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Lateinische Werke 1

Texte und Übersetzungen

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2 Musaeis, Weigeli

Ad eund!em"

ANDREA, amice care quamuis nupere,


Multi, ceu vt mores nunc sunt mortalium,
Licet anserinis plumulis suaue incubent,
Alios pati velint non perfunctorie,
5 In messe vberrima robusti gaudii:
Tamen nec quid nec quare ad ima saepius
Audaciore nisu repunt culmina:
Alii quidem pati incipissunt paululum:
Sed, antequam sat, insolentes finiunt.
10 Mihi, et tibi, non fallor, istiusmodi
In intimam mentem sedet sententia:
Et desiens, et otiosus gloriae
Sunt ambo egeni, desiens nam gloriam
Mox non habebit, otiosus non habet.
15 Age factita quod hactenus, cum gloria
Per vorticem te sic migrato ad verticem.

AVT · HOMO · AVT · POETA


Pro tempore.
Ex tempore
Fautori ac amico serio
inscripsit Ao.
M DC XIV.
VI. EID. XBR.
Mart. Opicius
Boleslauiensis.

***
In Philologiam seu Crisin.
Per classicam gentem volasse quid prodest,
Quum nec polus petatur hisce nec terra?

Ad Auctorem libri.
Musaeis, Weigeli, diis adamate, Poetae
In te qui iuuenis sit amor penna indice nosce:
Ardore in tantum te diligit admirando
Vt quaecunque potest, quanquam sint paucula, voto,

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Musaeis, Weigeli 3

An denselben [Andreas Lucae]

Andreas, teurer Freund, wenngleich seit kurzem erst: So wie heute der Menschen
Sitten sind, kriechen viele, obwohl sie selbst bequem auf Gänsedaunen liegen
und wünschen, daß andere sich bei der überreichlichen Ernte handfester Freude
anstrengen (und das nicht wenig), trotzdem – mir nichts, dir nichts – öfters mit
ziemlich dreistem Bemühen auf recht niedrige Gipfel. Andere mühen sich an-
fangs ein wenig, aber bevor es genug ist, hören sie, der Mühen ungewohnt, auf.
(10) Du und ich, da täusche ich mich nicht, sind im Innersten der festen Über-
zeugung: Sowohl der Unbeständige wie der Faule sind beide arm an Ruhm, denn
der Unbeständige wird den Ruhm bald nicht mehr haben, der Faule hat ihn über-
haupt nicht. Also mach weiter, was Du auch bisher getan hast, ruhmvoll bewege
dich so durch den Sturm zum Gipfel.

Entweder Mensch oder Dichter.


Für den Moment.
Aus dem Moment
Dem Gönner und wahren Freund
schrieb dies im Jahre
1614
am 6. Tag vor den Iden des Dezember [8.12.]
Martin Opitz
aus Bunzlau.
[W.-W.E.]

***
Gegen die Philologie oder Kritik.
Was nützt es, die klassischen Gefilde durchflogen zu haben,
Wenn in diesen weder Himmel noch Erde angesteuert werden?

An den Autor des Buches.


Weigel, den die göttlichen Musen liebgewonnen, erfahre, welche Liebe des ju-
gendlichen Dichters zu dir besteht – meine Feder sei Zeugin: Mit gewaltiger Glut
liebt er dich in dem Maße, daß er das, was auch immer er vermag, obwohl es we-
niges ist, mit heißem Schwur – ich spreche aus dem Innersten meines Herzens –

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4 CEu muto Zephyri
5 Dico ex mente animi, calido in te transdere malit,
Quam centum ingratis cassùm prodesse cuculis.
Insanit verum qui a sese spernit amicum.
#E ξ 
$ ’    –

– ET NOS CEDAMVS –
Mart. Opicius Silesius
fecit inuocatus
fratri coniurato et
quasi–vero
VII. Quintilis.
Anno M DCXV.

***
URbem qvi volet aestimet, diesque
Civico numeret meros labello,
Otioque terat laborioso
Ad marcorem animi virentis annos.
5 Nobis non vacat esse tam beatis,
Et per rura, per arva, perque colles
Festivos nimis et nimis facetos
Malumus, Deus audiat, beari:
Bene hic vivere, et hic bene esse salvi.
10 Scultetus pater integri bonique
Exemplum probitatis invidendae,
Qvanta qvaeso beatitate fertur,
Qvi hic ad assiduas humi medullas,
Campi Gratiolas Lubedinesque,
15 Ut vixit sibi, sic Deo interivit.
M ART. O PITIUS S ILESIUS.

THRENUS DE VITA
numeris simplicibus.
CEu muto Zephyri sub murmure fota canori,
Infans et lucis nescia, luxuriat
Ad spinas belle rosa, desiliente humore
Roscida sub noctis sidera de foliis
5 Vix ac vix clausis: jam sensim blanda videres
Alarum lepidi surgere remigia

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CEu muto Zephyri 5

lieber Dir anvertrauen will, als hundert undankbaren Gimpeln erfolglos zu nüt-
zen. Toll ist, wer von sich aus den wahren Freund verschmäht.
Denn das Edle wirst Du wohl von den Edlen lernen.

FÜGEN AUCH WIR UNS!

Martin Opitz, der Schlesier,


fertigte dies auf Verlangen
seinem verschworenen und
fast wirklichen Bruder
am 7. Juli
1615.
[H.B., V.M.]

***
Wer will, mag die Stadt hochschätzen und seinem städtischen Liebling ganze
Tage widmen, und er mag in mühseliger Muße seine Jahre bis zur Auszehrung
des jugendlichen Sinnes hinbringen. Uns steht es nicht frei, so glücklich zu sein,
sondern lieber wollen wir uns auf dem Land, in den Feldern, auf den allerlieb-
sten, prangenden Hügeln – Gott mag’s hören – vergnügen. Hier ist gut leben,
und hier ist gut sicher leben. (10) Scultetus, der Vater des Reinen und Guten, ein
Vorbild bewundernswerter Rechtschaffenheit – in welcher Glückseligkeit eilt er
wohl dahin, er, der, wie er hier auf dem besten Stück der Erde, in der Grazie und
Anmut des Landlebens sich selbst lebte, so für Gott gestorben ist.
Martin Opitz aus Schlesien

Klagelied über das Leben,


in einfachen Rhythmen.
Wie die unter dem stillen Gemurmel des säuselnden Westwindes gehegte junge
und das grelle Licht nicht kennende Rose hübsch an ihrem Dornbusch auf-
sprießt, wenn das Naß unter den tauigen Sternen der Nacht von den kaum, ja
kaum noch geschlossenen Blättern herabläuft – da könntest du sehen, wie schon
allmählich die zarten Flügelruder der anmutigen Blüte sich erheben und die
strotzenden Gaben der goldenen Farbe sich mit dem lebhaften Licht der Venus

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6 FLecte Venus
Floris, et aurati praegnantia dona coloris
Se Paphiae vivis pingere luminibus,
[A3v] Dum mundo croceis illudit Lucifer umbris,
10 Musaeisque canit gens levis organulis.
Hanc circum puros exercet Cypris amoreis,
Et Nymfae inplicitis mutua suaviolis
Delitias faciunt molleis, Charitesque Leporesque
Arva per innocuis dulce fluunt choreis.
15 Ast ubi Sol campos sitienteis feruit adultus,
Flammeaque in teneram dirigit ora rosam,
Paulatim, ac Veneris crudo certamine lapsam,
Spinae vexatis torret in huberibus,
Jam moritur mella arridens calathorum obeliscus,
20 Et timidis rosa clinata cacuminibus
Vernili gemitu crispanteis vertice crines
Colligit, incretis languida fornicibus.
At Nymfis superant turpes lacrymae et singultus,
Et privae casto flore gemunt miserae.
25 Sic vita spinis neqvam compressa, repente
Nascitur, et tristi solvitur interitu.
I D . M ART . O PITIUS Bol!eslaviensis"

***
FLecte Venus roseas aura nubente columbas,
Et fla festiuis insolitum Zephyris:
[D2v] Cernis vt auratis virgo redimita corymbis,
Ignoto timidas picta pudore genas,
5 Defendat Sponsi ferventia corda novelli,
Queis dudum curis ebrius intimiis
Fluctuat et vireis iterum atque iterum elanguenteis
Solari integris inde cupit lacrymis.
Et flammis rigidi totum externata caloris,
10 Tantum secretis artibus incaleat,
Ceu Maenas, sacro Bacchi lymphata furore,
Huc illuc thyrso perfurit icta gravi,
Ipsa, sui plane non conscia, lente inclinat,
Nec sensit grauidis saucia vulneribus?
Mart. Opicius Silesius.

***
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FLecte Venus 7

zieren, solange der Morgenstern die Welt mit krokusfarbenen Schatten umspielt
(10) und das muntere Volk mit musischem Organ singt. Ringsherum regt Kypris
zu ungetrübter Liebe an, die Nymphen vergnügen einander mit Küßchen und
gegenseitigen Liebkosungen und die anmutigen Grazien strömen in harmlosen
Tänzen lieblich über die Felder. Sobald jedoch die Sonne zunimmt, die dürsten-
den Felder erwärmt, ihr flammendes Antlitz auf die zarte Rose richtet und all-
mählich die vom frühen Wettstreit mit Venus Erschöpfte ausdörrt, indem sie die
Wasserspeicher des Dornbuschs angreift, da stirbt bald der honigduftende Blü-
tenkelch ab, (20) zieht die Rose, an ihren empfindlichen Enden eingesunken, mit
demütigem Seufzen ihre an der Spitze eingerollten Blütenblätter zusammen,
wird schlaff und senkt sich zu einem Bogen. Doch den Nymphen bleiben nur
entstellende Tränen und Schluchzer, und der keuschen Blume beraubt, seufzen
die Unglücklichen. So ist das nichtige Leben von Dornen bedrückt; rasch ent-
steht es, und in einem traurigen Untergang löst es sich wieder auf.
Derselbe Martin Opitz aus Bunzlau
[R.S.]

