sibi male,
[A8r] Et lusus tacitae metuentem probraque noctis,
Quod recte et ordine evenit.
5 Non ita ego, mea lux, desuetus vivo Diones,
Aversus ut te negligam:
Sed dare non habeo, nec tu tibi munera poscis:
Animamque meque dedico.
Vt dem ego me tibi, tu mihi te dato, ita elanguentes
10 Tenacibusque brachiis,
Immistoque levi nexu, jungentur amores
In meque teque adinvicem.
Vt dare poßim animam, cedo ebria rore labella
Melissa nostra caelico,
15 Sic animae haerentes roseo argutabimur ore,
Violeto amoris pervio,
Altera rursus, et altera, et altera, et altera rursus
verdanken.
Amouröse Verse
aus dem Stegreif.
Es wundert mich, daß Vergil die schönen Mädchen mißachten konnte, vielleicht,
weil er sich selbst nicht kannte und die Spiele und Ungezogenheiten der stillen
Nacht fürchtete, obwohl das alles seine Ordnung hat. Ich aber, mein Liebling,
lebe nicht so entwöhnt der Dione, daß ich mich abwende und dich vernachläs-
sige. Aber geben kann ich nichts, und du verlangst keine Geschenke: Meine Seele 5
und mich aber widme ich dir. Damit ich mich dir geben kann, mußt du dich mir
geben: So werden sich (10) bei fester Umarmung und beweglicher Umschlin-
gung schmachtende Liebesspiele verbinden für dich und mich im Wechselspiel.
Damit ich dir meinen Seelenhauch geben kann, reich mir, meine Melissa, deine
zarten, von himmlischem Tau trunkenen Lippen: So werden unsere Seelen an- 10
De hoc carmine.
Ante elegos scripsisti, hîc jambica: virgo recenti,
Si nescis, plane est excipienda modo.
LECTORI.
Non sine te finem, Lector doctißime, quaeram,
O sine te nequeat finis adesse mihi!
***
C ASP. D ORNAVIO
V.C.
M . OPITIUS S .
QUia tuam sortem saeculi putamus, DORNAVI , et non parum interesse aevi no-
stri, quomodo et quam bene vivas: Saluti, cum qua in gratiam rediisti, ARAS sta-
tuimus. Accedit, quod privatis nominibus tantum tuae benevolentiae devincti su-
mus, quantum quisque suo proprio parenti. Damus igitur tibi hoc officium: quod
5 licet ad eruditionis tuae fastigium non aspiret, vix aspernaberis credo: seu quia
majus praestare nunc per angustias temporis non possumus; seu quia ardentibus
ad misericordem Deum precibus, valetudini tuae nihil magis confert: quas nulla
exuperabit $"«. Vale magna literarum confidentia, et, quod facis, con-
stanter nos ama, ac Ill. SCULTETO commenda.
wieder neue Küsse erkosen, bis wir uns rücklings in zart schmachtende Schluch-
ten (20) mit verflochtener Seele fallen lassen. Dann darf man ruhig verbreiten,
ich sei nicht kundig darin, reizenden Mädchen gefällige Neujahrswünsche dar- 15
zubringen.
An den Leser.
Nicht ohne dich, gelehrter Leser, will ich ans Ende kommen – ach, möge mir
kein Ende ohne dich beschieden sein!
[W.-W.E.]
***
An Caspar Dornau,
den hochberühmten Mann,
sendet Martin Opitz seinen Gruß.
Weil wir dein Schicksal mit dem des Zeitalters gleichsetzen, mein Dornau, und
der Meinung sind, es sei für unsere Zeit von nicht geringer Bedeutung, wie du
lebst und wie gut es dir geht, errichten wir der Göttin Salus, mit der du wieder in
gutem Einvernehmen bist, einen Altar. Hinzu kommt, daß wir in persönlicher
Hinsicht so sehr an dein Wohlwollen gebunden sind wie ein jeder an seinen eige-
nen Vater. Wir bringen dir also diese Gabe pflichtschuldigst dar, die du, mag sie
auch an die Höhe deiner Bildung nicht heranreichen, doch wohl nicht verachten
wirst, sei es, weil wir etwas Größeres jetzt aus Mangel an Zeit nicht leisten kön-
nen, sei es, weil deiner Gesundheit doch nichts zuträglicher ist als brennende
Gebete zu dem barmherzigen Gott, welchen ja kein anderes Tun jemals gleich-
kommen wird. Lebe wohl, du große Hoffnung der Wissenschaften, liebe uns be-
ständig, wie du es ja tust, und empfiehl uns dem edlen Scultetus.
So wahr ich wünsche, daß dein Nebenbuhler Zephyrus nicht die Lippen des
Hyacinthus begehre und das Antlitz und den zarten Hals deines Knaben, dessen
durch den Neid des zornigen Freiers herbeigeführten Tod die gerötete Erde in
der ersten Zeit des Frühlings fühlt – umkränze du mein Haar, mein Phoebus,
und durchtränke dem schwachen Dichter seine milchigen Worte mit Weisen, süß
wie Nektar. Nicht werde ich, besessen vom Geist des wahrheitskündenden Wei-
nes, trunkene Verse in wilden Tönen hervorstoßen, obgleich unser Volk sich mit
***
Bereitgestellt von | Universitaet Wuppertal
Angemeldet
Heruntergeladen am | 22.01.18 17:19
SIc tibi rivalis 29
solchem Naß zu befeuchten pflegt (10) und mein Sinn oft gewaltig inmitten des
Weinrausches schwankt. Auch werde ich nicht meine Redegabe in deine schänd-
lichen Fesseln und Leidenschaften einbinden lassen, eitler Cupido, mag ich auch
kein schwacher Verehrer des idalischen Altars sein, mag auch die holde Venus
mich in ihrer Muschel mitziehen, sondern ich werde mich ganz mir selbst und
den züchtigen Nymphen zuwenden und, ihr Götter, ein Werk allein der from-
men Dankbarkeit errichten. Ihr gebt mir, dem Vaterland, der gelehrten Welt das
edle Haupt Dornaus für spätere Zeiten zurück. Sein Geist, der der Anwalt seiner
eigenen Zeit ist, lag völlig niedergestreckt am Boden (20) und fürchtete sich,
so gewaltig er war, wie ein Fremdling im eigenen Hause. Ganz ließ er sich gehen
bei der Erschöpfung seiner Glieder, und Kälte schien ihm warm, Wärme kalt.
Schon wetteiferten die harmonische Bewegung des Himmels und die Gefilde der
Seligen darum, seine Seele bei sich ansiedeln zu wollen. Schon beeilten sich die
Zungen verewigter Männer, seine erfolgreichen Hände dem ihnen bestimmten
Schicksal zu verbinden. Doch ihr, Himmlische, und du, oberster Fürst der Göt-
ter, habt die Stimmen der Herzen erhört, die betrübt und voll Tränen waren.
Ich habe nicht vor tauben Ohren geklagt, ihr habt dem Wehklagen euer Ohr ge-
liehen: (30) Dornau ist uns und sich selbst zurückgegeben. Hier weihen wir dir,
heilige Salus, ehrfurchtsvoll einen Altar, mit diesem Weihrauch und Wein ehre
ich dein Antlitz. Wenn irgendwo ein junges Mädchen hört, daß ihr Geliebter
von einem sanften Wind an das Ufer getrieben wurde, den gerade noch der träge
Nordwest inmitten der Wogen schwanken ließ und den seine vollen Segel dem
Südwind anvertrauten, dann blickt sie seitwärts und unterdrückt ein mit Tränen
vermischtes Lächeln, verkürzt ihr Warten mit alter Liebe, und es reute sie dann
nicht, sich allein der Treue hingegeben zu haben; (40) für diesen Lohn blieb sie
so lange Zeit ohne Geliebten – nicht anders, o mein Dornau, füllst du die Lücke
wieder auf, die deine Krankheit schuf; unsere Jugend hört auf deinen hilfreichen
Rat. Nun mag es dir vergönnt sein, so froh zu sein, wie du bisher krank warst.
Dann wirst du kaum ein besseres Leben genießen können.
***
C ARMEN E PICEDIVM
stylo qui Lachrymas decet.
Si quid forte dolor, si quid suspiria possunt,
Si quid flebilibus tristia verba notis:
Tecum, S ARTORI , junctis plangoribus omnes
Has imus moestas jugiter exequias.
5 Nos tibi sufficimus lachrymas, suspiria, planctus,
Plenaque corda aegris sollicitudinibus:
Cum dolor infandus fugitivo mistus amori,
Largo rore tuis depluit ex oculis:
Qualis in aërei proserpens culmine montis
10 Riuus muscoso desilit e lapide,
Et teneras herbas solatur, et aurea prata,
Cum gravis exustos aestus hiulcat agros:
Dum tua lux miti devicta sopore expirat,
Et campis felix imminet Elisiis,
15 Dulce nimis solatiolum, requiesque laborum,
Quos vovit chara mens tua pro patria:
Verum haec invidiae Fatorum obnoxia vitae
Commoda caelestes non tetulere Dei:
Sed laetis veluti ramis Astartica myrtus,
20 Litoris accrescens lene supercilium,
Surgit, et eximio formosa flore superbit.
[B3r] Iam lepidis certae delitiae Dryasin,
Defendit foliis superimpendentibus aestum,
Et nimium grato frigore solstitium
25 Arcet: jam Nymphae florem redimire corymbis,
Sertaque temporibus pulchra parare parant.
Mox ubi nimboso flat inexorabilis Auster
Murmure, et in rabiem se induit aura suam,
Nescia splendoris magis et magis elanguescit.
30 Deciderunt flores, deciderunt folia.
Iam sua nequicquam corrumpunt lumina Nymphae,
Iam frustra tardae prosiliunt lachrymae.
Sic tibi spem vitae, sic unica gaudia Fati
Invida vis viduo sustulit e thalamo.
35 Sed certe haec vanis deploras questibus: ora
Frustra stant lachrymis humida facta tuis.
Nequicquam quaerebat Hylam Tyrinthius heros,
Flebile nequicquam continuabat opus,
Wenn vielleicht der Schmerz, wenn Seufzer, wenn traurige Worte in klagendem
Ton etwas bewirken können, verbinden wir alle, Sartorius, unsere Klagen und
begehen gemeinsam mit dir dieses traurige Begräbnis. Wir schenken dir unsere
Tränen, Seufzer und Klagen, unsere Herzen, die voll sind von Kummer und
Sorge, während dir ein unaussprechlicher Schmerz, gemischt mit der Liebe zu
der Entschwundenen, in reichem Tränentau aus deinen Augen strömt, so wie ein
Bach, der auf dem Gipfel eines hoch in den Himmel ragenden Berges entspringt,
(10) von moosbewachsenem Felsen herabstürzt: Er labt zartes Grün und gol-
dene Weiden, wenn drückende Hitze ausgedörrte Felder rissig macht, während
deine Liebste, von sanftem Schlummer überwältigt, verhaucht und glücklich den
Gefilden der Seligen nahe ist, dein ach so köstlicher Trost, deine Zuflucht von
den Mühen, die du in deinem Sinn der teuren Heimat zu leisten gelobt hast.
Doch dieses Glück deines Lebens war dem Neid des Schicksals ausgesetzt: Die
himmlischen Götter konnten es nicht ertragen, sondern, so wie die Myrte der
Astarte, die mit ihren reichen Zweigen (20) an einem sanft geschwungenen Ufer-
rand wächst, sich erhebt und in der Schönheit ihrer herrlichen Blüten prangt
(schon jetzt das liebste Spielzeug anmutiger Dryaden), wie sie mit ihren von
oben herab hängenden Blättern die Hitze abwehrt und mit wunderbar erfri-
schender Kühle die Glut des Mittsommers fernhält (schon wollen Nymphen die
Blüten mit Efeutrauben umwinden und für ihre Schläfen schöne Kränze flech-
ten), doch wie sie dann, wenn mit wolkenreichem Grollen der unerbittliche Süd-
wind bläst und die Luft das ihr eigene Rasen beginnt, ihren Glanz vergißt und
schwächer und schwächer wird. (30) Gefallen sind die Blüten, gefallen die Blät-
ter; schon schlagen die Nymphen umsonst gegen ihre Augen, schon ergießen
vergeblich und zu spät sich ihre Tränen – ebenso hat dir die neidische Gewalt des
Schicksals die Hoffnung deines Lebens, deine einzige Freude aus deinem jetzt
verwaisten Ehebett geraubt. Doch gewiß sind die Klagen umsonst, mit denen du
dieses Unglück beweinst: Vergeblich schwimmt dein Antlitz in Tränen. Vergeb-
***
Suo et Musarum succrescenti Amori
cum Principem Literatum
ederet
***
lich suchte der Held von Tiryns seinen Hylas, vergeblich ließ er nicht ab von sei-
ner trauervollen Suche, vergeblich klagte er den Meineid eines tauben Himmels
an: (40) Was ihm antwortete, war nur der Wind. Auch du, Sartorius, wirst durch
das Übermaß deiner Klagen nicht erleichtert und noch mehr beschwert werden.
Martin Opitz aus Schlesien
schrieb dies gerne und für einen, der es verdient.
[F.F.]
***
Seinem und der Musen heranwachsenden lieben Freund,
als er den Princeps literatus
herausgab,
Ein Mann, den die Gunst des Schicksals und die gewaltige Macht der Götter
dazu aufgefordert haben, seiner Welt das Recht festzusetzen, der ‚vergeudet‘ zu
keiner Zeit nutzbringender die Zeit, die er der Sache des Vaterlandes und sich
selbst entzieht, als wenn er sie der erquickenden Liebe zu den Büchern weiht.
Nichts kann wertvoller sein als dieser ‚Verlust‘. Mit diesem wagemutigen Einset-
zen des Stromes deiner nicht gewöhnlichen Redegabe eilst du dahin, Jüngling,
Sieger in deiner Mannschaft. Gleichwie die Lanze zu schleudern und mit der
Kugel zu treffen (10) oder hieb- und stichweise kämpfen zu können Ruhm ver-
heißt, so gereicht es auch nicht zur Schande, mit geschmeidigem Körper sich
aufs Roß zu schwingen und das ahnungslose Wild mit dem Netz zu täuschen,
das Feldlager abzumessen, sich bei der Vogeljagd und beim Ballspiel zu tum-
meln: Ja, dies kann mir als wahrhaft königliche Lebensweise gelten. Aber doch
erlischt diese erhabene Glut einer edlen Brust durch Krankheit oder gar (so we-
nig ist das Leben wert) im Tod. Ganz anders genießt dein Fürst, mein Nüßler,
seine Muße, der die Aufmerksamkeit, die er der Herrschaftsführung entzieht,
seiner Geistesübung zuwendet. Diese übertrifft die übrigen Künste in solchem
Maße, (20) wie ein König sein Volk durch sein erhabenes Antlitz überragt. Ihr,
Ball, Lager, Schwert, Vogel, Netz, Lanze, Roß, mögt Euren Wert haben. Diese
Kunst schlägt Menschen in ihren Bann, jene Götter.
[R.S.]
***
RUCTANTEM CERTE
25 NEMO GRAVARE
POTEST.
''!« (
Mart. Opitius.
***
Was auch immer es ist, Monsius, sei es der Wille Gottes, sei es der deine, er will,
daß du fortwährend andere Wege einschlägst. Geh unter guten Vorzeichen,
es möge dich der wissende Hermes führen, der selbst niemals den Weg ging, den
er anderen zeigt. Geh, aber denke daran, bis in deine späten Jahre eingedenk zu
sein, wie glücklich wir beide als Kameraden waren. Nichts habe ich vor dir, über-
sprudelnd in meiner Rede, verborgen: Einzig ist die Aufrichtigkeit, die mich lobt,
und einzig die Hand. Diese überlasse ich dir, ein Pfand meiner Liebe ohne Lug
und Trug, (10) diese wird – wohl gehegt – fortdauern bis zum Jüngsten Tag. Du
wirst, da gebe ich mich nicht eitler Hoffnung hin, immer derselbe sein, solange
du in diesem Körper bist. Dies erflehe ich, diese Seufzer verströme ich mit inni-
gen Gelübden, Gott selbst möge ihnen durch seine günstigen Zeichen zustim-
men. Geh unter guten Vorzeichen, wohin auch immer dir bestimmt ist zu
gehen, durch Städte, über das Meer, durch Felder, durch Haine und Wälder. Das
schreckliche Wehen des wilden Caurus möge dich nicht quälen, auch nicht der
Waldbrecher Boreas mit schrecklichem Getöse. Vielmehr möge dir der Hauch
himmlischer Gunst entgegenwehen (20) und die günstigen Wünsche mit seinem
Wehen antreiben. Ihr jedoch, Tyndariden, glückverheißende Gestirne, streut
durch den [latonischen] Seher alle Freude. Mein gestriges „Aufstoßen“ verbietet
mir, hier mehr hinzuzusetzen.
***
C HRISTOPH . S CHWARTZBACHIO,
Viro Clarissimo et Ornatissimo,
cùm laureâ Poetica publicè et
sollemniter insigni-
retur.
***
***
GUILIELMI CO-
THURNI
ET
B ERN . G UILIELMI
NUSSLERI
Ornatissimorum Juvenum
PROPEMPTICA ,
cum Marpurgum studiorum
gratia abirent.
MARTINUS OPITIUS
scripsi.
B ETHANIAE AD O DERAM
L ITERIS T YPOGRAPHICIS
J OHANNIS D ÖRFERI .
[A2r]
A D G UILIEL . C O -
THURNUM
Ornatissimum Juvenem.
Geleitgedichte
für die hochgeachteten jungen Männer
Wilhelm
Bundschuh
und
Bernhard Wilhelm
Nüßler,
als sie zum Studium nach Marburg
aufbrechen wollten,
schrieb ich,
Martin Opitz.
Beuthen an der Oder,
gedruckt bei
Johannes Dörffer.
An Wilhelm
Bundschuh,
den hochgeachteten jungen Mann
Keine Tugend steht dem Manne besser als treue Aufrichtigkeit, die frei ist von
Verstellung. Diesen Ruhmestitel will ich lieber haben, als wenn ich im Munde
des eingeweihten Pöbels als ein verschmitzter Nichtsnutz geführt würde, der
die schmeichelnde List einer etruskischen Füchsin beherrscht. Gleichwohl übt
fast alle Welt ebendiese Schauspielkunst aus. Ein gewitzter Betrüger gilt als guter
Staatsmann und als bewandert in den Künsten des Hoflebens. Der Blitz soll
diese Bestien (10) vernichten, die mit dem Mund Honig reden und im Herzen
Galle verbergen und mit der Treue eines Sinon das ehrliche Gemüt eines einfäl-
tigen Freundes täuschen. Fürwahr, ich verfluche das Haus des Unterweltsgottes
nicht so sehr wie diese Hurensöhne, diese verdammte Pest für einen geraden
Sinn, sie, die sich schlau unter einem Schafspelz verstecken: Eine hübsche Haut
verbirgt das Gift der Viper. Diese Menschlichkeit nach Art der Griechen ist
grausamer als jede Grausamkeit.
[A3r]
AD B. GUIL. NUSSLERUM
adolescentem doctissimum et ad
studia natum
ELEGIA .
Das, mein Bundschuh, war nicht unsere Haltung. (20) Wir haben unsere bei-
den Herzen bewahrt, indem wir sie aufs festeste in einzigartiger Gemeinschaft
verbanden, und lange sind wir einander schon vertrauensvoll zugetan. Und so
werde ich es halten, solange der Lebensgeist mir die Glieder stärkt: Wen ich ein-
mal mir erwähle, dem halte ich stets die Treue. Jene unbeständige Beständigkeit
kenne ich nicht, wenn beim feurigen Wein neuer Feuereifer von beiden Seiten
zusammenkommt, um einen innigsten Liebesbund zu schließen. Eine Freund-
schaft, begründet zwischen Rülpsen und stinkenden Nachttöpfen – (30) wonach
kann die schon riechen als nach den Örtlichkeiten, an denen sie entstand? Wer
aus der Küche kommt, bringt ihren Geruch mit. Nichts hält sich länger im holp-
rigen Lauf der Zeit als eine feste Freundschaft, die entstanden ist, während man
sich mit Wissenschaft und Büchern beschäftigte. Diese Freundschaft verbindet
uns mit einer unlösbaren Kette, und sie wird uns auch künftig verbinden. Geh
nur! Ob dir nun die Bildungsstätte des beneidenswerten Helden Moritz gefällt
oder ein anderer Landstrich, stets wirst du doch hier, im tiefsten Grunde meines
Herzens, verborgen sein.
Du reißt dich los und wirst ohne mich nach dem hessischen Athen ziehen, bester
Jüngling, künftiger Ruhm deiner Heimatstadt. Ziehen wirst du und aus dem
Herzen des befreundeten Dichters zugleich mit dir selbst alles Vergnügen und
alle Freuden reißen. Weder meine Liebe noch die Sorge deines Bruders werden
dich rühren noch ein Brief, feucht von den Tränen, die die Wangen herabfließen.
All meine Gedichte sind schwächer als dein hartes Herz, gute Worte finden kein
Gehör. So wie der Liebende, wenn er, von den schönen Augen eines Mädchens
getäuscht, (10) entflammt und von heftigem Feuer erfaßt vergeht – welche Trä-
nen vergießt er nicht, welche Seufzer seufzt er nicht! Seine kläglichen Bitten wür-
den sogar steinerne Herzen erweichen. Sie aber gefällt sich selbst im Grunde
ihres Herzens und verspottet den Leidenden und freut sich, daß ihr Anblick sol-
ches vermag. Womöglich erzählt sie den anderen Mädchen auch ihre Taten: Auf
der ganzen Erde gibt es kein Geschlecht, das gerissener wäre als dieses. Ziehe
dennoch dahin und verschenke dort durch weitberufene Künste fleißig die rei-
chen Gaben deines Geistes. Ich neide es dir nicht, denn dein Ruhm ist auch der
meinige, (20) und mir wird durch diese Ehre kein geringeres Lob zuteil. Und bei
meinem Glück, ich wäre als nimmermüder Begleiter an deiner Seite, und nicht
einmal höhere Gewalt würde meine Vorhaben aufhalten. Wie schön wäre es,
Freuden mit gewichtigen Sorgen und gelehrte Worte mit heiteren Geschichten
zu verbinden, bisweilen die Last all der Mühen abzulegen und mit schmeicheln-
dem Leierspiel und harmlosen Scherzen sich über langwährende Plagen hinweg-
zutrösten. Die Saite reißt bei einem einzigen Anschlag, wenn sie von einer zu
starren Hand gespannt wurde. Aber nur mit Wünschen kann ich dorthin gelan-
gen, (30) lieber Nüßler, alles andere steht allein dir offen. Doch sollte ich des-
halb nicht verlassen scheinen; auch hier ist etwas, das, glaube mir, meinen Durst
lindern kann. Fern von den schmutzigen Geschäften unserer eitlen Zeit be-
schützt mich Scultetus, der gelehrte Apoll unseres Landes, ein unversehrtes Bild
ungeschmälerter Vortrefflichkeit, reich an Besitz, doch in seinem Herzen noch
reicher. Der schenkt der zarten Muse freigebig freundliche Stille und fördert die
geringen Gaben meines kleinen Talentes. So singt der klagende Vogel Pandions,
wenn Dämmerung sich verbreitet, (40) mit seinem emsigen Schnabel süße
Klänge. So eilt mein Leben dahin. Der idalische Cupido und seine reizende Mut-
ter gewähren dem Dichter eine angenehme Aufgabe. Und als ich auf dem müh-
selig verfertigten Kothurn höher einherschreiten und meine Segel dem Südwind
aus Mantua hätte anvertrauen können, lachte die schöne Göttin von Kythera
mit verschmitztem Nicken und wies gebieterisch auf den jugendlichen Busen:
„Dies“, sagte sie, „ist deine Arena, dies deine Kämpfe: hier darfst du deine Mus-
keln spielen lassen, mein lieber Dichter.“ Was hätte ich tun sollen? Es ist besser,
einen so süßen Tod zu sterben (50) als den letzten Tag durch das Schwert des
Soldaten zu enden. Und nun liebe ich ganz, aber nicht beständig: Wer wegen
einer einzigen zugrunde geht, der liebt zu bedenkenvoll. Lesbia ist schön, Neaera
***
Vidi qui facili narraret Stoa puellae
Dogmata, et in medio scita seuera sinu:
Ast haec nescio quid Stoum poscebat, et ipso
Si quid durius est marmore Stoicidum.
5 Stultum olet haec sapientia. Qui pro tempore vafre
Desipit atque loco cum ratione furit.
5
* « N'«
2 "«
+ # ,
.
2
inquit Astyl!us" In Longi Pastoral!ibus"
ECQVANTVM RESTAT
***
J. MELIDEO V. CL.
Poetae et Oratori excellenti:
Cùm hodiernos Oratores et Poetas antiquis contulisset.
ist auch kein mißgestaltetes Ungeheuer, und auch deine Corinna, Naso, gefällt.
Alle haben etwas, das sie dem Liebhaber empfiehlt; dieser Stolz kommt allein
bei den Dichtern ungestraft davon. Mit sicherem Schritt betrete ich römische
Schlafgemächer; wenn ich will, steht mir ganz Griechenland offen. So möchte
ich leben, von keuscher Brunst dahingerafft, (60) ganz im Schutze der Bücher
und der Zuneigung meines Mäzens. Jetzt siehst du, ob mein Verlangen nach
dir so schwer wiegt, daß ich wünsche, deinetwegen meine Heimat verlassen zu
können.
[F.R., R.S., W.-W.E.]
***
Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen steife stoische Leh-
ren vorerzählte und strenge Grundsätze an ihrer zarten Brust. Sie jedoch ver-
langte etwas stoisch Steifes oder sogar etwas Härteres, wenn es das geben
könnte, als den Marmor der Stoiker. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schlie-
ßen, der den Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit
all seinem Verstand rast.
In zwei Parteien spaltet sich das Volk der Gelehrten: Die eine verwirft die Be-
redsamkeit der Alten, die andere die der Neueren. Vor der gallenbitteren Kritik
der letzteren finden nur die alten Zeiten Gnade: Nur diese brachten gute Redner
und Dichter hervor. Und dagegen nun die Meinung unserer heutigen Dichter-
linge: Wir sind es, die etwas von der Sache verstehen; die Gedichte der Alten
Martinus Opitius.
***
ARdentes oculi, radiantia tela puellae,
Membraque Riphaeâ candidiora nive;
Vobiscumnè velit virgo deponere, forma
Conspicua in nostris sit licet illa plagis?
5 Saepè, nec infiteor, vultus miratus honorem
Obstupui, inque oculis haesit imago meis:
Quae tibi nunc soli discet servire marito,
S CHUBERTE , et soli posse placere tibi.
O te felicem nimiùm tàm divite praedâ?
10 Innocuae florem virginitatis habes.
Credo equidem, nec vana fides, corrumpet ocellos
Lachrymulis, sibi quòd ire necesse siet.
Certè dejectum videor mihi cernere vultum,
Quo prius ignotum dissimulabit opus.
15 Hic patris, hic matris charae jactura vetabit,
Hic timor, et primi visque pudorque thori.
Hic vitta obstabit positis sine lege capillis;
Hic os pallebit, hic oculi atque genae.
Mira sibi confinget, et omnia tuta timebit,
20 Quodque tibi objiciet, istud et istud erit.
[B3r] Ut plebs virginea innumeris contendere causis
Novit, et è nata re simulare moras.
Tu pacem promitte, et contrà audentior ito.
Omnem, crede mihi, nox fugat una metum.
MARTINUS OPITIUS.
ex tempore lusit.
***
riechen ranzig. Beide Parteien sind im Irrtum, würdiger Jonas. Aber du, lieber
Freund, läßt zur Versöhnung die Freudenfackeln leuchten. Die Alten verehren
wir voller Respekt; (10) und dennoch tragen auch ihre kühnen Werke die Spuren
ihrer Zeit. Allem kommt der Rang zu, den es verdient: So pflegen wir alte Mün-
zen zu loben und dabei doch die neuen nicht zurückzuweisen.
Martin Opitz.
[R.K.]
***
Ihr strahlenden Augen, glänzende Waffen eines Mädchens, und ihr Glieder, wei-
ßer als der Schnee der riphäischen Berge! Sollte die Jungfrau zusammen mit euch
ihren Namen aufgeben, wo sie doch durch ihre Schönheit hierzulande aller
Blicke auf sich zieht? Oft, ich leugne es nicht, war ich starr vor Bewunderung für
den Adel ihrer Züge, und ihr Bild schwebte mir andauernd vor Augen. Und diese
wird nun lernen, nur dir, Schubert, als ihrem Gemahl zu dienen und nur dir ge-
fallen zu dürfen. O, wie überglücklich kannst du mit einer so reichen Beute sein!
(10) Die Blüte unschuldiger Jungfräulichkeit ist dein. Ich glaube allerdings, und
das ist keine bloße Einbildung, daß sie sich mit vielen Tränchen die Äuglein aus-
weinen wird, weil sie, wie sie weiß, diesen Weg gehen muß. Ja, ich sehe schon den
gesenkten Blick vor mir, mit dem sie das bislang unbekannte Geschäft abwehren
will. Da wird der Verlust des Vaters, da wird der Verlust der geliebten Mutter An-
laß zum Einspruch sein, da die Furcht und die gewaltsam verletzte Schamhaftig-
keit der ersten Nacht. Da wird ein Stirnband ihre frei flatternden Haare zügeln,
da wird ihr Gesicht, da werden ihre Augen und Wangen erbleichen. Merkwür-
dige Dinge wird sie sich einbilden und sich vor allem fürchten, auch wenn es
ganz harmlos ist, (20) und sie wird dir dieses und jenes vorhalten, so wie es das
Mädchenvolk eben versteht, mit zahllosen Vorwänden seine Sache zu verfechten
und je nach Lage der Dinge neue Hindernisse zu erfinden. Versprich du nur
Frieden und gehe um so dreister zu Werke: Eine einzige Nacht, glaube mir, ver-
treibt alle Furcht.
***
GEORGIO VECHNERO
cùm Doctor Theologiae crearetur.
Non solùm terra ista tuos, Vechnere, labores
Novit, ut in patriam mentem animumque tuam.
Longè se claras virtus tua vexit in auras,
Et juvenem laudat fama senecta virum.
5 Jam qvoqve te sancti praenobile culmen honoris
Servat, ut hic testem nominis hujus habes.
Gratulor hîc nobis qvoqve, nam vix fiet, ut in te
Laus non et nostros evehat ista locos.
***
EST locus haud ulli visus, (nisi forte Poetis,
Queis Lunae quoque regna patent, et mystica divûm
Consilia, ignotique etiam sine nomine mundi.)
Quà nostri firmo amplexu confinia caeli
5 Concurrunt, fictis Atlas queis consulit armis.
Hic Veneris stat sancta domus, hic mollis Amorum
Gens habitat: tristi pars miscet dulce venenum
Ambrosiae, nectarque gravi confundit aceto:
Pars rigidas parat ista faces: Pars ista sagittas,
10 Dissimiles per cuncta sui, variique tenoris
Conficit: hae fatuas stulto mucrone lacessunt
Mentes, ut persaepe suae contagia vitae
Ignorent, generisque sibi majoris amorem
Affectent, poenasque suis dent moribus ipsi:
15 Aut oblita etiam non raro stemmatis alti
Dieser Vater und treue Lenker der zarten Jugend, dieser untadelige Liebling der
Musen ist im undankbaren Staub an das ersehnte Ziel seiner Bahn gelangt und
überläßt, weit mehr als bloß Körper, seinen Körper der Erde. Er lief dem Tod
unerschrocken mit sehnsüchtigen Armen entgegen und nahm ohne alle Furcht
das ihm bestimmte Ende an. Wie gut hat er die, die er ein glückliches Leben zu
führen lehrte, nun auch unterwiesen, einen gesegneten Tod zu sterben. 0
Martin Opitz.
[R.K.]
***
Für Georg Vechner
anläßlich dessen Promotion zum Doktor der Theologie.
Nicht allein dieser Landstrich kennt deine Leistungen, mein Vechner, wie du dei-
nen Geist und Sinn für deine Heimat einsetzt. Weithin hat sich dein Verdienst ins
helle Licht der Öffentlichkeit gehoben, und den jungen Mann ehrt der Ruhm
eines Greises. Nun trägt dich auch der erhabene Gipfel einer anerkannten Eh-
rung, wie du hier den Zeugen dieses Namens hast. Ich beglückwünsche an dieser
Stelle auch uns, denn es wird kaum geschehen, daß dieser dein Ruhm nicht auch
unseren Stand emporhebt.
[R.S.]
***
Ja, es gibt einen Ort, den keiner jemals erblickt hat
(Außer vielleicht den Poeten, die Länder im Monde, geheime
Göttergespräche, sogar manche Welt ohne Namen besuchen
Dürfen, die keiner kennt), wo in enger Umarmung des Himmels
Grenzen, die Atlas bewacht mit Schultern der Sage, verfließen. 5
Da steht ein Haus, das heilige Haus Aphrodites, darin wohnt
Schelmisches Volk: die Eroten. Die einen mischen ein süßes
Gift zu betrübender Speise der Götter, vermengen mit bittrem
Essig den Nektar. Und andre verfertigen furchtbare Fackeln,
Wieder andere Pfeile, in allem verschiedne, verschiedner 10
Wirkung: Ein Teil verletzt mit besinnungraubender Spitze
Toren, so daß sie sehr oft Gefahr für ihr Leben mißachten,
Liebesverbindung erstreben, die über den eigenen Stand reicht,
Schließlich für ihre Verfehlung Bestrafungen hinnehmen müssen;
Oder die Pfeile verdunkeln nicht selten betörte Gemüter 15
Reizendste Pfeil eines Schusses, der Glück bringt. Betrachte das Antlitz,
Schau auf die himmlischen Augen des dir gehörenden Mädchens,
Schau auf ihr Haar, ihren Mund, der den Rosen, den Hals, der dem Schnee gleicht:
Alles, was immer die Braut besitzt, sie wird es noch lernen,
Dir allein es zu schenken, für dich wird sie Zeichen der Reinheit, 50
***
C ARMEN H EROICUM .
AESTUO, nec voti novit se terminus, omnis
Incerta sub mole precum versatur imago.
Plus est quod vero patriae debemus amori,
[A3v] Quam quod quisque sibi; nec commoda publica tanto
5 Sunt fraudanda bono. Deus est, Deus, ille vigorem
Et mentis commissa tuae tibi munera, forti
Confirmabit ope; quamvis tot mille labores
Incumbunt Scultete tuo celsissime collo.
Non equidem invideo requiem, et jam tempora cana
10 Multum sparsa nive, faciesque exercita curis,
AEtatem superant: sed tu tamen ardua facta
Sublimesque animos patriae ne subtrahe nostrae,
Et famae superesto tuae. Plus tendimus ultra,
Qui reliquos infra nos linquimus. Una quietis
15 Spes generosae animae est, nullam sperare quietem.
Saltem parce tibi pater, et te conjugis oro
Dilectae, natique tui non improba vota
Commoveant. Tantum vix Thessala pharmaca vitae,
Quantum cura nocet. Praestat superesse tenello
20 Jncolumem Ascanio, celeri quam morte peremptum
Linquere divitias haeredi. Exempla parentum
Plus quovis rectore valent. AEnëia virtus
Et facies veneranda patris prolem omnia magna
[A4r] Attentare jubet. Spectaclum haud pulchrius ullum est,
25 Ac quando magni patris non degener haeres,
Virtutem assequitur clari genitoris avitam.
Hos numeros tibi pono, pater charissime. Sed tu,
Alme Deus, si te communia flectere vota,
Si possunt lacrymae, sero tibi tale reposcas
30 Nobile depositum coeli: concede quietem,
Et morbos dispelle malos, curasque voraces
***
Gedicht auf einen Helden.
Ich bin in Unruhe, und das Ziel meines Gebetes kennt sich selbst nicht. Unter
der Last der Ungewißheit stellen sich Bitten jeder Art ein. Mehr ist es, was wir
der wahren Liebe zum Vaterland schuldig sind, als was jeder sich selbst schuldig
ist; und der gemeine Nutzen darf nicht um ein solches Gut gebracht werden. Es
gibt einen Gott, und jener Gott wird die Kraft und die dir anvertrauten Gaben
deines Geistes mit kraftvoller Hilfe stärken, obgleich so viele tausend Mühen
schwer auf deinem Nacken lasten, erhabener Scultetus. Ich mißgönne es dir
nicht zu ruhen, und schon weisen deine Schläfen, die (10) stark mit weißgrauem
Schnee durchsetzt sind, und dein von Sorgen zerfurchtes Antlitz über dein
eigentliches Alter hinaus. Aber dennoch: entziehe du dein schwieriges Tun und
deinen erhabenen Sinn nicht unserem Vaterland, und bleibe noch am Leben für
deinen Ruhm. Über alle Grenzen streben wir empor, wenn wir die übrigen hinter
uns lassen. Die einzige Hoffnung auf Ruhe besteht für eine würdige Seele darin,
keine Ruhe zu erhoffen. Schone doch dich ein wenig, Vater, und mögen dich die
nicht unberechtigten Bitten deiner geliebten Gattin und deines Sohnes bewegen.
Kaum schaden thessalische Gifte dem Leben so sehr wie die Sorge. Besser ist
es, dem zarten (20) kleinen Ascanius zuliebe gesund am Leben zu bleiben als,
von einem raschen Tod dahingerafft, ihm, wenn er erbt, Reichtümer zu hinter-
lassen. Das Vorbild der Eltern zählt mehr als jeder Lehrmeister. Die Tapferkeit
eines Aeneas und das verehrungswürdige Antlitz eines Vaters fordern den Nach-
kommen auf, alle großen Taten zu versuchen. Kein Schauspiel ist schöner anzu-
sehen, als wenn der nicht unwürdige Sproß eines großen Vaters die alte Tapfer-
keit seines ruhmreichen Erzeugers erreicht. Diese Verse schreibe ich für dich
auf, bester Vater. Doch du, gütiger Gott, wenn dich allgemeine Wünsche, wenn
dich Tränen zu rühren vermögen, dann mögest du erst spät ein solch (30) edles
Kapital des Himmels für dich zurückfordern. Gewähre ihm Ruhe, vertreibe die
bösen Krankheiten, und möge der schnelle Nordwind die verzehrenden Sorgen
***
I.
SI posito tua dona vides livore maligno,
Hoc etiam titulis adde, Bolesla, tuis:
Sincerum erectumque virum labisque carentem,
Cui virtus culmen cessit amica tuum.
5 Non etenim dubiae suffragia languida plebis,
Perversusque favor tale peregit opus:
[A3r] Sed germana fides, verusque in pectore candor,
Virtutisque sibi sufficientis amor,
Doctrinaeque amplae dotes, et coelica fandi
10 Munera, Nestoreo tota referta favo.
Haec te S ENFTLEBI , Fato accedente benigno,
Conspicuis auctum fascibus esse jubent.
Quamvis illa tuae prudentia vivida mentis,
Munera suspensa suscipit ista manu:
15 Nempe subinsulsae novisti pectora plebis,
Quoque magistratum praedicet ore suum.
Ecce tibi nullo conscriptos ordine patres,
Per condensati compita longa fori.
Hi vigilant nobis, si dîs placet, omnibus; hi nos
20 Certe haud exigua sedulitate regunt:
His mens in lingua est; hi te, Respublica, servant,
Ne quid non cauti forte Senatus agat.
At tu, justitia divina vindice, vano,
O praeclare virûm, ne moveare grege.
25 Sed patriae atque tibi laetus te suffice; gratum,
Ut desint homines, experiere Deum.
II.
Aonidum stabili qui sacra colebat amore
Et libris totus deditus, atque sibi;
[A3v] Assertos studiis tibi, Curia, tradidit annos,
Proque suo celebrat nunc Helicone forum.
II.
Der mit beständiger Liebe die Altäre der Musen verehrte und sich ganz den Bü-
chern und sich selbst widmete, hat die für die Wissenschaft aufbewahrten Jahre
an dich, Rathaus, übergeben und besucht nun anstelle des geliebten Helikon die
Sitzungen.
III.
Qui quondam patrium docuit cum laude Lycéum,
Jam sedet ad clavum, chara Bolesla, tuum.
Officium sic officio succedere par est,
Qui rexit juvenes, ut regat ille viros.
IV.
HIPPONAX.
Ferax Bolesla, grande Slesiae lumen,
Et hortulorum dulciumque rivorum,
Sed et virûm nutricula alma doctorum;
Quos forte nomen inter audiet pulchrum,
5 Opitii non impotens tui Musa,
Virgisque committenda poedagogorum;
Sed sat virilis, sed decora, sed fulgens,
Famaeque plena literariae Musa.
Quam te relinquo non libenter, ô mater,
10 Et matre si quid charius: sed hoc sidus
Fatale nobis, et noverca Fortuna
Mandat jubetque, destitutus ut plane
[A4r] Et consilî expers omnis exteras terras
Dehinc peragrem, inops, egenus, exulque;
15 Ac absque nervis ambulem. Vale longum
O officina, ô hospita alma Musarum,
Vale beata: tuque, clare S ENFTLEBI ,
Et tu satelles Pacis aeque VVesseli,
VVesseli amate praeco coelici verbi,
20 Et tu togae corusca stella Namslere,
Ac in parentis ipsius modum nobis
Dilecte semper, ò amice Preibisi
Integritatis, et modestiae antiquae:
Et caeteri quibus favoris in vatem
25 Scintilla restat ulla, queisque non restat,
Valete cuncti, sospitesque florete.
At nos miselli, pauperes et extorres,
Fortasse frustra saepe, more Ulysseo,
Optabimus videre patriae fumum!
M ARTINUS O PITIUS
Candid!atus" Poës!eos" et LL. !Legum" ac
Philos!ophiae" Studiosus.
***
Bereitgestellt von | Universitaet Wuppertal
Angemeldet
Heruntergeladen am | 22.01.18 17:19
Ferax Bolesla 57
III.
Der einst mit Erfolg am Gymnasium der Heimatstadt gelehrt hat, sitzt nun an
deinem Steuerruder, mein geliebtes Bunzlau. Es ist recht, daß so Amt auf Amt
folgt, so daß der, der die Jugend geführt hat, nun die Männer führt.
IV.
Hipponax.
Reiches Bunzlau, du strahlende Leuchte Schlesiens, nährende Mutter von Gär-
ten und lieblichen Bächen, auch von gelehrten Männern – unter denen vielleicht
auch die kundige und doch den Ruten der Schulmeister ausgelieferte Muse
deines Opitz einen guten Ruf haben wird. Aber es ist ja eine recht tatkräftige,
schöne und strahlende Muse, voll von literarischem Ruhm – wie ungern ich dich
verlasse, die du mir Mutter bist (10) oder womöglich noch lieber als eine Mutter!
Aber dieser Stern, der uns Unglück bringt, und die stiefmütterliche Fortuna ver-
langen und fordern, daß ich fortan völlig verlassen und ohne jeden Rat fremde
Länder durchstreife, arm, hilflos und ohne Heimat, und kraftlos wandere. Leb
wohl für lange Zeit, Werkstatt und gastfreundliche Wirtin der Musen, leb wohl
und sei glücklich, auch du, großer Senftleben, und du, Begleiter des Friedens,
gerechter Wessel, Wessel, geliebter Verkünder des himmlischen Wortes, (20) und
du, schimmernder Stern der Toga, Namsler, und du, den ich immer wie meinen
eigenen Vater liebe, mein lieber Preibisch, Mann von alter Rechtschaffenheit
und Bescheidenheit: Und ihr übrigen, die noch einen Funken von Zuneigung
zum Dichter verspüren, und auch die, die es nicht mehr tun, lebt alle wohl, und
möge es euch gut gehen. Ich aber, unglücklich, arm und heimatlos, werde wahr-
scheinlich oft vergeblich wie Odysseus wünschen, den Rauch der heimatlichen
Herde zu sehen.
Martin Opitz,
Kandidat der Dichtkunst und Student der Rechte
und der Philologie.
[R.S., W.-W.E.]
***
ARISTARCHUS
sive
D E C ONTEMPTU
Linguae Teuto-
nicae.
Auctore
M ARTINO O PITIO.
BETHANIAE ,
EXCUDEBAT JOHANNES
DÖRFER .
IN Orbe hoc universo, Viri Nobilissimi, nihil homine, in homine nihil animo
praestantius fabricator sapientissimus collocavit. Quae excelsa mens et coeli,
unde originem trahit, aemula, unumquenque nostrum studiis certis et cogitatio-
nibus donat. Nec quisquam mortalium tam iniquo fato vivit, qui non semina ali-
5 qua virtutis concipere secum audeat. In hoc tamen communi aestu, varijs affec-
tibus et curis rapimur quisque, pro ingenii nostri, aut sor-[A2v]tis in quam nati
sumus, dignitate. Eam mentium diversitatem, si quicquam, nobilium nostrae
Aristarchus
oder
wider die Verachtung
der deutschen
Sprache.
Verfaßt von
Martin Opitz.
In Beuthen
gedruckt von
Johannes Dörffer.
Wir wollen das Vaterland lieben, den Guten helfen; wir wollen die gegenwärti-
gen Vorteile geringschätzen; der Nachwelt und dem Ruhm wollen wir dienen;
wir wollen das für das Beste halten, was das Richtigste ist; wir wollen auf das hof-
fen, was wir uns wünschen, aber ertragen, was immer eintreten mag; wir wollen
schließlich bedenken, daß der Leib tapferer Männer und bedeutender Menschen
sterblich ist, das Wirken des Geistes und der Ruhm der Tugend aber unsterblich
sind.
[V.M.]
Auf diesem ganzen Erdkreis, edelste Männer, hat der Schöpfer in seiner voll-
kommenen Weisheit nichts Vorzüglicheres geschaffen als den Menschen, im
Menschen aber nichts Vorzüglicheres als den Geist. Dieser überragende und
dem Himmel, woher er seinen Ursprung nimmt, nacheifernde Sinn beschenkt
einen jeden von uns mit bestimmten Bestrebungen und Gedanken. Und keiner
der Sterblichen lebt mit einem so ungerechten Schicksal, daß er nicht wagte, ir-
gendwelche Samen von Tugend in sich zu hegen. In diesem gemeinsamen Feuer
wird dennoch ein jeder von uns durch verschiedene Leidenschaften und Inter-
aetatis vota et diversae curarum viae produnt. Quidam enim omnem conatum ac
industriam literis impendunt, et tum demum generis sui existimationem tueri se
10 probe censent, si, quos splendore natalium exsuperant, eosdem etiam doctrinae
eminentia post se relinquant. Laudabili more: nisi ad chartas istas veluti scopulos
aut Sirenum cantilenas consenescant, et cum omnia sciant hoc ipsum quoque
quod sunt ignorent. Alii nihil nisi equos loquuntur et molossos, ac quot feras uno
die confecerint, neminem quenquam volunt latere. Tela alij fulminant et gladios:
15 alij sola morum et humanitatis affectatione exercentur. Perit his omnis plerun-
que labor inanibus studijs: et cum diu vixerint, nondum tamen se vivere memi-
nerunt. Otioso negotio deterunt florem aetatis ac consu-[A3r]munt, et praeter
propter vitam degunt, non in ipsa. Optime autem ii temporis sui calculum po-
nere mihi semper visi sunt, qui literarum cognitionem externae elegantiae dulci
20 contubernio jungunt. Moderatur enim librorum amorem, ne infra sui generis
authoritatem excrescat, polita illa et ad comitatem magis composita calliditas:
quam vicissim literatae sapientiae dedita mens flectit et gubernat, ne, dum futili-
bus et fluxis rebus nimis est intenta, illud propter quod homines sumus, negligat
et omittat. Hoc tam augustum et illustre virtutis genus, Viri eminentissimi, nemo
25 est, nisi aut invidus aut imperitus, qui in vobis non agnoscat. Vos cum politicam
illam et civilem prudentiam ametis; literas etiam ac eruditionem non odistis: et
quotiescunque à domesticis occupationibus respirare vobis datur, ad libellos ve-
stros charissimos, tanquam portum curarum ac asylum, non [A3v] illibenter con-
fugitis. Sic cum illiteratorum ruditatem excedatis et ignorantiam: in sordes tamen
30 umbraticorum et lucifugarum non inciditis. Quae me res potissimum impulit, ut
exiguum hoc munusculum offerre vobis auderem: qui et diligitis has amoenita-
tes, et judicare de iis optime potestis. Accedit, quod immerentem me favore ve-
stro et benevolentia amplecti ac erigere voluistis, et inter caeteros virtutis ac no-
essen hingerissen aufgrund des Ranges unserer Begabung oder des Schicksals, in
das wir hineingeboren sind. Diese Verschiedenheit der Gesinnungen bringen,
wenn überhaupt etwas, die Wünsche der Adligen unseres Zeitalters und die ver-
schiedenen Wege der Interessen hervor. Denn gewisse Leute verwenden jede
Anstrengung und allen Fleiß auf die Wissenschaften und meinen, daß sie dann
erst die hohe Meinung über ihre Herkunft rechtfertigen, wenn sie diejenigen,
welche sie durch Glanz der Geburt übertreffen, auch durch das Herausgehoben-
sein ihrer Gelehrsamkeit hinter sich zurücklassen. Dies ist eine löbliche Art –
wenn sie nicht bei diesen Schriften wie auf den Klippen oder bei den Gesängen
der Sirenen alt werden, und, auch wenn sie alles wissen, dies selbst jedoch, was
sie sind, nicht wissen. Die einen reden über nichts als ihre Pferde und Hunde
und wollen nicht, daß irgendjemandem verborgen bleibt, wie viele wilde Tiere
sie an einem einzigen Tag erlegt haben. Andere lassen ihre Waffen und Schwer-
ter blitzen: andere üben sich allein im Streben nach feinen Sitten und Lebensart.
Diesen geht meistens die ganze Mühe in leeren Bestrebungen zugrunde: und
selbst, wenn sie lange gelebt haben, besinnen sie sich dennoch nicht, daß sie le-
ben. Mit müßiger Beschäftigung vergeuden und verbrauchen sie die Blüte ihrer
Jahre, und führen nur so ungefähr ein Leben, stehen aber nicht in diesem selbst.
Am besten aber schienen mir immer diejenigen ihre Zeit einzuteilen, die die Er-
kenntnis der wissenschaftlichen Studien mit der Eleganz ihrer äußeren Erschei-
nung in einer angenehmen Kameradschaft verbinden. Denn, auf daß sie nicht
unterhalb der Würde ihrer Herkunft Auswüchse zeitige, setzt der Liebe zu den
Büchern jene gewandte und mehr zur Höflichkeit ausgerüstete Lebensklugheit
die Schranken, die wiederum der der gelehrten Weisheit ergebene Geist beugt
und lenkt, damit sie nicht, während sie sich mit eitlen und nichtigen Dingen all-
zusehr abgibt, jenes, weswegen wir Menschen sind, vernachlässige und verliere.
Es gibt aber niemanden, erlauchteste Männer, der, wenn er es nicht aus Neid
oder Unkenntnis tut, diese so erhabene und glänzende Art der Tugend in Euch
nicht anerkennt. Ihr haßt, während ihr jene politische und gesellschaftliche
Klugheit liebt, auch die Wissenschaft und die Bildung nicht. Und wie oft auch
immer es Euch gegeben ist, Euch von den Beschäftigungen in bezug auf Eure
Güter zu erholen, flüchtet Ihr Euch mit größter Freude zu den Euch so teuren
Büchern wie in einen Hafen und Zufluchtsort vor den Sorgen. Auf diese Weise
fallt Ihr, wenn Ihr die Roheit und Unwissenheit der Ungebildeten flüchtet, den-
noch nicht in das Dunkel der Schattengestalten und Lichtflüchtlinge. Diese Tat-
sache vor allem hat mich dazu bewogen, daß ich es wagte, dieses geringe Werk-
chen Euch zu widmen, die Ihr sowohl diese ergötzlichen Dinge schätzt als auch
über sie am besten urteilen könnt. Dazu kam, daß Ihr mich Unwürdigen durch
Eure Gunst und Euer Wohlwollen umfangen und aufrichten und unter die übri-
gen Verehrer Eurer Tugend und Vornehmheit zulassen wolltet. Daß aber dieses
bilitatis vestrae cultores admittere. Non minus autem hunc libellum quam me,
35 acceptum vobis fore confido. Suscipite igitur immaturum hunc foetum, et natum
paene citius quam conceptum, unius et alterius dieculae studium: ac, nisi mino-
rum vos taedet, majora aliquando, si favor divinus et bonorum patrocinium ac-
cesserit, à nobis expectate.
M ARTINUS O PITIUS.
[A4v] AD GERMANIAM.
Büchlein nicht weniger als ich selbst Euch willkommen sein wird, darauf ver-
traue ich fest. Empfangt also diesen unreifen Fötus, der beinahe schneller gebo-
ren als empfangen wurde, die Arbeit von ein oder zwei Tagen: Und, wenn Euch
dieses Geringe nicht mißfällt, mögt Ihr, sofern göttlicher Beistand und die Gön-
nerschaft der Guten hinzukommen, einst Größeres von mir erwarten.
Wenn es Mäcene gibt, wird es auch an Männern wie Vergil nicht fehlen.
Lebt wohl, edelste Helden, mit Euren liebreizendsten Gemahlinnen (dem erle-
sensten Schwesternpaar) und den teuersten Kindern und empfindet Wohlwollen
für den Jüngling, der Euch von Herzen schätzt und verehrt.
Martin Opitz.
[V.M.]
An Deutschland.
Empfange, was ich in eilender Hitze schleunig zu Papier gebracht habe, die Ver-
teidigung deiner Sprache, deutsche Erde. Es wird den einen und den anderen ge-
ben, der der teuren Heimat heldenhafte Unternehmungen und mannhaften Sinn
zuteil werden läßt. Denn die deutsche Tugend hat sich nicht ganz aufgegeben,
sondern wird auch in später Zukunft noch gedeihen. Aber ich, heilige Mutter,
widme dir ein Denkmal meines treuen Herzens, die geringen Gaben meiner Bil-
dung: einen Geist, der sich aus glühender Liebe zu dir ohne Ende müht; (10) die-
sen Reichtum, diese Gaben hat mir das Schicksal verliehen, bestimmt nicht voll
Pomp oder hochfahrend in aufgeblasenem Glanz; dennoch nicht ganz entfernt
von der besseren Sorte. Alles Übrige erleidet das Los des Sterblichen; doch der
Ruhm, der aus den Schriften kommt, wird unvergänglich sein. Wer kennte noch
so viele Namen von tapferen Deutschen? Wer wüßte noch von deiner Macht,
Großer Karl, wenn nicht die göttergleiche Schar der Dichter dies für die nach-
folgende Zeit bewahrt und ein Werk geschaffen hätte, das die Zeiten überdauern
wird. Es leben durch Gesänge die Könige und die Triumphe der Könige: (20)
Unter unserer Obhut kann nichts sterben. Auch du, große Mutter, wirst durch
unseren Vers gefeiert werden, keine Seite wird deine Gaben unbeachtet lassen.
Da hast du also nun einen bescheidenen Ertrag meiner versprochenen Mühe. Je-
nes sei ein Werk des Ruhms, aber dieses eines der Ergebenheit.
Aristarchus
oder wider die
Verachtung der deutschen Sprache
Sooft ich mir unsere Vorfahren, die tapferen und nie besiegten Germanen, im Gei-
ste vorstelle, ergreift mich eine stille Ehrfurcht und ein mächtiger Schauer. Denn
jenes ehrwürdige, freie Volk flößt mir allein durch die Erinnerung an seine gött-
liche Tapferkeit und an seine Taten Scheu und Verehrung ein. Sie allein widerstan-
den in offener Feldschlacht den Römern, den Eroberern der Welt, und während
sich alles unterworfen hatte, konnte sie doch die Herzen der Germanen, die je-
der Gewalt und jedem Angriff standhielten, nicht bezwingen. Als mutige Helden
glaubten sie, die Freiheit ihres Vaterlandes beruhe nicht auf der Pracht ihrer
Mauern und Städte, sondern auf dem Schutze der Gesinnung eines jeden von ih-
nen. Diese Freiheit sicherten sie vor jeder Bedrohung, vor Waffengewalt und
Übermacht, und erhielten sie uneingeschränkt. Oft kämpften sie durch die seh-
nige Kraft ihrer Arme, noch öfter durch die unüberwindliche Erhabenheit ihres
Mutes siegreich gegen ihre Feinde. Ja schon die Erinnerung an ihren alten Hel-
denruhm gab ihnen die Kraft, Schilde und Schwerter zu zersplittern. Tugend
und Sittenreinheit pflegten sie in dem Maße, daß ihnen das, was andern Völkern
erst lange, mühsame Unterweisung verleiht, von Natur angeboren und einge-
pflanzt erschien. Recht und Gesetz aber trug ein jeder in seinem Herzen, nicht
auf Erztafeln, eingegraben, und Scham und Sittlichkeit bewirkten bei ihnen das-
selbe wie bei den übrigen die Angst und die drohenden Strafen. Nicht Eide bürg-
ten bei ihnen für Verträge und Versprechen, sondern ihr unverdorbenes Herz,
das sie auch ihren Feinden gegenüber bewährten. Zu dem Ernst ihrer Lebens-
und Handlungsweise gesellte sich eine Sprache, die ihren Taten gleich voller
Kraft und eigentümlicher Hoheit war. In ihr drückten sie ihre erhabenen Gesin-
nungen frei und ohne Umschweif aus, durch sie feuerten sie sich gegenseitig
zum Kampfe an, durch sie allein machten sie oft, wie durch einen Blitzstrahl, die
Drohungen ihrer Feinde zunichte. Diese edle, vornehme Sprache, die den Geist
ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Beflek-
kung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt, und ich möchte zu behaupten wa-
gen, daß keine Sprache die Zeit, welche ihr, wie allem Irdischen, nach unserer
Erfahrung das Schicksal gesetzt hat, so weit
produxisse.
30 Suavissimus certè Graecorum et delicatissimus sermo barbarie aliorum populo-
rum ita corruptus est ac debilitatus, *ut se hodie in se vix agnoscat, et solo sui de-
siderio, in invidiam sui et exprobrationem, sibi supersit.
Latinus etiam nitor ultra felicem ac disertam Augusti aetatem se vix reservavit.
35 *Labente namque sensim urbe aeterna, mascula quoque illa et robusta oratio
eundem exitum fecit. Sive id fatali quadam lege et occulta ac mystica vi accidit;
sive vitio superiorum. Imperantibus enim Claudiis, Neronibus et Domitianis
monstris hominum ac sceleribus, et quorum sine flagitio ne meminisse quidem
possumus; lingua [B2r] principibus sui temporis melior esse non voluit. Praeter
40 pauca itaque cadentis Eloquentiae fulcra, mimum omnes instruxerunt. Enati
sunt prurientes quidam Rhetorculi, qui argute lascivire, quam bene loqui malue-
runt. Omnem conatum, omnem industriam ac laborem curiosa subtilitate con-
sumpserunt; et dum nervositatem affectarunt anxie, nobilem orationis sensum
fregerunt, et succum amiserunt ac sanguinem. Picas dixisses aut simios, qui de-
45 sultoria agilitate saltitant ubique non ambulant, et sibi molestiam, spectatoribus
risum creant ac misericordiam.
ausgedehnt hat.
Die liebliche und reizende Sprache der Griechen ist durch die Barbarei anderer
Völker so verderbt und entartet, daß sie sich heutzutage selbst kaum wiederer-
kennt und nur noch zu ihrer eigenen Schmach und Schande fortlebt.
Auch der Glanz der Sprache Latiums erhielt sich kaum über das glückliche, re-
degewandte Zeitalter des Augustus hinaus. Denn mit dem allmählichen Nieder-
gang der ewigen Stadt ging auch die männlich kräftige Sprache zugrunde, viel-
leicht durch ein Gesetz des Schicksals und eine verborgene geheimnisvolle
Macht, vielleicht auch durch die Schuld der Herrschenden. Denn unter einem
Claudius, Nero, Domitian, diesen verbrecherischen Ungeheuern in Menschen-
gestalt, an die wir ohne Abscheu nicht einmal denken können, wollte die Sprache
nicht besser sein als die Herrscher ihres Zeitalters. Abgesehen von einigen Trä-
gern der sinkenden Beredsamkeit führten alle andern eine Posse auf. Lüsterne
Möchtegern-Redner traten vor die Menge, die lieber witzige Zoten vorbrachten,
als zu reden, wie es sich gehört. Mühe und eifrige Arbeit verwandten sie auf
die peinliche Genauigkeit des Ausdrucks, und während sie ängstlich Kraft zu
heucheln suchten, vernichteten sie den edlen Sinn der Rede und wurden kraft-
und saftlos. Sie glichen Spechten und Affen, die mit ausgelassener Behendigkeit
überall nur umherspringen, statt zu gehen. Sie sind sich selbst eine Last, bei den
Zuschauern aber erregen sie Gelächter und Mitleid.
Denn durch den Einbruch der Fremden verfiel die aufs feinste ausgebildete
Sprache zugleich mit dem Reiche, sie gab sich selbst auf. Und wären uns nicht
jene herrlichen Monumente des Geistes durch die Nachsicht der Götter und die
Gnade des Himmels bis jetzt erhalten geblieben, so würde von der Bildung der
Griechen und Römer uns nichts übrig sein als der wertlose Name. Freilich, wenn
ich nicht ein Lügenprophet bin (und ich wünschte, ich wäre es wirklich), so droht
vielleicht noch jetzt das Übel, das die schönsten Sprachen, welche es einst aus ih-
ren angestammten Reichen vertrieb, auch aus dem Geiste und dem Gedächtnisse
der Menschen tilgen könnte. Viele von uns haben gar kein Griechisch gelernt,
sehr viele vernachlässigen es, und wir unterrichten uns über die göttlichen Schrif-
ten des Platon, des Aristoteles und der übrigen lieber durch Vermittlung von
Illae namque cibis quos praemandunt, florem plerunque educunt ac animam: in-
fantes autem innocentissimos sputo livente pascunt ac spiritus olentis putredine.
60 Idem nobis accidit; et merito: qui [B2v] ne paratas quidem artes audemus co-
gnoscere. Nec felicius sane Latinitatis fatum. Iam quilibet nostrum singularem
loquendi ideam aut proponit sibi ipse, aut fingit. Vtut loquamur, dummodo non
sileamus, perinde est. Salustius antiquum nomen audit, et Criticis curiosissimis
mortalium relinquendus. Cicero, praeclarus ille quidem Orator, sed qui perpetuo
65 hoc laborat vitio, quod intellegi non erubescat. Quae calamitas ac invidia Ovi-
dium etiam, poëtarum omnium longè ingeniosissimum, deprehendit. Petronius
vero, Tacitus, Curtius, Symmachus ac reliquus ille priscorum ordo Lunae regna
sunt, in quae, praeter Endymionem, quem altera demum luce rediisse perhibent,
nemo hactenus vivorum nisi somniando pervenit. Haec censura universae clas-
70 sicorum cohorti intentatur. Novorum interea quorundam, et terrae filiorum inu-
sitatam ac portentosam dicendi rationem, miro judiciorum applausu, colimus et
amplectimur. Sic elegantissimam illam Venerem Romanam et fraudamus decore
nativo, et spurio fuco corrumpimus. Prostituimus denique eam nobis ipsi ac de-
floramus. Pauci sunt, qui suavissimae et simulachris omnibus emendatiori deae
75 misericordiam, pauciores qui auxilium commodant et operam. Ita sensim ac
*-"
+
λ Latina illa puritas ad fatalem metam tendit; quam brevi elapsam
prius quam elabi sentiemus.
*4 ’
« φ
.
80 Nos, quanquam Germanum ac liberale pectus horret hoc nomen, mendacio de-
prehendi et puniri rubore libenter vellemus. Neque laetior aliarum quo-[B3r]que
linguarum Catastrophe: de quibus sermonem facere et imperitia nostra vetat, et
instituti ratio. Germanorum tamen sermo linguas posterorum, ut fides et candor
animos, hucusque indivulsus et incorruptus semper est comitatus. Quotusquis-
85 que verò nostrum invenitur, qui aut vindicare eum, aut excolere audeat? Pauci,
quod pace vestra liceat, amamus Bonam Mentem, et furere libet cum insanienti-
Übersetzern als bei ihnen selbst. Diese Vermittler sind ja fast wie die Ammen, die
die Speisen vorkauen, ihnen dadurch den Geschmack und die Gestalt nehmen
und den unschuldigen Kindlein nur noch ihren eigenen fahlen Speichel und ihren
fauligen, stinkenden Atem als Nahrung übriglassen. So ergeht es auch uns, und
mit Recht; denn wir können uns nicht einmal dazu entschließen, die Wissens-
schätze kennenzulernen, die fertig für uns bereitliegen. Auch mit der lateinischen
Sprache verhält es sich nicht besser. Ein jeder von uns richtet sich heute nach
einem besonderen Begriff von der Sprache oder macht sich gar selbst einen
zurecht. Wie wir sprechen, ist gleichgültig, wenn wir nur nicht schweigen. Sallust
steht in dem Rufe eines Altertümlers und wird den Kritikern, den Wißbegierig-
sten der Sterblichen, überlassen. Cicero ist zwar ein trefflicher Redner, er leidet
aber beständig an dem Fehler, daß er ohne Scheu verständlich schreibt. Derselbe
schlimme Vorwurf trifft auch Ovid, den weitaus begabtesten aller Dichter. Petro-
nius vollends, Tacitus, Curtius, Symmachus und die übrige Schar der Alten gehö-
ren ins Reich der Luna, und dort ist außer dem Endymion, welcher erst am zwei-
ten Tag zurückgekehrt sein soll, bis jetzt noch kein Lebender außer im Traume
eingedrungen. Während dieser Maßstab an die ganze Schar der Klassiker ange-
legt wird, üben wir uns unter dem wunderlichen Beifall der Kunstrichter in jener
weit hergeholten, monströsen Redeweise einiger von den neuen Staubgeborenen
und übernehmen sie als unsere eigene. So bringen wir die feine römische Schön-
heit um ihren angeborenen Schmuck und verderben sie durch trügerische
Schminke. Kurz, wir geben sie uns selbst preis und berauben sie ihrer Reinheit.
Nur wenige haben mit der lieblichen Göttin, die makelloser als alle ihre Bilder ist,
Mitleid, und noch weniger leisten ihr tätige Hilfe. So nähert sich allmählich
Schritt für Schritt die Reinheit der lateinischen Sprache ihrem vom Schicksal ver-
hängten Ende, und in kurzem, ehe wir noch ihr Verschwinden bemerken, werden
wir sehen, daß sie schon vergangen sein wird.
Wir wollten uns gern, obwohl unser edles deutsches Herz vor dem Worte zu-
rückschreckt, der Lüge zeihen und durch Schamröte strafen lassen. Auch das
Geschick der übrigen Sprachen ist nicht erfreulicher; aber über diese zu reden,
verbietet uns unsere Unkenntnis und die Natur unserer Aufgabe. Die Sprache
der Germanen jedoch ist bis auf den heutigen Tag unvermischt und unverfälscht
den Zungen der Nachkommen verblieben, so wie die Treue und Einfalt ihren
Herzen. Aber wie wenige unter uns versuchen, diese Sprache zu schützen und
weiter auszubilden. Mit Verlaub möchte ich sagen: Wenige von uns lieben gesun-
den Sinn, man rast mit den Wahnsinnigen, und keiner tritt auf, der dem über-
bus; nec quisquam prodit, qui malo gliscenti et publico delirio occurrat. Exteras
regiones periculoso ac incredibili labore, neque sumptibus exiguis peragramus;
et impense hoc agimus, ne similes patriae ac nobis videamur. Sic dum effrenata
90 quadam cupidine peregrinum idioma addiscimus, negligimus nostrum ac in con-
temptum adducimus. Quasi verò non eorundem vitiorum tellus nostra atque
dissiti loci sit ferax, et ab hac gente libidines, ab ista petulantiam, ab illa fastum et
superbiam petere sit necesse. Quae et perpetrari hic possunt singula; et nisi pos-
sent, salvo, ut opinor, Reipublicae statu fieret. Tanti profecto morum novitas et
95 mercimonia linguarum neutiquam emenda sunt. Ego tamen, non ut utilissima
peregrinandi consuetudo intermittatur suadeo: sed ut desideratissimae patriae
nostrae dignitas salubri auxilio conservetur. Sedulo hoc agamus, ut qui à Gallis ac
Italis humanitatem mutuamur et elegantiam: non minus ab ipsis et linguam no-
stram, quod certatim eos facere in sua animadvertimus, perpolire accurate et ex-
100 ornare addiscamus. Inconsulte facit, qui neglectis domesticis extera habet anti-
quiora. Verùm ita natura comparatum est, ut in proprio quisque negotio hebetior
sit, quàm in alieno: [B3v] sive id fastidio familiarium rerum, sive exterarum allu-
bescentia, sive denique inexplebili sciendi aviditate accidit. Ea enim mentis hu-
manae ratio est, ut libero et effreni cursu volitet per omnia, et studio inusitata
105 noscendi sui ipsius saepe obliviscatur. Multa scire quam multum quilibet deside-
rat: ut ambitioni modo suae ac gloriae velificetur. Si quis strabo saltem oculo
alpes transmisit, interesse suae existimationis autumat, ne quis tam horribile
secretum ignoret. Quae omnia sapiens animus ridet, et alto supercilio contemnit.
* Nam et aliud agenti possunt haec accedere; et plausum populi magis, quam lau-
110 dem eruditorum merentur; et à viris gravibus nonnunquam etiam plane respu-
untur. Magistratum certe Romanum nunquam nisi Latinè Graecos responsa
dare, eosque per interpretem loqui coëgisse, non in urbe solum, sed ipsa Graecia
et Asia, Valerius Maximus autor est. Nunc pudet patriae; et saepe hoc agimus, ne
nihil minus quam Teutonicum idioma callere videamur.
So verachten wir uns selbst und werden verachtet. Indessen verändert sich die
reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu
120 Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet. Dicas
in sentinam durare hanc linguam, ad quam reliquarum sordes torrente promis-
cuo deferantur. Nulla ferme periodus est, nulla interpunctio, [B4r] quae non as-
cititium quid redoleat. Jam à Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutua-
mur, quod domi nascitur longe elegantius. Vidi quoque, qui ne à Graecis quidem
125 se abstineret. Talis illa vox, quae sine risu non excipiebatur: Jungfraw/ sie muß
auch da‚
observiren.
Et tamen, quo quis in his nugis perfectior, eo major sibi videtur, et seipsum, si
diis placet, adulatur. Trojam cepisse autumat, et Hectori viro fortissimo contro-
130 versiam de gravitate movisse. Quae profecto neque prudentum reprehensionem
effugere; neque favorem vulgarium animarum promereri possunt: risum autem
et ludibrium foeminis etiam non raro debent. Et quis ejusmodi *
effusissimo cachinno non prosequeretur? Der monsieur al‚ ein brave cavallier,
erzeige mir dz plaisir. Quod vir literatissimus, et Germaniae nostrae singulare
135 ornamentum Casparus Dornavius, fautor meus longe gratiosissimus, in exem-
plum citat. Cui musteum hunc et nuper natum dicendi morem non probari, ex
animo gaudeo. Atque utinam candidi omnes Germani, condensato agmine satis
elegantem linguam nostram servaremus, qui virtutem nondum amisimus. Jam
opem nostram, jam auxilia implorat; deturpata cultu non suo et deformata. Fin-
140 gite vobis adesse liberalis faciei virginem, castam hactenus et ne spe quidem noc-
tis imminutam. Colligite ipsi fractam in gradus comam, aedificate superne, anulo
gemmeo cacuminis (ut sic dicam) extremitatem includite. Jam caput Romanum
est. Sit humeros manuleato Hispaniae amictorio, sit mulierum Italarum è nebula
linea
145 [B4v] strophio surgentes cincta papillas.
Ventrem cyclade Gallica, hoc est, exiguam muscam elephanti corio, circunten-
dite. Jam Atheniense peplum illi injiciatur. Nonne *Maenadi insanae, quam de-
centi nymphae erit similior? Omnia disparia, peregrina omnia, neque quicquam
Das ist der Geist des Zenodot, die Weisheit des Krates!
Und doch, je besser sich einer auf diese Possen versteht, um so bedeutender
kommt er sich vor und schmeichelt sich womöglich noch selbst. Er dünkt sich, er
habe Troja eingenommen und dem tapferen Hektor den Rang streitig gemacht.
Das kann in der Tat dem Tadel kluger Männer nicht entgehen, wie es auch die
Gunst der Leute aus dem Volk nicht erringen kann; aber selbst den Frauen gibt es
häufig Stoff zu Gelächter und Spott. Und wer müßte nicht unbändig lachen über
ein so törichtes Gerede wie dieses: Der monsieur, als ein brave cavallier, erzeige mir daz
plaisir. Dies führt der hochgelehrte Dornau, mein günstiger Gönner und die
Zierde unseres Deutschland, als Beispiel an, und ich freue mich von Herzen, daß
auch ihm diese neugebackene und erst jüngst aufgekommene Redeweise nicht ge-
fällt. Möchten doch alle wohlgesinnten Deutschen, soweit sie noch männliche
Tatkraft besitzen, in geschlossener Reihe unsere schöne Sprache beschützen. Um
unsere Unterstützung und Hilfe geht es heute. Denn sie ist geschändet und ent-
stellt durch ein Gewand, das ihr nicht paßt. Stellt euch eine Jungfrau von edlem
Antlitz vor, deren Keuschheit noch nicht einmal durch die Hoffnung auf eine Lie-
besnacht vermindert ist. Bindet ihr Haar zusammen, kräuselt es in Wellen, türmt
es hoch auf und umschließt den Gipfel gleichsam mit einem von Juwelen glän-
zenden Ring. Nun ist der Kopf römisch. Dann umspannt ihre Schultern mit
einem langärmeligen spanischen Mantel wie bei italischen Weibern aus dünnem
Leinen,
Den Leib umhüllt mit einem weiten französischen Kleide, wie eine winzige Fliege
mit einer Elefantenhaut, und endlich werft ihr einen athenischen Mantel über:
Wird sie am Ende nicht eher einer rasenden Mänade als einer züchtigen Nymphe
ähnlich sehen? Nichts paßt zusammen, alles ist fremd und nichts natürlich als das,
*P0
, $* "«, et quidem satis pro Sa-[Clr]tyrica libertate. Neque
timidior alterius ad Imperatorem vox: Tu quidem, Imperator, peregrinis homini-
bus dare civitatem potes, verbis non potes. Id nos imitemur. Haud enim nobis
170 quicquam, quod quidem necesse ad rem sit, deesse potest. Ingenium certe ver-
borum nostrorum et tractus sententiarum ita decens est, ita felix: ut neque
Hispanorum majestati, neque Italorum decentiae, neque Gallorum venustae
volubilitati concedere debeat. Cujus rei unicum Marnixii apiarium, in nostrum
idioma conversum, optimae fidei testem arcessere possumus. Quem quidem li-
175 brum, quod quidam ita atroci stylo et indignanti pungunt ac confodiunt, causam
profecto non habent. Nihil sane est in tam festivo opere, quod non et ad aeter-
nam salutem praecepta ingerat, et honesta suavitate conditum vim quasi asperio-
ribus naturis faciat, ac nil tale cogitantes expugnet. Delitiarum omnium pyxidem
wonach man die Frauen bestimmt. Dasselbe Geschick, dasselbe Verhängnis ist
über unsere Sprache hereingebrochen, aber nicht durch ihre Schuld, sondern
durch die der eigenen Leute. Denn wir sehen diese Schandmale gern, wir pflegen
sie und suchen sie nachzuahmen, weil unsere Kunstrichter so verdorben sind, wie
es unsere ganze Zeit ist. Im Altertum hätte man das gewiß nicht geduldet. Tibe-
rius ordnete an, ein Soldat dürfe, falls er als Zeuge auf Griechisch vernommen
werde, nur lateinisch antworten. Er selbst war, nach den Worten des Tranquillus,
sonst zwar der griechischen Sprache mächtig und gebrauchte sie mit Leichtigkeit; aber er be-
diente sich ihrer doch nicht überall. Am meisten vermied er sie im Senat, und er ging darin so
weit, daß er sich, als er dort einmal ein Monopol bezeichnen wollte, sich zuerst dafür entschul-
digte, daß er ein Fremdwort benutzen müsse. Und als ein andermal in einem Senatsbeschluß das
Wort
vorgelesen wurde, befahl er, das Wort zu ändern und ein lateinisches dafür zu
suchen; finde man aber keines, so solle der Begriff lieber durch Umschreibung wiedergegeben wer-
den. Auch Juvenal zieht gegen dieselbe Sucht witzig und nicht weniger scharf zu
Felde:
Gibt’s was Faderes wohl, als daß sich nicht eine für chic hält,
hat sie sich aus der Etruskerin nicht in ’ne Griechin verwandelt,
aus der Sulmonerin in’ne Kekroperin? Alles nur griechisch,
(während’s für uns doch noch schmachvoller ist, nicht Lateinisch zu können,)
Sprache der Furcht ist’s ihnen, des Zorns, der Freud’ und der Sorgen,
jedwedes Herzensgeheimnis versprudeln sie darin: Gibt’s Stärkres?
Griechisch nur schlafen sie bei.
Wenig, aber recht deutlich, ganz wie es der Freiheit des Satirikers entspricht. Und
ebenso mutig war das Wort, welches ein anderer zu einem Kaiser sprach: Kaiser,
du kannst wohl fremden Menschen das Bürgerrecht verleihen, aber nicht fremden Worten.
Danach sollten wir uns richten. Denn eigentlich haben wir alles, was wir brau-
chen. Der Geist unserer Worte und der Fluß unserer Sätze ist so angemessen und
so glücklich, daß sie weder der gemessenen Würde des Spaniers noch der Feinheit
des Italieners noch der Zierlichkeit und Zungenfertigkeit des Franzosen zu wei-
chen brauchen. Ein schlagender Beweis ist die ganz einzigartige deutsche Über-
setzung des Apiarium von Marnix. Man hat gar keinen Grund, dieses Buch so hart
und erbittert anzugreifen und zu verurteilen, wie das manche tun. Überall in die-
sem artigen Werke sind Lehren für das ewige Heil enthalten, und da es mit einer
ehrbaren Anmut geschrieben ist, tut es härteren Naturen gleichsam Gewalt an
und nimmt Leute für sich ein, die sonst gar nicht an solche Dinge denken. Ich
möchte es ein Gefäß aller Lieblichkeit nennen, ein Salbendöschen der Grazien,
ein Mittel zur Vertreibung der Sorgen, eine Verführerin zu feinen Sitten, und
ohne das alles ist ja die Göttin der Schönheit selbst nicht schön genug. Jedes ein-
zelne Wort atmet eine besondere Würde und Feinheit und nimmt unsere Sinne
nicht langsam ein, sondern erobert sie im Sturm. So sehr fesselt den Leser die un-
gewöhnliche Leichtigkeit, die unerschöpfliche Anmut und Liebenswürdigkeit,
daß er nie, sooft er es auch wieder liest, Abneigung dagegen empfindet. Das alles
muß uns anziehen und auch dazu einladen, noch mehr von gleicher Anmut und
Artigkeit zu ersinnen. Denn so niedrig darf man von unserer Sprache nicht den-
ken, als hätte sie sich in jenem Buche so erschöpft, daß sie es nicht wagen dürfte,
Ähnliches oder noch Größeres zu erstreben. Laßt uns wenigstens jene Bastard-
redensarten ausrotten, die sich heimlich eingeschlichen haben, und uns nicht das
Brandmal aufdrücken, als litten wir an Dürftigkeit, oder, wie Plinius sagt, an Bet-
telarmut unserer Muttersprache. Man mag uns grollen und anfeinden: Weder in
gebundener noch in ungebundener Rede weichen wir irgend einer anderen Spra-
che. Schon von alters her priesen unsere Ahnen (wie auch Tacitus zugeben muß,
sonst kein allzu lauter Verkünder unseres Ruhms) die Heldentaten ihrer Väter in
alten Liedern. Und noch heute ist nicht wenig erhalten, das Melchior Goldast, ein
Mann, geboren zum Nutzen und zum Ruhme Deutschlands, vor einigen Jahren
aus dem Staube hervorgezogen und veröffentlicht hat. Er hat auch nachgewiesen,
daß man vor 1200 Jahren die heiligen Bücher der Christen in lateinischer und ein-
heimischer Sprache nebeneinander in Alemannien gesehen habe. Die Art jener
alten Poesie aber können einige Verse des Marner zeigen, der freilich in einer spä-
teren Zeit schrieb
Quae certe ejus sunt amoenitatis, ut nos poenitere sermonis nostri non debeat.