***
Lenke, Venus, den Flug der rosigen Tauben, umhüllt von
Wolken, und lasse zum Fest seltenen Zephyrus wehn!
Siehst du: die Jungfrau, bekränzt mit golddurchwundenem Efeu,
Schamrot auf neue Art schüchterne Wangen gefärbt,
Wehrt den glühenden Sinn ihres frischgebacknen Gemahls ab – 5
Trunken von furchtlosem Drang schwankt er schon lang hin und her,
Sucht sich hierauf mit Tränen, ganz runden, darüber zu trösten,
Daß die Beherrschung der Kraft wieder und wieder erschlafft –,
Sie, durch die Flammen der Glut von Sinnen, die gnadenlos aufsteigt,
Gänzlich von Sinnen, sie schwitzt, heimlich von Listen erhitzt, 10
Wie die Mänade, erregt von heiligem bacchischem Wahnsinn,
Wenn sie hierhin und dort heftig der Thyrsusstab traf,
Rast und, ganz des Bewußtseins beraubt, allmählich dahinsinkt,
Schwanger verwundet, jedoch ohne Empfindung davon.
Martin Opitz aus Schlesien.
[G.B.]

***
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8 NOn sum augur
I.
LAdae tuo remorae esse, summe Bucreti,
Non est lubido, sed tamen
Properare carmen posse festivum nego,
Lentor cerébrum praegravat,
5 Ante ista concinnata mitto tempora,
Nova fingat Sponsus omnia.
Non ita me tristes rigidum cepêre Catones,
Non ita Musaeis ebria charta jocis,
Ut nullos, mi Sponse, qveam effutire lepóres,
10 Aversisque tuam vultibus aspiciam
Sponsam, qvae tanto tibi cor splendore serenat,
Ceu cum Luna vagum protulit os latebris
[B3r] Coeli suspensis, astri hanc comitare choreae
Protenus, et taciti lumina sparsa poli.
15 Cernis ut ignoti mens praescia tota pudoris,
Purpureis blandum vultibus incaleat,
Occultosque oculis furtivis spiret amores,
Mnemosynesque avidas fixa trahat pateras.
Queis te corditrahis solabitur elanguentem
20 Fluctibus, et gratis implicitum stimulis.

At tu candida Sponsa nostra, virgo


Nimis mollicula, et nimis pudica,
Salve et pellepidi rudis doloris
Nondum conscia, nunc ini maritas
25 Leges, ac Veneri medulliugae
Laeta fac hodiè ut virago: nam cras
Tota dissimilis tui redibis.

II.
Ad Sponsum.
NOn sum augur fateor, verum hoc praedíco: maritus
Probabis et probabere.
MART. OPITIUS SIL.

***

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NOn sum augur 9

I.
Nein, Euren Eilkurier, Herr Rindfleisch, hoher Herr,
Will ich nicht warten lassen, doch
Ein Festtagscarmen eilig schreiben kann ich nicht,
Erschlaffung lähmt mir schwer das Hirn.
So schick’ ich etwas, was in früh’rer Zeit entstand; 5
Der Bräut’gam forme alles neu!
Traurige Richter der Sitten vermochten es nicht, mich zu härten,
Mein von musischem Spaß volles Papier untersagt
Nicht, daß ich Euch, Herr Gemahl, ein paar Scherze verplausche, bewirkt nicht,
Daß ich die Braut, das Gesicht seitwärts gewendet, beschau’, 10
Die Euch das Herz so sehr, mit solchem Strahlen erheitert,
So wie, wenn Lunas Gesicht schweifend aus ihrem Versteck,
Hangenden Wolken, erscheint, sofort der Reigen der Sterne
Luna umgibt und Gestirn, streuend in schweigsamer Höh’.
Seht Ihr, wie ihre Seele in Ahnung noch neuer Beschämung 15
Ganz sich erhitzt, ihr Gesicht lieblich sich purpurn verfärbt,
Wie sie aus diebischen Augen die heimliche Liebe verströmt und
Schalen der Musen bekommt, gierige, ist sie durchbohrt.
Diese Verströmungen sind’s, die das Herz erhöhen, womit sie
Schlaffheit beseitigen wird, einwickeln, reizen nach Wunsch. 20

Aber, strahlende Braut des Festes, Jungfer,


Allzu lieblich und allzu schamhaft gleichfalls,
Gruß dir! Ohne Erfahrung, unbekannt mit
Äußerst neckischem Schmerz bisher, erkenn’ nun
An, was Ehe verlangt, und opfre heut’ der 25
Ehestifterin Venus freudig, heldisch,
Morgen wirst du verändert wiederkehren.

II.
An den Bräutigam.
Freilich, ich bin kein Prophet, doch sag’ ich voraus: Nach der Hochzeit
Gefällt’s Euch, Ihr gefallt dann auch.

Martin Opitz aus Schlesien


[G.B.]

***

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10 STRENARUM LIBELLUS

MARTINI
OPITII
BOLESLAVIENSIS
SILESII
STRENARUM
LIBELLUS,
VAL. SANFTLEBEN
Praetori & Rectori patriae
consecratus.
GORLICII
Iohannes RhaMba eXCVDebat.

[A1v]

MARTINO OPITIO
Juveni Literatissimo.

Musa, Minerva, Crisis, sibi te legêre ministrum:


Fungâre officio fac benè, Phoebus eris.

C ASPAR C UNRADUS
Phil. et Med. D.
Breslae.

IX. IXbr. A.C.


MDC XV.

[A2r]

V!iro" A!mplissimo" VALENTINO


SANFTLEBEN
S. P. D.
QUantum eo nomine, Vir Amplissime, me efferam, quod in hac vestra republica
natus et educatus sim, dici non potest: quando et laus ipsius infantiam mei ser-
monis fugit, et beneficia quae ex ea hausi, cum huc nihil quam prolixum ac inex-
haustum amorem afferre possim, meipsum excedunt. Inter caetera autem eum
5 diem maximè memoria extendo, quo te praeceptore primum usus sum. Tu cum
videbas me Latinitatis avidum, pudicam orationem et naturali pulcritudine exur-
gentem puero induisti. De aliis non dico, ne veritatis verba adulationis putes.
Quam incredibili vero gau-[A2v]dio me ista afficiunt, tam aeterna tristitia damnat

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STRENARUM LIBELLUS 11

Des Martin
Opitz
aus Bunzlau
in Schlesien
Neujahrswünsche,
Valentin Senftleben,
dem Richter und Rektor der Heimatstadt,
gewidmet.
Gedruckt in Görlitz
bei Johannes Rambau.

Für Martin Opitz,


einen jungen Mann von höchster Bildung.

Die Muse, Minerva und Krisis erwählten dich zu ihrem Diener.


Erfülle gut deine Pflicht: Dann wirst du Phoebus sein.

Caspar Cunrad,
Doktor der Philosophie und der Medizin,
in Breslau.

Am 9. November im Jahre des Herrn


1615.

Dem würdigen Herrn Valentin Senftleben wünsche ich alles Gute.

Wie stolz ich darauf bin, würdiger Herr, in dieser eurer Stadt geboren und erzo-
gen worden zu sein, läßt sich nicht in Worte fassen, weil sowohl deren Ruhmes-
würdigkeit die Sprachlosigkeit meiner Rede überfordert als auch die Wohltaten,
die ich aus ihr geschöpft habe, über das, was ich erwidern kann, hinausgehen, da
ich hier nichts beitragen kann als den breiten und unerschöpflichen Strom mei-
ner Liebe. Neben allem anderen aber denke ich immer wieder an den Tag, an
dem ich dich zum ersten Mal zum Lehrer hatte. Als du mein großes Interesse an
der lateinischen Sprache erkanntest, stattetest du den Knaben mit einer anstän-

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12 STRENARUM LIBELLUS

rerum mearum tenuitas, quae tuis beneficiis nunquam superesse poterit. In


10 ostentationem tamen doloris, et ut scias quantum te colam, compendiariam gra-
tiae inveni, haec ingenii ,     , et nec stanti nec sedenti
elapsa. Credendum tamen, fore aliquantivis precii, quia tibi sunt consecrata: Sunt
praeterea joci in fine, quibus nequicquam offensae periculum est. Viro enim
 $φ
 !) " commisi, et venustas citra obscoenitatem nullibi exulat. Vale
15 %& 
«, et vive.
Boleslaviae Sil!esiae" Anno MDC XVI. extremo Jan!uario"

[A3r]

JESU CHRISTO
IMMANUELI
Saluti Viventium.
DUm Cauri ac miseri Boreae gemitus spirantes
Tristia sub brumae frigoris egelida
Eructant rigidas glaciali murmure crustas,
Aeraque infestis spiritibus feriunt,
5 Tunc miserabilibus languescunt mortibus omnes
Fontes et montes et nemora et siluae.
Sed quando molli se verna nitela susurro
Exerit, et dulces jam renovant Zephyri,
Ingeminant blandos formosa prata cachinnos,
10 Et totus mundi circulus una rosa est,
Et pecus emissum late detondet eburnis
Falcibus arguti graminis ambrosiam,
Pastores ovibus juncti palantibus, antro
Pana omnes, omnes Pana venire fremunt.
15 Pan venit, atque feras ovibus defendit, amore
Longo irretitus languiduli pecoris.
Iam caput auricomum maturius extulit Eos,
Solans diffusis obvia tempe oculis,
Musaeisque avium junctim pendentia ramis
20 Collegia aetherio carmine luxuriant,
[A3v] Pan venit, et laetum mundo meditatur amictum,