Et dolendum profecto, tam felicem poëtandi spiritum plane hactenus interce-
ptum fuisse. Cum Italia tot Petrarchas, Ariostos, Tassos; Gallia Marottos, Barta-
225 sios, Ronsardos et alios Poëtas praeclaros in dedecus nostri et exprobrationem
eduxerit: Belgae quoque eadem virtute stimulati id ipsum tentaverint. Nec infe-
liciter sane. Extant enim praeter caetera, Danielis Heinsii, hominis ad miraculum
usque eruditi, Poëmatia vernacula, quibus ille Latinorum suorum carminum ele-
gantiam non aequavit modo, sed quadamtenus illa et seipsum fere exuperavit.
230 Nos apertis oculis bona fide dormimus: cum tamen non pari modo successu, sed
iisdem quoque numeris, gravitate non dissimiliis quib!us" reliquae illae gentes,
carmina nostra instruere possemus. Memini Illustri ac Nobilissimo Viro, Dn.
Tobiae Sculteto à Schvvannensehe ac Bregoschitz, Consiliario Imperatoris ac
Commissario, etc. Dn. ac Maecenati meo aeternum venerando Germanicos
235 quosdam meos, *Gallico more effictos, versiculos non ita pridem fuisse oblatos.
Ibi Heros Literatissimus conatum meum non improbare non solum, sed et nutu
humanissimo solari cepit ac corroborare. Ego ubi ingenio non fuit locus, ut cum Fa-
bio loquar, curae testimonium promeruisse contentus, nisi successu, laudabili tamen in-
du-[C2v]stria, non degenerem patriae incolam praestare me volui. Juvit diligen-
240 tiam natura, et facilitas provocavit audaciam. Primum itaque illud versuum genus
temtavi, quod Alexandrinum (ab autore Italo, ut ferunt, ejus nominis) Gallis di-
citur, et loco Hexametrorum Latinorum ab iis habetur. Cujus exemplum appo-
nere non sum veritus.
Das ist gewiß so anmutig, daß wir mit unserer Sprache nicht unzufrieden zu
sein brauchen. Und es ist wahrlich zu beklagen, daß diese glückliche dichteri-
sche Begabung inzwischen ganz abgebrochen ist, während Italien so viele Pe-
trarcas, Ariosts und Tassos, Frankreich so viele Marots, Bartas’, Ronsards und
andere treffliche Dichter zu unserer Schande und Schmach hervorgebracht hat,
während auch die Niederländer, von demselben edlen Triebe durchglüht, Glei-
ches zu erreichen versucht haben, und zwar mit recht viel Glück. Denn es gibt,
abgesehen von den übrigen, von dem wunderbar gelehrten Daniel Heinsius
Gedichte in seiner Muttersprache, in denen er die Formvollendung seiner latei-
nischen Gedichte nicht nur erreicht, sondern bis zu einem gewissen Grade
diese und sich selbst beinahe übertroffen hat. Wir aber, wir schlafen ruhig wei-
ter mit offenen Augen. Dabei wären wir doch in der Lage, nicht nur ebenso er-
folgreich, sondern auch in denselben Versmaßen und mit ähnlicher Würde wie
jene andern Völker zu dichten. Vor nicht sehr langer Zeit habe ich dem erlauch-
ten und edlen Herrn, Herrn Tobias Scultetus von Schwanensee und Brego-
schitz, Kaiserlicher Rat und Commissar usw., meinem stets zu verehrenden
Herrn und Gönner, einige von mir nach französischer Art gedichtete Verse ge-
widmet. Dieser hochgebildete, großartige Mann hat meinen Versuch gebilligt,
ja er hat mich mit freundlichem Zuspruch ermutigt und in meinem Bestreben
bestärkt. Wo ich kein Talent zeigen konnte, um mit Fabius zu reden, habe ich doch vol-
ler Zufriedenheit, das Zeugnis des Eifers erlangt zu haben, mich als einen wenn auch
nicht an Erfolg, so doch durch löbliches Streben nicht unwürdigen Sohn mei-
nes Vaterlandes zeigen wollen. Die natürliche Begabung unterstützte meinen
Fleiß, und die Leichtigkeit erweckte meinen Mut. So habe ich zuerst mich in je-
ner Versart versucht, welche die Franzosen (nach einem italienischen Dichter
dieses Namens, wie man sagt) Alexandriner nennen und die sie anstelle der la-
teinischen Hexameter verwenden. Ich scheue mich nicht, hier ein Beispiel dafür
zu zitieren:
Aliter ista:
Wa‚ in der welt die Sonn’/ in der Sonn’ ist da‚ licht/
In dem licht ’ ist der glantz/ in dem glantz’ ist die hitze:
Da‚ ist vn‚ Menschen auch die wahre libe‚ pflicht/
290 Vnd ein getrewe‚ hertz’: e‚ ist nicht‚ nicht ‚o nütze.
O wie glückselig ist auch in dem höchsten schmertzen/
Der dem ein trewer Freund mit liebe‚ brunst von her-
tzen
[C3vl Ohn falsch ist zugethan. ein solchen in der noth
Vnd wiederwertigkeit halt’ ich fur einen Gott.
295 Aliter rursum ista Ernesti Schwaben von der Heyde, politißimi hominis, et mira sua-
vitate morum commendatißimi: cujus tamen Germanica quaedam carmina *longe post vidi,
quam de hoc scribendi modo cogitaveram.
Sonnet.
Ihr die jhr höret an wie mancher sturmwind wehet/
300 Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/
Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/
Vnd ein vorletzte‚ hertz vol tausen wunden sehet.
Erlernet wol hierauß wa‚ man in Lieb’ au‚stehet/
Darin die junge zeit mich lie‚ ergeben sein/
305 Al‚ ich für wahre lust hielt ’ einen fal‚chen schein/
Darüber mich jetzund hertzliche rew’ vmbfehet:
Vnd fliehet ‚olche brunst vnd jhre ‚üsse Gifft/
Der eiteln schönheit glantz/ die vn‚ da‚ Hertz schnel trifft/
Vnd angst vnd schmertzen vol witzlo‚ herummer leitet:
310 Ohn Tugend i‚t schönheit nur ein triegliche‚ Kleidt;
Wer ‚olcher dien‚tbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt:
Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.
Diese Verse können aber beliebig verändert und umgestellt werden. Die folgen-
den nämlich haben eine andere Reihenfolge:
Wieder anders sind die folgenden des Ernst Schwabe von der Heyde, eines sehr
gebildeten und durch die wunderbare Liebenswürdigkeit seines Charakters sehr
angenehmen Mannes. Seine deutschen Gedichte habe ich jedoch viel später ge-
sehen, als ich selbst den Gedanken gefaßt habe, in dieser Art zu dichten.
Sonnet.
Ihr die ihr höret an wie mancher sturmwind wehet/
Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/
Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/
Vnd ein vorletztes hertz vol tausen wunden sehet.
Erlernet wol hierauß was man in Lieb’ ausstehet/
Darin die junge zeit mich lies ergeben sein/
Als ich für wahre lust hielt’ einen falschen schein/
Darüber mich jetzund hertzliche rew’ umbfehet:
Vnd fliehet solche brunst vnd jhre süsse Gifft/
Der eiteln schönheit glantz/ die vns das Hertz schnel trifft/
Vnd angst vnd schmertzen vol witzlos herummer leitet:
Ohn Tugend ist schönheit nur ein triegliches Kleidt;
Wer solcher dienstbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt:
Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.
* «
µ φ«
,
Ernestus Schwabe:
In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/
330 Wie da‚ sein schatz sey heufftig zugerichtet/
Die Gotte‚furcht in dessen (ach der Noth!)
Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt.
Wie man sieht, können derartige Verse also nicht auf verschiedene Art gebaut und
angeordnet werden; das werde ich auch anhand meiner eigenen deutschen Ge-
dichte noch deutlicher zeigen und nachweisen, die entweder zusammen mit den la-
teinischen oder, so Gott will, eines Tages gesondert ans Licht treten werden,
Einzuhalten ist wenigstens die Zahl der Silben, daß nämlich die längeren Ver-
spaare nicht mehr als dreizehn, die kürzeren nicht mehr als zwölf Silben zählen.
Bei diesen muß die letzte Silbe immer lang sein, bei jenen muß sie mit schwäche-
rer und gleichsam entschwebender Betonung ausgesprochen werden. Es ist auch
genau zu beachten, daß überall die sechste Silbe einen Wortschluß bildet und daß
der Vers dort gleichsam einen Einschnitt hat. Es gibt noch eine andere Versart,
welche die Franzosen vers communs nennen, aus zehn und elf Silben, welche nach
der vierten immer Atem holt und eine Pause macht. Das geht folgendermaßen:
Ernst Schwabe:
In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/
Wie das sein schatz sey heufftig zugerichtet/
Die Gottesfurcht in dessen (ach der Noth!)
Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt.
Auch an Folgendes ist zu erinnern: Der Vokal e wird in allen Versarten immer
ausgestoßen, wenn er am Ende des Wortes steht und das folgende Wort mit
einem Vokal beginnt. Weil aber dieser Gebrauch des Deutschen neu und unge-
wohnt ist, empfiehlt es sich, damit nicht das häufige Stummbleiben des Buch-
stabens e den Ungeübteren Schwierigkeiten bereite, dieses e auszulassen und an
seine Stelle dieses Zeichen ’ zu setzen. Auch Schwabe verfährt so und hält sich
daran. Dafür soll das Folgende als Beispiel dienen:
Item hoc:
Johanne‚ von Landtßkrone der jungere.
O kron de‚ hause‚: leid nur gern an in not.
355 Du adeliche‚ blut/ der welt vnd jhre‚ sause‚
Geh müßig/ wie du thust/ leid nur ’ gern an in not/
Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst
Gott/
In künfftig schreien zu: O kron de‚ gantzen Hause‚.
Kurz, es findet sich bei keinem jener Völker eine Dichtungsart, in der nicht auch wir
in der deutschen Sprache, mag man sie auch unausgebildet und rauh schelten, mit
ihnen wetteifern könnten. Sogar Anagramme, freilich eine Spielerei, mit der man
eigentlich die kostbare Zeit nicht verschwenden sollte, haben wir jüngst zu ersinnen
gelernt, und zwar nicht ohne Glück; es müßte uns denn gehen wie dem Narziß,
– dem der Ruf seiner Schönheit
In Liebesfeuer zu dem eigenen Leibe entbrannte.
In dieser Art habe ich Folgendes verfaßt:
Tobias Scultetus von Schwanensehe vnd Bregoschitz.
Gott ist vnser schutz vnd schild/ ob schon was eben taue.
Ebenso dieses:
Johannes von Landtßkrone der jungere.
O kron des hauses: leid nur gern an in not.
Du adeliches Blut/ der welt vnd jhres sauses
Geh müßig/ wie du thust/ leid nur’ gern an in not/
Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst
Gott/
In künfftig schreien zu: O kron des gantzen Hauses.
Ferner das Folgende von einem anderen Autor auf Rindfleisch, die strahlende
Leuchte und herrliche Zierde seiner Heimatstadt Breslau (der prächtige Schauplatz
von ganz Schlesien).
Daniel Rindfleisch.
Ein friedliches Landt.
Oder:
Laß friedlich dienen.
Oder:
Daniell Rindfleisch.
Seid allen freindlich.
Oder dieses auf seine Tochter:
Margareta Rindtfleischen.
Ein träfflicher Smaragdt.
Auch Schwabe hat nicht wenige Anagramme gebildet, darunter einzelne recht
glücklich. Das eine oder andere davon möchte ich hier zitieren.
Helena Roggen.
Oh ringe lange.
Weil das Glück vnter dir du heltest in dem zwange/
Vnd dir sein lachen nicht erschwellen mag das hertz/
Weil auch sein trutz vnd macht dir ist ein blosser schertz/
ad nos pervenit. Hanc, si qui coelo vestro, hoc est, vobis ipsis non invidetis,
amate, hanc expolite, hic viros vos praestate. Hic Rhodus, hic saltus. Quod si
precibus dandum aliquid et obsecrationi censetis: per ego vos dilectissimam ma-
trem vestram Germaniam, per majores vestros praegloriosissimos oro et obte-
400 stor, ut nobilitate vestra gentisque dignos spiritus capiatis; ut eadem constantia
animorum, qua illi fines suos olim tutati sunt, sermonem vestrum non deseratis.
Proavi vestri, fortes et inclyti Semones, animam pro aris ac focis efflare non du-
bitaverunt. Vos ut idem praestetis, necessitas minime jam flagitat. Facite saltem,
ut qui candorem in generosis mentibus vestris servatis illibatum, oratione quo-
405 que illibata proferre eundem possitis. Facite, ut quam loquendi dexteritatem
accepistis à parentib!us" vestris, posteritati relinquatis. Facite denique, ut qui
reliquas gentes fortitudine vincitis ac fide, linguae quoque praestantia iisdem non
cedatis.
***
auf uns gekommen ist. Sie müßt ihr lieben, wenn ihr nicht gegen den Himmel
eures Vaterlandes, das heißt gegen euch selbst, Feindschaft hegt; an ihrer Ausbil-
dung müßt ihr arbeiten, darin müßt ihr euch als Männer zeigen. Hier ist Rhodos,
hier springt! Und wenn ihr glaubt, man müsse Bitten und Beschwörungen nach-
geben: Nun, so bitte und beschwöre ich euch bei eurer vielgeliebten Mutter
Deutschland, bei euren glorreichen Ahnen: Zeigt eine Gesinnung, würdig eures
edlen Volkes, verteidigt eure Sprache mit derselben Ausdauer, mit der jene einst
ihre Grenzen schützten. Eure Vorfahren, die tapferen und weitberühmten Sem-
nonen, trugen keine Bedenken, für Altar und Herd zu sterben. Schon die Not
fordert jetzt von euch, daß ihr dasselbe leistet. Bringt es wenigstens dahin,
daß ihr die hohe Gesinnung, welche ihr lauter in euren edlen Herzen bewahrt,
auch in einer lauteren Sprache ausdrücken könnt. Bringt es dahin, daß ihr die
Gewandtheit der Rede, die ihr von euren Eltern überkommen habt, euren Kin-
dern hinterlaßt. Bringt es endlich dahin, daß ihr den übrigen Völkern, welche ihr
an Tapferkeit und Treue übertrefft, auch an Trefflichkeit eurer Sprache nicht
nachsteht.
[H.J.]
***
MARTINI OPITII
DAPHNIS.
BETHANIAE
ad
Oderam,
L ITERIS J OANNIS D ÖRFERI .
A N. MDCXVII .
[A1v]
ILLUSTRI MAGNI-
FICO ET NOBILISSIMO
VIRO, D !omi"N !o"
T OBIAE à S CHVVANNENSEE
ET BREGOSCHITZ ,
cognomento S CUL -
TETO
Bellaquimontii et Hirschfeldae Haeredita-
rio, Sac!ri" Lateranensis Palatii Comiti, Caes!areae"
Maj!estatis" Consiliario et Commissario, Fisci Re-
gii per Sil!esiam" et Lusatiam Patrono et J!uris"C!onsul"to,
Heroi Literatissimo, Moe-
cenati domestico
D!edicavit" C!consecravit"Q!ue"
Autor
[A2r]
DAPHNIS ECLOGA.
Martin Opitz
Daphnis.
Beuthen
an der
Oder,
gedruckt bei Johannes Dörffer
im Jahre 1617.
Dem ruhmreichen,
glanzvollen und edlen
Mann, Herrn
Tobias von Schwanensee
und Bregoschitz,
genannt Scultetus,
Erbherrn auf Schönwasserberg und Hirschfeld,
päpstlichen Pfalzgrafen,
kaiserlichen Rat und Kommissar,
Rechtsbeistand des königlichen Fiskus in Schlesien und der Lausitz,
dem hochgebildeten Helden,
seinem persönlichen Förderer
hat dies der Verfasser
gewidmet und zugeeignet.
Daphnis. Ekloge
Seit eine Krähe mir riet, auf dem Eichbaum mir Gutes verkündend,
Deine Behausung zu suchen; der liebe Amyntas – er bangte,
Hoffte zugleich –, er schrieb mir zur Freude dasselbe auf Rinde.
Und der Gedanke war glücklich. Wie reichlich entsprachen dann alle
Umstände Wünschen von mir; die Sterne hoben mein Leben. 45
***
M. MARTINO FÜSSELIO
Seren!issimi" Elect!oris" Brandeb!urgensis" à Concionibus
cum Docturae honores peteret.
Kommt eines Tages ein Gast, ein neuer Gast in die heitre 90
Umwelt um dich, du bist ja ein vornehmes Mitglied des edlen
Hofes, so wird er vom löblichen Lied des Iolas erzählen,
Der dir ja Dank weiß, und Felder und Saaten und Wildhöhlen werden,
Daphnis, dich rufen. Nur dich wird meine Muse besingen,
Wird auch, wie bäurisch sie sei, in Wald und Feld nie verstummen. 95
Schaue inzwischen das Rohr, das Tityrus selber mir gab, der
Sänger im Lied Theokrits, mit freundlichem Blick an. Auf diese
Weise soll alles, o Daphnis, den Wünschen von dir sich bequemen.“
Dieses war’s, was Iolas, am Boden liegend, sich vorsang;
Sterne steigen herauf, sie nehmen dem Sänger das Licht weg, 100
Streuen aus heiterem Himmel mit Tau auf die Meerkirschen Sesam.
[G.B.]
***
Für Magister Martin Füssel,
Hofprediger Seiner Durchlaucht, des Kurfürsten von Brandenburg,
als er die Doktorwürde anstrebte.
***
BEate Tite, si quid in modestia
Bonisque moribus situm est,
Profecto nemo comparabitur tibi.
At hoc fleo; quibus prius
5 Probae innocente vitae imagine, exitu
Quod innocente nunc praeis.
Scripsi
M ARTINUS O PITIUS.
***
A3ξ $
λ !
4 Ν".
***
***
Glückseliger Titus, wenn an Bescheidenheit und gutem Verhalten etwas gelegen
ist, wird sich gewiß niemand mit dir vergleichen lassen. Doch darüber weine
ich, daß du denjenigen, denen du zuvor durch ein unbescholtenes Vorbild recht-
schaffenen Lebens vorangingst, nun durch einen unbescholtenen Tod voran-
gehst.
***
Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern.
Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen an ihrer zarten
Brust steife stoische Lehren vorerzählte wie strenge Grundsätze. Sie jedoch
erhoffte sich etwas stoisch Steifes, wie wenn es etwas Härteres geben könnte
als die Stoiker selbst. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schließen, der den
Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit all seinem
Verstand rast.
***
[…]
***
Da hast du, mein lieber Namsler, worum du gebeten hast; du hättest freilich auch
befehlen können. Von einem Freund fordern wir nämlich zu Recht, was wir von
anderen durch Bitten zu erlangen suchen. Hier siehst du also Verse. Sie sind
schlicht und schmucklos, so wie sie ein Mensch hervorzubringen pflegt, der von
Sorgen geplagt wird. Nun hat es mir aber gefallen, vom gewohnten Brauch ab-
zugehen und deutsch zu reden. Unsere Muttersprache kommt den übrigen ja an
Reinheit gleich und übertrifft sie ohne Zweifel an Ausdruckskraft. Sollte es je-
manden geben, dem meine Tändeleien unerträglich sind, so möge er mit spitzem
Griffel auskratzen, was immer er mag. Ich zweifle nicht, daß auch ohne meine
Reimereien von dir und deiner Braut ins Werk gesetzt werden kann, was bei
Neuvermählten üblich ist. Wer bläst im Krieg die Trompete, wenn der Trompe-
ter gefallen ist? Und dennoch wird gekämpft. Leb wohl mit ihr und beweise dich
als Mann.
[…]
Wohin, Sebastian, willst du? Warum verläßt du treulos das vielgeliebte Lager der
Camenen? Wohin, Freund, tragen dich die Füße? Wohin, Hartherziger, strebst
du? Doch Worte sind vergeblich bei einem, dem einmal die listenreiche Venus
ihr Joch auf den Nacken gelegt hat; er weigert sich vergebens, die einmal aufge-
nommene Last zu tragen. Falls du dennoch einem Unerfahrenen etwas Ver-
trauen entgegenbringst: Du machst dich wahrhaftig an eine Aufgabe von unge-
heurer Größe und harter Mühsal, weil (10) ein Mann seiner Frau oft allzuviel
gewährt, nie jedoch genug.
[W.-W.E.]
***
E7E8EI9ION.
QUalis apis teneri strepitu delata susurri,
Remigiis libans aëra praepetibus,
Et modò per campos faciles, perque obvia tempe
Matris magnae agili lusitat in gremio,
5 Et nunc florum animam tumidis lasciva labellis
Purpureaeque rapit munera sancta rosae:
Sed dum prudenti nequicquam fertur in umbra,
Stringit felices succina gemma pedes,
Quam Phoebe et Phaëtusa et Lampetie aurea triga
***
Nobilissimi et Generosi
Sponsorum
Paris
CHRISTOPHORI
GEORGII DE BERGK,
Equitis Literatissimi,
ET
ANNAE MARIAE
MUTSCHELNICIAE,
Matronae Lectissimae
EPITHALAMIUM .
Auctore
MARTINO OPITIO.
GORLICII
IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant.
selbst durch ihre Fesseln zur Kostbarkeit. So auch du, Dornau: Indem du in den
Mauern von Beuthen lebst, ist dir unser Vaterland willkommen und du dem
Vaterland.
Derselbe [Opitz].
[R.K.]
***
Ein Hochzeitsgedicht
für das vornehme und edle
Brautpaar,
Christoph
Georg von Bergk,
hochgelehrten Ritter,
und
Anna Maria
von Mutschelnitz,
hochwürdige Frau,
verfaßt von
Martin Opitz.
Gedruckt in Görlitz
bei Johannes Rambau.
Durch den erstaunenden Sinn, und wir bilden uns ein, daß wir liebe
Bilder erblickten; sobald wir jedoch, Enttäuschung im Herzen,
Kaum daß der Traumfaden riß, diese planlosen Wünsche bedenken,
Suchen wir – das nur verbleibt uns – mit Hoffnung voll Kraft den enttäuschten
Wünschen Erfüllung zu schaffen, verlachen das Feuer des Traumbilds, 20
Weil uns ein neues erfüllt, und vergessen die leeren Phantome.
Ebenso Ihr, der prächtigste Ruhm Eurer ganzen Familie,
Blüte des Adels und Stern einer Kraft, die von Urahnen herrührt,
Ebenso Ihr: nachdem euch schon zweimal die liebe Gemahlin
Starb und Ihr spürtet, wie schrecklich die Kälte des einsamen Betts ist, 25
Gleicht Ihr, in neuer Liebe entbrannt, Eure Lebensverluste
Aus und bestraft das Fatum, das feige, für grausame Frechheit.
Recht so! Wer würde denn auch, sooft er die glücklichen Bande,
Jede Umarmung, die Kinder – die lieblichen Pfänder der Treue
Seiner Gemahlin – erwägt und gemeinsame Jahre der Ehe, 30
Lieber mit dumpfer Trägheit das Bündnis der Ehe verdammen,
Als unter günstigen Sternen, mit Zephyr im Rücken, ein sanftes,
Ruhiges Meer zu durchfahren, sosehr er des Fahrens entwöhnt ist!
Glücklich der Mann, der die Sorgen, der alle Sorgen des Herzens,
Alle geheimen Gedanken ganz frei von Scham und von Ängsten 35
Liebevoll-zärtlich der Frau, der geliebten Herrin, ins Herz gießt;
Der, nachdem er sich selbst mit Mühen erschöpft und die schwere
Arbeit vom Tag im Dienst seiner Pflicht hinuntergeschluckt hat,
Nun aber ruhig und frei, sobald die Welt in erschlafftes
Schlafen versank und die Nacht all dem, was müde ist, Ruh gab, 40
Ohne zu zögern den ernsten Betrieb seines ruhlosen Lebens
Seiner geliebten Frau in die willigen Arme hineinlegt.
Glücklich der Mann, dem der Anblick der Kinder erfreulich die schweren
Sorgen und Pflichten hinwegspült, an dessen Hals, eines Vaters
Hals, eine liebliche Last hängt und Vaters Antlitz mit Küssen, 45
FINIS.
***
M ARTINI O PITII
H IPPONAX
A D A STERIEN
puellam formae et animi do-
tibus longè amabi-
lissimam.
Item Germanica quaedam
ejusdem argumenti.
GORLICII
IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant.
ENDE.
[G.B.]
***
Martin Opitz:
Hipponax
an Asterie,
das nach Gaben der Schönheit und des Geistes
bei weitem
liebenswerteste Mädchen.
Außerdem einige deutsche Gedichte
über denselben Gegenstand.
Görlitz,
gedruckt bei Johannes Rambau, 1618.
Daß der größte Teil des Glückes in diesem Leben, vielgeliebte Jünglinge, in der
Ruhe des Gemütes begründet liegt, darüber besteht Einigkeit unter fast allen
Menschen. Diese glaubten andere anderswoher, ich hingegen stets vor allem aus
der Kenntnis der Wissenschaften schöpfen zu sollen. Ist der Geist eines Men-
schen nämlich mit klaren Weisheitsvorgaben durchtränkt, kann er von seinem
festen Stand ganz und gar nicht abgebracht werden. Die Stürme des Schicksals
und jene Dinge, die einfache Gemüter zu verwirren pflegen, läßt er nicht an sich
heran, sondern drückt sie nieder und gleicht sie durch seine eigene Gegenkraft
aus. Güter aber und Reichtümer erbittet er sich nicht von der Glücksgöttin, son-
dern von sich selbst, überzeugt, sie seien nur durch Tugenden zu erwerben. Da-
her schützt er sich, in sich selbst eingehüllt, leicht, und äußere Güter, bei denen
allein eine falsche Einschätzung den Preis festgesetzt hat, schätzt er nicht, wenn
er sie besitzt, und wünscht sie nicht, wenn er sie nicht besitzt. Daher darf es
get maximè, nervos caeterarum [A2v] rerum non requiri. Et id quidem à fide
15 dignis hominibus ad Posteritatis memoriam pervénit. Causas itaque cur tant-
operè debeam jacere, fateor me adhuc ignorare: cum praesertim Sappho nostra
in Poëtica domo luctum perferre non potuerit; Smerdiae verò capillum, et Cleo-
buli oculos, et florem Bathylli non admodum illibenter eam admisisse, Maximus
Tyrius autor sit. Nisi fortè Penian meam pellicem sufferre non posse censetis.
20 Scitis insuper, Poëtas sicuti reliqua, sic amasias quoque, ut scilicet hac occasione
languentem stylum excitent, fingere sibi facilimè posse. Certè utrum Pyrrha plu-
res procuderit an nostri, videtur mihi adhuc quidem in controversiam adduci
posse. Ego quidem hîc, ubi etiam à seriis non abstinui, praeter animi remissio-
nem nihil quaesivi. Quod satis dedicatio haec probat. Si enim lege seria voluis-
25 sem agere, difficulter certè, ut ingenuè non mentiar, Juvenes eruditissimi, ista
vobis credidissem. Nam plerique putant, talia ne amicis quidem tutò permitti:
praesertim vestrae aetatis. Utrum enim nuntius magis voti fiat compos, an qui
misit, &
-« : ;. Valete. E coenobio.
Martin Opitz:
Hipponax
an Asterie, das liebenswerteste Mädchen.
Göttliche Jungfrau, lieblicher Mädchen Blüte, von keinem Sterblichen noch be-
rührt, von keinem zu berühren mit Worten voll Begier oder Gesten und Hand-
lungen ohne Scheu. O holde Schöne, welcher finstere Wahn hat dein Gemüt,
jenes selige, reine, unschuldige Gemüt, welche Ohreule hat es durch Schaden-
zauber entweiht? Soviele reizende Worte, die Phoebus und Luna vom Himmel
seiner Tugend. Meine sittsamen Wünsche werden dich nicht von deiner Bahn
abbringen, o vielgerühmter Stern, wo ich doch nicht aufgedonnert mit verwerf-
lichem Stolz, mit dem Glanze sich brüstender Kleidung und in prunkhaftem
Aufzug euch zu täuschen versuche, wie es die verwöhnte Clique unausgegorener
junger Männer zu tun pflegt, die den ihnen angemessenen Aufzug verschmähen
und stattdessen fast die Zierlichkeit zarter Mädchen nachahmen. Das Haar legen
sie mit modellierten Eisenstäben in Wellen; eine Kette fließt vom Nacken herab
(60) wie eine mäandernde Schleppe; ein Überwurf, der mit feiner Seide glänzt,
umschlägt wie ein gewundenes Seil die gar nicht muskulösen Muskeln und den
Leib, der in einer Wolke gewebter Stoffe zerfließt. Ja, auch die Hände starren von
Geschmeide, das feurig strahlt und blitzt. Die gedrillten Füße, prangend mit wei-
ten Bändern, scheuen sich, kräftig auf den Boden aufzutreten; so tänzeln diese
Semonen fliegenden Schrittes einher und geben mit ihrem unmännlichen Gang
zu erkennen, (70) worauf sie in ihrem schamlosen Herzen sinnen. Überlasse,
du göttlich Schöne, diese Männer, die deiner Keuschheit Fallen stellen, den
schimpflichen Schlupfwinkeln der Blut saugenden Vampire, die für wenig Geld
zu haben sind und von einer Jungfrau nichts als die Benennung haben; die mit
liederlicher Miene bei jedem anzüglichen Wort Andeutungen machen, schwat-
zen, zunicken, mit den Augen zwinkern und schon wissen, was sie nicht wissen,
sich gern beschlafen lassen und in schändlichen Umarmungen ihre Kraft er-
schöpfen; die mit Aussichten und vagen Versprechungen die Männer zum be-
sten halten, (80) Wesen ohne Saft und Kraft, häßliches Gerippe und Bimsstein,
fahler als Buchsbaumholz. Denn hat sich nicht dieses Aussehen aufgrund einer
aktuellen, jüngst aufgekommenen Mode verbreitet: Blässe gefällt, mit Tricks und
Mittelchen herbeigeführt oder auch mit vielen durchwachten Nächten. Bei man-
chen vertreiben schädliche glühende Kohlen, bei anderen Kalk und Asche die
wenig geschätzte Röte durchbluteter Haut, oder auch scharfer Essig oder gar-
stige Klümpchen oder Kreide. Denn diese Flittchen treibt die Sorge um, jemand
könnte meinen, (90) sie hätten nicht mit der sich ergießenden Röte auch all ihre
Scham abgelegt. Diesen Jungfern, die keine Jungfrauen sind, diesen unersätt-
lichen Schlünden glückloser Manneskraft, diesen Männerblut saugenden Stech-
mücken der Subura eifere nicht nach. Die heilige Keuschheit übertrifft mit ihrer
Ehre, die Bestand hat, alle übrigen Tugenden bei weitem, so wie der Morgen-
stern, der Anführer der kleineren Sterne, diese dreifach überstrahlt oder auch der
Vogel des erhabenen Vaters die übrige Vogelschar übertrifft. Umsonst prangst
du im zierlichen Liebreiz deiner Erscheinung, (100) vergeblich mit dem feinen
Witz deiner hochgemuten Rede und allem übrigen, was dir zum Ruhm gereicht,
o Jungfrau, wenn nicht der Kranz deiner Vorzüge von der Ehre der Sittsamkeit
umfangen wird. Wenn ein Mädchen mit den Gaben ihrer Gestalt auch mutig die
Schönheit der Tochter Ledas zum Vergleich herausfordern wollte – wenn sie
keine Scham kennt, gleicht sie einem Ring, der von seiner verlorenen Perle nur
noch den leeren Platz und die verletzte Fassung behalten hat. Das legst du mit
beredten Worten oft ans Herz, (110) das führst du immer im Munde, das lehrst
du, Muster seliger Keuschheit, durch dein eigenes Beispiel. Doch sollte das Ge-
schlecht, dem die Götter lauter schwere Dinge auferlegt haben, die Frucht des
heiteren Scherzes deswegen nicht entbehren müssen. Mit dem Honig witziger
Einfälle soll es genährt, mit angenehmen Scherzen und mit Lachen angeregt
werden, das zarte Volk der empfindsamen Mädchen. Was wird ein Kuß denn
schaden, den des Liebenden Mund sich insgeheim holt? Er ist ein Zeichen (120)
und Unterpfand treuer Liebe. Die Seele selbst wird aus dem tiefsten Grund des
Herzens heraufgerufen und vereinigt sich im Zusammentreffen der sich öffnen-
den Lippen. Denn der Mund ist Tor und Mittler der Seele und Türflügel des
menschlichen Denkens. Durch diesen engen Ausgang kommt das Liebesverlan-
gen zweier Herzen in süßer Gemeinschaft zusammen. Soweit überlasse dich mir
doch – die Scham bleibt gewiß gewahrt – nicht unwillig, du Vortreffliche und
Hohe. Die herrliche Keuschheit (130) und eine Liebe, die nicht buhlt, schließen
einander nicht aus. Eine solche hat mich bezwungen, eine solche mir alle Herr-
schaft über mich entrissen. Ich lechze ganz allein nach deinen liebreizenden Au-
gen, o Jungfrau. Dahin strebt mein Schicksal, dahin meine Wünsche. Einzig
deine Anmut, die göttliche Macht deiner schönen Gestalt entzieht mich mir
selbst – ein großer Diebstahl. Die Schönheit deiner äußeren Erscheinung ist
nämlich Ausdruck und Gestalt deines inneren Wesens; dieses tief verborgene
echte Bild der Tugend erglänzt in jenem Glanz. (140) So ergötzt, wenn Helios
den Bruder des kalten Todes bald verlassen wird, sein herrlicher Glanz mit sei-
nem Vorschein unsere Sinne, wenn er die klaren Gipfel der Berge streift. Denn
aus einem schönen Leib strahlt eine schöne Seele hervor, wie eine Blume aus
dem Wasser. Mehr als dich mit deiner zierlichen Gestalt und deinen hübschen
Gliedmaßen sucht in dir, o Mädchen, wer das Schöne ohne Schleier sieht und
es nach seinem wahren Werte schätzt. Ist das innere Wesen nicht von goldenem
Liebreiz, dann ist – (150) was die unwissende Menge für liebreizend hält – die
helle Fackel der Äuglein nur eine Schlinge der Schlechtigkeit ohne jede Tugend;
der Mund, lieblicher Hafen der innersten Empfindungen, nur ein Kanal der
Ausschweifung; der Schoß, dieses Gefäß ersehnter Fruchtbarkeit, nur eine gar-
stige Kloake ekelhaften Unflats, abscheulicher Wollust Abgrund und Höhle; der
Bronn der Brustwarzen, das Rinnsal des Schwesternpaares, nur ein Quell von
Circes Zaubertrank, und die Brust, (160) der Ankerplatz eines ernsthaft geführ-
ten Lebens, der Liebe Fixpunkt und befestigte Bahn, nur ein Tummelplatz der
Begierde, ein Graben der Sünde und eine Schanze schmutziger Scharmützel.
Doch wenn eine schöne Seele mit einem Leib verbunden ist, dem es nicht an
Schönheit fehlt, dann wohnt ein herrlicher Gast in einem herrlichen Haus. Die-
ser Vorzug ziert deine Gestalt, mein Stern, und zerreißt das Herz des Dichters,
der das nicht verdient hat, so wie der verderbenbringende Geier mit unbarmher-
zigem Schnabel über das Gewebe der ergiebigen Leber des Tityos fährt und
seine Speise, (170) die zum eigenen Nachteil wächst und schwindet, verzehrt.
O süßes Licht, o leuchtender Stern der Mädchenschar, o gütige Königin und
Herrscherin aller Schönen, setze alles beiseite, was weiblicher Anspruch ge-
wöhnlich hochschätzt, bin ich dir auch in keiner Weise zu vergleichen, weder an
ansehnlicher Schönheit noch an familiärer Herkunft noch durch Großzügigkeit
eines freigebigen Glücks, da ich allein an meines klugen Kopfes Vermögen reich
bin. Adelig wird man durch Leistung, (180) nicht durch Verdienst der Vorfahren,
Würde der Abstammung und einen bloßen Namen. Die Natur hat mir freilich
nicht auferlegt, mich meiner Heimat zu schämen. Wenn auch der Glanz eines
Ortes niemand berühmter macht, so hat mich doch Bunzlau ans goldene Licht
des Phoebus gebracht, ohne daß ich mich dieser Geburt schämen müßte: Bunz-
lau, meiner schlesischen Heimat große Zier, das viele liebliche Gärten und Quel-
len nährt und auch viele gelehrte Männer, die man wohl alle schätzen, aber nicht
alle anführen kann. (190) Doch leuchten unter allen übrigen die Anmut und der
feine Witz von Senftlebens gewinnender Rede und die elegante Muse meines
Kirchner hervor. O liebenswürdiges Paar geschmackvoller Menschen unter all
denen, die Jupiter in seiner Güte mit einem gewitzten Verstand und preiswürdi-
ger Gelehrsamkeit gehörig beschenkt hat. O teures Zwiegespann, wann werde
ich als euer Genosse, Mitbürger und Kamerad das Glück vertrauten Umgangs
mit euch genießen? Wann, wann werde ich inmitten von euch und meiner Aste-
ris, ja, meiner Asteris, dem Stern (200) und der Zier aller Jungfrauen und aller
Sterne, in den idyllischen Flußauen des denkwürdigen Queck entlang seinem ge-
schwätzig plätschernden Lauf in Ruhe wandeln oder auch wo das liebliche Ufer
des Bober liebesdurstig nach der springenden Welle lechzt und die Fluten in ge-
wundenem Lauf hinabgeleitet? Dort, o Mädchen, werden wir mit dem noch rei-
zenderen Plätschern eines bezaubernden Lachens und mit süßen Scherzen die
Sorgen des Lebens, die uns knechten, verjagen. So verschmähe auch du nicht
hartnäckig die Dichter (210) noch fürchte sie: Unser Geschlecht schreibt seinen
Ursprung einem göttlichem Wesen und dem heiligen Himmel zu. Mich stacheln
die hohe Geltung der goldenen Wissenschaft, der Hunger nach Ruhm und der
Sporn des Genius zum Wettlauf um die Ehre an. Mich führt brennendes Inter-
esse an der gelehrten Literatur aus dem Treiben der Welt mit seinen Beschwer-
nissen hinweg und scheidet mich von der Menge, die ganz in fruchtlose Sorgen
verstrickt ist. Ich bin nicht geringer als jene elenden Dichterlinge, die die unwis-
sende Menge und sich selbst mit dem Ehrenzeichen eines feilen Dichterlorbeers
täuschen, damit sie, versteht sich, nur nicht unbezahlt (220) dem Rausch des
Dichtens verfallen. Ich klammere mich nicht, wie die Milben oder das schädliche
Mottenvolk, allein an Bücher, indem ich all mein Sinnen nur darauf richte und
mich so mir selbst entfremde, wie es das Gesindel der dem garstigen Unrat ent-
stammenden Buchstabengelehrten zu tun pflegt, die die Kraft eines fähigen Gei-
stes an ein begrenztes Ziel heften und einen erhabenen, erfinderischen, feurigen,
vom Himmel herabgekommenen und gewiß nicht sterblichen Sinn auf die Git-
terstäbe ihrer eigenen beengten Behausung fixieren. In euch hat ja freilich der
Verstand des Crates Wohnung genommen, (230) ihr seid die erste Garde unter
den Gelehrten, o ihr Pädagogen, die übrigen gelten euch nur als Abfall und
allenfalls als Schatten eures rühmlichen Geschlechts. Aus euch strömen Worte,
die mit dem Honig Ciceros gesüßt sind, und das reine Wasser des Musenquells
hervor. Wir aber – Küken, unreife Knaben, aus der Kinderstube entwichen, un-
gebildet, täppisch, barbarisch, unwissend, ohne Witz und bar jedes Urteilsver-
mögens, jedes Könnens – wir, die mit Eifer und unerschöpflichem Arbeitswillen
(240) bei Tag und Nacht studieren, was immer das gelehrte Altertum hinterlas-
sen hat, halten nach Meinung jener Schulmeisterlein außer Scherben und leeren
Nüssen gar nichts in Händen. O ihr jämmerlichen Geister! O ihr Nachteulen!