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STRENARUM LIBELLUS 13

digen und in natürlicher Schönheit emporstrebenden Beredsamkeit aus. All das


andere erwähne ich nicht, damit du die Wahrheit nicht für Schmeichelei hältst.
Aber so sehr mich diese Dinge mit unglaublicher Freude erfüllen, so sehr ver-
dammt mich die Beschränktheit meiner Mittel zu ewiger Traurigkeit, weil sie
deine Wohltaten niemals wird übertreffen können. Um meinen Schmerz zu
beweisen und damit du weißt, wie sehr ich dich in Ehren halte, habe ich mir als
kurzen Ausdruck meines Dankes diese „aus dem Moment improvisierten Zeug-
nisse“ meines Talentes, die mir zwischen Tür und Angel eingefallen sind, ausge-
dacht. Ich darf dennoch glauben, daß sie einen – wenn auch nur ganz kleinen –
Wert haben werden, weil sie dir gewidmet sind. Außerdem stehen Scherze am
Ende, mit denen keinerlei Gefahr besteht, Anstoß zu erregen. Denn ich vertraue
sie einem Mann „nicht ohne Anmut“ an, und Anmut ohne Anstößigkeit ist über-
all zu Hause. Lebewohl, mein „heimatliebender“ Mitbürger.
Bunzlau in Schlesien, am 31. Januar 1616

An Jesus Christus
Immanuel,
den Heilsbringer der Lebenden.
Wenn das dumpfe Blasen des Nordwest- und des schrecklichen Nordwindes bei
der traurigen Kälte des Mittwinterfrostes unter eisigem Krachen starre Eis-
krusten bersten läßt und die Luft mit feindlichen Böen peitscht, dann liegen in
beklagenswerter Abgestorbenheit darnieder alle Quellen, Berge, Haine und Wäl-
der. Aber wenn Frühlingsglanz sich mit zartem Summen ausbreitet und dann die
süßen Zephyre sich erneut erheben, wenn aus anmutigen Wiesen wieder schmei-
chelndes Gelächter erschallt (10) und der ganze Erdenkreis eine einzige Rose ist
und das hinausgeführte Vieh weithin mit den elfenbeinfarbenen Sicheln seiner
Zähne des raschelnden Grases Ambrosia mäht, dann jauchzen die Hirten in der
Höhle gemeinsam mit der schweifenden Herde alle, daß Pan, daß Pan kommt,
jauchzen alle. „Pan kommt und wehrt die Raubtiere von den Schafen ab, be-
strickt von seiner langen Liebe zu dem trägen Vieh.“ Schon erhebt Eos ihr gold-
gelocktes Haupt früher und erquickt mit weitschweifendem Blick das vor ihr
hingestreckte Tal, und, auf beschwingten Ästen schwebend, (20) ergötzen sich
gemeinsam der Vögel Chöre mit luftigem Lied: „Pan kommt und ersinnt der

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14 STRENARUM LIBELLUS

Pan venit, et campos conficit Elysios.


Sic nos damnati tenebris te, Jesule, vento,
Lecta tibi vernis turba beamur agris.

GEORGIO TIEFFENBACH
Viro Consulari.
TIeffenbachiades, patrij fons aureus agri,
In quo foeta situ terra Bolesla rigat,
Et Sais, et Charites, Paphie, Lepor, Hora, Venustas,
Et Themis, et Themidis Cypris alumna lavant,
5 Iustum in nescio quo dicunt mersisse profundo,
Hactenus ut nemo quiverit eximere.
In te deposuit justi alma potentia fontem,
Repperit in rivis patria nostra tuis.

ELIAE NAMSLERO
Viro itidem Consulari.
NAmslere ô patrij rector sublimis Olympi,
Te pueri tenuis vivere charta jubet,
Quippe in te solo conjunctim vivimus uno,
Nostraque, magne pater, vertimus ora tuis.
5 Te jussore olim dextrum traduximus aevum,
Fata velint sub te patria ducat idem.
[A4r] Vive precor, longumque tuis constare memento,
Publica quo melius res superesse queat.
Auguror, excesso te patria dilabetur,
10 Nec nobis etiam nota, nec ipsa sibi.
Sed taceo laudem, si te non ullus adulor,
Libertasque animum vindicat una meum,
Hoc fateor tantum: Patriae Namslerus amore
Cunctis plus, solus quam sibi quisque facit.

MARTINO NVSSLERO
Theologo incomparabili.
Nüßlere in cujus summas facundia laudes
Ceßit, et ingentis verba tremenda Dei,
Qualia credibile est, sancto livore furentem,
Ad Grajas Paulum saepe dedisse fores,
5 Cum mendax tellus, scelerum vexata ruinis,
Nesciret verae relligionis opus,

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STRENARUM LIBELLUS 15

Welt ein fröhliches Gewand, Pan kommt und macht die Felder zu elysischen.“ So
frohlocken auch wir, die wir doch zur Finsternis verdammt waren, nach deiner
Ankunft, Jesuskind, als die von dir erwählte Schar auf den Wiesen des Frühlings.

Für den ehemaligen Bürgermeister


Georg Tieffenbach. 0

Tieffenbachsohn, du goldener Quell des Vaterlandes, an dem sich die fruchtbare


Brache der Bunzlauer Erde netzt, und wo Sais und die Grazien, die Göttin von
Paphos, Anmut, Reiz und Charme, und Themis und der Themis Zögling Venus
sich baden: Man sagt, das Recht sei in irgendeinen Abgrund gesunken, so daß es
bisher niemand hat bergen können – aber in dich hat die höchste Macht des 5

Rechtes Quelle gelegt, in deinen Strömen hat unsere Heimat es gefunden.

Für Elias Namsler,


ebenfalls ehemaliger Bürgermeister.
Namsler, erhabener Lenker des Heimatolymp, dich läßt des Knaben kleines Blatt
hochleben; denn allein durch dich leben wir einträchtig zusammen, und, großer
Vater, deinem Blick wenden wir unsere Blicke zu. Unter deiner Führung haben
wir schon einst eine glückliche Zeit verbracht: Gebe das Schicksal, daß die Va-
terstadt noch einmal unter dir dasselbe erlebe! Lebe, und denke daran, den Dei- 5

nen lange erhalten zu bleiben, damit das Gemeinwesen eine bessere Zukunft hat.
Denn ich ahne es: Wenn du uns entrissen bist, wird die Heimat zerfallen, (10)
wird weder uns noch sich selber mehr bekannt sein. Aber ich verschweige deinen
Ruhm, wenn ich als ein Niemand dir schmeichle und allein der Freimut mein
Herz ergreift. Nur das bekenne ich: Aus Liebe zur Vaterstadt tut Namsler mehr 10

für alle als jeder einzelne für sich.

Für Martin Nüßler,


den unvergleichlichen Gottesgelehrten.
Nüßler, dem die Beredsamkeit zu höchstem Ruhm gereicht und die zittern ma-
chenden Worte des gewaltigen Gottes, wie sie wohl der in heiligem Eifer rasende
Paulus vor griechischen Türen oft gesprochen haben mag, weil die lügnerische
Welt, gepeinigt von ihren verderblichen Verbrechen, des wahren Glaubens Werk
nicht kannte, du heilig weißes Haar und nicht für jeden erreichbare Tugend, die 5

sich nicht in Scherzen ergießt, aber dennoch auch nie zu ernst wird, sondern die

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16 STRENARUM LIBELLUS

Sanctaque canities, nec cuivis pervia virtus,


Non effusa jocis, nec rigida illa tamen,
Sed majestatis blando suffusa sereno,
10 Dulciaque arridens pectoris altus honor,
Lambere laurigeros quid me mirare corymbos,
Et Famae, strenae nomine, vela sequi?
Non memini Nymphas me sollicitasse pudicas:
Propter te id ceßit turba novena mihi.

[A4v]
GEORGIO COBERO
felicissimo Archiatro.
CObere Aesclepi mens, et sapientia Coi,
Ac Podaliraeo multum adamate deo,
Quicquid id est tandem quo vos mortalibus aegris,
Ignoto credo carmine, fertis opem,
5 Divinum est, ac divina se prodit ab arte,
Et medicûm natos hic furor unus agit.
Felicem patriam, cui numina maxima divûm
Tantum sufficiunt, urbis amore, deum.

VALENTINO SANFTLEBEN
Praetoriae ac Rectoriae digni-
tatis viro.
SAnftlebi patriae spes admiranda Boleslae,
Cui faciles dixit Gratia docta sales,
Ac Themis indomitis linguae impluit aurea nimbis,
Et Tulli grandes te jubet ire vias,
5 Vt tua tam rigidum facundia nota sub aevum
Se quoque nectareis vincere discat aquis,
Dum sese in se ambit lustrator circulus anni,
Bifrontisque citas incipit ire vias,
Dum decet alternas donorum mittere sortes,
10 Donaque fautori dat sua quisque suo,
[A5r] Num tibi, quae mea sunt, mentis deposcis honores,
Hos dudum, Deus hoc scit, dare jußit amor.
Heroone jubes metra plena animare cothurno?
Vix misera in vestros sufficiunt titulos.
15 Nil superat nisi vota, at et hic quoque nulla supersunt,
Pro patria in te hoc consumsimus omne mea.

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STRENARUM LIBELLUS 17

Farbe liebenswert-heiterer Hoheit trägt, (10) du Beispiel tief empfundenen Ehr-


gefühls, das freundlich zuzulächeln versteht, warum wunderst du dich, daß ich
nach lorbeerumwundenem Efeu lechze und unter dem Titel „Neujahrswün-
sche“ des Ruhmes Segeln folge? Ich entsinne mich nicht, die züchtigen Nym- 10

phen aufgeschreckt zu haben: Deinetwegen hat mir die neunköpfige Schar die-
sen Wunsch eingegeben.

Für Georg Kober,


den höchst erfolgreichen Stadtarzt.
Kober, Geist und Weisheit des koischen Äskulap und vielgeliebter Jünger
des Gottes, der Podalirius zeugte! Was es am Ende auch ist, wodurch ihr Ärzte
den kranken Sterblichen – ich glaube, durch geheime Zaubersprüche – Hilfe
bringt, es ist etwas Göttliches und verrät, daß es göttlichem Wissen entspringt,
und diese gemeinsame Besessenheit treibt seit je die Ärzte an. Glückliche Hei- 5

mat, der die größten Götter aus Liebe zu unserer Stadt einen so großen Gott
schenken!

Für Valentin Senftleben,


einen Mann mit
Richter- und Rektorenwürde.
Senftleben, bewundernswürdige Hoffnung meiner Heimat Bunzlau, dem die ge-
lehrte Grazie leichte Scherze eingegeben und auf den die goldene Themis hat
regnen lassen unbezähmbaren Redefluß und dem sie nun aufträgt, den großarti-
gen Weg Ciceros zu gehen, damit deine in unserer so strengen Zeit berühmte Be-
redsamkeit lernt, mit Nektarflüssen sogar sich selbst zu übertreffen! Wenn der 5

wandelnde Jahreskreis sich in sich selbst begegnet und aufs neue beginnt, den
raschen Weg des doppelköpfigen Janus zu gehen, wenn es an der Zeit ist, sich
im Wechsel seinen Anteil an den Geschenken zuzuschicken, (10) und ein jeder
seinem Gönner die gebührenden Geschenke gibt, forderst du da für dich – was
meine Verse sind! – Ehrenbezeigungen meiner Gesinnung? Die zu erweisen 10

befahl mir schon lange – Gott weiß es – meine Zuneigung zu dir. Wünschst du,
daß ich einem Gedicht, das voll ist von heroischen Versen, Leben einhauche?
Meine armen Verse reichen kaum für deine Ehrentitel aus! Nichts bleibt mir als
gute Wünsche – aber auch da sind keine mehr übrig: Um der Heimat willen habe
ich das alles für dich verbraucht. 15

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18 STRENARUM LIBELLUS

DAVIDI PREIBISIO
integerrimo Senatori.
OPtime Preibisi, quem nati amplector honore,
(Sanguis amorque meum te facit esse patrem)
Cum tam sinceri et recti sis pectoris unus,
Vt te istoc alii nomine mille probent,
5 Integritas etiam mihi fato cesserit illa,
Qua sola jure glorior esse bonus,
Candide agam tecum, quales nos esse jubemur,
Et candor quales insitus esse facit:
Tu majora tua cum simplicitate severa
10 Praestas, quam cunctis lyncea turba dolis.

CHRISTOPHORO STOEBER-
KEYL à Judiciis aulicis.
SToeberkeyliades, quis dîs autoribus ipsis
Suppressae patriae te superesse neget?
[A5v] Tu vixisti aliquot per lustra subactus in aulae,
Vndique queis turget irrequieta, dolis,
5 Civiles etiam novisti ex ordine causas,
Nostras praeterea res bene fidus amas,
Hinc patriae, hinc aulae pote consuluisse labori,
Sit precor illa actis sarta, sit ista tuis.

JOANNI SEILERO
Syndico eruditissimo.
VIve ô jus Iuris, vive Astreae acer ocelle,
Vive, et te longi temporis inde rotis,
Annuit annosi antidea annuus annulus anni,
Et te pro patriae vivere amore jubet.
5 Deflemus patremque tuum, patrisque guberna,
Mors ejus vitae meta sit una tuae.

MELCHIORI POEPLERO
Collegae Theologo.
THeiologae, Pöplere meus, fax praevia Suadae,
Quem Dominus sanctas efficit ire vias,
Vellem equidem venti coelestis janitor anni
Me faceret dignis te celebrare modis,
5 Dum Salvatoris natalia laeta recentas,

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STRENARUM LIBELLUS 19

Für David Preibisch,


den unbestechlichen Ratsherrn.
Vortrefflicher Preibisch, den ich mit der Ehrerbietung eines Sohnes umarme
(unser gemeinsames Blut und meine Zuneigung machen dich zu meinem Vater),
da du allein ein so reines, geradliniges Wesen hast, daß tausend andere dich mit
dieser Bezeichnung loben, möge auch mir das Schicksal jene Lauterkeit verlei-
hen, durch die allein ich mich zu Recht rühmen kann, ein guter Mensch zu sein! 5

Mit dir möchte ich ein reines Leben führen, wie es von uns gefordert wird und
wie uns die in uns angelegte Reinheit werden läßt. Du leistest Größeres mit dei-
ner strengen Ehrlichkeit (10) als die Schar der Luchse mit all ihren Listen.

Für den königlichen Hofrichter


Christoph Stöberkeil.
Stöberkeilsohn, wer könnte leugnen – die Götter selbst bezeugen es ja –, daß du
für die bedrängte Heimat immer da bist? Mehrere Lustren hast du gezwungener-
maßen inmitten der Intrigen des Hofes gelebt, von denen dieser allenthalben
rastlos überbrodelt. Du kennst auch die Streitfälle des bürgerlichen Rechts nach
ihrer Ordnung, und außerdem liebst du treu unsere Stadt, fähig, dich hier um der 5

Heimat, dort um des Hofes Sorgen zu kümmern: Möge dieser wie jene durch
dein Handeln in gutem Zustand bleiben!

Für Johannes Seiler,


den hochgelehrten Syndikus.
Lebe, du Inbegriff des Rechts, lebe, Astreens scharfsichtiger Liebling, lebe: Daß
du auf den Rädern langer Zeit lebest, hat früher schon bejahrten Jahres jähr-
licher Ring gewährt, und er verlangt, daß du für deine Heimatliebe leben sollst.
Wir weinen um deinen Vater und deines Vaters gute Regierung: Sei sein Tod der
einzige Einschnitt auf deiner Lebensbahn. 5

Für Melchior Pöpler,


einen unter den Gottesgelehrten.
Mein lieber Pöpler, du den Weg der von Göttlichem kündenden Beredsamkeit
erleuchtende Fackel, du, den der Herr auf heiligen Pfaden wandeln läßt! Ich
wünschte, daß des neuen Jahres himmlischer Torwächter mich dich in würdigen
Versen feiern ließe, während du wieder des Erlösers frohen Geburtstag besingst

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20 STRENARUM LIBELLUS

Cuninaeque moves pendula clostra Deae:


[A6r] Sed quanto quem tu cantas te est altior unus,
Tanto ego qui te isto carmine laudo minor.

MATTHAEO WIELANDO
Theologo pientissimo.
SAepe pias miror, Wielande polite, loquelas,
Cum tibi ter sancto nomine rostra fremunt,
Plenus ab ingenti lymphatus numinis aura
Insolito doctos fundis ab ore sonos.
5 Christo colloqueris, Triadisque in laudibus haeres,
Praesentem tibi tu conficis ipse polum.

ZACHARIAE SCHUBERTO
Literatissimo Scholarchae.
SChuberte Aonidum dulcißime alumne Dearum,
Cui Veneres puro nectaris imbre fluunt,
Audi me, probro tibi me nisi duxeris, in te,
Eque tuo liquidò pectore nosce meum;
5 Intra me vivo mihi, Musas lenio Musis,
Sum patriae, cunctis velle deesse, nego,
Fido Deo, peregris nemo tero tempora curis,
Sum simplex, scio me temnere, mitto dolos.
Sperno si invidiae me, ut fit, livore lacessunt,
10 Se penetrant mores in mea corda tui.

[A6v]
NICOLAO FROBENIO
civi doctissimo.
FRobeni Phoebi non inficiande satelles,
Cui medicas junxit certa Hygieia manus,
Dum lapso ambiguo venit anni tempore limes,
Et redeundo perit, et pereundo redit,
5 Claude oculosque auresque, animum exere carmen in istud.
Pauca cano metri pondere, multa precor.

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STRENARUM LIBELLUS 21

und das wiegende Behältnis der Göttin Cunina anstößt: Aber so weit der Ein- 5

zige, den du besingst, über dir steht, so weit stehe ich, der dich mit diesem Ge-
dicht preist, unter dir.

Für Matthäus Wieland,


den frömmsten Theologen.
Oft bestaune ich, mein sprachgewandter Wieland, deine frommen Worte, wenn
du die Kanzel vom dreifach heiligen Namen widerhallen läßt: Verzückt vom
gewaltigen Hauch der Gottheit verströmst du volltönend gelehrten Klang aus
ungewöhnlich beredtem Mund. Mit Christus hältst du Zwiesprache und lobst
beständig die Dreieinigkeit: So erschaffst du dir selbst einen Himmel auf Erden.

Für Zacharias Schubert,


den hochgebildeten Schulleiter.
Schubert, bezaubernder Sohn der böotischen Göttinnen, dem die Anmut in
Strömen reinen Nektars fließt, höre mich an, wenn du nicht glaubst, daß ich dir
Schande machen könnte: In dir und im Spiegel deines Herzens erkenne mein
Wesen. Ich lebe in mir nur mir selbst, besänftige mit Musen die Musen, gehöre
der Heimat, will immer für die anderen dasein, vertraue auf Gott, vergeude nie
die Zeit mit fernliegenden Sorgen, bin geradeaus, weiß, wie klein ich bin, und
meide die Arglist. Ich achte nicht darauf, wenn man mich, wie die Leute so sind,
aus Neid angreift: (10) Dein Vorbild dringt also tief in mein Herz.