O ihr halben Geier! Ihr Hunde, die ihr einem guten Ruf nachsetzt, ihr Höllen-
hunde der Lebenden! Unsere vom Himmel eingegebenen Vorhaben sperrt ihr
in eure Käfige, in die Grenze und die enge Gasse eures kraftlosen Geistes ein?
Ein hochgesinntes Herz strebt über Grenzen hinaus und bleibt nicht ruhig in-
nerhalb der Mauern des schulischen Bereichs. Ohne an eine Zielmarke zu den-
ken, (250) auflodernd vom Feuer ruhmwürdigen Tuns, durcheilt es in freiem
Lauf die Bahn jeder Wissenschaft und aller Studien, so, wie ein feuriges Roß,
dem man die Zügel schießen läßt, seine kraftvolle Natur beweist, seines Gefäng-
nisses mit freudigem Wiehern spottet und seines Lenkers nicht achtet. Und die
Gunst der Nachwelt wird mich niemals in schimmeligem Moder unbeachtet lie-
gen lassen, wenn ich, untadelig in meinem Lebenswandel und rein von Schand-
flecken, allein auf die Begeisterung eines gesunden Sinnes vertraue und auf dem
Königsweg zu den erhabenen Tempeln der Wissenschaft (260) und des reinen
Verdienstes strebe. Auf diesem Flügelwagen werde ich durch die Lüfte getragen
werden, meine Zeit und mich selbst überlebend und deinen himmlischen Lieb-
reiz, starke Jungfrau, mit mir führend. Und deine Gaben werde ich nicht ver-
schweigen, dich werde ich mit glänzendem Meißel in die Herzen der Nachwelt
meißeln, und ewiger Ruhm wird dich zu den Sternen erheben. Zu dieser Bedin-
gung wirst du den Dichter heiraten, der zwar arm ist, dessen du dich aber nicht
zu schämen brauchst. Denn er fordert den Tod in die Schranken und steigt, sei-
ner selbst gewiß, freiwillig auf den Scheiterhaufen, (270) da er schon vor dem Le-
bensende sein letztes Ziel erreicht hat und den Tod, den er nicht achtet, be-
zwingt. Durch diese Mitgift, diesen Lohn soll beglichen sein, was ich dir schuldig
bin; weise du nur meine Gegenleistung erhabener Unsterblichkeit nicht zurück.
Was willst du mehr? Trauer und Schmerz wandern immer wieder über mein Ge-
sicht; ich woge auf und nieder wie ein winziges Schiff auf stürmischer See; in wil-
dem Rasen legt sich der Regenwind, die Fluten aufpeitschend, mit ganzer Kraft
ins Zeug. Ich habe die Flamme aufgenommen; das Feuer, das meinen Sinn quält,
ist grausamer als jenes, das in der Esse des Ätna wütet. (280) Dione hat ihr Zy-
pern verlassen und stürzt sich mit aller Kraft auf mich. Ich laufe hierhin und
dorthin, so wie eine Mänade in unstetem Lauf ziellos auf dem Gipfel des hoch-
ragenden Nyssa oder den Anhöhen des Pindus umherschweift, wenn sie von
den Flammen ihres Bacchus entzündet ist, und mit dem heiligen Dolch ihre er-
regte Brust verletzt. Dich suche ich, dir spüre ich nach, wie eine Tigermutter, das
grausame Tier, die ihre Jungen verloren hat, in tiefer Trauer durch den Wald am
Ganges streift und ihn mit rauhem Klagen aufschreckt. Tränen stürzen mir über
das Gesicht, (290) das ganze Herz wogt hin und her, auf Hoffnung folgt Furcht
und auf Furcht Hoffnung. O heitere Sirene, die du die Grenzmarken des Lieb-
reizes und jeder Schönheit überschreitest, Skylla und Hafen der Seele, o süßes
Ungeheuer, das nichts von Schuld und Makel weiß, reiner Fixstern unserer Zeit
und Sitten, meine Ruhe, wenn auch voll Mühsal, mein Besitz und mein Verlust,
Krankheit und Heilmittel, Licht und Schatten, Tod und Leben, Freundin und
Feindin, ganz Blüte, Anmut ganz und gar, den drei Grazien als ihre vierte Schwe-
ster zugesellt – (300) als Verehrer deiner Schönheit und Anbeter deiner Tugend
stehe ich vor dir. Füge dich dem Geschick, füge dich ihm! Füge dich den großen
Göttern; nur was sie befehlen, wünsche ich. Auch in jenem in eurer Brust ver-
borgenen Organ waltet das Schicksal. Nicht selten zieht das göttliche Zusam-
menwirken entfernter Gestirne zwei Seelen zum selben Ziel. Komme dem Wil-
len der Himmlischen entgegen, gib dem Schicksal die Hand, mir aber deinen
Mund, der süßen Nektar atmet und süßen Blütenduft; gib mir einen Kuß (310)
als Zeichen und süßes Unterpfand unseres künftigen Bundes. Und es soll dich
nicht etwa an mir stören, daß ich mich dir mit dem unförmigen Choliambus, der
einen lahmen Fuß nachzieht, genähert habe, so wie Mulciber seiner Dione.
Denn wenn der Wind, der mich antreibt, mich im Hafen deiner Gunst, du gött-
lich Schöne, und im Bett deines sittsamen Schlafgemaches landen läßt, und du
als süße Last mit der zärtlichen Fessel deiner Arme meinen Hals umschlingst,
dann werde ich dich mit reizenderen Sehnen gewinnen und kein bißchen lahm
sein. (320) Doch wenn keine Klage, keine Tränen, keine Bitten dich erweichen
können und du hart bleibst, dann soll dieser Jambus Zornesblitze aussenden und
lernen, seine Kraft an deinem schlechten Gewissen zu erweisen.
Obgleich ich glaube, ihr hochgelehrten Jünglinge, mich genug mit Nichtigkeiten
beschäftigt zu haben, hat es mir doch gefallen, um nicht nur Lateinisch zu
schwatzen, mindestens wegen der Verwandtschaft der Gegenstände einige deut-
sche Gedichte, bis sie einmal alle zusammen gedruckt vorliegen, hier beizu-
fügen. Wenn es Leute gibt, deren Magen dies nicht verdauen kann, können sie
machus concoquere haec non potest, poterunt sanè Lucianum rogare, ut vomi-
5 torio se purget. Ego et Seneca Graeco Poëtae et Platoni credimus: quorum ille
aliquando et insanire jucundum esse; hic frustrà poëticas fores compotem sui pe-
pulisse affirmavit. Valete.
[C2r] FINIS.
***
Martinus Opitius
viro ingenio, virtute et e-
ruditione consummatissimo,
amico incomparabili, ex a-
nimo scripsit Ao. 1618.
8. d. IIXbr.
***
doch wenigstens den Lukian bitten, er möge sie mit einem Brechmittel reinigen.
Ich und Seneca glauben dem griechischen Dichter und Plato, von denen jener
behauptete, dann und wann sei es auch angenehm, verrückt zu sein, und dieser,
ein Dichterhaus habe vergeblich einen Bewohner vertrieben. Lebt wohl.
Ende.
[W.S.]
***
Nach so vielen Untiefen und Klippen in einer Jugendzeit, die das nicht verdiente,
und den niederschmetternden Geschossen der so grausamen Göttin, harrst du
noch stets in Treue zu uns aus, ruhmreicher Dichter, und fliehst nicht vor dem,
den das Schicksal und der sich selbst flieht. Verlaß mich – und dann bist auch du
mir die Ursache wütenden Sturmes: So prüft mein Schicksal deine Gesinnung.
Ich gestehe es: Eine so seltene Treue hätte es verdient, auf die Probe gestellt zu
werden. Wer sollte überprüfen, daß ich deswegen verdient hätte zu leiden?
Martin Opitz
schrieb dies einem nach Anlage, Einstellung und Bildung
ganz herausragenden Manne,
seinem unvergleichlichen Freund,
aus dem Grunde seines Herzens im Jahre 1618,
am 8. Oktober.
***
An
Bernhard
Wilhelm Nüßler,
den hervorragenden, hochgebildeten jungen
Mann, als er seine „Spinne“
herausgab.
***
[A2r] =XE9IA=MA.
Abschiedsgedicht
für Johannes von Landskron,
den jungen Mann von höchstem Adel,
den ich unter all meinen Freunden
bei weitem am meisten liebe.
Verfaßt von mir,
Martin Opitz.
Verkünde lieber deines Freundes Lob als deins.
In Beuthen
gedruckt bei Johannes Dörffer.
Seneca, 9. Brief.
Wer nur an sich denkt und deswegen Freunde sucht, der ist schlecht beraten.
Wie er begonnen hat, so wird er enden. Anfang und Ende stehen notwendig
in Einklang miteinander. Wer nämlich des Nutzens wegen zum Freund erwählt
worden ist, wird nur so lange gefallen, wie er sich nützlich erweist. Ihn umgibt
eine blühende Freundesschar. Um die, die zu Fall gekommen sind, ist es einsam,
und ‚echte‘ Freunde fliehen, sobald sie einer Prüfung unterzogen werden.
[…]
***
AD JONAM MELIDEUM
cùm illi in Nuptiis exhiberet Carmen
Germanicum.
Accipe qvae vester tibi vilia carmina vates
Ad thalamos offert docte Poëta tuos.
Da veniam, Latio qvod non incedo cothurno,
Nec mea soccum Italae Musa Dionis habet.
5 Hos qvoque succidit nobis sors impia nervos,
Et me vix memini sic potuisse loqui.
Vestibulum vitae mihi famae est terminus: ausus
Eminùs aspicio post mea terga meos,
Succumboque mihi: primo se in limine fregit
10 Ingenii flos et vena benigna mei.
[795] Materiem teneris tibi suppeditabit in ulnis
Sylvia, plusque satis qvod mediteris erit.
***
An Jonas Melideus,
als er ihm bei seiner Hochzeit ein deutsches
Gedicht aushändigte. 0
Empfange bitte, gelehrter Poet, anspruchslose Gedichte, die dir zu deiner Hoch-
zeit dein Dichter darbringt. Verzeih, daß ich nicht auf dem lateinischen Kothurn
daherkomme und daß meine Muse nicht den Schuh der italischen Venus trägt.
Auch diese Kraft brach mir ein rücksichtsloses Schicksal, und kaum erinnere ich
mich daran, daß ich so habe sprechen können. Die Vorhalle des Lebens setzt mir 5
schon ein Ende des Ruhms. Und schon fern hinter mir sehe ich meine wage-
mutigen Taten. Mir selbst falle ich zum Opfer: Noch an der Schwelle erschlafften
(10) die Blüte und die fruchtbare Ader meines Geistes. Dir wird Sylvia in ihren
zärtlichen Armen reichlich Stoff geben, und mehr als genug wirst du haben, was
du bedichten kannst. Mich ließ Asterie, spröde und auf ihren mächtigen Reich- 10
tum stolz, Worte vergeuden vor der herrischen Tür. Lebend sterbe ich zweimal,
verwundet von verschiedenem Feind, vom Glücksverhängnis und von deinen
***
Pfeilen, wilder Cupido. Dies möge einmal spüren, wer, noch nicht vom Feuer der
Venus besiegt, die süßen Mädchen verschmähen kann. Dich aber, hochgerühm-
ter Dichter, (20) soll Sylvia mit ihrem sanften Antlitz, schmeichelnd an deinem 15
Hals hängend, verwöhnen. Nur dies konnte ich auf ausonische Weise dichten,
das Übrige erhält von deutschen Tönen sein Leben. Jeder, der dem Schicksal
des Vaterlandes nicht mißgünstig gestimmt ist, wird sehen, daß jene auch nicht
hinter den lateinischen Weisen zurückbleiben. Ovid wird gefeiert als Dichter der
römischen Liebe: Ich will der Dichter der deutschen Liebe genannt werden. 20
Dank dieser Gabe möge mich die Armut, deren ich mir bewußt bin, freigeben,
unter diesen Bedingungen sollen uns, Cupido, deine Flammen verbrennen. Wie
das Vaterland einem lieber ist als andere, (30) so wird einem auch dieses Erzeug-
nis der vaterländischen Zunge lieber sein.
[W.K.]
***
Hinter noch andren und andren, auf deren Geltung dein Ruhm sich
Gründet, füg obendrein dann meinen Namen hinzu. 20
Daß ich den andern zur Schande gereich’, das befürchte ich nicht, ich
Bin ja in deinem Gefild kein allzu ruhmloser Gast.
Schon schwand die schweifende Phoebe zum zweiten Mal zur gewohnten
Sichel dahin, seit dein Dach wünschbarer Fluchtort mir ward,
Seit ich mit lustiger List in deinen Stadtmauern, Görlitz, 25
All die geschäftige Not abtun zu können gehofft.
Wirklich, mein törichtes Hirn betrog mit dem eigenen Leichtsinn
Nicht allzu sehr mich selbst; was ich mir wünschte, traf ein.
Auch ward erfreulicher Stoff meinem Furor als Dichter zuteil, ein
Kampfplatz dazu, der durchaus meinen Gelenken entsprach. 30
Denn nachdem ich den Feind, der im Lande der Väter so grausam
Wütete, Hände, die schlimm gegen den eigenen Leib
Vorgingen, allen den Völkern mit bleibendem Werk zu verraten
Suchte, Posaunen Vergils nicht unterlegen im Klang:
Da zog dein Reiz, o Göttin, mich anderswohin und die stolzen 35
Sterne, am Himmel fest, welcher die Mädchen beherrscht.
Da befahl mir die Herrin von Zypern, erhabenes Reden
Solle ich lassen, ein Werk schaffen von reizender Art.
Grausamer Krieg entschwand mir sogleich, meine Stirne umfing nun
Nicht mehr der Lorbeer des Kriegs, sondern das Myrtengezweig. 40
Wundre dich nicht, daß mein Mark die Vergiftung geschluckt hat; der Dichter
War wie der Jüngling ein Ding, wie es der Göttin gefiel.
Und ich tat, was sie wollte: begann damit, Jamben zu formen
Hinkender Art und sodann Verse wie du, Elegie.
Dieses Versmaß sogar, das in derart friedlichem Fließen 45
Sieg, junger Mann! Besiegt ist das Herz eines grausamen Mädchens!
Falls du noch Diensteifer fühlst, schüttle ihn ganz von dir ab!
Nimm mit geschwellter Brust jetzt Rache fürs Warten, vollziehe
Rache am ganzen Stand, Jungfrauenstande, zugleich.
Sieh den ergrauenden Bart ihres edeldenkenden Vaters: 95
[…]
Martinus Opitius.
***
Glaube mir, das, was sie jetzt zu verlieren befürchtet, das will sie
Öfter auf gleiche Art einbüßen können demnächst, 100
Wird deine Glut, gesammelt in langem Warten, erschöpfen.
Hier auch bewirkt – du weißt’s? – Praxis wohl einiges noch.
Menschen im Glück! Eine solche Freude zu sehen, beeilt sich
Hesperus sehr, er trägt gelbliche Fackeln herbei.
Vorzeitig kommen die Sterne, ihr Licht euch beiden zu spenden, 105
Schneller als sonst fällt Nacht oben vom Himmel herab.
Eilt euch, der Winter geht bald, so eilt, ein Nest euch zu bauen:
Frühling kommt auch für euch wieder zur üblichen Zeit.
Nunmehr, du Mann im Glück, vermagst du in Ruhe zu schlafen,
Niemand, wenn nicht vielleicht sie, deine Herrin, verwehrt’s. 110
Und damit dir das Geld im Glück nicht fehlt, tritt zur Liebe
Mitgift noch, wenn auch die Braut Gabe genug sich erscheint.
Ich muß die Blüte des Lebens mit elenden Arbeiten fressen,
Klage führen zugleich über mein treuloses Los.
Denn der entsetzliche Sturm eines widrigen Lebens ertrug’s nicht, 115
Schwächer zu sein als ich, meine Begabung und Kraft.
Ist es ein Wunder, wenn Kraft unter solchen Gewichten erschlafft und
Kaum noch das Wissen bewahrt, einmal gewesen zu sein?
Wenn ich jedoch die Truppen der Musen nicht schlankweg verlasse,
Wenn ich von meiner Partei nicht desertiere, nicht ganz, 120
Heb’ ich, darauf vertrauend, daß Famas Flügel mir Beifall
Spenden, in ewigem Lied lobend dein Görlitz empor.
Dann übertreff ’ ich Homer, und Richter mag richten, ein jeder
Dichter von höchstem Rang bleibt hinter mir dann zurück.
Gottfried, sorge dafür, daß der Tag der Geburt deines Kindes 125
[…]
Nichts Sterbliches ist es, was ich begehre.
Martin Opitz.
[G.B.]
***
***
E PITHALAMIUM
D. N .
I ACOBI
NICOL .
DE BUCKAW
In Althoffen et Eckersdorff,
ET
A NNAE M ARIAE
G EISLERIAE
de Polsdorff et Golsdorff,
eximiae Virginis
Autore
MART. O PITIO.
L IGNIC I Typis Nicolai Sartorii.
An Martin Schindler,
als der 1619 nach Italien aufbrach.
***
Hochzeitsgedicht
für Herrn Jacob
Nikolaus
von Buckau
in Althofen und Eckersdorf
und
die edle Jungfer
Anna Maria
Geisler
von Polsdorf und Golsdorf.
Verfaßt von
Martin Opitz.
Liegnitz, gedruckt bei Nikolaus Sartorius.
Stürzen ins eigene Unglück sie sich und machen das Sterben
Schneller, das säumt, weil die Strafe noch zögert. Und schlimmer als jeder 15
Feind tobt verzehrende Seuche, es klagen die Kranken, sie stürben
Eines zu langsamen Todes und könnten doch aufrecht nicht sterben;
Klagen, sie lebten zu lange. Für glücklich wird jeder gehalten,
Der in den Schlachten dahinsank, verhaßte Feinde erschlug und
Der seine Kämpferseele dem Vaterland opferte. Charon 20
Bringt die verbrauchten Rahen mit Mühe nur an sein Ufer,
Auch die Segel sind schlaff, und aus Furcht vor dem Schiffbruch vertauscht er
Dieses vernutzte Gefährt mit Schiffen gewaltiger Größe.
Cerberus, sagt man sogar, der Hund des Hades, hat wieder
Höllische Ketten zerrissen, die Luft der oberen Welt zu 25
Atmen gelernt und die Länder mit furchtbarem Heulen zu schrecken.
Setze nun endlich, Gradivus, gesättigt vom blutigen Spiel, den
Leiden der Menschen ein Ende und führe die Völker – sie sind ans
Rasen des Kriegs noch nicht gewöhnt genug – wieder zum Frieden.
Willst doch das Lächeln der Venus, der Deinen. Bedenke doch bitte: 30
Alles, was du vernichtest, was deshalb hinab zu den Schatten
Eilig hinab muß, geht ganz meiner Herrschaft verloren!“ So sprach sie,
Legte zum Abschied den Arm, den schneeweißen Arm um den Panzer
Ihres Gemahls und ließ sich von zyprischen Tauben durch freien
Luftraum nach Schlesien fliegen, dem Land, wo die Menschen vergeblich 35
Kriege verfluchen. Sobald sie das Schloß, das heilige Schloß des
Hohen Fürsten erreicht und Liegnitz’, des alten, auf starken
Wällen sich hebende Mauern, begibt sie sich eilig zum Hause
Geislers, läßt es erstrahlen in nie noch gesehenem Glanze.
Dem stand die mächtige Suada, die Göttin der Rede, von Kindheits- 40
Jahren zur Seite, sie gab ihm als Mitgift die Sprache; Odysseus
Stimmte, der kluge, die Griechen mit keinem so kräftigen Wort um,
Als sie ohne Beherrschung und planlos zu kämpfen versuchten.
Nahm er es doch vor Jahren schon auf sich, gebeugten Hauptes den nunmehr
Seligen Rudolph zugunsten des alten Glaubens zu bitten; 45
Wasser nach vorn und ziehen das ganze Meer unter Wolken.
Ach, alle Mädchen sind dumm. Warum soll das Fatum noch zögern,
Wenn eine Jungfrau was will? Sie nährt doch im innersten Herzen,
Weiß aber nichts davon, eine große Wunde, und schleichend
Dringt ihr ein Gift durch den Leib, und die Glieder erschlaffen in süßer 125
Ruhe nicht mehr, sie erläßt’s ihren Augen, zu schlafen wie früher.
Schließlich verfällt sie, ganz träge und bleich, einer sichtbaren Schlaffheit,
Kraftlos mageres Aussehn vertreibt die Schönheit der Glieder,
Alle Teile des Körpers verlieren die früheren Kräfte.
Was ist zu tun? Sie vertraut ihre Wunde den Ärzten. Die sagen: 130
„Fieber!“ Man sucht in den Bergen nach Kräutern, die Krankheiten heilen,
Greift zu den sämtlichen Künsten gelehrter Jünger Machaons.
Amor lacht und entsendet den Jüngling ans Bett seiner Herrin.
***
Nuptiarum Promulsis
A D C ASP. K IRCHNERUM ,
18. d. m. Martii.
Dieser erwärmt mit dem Duft seines Worts, also selber erzeugtem
Heilendem Saft, ihr Gesicht, ihre Finger. All das zu verdienen 135
Mag sie nun selbst nicht glauben. Sie springt jedoch aus dem Bette,
Sieht: die vermeintliche Krankheit ist Rettung, liebkost den geliebten
Liebenden auch, dessen Kraft nicht von eigenem Fieber geschwächt ist,
Legt ihre Hand um ihn, hört kaum auf, seine Wangen zu küssen.
Endlich hat sie den Weg, den die heilige Venus ihr zumaß, 140
Unangetastet, als Jungfrau durchlaufen, und Helios schließt nun
Bald aller Augen und lenkt, von der langen Arbeit verdrossen,
Seiner Pferde Gespann – ihr Haar ist wie Gold – an Tartessos’
Küste ins Meer, die Ruhe der Nacht verbreitet die Flügel,
Oben am rosigen Himmel erschimmern nächtliche Fackeln. 145
Bräutigam, Sprödheit muß jetzt Euch edle Trophäen gewähren;
Nehmt, wenn Ihr Mut habt, nun Rache für lange Schmerzen des Wartens;
Kurz: verbinde den Mann nun ganz und entschlossen der Gattin,
Hesperus! Aber ein Dichter – er müßte, von Venus begeistert,
Glücklicher dichten als ich – geht hin und beschreibt uns in nektar- 150
Fließenden Versen die Freuden der Nacht, die derart ersehnt ward,
Stellt die Mysterien dar, die keine nächtlichen Lampen
Dulden. Doch mich, auf leichteren Schuhen zu geh’n nicht gewöhnt mehr,
Schickte Apollo wohl besser zum Dienst im blutigen Kriege.
[G.B.]
***
Als Vorspeise zur Hochzeit
an Caspar Kirchner,
am 18. März
Daß der Frühling im vergangenen Jahr früher als gewöhnlich wiederkehrte, habe
ich dir zugerechnet, du größter aller Dichter, denn mit deiner Ankunft glänzte
der Himmel von heiteren Strahlen. Und hätte er auch nicht von diesen Strahlen
geglänzt, so wäre vor der Leuchte deines Lichtes dem Winter keine Macht ge-
geben gewesen. Doch daß, umgekehrt, mag Phoebus mit höheren Schritten am
Himmel dahinziehen, dennoch der heimische (10) Fluß von später Kälte ge-
In Nuptias CL. V.
C ASP. K IRCHNERI
et M ARTHAE Q VEISSERIAE castissimae
pariter et elegantissimae Virginis.
froren ist und selbstsicher der starre Winter dem Frühling sein Recht nimmt, die
Felder nicht süß preisen läßt, die Erde nicht trocken und die Vögel nicht froh,
und daß grauer Schnee die sich vom Himmel durchkämpfenden Strahlen ver-
schluckt, auch das, mein Kirchner, rechnen wir dir zu. Denn seitdem du den Reiz
eines einzigen Mädchens deinen zarten Musen vorziehst und eher als den an-
mutigen Gipfel des Pindus (20) nur den Parnaß deiner Herrin aufsuchst, klagt
darüber zusammen mit allen Musen Apollo unsäglich. Daher prangt nicht das
schöne Grün zusammen mit seinen Herrinnen, Wald und Hain lassen nicht den
gewohnten Sang ertönen noch spielt Zephyr blumenduftbringend allenthalben
mit säuselndem Wehen. Daß ich aber nunmehr die schwere Last des großen
Maro abgelegt habe und mit verschämtem Schritt mein Gedicht in engere
Bahnen lenke, (30) was wundert’s dich? Wenn du an der Seite deines Mädchens
liegst, wirst du bald vollbringen, was du bisher vielleicht niemals vollbracht hast.
Martin Opitz.
Also für diesen Lohn übertreffen wir die Menge durch die erhabenen Bemühun-
gen eines hohen Geistes, unter dieser Voraussetzung streben wir zu unzähligen
Küsten und durcheilen das gewaltige Meer, daß wir nach so großen Gefahren des
Weges die schlaffen Segel einholen im Schoß eines Mädchens. So hat also auf den
waldigen Höhen Englands die Mutter des Aeneas dir eine feste Liebesbeziehung
auferlegt. Denn es heißt, dort, wo auf hohen Hügeln das königliche Windsor
seine weit in die Lüfte ragenden Gebäude zeigt und die Themse mit segensrei-
chem Lauf die nahen Felder tränkt, (10) habe die gefällige Göttin dich erblickt
und dir nach dem Überdruß von tausend Wegen und dem angstvollen Segeln mit
dem kühnen Schiff hier deinen Hafen bestimmt. Mit diesem Lohn bezahlte die
göttliche Venus so viele Jahre und vergalt die Mühen deines Genius und die mu-
tigen Unternehmungen, die deiner würdig, beredter Dichter. Dafür freute es dich,
die weitgespannten Wunder des gelehrten Himmelszeltes und die unberechenba-
ren Bahnen der Sterne zu beobachten und was sonst die Erde nicht kennt? Dieses
Zentrum hast du schließlich gesucht, wenn die hölzerne Erde so oft deinen Zirkel
spürte und die Göttin Urania, tief in die entlegenen Geheimnisse der Natur ver-
hüllt, (20) dich mit gütiger Neigung belehrte? Das ist die Mitgift deiner Tüchtig-
keit! Fordere, fruchtbares Rom, deine Bücher zurück; Grasser, verlange, daß dir
der Kranz, den du verliehst, wieder zurückgegeben wird; vergeblich hast du,
Heinsius, die Bildung des Jünglings bewundert und alles das, wovon er behauptet,
das gebe es einzig und allein bei den Niederländern und wozu er die Deutschen
wegen eines verhängnisvollen Irrtums des böswilligen Himmels noch zu roh fin-
det. Für so großes wagemutiges Beginnen fand Cytherea ein Maß: Was immer die
Nachwelt von dir erwarten wird, wird in den Armen eines Mädchens geschrieben
sein und größter Ruhm wird sich in engen Grenzen zufrieden geben.
(30) Glücklich, wen inmitten des Bestrebens, sich zur wissenschaftlichen Höhe
des Auslandes zu erheben, eine so glückliche Liebe überkommt, wen eine so
große Hoffnung auf ein friedliches Leben sich bewahrt – nämlich ein Haus,
in Ruhe, mit kleinem, aber eigenem Gut zufrieden. Der schwer zu stillende
Durst nach Ansehen ist kaum je unbesorgt um sich selbst, und der bis zu den
Sternen reichende Ruhm sucht immer das Alleräußerste. Es ist doch kaum ein
nichtiger Name, was du mit unermüdlicher Anstrengung bei Nacht und Tag
verschwenderisch mit dir selbst und nahezu ohne Rücksicht auf das Leben
wünschst. Und jetzt erstrebst du, Kirchner, mit Recht, was noch zu tun übrig
bleibt: Wenn dein Ruhm seine Grenzen gefunden und (40) deine unermeßliche
Tüchtigkeit die Jahre der Jugend überschritten hat, sind nun andere Versuche er-
forderlich. Bisher konntest du doch alle Mühen für die geliebten Musen aufwen-
den. Diese Mühe beansprucht die Natur für sich, zolle, gelehrter Dichter, diesen
deinen Tribut. Die Herrin von Zypern bestimmt, wenn auch mit ungleichem
Ausgang, allen Dichtern Wunden. Du erlangst reiche Erfüllung deiner Wünsche:
Du heiratest ein reines, doch schönes Mädchen, deren Geist ihrem Aussehen
entspricht, und jene Nacht, die du kaum selbst mit einem ihrer würdigen Lied
M ART. O PITIUS.
***
CErnis ut exutâ serae formidine brumae,
Laxentur nitidi vere tepente dies?
Purpureis laeti pubescunt floribus horti:
Rure pecus, querulae colle vagantur aves.
5 Diva Paphi Charisin tenerisque immista puellis
Et saltat, suaves et praeit ipsa modos.
Et tu, Sponse, memor quorum consederis arvis,
Egregiam transfers in tua prata rosam.
Da veniam genitrix formarum fausta bonarum
10 Gorlicium; à nymphis demitur ista tuis.
Vicinis etiam felix est terra Silesis:
Ducta aliò fructus non minùs arbor alit.
Hoc olim quoque tu fors ipsa fateberis, haec cum
Incipiet multas unica ferre rosas.
Martinus Opitius
***
In Nuptias
JOHANNIS TSCHERNINGII.
Qvid mihi cum viduo? impubes amplector amores,
Ne radat teneras hispida barba genas.
Adde qvod in rudibus Veneris vis fortior annis,
Ibit in amplexus sola juventa meos.
5 [793] Sic plerumque putant, neqvissima turba, puellae,
Spe nondum expertes praecipiente toros.
Tu tamen ad viduum confers te, Sponsa, maritum,
Et tibi qvod periit vix periisse putas.
feiern kannst, steigt vom dir wohlgesonnenen Himmel herab. (50) Wenn aber
ich, obwohl wir von demselben Großvater abstammen, nicht anwesend sein
kann und gezwungen bin, das Antlitz meiner Verwandten und meine Asterie zu
meiden, so möge mir doch die gütige Liebe des Geschicks zugestehen, dereinst,
bei der Wiederkehr unter günstigen Vorzeichen, eure Kinder zu sehen.
Martin Opitz.
[L.C.]
***
Seht Ihr: nachdem die Furcht vor dem langen Winter nun schwindet,
Werden die Tage so hell, milde von laulichem Lenz.
Fröhlich sprießt’s in den Gärten von purpurfarbenen Blumen,
Rinder weiden, am Berg schweifender Vögel Gezänk.
Venus, die Göttin von Paphos, im Flor von Chariten und zarten 5
Mädchen: sie tanzt, aber tanzt liebliche Weisen auch vor.
Bräutigam, Ihr übertragt eine herrliche Rose, wohlwissend,
Wo Euer Haus steht, hierher, Euerem Garten zur Zier.
Görlitz, verzeih, o Mutter, gesegnet mit braven und schönen
Töchtern: aus deiner Schar Mädchen entführt er sie dir. 10
Auch das benachbarte Schlesien hat fruchtbares Land, und ein Setzling,
Sonstwo bezogen, trägt hier keine geringere Frucht.
Das wirst dereinst auch du womöglich selber bekennen,
Wenn die einzelne dann zahlreiche Rosen noch trägt.
Martin Opitz
[G.B.]
***
Auf die Hochzeit von
Johann Tscherning
Was soll ich mit einem Witwer? Ich ziele auf einen ganz jungen Liebhaber, damit
nicht ein struppiger Bart meine zarten Wangen zerkratzt. Nimm noch hinzu, daß
in jungen Jahren die Kraft der Liebe stärker ist: In meine Arme wird nur ein Jun-
ger seinen Weg finden! – So denken meistens die Mädchen, diese leichtfertige
Schar, noch unerfahren in ihrer Hoffnung und Vorfreude auf die Hochzeit. Du 5
jedoch, Braut, begibst dich zu einem Witwer in die Ehe und denkst, was verloren
ist, sei dir kaum verlorengegangen. Zum übrigen kommt nämlich hier das si-
chere Vertrauen auf Nachkommenschaft, (10) indem du ja, noch nicht Gebäre-
***
BALTHASARIS EXNERI
ET
EVAE BARTHIAE
NUPTIIS
E>?T?PAI8NION.
rin, schon Mutter sein kannst. Was ein junger Mann bietet, bietet auch ein Wit-
wer, und was ein junger Mann nicht bietet, bietet jener dir auch. 10
[R.S.]
***
Erotopaegnion
zur Hochzeit
von
Balthasar Exner und Eva Barth
Gleich, als Herr Exner versuchte, Barths Tochter – sie war da noch nicht mit
Venus vertraut und noch nicht liebliche Schmerzen gewöhnt –
Sanft beredend zu führ’n, daß sie Küsse erwid’re, versprochne
Küsse, noch wenig geschickt küssend, sich nehme, zugleich
Jenes zitternde Seelchen herüberzuholen sich anschickt’, 5
Fürchtend des Bräutigams herzbewegenden Drang,
Findet sie weder den Mut – es hat ihr ein unklarer Rat von
Dunklen Vorzeichen her tausend Genüsse gemalt –
Weder den Mut, sich zu weigern (was hätte sie vorbringen können?),
Noch, ihren züchtigen Mund neuartig ihm zu gewährn, 10
Zwinkert dem Dichter keß zu und läßt sich von Geißböcken schützen,
Zeigt ihm ganz munter ein Brett, flach und geglättet, auf dem
Solle er künftige Spiele mit Worten darstellen, solle,
Verse von dauerndem Wert formend, die künftige Zeit
Singen, die Zeit der Erinnrung an lieblichen Frühling der Liebe. 15
Unverzüglich ergreift Exner die Tafel der Braut,
Legt sich zunächst vergeblich in weiches Gras, wo die Welle
Lockig fließend ihr Haar – kunstvoll sind da ihm und dort
Stengel des Schilfs verwoben – entknotet und abtaucht. Dann bringt er,
Dort am Ufer des Stroms, Honig poetischer Art 20
Plötzlich hervor ohne Makel. Er schmückt sich das Haupt mit der Myrte,
Richtet es auf voller Stolz, fängt seine Verse nun an,
Herrliche sind’s. Doch indem dann sein Geist sich ganz auf das Mädchen
Wendet, erschlafft er, wird lasch, fahrig allmählich die Hand.
Griffel und das, was er schrieb, versteckt er mal hierhin, mal dorthin, 25
Daß sein Mädchen ihn wünscht, froh, weil die Tafel gefüllt.
Ganz so, wie, wenn des Frühlings so fröhlicher Mutwille wieder
0 EPIGRAMMA.
Exnerus teneri suauis desultor amoris,
In quo sese ipsum Phoebus Apollo stupet,
Cui arrisit Hymen toties totiesque canenti
Alterius primi sauia pacta thori,
5 Demum argutabit priuatos versibus ignes,
Ipse suo ipse sibi carmine carmen erit,
Et qui votum aliis lusit tam suaue canendo,
Ludendo melius post canet ipse suum.
Martinus Opitius Boleslau!iensis"
***
Epigramm.
Exner, der Süße, der sprunghaft mit tändelnder Liebe einst umging
Und in welchem sich selbst Phoebus Apollo bestaunt,
Dem der Hochzeitsgott lachte, wann immer und immer er wieder
Sang zu dem süßen Bund, wenn ihn ein anderer schloß,
Der wird nun endlich in Versen von eigener Leidenschaft schwatzen, 5
Er wird in seinem Gedicht selbst ein Gedicht sich nun sein.
Und der für andre im Lied so süßen Glückwunsch erdachte,
Denkt sich hernach für sich selbst sicher noch besseren aus.
Martin Opitz aus Bunzlau
[G.B.]
***
JVuenantibus Poëtis
Rosa ordium canendi,
Rosa Etesiarum ocellus;
Rosa muta lingua Florae,
5 Rosa pompa nuda Peithûs,
Rosa Gratiae dioptra,
Rosa semihulca pubes
Horae nec impudica,
Rosa Cypridis labella,
10 Rosa carminum tabella,
Rosa basii medulla,
Rosa mel puellulorum,
Rosa lac puellularum,
Rosa temporis cachinnus,
15 Rosa ventuli susurrus,
Rosa amantium catena,
Rosa lectulus superbus,
Rosa rubra nuptiarum
Obelus aurearum,
20 Rosa dosque flosque florum,
Rosa osculum Rosillae,
Rosa corculum Rosillae,
Iuuenantibus Poëtis
Rosa exodus canendi.
Dichtern, die wie Jünglinge fühlen, ist die Rose der Anfang ihres Dichtens.
Die Rose ist der Liebling der Sommerwinde. Die Rose ist die stumme Zunge der
Frühlingsgöttin. Die Rose ist der unverstellte Schmuck der Überredung. Die
Rose ist das Meßgerät der Anmut. Die halbgeöffnete Rose ist die Jugendzeit,
aber keine schamlose. Die Rose formt die Lippen der Venus. (10) Die Rose ist
das Schreibtäfelchen für Gedichte. Die Rose ist das Mark des Kusses. Die Rose
ist der Honig der Jünglinge. Die Rose ist die Milch der Mädchen. Die Rose ist das
Lachen der Zeit. Die Rose ist das Flüstern des Windes. Die Rose ist die Kette der
Liebenden. Die Rose ist das prächtige Brautbett. Die rote Rose ist die Spitze des
goldenen Hochzeitsfestes. (20) Die Rose ist die Mitgift und die Blüte der Blüten.
Die Rose ist der Kuß Rosillas. Die Rose ist das Herzchen Rosillas. Dichtern, die
wie Jünglinge fühlen, ist die Rose das Ende ihres Dichtens.
[R.S.]
MARTINI
OPITII
SERMO
DE PASSIONE
DOMINI AC
SALVATORIS NO -
STRI J ESV
C HRISTI .
Item
EVCHARISTIA ,
SIVE MEDITA -
tio in sacrâ Coenâ
ejusdem.
HAIDELBERGAE ,
T YPIS G OTTHARDI V OEGELINI .
A NNO M.DC.XX.