Für Nikolaus Froben,


den hochgelehrten Mitbürger.
Froben, unstreitig des Phoebus Begleiter, dem Hygieia zuverlässig die heilenden
Hände reichte! Während die Zeit zwischen den Jahren verstreicht und des Jahres
Ende naht (in der Rückkehr vergeht es und kehrt im Vergehen zurück), schließe
Augen und Ohren, richte den Geist auf dieses Gedicht: Nach dem Gewicht der
Verse zu urteilen singe ich nur wenig, aber ich wünsche dir sehr viel.

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22 STRENARUM LIBELLUS

CHRISTOPHORO BUCH-
WELDERO viro optimo.
BVchweldere animi cui laeta modestia mentem
Finxit, et antiquae simplicitatis amor,
Nescio quo prono puer in te corde ferebar,
Prae reliquisque mihi charior unus eras.
5 Hoc memini quoties sancti aurea flumina Tulli,
Poenique indomito verba lepore dabas,
Protenus influere ad penitas dictata medullas,
Et stillare meros ambrosiae latices.
Hinc te mirandis arsi, pater optime, flam!m"is,
10 Et tuus hoc fixus pectore vivit amor.
Quod si tu simili me, ceu credo, uris amore,
Certe res serae Posteritatis eris.

[A7r]
MARTINO OPITIO
Medicinae Candidato.
AMbitio nullum te prodiga vexat, Opiti,
Transversumque aliò pompa supina rapit,
Cum tamen in medicis poßis praestare teipsum,
Atque etiam Cois cernere Marte viris.
5 Sensi ego, cum tristi quondam langore jacebam,
Et sanis privus viribus, atque mei,
Tu certis miscens praestantia pharmaca rebus,
Reddebas me omnem viribus, atque mihi.
Virtuti hoc omni sacrum et sollenne videmus,
10 Quam nosti tacito velle tremore coli.

GEORGIO SEVERO
Cantori benemerentissimo.
DOcte Severe anima ac nostri vox persona templi,
Et tuba laudati dulcicanora Dei,
Si praeceptori meritas cui debeo grates,
Id debere etiam me reor omne tibi,
5 Quo, non ingenii defectu, at mente petulca
Flectebam, atque sui prodigus ibat amor,
Tu benefacta probare, et non facienda negare,
Immiscens verbis dicta severa bonis.
Quod si, ceu fateor, me ais edocuisse, probabis
10 Ingenium nostrum, vestrum ego judicium.

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STRENARUM LIBELLUS 23

Für den trefflichen


Christoph Buchwälder.
Buchwälder, dem fröhliche Bescheidenheit und die Liebe zu althergebrachter
Einfachheit das Wesen formten, irgendwie zog mich schon als Jungen eine Her-
zensneigung zu dir hin, und du allein warst mir vor allen der liebste. Ich erinnere
mich gut daran, wie, sooft du die goldenen Redeströme des erhabenen Cicero
und die Worte des Puniers mit unübertrefflicher Anmut vortrugst, dein Vortrag
sich sofort in mein innerstes Mark ergoß und reine Ströme von Ambrosia hin-
eintropfen ließ. Daher entbrannte ich in wunderbarer Glut für dich, du väter-
licher Freund, (10) und fest in meiner Brust verankert lebt meine Liebe zu dir.
Wenn du, wie ich glaube, mich mit ähnlicher Liebe liebst, wirst du gewiß noch
der späten Nachwelt bekannt sein.

Für den Kandidaten der Medizin


Martin Opitz.
Niemals, mein Opitz, quält dich zügelloser Ehrgeiz und reißt dich müßige Pracht
in die verkehrte Richtung hin, obwohl du dich unter den Ärzten sehr wohl sehen
lassen und dich im Wettstreit sogar mit den Männern aus Kos messen könntest.
Ich habe das erfahren, als ich einmal todkrank darniederlag, meiner gesunden
Kräfte und meiner selbst beraubt: Da gabst du, indem du vortreffliche Arzneien
aus den richtigen Dingen mischtest, mich ganz meinen Kräften und mir selbst
zurück. Wir sehen, daß dies jeglicher Tugend heilig und ihrer würdig ist, (10) von
der du weißt, daß sie in stillem Erschauern verehrt werden will.

Für den hochverdienten Kantor


Georg Sauer.
Gelehrter Sauer, du Seele und tönende Stimme unserer Kirche, du lieblich
klingende Posaune unseres gepriesenen Gottes! Wenn es einen Lehrer gibt,
dem ich wohlverdienten Dank schulde, dann glaube ich auch, daß ich dies alles
dir schulde, zu dem ich mich nicht aus mangelnder Begabung, sondern aus Wiß-
begier wandte und auf den sich meine sich frei verströmende Liebe richtete. 5

Wenn du, der du freundliche Worte mit strengen Lehren mischst, sagst, daß ich,
wie ich bekenne, gelernt habe, richtiges Verhalten gutzuheißen und Fehlverhal-
ten abzulehnen, so wirst du damit (10) meine Naturanlage, ich aber dein Urteil
bestätigen.

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24 STRENARUM LIBELLUS

[A7v]
CASPARI BERGMANO
Paedagogiarchae solertissimo.
DIgnus eras meliore loco, Bergmane, sed istud
Seu fortean livor seu tibi Fata negant.
Macte tamen teneram solitum formare juventam,
Quodque facis nostras perge beare domos.
5 Sic quos in sese ad majora evexit honorum,
Debebunt patriae, sed patria ipsa tibi.

MARTINO TSCHERNINGO
praeceptori charissimo.
Tscherninge è cujus ductu, ut scis, primitus hausi
Quicquid in infantum corda cadit bibula,
Saepe tuos mecum admirans perpendo labores,
Qua celeri ingenium duxeris arte meum,
5 Seu tuus iste labor, nostra aut solertia causa est,
Vt labor iste tuus causa, ut et ipsa mea est,
Quicquid sit pro quo meritum sibi nota supellex
Non dare quit, pietas nostra dat una tibi.

EROTOPAEGNIUM SCHE-
DIASTICUM .
MIror Virgilium dulces neglexe puellas,
Fors conscium sibi male,
[A8r] Et lusus tacitae metuentem probraque noctis,
Quod recte et ordine evenit.
5 Non ita ego, mea lux, desuetus vivo Diones,
Aversus ut te negligam:
Sed dare non habeo, nec tu tibi munera poscis:
Animamque meque dedico.
Vt dem ego me tibi, tu mihi te dato, ita elanguentes
10 Tenacibusque brachiis,
Immistoque levi nexu, jungentur amores
In meque teque adinvicem.
Vt dare poßim animam, cedo ebria rore labella
Melissa nostra caelico,
15 Sic animae haerentes roseo argutabimur ore,
Violeto amoris pervio,
Altera rursus, et altera, et altera, et altera rursus

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STRENARUM LIBELLUS 25

Für den tüchtigen Oberlehrer


Kaspar Bergmann.
Du hättest eine bessere Stellung verdient, mein Bergmann, aber ob nun vielleicht
die Mißgunst oder auch das Schicksal es dir verwehrt: Gepriesen seiest du doch,
daß du stets die zarte Jugend ausbildest, und wie jetzt, so beglücke auch weiter
unsere Häuser. So werden diejenigen, die die Heimat in ihrem Dienst in hohe
Ehrenämter erhoben hat, es ihr verdanken, aber die Heimat selbst wird sie dir 5

verdanken.

Für Martin Tscherning,


meinen lieben Lehrer.
Tscherning, aus dessen Leitung ich, wie du weißt, als erstes schöpfte, was in der
Kinder durstige Herzen fällt, oft erwäge ich bei mir voll Bewunderung für deine
Leistung, mit welch behender Kunst du meinen Verstand gebildet hast. Ob nun
deine Leistung oder mein Fleiß der Grund dafür ist – und gewiß ist deine Lei-
stung ebenso der Grund wie mein Fleiß –: was es auch ist, wofür sich dein wohl- 5

bekanntes Werkzeug sein Verdienst nicht zuzugestehen vermag; meine dankbare


Liebe allein gesteht es dir zu.

Amouröse Verse
aus dem Stegreif.
Es wundert mich, daß Vergil die schönen Mädchen mißachten konnte, vielleicht,
weil er sich selbst nicht kannte und die Spiele und Ungezogenheiten der stillen
Nacht fürchtete, obwohl das alles seine Ordnung hat. Ich aber, mein Liebling,
lebe nicht so entwöhnt der Dione, daß ich mich abwende und dich vernachläs-
sige. Aber geben kann ich nichts, und du verlangst keine Geschenke: Meine Seele 5

und mich aber widme ich dir. Damit ich mich dir geben kann, mußt du dich mir
geben: So werden sich (10) bei fester Umarmung und beweglicher Umschlin-
gung schmachtende Liebesspiele verbinden für dich und mich im Wechselspiel.
Damit ich dir meinen Seelenhauch geben kann, reich mir, meine Melissa, deine
zarten, von himmlischem Tau trunkenen Lippen: So werden unsere Seelen an- 10

einander haftend miteinander plaudern aus rosigem Munde, dem wegsamen


Veilchenbeet der Liebe, indem wir einander neue und abermals neue, neue und

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26 SIc tibi rivalis
Adblandientes savia,
Donec reclines ad languidulas convalles,
20 Anima cadamus inplice.
Tunc licet evulgent gratas me ferre puellis
Strenas venustis nescium.

De hoc carmine.
Ante elegos scripsisti, hîc jambica: virgo recenti,
Si nescis, plane est excipienda modo.

LECTORI.
Non sine te finem, Lector doctißime, quaeram,
O sine te nequeat finis adesse mihi!