[A2r]
ILLUSTRIBUS MAGNIFICIS GENEROSISSIMIS ET NOBILISSIMIS DNN. MELCHIORI
A RECHENBERG, L . B. CHRISTOPHORO GEORGIO ET IOHANNI A BERGK , EQVITIBUS
SIL . SPLENDIDISSIMIS, TOBIAE DE SCHWANENSEHE ET BREGOSCHITZ , COGNOM .
SCVLTETO, HIRSFELDAE HAEREDITARIO, ETC . MEIS ET OMNIVM LITERATORVM
0 MAECENATIBVS AC PATRONIS.
Des Martin
Opitz
Sermo
von der Passion
unseres Herrn und
Heilandes
Jesus Christus,
dazu
die „Eucharistia“,
eine Meditation
über dessen
Heiliges Abendmahl.
Gedruckt in Heidelberg
bei Gotthard Vögelin
im Jahr 1620.
In wie vielen Belangen ich eurer Güte, berühmte und edelste Männer, verpflich-
tet bin, braucht meines Erachtens nicht peinlich untersucht zu werden. Um da-
her nicht von dem Wohlwollen, welches ich oft öffentlich erfahren habe, zu re-
den und auch nicht die Freigebigkeit zu sehr hervorzuheben, welche mir in
deinem prächtigen Haus, o unvergleichlicher Scultetus, länger als ein Jahr lang
entgegebracht wurde: Daß ich noch stets die gelehrten Wissenschaften pflege,
ist vor allem euer Werk. Ich bekenne also, wieviel ich euch verdanke; auf welche
Weise ich meinen Dank abstatten könnte, kann ich, ob ich nun mich oder euch
betrachte, nicht herausfinden. Ihr gehört ja zu denen, welchen es – während ihr
die übrigen Dinge aufgrund der himmlischen Güte im Überfluß besitzt – selbst
an den Dingen nicht mangelt, die Menschen wie wir, deren gesamtes Vermögen
Bücher und Feder sind, einzig schenken können. Diese Tatsache bewirkt vor
allem, daß, wenn ich in der Dürftigkeit meiner Jugend allenfalls etwas erreicht
hätte (wie wenig das ist, dessen bin ich mir bewußt), daß das alles dennoch an
den Gipfel eurer Leistungen und eurer Würde nicht heranreichte. Das Bewußt-
sein also eurer Erhabenheit und meiner Bedeutungslosigkeit könnte bei mir sehr
leicht Schweigen bewirken, wenn ich nicht eher kühn und zuversichtlich als un-
dankbar heißen möchte. Ich habe daher eine Schrift aufgesetzt, für welche ich
von eurem bedeutenden Namen das Geleit erbitten wollte, und zwar eine reli-
giöse, damit sie sich durch den Gegenstand empfehle, weil sie es durch die Bil-
dung des Autors ja nicht kann. Wenn dann welche auftreten, die mir vorwerfen,
daß ich als einer anderen Profession zugehörend ein mir nicht anstehendes Werk
vorlege, werde ich jene mit eurem Beispiel vortrefflich zurückweisen. Denn
ihr seid mit einer solchen Erfahrung in religiösen Dingen, dem sicher größten
und seltensten Schmuck des Adels, versehen, daß ihr, obgleich nur sehr wenige
Dinge sind, die ihr nicht kennt, euch mit nichts anderem als damit euer ganzes
Leben lang beschäftigt zu haben scheint. Weiters werde ich die ganz unkundige
Meinung von einigen, die die Liebhaber der schönen Wissenschaften als unwis-
send in den Künsten hinstellen, durch welche wir dem Staat dienen, ebenso in
Zukunft, so hoffe ich, leicht zerstreuen können, wie andere schon vor mir. In-
zwischen muß ich, wie ich jenen ihr so heftiges Urteil nicht übel nehme, diesen
meinen verzeihlichen Fehler, durch welchen wir zur ernsthafteren Abrundung
unserer Studien eine Vielfalt von Fachgebieten in Abständen weiter verfolgen,
doch ganz entschieden vertreten. Das Gedicht über das Abendmahl ist schon
zuvor in meiner Heimatstadt Bunzlau entstanden. Der Reiz des Neuen, welcher
meist derartiges empfiehlt, ist also schon aufgebraucht. Ich habe es dennoch
hinzugefügt, einerseits weil es von einigen Freunden der Lektüre wert erachtet
wurde, andererseits weil kaum anderswo eine geeignetere Stelle dafür hätte
gefunden werden können. Es wird auch dieses nicht weniger als das Voran-
stehende Gnade finden wegen der Würde seines Gegenstandes. Denn wenn
jemand in derartigen Schriften nach Kunstfertigkeit sucht, erreicht er nichts. Wie
es nämlich schwierig ist, theologische Schlichtheit zu vermeiden, ist es hier ge-
fährlich, poetische Freiheit in Anspruch zu nehmen. Und wir wollten auch nichts
außer der Pflicht eines Christenmenschen im Sinn haben; dem Dichter werden
wir ein anderes Mal, wenn es die Notwendigkeit erfordert, einen besseren Auf-
tritt gewähren. Wie es aber auch damit stehe, euch, wie ich sagte, ihr größten
Förderer der Literatur, widme ich es: eher als Einbekenntnis der Schuld denn als
deren Einlösung. So groß ist ja deren Ausmaß, daß ich wohl für immer darin ver-
bleiben muß. Wenn jedoch zur gottgleichen Gunst der Beschützer noch beson-
ders wie bisher euer Vergnügen hinzukommt, werde ich durch meine Liebe zur
Bildung und durch Fleiß (denn mehr verlangt ihr selbst ja nicht) bewirken, daß
weiter nicht mehr unbekannt wird bleiben können, wieviel ich euch und dem
Vaterland zur Ehre zu gereichen bestrebt war. Inzwischen nehmt dieses Unter-
pfand und Zeugnis meiner einzigartigen Hochachtung euch gegenüber mit gnä-
digem Blick entgegen und laßt nicht ab, meine aufkeimenden Hoffnungen durch
eure Hilfe und Unterstützung weiter zu heben. So möge Jesus Christus, der Kö-
desinite. Sic vos et nobilissimas vestras familias sub novo Rege nostro florere si-
nat et incolumes diu diuque superesse Rex Regum Christus Jesus; cujus sum-
mum erga nos amorem expressum hîc legetis.
[B1r]
MARTINI OPITII
SERMO
D E P ASSIONE C HRISTI .
SI dolores et cruciatus quos Iesus Christus Dei Filius et Deus ipse, Deus à se,
Filius à Patre, Deus ante tempora, homo in tempore, propter nos et propter no-
stram salutem pati voluit, non magis studium devotionis et gratitudinem quàm
facundiae dexteritatem requirerent; non immeritò me et imbecillitas ingenii, et
5 ne mediocris quidem in dicendo exercitatio à tam sublimi argumento revocarent.
Praesertim cum tot ingentes animae, tot divini heroës, tot doctores et lumina
Ecclesiae eruditam suam pietatem adeò hîc exercuerint, ut religiosa magis invidia
quam par eloquentiae felicitas aemulis omnibus relicta sit. Sed cum inexhausti
hujus amoris mysterium ubique humanam sapientiam, humilitatem nunquam
10 rejiciat: nos cujus rei magnitudinem cogitationibus assequi non valemus, ejus or-
dinem grato animo considerabimus, et pro doctrina reverentiam, piam contem-
plationem pro anxiâ verborum collocatione ad Saluatoris nostri passionem adfe-
remus. Altiùs autem ea repetenda est quam à cruce, quae terminus potius ejus
quam summa dici debet: ita omnis vita Christi calamitas, miseria, paupertas et
15 continua passio est. Deserit primò regium coeli solium et nondum natus exulat.
Nascitur deinde in tugurio, reponitur in praesepe, cui se totum hoc universum
debet. Ad infantem pecudes citiùs veniunt, quam ii propter quos venit. Mox qui
in stabulo lachrymas, effundit in templo sanguinem. Infans adhuc reges et regum
nig der Könige, von dessen Ausdruck höchster Liebe uns gegenüber ihr hier
lesen werdet, euch und eure hochedlen Familien unter dem neuen König gedei-
hen und unbeschadet durch alle Zeiten bestehen lassen.
[A.N., R.S.]
0
Wenn die Schmerzen und die Marter, welche Jesus Christus – Gottes Sohn und
selbst Gott, Gott aus sich, Sohn aus dem Vater, Gott vor der Zeit, Mensch in der
Zeit – um uns und um unseres Heils willen hat erdulden wollen, nicht eher eif-
rige Andacht und Dankbarkeit als geschickte Beredsamkeit verlangten, würden
mich nicht ohne Schuld sowohl die Schwäche meines Geistes als auch meine
nicht einmal geringe Übung im Reden von einem so erhabenen Thema zurück-
halten. Und zwar besonders deshalb, weil schon so viele große Geister, so viele
göttliche Helden, so viele Lehrer und Leuchten der Kirche ihre gelehrte Fröm-
migkeit hierin so sehr entfaltet haben, daß allen Nachstrebenden mehr religiöser
Wetteifer als gleiches Gelingen bei der Beredsamkeit verblieben ist. Weil aber das
Geheimnis dieser unerschöpflichen Liebe allenthalben die menschliche Weis-
heit, niemals hingegen die Demut verwirft, so vermögen wir zwar die Erhaben-
heit dieser Sache nicht in Gedanken zu erreichen, wollen aber dennoch mit
dankbarem Herzen ihren Hergang betrachten und anstelle von Gelehrsamkeit
Verehrung, anstelle von peinlich genauer Anordnung der Wörter fromme Ver-
senkung zu dem Leiden unseres Heilands bringen. Dieses ist nämlich von weiter
als nur vom Kreuz herzuleiten, das eher dessen Ende als dessen Hauptinhalt ge-
nannt werden muß: das ganze Leben Christi ist ja Unglück, Elend, Armut und
andauerndes Leiden. Er verläßt zunächst den königlichen Thron des Himmels
und wird, noch ungeboren, zum Heimatlosen. Zur Welt kommt dann in einer
Hütte und gelegt wird in eine Krippe jener, dem sich diese ganze Welt schuldet.
Die Tiere kommen schneller zu dem Kind als diejenigen, für die es gekommen
ist. Bald vergießt derjenige, der im Stall Tränen vergoß, im Tempel Blut. Als
Kind schon hat er Könige und Söhne von Königen zu Feinden. Als er aber zu
lehren beginnt, was für Zorn, was für Schmach, welche Mißgunst ruft er nicht
gegen sich hervor? Er zeigt den Weg zum Himmel, und er hört „Verführer“; er,
Gott selber, verbreitet die Erkenntnis Gottes, und man heißt ihn Verächter des
Heiligen; er lehrt Gottesverehrung, man nennt ihn Gotteslästerer; er verkündet
den Frieden und heißt Fackel des Bürgerkrieges; er nimmt hinweg die Sünden
filios hostes habet. Docere verò cum incipit, quas non furias, quae probra, quem
20 livorem in se non concitat? Monstrat coeli viam et seductor audit: cognitionem
Dei Deus ipse propagat, et spretor sa-[B1v]crorum, docet pietatem, et blasphe-
mus, annunciat pacem, et fax belli civilis, tollit peccata mundi, medetur insanis, et
furiosus; ejicit Diabolos, et Diabolus vocatur; à quocunque tandem alios liberat,
illius insimulatur. Miracula miraculis cumulat: vertit aquam in vinum, subjugat
25 ventos, suam famem domat, aliorum ut consulat jubet panem sub dentibus cres-
cere et plus quam totum superesse, indurat undas et transit siccis pedibus, pisces
ut vectigal pro se solvant è profundo maris accersit, virentibus arboribus humo-
rem exhaurit, aridis manibus eundem reddit, desperatae sanitati unicâ voce resti-
tuit, coecis oculos, mutis linguas, surdis aures recludit, ac postquam coelum, ter-
30 ram et mare testes suae divinitatis adduxit, inferos etiam aggreditur, et mortuos
revocat in vitam ne vivis solum prosit. Vbique se Dei filium, ubique Deum, ubi-
que Messiam quem electa à tot seculis gens expectaverat probat. Vbique natura
rerum hoc ipsum testatur. Illi quid faciunt? Agnum immaculatum cujus memo-
riam tandiu celebraverant, stellam ex Iacob quam Balaam praedicaverat, virgam
35 Iessae quae radice abyssum terrae, vertice Olympum occupat, Patrem populi sui
plerique non noverunt, quidam noverunt et dissimulant, plurimi verò ignominiis,
probris, malis omnibus afficere, crucifigere malunt denique quam agnoscere.
Post tam ingentes itaque calamitates et miserias, post moerorem, sitim, famem,
aestum, frigus et exilium, unum adhuc restabat, ut moreretur. In cujus quidem
40 ultimae passionis exaggerationem totius generis humani scelera, horror mortis,
furor inferorum et potestates, gravissima aeterni Patris ira, et cruciatus quos
nemo hominum solus, imò ne omnes quidem homines sustinere potuissent, con-
spiraverunt. Tot ac tantis divinae justitiae poenis, quarum magnitudinem nullus
dolor aequat, major est Salvatoris nostri amor erga nos et bonitas. Antequam in-
45 greditur viam quam ire solus potest, quâ constantiâ, fortitudine, perseverantiâ
et quaecunque alia duris opposita virtus est, discipulis, quos a-[B2r]mico nomine
filiolos appellat, valedicit! Pedes etiam quibus fugerunt postea lavat. Comitem
prius suum deinde proditorem deplorat: quem ut labore quaerendi sublevet,
spississimâ nocte iter facit, transit torrentem, in hortum precibus ante, nunc et
der Welt, heilt die Besessenen, und man nennt ihn rasend; er treibt die Teufel aus
und wird als Teufel beschimpft: Endlich, wovon er andere befreit, dessen wird er
selbst bezichtigt. Er häuft Wunder auf Wunder: er verwandelt Wasser in Wein; er
zähmt die Winde; er beherrscht seinen Hunger; damit er dem anderer abhelfe,
befiehlt er dem Brot, unter den Zähnen zu wachsen und in größerer Menge als
zuvor das Ganze war übrig zu bleiben; er festigt die Wellen und überschreitet sie
trockenen Fußes; aus der Tiefe des Meeres ruft er die Fische herbei, daß sie für
ihn den Zinsgroschen bringen; er zieht den Saft aus den grünen Bäumen und
gibt ihn den verdorrten Händen wieder; mit einem einzigen Wort hilft er bei
hoffnungsloser Krankheit; er öffnet den Blinden die Augen, den Stummen die
Zunge, den Tauben die Ohren; und nachdem er Himmel, Erde und Meer als
Zeugen seiner Göttlichkeit angeführt hat, steigt er auch noch in die Unterwelt
und ruft die Toten ins Leben zurück, auf daß er nicht allein den Lebenden nütze.
Überall erweist er sich als Sohn Gottes, überall als Gott, überall als der Messias,
den das auserwählte Volk seit so vielen Jahrhunderten erwartet hatte. Überall
beweist die Natur der Dinge dieses selbst. Was tun aber jene? Das unbefleckte
Lamm, dessen Gedächtnis sie so lange gefeiert hatten, den Stern aus Jakob, den
Balaam prophezeit hatte, das Reis Jesse, das mit der Wurzel den Abgrund der
Erde, mit dem Wipfel den Olymp berührt, den Vater ihres Volkes erkannten die
meisten nicht; manche haben ihn erkannt und verbergen es; die meisten aber zie-
hen es vor, ihm lieber Schimpf, Schmach und alles Übel anzutun, ihn endlich zu
kreuzigen, als ihn anzuerkennen. Nach so gewaltigem Unglück und Elend, nach
Betrübnis, Durst, Hunger, Hitze, Kälte und Heimatlosigkeit blieb also nur noch
eines, nämlich daß er sterben sollte. Wahrlich, zu dieser Steigerung seines letzten
Leidens haben die Verbrechen des ganzen Menschengeschlechts, der Schrecken
des Todes, die Wut und Gewalt der Unterwelt, der schwerste Zorn des ewigen
Vaters und die Martern, die kein Mensch allein, ja nicht einmal alle Menschen zu-
sammen hätten ertragen können, zusammengewirkt. Doch größer noch als so
viele und so große Strafen der göttlichen Gerechtigkeit, mit deren Größe kein
Schmerz zu vergleichen ist, ist die Liebe unseres Heilands zu uns und seine Güte.
Bevor er den Weg beschreitet, den nur er allein gehen kann, mit welcher Bestän-
digkeit, Tapferkeit, Beharrlichkeit und welche andere den Bedrängnissen entge-
gengestellte Tugend es gibt, verabschiedet er sich von seinen Jüngern, die er
freundschaftlich seine Söhne nennt! Er wäscht ihnen sogar die Füße, mit wel-
chen sie später geflohen sind. Er beklagt den, der erst sein Gefährte, dann sein
Verräter ist; damit er diesem die Mühe des Suchens erleichtere, macht er sich in
finsterster Nacht auf den Weg, durchquert den Bach und eilt gleichsam in den
Garten, der zuvor zum Gebet, nun sogar zu seiner Auslieferung bestimmt ist,
bleibt dort, während die Jünger in Schlaf versinken, allein wie in einem Kerker,
und steht als Angeklagter vor dem Gericht Gottes, und, wegen der Heftigkeit
posse: non invenit. Tentat itaque prius caetera omnia, donec tumultuantium per-
80 tinaciâ victus extrema etiam permittit. At scelestae factionis insaniâ quid pejus,
quid magis nefarium? quid tot vocibus improbis et vexationibus simile excogitari
potest? Omnem orationem, omnem sensum excedunt, quae demens populus
quasi timens ne quid relinquat, et ingeniosâ crudelitate comminiscitur, et audac-
ter perpetrat. Verissimum Dominum, veritatem ipsam, qui facinus nullum admisit,
85 in cujus ore non inventus est dolus, testimoniis premunt et mendaciis. Infimae sortis
lixa Domino coeli et terrae malas pulsat. Vilissimi mortalium, terrae filii, infelices
linguas convitio ejus exercent, oculos Solis justitiae velo petulanter obnubunt, fa-
ciem quam fluctûs maris reveriti sunt purgamentis oris immundissimi aspergunt,
vestem candidam, quasi ita coacti innocentiam agnoscerent, humeris injiciunt,
90 tacentem despiciunt, suggillant et irrident, Barrabam seditiosum et desperatissi-
mum latronem ac similem sui odio insontis insontem faciunt; nemo denique non
vapulantis injuriâ veluti cibo se replet. Pilatus etiam postquam saevientium mi-
nas nequicquam interpellasset, furere cum insanientibus cogitur, eumque, ne
quid crudelius eveniat, tractat crudelissimè. Caput, abyssum imperscrutabilis
95 sapientiae, spinis sauciat, flagris ex more suae gentis coeleste latus exhaurit,
artubus cruentis ejusdem coloris vestem per ludibrium applicat, si tam truci
spectaculo im-[B3r]placabilis rabiosorum iracundia detumescat. Ipse quasi agnus
mansuetus qui portatur ad lanienam, adversus insultûs canum ne loquitur quidem,
labascens corpus excelso, inconcusso et regali animo fulcit, ac patienter quicquid
100 nobis remisit excipit. Pontius itaque consumpto reliquarum omnium poenarum
argumento, vibicibus, sputo et sanguine sordentem palam oculis omnium osten-
tat, et, Ecce, ait, homo. Quid ultra petitis, Iudaei, aut quid vultis? Quid sufficit iratis,
si hoc non sufficit? Ecce homo cujus à capillis usque ad ungues nulla pars cor-
poris ignominiâ vacua est. Formae decus coma sanguine est concreta, frons spi-
105 narum cicatricibus scissa, facies sputi vestigiis inquinata, terga notis flagellorum
variegata, labra colaphis tumentia, manûs vinculorum sulcis luridae, pedes mar-
cidi aegrè subsistunt, totum denique corpus unum est vulnus. Si populi scelera
solus perpetrasset, satiari possetis poenâ quam videtis. Ecce iterum, ecce rex ve-
ster, Hebraei, Ecce homo, inquit. Sed his etiam apud obcoecatas coelesti disposi-
sogar das Äußerste bewilligt. Aber was ist schlimmer als das Rasen der verbre-
cherischen Rotte, was gottloser? Was kann man sich so vielen schurkischen
Stimmen und Belästigungen Vergleichbares ausdenken? Jede Rede, jeden Ge-
danken übersteigt, was das verblendete Volk gleichsam aus Furcht, vielleicht
etwas auszulassen, sowohl an einfallsreicher Grausamkeit erfindet als auch
unverzagt ausführt. Den wahrhaftigsten Herrn, die Wahrheit selbst, obgleich er
kein Unrecht zuließ, kein Trug in seinem Munde gefunden wurde, bedrängen sie mit Zeu-
genaussagen und Lügen. Ein Gerichtsdiener untersten Ranges schlägt dem
Herrn des Himmels und der Erde auf die Wangen. Die Geringsten unter den
Sterblichen, Söhne der Erde, gebrauchen ihre unglückseligen Zungen zu seiner
Schelte, verhüllen frech mit einem Tuch die Augen der Sonne der Gerechtigkeit,
bespritzen das Gesicht, welches die Fluten des Meeres verehrten, mit den Aus-
würfen des schmutzigsten Mundes, werfen ihm ein weißes Kleid, gleich als ob sie
so genötigt seine Unschuld anerkennten, um die Schultern, verschmähen, ver-
höhnen und verlachen den Schweigenden, machen den aufrührerischen und ver-
worfensten Räuber Barrabas, der ihnen ähnlich ist, aus Haß auf den Unschuldi-
gen zum Unschuldigen; und es gibt mit einem Wort keinen, der sich nicht an der
Beleidigung des Gezüchtigten wie an einer Speise erquickt. Nachdem Pilatus bis
jetzt vergeblich gegen die Drohungen der Rasenden Einspruch erhoben hat,
wird er gezwungen, mit den Tobenden zu wüten, und behandelt ihn grausamst,
damit nicht noch Grausameres geschehe. Das Haupt, den Abgrund unerforsch-
licher Weisheit, läßt er mit Dornen verwunden, nach Sitte seines Volkes die
himmlische Seite bis zur Erschöpfung geißeln, auf die blutigen Gliedmaßen zum
Scherz ein Gewand der selben Farbe legen, wie wenn durch das wilde Schauspiel
der unerbittliche Zorneseifer der Tollwütigen sich legen könnte. Er selbst aber,
wie ein sanftes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, erwidert nichts auf die Be-
schimpfungen der Hunde, hält den wankenden Körper durch seinen erhabenen,
unerschütterten und königlichen Geist aufrecht und nimmt geduldig auf sich,
was auch immer er uns erlassen hat. Daher führt Pontius, nachdem das Mittel al-
ler übrigen Strafen aufgebraucht ist, den von Striemen, Speichel und Blut Be-
fleckten öffentlich vor allen Augen vor und sagt: „Ecce homo. Was verlangt ihr noch,
Juden, oder was wollt ihr? Was genügt den Erzürnten, wenn das nicht genügt?
Seht, hier ist ein Mensch, bei dem keine Stelle des Körpers von Kopf bis Fuß von
Schimpf frei ist. Die Zierde der Erscheinung, das Haar, starrt vor Blut, die Stirn
ist zerrissen von den Narben der Dornen, das Gesicht besudelt von den Spuren
des Speichels, der Rücken schillert von den Merkmalen der Geißeln, die Lippen
sind geschwollen von Faustschlägen, die Hände fahl von den Einschnitten der
Fesseln, die entkräfteten Füße halten ihn nur mit Mühe, ja der ganze Körper ist
eine einzige Wunde. Wenn er allein die Verbrechen eines Volkes begangen hätte,
könntet ihr euch mit der Strafe begnügen, die ihr hier seht. Hier, so nochmals,
110 tione mentes nihil proficit. Perseverat furor, saeviunt proceres cum plebe, et ut
cruci vix adhuc spirans affigatur instant. Tot convitiis defatigatus aquam Roma-
nus poscit, manus abluit quia mentem non potest, tantaque rabie postulatum
regem servili supplicio tradit. Nulla ergò fit mora. Ferale lignum, quod ipsi ne
attingere quidem volebant, patientissimus Isaacus subit, victoriae signum ut
115 victorem decet humeris imponit, et crucem à quâ mox feretur, fert ipse. Ne verò
in viâ pereat, Simonem rure venientem urbanorum factio ponderi cogit succe-
dere, et attritum corpus in spem majoris saevitiae paulisper sublevare. Vincit tan-
dem durum iter redemptor generis humani, et crucis onere, ac totâ irae aeterni
Patris mole pressus dirum Golgothae jugum ascendit. Solum sanie, ossibus, cra-
120 niis ac putridis scelestorum reliquiis sordet, et cadaverum numerus languentes
gressus vix admittit. Vt sic in areâ damnatorum trophaea absolutorum erigantur:
ut ostendatur ipsum non pro Adae [B3v] solum, sed totius mundi peccato mori.
Acetum quoque hyssopo permixtum sitienti porrigunt, ut illud Prophetae fidem
inveniat: Dederunt in cibo meo fel, cum sitirem potarunt me aceto. Quod ore vix dignatur:
125 sed invictâ ac infatigabili fortitudine luctam aggreditur. Perforantur pedes, rum-
puntur venae, diducuntur brachia, manûs affiguntur, et maledicto ligno factus pro
nobis maledictus erigitur. Specta nunc, anima mea, specta truculentissimam totius
mundi tragoediam, eleva oculos, et relictis terrestrium quisquiliis tota in hunc ac-
tum cujus tu quoque non leve argumentum es, veni: intuere crucem ad quam unus-
130 quisque nostrûm suos quoque clavos adjecit. Ecce qui coelos inequitat, auxiliator
tuus, et in magnificentiâ suâ nubes: qui mensus est volâ suâ aquas, et coelos palmo aestimavit:
qui comprehendit tribus digitis pulverem terrae, et appendit montes in staterâ, et colles in
bilance: qui altitudines coelorum aequat, qui profundior est inferis: qui ascendit super coelum
coeli, ad orientem. Ecce scala Paradisi, quae Iacobo somnianti apparuit. Per quem
135 claudi ibant, ejus pedes sunt perfossi, per quem surdi audiebant, ejus aures mille
ludibriis sunt contaminatae, per quem coeci videbant, ejus oculi guttis à fronte
manantibus caligant, qui totidem panibus totidem millia hominum paverat, qui
mulierculae aquam petenti vitae aquam dederat, felle potatur et aceto, per quem
mortui vivebant, ille jam morietur. Quid ultra faciendum erat vineae meae, clamat in
140 cruce relictus ab hominibus, et propter homines à Deo, quod non fecerim ei? Factus
sum in derisum omni populo, canticum eorum totâ die. Replevit me amaritudinibus, inebriavit
me absynthio, et fregit ad numerum dentes meos, cibavit me cinere. Quam corporis mei
partem à tormentis immunem videtis? Caput spinis, manûs et pedes clavis, facies
colaphis et sputo, caetera omnia flagrorum vibicibus vulnerata sunt. Quis sensus
145 corporis mei doloris est expers? An tactus? at flagrorum ictûs et clavos sentio.
Hebräer, hier ist euer König, Ecce homo,“ sagt er. Aber selbst damit erreicht er
nichts bei den durch himmlische Bestimmung verstockten Gemütern. Die Ra-
serei hält an, es toben die Vornehmen mit dem Pöbel und drängen, daß der
kaum mehr Atmende ans Kreuz geschlagen werde. Der von so viel Geschrei er-
mattete Römer verlangt nach Wasser, reinigt sich die Hände, weil er das Gemüt
nicht reinigen kann, und übergibt den von solcher Tollwut verlangten König
der Hinrichtung wie ein Sklave. Da gibt es kein Zögern mehr. Das todbringende
Holz, das sie selbst nicht einmal anrühren wollten, lädt der überaus geduldige
Isaak auf sich, das Zeichen des Sieges setzt er sich, wie es einem Sieger gebührt,
auf die Schultern und trägt selbst das Kreuz, von dem er bald getragen wird.
Damit er aber nicht schon auf dem Weg zugrunde gehe, zwingt die Rotte der
Städter den vom Land kommenden Simon, die Last auf sich zu nehmen und so
dem aufgeriebenen Körper in Erwartung einer größeren Grausamkeit ein we-
nig Erleichterung zu gönnen. Endlich überwindet der Erlöser des Menschen-
geschlechts den harten Weg und steigt, niedergedrückt durch die Last des Kreu-
zes und durch die Schwere des Zorns des ewigen Vaters, den grauenvollen
Abhang von Golgotha hinauf. Der Boden ist bedeckt von Eiterjauche, Kno-
chen, Schädeln und verwesenden Resten der Hingerichteten, und die Zahl der
Kadaver läßt den erschlaffenden Schritten kaum Platz. Damit so auf dem Feld
der Verurteilten das Siegeszeichen der Erlösten errichtet werde: daß gezeigt
werde, daß er nicht allein wegen derjenigen Adams, sondern wegen der Sünde
der ganzen Welt stirbt. Essig vermischt mit etwas bitterem Ysop reichen sie dem
Dürstenden, damit sich jener Ausspruch des Propheten erfülle: Sie gaben Galle in
meine Speise, in meinem Durste Essig zum Trank. Er berührt das kaum mit dem
Mund, sondern tritt mit unbezwungener und unermüdlicher Tapferkeit den
Kampf an. Die Füße werden durchbohrt, die Adern aufgerissen, die Arme weit
ausgestreckt, die Hände angenagelt, und auf dem verfluchten Holz wird aufge-
richtet, der für uns zum Fluche ward. Betrachte nun, o meine Seele, betrachte das
furchtbarste Trauerspiel der ganzen Welt, hebe die Augen und komm, nachdem
du die Eitelkeiten des Irdischen verlassen hast, ganz zu diesem Geschehen, bei
dem auch du kein unwichtiger Gegenstand bist: Betrachte das Kreuz, zu dem ein
jeder von uns auch seine Nägel hinzugefügt hat. Schau auf den, der auf den Him-
meln reitet, dein Helfer, und in seiner Herrlichkeit auf den Wolken: der mit seiner hohlen
Hand die Wasser gemessen und mit seiner flachen Hand die Himmel geschätzt hat: der den
Staub der Erden mit drei Fingern umschließt und die Berge auf der Waage und die Hügel auf
den Waagschalen abwiegt: der die Höhen der Himmel erreicht, der tiefer ist als die Unterwelt:
der hinaufsteigt über den Himmel des Himmels, gegen Aufgang. Schaue die Paradiesleiter,
die Jakob im Traum erschien. Der, durch den die Lahmen gingen, dessen Füße
sind durchbohrt, der, durch den die Tauben hörten, dessen Ohren sind durch
tausend Spottworte beschmutzt, durch den die Blinden sehend wurden, dessen
Augen sind blind durch die von der Stirn rinnenden Tropfen, er, der mit ebenso
vielen Broten ebenso viele tausend Menschen versorgt hatte, der einer um Was-
ser bittenden Dirne das Wasser des Lebens gegeben hatte, wird mit Galle und
Essig getränkt, durch den die Toten ins Leben zurückkehrten, jener wird nun
selbst sterben. „Was sollte ich für meinen Weinberg weiter tun“, ruft der am Kreuz
von den Menschen und wegen der Menschen von Gott Verlassene, „das ich ihm
nicht getan hätte? Zum Gelächter ward ich meinem ganzen Volk, zu ihrem Spottlied alle
Tage. Mit bittrer Kost hat er mich gesättigt, mich getränkt mit Wermut und meine Zähne der
Reihe nach zerbrochen, mich mit Staub genährt. Welchen Teil meines Körpers seht ihr
unberührt von Martern? Das Haupt ist von den Dornen, die Hände und Füße
von den Nägeln, das Gesicht von Faustschlägen und Speichel, alles Übrige von
den Striemen der Geißeln wund. Welcher Sinn meines Körpers ist frei von
Schmerz? Der Tastsinn? Aber ich spüre die Schläge der Geißeln und die Nägel.
Der Geschmackssinn? Aber Galle und Essig haben sie mir zu trinken gegeben.
Der Geruchssinn? Aber ich hänge im abscheulichsten Gestank der Kadaver
und Totenschädel. Das Gehör? Aber ich vernehme die Schmähungen der Got-
teslästerer und Spötter. Das Sehen? Aber meine Mutter sehe ich mit dem lieb-
sten meiner Jünger weinen und trauern. Worüber kann ein Mensch Leid emp-
finden, woran nicht auch ich Anteil habe? Freunde? Jene haben mich verlassen.
Ein guter Ruf ? Er ist von Lästerungen und Verleumdungen zertrümmert.
Ehre? Ich bin allen zum Gegenstand des Gespötts geworden. Besitz? Sogar der
Kleider bin ich beraubt. Der Leib? Es regnet Blut aus mir. Der Geist? Traurig-
keit und Betrübnis hat mich umgeben.“ Mit solcher Rede spricht Christus zu
seinem ganzen Volk, nicht nur zu den Einwohnern von Jerusalem, vor deren
Stadt er nicht grundlos leidet. Denn durch David war vorhergesagt worden: Gott,
unser König von Anbeginn, wirkte das Heil in der Mitte der Erde. Nichts geschieht hier
ohne Grund. An einen Baum wurde er genagelt: Damit er wiederfinde, was
Adam daran verloren hatte. Er hängt unter freiem Himmel: Der Menschensohn muß
erhöht werden, daß er auch die Luft heilige, wie er die Erde heiligte, auf der er lebte.
Hierher ist die Rechte, dorthin die Linke ausgestreckt: Diese Gestalt ist ein Bild
des Jüngsten Gerichts. Ein Kreuz ist es, an dem er hängt: nicht weniger jedoch ist
es ein Predigt-, nicht weniger auch ein Richterstuhl. Unter die Verbrecher ist er
gestellt: Damit er einen rette, der vom Beschuldigten zum Märtyrer wird, und die
Schmerzen, wie wenn er sie in einem anderen Körper erleide, standhaft erträgt.
Als ein noch junger Mann leidet er: Damit er uns desto mehr seine Liebe er-
weise, deren Zeichen wir in diesem Tod selbst ausgedrückt sehen. Ein zu Un-
recht Angeklagter spricht die wahrhaft Schuldigen frei und tritt für sie ein; Maria,
die nahe dem Kreuz steht, wird die Brust, die Christus getragen hatte, nass von
Tränen, und die vom Stöhnen erstickten Seufzer rauben ihr beinahe den Atem.
Sie weiß nicht, wohin sie die Augen richten soll. Blickt sie zu Boden? Besprengt
persa est suo sanguine. Sursum? videt laceros filii artûs quos pepererat. Crederes
ipso patiente tristiorem. Et hanc erigit, ac Iohannem in solatium viduitatis sibi
adoptat. Cruciario Paradisum promittit, et ne in ipsâ morte quidem otiosus est.
Donec tandem sanctissimam animam Patri commendans expirat. Cui spectaculo
170 neque Sol interesse potest, sed Iudaeis se negat; ut careant Sole qui datorem Solis
et stellarum injustè supprimunt, ut coeci fiant oculis, qui coeci sunt corde. Den-
sissimae itaque tenebrae [B4v] diem adimunt, omne coelum se aufert: sequi cu-
peret tellus quoque, nisi negaretur. Tremit ergò sedibus suis emota et subsultat:
rupes dissiliunt, gemunt colles, hiant petrae, velum templi scinditur, monimenta
175 defunctorum patent, ipsi egrediuntur, omnia denique creatorem suum fatentur.
Sic humanitate moriente fortior omnibus viventibus est divinitas. Pendet Chri-
stus in cruce, et commovet omnia: tremit in ligno, et universum orbem terrarum
concutit: moritur, et mortuos resuscitat. Dum templum quassat summum sacer-
dotem, dum velum frangit abrogatorem ceremoniarum, dum tonitrua emittit to-
180 tius mundi regem, dum sepulchra reserat dominum viventium et mortuorum se
ostendit. Relictus est à Deo, non separatus. Relictus; quia poena quam suffert
magna est, non culpa: caret enim omni culpâ. Quiescit ergò divinitas. Non sepa-
ratus; quia separari à Deo non potest qui Deus ipse est et unum cum Patre. Mo-
ritur ut homo, operatur ut Deus. Moritur in carne, non cum carne: nam ut Deus
185 major est omni carne. Verè anima corpus relinquit, verè moritur Christus, sed
non totus. Verbum enim quod in principio erat, quod apud Deum erat, quod
Deus erat, animae et corpori manet unitum. Sic etiam mortuus homo permanet:
vinculo personae, non confusione substantiae. Moritur humanitas, hoc indulget
divinitas. Nemo, inquit ipse, tollit animam meam à me, sed ego pono eam à me ipso. Pote-
190 statem habeo ponendi eam, et potestatem habeo rursus sumendi eam. Moritur, ideò homo;
moritur spontè, ideò Deus est. Vt Deus facit quod vult: nam Deus esse non
potest qui facit quod non vult, aut patitur quod alius vult. Vt homo facit quod
ist er von seinem Blut. Nach oben? Sie sieht die zerrissenen Glieder des Sohnes,
den sie geboren hatte. Man könnte sie für betrübter als den Leidenden selbst hal-
ten. Und dieser richtet sie auf und setzt ihr zum Trost der Einsamkeit Johannes
an seine Stelle als Kind ein. Einem Gekreuzigten verspricht er das Paradies, und
ist nicht einmal im Tod selbst müßig. Bis er endlich, seine allerheiligste Seele dem
Vater anvertrauend, verscheidet. Diesem Schauspiel vermag auch die Sonne
nicht beizuwohnen, sondern verweigert sich den Juden; damit jene die Sonne
entbehren sollen, die den Schöpfer von Sonne und Sternen unrechtmäßig um-
bringen, damit jene auch an den Augen blind werden sollen, welche im Herzen
blind sind. Dichteste Finsternis rafft deshalb den Tag hinweg, der ganze Himmel
entschwindet: Die Erde würde auch gerne folgen, wenn sie es nur könnte. Auf-
gewühlt zittert sie daher in ihren Grundfesten und bebt: Die Felsen bersten, die
Hügel stöhnen, die Steine klaffen auseinander, der Vorhang des Tempel zerreißt,
die Grabmäler der Verstorbenen stehen offen, die Toten schreiten heraus, alles
bekennt sich so zu seinem Schöpfer. So ist, wenn auch die menschliche Erschei-
nung stirbt, doch die Gottheit mächtiger als alle Lebendigen. Christus hängt am
Kreuz und bewegt alles; er zittert am Holz und erschüttert den ganzen Erdkreis;
er stirbt und erweckt die Toten. Indem er den Tempel erschüttert, zeigt er sich
als der Hohepriester, indem er den Vorhang spaltet, als der Überwinder der Ze-
remonien, indem er den Donner ausstößt, als König der ganzen Welt, indem er
die Gräber aufschließt, als Herr der Lebenden und der Toten. Verlassen ist er
von Gott, aber nicht getrennt. Verlassen, weil die Strafe, die er erduldet, groß ist,
nicht die Schuld: Denn er ist ohne jegliche Schuld. Deshalb ruht seine Göttlich-
keit. Nicht getrennt, weil von Gott nicht getrennt werden kann, der Gott selbst
ist und eins mit dem Vater. Er stirbt als Mensch und wirkt als Gott. Er stirbt im
Fleisch, aber nicht mit dem Fleisch, denn als Gott ist er größer als alles Fleisch.