***
C ASP. D ORNAVIO
V.C.
M . OPITIUS S .
QUia tuam sortem saeculi putamus, DORNAVI , et non parum interesse aevi no-
stri, quomodo et quam bene vivas: Saluti, cum qua in gratiam rediisti, ARAS sta-
tuimus. Accedit, quod privatis nominibus tantum tuae benevolentiae devincti su-
mus, quantum quisque suo proprio parenti. Damus igitur tibi hoc officium: quod
5 licet ad eruditionis tuae fastigium non aspiret, vix aspernaberis credo: seu quia
majus praestare nunc per angustias temporis non possumus; seu quia ardentibus
ad misericordem Deum precibus, valetudini tuae nihil magis confert: quas nulla
exuperabit $"«. Vale magna literarum confidentia, et, quod facis, con-
stanter nos ama, ac Ill. SCULTETO commenda.

SIc tibi rivalis Zephyrus Hyacinthia labra


Ne petat, os pueri blandaque colla tui,
Quem saevi livore proci rubefacta peremtum
Sentit sub primi tempora veris humus,
5 Cinge comam, mi Phoebe, meam, teneroque poêtae
Suffice nectareis lactea verba modis.
[A3r] Non ego fatidici lymphatus flore Lyaei,

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SIc tibi rivalis 27

wieder neue Küsse erkosen, bis wir uns rücklings in zart schmachtende Schluch-
ten (20) mit verflochtener Seele fallen lassen. Dann darf man ruhig verbreiten,
ich sei nicht kundig darin, reizenden Mädchen gefällige Neujahrswünsche dar- 15

zubringen.

Zum obigen Gedicht.


Vorher hast du Distichen, hier nun Jamben geschrieben: Ein junges Mädchen
muß einfach, falls du es nicht weißt, mit einem frischen Versmaß begrüßt werden.

An den Leser.
Nicht ohne dich, gelehrter Leser, will ich ans Ende kommen – ach, möge mir
kein Ende ohne dich beschieden sein!
[W.-W.E.]

***
An Caspar Dornau,
den hochberühmten Mann,
sendet Martin Opitz seinen Gruß.
Weil wir dein Schicksal mit dem des Zeitalters gleichsetzen, mein Dornau, und
der Meinung sind, es sei für unsere Zeit von nicht geringer Bedeutung, wie du
lebst und wie gut es dir geht, errichten wir der Göttin Salus, mit der du wieder in
gutem Einvernehmen bist, einen Altar. Hinzu kommt, daß wir in persönlicher
Hinsicht so sehr an dein Wohlwollen gebunden sind wie ein jeder an seinen eige-
nen Vater. Wir bringen dir also diese Gabe pflichtschuldigst dar, die du, mag sie
auch an die Höhe deiner Bildung nicht heranreichen, doch wohl nicht verachten
wirst, sei es, weil wir etwas Größeres jetzt aus Mangel an Zeit nicht leisten kön-
nen, sei es, weil deiner Gesundheit doch nichts zuträglicher ist als brennende
Gebete zu dem barmherzigen Gott, welchen ja kein anderes Tun jemals gleich-
kommen wird. Lebe wohl, du große Hoffnung der Wissenschaften, liebe uns be-
ständig, wie du es ja tust, und empfiehl uns dem edlen Scultetus.

So wahr ich wünsche, daß dein Nebenbuhler Zephyrus nicht die Lippen des
Hyacinthus begehre und das Antlitz und den zarten Hals deines Knaben, dessen
durch den Neid des zornigen Freiers herbeigeführten Tod die gerötete Erde in
der ersten Zeit des Frühlings fühlt – umkränze du mein Haar, mein Phoebus,
und durchtränke dem schwachen Dichter seine milchigen Worte mit Weisen, süß
wie Nektar. Nicht werde ich, besessen vom Geist des wahrheitskündenden Wei-
nes, trunkene Verse in wilden Tönen hervorstoßen, obgleich unser Volk sich mit

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28 SIc tibi rivalis
Torquebo rapidis ebria metra sonis:
Quamvis hoc soleat gens nostra humescere rore,
10 Et mea mens medio saepe nat icta mero.
Non ego facundas vires in vincula stringam
Turpia, et in flam!m"as, vane Cupido, tuas:
Sim licet Idaliae cultor non degener arae,
Et Venus in concha me vehat alma sua.
15 Sed totum mihi me credens Nymphisque pudicis,
Vnius extollam Dî pietatis opus.
Vos mihi, vos patriae, vos docto redditis orbi
Dornavij sacrum saecula sera caput.
Mens aevi vindex prorsus collapsa jacebat;
20 Inque sua timuit hospita tanta domo:
Languentesque sibi nimium indulgebat in artus
Et calidum frigus, frigidus atque calor.
Iam motus coeli concors, sedesque beatae
Certabant animam velle locare suam.
25 Iam divinorum properabant ora virorum
Iungere victrices in sua fata manus
At vos, o Superi, et divum tum maxime Rector,
Audistis lachrymis pectora moesta suis.
Non flevi surdis, donastis fletibus aures:
30 Dornavius nobis redditus, atque sibi est.
Hic tibi, sancta Salus, devoti ponimus aras,
Hoc veneror vultum thure meroque tuum.
Sic ubi clementi vectum sub litora vento,
Sentit amatorem virgo puella suum,
35 Quem modo Caurus iners medijs jactabat in undis,
Credebantque suis lintea plena Notis;
Immistos lachrymis obliquo lumine risus
Frangit, et has veteri supplet amore moras.
[A3v] Non tunc poenituit soli accubuisse pudori
40 Hoc pretio tanto tempore nuda fuit.
Haud secus, o mi Dornavi, dispendia morbi
Sarcis, audit opem nostra juventa tuam.
Nunc tibi tam laeto esse detur, quantum hactenus aegro.
Vix poteris vita sic meliore frui.

Martinus Opitius Bo-


leslaviensis.

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SIc tibi rivalis 29

solchem Naß zu befeuchten pflegt (10) und mein Sinn oft gewaltig inmitten des
Weinrausches schwankt. Auch werde ich nicht meine Redegabe in deine schänd-
lichen Fesseln und Leidenschaften einbinden lassen, eitler Cupido, mag ich auch
kein schwacher Verehrer des idalischen Altars sein, mag auch die holde Venus
mich in ihrer Muschel mitziehen, sondern ich werde mich ganz mir selbst und
den züchtigen Nymphen zuwenden und, ihr Götter, ein Werk allein der from-
men Dankbarkeit errichten. Ihr gebt mir, dem Vaterland, der gelehrten Welt das
edle Haupt Dornaus für spätere Zeiten zurück. Sein Geist, der der Anwalt seiner
eigenen Zeit ist, lag völlig niedergestreckt am Boden (20) und fürchtete sich,
so gewaltig er war, wie ein Fremdling im eigenen Hause. Ganz ließ er sich gehen
bei der Erschöpfung seiner Glieder, und Kälte schien ihm warm, Wärme kalt.
Schon wetteiferten die harmonische Bewegung des Himmels und die Gefilde der
Seligen darum, seine Seele bei sich ansiedeln zu wollen. Schon beeilten sich die
Zungen verewigter Männer, seine erfolgreichen Hände dem ihnen bestimmten
Schicksal zu verbinden. Doch ihr, Himmlische, und du, oberster Fürst der Göt-
ter, habt die Stimmen der Herzen erhört, die betrübt und voll Tränen waren.
Ich habe nicht vor tauben Ohren geklagt, ihr habt dem Wehklagen euer Ohr ge-
liehen: (30) Dornau ist uns und sich selbst zurückgegeben. Hier weihen wir dir,
heilige Salus, ehrfurchtsvoll einen Altar, mit diesem Weihrauch und Wein ehre
ich dein Antlitz. Wenn irgendwo ein junges Mädchen hört, daß ihr Geliebter
von einem sanften Wind an das Ufer getrieben wurde, den gerade noch der träge
Nordwest inmitten der Wogen schwanken ließ und den seine vollen Segel dem
Südwind anvertrauten, dann blickt sie seitwärts und unterdrückt ein mit Tränen
vermischtes Lächeln, verkürzt ihr Warten mit alter Liebe, und es reute sie dann
nicht, sich allein der Treue hingegeben zu haben; (40) für diesen Lohn blieb sie
so lange Zeit ohne Geliebten – nicht anders, o mein Dornau, füllst du die Lücke
wieder auf, die deine Krankheit schuf; unsere Jugend hört auf deinen hilfreichen
Rat. Nun mag es dir vergönnt sein, so froh zu sein, wie du bisher krank warst.
Dann wirst du kaum ein besseres Leben genießen können.

Martin Opitz aus Bunzlau.


[R.S.]

***

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30 Si quid forte dolor

C ARMEN E PICEDIVM
stylo qui Lachrymas decet.
Si quid forte dolor, si quid suspiria possunt,
Si quid flebilibus tristia verba notis:
Tecum, S ARTORI , junctis plangoribus omnes
Has imus moestas jugiter exequias.
5 Nos tibi sufficimus lachrymas, suspiria, planctus,
Plenaque corda aegris sollicitudinibus:
Cum dolor infandus fugitivo mistus amori,
Largo rore tuis depluit ex oculis:
Qualis in aërei proserpens culmine montis
10 Riuus muscoso desilit e lapide,
Et teneras herbas solatur, et aurea prata,
Cum gravis exustos aestus hiulcat agros:
Dum tua lux miti devicta sopore expirat,
Et campis felix imminet Elisiis,
15 Dulce nimis solatiolum, requiesque laborum,
Quos vovit chara mens tua pro patria:
Verum haec invidiae Fatorum obnoxia vitae
Commoda caelestes non tetulere Dei:
Sed laetis veluti ramis Astartica myrtus,
20 Litoris accrescens lene supercilium,
Surgit, et eximio formosa flore superbit.
[B3r] Iam lepidis certae delitiae Dryasin,
Defendit foliis superimpendentibus aestum,
Et nimium grato frigore solstitium
25 Arcet: jam Nymphae florem redimire corymbis,
Sertaque temporibus pulchra parare parant.
Mox ubi nimboso flat inexorabilis Auster
Murmure, et in rabiem se induit aura suam,
Nescia splendoris magis et magis elanguescit.
30 Deciderunt flores, deciderunt folia.
Iam sua nequicquam corrumpunt lumina Nymphae,
Iam frustra tardae prosiliunt lachrymae.
Sic tibi spem vitae, sic unica gaudia Fati
Invida vis viduo sustulit e thalamo.
35 Sed certe haec vanis deploras questibus: ora
Frustra stant lachrymis humida facta tuis.
Nequicquam quaerebat Hylam Tyrinthius heros,
Flebile nequicquam continuabat opus,

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Si quid forte dolor 31

Trauergedicht in einem trauriger Stimmung angemessenen Stil.