Wahrhaftig verläßt die Seele den Körper, wahrhaftig stirbt Christus, aber nicht
zur Gänze. Das Wort nämlich, das am Anfang war, das bei Gott war, das Gott
war, bleibt vereint mit Seele und Leib. Selbst als Toter bleibt er so ein Mensch:
durch das Band der Person, nicht durch die Vermengung des Wesens. Es stirbt
die menschliche Erscheinung, das läßt die Gottheit zu. „Niemand,“ sagt er selbst,
„nimmt meine Seele von mir, sondern ich gebe sie von mir selber. Ich habe die Vollmacht, diese
hinzugeben, und ich habe die Vollmacht, sie wieder zu nehmen.“ Er stirbt, insofern er
Mensch ist; er stirbt aus freiem Willen, insofern er Gott ist. Als Gott tut er, was
er will: Denn Gott kann nicht sein, wer tut, was er nicht will, oder erleidet, was
ein anderer will. Als Mensch tut er, was Gott will. Ich möchte darüber hinaus sa-
gen: Auch Gott stirbt, aber nicht die Gottheit: weil der, der stirbt, Gott und
Mensch ist. Gott vom Vater ohne Mutter, Mensch von der Mutter ohne Vater.
Vom Vater der Anfang des Lebens, von der Mutter das Ende des Todes. Vom
Vater ein anderer, von der Mutter ein anderer: durch die Unterscheidung des We-
Deus vult. Plura dicam: Moritur et Deus, sed non divinitas: quia moritur qui
Deus et homo est. Deus de Patre sine matre, homo de matre sine patre. De patre
195 principium vitae, de matre finis mortis. De Patre alius, de matre alius: per discre-
tionem substantiae, non per unitatem personae. De patre Deus, de matre homo:
de patre et matre unus [C1r] Christus, una persona. Sicut enim in Trinitate tres
sunt personae in unâ naturâ: ita in Christo duae sunt naturae in unâ personâ. Di-
vinitas apud humanitatem, ut pati possit: humanitas apud divinitatem, ut resur-
200 gere possit. Ambo unus, ambo in uno, ambo idem. Hic est, ô Iudaei, quem con-
tumeliis, verberibus, malis omnibus affecistis, quem protervè occidistis. Verbum
aeterni Patris: qui ab initio vobiscum locutus est, et suavissimâ voce suâ ubique
vobis adfuit. Qui primis parentibus Diabolo jam promissis ex infinitâ misericor-
diâ seipsum promisit. Qui totam Ecclesiam uni arcae inclusam inter medios irati
205 maris fluctûs reservavit. Qui salutare illud foedus cum Noâ pepigit, quod confir-
mavit Abrahamo patri credentium, quod probavit patri benedictionis Isaaco,
quod in Iacobo patre vestro, et patre gentium Esau, cujus surculus loco vestri insertus
est, manifestè ostendit. Hic est, ô Iudaei, cujus adventûs signum unusquisque ve-
strûm corpori suo incisum circumtulit, qui flumina suspendit ut transiretis, liber-
210 tatis vestrae ex durissimâ servitute assertor, perpetuus itineris per solitudines et
deserta comes, petra cujus aquam bibistis, panis qui de coelo lapsus vos enutrivit.
Hic est qui judices vobis constituit et reges, qui filium Isai coronavit, qui post
longam captivitatis Babylonicae miseriam vos manumisit, qui Esdrae ac Nehe-
miae consilio sacra vestra et urbem restauravit, qui eximiis pulcherrimae
215 Estherae dotibus nutantem rempublicam fulcivit; cujus praesentiam suspiriis et
precibus noctu diuque indesinenter flagitastis. Venit tandem, assumpsit carnem
in ventre virginis, qui regnat ab aeterno in sinu patris: factus est quod vos estis
qui est quod Deus est. In propria venit, neque recipistis eum. Accepistis ab eo omnia,
et omnia ipsi denegastis. Sanavit vos, vulnerastis ipsum. Sustulit jugum legis,
220 contra leges ipsum sustulistis. Via est, et non secuti estis. Veritas est, et mendaciis
eum suppressistis. Vita est, et vitâ ipsum spoliastis. Factus est vobis in lapidem offen-
sionis et petram scandali. Caeterùm conversio-[C1v]nem animorum et rerum om-
nium post mortem vide. Astant cruci cum centurione milites, homines armis in-
sens, nicht durch die Einheit der Person. Vom Vater Gott, von der Mutter
Mensch: von Vater und Mutter ein einziger Christus, eine Person. Denn so wie in
der Dreifaltigkeit drei Personen in einer Natur sind, so sind in Christus zwei Na-
turen in einer Person: die Gottheit bei der Menschheit, damit sie leiden könne;
die Menschheit bei der Gottheit, damit sie auferstehen könne. Beide einer, beide
in einem, beide eines. Dieser ist es, o Juden, den ihr mit Schmähungen, Schlägen
und allem Übel behandelt, den ihr schamlos umgebracht habt. Das Wort des
ewigen Vaters, der von Anbeginn mit euch geredet hat und mit seiner mildesten
Stimme überall bei euch war. Der den ersten Eltern, die schon dem Teufel ver-
sprochen waren, aus unendlichem Mitleid sich selbst versprochen hat. Der die
gesamte, in einem einzigen Kasten eingeschlossene Kirche mitten in den Fluten
des tobenden Meeres bewahrt hat. Der jenen heiligen Bund mit Noah geschlos-
sen hat, den er mit Abraham, dem Vater der Glaubenden, bestätigt, den er mit
Isaak, dem Vater des Segens, erwiesen, den er an eurem Vater Jakob, und Esau,
dem Vater der Völker, dessen Zweig an eurer Stelle aufgepfropft wurde, deutlich gezeigt
hat. Dieser ist es, o Juden, von dessen Ankunft jedweder von euch das Zeichen in
seinem Körper eingeschnitten herumgetragen hat, der die Flüsse aufgehalten
hat, damit ihr hindurchschreiten konntet, der Wahrer eurer Freiheit aus härtester
Knechtschaft, der ständige Wegbegleiter durch Einöden und Wüsten, der Stein,
dessen Wasser ihr getrunken, das Brot, das, vom Himmel gefallen, euch genährt
hat. Dieser ist es, der euch Richter und Könige eingesetzt hat, der den Sohn Isais
gekrönt, der euch nach dem langen Elend der Babylonischen Gefangenschaft
die Freiheit geschenkt hat, der mit Hilfe von Esra und Nehemia eure Heiligtümer
und die Stadt wieder errichtet, der mit den außergewöhnlichen Gaben der wun-
derschönen Esther den wankenden Staat gestützt hat; dessen Gegenwart ihr mit
Seufzen und Beten Nacht und Tag unaufhörlich herbeigerufen habt. Endlich ist
er gekommen und hat im Leib der Jungfrau Fleisch angenommen, der seit ewig
im Schoß des Vaters regiert: Der ist geworden, was ihr seid, der ist, was Gott ist.
Er kam in sein Eigentum, und ihr habt ihn nicht aufgenommen. Ihr habt von ihm alles
empfangen und habt ihm selbst alles versagt. Er hat euch geheilt, und ihr habt
ihn verwundet. Er hat das Joch des Gesetzes beseitigt, und gegen die Gesetze
habt ihr ihn beseitigt. Er ist der Weg, und ihr seid diesem nicht gefolgt. Er ist die
Wahrheit, und ihr habt ihn mit Lügen unterdrückt. Er ist das Leben, und ihr habt
ihn selbst des Lebens beraubt. Er ist euch geworden der Stein des Anstoßes und der Fels
des Ärgernisses. Nun aber schaue die Verwandlung der Gemüter und aller Dinge
nach seinem Tod. Es stehen bei dem Kreuz Soldaten mit ihrem Hauptmann,
in den Waffen geschulte und nur schwer zu ändernde Männer, und, was noch
schwerer wiegt, in bezug auf die jüdische Religion vielleicht völlig unerfahren.
Sie sehen den Himmel trauern, die Erde beben, Steine bersten, ja die ganze Na-
tur, wie wenn sie in das alte Chaos zurückkehrte, unter einer schrecklichen Er-
nutriti, flecti difficiles, et quod magis est, religionis Iudaicae prorsus fortassis
225 ignari. Vident coelum tristari, terram tremere, petras frangi, totam denique na-
turam, velut in antiquum chaos rediret, horrendo impetu collidi. Audiunt elatio-
rem morientis vocem quam alterius viventis. Agnoscunt inique occisum esse
cum quo Sol etiam occidisset. Parcunt itaque mortuo qui vivo non pepercerant.
Nisi quod unus eorum lanceâ divinum latus pertemtat. Cujus ipsa protervitate ad
230 salutem nostram Deus utitur. Ex hoc enim vulnere fons vitae emanat. Iudaei par-
tim moesti partim attoniti, quaquà se vertunt: flagitii sui accusatores inveniunt.
Pars urbem ad mactandum agnum (vilem hostiam post mactatum Salvatorem
mundi) petunt: hîc inter mortuos ambulant. Pars ad templum ruit: hîc ruptum ta-
petem et prodita sacrorum arcana inveniunt; non obscurum desolationis suae ar-
235 gumentum. Nobilis senator Iosephus; timidus ante et animo fractus, sumit con-
fidentiam corpusque defuncti petit. Nicodemus qui Christum convenire vix
noctu ausus fuerat, palam eum sepulturae nunc mandat. Imbecillior sexus, ne
nihil non mutetur, paenè ipsis viris apparet fortior. Praesentes speculatae erant
omnia, decedentis clamorem exceperant; jam ad conditorium sequuntur, ac
240 praeclarum devotionis et constantiae exemplum praebent; aromata etiam ac un-
guenta religiosâ liberalitate mercantur: Impendio sumptuum exiguo magno pie-
tatis lucro: Longè illis beatiores, quae pro myrrhâ et aloë, hoc est, poenitentiâ et
conversione, totos censûs luxuriae suae instrumentis lancinant; pro bonâ famâ,
vero castitatis unguento, medicamentis venenatam cutem inficiunt; pro sindone,
245 hoc est, mente purâ quâ Iesum suum involvere debebant, vestium elegantiam,
quae vermium operâ et fiunt et pereunt, ostentant. Sepelitur itaque Christus: ut
mortis veritas constet. In horto: ut locus perditionis fiat locus salutis. [C2r] In
alieno conditorio: quia pro alienâ morte mortuus est. In recenti: ut doceamur,
nos quoque per mortem ejus innovari. Lapis ostio sepulchri advolvitur, nos
250 etiam praeter Iesum nihil in animum admittamus. Corpus putredine non cor-
rumpitur: sic virtutis divinae praestantia declaratur. Caro in terrâ, anima in coelo,
divinitas utrobique est. Porrò qui patientiam Christi et tolerantiam in passione
cum horrore et admiratione aspeximus, nunc in resurrectione fortitudinem ejus-
dem longè maximam nullo verborum conatu exprimere valemus. Qui non ape-
255 ruit os suum et ut ovis ad mactationem ductus est, omnipotenti dexterâ vincula
sepulchri frangit, et amplissimè triumphat. Evasit Diabolum: est enim semen
mulieris quod caput serpentis conterere debebat. Evasit mortem: est enim vita
per quam vivimus. Evasit vigiles: sic qui venerant ut resurrectionem impedirent,
eandem coguntur fateri. Salve leo de tribu Iudâ, Salve victor invictissime, Salve
260 primitiae dormientium, Salve salus nostra, qui discerpsisti chirographum quod
contra nos erat, qui potentiam inferorum, Diabolum ac mortem conculcasti, et
pedibus tuis omnia subjecisti, Spes nostra, et caput credentium. Cuius membra
quod et nos ex singulari misericordiâ esse voluisti, gratias agimus tibi, ô Iesu,
quascunque humanae cogitationes possunt suscipere et rogamus, Spiritu sancto
265 tuo, sine quo nihil possumus, mentes nostras velis illustrare, ut acerbissimam
passionem tuam et gloriosam resurrectionem intimo cum ardore contemplemur,
ut pati tecum discamus pariter, et à morte peccati resurgere. Trahe nos post te.
Accende in cordibus nostris ignem amoris tui, et concede nobis oculos fidei, ut,
depositâ inutili humanae eruditionis opinione, quaeramus te ubi inveniris, neque
270 coecae rationi nimium fidamus. Da ut relictis vitae ineptiis vulneribus tuis nos
insinuemus, et sanguine tuo pretiosissimo pascamur. Caeterum quandoquidem
infelici hoc saeculo hostes veritatis nutantem religionis cymbam omnibus modis
petunt, et [C2v] nihil linquunt inausum, da ut propter nominis tui gloriam sublimi
animo insultibus eorum resistamus. Exere fortem manum tuam, erue nos afflic-
275 tos, et vindica qui tantâ protervitate genti tuae insidiantur. Confunde rabiosas
maledicorum linguas, quorum virulentia, proh dolor! eò prorupit, ut electam tibi
Ecclesiam sedem Antichristi, mitissimum tuum jugum jugum intolerabile jugum
Diaboli petulanter appellent. Retunde impia seditiosorum consilia, qui omnibus
modis hoc agunt, ut causam nostram et tuam mundo reddant exosam. Conserva
280 credentes, firma debiles, adduc errantes, et pacem post tantas calamitates redde.
Custodi piissimum Regem nostrum, et muneri quod ei dedisti adde perpetuita-
tem. Floreat inclyta domus Palatina. Vigeat charissima nostra Silesia. Ac quia
nunc optata veris amoenitas totum orbem quasi renovat, da ut nos etiam veteres
naevos exuamus, vitamque nostram seriâ castigatione renovemus. Et ne talen-
285 tum quod nobis credidisti aut otio defodiamus, aut in vetitos vel steriles usûs
convertamus, guberna actiones nostras et studia, ut ad laudem tuam, reipublicae
commodum, honorem patriae et salutem nostram unicè dirigantur. Denique
praesta, ut animae et corpora nostra, vasa gratiae et misericordiae tuae, casta et
Schlange zertreten sollte. Er ist dem Tod entronnen: Denn er ist das Leben,
durch das wir leben. Er ist den Wächtern entronnen: Diejenigen, die gekommen
waren, die Auferstehung zu verhindern, müssen über sie berichten. Sei gegrüßt,
du Löwe aus dem Stamm Juda. Sei gegrüßt, du unüberwindlichster Sieger. Sei ge-
grüßt, du Erstling der Schlafenden. Sei gegrüßt, du unser Heil, der du zerrissen
hast die Handschrift, welche gegen uns war, der du die Macht der Unterwelt,
den Teufel und den Tod niedergetreten und deinen Füßen alles unterworfen
hast, du unsere Hoffnung und Haupt der Gläubigen. Dafür, daß du aus einzig-
artiger Barmherzigkeit wolltest, daß auch wir dessen Glieder seien, sagen wir dir
den Dank, o Jesus, welchen auch immer menschliche Gedanken erwägen kön-
nen, und bitten, daß du durch deinen heiligen Geist, ohne den wir nichts vermö-
gen, unsere Gemüter erleuchten mögest, damit wir dein so bitteres Leiden und
deine glorreiche Auferstehung mit innerer Inbrunst betrachten, damit wir ler-
nen, mit dir zu leiden und aus dem Tod der Sünde aufzuerstehen. Ziehe uns dir
nach. Entzünde in unseren Herzen das Feuer deiner Liebe und gib uns die Au-
gen des Glaubens, daß wir, nachdem wir unnütze Einbildung menschlicher Ge-
lehrsamkeit abgelegt haben, dich suchen, wo du zu finden bist, und der blinden
Vernunft nicht zu sehr trauen. Gib, daß wir, nachdem wir die Eitelkeiten des Le-
bens abgeworfen haben, in deine Wunden dringen und uns an deinem kostbar-
sten Blut laben. Da allerdings im übrigen in diesem unglücklichen Jahrhundert
die Feinde der Wahrheit mit allen Mitteln den schwankenden Nachen der Reli-
gion angreifen und nichts unversucht lassen, gib, daß wir wegen der Ehre deines
Namens mit erhabenem Geist ihren Schmähungen widerstehen. Strecke deine
starke Hand aus, reiße uns Betrübte heraus und bestrafe jene, welche mit der-
artiger Frechheit deinem Volk nachstellen. Verwirre die rasenden Zungen der
Schmähredner, deren Bösartigkeit – ach wehe! – so weit losgebrochen ist, daß sie
frech die dir erwählte Kirche den Sitz des Antichrist, dein sanftestes Joch ein un-
erträgliches Joch, ja ein Joch des Teufels nennen. Mache die gottlosen Absichten
der Aufrührer zunichte, die mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß sie unser
und dein Anliegen der Welt verhaßt machen. Erhalte die Gläubigen, stärke die
Schwachen, führe herzu die Irrenden und gib uns nach so viel Unheil den Frie-
den wieder. Behüte unseren allerfrommsten König und füge dem Amt, das du
ihm gegeben, die Dauerhaftigkeit hinzu. Es blühe das ruhmreiche Haus von der
Pfalz. Es wachse unser vielgeliebtes Schlesien. Und weil nun die ersehnte Lieb-
lichkeit des Frühlings den ganzen Erdkreis gleichsam erneuert, gib, daß wir auch
unsere alten Fehler ablegen und unser Leben durch ernste Züchtigung erneuern.
Und damit wir das Talent, mit dem du uns ausgestattet, weder durch Müßiggang
vergraben noch durch unredlichen oder fruchtlosen Gebrauch veruntreuen,
lenke unsere Handlungen und Bestrebungen, damit sie auf dein Lob, den Vorteil
des Staates, die Ehre des Vaterlandes und unser Heil allein gerichtet werden. Ge-
[C3r] EVCHARISTIA.
währe uns letzlich, daß unsere Seelen und Körper, die Gefäße deiner Gnade und
Barmherzigkeit, keusch und unverfälscht erhalten bleiben, bis du in ebendiesem
unseren Fleisch, das zur Rechten des Vaters über die Himmel der Himmel erho-
ben ist, wiederkommen wirst und uns mit allen Erwählten von diesem erbärm-
lichen Schauplatz der Sorgen und der Sterblichkeit zur himmlischen Heimstatt
führen wirst, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist bist und warst und
sein wirst in Ewigkeit. Amen.
[A.N.]
Eucharistie.
***
ORATIO
AD
SERENISSIMVM
AC POTENTIS -
SIMVM PRIN -
CIPEM
FRIDERICVM
REGEM BO -
HEMIAE .
Auctore
MARTINO OPITIO
SILESIO.
Typis G OTTHARDI
V OEGELINI .
Q VAMVIS, Rex Serenissime, speratus iste tuus in haec regna ingressus publicâ et
totius orbis Christiani laetitiâ celebrari meretur: tamen nos potissimum, quos
tam clementer in sinum tuum recepisti, absque summo scelere tacere non posse
arbitramur. Neque credo, ullum inter nos tam desperatae naturae, tam aversum à
5 studio pacis, tam infensum saluti patriae esse, qui optatam electionem tuam ipsi
***
Rede
an den
allergnädigsten
und großmächtigsten
Fürsten
Friedrich,
König von Böhmen.
Verfaßt von
Martin Opitz
aus Schlesien.
Rede an Friedrich,
König von Böhmen.
coelo non imputet, et opus hoc D EI gratâ mente agnoscat. Videbantur quidem te
eximiae virtutes tuae, suffragia maximae Imperii partis, tot regum ac principum
amicitiae, et fatalis quaedam harum regionum erga te inclinatio ad fastigium hoc
ducere: deplorandi tamen statûs nostri conditione moti, teipsum quoque tam in-
10 vidiosum honorem detrectaturum non pauci existimabant. Nunc supremus ille
arbiter, qui corda regum in manu habet, inclinatum aliàs ad clementiam animum
tuum direxit, et tibi quidem nos affli-[A2v]ctos pupillos, nobis verò te tutorem ac
parentem asscivit: quo an illustrior vnquam fuerit, nescio; digniorem certè secu-
lum hoc non invenit. Sive enim antiquissimam familiam tuam, sive vitam specte-
15 mus; illius splendorem omnes historiae, omnia annalium monumenta loquuntur:
tantas autem virtutes Deus immortalis in te congessit, ut nisi tam regale genus
ortum tuum vendicaret, iis solis sceptra aequare posses et imperia. Commendat
aliquem humanitas; majestas destituit et gravitas: ille insignis est pace; at sagum
minus decenter gestat: alius integritatem quam foris probat, in umbrâ voluptatis
20 confodit. Nemo denique existit vspiam, cujus moribus vestigium aliquod naevi
non sit impressum. In te quod culpent, liberè loquor, ipsi hostes non inveniunt.
deine außerordentlichen Tugenden, der Beifall des größten Teils des Reiches, die
Freundschaft so vieler Könige und Fürsten und jene vom Schicksal bestimmte,
auf dich gerichtete Neigung dieser Gegenden dich in diese Höhe zu führen. Den-
noch meinten nicht wenige, angesichts des bejammernswerten Zustands unserer
Lage, du selbst würdest dich der beneidenswerten Ehre entziehen. Nun hat jener
oberste Richter, der die Herzen der Könige in der Hand hält, dein auch ansonsten
zur Milde neigendes Gemüt gelenkt und hat dir uns als überaus gepeinigte Wai-
sen, uns aber dich als Beschützer und Vater beschieden. Ob jemals ein Berühm-
terer gewesen, weiß ich nicht, einen Würdigeren findet dieses Jahrhundert sicher-
lich nicht. Denn ob wir auf deine altehrwürdige Familie schauen oder auf dein
Leben, alle Geschichtswerke und alle Zeugnisse der Annalen reden von deren
Glanz. So große Tugenden hat der unsterbliche Gott aber in dir vereinigt, daß,
auch wenn nicht ein so königliches Geschlecht deine Herkunft für sich beanspru-
chen würde, du durch sie allein Szepter und Herrschaft aufwiegen könntest. Den
einen empfiehlt die Menschlichkeit, Majestät und Würde fehlen. Jener ist herrlich
in Friedenszeiten, den Kriegsmantel trägt er weniger gut. Der andere begräbt die
Redlichkeit, die er in der Öffentlichkeit lobt, im Schatten der Wollust. Nirgendwo
gibt es einen, in dessen Charakter nicht die Spur eines Makels geprägt ist. In dir
aber, ich rede frei, finden selbst die Feinde nichts, was sie tadeln könnten.
Der gesamte Lauf deines Lebens, König, ist ein Spiegel der Unschuld, und leich-
ter könnte ich sagen, was Tugend insgesamt sei, als was die deinige ist. Das Lob
der Frömmigkeit nehme dir niemand als der Unfromme; Frömmigkeit allein be-
siegte deinen ansonsten unbesiegbaren Geist, und durch diese bist du so sehr vor
den anderen Herrschern ausgezeichnet, wie sie über allen anderen Tugenden
steht. Die Liebe zur Religion, ohne die noch nie ein Mensch edel gewesen ist, ist
mit dem Erbe selbst auf dich gekommen: Deren Verteidigung ist das charakteri-
stische Werk eurer Familie, deren Festung und Sitz identisch mit eurem Heidel-
berg ist, nämlich die hochberühmte Akademie, weil sie dich ebenso wie diese be-
günstigt. Was soll ich über die Klugheit sagen, die Herrscherin über menschliche
Taten, durch welche du die Fähigkeiten deines Alters überschreitest? Wer ordnet
besser als du die Gegenwart, sieht die Zukunft voraus und erinnert an das Ver-
gangene? Wer ist vorsichtiger, Unheil zu vermeiden? Wer ist umsichtiger in den
Beratungen? Was dein Alter anbelangt, erreichst du noch nicht die Männer,
durch deine Urteilskraft übertriffst du dennoch die Alten. In deinem Alter rückst
du, wie wir, langsam voran, aber du eilst hinsichtlich deiner Tugend. An Jahren
bist du unreif, für die Herrschaft aber bist du reif. Bislang, klügster König, hat der
Mangel an Jahren die Unsicherheit der Weisheit entschuldigt: was wird nun, au-
ßer deiner erhabenen Begabung, in die nichts Mittelmäßiges fällt, die Jugend ver-
teidigen? Wie schwierig ist es, in diesem Alter sein Schicksal zu ergreifen. Den-
sti tamen, et hujus rei tantò majus documentum nuper edidisti, quanto majus est
oblatum imperium deprecari, quam denegatum invadere. Nunc postquam rece-
peris, quid dubitamus, eadem moderatione te defensurum quâ recusasti? Tam
40 sublime ingenium dissimile sibi esse non potest. Sed [A3v] humanitas tua, Deus
bone, quàm ex ipsis oculis tuis elucet! Alter Trajanus es; nemo à vultu tuo discedit
tristior: nemo qui justitiam tuam sentit, queritur de saevitiâ. Imò alter Augustus
es, quem dare poenas apparebat cum exigeret. Nihil, Princeps indulgentissime,
fortunae tuae obtigit laudabilius, quam quod possis; nihil naturae, quam quod velis;
45 servare plurimos. Perge, R EX , mereri pulcherrimam coronam O B C IVES S ERVA-
TOS. Macte hac gloriâ, quae quò in regiâ domo rarior, eò in tuâ erit eminentior.
Desidero novum nomen, quo tam inusitatam modestiam majestatis tuae expri-
mam. Quam facilis ad te unicuique aditus, quam laetus recessus! Accedunt ad
principem, inveniunt patrem; et cum querelas fidenter apud te deponant, finem
50 quisque sermoni non ex tuo fastidio facit, sed ex suo pudore. Tam mira comitas,
tam civile tuum ingenium est, ut etiam invitos tibi devincias. Vultus ipse augustâ
hilaritate conspicuus quàm insolitam mansuetudinem promittit! Nec lenitas au-
thoritati, nec severitas amori officit. Nihil in te superbum, nihil insolens. Omnis
tuus status, incessus, motus, amabilis est. Et animos spectatorum et oculos [A4r]
55 recreas. O modestum regem, ô submissum principem! aut sublimem potius et fa-
stigium mortalitatis excedentem. Nunquam enim assurgis altius, quam cum sic te
deprimis. Quicquid grave est, in imo subsidit: inanis animus quavis aurâ se tollit.
Et haec quidem magna sunt omnia; non minora tamen, quibus ad ea pervenisti.
Admiranda dico vitae frugalitas, contemptus voluptatum, et divina praeter aeta-
60 tis ingenium temperantia. Ostendant alii libertatem potentiae peccandi licentiâ,
moveantur in adulteris amplexibus, transigant noctes libidine, dies helluationi-
bus: tu totus totus sobrietas es et continentia. Oportet itaque summas esse vir-
tutes, quae â tam puro et illimi fonte dimanarunt. Accedit his amor etiam studio-
rum et scientiae; quae quanti facias, tot literati circa te viri abundè testantur. Vt
65 praeteream illud sanctuarium eruditionis, Bibliothecam stupendae magnitudinis;
quam sustentasse non contentus, auges insuper novus Philadelphus et exornas.
Neque linguarum peritiam attingo; quas tu aliquot tam feliciter exprimis, ut una-
noch hast du es ergriffen und hast jüngst einen Beweis dafür erbracht, der so viel
größer ist, als es erhabener ist, die angebotene Herrschaft demütig abzulehnen,
als die verweigerte Herrschaft zu erobern. Jetzt, nachdem du sie angenommen
hast, was sollen wir zweifeln, daß du sie mit derselben Mäßigung verteidigen
wirst, mit der du sie zurückgewiesen hast? Solch erhabenes Wesen kann sich
nicht selber unähnlich sein. Aber deine Menschlichkeit – guter Gott –, wie sehr
leuchtet sie aus deinen Augen selbst hervor! Du bist ein zweiter Trajan, niemand
verläßt dein Angesicht trauriger, niemand, der deine Gerechtigkeit fühlt, klagt
über Grausamkeit. Ja, vielmehr bist du ein zweiter Augustus, der sich zu strafen
schien, wenn er Strafen forderte. Nichts Rühmenswerteres, gnädigster Fürst,
wurde deinem Schicksal zuteil, als daß du viele Menschen schützen kannst, und
nichts Rühmenswerteres wurde deinem Wesen zuteil, als daß du so viele schüt-
zen willst. Fahre fort, König, die herrlichste Krone für die Rettung der Bürger zu
verdienen. Gepriesen sie dein Ruhm, der, je seltener er in einem königlichen
Hause ist, um so strahlender in deinem sein wird. Mir fehlen die Worte, mit
denen ich die ungewöhnliche Mäßigung deiner Majestät ausdrücken kann. Wie
leicht ist es für jedermann, sich an dich zu wenden, wie fröhlich gestimmt verläßt
man dich. Sie nähern sich einem Fürsten und finden einen Vater, und wenn sie
ihre Klagen zuversichtlich bei dir abladen, beendet ein jeder seine Rede nicht auf-
grund deines Widerwillens, sondern aufgrund seiner eigenen Scheu. Deine Güte
ist so wunderbar, dein Wesen so zuvorkommend, daß du sogar die Widerstreben-
den dir verpflichtest. Welch ungewöhnliche Milde verspricht dein von erhabener
Heiterkeit kündendes Antlitz! Weder beeinträchtigt die Milde die Autorität noch
die Strenge die Liebe. Nichts an dir ist hochmütig, nichts unmäßig. Dein Stand,
dein Gang, deine Bewegung: alles ist liebenswert. Du erquickst sowohl die Ge-
müter als auch die Augen derer, die dich sehen: den so bescheidenen König, so
demütigen oder vielmehr so erhabenen Fürsten, der die Grenzen der Sterblich-
keit überschreitet. Niemals nämlich erhebst du dich höher, als wenn du dich so zu
uns herabläßt. Was immer gewichtig ist, senkt sich zu Boden, ein leerer Geist aber
erhebt sich durch jegliches Lüftchen. All dies ist in der Tat schon großartig, nicht
geringer jedoch, wodurch du dazu gelangt bist. Ich meine die bewundernswerte
Mäßigkeit deiner Lebensführung, die Abscheu vor Sinnesgenuß und die groß-
artige, über die Natur deiner Altersstufe hinausreichende Selbstbeherrschung.
Mögen andere die Freiheiten der Macht durch das Vorrecht zu sündigen bewei-
sen, durch ehebrecherische Umarmungen erregt werden, die Nächte mit Aus-
schweifungen verbringen, die Tage mit Völlerei: Du bist ganz und gar Nüchtern-
heit und Enthaltsamkeit. Es müssen deshalb die höchsten Tugenden sein, die
einer so reinen und klaren Quelle entspringen. Zu jenen gesellt sich auch deine
Liebe zu Studien und Wissenschaften; wie sehr du dich mit diesen beschäftigst,
bezeugen im Überfluß so viele gebildete Männer, die dich umgeben. Ganz zu
quaeque tibi videatur nativa. Longè hic Alexandro felicior; qui cum tot populos
subegisset, vix unum intelli-[A4v]gebat. Et ista ex infinitâ virtutum tuarum serie
70 delibasse sufficiat: veram earum commendationem illis linquemus, quorum con-
fidentia et dicendi temeritas iisdem quibus aeterna laus tua limitibus terminatur;
quam, ut marmora desint et libri, intimis civium tuorum animis aureo charitatis
caelo insculpsisti.
His oculis vidimus, quam tristi laetitiâ abeuntem te senes et juvenes, viri pariter
75 ac foeminae prosequebantur: ita salus publica, et privata orbitas diversis affecti-
bus gaudium simul et moerorem committebant. Credidisses singulos suo pa-
rente privari. Nondum abieras, Princeps desideratissime, et reditum flagitaba-
mus. Ipse Nicer clementissimus fluviorum jam, qui olim Romanis, barbarus sibi
videbatur. Ipsa haec augusta sedes tua, haec templa, hae turres, moestâ quadam
80 specie Solem suum prosequebantur. Ne de hominibus dicam: quorum ingens
multitudo cum passim se effuderat, in vastâ solitudine deseri tamen se quisque
existimabat. Certatim suspiria erumpebant et lachrymae: corpore non adeò
multi; animo votisque, quia non licebat aliter, proficiscentem omnes comitaban-
tur. Quid conjux tua, haeres nominis et virtutum [B1r] ingentis illius Elizabethae?
85 Videbatur sibi Britanniâ denuò exire: hoc vno laeta, quod tecum. Quàm plus so-
lito lacteam faciem pictor genarum rubor infecerat! quàm violaverat pius imber
oculos clariores astris extra Lunam splendentibus! Valedicebant gemitus, quia
verba non sufficiebant. Tibi ipsi autem dubito majorne pietas moram an iter
suadebat. Relinquebas matrem, summam heroinam; superiorem sic tamen, quod
90 te genuit. Relinquebas liberos, hoc est, magnam cordis tui partem. Relinquebas
subditos, quorum vnusquisque et vivere optaret tecum et mori. Ibas à pace ad
bellum, à notis ad peregrinos, à pacatissimo Rheni littore ad manantem incola-
rum suorum sanguine Muldam, à vinetis et invidendae pulchritudinis horto ad
campos latrociniis cyclopum et suorum cadaveribus squallentes, ab arce amoe-
95 nissimâ ad vastam quidem, desolatam tamen et spoliatam quasi regiam. Infelix
schweigen von jenem Heiligtum der Bildung, die Bibliothek von unglaublicher
Größe, die du, nicht zufrieden damit, sie zu bewahren, als ein neuer Philadelphos
vergrößerst und reich ausstattest. Und auch deine Kenntnis der Sprachen be-
rühre ich nicht, von denen du einige so glücklich sprichst, daß eine jede dir Mut-
tersprache zu sein scheint. Hierin bist du weitaus glücklicher als Alexander, der,
obwohl er so viele Völker unterworfen hatte, kaum eines verstand. Es möge ge-
nügen, dies aus der unendlichen Reihe deiner guten Eigenschaften berührt zu ha-
ben; ihre wahre Lobpreisung werden wir jenen überlassen, deren Zuversicht und
Mut in der Rede von denselben Grenzen bestimmt wird wie dein ewiger Ruhm.
Diesen Ruhm, mögen auch Marmorstatuen und Bücher noch fehlen, hast du mit
dem goldenen Stichel der Liebe tief in die Herzen deiner Bürger eingegraben.
Mit unseren eigenen Augen haben wir gesehen, mit welch trauriger Freude dir,
dem Scheidenden, Alte wie Junge, Männer ebenso wie Frauen folgten. So fügten
öffentliches Wohlergehen und persönlicher Verlust mit gemischten Gefühlen
Freude und zugleich Trauer zusammen. Man hätte meinen können, ein jeder sei
seines Vaters beraubt. Du warst noch nicht gegangen, schmerzlich vermißter
Fürst, und wir erflehten deine Rückkehr. Selbst der Neckar, der lieblichste aller
Flüsse, schien schon, wie einst den Römern, sich selber öde. Selbst deine erhabene
Wohnstätte, diese Kirchen, diese Türme folgten ihrer Sonne mit trauriger Miene.
Ich will gar nicht von den Menschen sprechen, deren ungeheure Menge, während
sie allenthalben überströmte, glaubte, daß dennoch ein jeder in öder Einsamkeit
zurückgelassen werde. Um die Wette brachen Seufzer und Tränen hervor. Deine
Begleiter waren nicht sehr viele an der Zahl; doch im Geiste und mit Wünschen,
weil anders nicht möglich, gingen alle mit dem Scheidenden. Was war mit deiner
Gattin, der Erbin des Namens und der Tugenden jener außergewöhnlichen Elisa-
beth? Es schien ihr, daß sie Britannien von neuem verließe – allein deshalb mit
Freude, weil es mit dir war. Wie hatte ihr die Röte, Malerin der Wangen, mehr als
gewöhnlich das milchweiße Antlitz überzogen. Wie hatte ein frommer Tränen-
strom ihre Augen versehrt, die heller sind als die in mondloser Nacht leuchtenden
Sterne. Seufzer sagten Lebewohl, weil Worte nicht ausreichten. Bei dir selber aber
weiß ich nicht, ob dir größeres Pflichtbewußtsein zum Bleiben oder zur Reise riet.
Du hast die Mutter zurückgelassen, die größte Heldin – größer aber noch, weil sie
dich geboren hat. Du hast die Kinder zurückgelassen, das heißt, einen großen Teil
deines Herzens. Du hast die Untertanen zurückgelassen, von denen ein jeder sich
wünschte mit dir sowohl zu leben als auch zu sterben. Du gingst vom Frieden zum
Krieg, von den Bekannten zu Fremden, vom überaus friedlichen Ufer des Rheins
zur Moldau, die vom Blut ihrer Einwohner überläuft, von Weinbergen und einem
Garten von beneidenswerter Schönheit zu Feldern, die besudelt sind von den
Raubzügen der Zyklopen und den Leichen ihrer Spießgesellen, vom lieblichsten
O te regem, non hoc solum, sed totius orbis imperio dignum, dignum favore,
dignum admiratione etiam hostium! O te pium Principem, quem non felicitas
nostra et res secundae, sed ipsa fortunae atrocitas et impressa nobis vulnera ad
capessendum diadema solicitavit! O te felicem! non quia jam hostium furorem
120 totum superasti; sed quia felicitatem mereri omnibus videris. O faustum diem,
qui te et in lucem produxit, et regno huic primus destinavit: qui tanti herois
natalis, alter etiam noster natalis esse incipit: qui et tam augustum virtutis domi-
cilium edidit, et vniverso orbi Christiano consecravit! Salve Domine: Non enim
So betrittst du diese Szene, diese vertrackte Tragödie, wahrlich wie ein Deus ex
Machina. Frömmigkeit siegte über die harte Reise: Deine Liebe zu uns siegte über die
rauhen Berge Böhmens, mit denen die Natur es verschanzte. Deine Sanftmut
siegte über die Schroffheit des Ortes – unter viel glücklicheren Vorzeichen, als
einstmals Hannibal, der tapferste der Feldherren, die mit dem Himmel ver-
schmelzenden Wolkenberge der Alpen überwand. Vor dessen Anblick nämlich
erzitterte einst ganz Italien wie vor einem Blitzschlag: Durch deinen Anblick
wird der Sturm beruhigt, werden die Winde zur Ruhe gebracht und alles wird
ruhig und heiter. Jener führte Haufen von Soldaten herbei, um die Römer zu
vernichten, du hast ebensolche Begleiter, um uns zu schützen. Jener hatte die
Schwerter gegen die Stadt Rom geschärft, die Schwerter der Feinde werden
gleichsam stumpf durch dein Kopfnicken. Ihm öffnete ungeheurer, geschwore-
ner Haß den Weg, dir unfaßbare Liebe. Jener schien geboren zu sein, Menschen
zu erschlagen und Städte zu verheeren, du bist zum Nutzen des Gemeinwesens
geboren. Als jener sich drohend den Toren näherte, erregte er Furcht und
Schrecken: Dich wünscht man sehnsüchtig selbst mit den Augen auf den Thron
so vieler Kaiser und Könige zu tragen. Vor jenem flohen ängstlich Mütter, Kna-
ben, Jungfrauen, Frauen und Männer, dir kommen sie freundlich entgegen.
Seine Gegenwart verfluchten sie durch lautes Wehklagen und Jammern, deine
feiern sie mit Ausgelassenheit und Freude. Kaum sind diejenigen ihrer Freude
gewachsen, die die Trauer überwunden haben. Ich glaube sogar, wenn irgend-
eine Empfindung irdischer Angelegenheiten den Toten übrigbleibt, daß die
glückseligen Seelen derer, die bislang mit ihrem Blut der allgemeinen Freiheit ge-
opfert haben, von unglaublicher Heiterkeit durchdrungen werden und meinen,
durch ihren Tod etwas ganz Wertvolles geleistet zu haben.
Nicht allein dieser Herrschaft bist du würdig, o König, sondern du bist würdig
der Herrschaft über den gesamten Erdkreis, würdig des Beifalls, würdig sogar
der Bewunderung der Feinde. O frommer Fürst, den nicht unser Erfolg und
glückliche Umstände, sondern die Grausamkeit des Schicksals selbst und die uns
zugefügten Wunden bewogen, die Krone zu ergreifen. O du Glücklicher, nicht
weil du schon den Zorn der Feinde gänzlich überwunden hast, sondern weil du
allen dein Glück zu verdienen scheinst. O glücklicher Tag, der dich ans Licht ge-
führt und als erster für diese Herrschaft ausersehen hat, der, als Geburtstag eines
so großen Helden, auch unser zweiter Geburtstag zu sein beginnt; der eine so er-
Wir wissen, heiligster Fürst, wir wissen, daß du die Herrschaft unfreiwillig ange-
treten hast, weil sie unfreiwillig abgetreten wurde. Ebenso erflehten wir, die wir
deine Milde lange gut kannten, unter Zwang, nicht freiwillig, deine Tapferkeit.
Wir schwören bei Gott und den Menschen: Gezwungenermaßen haben wir die
Waffen ergriffen, das Wohlergehen des Vaterlandes zu schützen, die Freiheit, die
que apud ipsos olim gentiles tam sacrum nomen erat, vt vastantibus Romam
Gallis Senonibus, L. Albunius è plebe homo, virgines Vestae nudo pede fugientia
sacra comitantes, depositis vxore et liberis, in plaustrum receperit. Adeò tum quo-
que in vltimis, religio publica privatis affectibus antecellebat. [B3v] Corpore attentari et
155 fortunis, grave; conscientiâ, intolerabile est. Libertatis verò hanc indolem vide-
mus, vt eam nemo bonus nisi cum animâ amittat. Sicuti feris postquam caveas
fregerunt, crescere vires solent et quasi duplicari: sic animositatem, cujus laudem
nemo vnquam nobis eripuit, dissimulare gens nostra non potuit diutius; acce-
dente ad odium crudelis erga nos consilii, desiderio conclamatae libertatis; quae
160 vt acquiratur, semper licitum est iis, quibus illa et naturâ innata, et privilegiorum
pondere confirmata, et juramenti sanctitate promissa est.
auch den geringsten unter den Völkern gestattet ist, und schließlich die Religion,
der zu Recht alle anderen Gründe hintangestellt werden und deren Name einst
sogar bei den Heiden so heilig war, daß L. Albinius, ein Mann aus dem Volk, als
die gallischen Senonen Rom verwüsteten, die vestalischen Jungfrauen, welche
barfuß die geweihten Gegenstände auf der Flucht begleiteten, in seinen Wagen
aufnahm, nachdem er Frau und Kinder abgesetzt hatte. So sehr pflegte damals, auch
bei den Geringsten, die öffentliche Religion die persönlichen Gefühle zu übertreffen. Am Kör-
per und an Gütern Schaden zu nehmen ist schwer zu ertragen, am Gewissen
Schaden zu nehmen ist unerträglich. Die Natur der Freiheit aber ist, wie wir se-
hen, tatsächlich so geartet, daß kein rechtschaffener Mann sie verlieren kann, es
sei denn zusammen mit seinem Leben. So wie bei wilden Tieren, nachdem sie den
Käfig zerbrochen haben, die Kräfte zu wachsen und sich gleichsam zu verdop-
peln pflegen, so konnte unser Volk den Mut nicht länger verbergen, dessen Ruhm
uns niemand jemals genommen hat.Und dabei kam zu dem Haß auf den gegen
uns gerichteten grausamen Beschluß die Sehnsucht nach der laut beklagten ver-
lorenen Freiheit, welche sich zu verschaffen jenen immer erlaubt ist, denen sie so-
wohl durch die Natur angeboren als auch durch das Gewicht der Gesetze bestä-
tigt und durch die Unverletzlichkeit der Rechtssatzungen zugesichert worden ist.
Wir wissen allerdings, daß den Untertanen der Ruhm des Gehorsams zusteht,
daß gute Fürsten wünschenswert sind, daß andere, wenn sie vom Schicksal be-
schieden sind, zu ertragen sind. Doch diese Dinge betreffen uns keineswegs.
Denn nicht aus dem Geist der Rebellion heraus, sondern aus der Forderung äu-
ßerster Notwendigkeit, nicht durch Verschwörung eines kleinen Kreises, son-
dern durch einträchtige Übereinstimmung aller, nicht aufgrund Geringschät-
zung der Obrigkeit, sondern wegen der Herausforderung durch unsägliche
Machenschaften haben wir nach schier unglaublicher Geduld die Waffen ergrif-
fen; nicht gegen den König, sondern gegen die Betrügereien blutrünstiger Mör-
der, die öffentlich zur Schau stellen, daß Versicherungen nicht einzuhalten sind,
wo deren Preisgabe doch größer ist, als man annehmen könnte, die mit Meinei-
den sich die Zeit vertreiben wie Jungen mit dem Würfelspiel. Wir haben schließ-
lich zu mißtrauen gelernt, durch traurige Beispiele gewarnt. Wir wissen, welch
gewaltiger Blitzschlag vom Tarpeischen Felsen geschickt wird; diese Macht und
Herrschaft überträgt Jupiter nebenbei und verdammt die Seelen zur eigenen Er-
götzung. Wer wüßte nicht, welch geringer Schutz Hus, einem Bürger dieses Kö-
nigreiches, sogar im vom Kaiser zugesagten freien Geleit zuteil wurde? Ein nicht
leichterer Sturm hätte Luther in Worms überrascht, wenn nicht sowohl der Kai-
ser nicht gewollt hätte, daß ein solcher Makel seinen Namen befleckte, als auch
Ludwig, dein überaus milder Vorfahr, Widerstand geleistet hätte.
Non absimili multùm ludo nos includere volebant praeter caeteros ii, qui domi-
nos gentium sicâ et patritiis artibus invadunt; qui per sanguinem regum et parri-
cidia inclarescunt; qui scelere super omnia facinora horribili fulmen illud belli
Henricum Magnum, quem totius patriae moles incumbens non moverat, lanie-
180 nae temerarii nebulonis subjecerunt; qui socerum tuum, incomparabilem Britan-
niae Monarcham, flammis et sulfure parietibus regni illidere conati sunt; qui
[B4v] in caedibus ac latrociniis, animae salutem verti sibi et aliis persuaserunt; qui
trucidare inopes, insontes damnare, equuleo, igne, gladio tollere, vivos (parsimo-
nia scilicet humani sanguinis) sepelire, qui divina et humana confundere per lu-
185 sum et jocum solent. Hi in aulas magistratûs nostri penetraverant primò, deinde
in animum. Hi in omnibus consiliis sententias dirigebant: hi fraudes, dissimula-
tiones, perfidiam, sine quibus rectè neminem imperare docent, miscebant. Hi
laverniones decantatum illud V RE , S ECA , superioribus momentis omnibus insu-
surrabant. Horum mendaciis ac fallaciis, quasi praeclaris artibus, regebamur.
190 Accedebant Sejani aliquot, mali consultores: his ambitione et eminendi libidine
prurientibus, nullum genus perfidiae nimium erat. Itaque violata templa et obse-
rata; privilegiis vis illata; innocentes carceribus intrusi, variisque modis mulctati;
aditûs ad principes praeclusi; decreta divi Rodulphi elusa; aliter sentientium
quidam minis tentati, quidam dignitatibus aut praemiis depravati; ruptum fas
195 gentium; respublica velut diluvio inundata; et religio miris dolis turbata est. Nos
ro-[C1r]gare obtestari, flere, supplicando sine vllâ missione instare, et laborem
spe otii sustentare. Sed frustra. Vbivis tutius fuimus quàm domi, et irritis preci-
bus nihil profecimus, nisi vt nos rogando, illi audiendo defatigati sint.
In ein ganz ähnliches Spiel wollten uns unter anderen häufig diejenigen verwickeln,
die mit Dolch und ererbten Kniffen auf die Herren der Völker losgehen, die durch
das Blut von Königen und durch Hochverrat bekannt werden, die durch einen
über alle Schandtaten grausamen Frevel jenen unvergleichlichen Kriegshelden
Heinrich den Großen, den die schwer drückende Last des ganzen Vaterlandes
nicht erschüttert hatte, der Fleischbank eines waghalsigen Taugenichts überant-
worteten, die deinen Schwiegervater, den unvergleichlichen König von Britannien,
durch den Einsatz von Feuer und Schwefel gegen die Mauern des Königssitzes zu
schmettern versuchten, die sich und andere überzeugten, daß in Mord und Raub
ihr Seelenheil liege, die gewöhnlicherweise Mittellose niedermetzeln, Unschuldige
verurteilen und durch Folter, Feuer und Schwert vernichten, Lebende (um
sich nämlich das Vergießen menschlichen Blutes zu ersparen) begraben, Gött-
liches und Menschliches vermengen aus Spielerei und Zeitvertreib. Diese waren
zunächst an die Höfe unserer Oberen gedrungen, dann in deren Seelen. Diese
bestimmten in allen Ratsversammlungen die Meinungen. Diese vermengten Be-
trug, Verstellung, Treulosigkeit, ohne welche nach ihrer Lehre niemand richtig
herrscht. Diese Diebe flüsterten der Obrigkeit fortwährend jenes abgedroschene
BRENNE, SCHNEIDE ein. Von deren Lügen und Täuschungen wurden wir re-
giert, als seien es hervorragende Künste. Es kamen eine Anzahl Sejaner hinzu,
schlechte Berater: Keine Art der Ruchlosigkeit war denen zu gering, die geil waren
auf Ehrsucht und das Verlangen, sich hervorzutun. Deshalb wurden viele Kirchen
geschändet und geschlossen, den Privilegien wurde Gewalt angetan, Unschuldige
wurden in Kerker geworfen und auf verschiedene Weise gequält; der Zugang zu
den Fürsten wurde versperrt, die Verordnungen des göttlichen Rudolph wurden
verspottet, von den Andersmeinenden wurden einige durch Drohungen einge-
schüchtert, einige durch Ämter oder Geldgeschenke verführt, das Recht der Völ-
ker wurde umgestoßen, der Staat wie durch eine Sintflut überschwemmt und die
Religion durch außerordentliche Hinterlist in Unordnung gebracht. Wir bitten, be-
schwören, weinen, bedrängen durch demütiges Bitten ohne Unterlaß und halten
die Mühe aus in der Hoffnung auf Frieden. Aber vergeblich. Überall waren wir
sicherer als zu Hause, und durch vergebliche Bitten haben wir nichts ausgerichtet,
außer, daß wir durch Flehen, jene durch Zuhören ermüdet worden sind.
Nachdem wir also mit Gelassenheit in keiner Hinsicht Fortschritte machten und
immer schwerere Lasten denen täglich auferlegt wurden, die sie gleichsam mit
Leichtigkeit trugen, wiesen wir, nachdem alle Geduld aufgebraucht war, einige
von ihnen einfach zurück. Hierauf wurden die Fackeln des Krieges, den die Stö-
rer des Friedens so sehr gesucht hatten, angefacht; hierauf wurde der Janus-
tempel geöffnet; hierauf wurde alles durch Brände, Leichname, Schrecken und
Blut geschändet oder – wie jene rühmen – wieder gut gemacht und (mein Gott!)
Nunc in clementiae tuae sinum, non sine coelesti instinctu nos recipimus, ô R EX ,
cujus ipsum nomen etiam Pacem nobis promittit. Deus tibi det, Princeps indul-
gentissime, quicquid tam inusitata mansuetudo tua meretur: nos cultu et obse-
quio grati [C2r] erimus, si plura non possumus. Bohemos, Moravos, Silesios,
225 Lusatos qui nos dicet inposterum, multa dicet; plura, qui tuos. Tui sumus dum
sumus: pro te abire quandocunque Deus volet, felicissimum augurium putabi-
mus. Sardos ajunt sumpto herbae succo sub exitum vitae ridere: pro te morti
etiam obviam ibimus laeti libentesque si opus erit. Pro te pugnare gestimus: non
deerunt vires sub tam forti, non voluntas sub tam intrepido, non successus sub
230 tam justo duce militantibus. Vincemus armis, qui causâ vincimus. Finem perse-
quendi non lassitudo nostra, sed mors hostium faciet, et ferrum quod lentè
sogar verbessert. Ich schaudere davor zurück, über die selbst bei den Barbaren
unbekannte Grausamkeit zu berichten, die bei den Späteren kaum Glauben fin-
den wird: Weder das Wimmern der Neugeborenen noch das Schluchzen der Kin-
der noch die Tränen der Mütter noch das graue Haar der Greise hat die wütenden
und wilden Bestien gerührt; Jungfrauen wurden gemeinschaftlich vergewaltigt,
auf gleiche Art Starke und Schwache niedergemetzelt, Äcker verwüstet, die Mittel
des Königreiches aufgezehrt, durch Feuer vernichtet, was das Schwert übrig
gelassen hatte. Bisher haben wir das Bejammernswerte aufgezählt; nun heißt
es zum Beschämenden zu kommen: Eine Mutter warf ihre Kinder, damit sie
nicht durch die Schärfe der Schwerter umkamen, in den Fluß; die Körper der
Toten wurden inmitten der Kirchen aus den Grüften gezerrt; Frauen, die noch
nicht vom Alter gezeichnet waren, wurden entkleidet (die Christen sollen erstar-
ren) an Händen und Füßen auf die Altäre gebunden und vor den Türen der Kir-
che an Pfählen aufgerichtet; und andere Dinge von ganz und gar verabscheu-
ungswürdiger Grausamkeit wurden begangen. O Jahrhundert, an Grausamkeit
einfallsreicher als ein Mezentius, Tiberius, Nero oder Domitian. Wir Lebenden
reichen für die Schandtaten des Menschengeschlechts nicht aus, die Toten wer-
den herbeigeschafft. Daher wurde von den über solch gottlose Untaten Erbitter-
ten der Krieg zunächst unter die Heilmittel gezählt, damit sie wüßten, daß wir für
das Vaterland zu kämpfen imstande sind; und als wir davon abgelassen hatten,
Furcht zu empfinden, fingen wir an zu hassen. Und daß wir vom Königseid be-
freit waren, wird nur der leugnen, der das Recht und die Privilegien dieses Rei-
ches nicht kennt. Alle werden eher unsere Gutmütigkeit verspotten und entrüstet
sein, daß wir uns so lange eine unerträgliche Grausamkeit haben gefallen lassen.
Nun ziehen wir uns in den Schoß deiner Milde nicht ohne himmlischen Anstoß
zurück, o König, dessen Name selbst uns schon den Frieden verheißt. Möge
Gott dir geben, nachsichtigster Fürst, was immer deine so ungewöhnliche Sanft-
mut verdient: Wir werden mit Verehrung und Gehorsam Dank erweisen, wenn
wir nicht mehr vermögen. Wer uns künftig Böhmen, Mährer, Schlesier, Lausitzer
nennt, sagt vieles; mehr noch, wer uns die deinen nennt. Dein sind wir, solange
wir leben. Für dich zu sterben, wann immer es Gott beliebt, werden wir für ein
höchst glückliches Zeichen halten. Man sagt, daß die Sarden im Sterben lachen,
weil sie vorher einen Pflanzensaft zu sich genommen haben: Für dich werden
wir auch dem Tod fröhlich und gern entgegengehen, wenn es sein muß. Für dich
wollen wir gerne kämpfen; es wird nicht an Kräften mangeln den unter einem so
starken, nicht an Willen den unter einem so furchtlosen, nicht an Erfolg den un-
ter einem so gerechten Führer Kämpfenden. Wir werden mit Waffen siegen, die
wir durch die Sache siegen. Nicht unsere Müdigkeit wird unserer Gefolgschaft
ein Ende setzen, sondern der Tod der Feinde, und das Schwert, welches wir zö-
sumpsimus, lentè deponemus. Si numerus noster minor est, major erit animus:
nunquam multi sunt, qui occumbunt.
Dominum vniversi, qui mutat tempora et vices temporum, abjicit reges et insti-
250 tuit, publica voce supplices veneramur, Majestatem tuam custodiat, servet, pro-
tegat, regat consilia tua et cogitationes. Floreat sub te religio, et à pietate tuâ
incrementum accipiat fidemque veritatis; ejiciantur stirpes su-[C3r]perstitionis,
et deliria traditionum, abominationes ante oculos Dei. Confundantur hostes,
sequantur signa quibus obviam iverunt: Ziscam scopulum et terrorem malorum
255 bello, pace teipsum vincas; augeas regnum togatus, quod asseris armatus. Si verò
tristius quid paras, ô Deus, et finem laborum propter peccata nostra nondum
facis, fac vt pro nominis tui defensione, pro Principe nostro, pro libertate,
pro patria, aut superemus fortiter, aut beatè occumbamus, aut vtrunque. Tuere
imperium ejus qui tuam gloriam tuetur, eumque functum longissimâ statione
260 mortali, repositâ mole reipublicae felicissimâ, ab hoc caduco transfer ad scep-
trum vitae, quod non auferetur in aeternum.
gernd ergriffen haben, werden wir zögernd niederlegen. Ist unsere Zahl kleiner,
wird unser Mut größer sein: Es sind niemals viele, die sterben.
Wir bitten demütig mit lauter Stimme den Herrn der Welt, der die Verhältnisse
und den Lauf der Zeiten wandelt, Könige abberuft und einsetzt, er möge deine
Majestät bewachen, er bewahre, schütze und lenke deine Ratschlüsse und Über-
legungen. Unter deiner Herrschaft blühe die Religion und durch deine Fröm-
migkeit möge sie Zuwachs und Vertrauen in die Wahrheit finden. Ausgerissen
werden sollen die Wurzeln des Aberglaubens, die Irrtümer der Überlieferungen,
die Ungeheuerlichkeiten vor den Augen Gottes. Niedergeworfen werden sollen
die Feinde, folgen sollen sie den Zeichen, denen sie sich widersetzt haben: Žižka,
das Bollwerk gegen die Bösen und ihr Schrecken, sollst du im Krieg, dich selber
im Frieden übertreffen; im Friedenskleid sollst du das Königreich stärken, wel-
ches du in Waffen beanspruchst. Wenn du aber, o Gott, etwas Traurigeres bereit
hältst und wegen unserer Sünden unseren Leiden noch kein Ende gönnst, be-
wirke, daß wir für die Verteidigung deines Namens, für unseren Fürsten, für die
Freiheit und für das Vaterland entweder tapfer siegen oder glücklich sterben
oder beides. Schütze die Herrschaft dessen, der deinen Ruhm schützt, und ge-
leite ihn nach einem langen irdischen Wirken, nachdem er die glückliche Bürde
der Staatsführung abgelegt hat, von dieser Vergänglichkeit zur Herrschaft über
das Leben, die in Ewigkeit nicht genommen wird.
[C3 v] AD EVNDEM
VRATISLAVIAM IN -
GREDIENTEM , EPIGRAM -
MA EIVSDEM .
***
PANEGYRIS
In Magnifici Nobilissimi et Am-
plissimi Viri, Dn. LUDOVICI
CAMERARII Procancellariatum
Silesiae. Auctore Mart. Opitio.
Auf denselben,
als er in Breslau
einzog, ein Epigramm
von demselben.
Schau auf unser Breslau, König, das dir alles darbietet; es erhebt sich wie aus
pfälzischem Boden. Wenn du nach dem freundlichen Wesen der Menschen, nach
ihrem Rechtsverständnis suchst, wirst du sagen: Diese Stadt verkörpert mein
Wesen. Wenn du nach Wäldern und Feldern verlangst: Nicht großzügiger geben
sich Flora und Ceres an irgendwelchen anderen Orten. Diese Häuser bewohnen
Apollo und Apollos Schwestern, auf dieser Burg hält Mars die Waffen seines
Zornes. Deines Anblickes würdig sind, wohin immer du eilst, (10) Kirchen,
Marktplatz, Türme, Mauern, Gebäude und Straßen. Hierher hat die Natur ver-
schwenderisch ihre Gaben gebracht, und die Reichtümer des ganzen Erdkreises
erblickst du in dieser einen Stadt. Was aber besitzt die Oder, das dem rebentra-
genden Rhein vergleichbar wäre? Selbst sie wird, wenn du kommst, zu lauterem
Wein.
[H.-J.L., M.M., R.S.]
***
Lobgedicht
auf des höchst edlen und berühmten Herrn
Ludwig Camerarius’ Vizekanzlerschaft in Schlesien,
von Martin Opitz.
Deine Frömmigkeit und deine göttliche Begeisterung geboten nächst dem Kö-
nig auch dir, den schmachvoll mißhandelten Schlesiern Hilfe zu bringen und für
mein Vaterland da zu sein, damit nicht allein Gewalt und das Getöse der Waffen
das ganz für sich beanspruchen, was die durch die Mißgunst eines wilden Tyran-
nen unterdrückten Völker aufrichten und in ihre lange wankenden Rechte wie-
der einsetzen kann. Großer Dank sei dir, wenn dies genügt, aber der Himmel,
der dich den Elenden schickt, wird noch viel Wertvolleres geben.
O du den Göttern allzu teures Schlesien! Durch Krieg (10) gewinnst du, und
inmitten dieser gewaltigen Gefahren bereichern dich deine Verluste, obgleich
wir zu Unrecht Grausames erduldeten, nachdem der wahnwitzige Parteiklüngel
der Schlechten den Königen schändliche Liebe zur Treulosigkeit eingeflößt
hatte und das erschöpfte Böhmen, da seine Tore aufgebrochen waren, verlernte,
grundlos zu hoffen, und eine zornige Entschlossenheit mit Gewalt endlich zur
angestammten Freiheit aufbrach und sich durch das Schwert den Weg bahnte.
Aber so lange Jahre hindurch haben wir viel und oft unglaubliches Elend ertra-
gen, bis die Geduld durch den Schmerz besiegt wurde, (20) Widerstand leistete
und einige Männer nötigte, auf einem Weg fortzugehen, der Menschen zuvor
verwehrt war, und die Lehrer der Verbrechen und des Betrugs mitsamt ihrem
Sekretär unter das verstreute Papier schleuderte. Wie einst die Rechte des hoch-
gemuten Herkules die unheilvollen Stymphaliden vom Himmel herunterschloß
und zu Boden schlug, so soll mit einem einzigen Sprung sich davonmachen,
wohin er will, wer sich über Bürgerblut freut und die Könige zwingt, gegen eige-
nes Fleisch und Blut zu wüten. Von da an zeigte sich die Wut offen, und die
offensichtliche Zügellosigkeit des Krieges überfiel die Unglücklichen, von da an
stürzten ringsum Städte und Hütten (30) zusammen. Wie grausam erlebten wir
die Feinde, wie oft hielt sich Bucquoi in feindlichen Wäldern versteckt und fügte
aus dem Hinterhalt Leid zu. Und nicht anders wütete Dampierre, ein Nachah-
mer des Herzogs von Alba, überall mit Feuer und Schwert, zündete die Altäre
und selbst diejenigen, die seine Meute zu Göttern gemacht hatte, an und füllte
die ausgeplünderten Heiligtümer mit Toten. Die heimische Elbe schüttete man,
erbarmungswürdig anzusehen, mit den Leichen zu, und zäh floß die Moldau in
ihrem blutigen Bett. Es geht das Gerücht, daß eine junge Frau ihr eigenes Kind
den Fischen, die sich vom Blute nährten, vorgeworfen (40) und es lieber in der
reißenden Tiefe ertränkt habe, damit es dem Schwert entginge. Mit Gewalt, da-
mit keine unberührt sterbe, schändete Unverheiratete und Ehefrauen in gleicher
Weise die schändliche Begierde, und der ruchlose Trieb wurde zu einem Schritt
zum Mord. Warum beklage ich diese Dinge? Es ist ja noch ein kleines Verbre-
chen, mit dem Los der Lebenden sein Spiel zu treiben. Aber selbst gegen Gräber
gehen sie vor, und die in der Erde vergrabenen Leiber holen sie zurück ans Licht,
und die Teile der Mütter, die Erde und Scham verborgen hatten, enthüllt vor der
Schwelle der Kirche die grausame Tollheit des rasenden Soldaten.
Solches Übermaß an Verbrechen, soviel Blutvergießen, verwüstete Häuser,
(50) all die Leichen, die unbegraben überall auf den Feldern liegen, und den
allgemeinen Frevel hat die Sanftmut deiner Rechten, o Ferdinand, bewirkt. All
dies schreibt das Volk, das deinen Vorfahren sehr treu war, allein dir zu, für dich
brennt das Vaterland. Der König, der zu sündigen nicht verbietet, befiehlt es.
Wir sind also dorthin gegangen, wohin menschliches und göttliches Recht es zu-
lassen, und schon suchte dein nicht mehr sich unterwerfender Feind das Bündnis
mit einem fremden Fürsten, getrieben, die Krone, die dir keineswegs unter sol-
chen Bedingungen zugesagt war, anderswohin zu übertragen.
Jedoch wurde diese Sache nicht nur von menschlichen Kräften vorangetrie-
ben. Die Götter wollten es so, und nicht ohne göttlichen Willen (60) trittst du,
Friedrich, deine neue Herrschaft an. Wir, das unterdrückte Volk, fühlen die
Liebe Gottes und verehren dich dankbaren Herzens, du edler Abkömmling des
Himmels. Fast war es der Mühe wert, soviel Elend ertragen zu haben, ja vielmehr
werden uns die ungeheuren Verluste zu einem großen Gewinn. Mit deiner stra-
fenden Rechten wirst du, o Jüngling, die zum Unheil verschworenen Haufen zer-
schmettern, vor den Völkern, die grauenvolle Wunden erlitten haben, als Rächer
auftreten und in siegreichem Kampf den Frieden zurückbringen. Wenn du die
Mündungsgebiete der siebenarmigen Donau bezähmt hast, wird dein erhabener
Ruhm dich hoch oben im Himmel auf einem Triumphwagen (70) vor deine gött-
lichen Vorfahren stellen. Deine Feldzeichen wird das aufgeblasene Volk des Tajo
fürchten, dir wird an Frömmigkeit und an Waffengewalt niemand gleich sein,
deine Nachkommen werden die Herrschaft über das Nildelta hinaus ausdehnen
und nicht nur bis zur Grenze des väterlichen Rheins, sondern über die ganze
Welt weithin ihre Gesetze verbreiten. Einen solchen König bewilligte dir, gött-
liches Schlesien, die himmlische Liebe des Schicksals, doch in dieser großen
Gabe erschöpfte sich der Schatz der Götter noch nicht: Deinen Fürsten begleitet
auf seinem Weg ein Gefolge von seltener Erhabenheit. So verläßt der König der
Bienen, ausgezeichnet durch eine große Ehrengarde, seinen Stock und seine
wächsernen Reiche. (80) Ihm schützt die treue Schar der kleinen Quiriten seine
glänzende Flanke, und daneben fliegt eine noch vorzüglichere Nachkommen-
schaft und umschwirrt in bestimmter Ordnung die heiligen Rutenbündel.
Was nun soll ich für dich ersinnen, welche Flügel werden mich hinauf zu den
Wolken, zu den hohen Palästen deines Ruhms und deines Lobes, Camerarius,
tragen? Du wolltest, nachdem du deinen Geburtsort und die Ufer des Neckars
verlassen hattest, dich in unserem Land niederlassen und dein Heim in der Ferne
errichten. Du übernimmst eine Pflicht, die durch vielfältige und von gewaltigen
Ereignissen bestimmte Belastung erschwert ist. Der wichtigste Schutz unseres
Vaterlandes (90) wird deinen Waffen obliegen, die Klugheit des Königs wird aus
deinem Munde antworten, vor deinem Richterstuhl wird Gefälligkeit nicht das
Recht beugen, Gold wird nicht mehr bedeuten als die Gesetze, und nur eine gute
Sache wird deine Gunst finden. Nachdem so viele Völker auf der ganzen Welt
euch zu Recht verbunden sind, fordert auch unser Land die Tüchtigkeit der
Camerarii, die längst der ganzen Welt bekannt ist, seitdem deine Vorfahren,
bedeutende Vorfahren, durch den herrlichen Glanz ihrer Wissenschaften das
Barbarentum vertrieben hatten, das ein schlechtes und entartetes Zeitalter und
eine Schar von Geschorenen dem ahnungslosen Erdkreis auferlegt hatten. (100)
Doch durch deine erhabenen Taten verbreitest du den Ruhm deiner halbgött-
lichen Ahnen weithin und erweist dich als ein dieser Männer würdiger Nach-
fahre. Eher wird der Deutsche vor dem Spanier weichen und die Donau sich um-
wenden und für immer rückwärts fließen, als es mir gelingen wird, den ganzen
Stoff deines Lobpreises in würdigen Versen zu binden. Du trankest die Milch der
Peitho, nicht die einer menschlichen Mutter, Phoebus raubte dich schon aus der
Wiege und brachte dir, als du noch ein unreifes Kind warst, frühzeitig die Künste
nahe. Nach ihren Weihen verlangt nun auch mit heißer Leidenschaft dein Joa-
chim aus Liebe (110) zur ererbten Tüchtigkeit, indem er die Vorbilder der Seinen
nachahmt. Nichts nahm Untätigkeit von deiner Lebenszeit weg noch ver-
brauchte eine weichliche Trägheit durch schändliche Völlerei deine Kräfte, die
eine höhere Gottheit entflammt hatte, oder übergab der Arbeit nurmehr saftlose
Glieder. Vielmehr führte dich dein unermüdlicher und von edlen Regungen
leidenschaftlich glühender Geist über die wolkenhohen Alpen, da du mit nur
einem Land nicht zufrieden bist. So sucht der Seemann, ohne an die Wildheit
und die heulenden Stürme des Meeres zu denken, seinen Weg und verbreitet die
Waren, die unter anderen Sternen entstanden sind, (120) mit viel Gewinn in sei-
nem Vaterland. Mit diesen Schritten strebtest du nach Größerem, und, als du zu-
rückkehrtest, war ein Palast dein Hafen. Keinem Ziel verschließt sich dein so
feuriger Sinn, er eilt mit gewaltigem Schritt über das sterbliche Maß hinaus und
verachtet die Grenzen der engen Welt. Deshalb betrittst du, nachdem du den
lieblichen Schatten der Musen verlassen hast, ein weites Feld und verwendest
deine ganze Mühe auf das Wohl des Vaterlandes. Wie oft blickte die Ratsver-
sammlung zu dir auf, als unerhörte Worte aus dir herausflossen, und vernahm,
ängstlich wegen der unsicheren Zeiten, die Weissagungen deiner beredten
Zunge, (130) bis du dem Land, das unter der Last des Krieges schwankte, mit
Rat und Treue halfst, mit deinem so gütigen König mitten in den Aufstand ein-
***
ALIVD.
griffst und, die Befehle des großen Gottes befolgend, denen man sich nicht wi-
dersetzen kann, dich schließlich hier in diesem Land niederließest. Wohlan, sei
es, daß du gerne in den schlesischen Wäldern und den fruchtbaren Ländern
weilst – die Oder wird dir mit ihren lachenden Wogen Beifall spenden und zwi-
schen ihren grün belaubten Ufern entgegenströmen –, sei es vielmehr, daß dich
die glänzenden Dächer des großen Prag und die heilige Gegenwart deines Kö-
nigs aufnehmen, hilf hier, laß nun hier dem Vaterland deine ganze Liebe zukom-
men. (140) Der laubreiche Hügel der weissagenden Jetta oder die traubenbehan-
genen Weinstöcke des Neckar mögen dir nicht in höherem Maße gefallen: Hier
ist der Neckar, hier ist dein Vaterland. Was immer in diesem Land den Gebieten
am Rhein noch nicht ebenbürtig ist, das wird der Himmel hinzufügen, und unser
kummervolles Zeitalter wird sich unter der Leitung unseres Fürsten erneuern.
König der Menschen und Götter, auf dessen Geheiß so viele Jahrhunderte in
stetiger Ordnung dahingingen, den der Himmel, den die Erde fürchtet, beende
das wahnsinnige Waffengetöse, eile dem stürzenden Vaterlande zu Hilfe und
sende vom Himmel den Frieden! Genug hat der Feind gewütet, (150) genug
haben wir gebüßt. Es wurde alles angerichtet, was das reißende Feuer des Krie-
ges vermag. Wir gestehen, schwer gesündigt zu haben, und sind nicht frei von
Verbrechen. Aber die grenzenlose Sanftmut deines Herzens übertrifft jeden
Wahnsinn des verblendeten Lebens. Richte schließlich deinen Blick auf die
unglücklichen Bürger und verteidige die Würde Friedrichs, den du so hoch er-
hoben hast. So wird die wunderbare Kraft deiner Herrschaft über die Welt kom-
men, und das Rudel der Wölfe wird, gemahnt durch das Gewicht eines so großen
Vorbildes, danach niemals mehr in die Hürden des von dir auserwählten Volkes
einfallen.
[S.A.]
***
Ein anderes. [Glückwunschgedicht zur Promotion Zincgrefs]
Wer immer sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten, wie das
plumpe Volk urteilt, nicht mit allen Winden segeln, den werde ich genug und
übergenug widerlegen durch deine Unternehmungen, gelehrter J ULIUS. Die
freundlich gesinnte Thalia bot dir schon als unmündigem Knaben die Brüste.
Die pierischen Täler waren die Wiege, Vater Phoebus reichte dem scherzenden
Knaben die Zither, und mit Lorbeer (10) bekränzte er die für seinen Dienst be-
stimmten Schläfen. Daher stammen jene Anmut deines Geistes, der seltene
Liebreiz und der Glanz deiner Sprache; daher die gemalte Klugheit und die Bil-
M ARTINUS O PITIUS.
***
C ARMEN H EROICVM
CASPARIS CUNRADI V. C.
symbolo dictum,
vbi obiter de Proso!po"graphicis eius.
der, durch welche du die Tauben ohne Worte ansprichst; daher alles, was nie-
mand besser als du selbst durch einen zierlichen Vers an den Himmel erheben
könnte. Das schreiben die Musen sich zu. Aber indem du zugleich nach den Ge-
setzen und dem Recht strebst, zeigt die segenspendende Themis, daß sie nie-
manden mehr begünstigt. (20) Und nicht weniger weiß dies der heimische Nek-
kar, der den, der mit seinem Geist so viele Fährlichkeiten und so viele unebene
Wege durchmessen hat, krönt und deinetwegen sich selbst beglückwünscht. Und
es verbindet sich Zurückgezogenheit mit öffentlichem Wirken, das Recht mit
den Musen in reizender Gemeinschaft so, daß wahrhaft jedem offenliegt, wie
sehr unter Mißachtung der Vernunft lügt, wer immer, (30) wie das plumpe Volk
urteilt, sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten nicht mit allen
Winden segeln.
Martin Opitz.
[H.-H.K.]
***
Gedicht auf einen Helden
Auf den Wahlspruch
des hochverehrten Caspar Cunrad
mit gelegentlichen Hinweisen auf seine Prosopographia.
Wärest. Die Absicht des Heils war: Du sollst deine sämtlichen Werte
(Welche es sind, belehrt dich der Neid, er ist harmlos) vereinen
Und in deiner Person ein Muster vollkommenen Lebens
Geben, die Pfeile der Mißgunst, der gottlosen, von dir verweisen.
Dieses, das Heil, es wird dich, wo Äther, reiner durch Sternen- 40
See hin, entreiß die berühmten Verstorbnen, die lange schon trauern
Und dich seit Tausenden Jahren als Retter erwarten vor trägem
Altern, entreiß sie dem Staub, dem sandigen Staub, und verwehre
Vratislaviae scripsit
M. April. A NNO 1621.
MARTINVS OPICIVS
Bolislaviensis Sil!esius"
***
Nicht, daß die, denen einst das Leben geschenkt war, durch dich nun
Wieder geboren werden; ja, wenn du ihr Aufleben wünschest, 50
Wirke drauf hin, daß die Welt der Gelehrten die Schlaffheit verscheucht und
Wieder ersteht, und erbarm dich in Güte der Enkel, der Enkel!
Ist im Verfließen der Zeit zu diesen allmählich das Werk des
Glühenden Geistes gelangt, wird die Nachwelt zu weinen beginnen,
Wird bei sich um die Zeit, die untergegangene Weltzeit 55
Trauern und das, was ihr fehlt, mit geschwollenen Augen beklagen.
Siehst du, wie unsere Zeiten die größten Helden allmählich,
Große Hoffnung der Welt, unter deiner Leitung von neuem
Prüfen, die Werte, die schliefen, allmählich von sich wieder künden!
Nehme man alles hinweg, was die Vorzeit löblich begonnen, 60
Schlucke die Barbarei, nachdem sie vertrieben war, wieder,
Was Gelehrte geschenkt, mit gefräßigem Schlunde hinunter:
Desto mehr wirst du groß sein, je weniger Mangel an Kenntnis
All der früheren Dichter beginnt, geringer zu werden.
Was die erschlaffende Zeit und das fressende Sterben zurückdrängt, 65
Wird sich erheben in dir, vielleicht wird die Reihe der Dichter
Einzig durch dich jedermann offenbar – dein größtes Besitztum.
Du aber, höchster der Götter, des einzige Richtschnur im Heile
Sich begründet – die Weisheit Cunrads zerstreut solch Gewölke
Weit in die Ferne, so daß nach Vertreibung des Dunkels die Zeit, die 70
Lange sich selbst nicht kannte, sich endlich selber erkennen
Lernt: Gedenke, CUNRADUS im selben Heil zu bewahren,
Das ihn alle die frommen Gelehrten zu retten befähigt’.
In Breslau geschrieben
im Monat April 1621
von Martin Opitz
aus Bunzlau in Schlesien
[G.B.]
***
Martinus Opitius.
***
Ad Serenissimum Principem
GEORGIUM RUDOLPHUM,
Obitum conjugis incomparabi-
lis lugentem,
Lyricum.
Martin Opitz.
Alles, was deine glückliche Hand für das Wohl von Schriftstellern geleistet hat
und was das Papier, auch wenn es alt sein wird, niemals verschweigen wird –
wenn du das alles nach Heller und Pfennig wie ein unerbittlicher Kassierer
zurückforderst, wird alsbald die ganze Welt in deiner Schuld stehen. Was wird
die himmlische Redegewandtheit des großen Cicero sich einfallen lassen? Was
die Steine und der gelehrte Marmor des latinischen Bodens? Was Seneca? Wird
er seine aufgeritzten Adern als Entschuldigung anführen? Was wird die beredte
Zunge meines Tacitus sagen? Nimm du als Bürgen die Götter, einen anderen
Gewährsmann können wir nicht bieten: (10) Nur die Kasse der Götter genügt
für deine Verdienste. Wenn du dann aber einmal an unsere Dichter kommst und
zu ihnen ein wenig strenger sein willst, wird das ganze Völkchen, auch sonst
bedürftig, in Geldnöte geraten: Niemand sonst hat zuvor den armen Männern
mehr geliehen. Die Gedichte Martials schulden dir ihr Leben; magst du auch
Niederländer sein, bist du doch selbst auf spanischem Boden geboren. Du hast
den tragischen Kothurn gelehrt, besser zu stehen: Das große Cordoba kennt
nicht den Scheiterhaufen des Herkules. Und schon wird auch aus Davus ein
Ödipus, ein Lucius aus Plautus, (20) nach seinem schlechten Zustand und den
vielen Zeichen der kritischen Behandlung. Erst haben von Plautus’ Mund die
Musen sprechen gelernt; nun aber lernt wahrhaftig Plautus aus Gruters Mund zu
sprechen.
[C.K.]
***
O heller Stern des göttlichen Schlesiens, durch welche Gewalt wird dir, der
du nichts dergleichen erwartest, die heldenhafte Gemahlin durch ein jähes Ge-
schick mitten aus den Armen entrissen, während doch das Feuer der gewandten
Jugend noch reichlich vorhanden und der rosenfarbene Schimmer der Wangen
***
[D1v] Ad CL. V. D N .