Wenn vielleicht der Schmerz, wenn Seufzer, wenn traurige Worte in klagendem
Ton etwas bewirken können, verbinden wir alle, Sartorius, unsere Klagen und
begehen gemeinsam mit dir dieses traurige Begräbnis. Wir schenken dir unsere
Tränen, Seufzer und Klagen, unsere Herzen, die voll sind von Kummer und
Sorge, während dir ein unaussprechlicher Schmerz, gemischt mit der Liebe zu
der Entschwundenen, in reichem Tränentau aus deinen Augen strömt, so wie ein
Bach, der auf dem Gipfel eines hoch in den Himmel ragenden Berges entspringt,
(10) von moosbewachsenem Felsen herabstürzt: Er labt zartes Grün und gol-
dene Weiden, wenn drückende Hitze ausgedörrte Felder rissig macht, während
deine Liebste, von sanftem Schlummer überwältigt, verhaucht und glücklich den
Gefilden der Seligen nahe ist, dein ach so köstlicher Trost, deine Zuflucht von
den Mühen, die du in deinem Sinn der teuren Heimat zu leisten gelobt hast.
Doch dieses Glück deines Lebens war dem Neid des Schicksals ausgesetzt: Die
himmlischen Götter konnten es nicht ertragen, sondern, so wie die Myrte der
Astarte, die mit ihren reichen Zweigen (20) an einem sanft geschwungenen Ufer-
rand wächst, sich erhebt und in der Schönheit ihrer herrlichen Blüten prangt
(schon jetzt das liebste Spielzeug anmutiger Dryaden), wie sie mit ihren von
oben herab hängenden Blättern die Hitze abwehrt und mit wunderbar erfri-
schender Kühle die Glut des Mittsommers fernhält (schon wollen Nymphen die
Blüten mit Efeutrauben umwinden und für ihre Schläfen schöne Kränze flech-
ten), doch wie sie dann, wenn mit wolkenreichem Grollen der unerbittliche Süd-
wind bläst und die Luft das ihr eigene Rasen beginnt, ihren Glanz vergißt und
schwächer und schwächer wird. (30) Gefallen sind die Blüten, gefallen die Blät-
ter; schon schlagen die Nymphen umsonst gegen ihre Augen, schon ergießen
vergeblich und zu spät sich ihre Tränen – ebenso hat dir die neidische Gewalt des
Schicksals die Hoffnung deines Lebens, deine einzige Freude aus deinem jetzt
verwaisten Ehebett geraubt. Doch gewiß sind die Klagen umsonst, mit denen du
dieses Unglück beweinst: Vergeblich schwimmt dein Antlitz in Tränen. Vergeb-

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32 VIR quem Fatorum
Frustra incusabat surdi periuria caeli,
40 Qui respondebat nil nisi ventus erat.
Tu quoque, SARTORI , fletu redderis iniquo
Et minus explicitus, et magis implicitus.
Martinus Opitius SiL!esius"
L!ibens" M!erito"Q!ue" F!ecit"

***
Suo et Musarum succrescenti Amori
cum Principem Literatum
ederet

MARTINUS OPITIUS SIL.

VIR quem Fatorum favor, et vis horrida Divum,


Iusserunt mundo ponere jura suo,
Utilius nullo deperdit tempore tempus.
Quod patriae rebus subtrahit atque sibi,
5 Quam quod jucundo chartarum donat amori:
Nil hac jactura carius esse potest.
Hoc non degeneri decurris fluminis ausu
Eloquij, pubis victor ephebe tuae.
Lancea ceu torquenda, globusque in vulnera nosse,
10 Et caesim et punctim cernere, nomen habet,
Dedecori non est facili insiliisse caballum
Corpore, et insipidas fallere rete feras,
Metiri castra, aucupiisque pilaque moveri,
Nae mihi mos verè regius esse potest.
15 Sed tamen hic altus generosi pectoris ardor,
Aut morbo, aut (tanti est vivere) morte cadit.
Longe aliter Princeps tuus, ô Nüslere, quiescit,
Qui quam regno adimit ingenio addit opem.
Haec tanto reliquas discrimine praevalet artes,
20 Quam celso populum rex praeit ore suum.
Vos pila, castra, enses, ales, rete, hasta, caballe,
Este: homines istaec ars capit, illa Deos.

***

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VIR quem Fatorum 33

lich suchte der Held von Tiryns seinen Hylas, vergeblich ließ er nicht ab von sei-
ner trauervollen Suche, vergeblich klagte er den Meineid eines tauben Himmels
an: (40) Was ihm antwortete, war nur der Wind. Auch du, Sartorius, wirst durch
das Übermaß deiner Klagen nicht erleichtert und noch mehr beschwert werden.
Martin Opitz aus Schlesien
schrieb dies gerne und für einen, der es verdient.
[F.F.]

***
Seinem und der Musen heranwachsenden lieben Freund,
als er den Princeps literatus
herausgab,

[schrieb dies] Martin Opitz aus Schlesien

Ein Mann, den die Gunst des Schicksals und die gewaltige Macht der Götter
dazu aufgefordert haben, seiner Welt das Recht festzusetzen, der ‚vergeudet‘ zu
keiner Zeit nutzbringender die Zeit, die er der Sache des Vaterlandes und sich
selbst entzieht, als wenn er sie der erquickenden Liebe zu den Büchern weiht.
Nichts kann wertvoller sein als dieser ‚Verlust‘. Mit diesem wagemutigen Einset-
zen des Stromes deiner nicht gewöhnlichen Redegabe eilst du dahin, Jüngling,
Sieger in deiner Mannschaft. Gleichwie die Lanze zu schleudern und mit der
Kugel zu treffen (10) oder hieb- und stichweise kämpfen zu können Ruhm ver-
heißt, so gereicht es auch nicht zur Schande, mit geschmeidigem Körper sich
aufs Roß zu schwingen und das ahnungslose Wild mit dem Netz zu täuschen,
das Feldlager abzumessen, sich bei der Vogeljagd und beim Ballspiel zu tum-
meln: Ja, dies kann mir als wahrhaft königliche Lebensweise gelten. Aber doch
erlischt diese erhabene Glut einer edlen Brust durch Krankheit oder gar (so we-
nig ist das Leben wert) im Tod. Ganz anders genießt dein Fürst, mein Nüßler,
seine Muße, der die Aufmerksamkeit, die er der Herrschaftsführung entzieht,
seiner Geistesübung zuwendet. Diese übertrifft die übrigen Künste in solchem
Maße, (20) wie ein König sein Volk durch sein erhabenes Antlitz überragt. Ihr,
Ball, Lager, Schwert, Vogel, Netz, Lanze, Roß, mögt Euren Wert haben. Diese
Kunst schlägt Menschen in ihren Bann, jene Götter.
[R.S.]

***

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34 Quicquid id est Monsi

IO. MONSIO B!O"EM.!o"



    µ.

Quicquid id est Monsi, seu te diuina voluntas,


Seu tua, vult alias iugiter ire vias.
Ito bonis auibus, sistat te conscius Hermes,
Qui, quam aliis monstrat nunquam iit ipse viam.
5 Ito, sed in seros annos memor !esse" me!mento"
Quam fuerit mecum dulce sodalitium.
Nil te celaui sermonis prodigus: vnus
Est qui me laudat candor, et vna manus.
Hanc tibi cedo, mei non mendax pignus amoris,
10 Hic erit extremos sartus adusque dies.
Tu, nec enim vanis iacto me speribus, idem
Quandiu in hoc fueris corpore, semper eris.
[1v] Hoc voueo, haec calidis fundo suspiria votis,
Annuat auspiciis his Deus ipse suis.
15 Ito bonis auibus quacunque stat ire, per vrbes
Per mare per campos per nemora et siluas.
Non te saeva feri vexent spiramina Cauri;
Nec Boreas saeuo murmure siluifragus.
Sed tibi caelestis respirans aura fauoris
20 Impellat ventis prospera vota suis.
Vos o Tyndaridae felicia sidera, laeta
Omnia p!er va"t!em" spargite latonium [?]
Me vetat hesternus plura heic asscribere ructus.

RUCTANTEM CERTE
25 NEMO GRAVARE
POTEST.

''!« (
Mart. Opitius.

***

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Quicquid id est Monsi 35

Für Johannes Monsius aus Böhmen


ein Geleitgedicht aus dem Stegreif.