MICHAELEM BARTSCHIUM,
amicum fraternâ fide sibi
junctum.
nicht entflohen ist? Zu Recht bestürmst du die Götter mit schwermütigen Kla-
gen und trauerst um die dir entrissenen Freuden, eingedenk (10) dessen, was die
Süße des gemeinsamen Hochzeitslagers mit sich zu bringen pflegt. Doch der un-
gestüme Nordwestwind reißt alles mit sich. Freilich verbieten es das Gesetz des
Todes und die heilige Macht der Götter, daß irgendjemand nach dem Hinschei-
den zu uns in diese Ruinen des morschen Erdkreises, die dem Einsturz nahe
sind, zurückkehrt. Auch wir müssen diesen Weg gehen, während die Parzen mit
gerechtem Daumen die schwankenden Schicksalsfäden abspinnen; (20) indessen
ziemt es sich, daß wir, die wir sicher sind, daß wir weder auf diesem Erdboden
ständig bleiben noch ewig in der Erde bestattet ruhen, die Geschosse des heftig
brausenden Geschicks mit mannhaftem Sinn ertragen. 0
Martin Opitz.
[W.N.]
***
An den hochangesehenen Herrn
Michael Bartsch,
den ihm in brüderlicher Liebe
verbundenen Freund.
Auch dies nun muß man dem mißgünstigen Schicksal zuschreiben, lieber
Bartsch, du Teil und Freude meines Herzens, daß ich fast immer dann den lieben
Freunden entrissen werde, wenn sie den süßen Dienst an der Venus ankündigen.
Reiste ich nicht, als unser Freund Kirchner einst sich anschickte, dies zu tun, zu
den fruchtbaren Ufern des nun traurigen Neckars? Nun, nachdem du schon so
viele Völker überall auf Erden gesehen hast, schmiegt sich auch an dich eine
süße Freundin. Ich aber ziehe von hier in die Ferne an das äußerste Ende der
Donau, (10) um zu sehen, ob das tapfere Dakien die Musen liebt. Ein hartes Los
fürwahr, aber ich werde mich mit einer einzigen Hoffnung trösten: Daß ich da-
nach auch dasselbe Glück erleben kann wie schon einmal. Denn als ich am Ende
des Sommers nach Hause zurückkehrte, war Kirchner schon Ehemann und Va-
ter zugleich. Es möge, wer euch beiden in anderer Hinsicht Gleiches gewährt
MART. OPITIUS
iter Pannonicum moliens raptim
scripsit BolesL. S I L. Non.
MaI. A. M DXXII . [sic!]
hat, Freunde, euch auch hierin das Gleiche gewähren, und keiner von euch bei-
den lasse es zu einem unfruchtbaren Ehebett kommen. So genügt es mir, wenn
mir schon die Blumen, wenn mir die Freuden des Frühlings versagt bleiben, we-
nigstens später die vollen Scheunen zu sehen.
MART. OPITIUS
schrieb dies eilig vor der Abreise nach Ungarn
in Bunzlau in Schlesien
am 7. Mai 1622.
[W.-W.E.]
Lieber Bartsch (denn ich denke gerade an dich, der du meine Unruhe deuten
magst), was hat mich – bei allen Göttern! – gezwungen, meine teure Heimat zu
verlassen, da ich mich jüngst in schleunigem Lauf bis zu den Fluren Dakiens auf-
machte, als hätte ich ein schlechtes Gewissen, ja geradezu als drohte mir die
Todesstrafe? Obwohl mir Nasos reizende Muse die Sinne raubt, habe ich doch
wirklich (10) nichts verbrochen, was eine Verbannung wie die seine verdient
hätte, wenn ich mich richtig erinnere. Auch hat mich nicht die düstere Armut
und häusliche Not hierher vertrieben, den Göttern sei Dank. Ja, dort hatte ich
sogar viele liebenswerte Freunde, mit denen ich die Mußestunden häufig sorglos
mit Gesang und Wein und, was vielleicht die Hauptsache ist, mit Liebe, ange-
nehm ganz wie im Flug vergehen lassen durfte. Ich habe trotzdem meinen Vater
und meine Heimatstadt (20) und deinen und meinen Freund Kirchner und
jenen, dem die Nuß, die mit dem Weg verbunden ist, den uns so lieben Beinamen
gegeben hat, und das treue Mädchen gänzlich verschmäht, wie es die zu tun pfle-
gen, die die leichtfertige Begierde nach Neuem entflammt. Aber jetzt ist der er-
MART. OPITIUS
Lusi Cassoviae, Pridie Cal.
Jun. A. MDcxxii.
***
Praestantissimorum Sponsorum
P AULLI H ALLMANNI
et
D OROTHEAE B AUDISIAE
Nuptiis.
ste Würfel schon fast gefallen und Pannonien besiegt; es bleibt noch in nächster
Zeit ein zweiter Weg zu gehen, zwar nicht jener Weg des Todes, der dir und
mir gemeinsam sein wird, sondern einer, der mit seinen vielen Dornen härter ist
(30) als jener, den du bald in der Umarmung deiner schönen Braut in vollen
Zügen genießen darfst. Während tagtäglich ein großer Teil des Volkes meinen
Weg geht, ist deiner einzig von dir betreten worden. Wohlan, nimm die Orte ein,
zu denen du dich aufgemacht hast; und während dich, mein Bruder, vielleicht
günstige Winde in eine gastliche Bucht tragen werden, sag: „Wieviel lieber wollte
unser Opitz diesen Weg, der ihm verwehrt ist, beschreiten und nicht immer wie-
der, während ihn seine Feder trägt, den feuchten Boden verabscheuen, (40) der
nun, während er an der wilden Donau ist, weiß, was er hier aufgegeben hat, und
nicht weiß, was an Gutem oder Schlechtem er dort finden wird.“
***
Zur Hochzeit
der vortrefflichen Brautleute
Paul Hallmann
und
Dorothea Baudissin.
Bis jetzt sahen wir die aonischen Mädchen bäuerliches Land und gerade einmal
bescheidene Hütten bewohnen, nicht beherbergten hohe Häuser die heiligen
Nymphen, und erhabener als der Parnassus-Berg war der Hof. Nicht ertrug dies
unser Fürst, die einzige Hoffnung der Heimat, sondern lud die umherirrenden
Göttinnen in seinen Palast. Soweit es die großen Mühen, die er für die Freiheit
auf sich nimmt, zulassen, legt er die finstere Strenge ab und verehrt sie allein.
Daß der Held auch dich mit so großer Leidenschaft ohne weitere Veranlassung
M ARTINUS O PITIUS
ipso nuptiarum die scripsi.
***
V!iro" C!larissimo"
B ERNHARDO G VILIELMO
N ÜSSLERO
S UO
S alutem D icit M ARTINUS O PITIUS.
! " ! "
(10) liebt, das alles verdankst du deinen Künsten. Daher erhältst du soviele
Ehren (daß nur das Gift des Neides abgewehrt wird) und, was immer dieser Ort
an Gutem gibt. Daher überläßt dir – aber das Schicksal nennen wir hier trotzdem
noch – jene zweite Kythereria eine Seite ihres Bettes, mein Freund. Wer auch im-
mer du bist, der du die Musen liebst, wage es, den Blick auf dich zu lenken; unter
so mächtigem Schutz wird auch Liebe zu uns entstehen.
***
Daß dieser Lobgesang, mein lieber Bruder Nüßler, bereits in Dakien, wo ich zuerst
an ihn die Feder ansetzte, dir gewidmet war, zeigt schon die dessen Anfang voran-
gestellte Elegie (wenn die schwerfälligen Verse diesen Namen verdienen). Die
Gründe, die mich damals dazu veranlaßten, waren gewiß berechtigt genug; nicht
geringfügigere sind jedoch seit der Zeit, als ich zu euch zurückgekehrt bin, hinzu-
gekommen. Denn – um von unserer unvergleichlichen Freundschaft gar nicht zu
sprechen, die unter einer gewiß einzigartigen Führung der Natur von Kindesbei-
nen an so weit gediehen ist, daß nicht nur diejenigen, mit denen wir bis jetzt gelebt
haben, Zeugnis von ihr ablegen können, sondern sogar gerade die Nachwelt, wenn
sie sich überhaupt um uns kümmert, dank der Dichtung von ihr erfahren wird –
dieser dein aufgeweckter Geist, deine vielseitige Gelehrsamkeit und die bereits
über dein Alter hinaus so verfeinerte Urteilskraft haben mich derart eingenom-
men, daß ich dich schon immer für eine nicht unbedeutende Zier der im Nieder-
gang begriffenen Wissenschaft – was das Unheil unserer Zeit ist – gehalten habe.
Hinzu kommt die Beschäftigung mit der geistlichen Literatur, der du dich, sooft
sich nur eine Gelegenheit bietet, mit einer solchen Lust hingibst, daß ich dich nicht
wenigen auch unter denen, die dies hauptberuflich betreiben, vorzuziehen wage.
Ich behaupte, daß ich dein Beispiel aber auch gegen diejenigen nötig habe, die,
wenn sie einmal die Blicke auf unser Leben heften, das hauptsächlich Betätigungen
in der Öffentlichkeit gewidmet und nichts weniger als streng ist, meinen, wir küm-
20 locus iste non permittit ut recenseam. Porro, quoniam eo seculo nati sumus, quo
gratis nec offertur quicquam, nec accipitur, te, à quo extra constantem amicitiam
nihil po-[A3r]scimus aut expectamus, donare hac strena voluimus, ut videant ob-
trectatores, nos praeter benevolentiam bonorum et honestam nominis existima-
tionem nihil amplius expetere.
25 -
µ« « 4 $µ« '!«,
merten uns um Dinge von größerer Bedeutung entweder viel zu selten oder ohne
rechte Aufrichtigkeit. Daß sie dabei selbst zuweilen von der Sorte sind, die
und die gelehrten Studien werden mit solcher Gunst aufgenommen, daß sich
vortreffliche Gönner sogar von selbst allenthalben anbieten, durch deren Glanz,
Freigebigkeit und Einfluß jene sich gegen das von Neidern und vom Schicksal
gleichermaßen zugefügte Unrecht mühelos wehren können. Von anderen will ich
nicht reden, denn mir genügt das einzigartige Beispiel des hochachtbaren Man-
nes und Vaters der Musen, Heinrich von Stange. Daß ich eine ganz besondere –
und beinahe die einzige – Frucht meiner Studien diesem äußerst gebildeten Ritter
zu verdanken habe, kann ich selbst hier nicht verschweigen. Wenn du übrigens ir-
gendetwas in diesem Gedicht suchst außer der Würde des Stoffes (eines besseren
hat sich wahrlich kein Dichter jemals angenommen), dann bist du vollkommen
im Irrtum. In welchem Zustand ich mich damals während des Schreibens befand,
welch schwere Krankheit mich befallen hatte, welche Sorgen mich umschlungen
hielten, hast du mehr als einmal gehört. Daß aber ein Mensch in diesem Zustand
etwas Lebenskräftiges und etwas, das über die Gedanken des gemeinen Mannes
hinausragt, hervorbringen kann, glaubst weder du, Nüßler, noch glaubt es sonst je-
mand, der die Erhabenheit der göttlichen Kunst etwas gewissenhafter, ohne Neid
bei sich erwägt. Also wirst du vorliegendes Werk allein seines Inhalts wegen lie-
ben, da es hier um die Wiege unseres allersüßesten Heilandes geht. Oder wenn du
sonst noch etwas Gutes darin finden solltest, selbst das sollst du einzig und allein
demjenigen anrechnen, ohne dessen Hilfe, wie jeder Christ wohl weiß, kein
Sterblicher irgendetwas irgendwo vollbringen kann. Leb wohl, lieber Bruder, zu-
sammen mit unserem hochgeschätzten Kirchner, und achte die Feinde der Lite-
ratur, wie wir es tun, wacker für nichts. Liegnitz, am 30. Dezember 1623.
[P.F.]
Mächtige Seelen, die einst die Macht des Heiligen Geistes ein unsterbliches Werk
schaffen hieß, das uns nur von der himmlischen Liebe, nicht aber von Venus und
den schändlichen Pfeilen des blinden Gottes erzählt, so wie dein Lied sich er-
hebt, herrlicher Prudentius, und wie du es singst, zu den Sternen entrückter Lak-
tanz: Wenn es erlaubt ist und Gott gefällt, laßt mich meinen Mund an euren
Quellen netzen (denn das Naß der Musen taugt hier nichts)! Die Niederkunft der
Jungfrau – welcher Stoff wäre des Verses würdiger? – (10) und den Geburtstag
des Menschen, der Gott selbst ist, werde ich besingen. Komm, Menschenge-
schlecht, wir wollen jene Wiege anschauen, in welcher dein wahres Heil, dein
ganzes Leben liegt. An einem so festlichen Tag sollen weltliche Geschäfte ruhen!
Kein eitles Treiben herrsche in den Städten, keins auf den Äckern! Die blinde
Weisheit der alten Philosophen soll schweigen, und Neptuns Schar soll die blei-
chen Segel streichen! Die Anwälte sollen sich hüten, ihre käufliche Beredsamkeit
ohne Hemmungen anzuwenden; die verfeindeten Scharen sollen die blutver-
schmierten Waffen niederlegen: Der Friedensstifter ist gekommen, Wonne der
Himmelsbewohner und der Menschen. (20) Selbst die himmlischen Heerscharen
kommen begierig herbei, um ihn zu sehen. Und es bedarf keiner Fackeln: Sterne
zeigen die kleine Hütte an, in der jene gewaltige Sonne unseres Lebens liegt. Du
süße Zier der Schöpfung, unseres Geschlechts einziger Lichtstrahl, den beide
Welten mit willigem Herzen verehren: Wenn wir dir keine vergänglichen Ge-
schenke und keinen morgenländischen Reichtum an der Schwelle eines marmor-
nen Tempels darbringen, so nehmen dich, holder Knabe, die Armut, eine Freun-
din der Frömmigkeit, doch dem Truge verhaßt, und ein vom Glauben erfülltes
Herz auf. Wo gab es etwas Einfacheres als arme Hirten? (30) Trotzdem lädst du
diese als erste zu deinem Fest. Während die Herren der Welt und die Könige,
vielleicht vom Wein gefesselt, die schweren Glieder durch einen tiefen Schlaf
stärken, füllt das zwar verachtete, doch für den Glauben empfängliche Volk
glücklich und vergnügt deine Grotte, nachdem es seine Herden zurückgelassen
hat, und eilt dir entgegen. Sei also auch diesen Zeilen gewogen (ich weiß genau,
daß jene anderen ein Werk deiner Gnade sind)! Auch du, Nüßler, mein immer
[…]
treuer Kamerad, den die Musen und Themis als den Ihren betrachten, (40) begib
dich im Geiste – leibhaftig kannst du das ja nicht – hierher, wo die einstige
Kolonie des großen Rom gestanden hatte, und spende deinem Dichter – wer
könnte Größeres wünschen? – auch nur ein bißchen von deinem vortrefflichen
Geist! Denn eine zehrende Mattigkeit und die Heimsuchung der Glieder durch
Krankheiten lassen mich kaum die Finger bewegen – zu schweigen von anderen
Dingen. Doch die Stunde wird kommen, die uns nach so vielen Gefahren auf
heimatlichem Boden wieder gnädig zusammenführen wird. Inzwischen – denn
mir bleiben wohl nur Wünsche übrig – leb wohl, lieber Freund, und laß es dir
besser gehen, als es mir geht.
[P.F.]
[…]
Du siehst, gütiger Vater, die Kriegshaufen in ihrem rötlichen Glanz auf deinen
Feldern ringsum, und die grausamen Völkerscharen, die deine Heiligtümer plün-
dern. Das feindliche Heer hat deine Tempel entweiht mit grimmigem Eisen.
Die erhabene Königin der Städte liegt danieder, und Jerusalems Türme streifen
die Erde. Die Wut der Gottlosen fütterte die unreinen (10) Vögel mit dem über
die Felder verteilten Gehirn und ließ wilden Tieren die Eingeweide des gott-
gefälligen Volkes zum Fraß. Die unschuldige Erde war rot, benetzt vom wider-
lich verwesenden Blut der Bürger, und aus dem Blut der nicht begrabenen Lei-
chen entsprangen Flüsse zwischen neuen Ufern. Treulos lachen die ungastlichen
Nachbarn über unser Unglück und laben ihre wilden (20) Gemüter an dem trau-
***
rigen Untergang – ach! – der ihnen Nahestehenden. Gott! Welches Ende wartet
denn auf die so oft verlassene Gemeinde? Hat denn die Flamme deines Zorns
nicht genug glühende Asche aufgewirbelt? Zerschmettere lieber die Heereshau-
fen, die dich nicht kennen, mit einem Schlag deiner furchtbaren Rechten und
überziehe die meineidigen Könige mit dem Blitz, den sie herausgefordert haben!
Diese verwüsteten den Sitz und das friedliche Haus deines Jakob (30) mit wüten-
dem Feuer: Nur noch Schutt bleibt allenthalben auf den schändlich zugerich-
teten Feldern übrig. Laß ab davon, die Schuld sündiger Zeiten mit allzu harter
Strafe zu verfolgen, und richte das durch heftige Stürme zermürbte Volk auf!
Wir bitten dich bei der majestätischen Ehre deines heiligen Namens und bei dei-
nem göttlichen Willen, leg deine Waffen für uns an und (40) laß die Schar der
Gläubigen nicht im Stich! Damit der Neid der Gottlosen uns nicht zugleich
kriegsuntüchtig und gottverlassen schimpft, eile herbei als sicherer Rächer des
für dich streitenden Blutes. Zerreiße die schändlichen Ketten des Volkes in der
schweren Bedrängnis und weise die bitteren Tränen der dich Anrufenden und
ihre zu den Sternen emporgesandten Klagen nicht ab! Vergelte ihnen, nachdem
(50) die Festungen zerstört worden sind, das Übel, das sie zugefügt haben, sie-
benmal und wende die Schmähungen, mit denen uns der Nachbar in seinem
Übermut so oft beworfen hat, gegen ihn selbst. So werden wir dann für immer
und immerzu als deine Herde mit dir gehen, stets bereit und gewillt, mit einem
Mund, der kein Falsch kennt, das dir geweihte Lob anzustimmen.
[P.F.]
***
***
Beinahe nichts, beredtester Cunrad, ist unter den Gebildeten bekannter als dein
Leitspruch, und zwar durch diesen Wettstreit mit deiner seit so vielen Jahren le-
bendig bewahrten gelehrten Frömmigkeit. Ja, ich erinnere mich, daß auch ich
einst als Knabe mancherlei gewagt habe unter diesen Schwänen, aber eben nur
als Knabe, der den tiefen Sinn nicht erkannte und die Worte nicht gut abwägte.
Nachdem ich jedoch die Kinderschuhe abgelegt, die Heimat, (10) wie es mein
Alter verlangte, verlassen und fern von euch den beängstigenden Blitzschlag
eines ungünstigen Geschicks zu fürchten gelernt hatte, da ergriff mich, wie ich
war, ganz und gar dieser liebliche Satz oder ich ihn. Da erkannte ich mehr und
mehr, was dein alter Wahlspruch „Beim Herrn ist Heil“ bedeutet. Besonders
neulich, als ein zehrendes Fieber meine geschwächten Glieder niederzog und
sich mir nirgends mehr (so groß ist die Verlassenheit (20) von guten Menschen in
einem Land, das ja keineswegs schlecht ist) irgendein brauchbarer Rat zeigte, bat
ich Gott nur um dieses Heil und spürte, daß die Kräfte des Geistes und des Kör-
pers, was kein Arzt und keine Medizin vermocht hätten, schneller als je erhofft
zurückkehrten. Es mögen Heimat und Eltern weit von mir entfernt sein, auch
die geliebten Freunde (dies zu sagen, fällt mir schwer!) und was immer den Da-
heimgebliebenen Freude macht – ich bin nicht allein, wo das Heil bei Jehova ist.
***
vix recenseri, nedum satis commendari possunt. Est hoc magnorum Principûm
inter caetera non leve onus, quod in omnia dicta, facta, et mores eorum, dixerim
paenè in ipsas cogitationes, exquisita diligentia inquiratur: non fores modò et
55 atria, sed cubicula etiam intimosque secessus, curiositas humana petit, et praeter
expectationem, abditissima quaeque in oculis populi, et luce clarissima expo-
[149]nit. Inquisiverint undique, omnes angulos perreptaverint, nihil penes no-
stram fuit, quod, si proferatur, non gloriae ipsi maximae et honori futurum sit.
Poterat in hac Mariti Serenißimi eminentia, ad quam Numen coeleste et forti-
60 tudo bellica eum provexerant, vento quodam Superbiae, solenni foeminarum
morbo abripi: sed illa nihil sibi, ex tanto rerum secundarum affluxu, nisi gau-
dium vendicavit, nihil ab ea, quam à teneris prae se tulerat continentia quicquam
descivit. Ita dùm Heros noster arces expugnat, urbes subiugat, instantes hostium
catervas frangit, illa interim domi insolentiam, adversarium humani generis
65 longè validissimum: vicit et prostravit. Eadem, quanto amore maritum, quanta
subditos clementiâ, quâ munificentia inopes, qua peccantes venia, qua humani-
tate notos ignotosque prosecuta fuit? Nihil illa castius, nihil sobrius, nihil mode-
stius, nihil mansuetius, universum hoc seculum vidit. Et cum viva egenos paverit,
captivos vestierit, afflictis subvenerit, quotiesque potuit fortunae interceßerit,
70 ne moriens quidem illiberalis esse voluit, sed stipem pauperibus non exiguam te-
stamento reliquit; ô verè publicum bonum et in commune auxilium natam! For-
titudinem verò illius et constantiam prorsus masculam, si nihil aliud, extremus
profectò vitae actus abundè ostendit. Invaserat eam paulò vehementius in itinere
fatalis iste morbus, et vires corporis tenerrimi non mediocritèr attriverat: sed ne
75 reclinare se quidem in currum voluit, princeps ad omnes casus excipiendos pa-
ratissima; nedum ut ullam doloris impatientiam vel vultu, vel verbis indicasset.
Claudiopoli postea, cum imminere fatum sibi suum cerneret, medicorum indu-
striam aut contempsit, aut ne contempsisse videretur parcè admisit. Perpendebat
nisse vor den Augen des Volkes und am hellichten Tage aus. Sie mögen überall
nachgesucht haben und in jeden Winkel gekrochen sein, doch gab es bei unse-
rer Herrin nichts, was ihr nicht zu größter Anerkennung und Ehre gereichte,
wenn es denn publik gemacht würde. Angesichts der herausragenden Stellung
ihres durchlauchtigsten Gemahls, zu der ihn die Macht des Himmels und die
Tapferkeit im Kriege emporgetragen hatten, hätte sie vielleicht gleichsam vom
Wind des Hochmuts hinweggerissen werden können, was ja bei Frauen eine
ganz übliche Krankheit ist. Doch hat sie von all dem Überfluß an Erfolgen für
sich selbst lediglich die Freude darüber beansprucht. Sie ist kein bißchen von je-
nem Pfad der Zurückhaltung abgewichen, dem sie von Jugend an gefolgt war.
Während also unser Held Burgen eroberte, Städte unterwarf, die andrängenden
Scharen der Feinde schlug, besiegte und bezwang sie zur gleichen Zeit zu Hause
den Hochmut, welcher ja der bei weitem mächtigste Feind des Menschenge-
schlechts ist. Welch’ große Liebe hat eben diese Frau gegenüber ihrem Ehe-
mann gezeigt, welche Milde gegenüber ihren Untertanen, welche Großzügig-
keit gegenüber den Mittellosen, welche Gnade gegenüber den Sündern, welche
Menschlichkeit gegenüber Bekannten und Unbekannten! Dieses ganze Zeital-
ter hat nichts Reineres, nichts Enthaltsameres, nichts Bescheideneres, nichts
Sanftmütigeres gesehen als sie. Und da sie zu Lebzeiten die Armen speiste, die
Gefangenen kleidete, die Unglücklichen unterstützte und, so oft sie es konnte,
dem Schicksal in den Weg trat, wollte sie nicht einmal im Sterben ohne Freige-
bigkeit sein, vielmehr hinterließ sie in ihrem Testament den Armen einen nicht
geringen Betrag. Sie war wahrhaftig ein Segen für die Allgemeinheit und gebo-
ren als Hilfe für die Gemeinschaft! Ihre Tapferkeit und geradezu männliche
Standhaftigkeit zeigt zur Genüge, wenn man schon nichts anderes nennen will,
auf jeden Fall der letzte Akt ihres Lebens. Ziemlich heftig hatte sie auf der Reise
diese tödliche Krankheit befallen und die Kräfte ihres überaus zarten Körpers
in erheblichem Maße erschöpft. Doch die Fürstin, aufs beste gerüstet, alle
Schicksalsschläge hinzunehmen, wollte nicht einmal im Wagen ruhen, ge-
schweige denn, daß sie durch den Gesichtsausdruck oder durch Worte irgend-
eine Spur des Unvermögens gezeigt hätte, den Schmerz zu ertragen. Später
dann in Klausenburg, als sie sah, daß ihr Ende bevorstand, verschmähte sie die
Mühe der Ärzte entweder völlig oder aber ließ jene jeweils für kurze Zeit vor,
um nicht den Eindruck zu erwecken, daß sie sie verschmähte. Denn als die klüg-
ste unter den Heroinen bedachte sie natürlich die Bedeutung dessen, was sie zu-
rückließ, und auch die Bedeutung dessen, dem sie nun näher und immer näher
kam. Sie sah, daß all das, um dessentwillen wir über das Meer fahren, die Erde
umgraben, pflügen, Krieg führen, schwitzen und frieren, noch um einiges we-
niger als nichts ist und daß dieses ehrgeizige Lebewesen, das wir ‚Mensch‘ nen-
nen, wie eine Seifenblase erst glänzt und dann zerplatzt. Also ließ sie den Tod,
zu dem die meisten von uns im Würgegriff wie zu einem Richter und ins Ge-
fängnis geschleppt werden, mit unverändertem Gesichtsausdruck und ruhigen
Sinnes an sich heran. Man hätte meinen können, sie habe einen geschätzten und
befreundeten Gast zum Essen eingeladen, dessen Ankunft sie sich gleichsam
wie von hoher Warte aus sehnlichst erhoffte. Denen, die sie mit Sprüchen aus
der Heiligen Schrift trösten wollten, nahm sie jedes einzelne Wort aus dem
Mund, und obwohl sie körperliche Qualen litt, wollte sie sich auf keinen Fall im
eifrigen Beten übertreffen lassen. So übergab sie, erfüllt von der Hoffnung, er-
füllt vom Glauben, erfüllt von der Ewigkeit, von der sie schon als Mensch einen
Teil zu empfangen schien, freudig und gern ihre überaus keusche Seele unserem
Heiland, der sie mit seinem Blut erlöst hatte, und ließ ohne irgendeine Klage
oder ein Zeichen des Bedauerns diese hinfällige Wohnstätte hinter sich. O,
glücklich bist du, seligste Susanna, die du, noch während du lebtest, zu sterben
gelernt hattest, die du deinen Herrn und Gott ins Herz geschlossen hattest,
durch dessen Tod unser Tod vollkommen vernichtet worden ist. Nun bist du
dorthin verbracht worden, wo du doch mit der Seele schon immer verweiltest,
als es dir mit dem Körper noch nicht gestattet war. Das Sterbliche an dir, d. h.
deine von Muskeln umhüllten Knochen, deine Haut, die sich darüber spannte,
und alles übrige, durch das wir wie durch Ketten gefesselt sind, hast du der gro-
ßen Mutter zurückgegeben, deren Teil es gewesen ist. Du aber bist ewig, du bist
unvergänglich, du hast jetzt ein besseres Dasein, befreit von fremden Lasten
und nur noch dir selbst überlassen. Sei gegrüßt und lebe wohl, o prächtiger
Schmuck, einst der Erde, nun des Himmels. Wir alle werden dir folgen in der
von Gott gewollten Anordnung. Bis dahin werden wir, soweit es in unserer
Macht liegt, in ewigem Lob dein von größter Unschuld bestimmtes Leben der
Nachwelt in Erinnerung bringen und die Sehnsucht nach dir durch eine wür-
dige Betrachtung deiner Tugenden lindern. Auch dich, durchlauchtigster Fürst,
ruft hierher deine Gattin, welche von dir innig geliebt wurde, solange es das
Schicksal zuließ. Sie wünscht, du mögest, wenn du dich ihrer erinnerst, bei dir
eher an den überaus glücklichen Ort denken, an dem sie sich jetzt aufhält, als ihr
in Klagen und unnützer Trauer nachweinen. Nichts, was in ihrem Falle gesche-
hen ist, war wider die Natur. Diese Sonne, dieser Mond, diese Welt, diese Erde,
dieses Meer erleben in jedem Augenblick ihre eigene Veränderung. Die Bäume,
die Pflanzen, die Blumen und wilden Tiere sind alle ein und demselben Gesetz
unterworfen: entstehen und vergehen. Ob du nun frühere oder unsere eigenen
Zeiten betrachtest: Ganze Städte, ganze Reiche und Völker wechseln zu wieder-
holten Malen ihre Herren oder werden vollständig zerstört. Und da sollte es je-
mand von uns wagen, sich die Unsterblichkeit zu erhoffen? ‚Alles Fleisch ist
Gras und alle seine Herrlichkeit ist wie eine Blume auf dem Felde‘. Vergleiche
die Lebenszeit eines Menschen (mag sie auch noch so lang sein) mit dem end-
feris, una lex posita est, nasci et interire. Sivè priora sivè nostra inspicis tempora,
civitates integrae, integra regna et nationes, aut dominium subindè mutant, aut
110 funditûs delentur. Et nostrum aliquis immortalitatem sibi spondere audeat? Om-
nis caro est foenum, et omnis gloria eius sicut flos campi. Confer aetatem homi-
nis etiam longissimam, cum infinito magni illius aevi cursu: vix momentum erit.
Imò, confer totum hunc terrarum ambitum, cui tam superba Europae, Asiae,
Africae, Americae, nomina imposuimus, cum immensis coeli spaciis: pedis men-
115 suram non excedet. Nihilominus strenua nos exercet inertia. Quidam urbes fun-
dat, quidam evertit. Hunc ambitio sua, magnarum plerumque animarum pestis,
illum avaritia dormire non sinit. Est qui quaerit opes, est qui lancinat. Vbique
spes aut metus, ubique invidia; ubique luxus regnat et petulantia. Dubito certè
fleveritne prudentius Heraclitus, an Democritus riserit, nisi quod calamitas hu-
120 mana ineptiis plurimum antecellit. Neque aliam nobis vitam, natura cum nos
ederet permisit, quam à lachrymis omnes auspicamur. Ista conditione huc intra-
mus, hoc initium est, quod reliquus annorum ordo imitatur. Alius laborem, alius
egestatem; alius exilium, alius haec omnia, cum quibus se exerceat habet. Ista si
desunt, negotium nobis ipsi facessimus, et vitam quam cum somno partimur,
125 molitione magnarum rerum, et insatiabili votorum ambitu torquemus. Inter haec
plerumque mors ex transverso incurrit, et febricula inepta, aut calculo aliud
agentium curas abrumpit. Idque sine ullo dignitatûm accidit aut aetatis respectu.
Sicut poma quaedam acerba adhuc avelluntur, quaedam maturitate victa ultro
decidunt: ita nostrûm pars in herba et flore annorum, pars verò demùm, sed ta-
130 men avocamur.
[152] Et his quidem Senectus, quam diu optaverant, si contingit molesta est:
sic aut morbos illa secum trahit, aut ipsa morbus est. Vt ita quod ad eam uxor
tua Sereniß!ima" non pervenerit, Princeps Clementißime, queri non sit necesse.
Satis enim diù vel naturae vixit vel gloriae. Peregit cursum à Supremo Numine
135 sibi datum, et virtutes quibus gravior aetas interdum ornata est, maturitate inge-
nij percepit. Molestias autem eius nullo vivendi dispendio effugit. Possidet jam
pro mortali hoc Regno Regnum immortale, solius agni immaculati Iesu Christi
losen Lauf jener ewigen Zeit: Es wird kaum ein Augenblick sein. Mehr noch:
vergleiche den gesamten Umfang aller Länder, denen wir die stolzen Namen
Europa, Asien, Afrika und Amerika gegeben haben, mit den unermeßlichen
Räumen des Himmels: Er wird das Maß eines Fußes nicht übertreffen. Nichts-
destoweniger hält uns geschäftiges Nichtstun in Atem. Der eine gründet Städte,
der andere zerstört sie. Den einen läßt sein eigener Ehrgeiz (diese Krankheit
befällt zumeist große Persönlichkeiten), den anderen seine Habgier nicht schla-
fen. Es gibt Leute, die Reichtümer zu erwerben suchen, und es gibt Leute, die
ihre Reichtümer verschwenden. Es herrscht überall Hoffnung oder Furcht,
überall Neid, überall Verschwendungssucht und Dreistigkeit. Ich bin wirklich
im Zweifel darüber, ob größere Klugheit im Weinen des Heraklit oder im La-
chen des Demokrit liegt – außer daß das menschliche Elend die Torheiten bei
weitem übertrifft. Und als die Natur uns hervorbrachte, hat sie uns nur ein sol-
ches Leben gestattet, welches wir alle unter Tränen beginnen. Unter diesen Um-
ständen treten wir hier ein, dies ist der Anfang, den die restliche Abfolge der
Jahre nachahmt. Der eine hat sich auseinanderzusetzen mit Schinderei, der an-
dere mit Entbehrung, der dritte mit Verbannung, der vierte mit allem zusam-
men. Sofern dieses nicht auftritt, bereiten wir uns die Probleme selber und quä-
len unser Leben, welches wir ja auch noch mit dem Schlaf teilen müssen, mit der
Durchführung großartiger Pläne und mit dem unersättlichen Ehrgeiz unserer
Sehnsüchte. Dabei kommt uns zumeist ganz unerwartet der Tod in die Quere
und beendet durch ein lächerliches Fieberchen oder ein Steinchen die Sorgen
der Menschen, welche gerade mit ganz anderem beschäftigt sind. Und dies ge-
schieht ohne Ansehen des Ranges oder des Alters. Wie manches Obst gepflückt
wird, obwohl es noch unreif schmeckt, anderes hingegen überreif von selbst
herabfällt, so wird auch ein Teil von uns auf dem Halm und in der Blüte seiner
Jahre abberufen, ein anderer Teil erst ganz spät, aber schließlich doch. Und
wenn diesen Leuten das Alter, welches sie sich lange ersehnt haben, zuteil wird,
ist es ihnen beschwerlich. So nämlich bringt es entweder Krankheiten mit sich
oder ist selbst eine Krankheit. Daß deine durchlauchtigste Gattin, gnädigster
Fürst, bis dahin nicht gelangt ist, ist deshalb kein Grund zur Klage. Denn für
ihre Natur und ihren Ruhm hat sie lange genug gelebt. Sie hat den ihr vom all-
mächtigen Gott gegebenen Lauf vollendet und die Tugenden, mit denen das
vorgerückte Alter bisweilen geschmückt ist, durch die Reife ihres Charakters in
sich aufgenommen, hingegen ist sie seinen Beschwernissen ohne Beeinträchti-
gung ihres Lebens entflohen. Statt dieses vergänglichen Reiches hier gehört ihr
nun das unvergängliche Reich, das durch das Blut des einzig unbefleckten Lam-
mes, Jesu Christi, gewonnen wurde. Keine Kriegsmaschinen, keine Soldaten,
keine Belagerungstürme und Festungen waren hierzu erforderlich. Tränen, Ge-
bete, Seufzer und gottergebener Glaube: dies ist es, wodurch sie kraftvoller als
sangvine partum. Nullis hic machinis, nullis militibus, nullis turribus opus et pro-
pugnaculis fuit: lachrymae preces, gemitûs fides in Deum conversa, haec sunt,
140 quibus quavis ballista aut tormento fortiùs beatas illas coelitûm sedes perrupit.
In hanc Translata Regiam, procul à morbis, à suspicione, livore, et armorum qui-
bus totus Orbis ferè iactatur insania, iis perfunditur gaudiis, quae nec oculus vi-
dit, nec auris audivit, nec quisquam mortalium cogitationibus unquam compre-
hendit. Commigravit è tenebris in lucem, è fluctibus ad portum, è carcere ad
145 libertatem, eam agit vitam, quae nec temporis nec felicitatis termino ullo conti-
netur. Sedet plena Deo, in media beatarum animarum Corona, cincta est mille
Angelis, quos castimonia et sanctitate hic imitabatur; intuetur iam de facie ad
faciem Patrem, Filium et Spiritum Sanctum, infinitam et aeternam Trinitatem: ad
cuius nos genua supplices procidimus et ex animo oramus, erigat consolatione
150 viduum Serenissimum, et addat aetati eius, quicquid annorum Heroinae nostrae
detraxit. Sera sit dies ô Deus, quae Principem optimum ad defensionem Relligio-
nis et Patriae natum, reposcat; concede ipsi pacem, concede securitatem, aut si
infidae paci apertum bellum praeferendum est, da ut infandas hostium molitio-
nes, constantèr sicut hactenus, evertat. Et quoniam contra relictam Ecclesiam
155 tuam, totus furor inferorum in [153] nostra praesertim Germania exsurgit, ac velut
compos iam victoriae crudelitèr nobis insultat, fac ut infracto animo pro nominis
tui gloria, pro libertate, pro aris et focis vivere discamus et mori. Sine te, Deo
exercituum, victore nostro et Duce nihil possumus. Tu auxilium tu fortitudo no-
stra es. Veni igitur et noli tardare. Redde illis sanam mentem, qui simultatis et in-
160 vidiae studio aut imbelli metu perculsi, divortium à bona causa fecerunt. Erige
afflictos, et pulsis iniquis possessoribus suam cuique Patriam redde: donec te in
altera, quae supra nos est Patria, in quam beatissimam Principem praemisimus,
celebremus sine fine et laudemus. Amen.
dichten die unglücklichen Hirten, und vom Tau benetzte Fluren lassen die trau-
rigen Weisen widerhallen. Auch mich, den die himmlische Macht das Vaterland
verlassen und dieses Land, diese Stätte bewohnen ließ, auch mich, der ich gerade
über die erste Schwelle (40) geschritten bin, erfreut es nicht, die soeben empfan-
genen Saiten der traurigen Lyra erklingen zu lassen. Doch sei unter Tränen ge-
grüßt, Dakien, du ob deiner berühmten Fruchtbarkeit mächtige und große Mut-
ter üppiger Ernten, die du reich bist an vielfältigen Schätzen, erfüllt von Waffen
und tapferen Männern, doch nun deiner Herrin beraubt. Dies ist nämlich die
Grenze weltlicher Macht. Zu allen kommt früher oder später mit gleichem
Schritt voll Unheil der Tod. Für mächtige Städte ist dieses Gesetz festgelegt, und
selbst Königreiche stürzen dereinst, gleichsam von ihrem eigenen Alter und
Moder besiegt, zusammen: damit ja niemand glaube, daß wir, ein sterbliches Ge-
schlecht und todgeweihte Glieder, (50) unser Leben in ununterbrochenem Lauf
führen könnten. Diese unsere Seele, ein edler Abkömmling göttlichen Odems,
dauert fort, wenn uns der Untergang dahinrafft, steigt in ungehindertem Lauf zu
den wehenden Lüften empor und strebt zu dem glänzenden Bau des ihr ver-
wandten Himmels. Hierhin, großer Vater des Vaterlandes, ist deine Gattin hin-
übergetragen worden, frei von jenen Sorgen, mit denen sich die elende Welt
quält. Wenn du nur die Jahre zählst, so könnte sie noch leben; und nicht be-
drückte sie, wie üblich, die schwerfällige Last des Alters. Doch wenn du mir den
Reichtum, wenn du mir die Ehrungen abwägst (60) und alles Gute, was uns in
diesem Leben zuteil werden kann, so war sie zusammen mit dir, hochbegnadeter
Fürst, zu dem Gipfel gelangt, auf den dich Gott und deine erhabene Kraft erho-
ben haben. Da alles andere erreicht war, blieb ihr nur noch der Himmel, und hier
ist sie nun. Weiter als bis dorthin kann niemand von uns gelangen.
[T.H.]