Was auch immer es ist, Monsius, sei es der Wille Gottes, sei es der deine, er will,
daß du fortwährend andere Wege einschlägst. Geh unter guten Vorzeichen,
es möge dich der wissende Hermes führen, der selbst niemals den Weg ging, den
er anderen zeigt. Geh, aber denke daran, bis in deine späten Jahre eingedenk zu
sein, wie glücklich wir beide als Kameraden waren. Nichts habe ich vor dir, über-
sprudelnd in meiner Rede, verborgen: Einzig ist die Aufrichtigkeit, die mich lobt,
und einzig die Hand. Diese überlasse ich dir, ein Pfand meiner Liebe ohne Lug
und Trug, (10) diese wird – wohl gehegt – fortdauern bis zum Jüngsten Tag. Du
wirst, da gebe ich mich nicht eitler Hoffnung hin, immer derselbe sein, solange
du in diesem Körper bist. Dies erflehe ich, diese Seufzer verströme ich mit inni-
gen Gelübden, Gott selbst möge ihnen durch seine günstigen Zeichen zustim-
men. Geh unter guten Vorzeichen, wohin auch immer dir bestimmt ist zu
gehen, durch Städte, über das Meer, durch Felder, durch Haine und Wälder. Das
schreckliche Wehen des wilden Caurus möge dich nicht quälen, auch nicht der
Waldbrecher Boreas mit schrecklichem Getöse. Vielmehr möge dir der Hauch
himmlischer Gunst entgegenwehen (20) und die günstigen Wünsche mit seinem
Wehen antreiben. Ihr jedoch, Tyndariden, glückverheißende Gestirne, streut
durch den [latonischen] Seher alle Freude. Mein gestriges „Aufstoßen“ verbietet
mir, hier mehr hinzuzusetzen.

An einem Aufstoßenden kann gewiß


niemand Anstoß
nehmen.

Um unserer aufrichtigen Freundschaft willen


Martinus Opitius.
[H.B., V.M.]

***

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36 Nullis scripta notis

C HRISTOPH . S CHWARTZBACHIO,
Viro Clarissimo et Ornatissimo,
cùm laureâ Poetica publicè et
sollemniter insigni-
retur.

[B6r] Nullis scripta notis, numeris formosior ipsa


Omnibus Idaliâ dia Poësis erat.
Cum sancti quondam nativo fonte Quirites
Gaudebant puris, nec sine melle, jocis.
5 Nunc forma nudata sua jam tempora moerent,
Lenonesque notho lumine stant oculi,
Pallor in ore sedet mendaci, ossa oßibus haerent
Murcida, sufficiunt nec sua membra sibi.
Huc juvenum examen pariter pariterque virorum
10 Fertur, in exitium promta caterva suum.
Illa levi cellâ, tituloque superba procaci
Prostat, et in censu pro meretrice sedet.
Plus sceleris nusquam est. O majestatis avitae
Heroina tuum quae tulit aura decus!
15 Cum revoco mihi prisca tuae miracula formae,
Nil videt ad vestras nox hodierna faces.
Qui cupiat tibi fortè tuum reparare decorem
Vix, si ineas numeros, alter et alter erit.
Quos inter, S CHWARTZBACHIADE , non ultima laus es,
20 Nec tibi degeneri contigit ore loqui.
Quare, Q UOD F AUSTUM A C F ELIX sit, disce vocari
Pars Phoebi. En venae praemia digna tuae.
Felicem Comite hoc te Vatem, qui auget honorem
Quem quis habet, donat quem quis habere nequit.
M ART . O PITIUS
S ILESIUS.

***

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Nullis scripta notis 37

Für Christoph Schwartzbach,


den anerkannten und berühmten Mann,
als er öffentlich und feierlich
mit dem Dichterlorbeer
ausgezeichnet wurde.

Ohne Einschränkung hochgeschätzt und in jeder Hinsicht schöner als Venus


war die göttliche Poesie, solange einstmals die unverdorbenen Römer sich ihrer
ursprünglichen Quelle erfreuten und der reinen Scherze, die voll Honig waren.
Heute hat ihr Antlitz seine Schönheit eingebüßt und sieht jämmerlich aus,
ihre kupplerischen Augen haben einen fremden Ausdruck. Blässe liegt auf ihrem
verlogenen Gesicht, sie besteht nur noch aus Haut und Knochen und kann sich
kaum mehr ihrer Glieder bedienen. Und in diese Richtung stürzen sich Jünglinge
ebenso wie Männer in Scharen, (10) die ganze Schar zu ihrem Verderben bereit.
Sie aber bietet sich in ihrer verlotterten Zelle feil, stolz auf ihren schamlosen Titel,
und gilt bei der Einstufung für eine Hure. Nirgendwo gibt es ein schlimmeres Ver-
brechen. O Heldin von altehrwürdiger Größe, welcher Wind hat dir deine Würde
weggefegt: Wenn ich mir deine wunderbare frühere Schönheit vergegenwärtige,
so hat die heutige Finsternis nichts mehr zu tun mit deinem Glanz von einst.
Es werden sich, wenn du sie auflisten wolltest, nur ganz wenige finden, die dir
vielleicht die alte Würde wiederverschaffen möchten. Unter diesen genießt du aus
dem Geschlechte der Schwartzbach nicht den geringsten Ruhm, (20) und es ist dir
ja auch nicht gegeben, in heruntergekommener Sprache zu reden. So gewöhne
dich denn daran, und dazu sei dir Glück gewünscht, ein Jünger Apolls genannt zu
werden, und nimm hier den deiner Begabung gebührenden Preis entgegen.
Glücklicher Dichter, der du den als Pfalzgrafen hast, der den Ruhm mehrt, den ei-
ner hat, und der Ruhm verleiht, den einer nicht haben kann.
Martin Opitz
aus Schlesien.
[F.R.]

***

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38 GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA

GUILIELMI CO-
THURNI
ET
B ERN . G UILIELMI
NUSSLERI
Ornatissimorum Juvenum
PROPEMPTICA ,
cum Marpurgum studiorum
gratia abirent.
MARTINUS OPITIUS
scripsi.
B ETHANIAE AD O DERAM
L ITERIS T YPOGRAPHICIS
J OHANNIS D ÖRFERI .

[A2r]
A D G UILIEL . C O -
THURNUM
Ornatissimum Juvenem.

NOn ulla virtus est decentior viro,


Ac candor et fidelitas fuci carens.
Hanc laudis arrham malo, quam si consciae
Per ora plebis dicerer nequam vafer,
5 Gnarusque blandi vulpis Hetruscae doli.
Quamvis fere omnis mundus histrioniam
Exercet istam: fraudum acutus artifex
Bonus politicus audit, et vitae aulicae
Edoctus artes. Fulmen istas bestias
10 Disperdat, ore mella qui fantur suo,
Fel corde condunt, ac Sinonia fide
Fallunt amici simplicis pectus probum.
Profecto non sic execro Ditis domum,
Ac hos luparum filios, sacras bonae
15 Mentis luelas, callide qui se tegunt
Sub pelle ovina: pharmacum aspidis cutis
Formosa celat. Haec Pelasga humanitas
[A2v] Crudelitate est qualibet crudelior.
Non ista nobis, mi Cothurne, mens fuit:
20 Nos corda bina contubernio unico

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GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA 39

Geleitgedichte
für die hochgeachteten jungen Männer
Wilhelm
Bundschuh
und
Bernhard Wilhelm
Nüßler,
als sie zum Studium nach Marburg
aufbrechen wollten,
schrieb ich,
Martin Opitz.
Beuthen an der Oder,
gedruckt bei
Johannes Dörffer.

An Wilhelm
Bundschuh,
den hochgeachteten jungen Mann

Keine Tugend steht dem Manne besser als treue Aufrichtigkeit, die frei ist von
Verstellung. Diesen Ruhmestitel will ich lieber haben, als wenn ich im Munde
des eingeweihten Pöbels als ein verschmitzter Nichtsnutz geführt würde, der
die schmeichelnde List einer etruskischen Füchsin beherrscht. Gleichwohl übt
fast alle Welt ebendiese Schauspielkunst aus. Ein gewitzter Betrüger gilt als guter
Staatsmann und als bewandert in den Künsten des Hoflebens. Der Blitz soll
diese Bestien (10) vernichten, die mit dem Mund Honig reden und im Herzen
Galle verbergen und mit der Treue eines Sinon das ehrliche Gemüt eines einfäl-
tigen Freundes täuschen. Fürwahr, ich verfluche das Haus des Unterweltsgottes
nicht so sehr wie diese Hurensöhne, diese verdammte Pest für einen geraden
Sinn, sie, die sich schlau unter einem Schafspelz verstecken: Eine hübsche Haut
verbirgt das Gift der Viper. Diese Menschlichkeit nach Art der Griechen ist
grausamer als jede Grausamkeit.

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40 GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA

Artissime ligata conservavimus,


Diuque nos amavimus bona fide.
Et hac manebo mente, dum mî spiritus
Fovebit artus. Quem semel mihi eligo,
25 Semper reservo: nescius constantiae
Illius inconstantis, inter Liberi
Quando calorem se novus miscet calor
Condendi amoris intimi. Fraternitas,
Ructum inter atque faetidam trullam sata,
30 Quidnam potest olere quam tales locos
Unde exilivit. É culina qui venit,
Praefert saporem. Nil diutius moras
AEvi caduci sustinet, quam literas
Innatus inter et libros tenax amor.
35 Hic nos catena non solubili ligat,
Hic nos ligabit: ito, sive Mauritî
Herois invidendi Athenaeum placet,
Sive alia terra, semper isto pectoris
Tamen latebis abditus specu mei.

[A3r]
AD B. GUIL. NUSSLERUM
adolescentem doctissimum et ad
studia natum
ELEGIA .

IBIS ad Haßiacas sine me divulsus Athenas,


O juvenis, patriae fama futura tuae.
Ibis, et e vatis dilecti pectore, cunctas
Tecum delitias, gaudia cuncta trahes.
5 Nec te noster amor, nec te fraterna movebit
Cura, nec à madidis litera tincta genis.
Omnia sunt infra rigidam mea carmina mentem,
Inveniunt nullam verba benigna fidem.
Sic ubi virgineis deceptus amator ocellis
10 Ardet, et implacido tactus ab igne perit:
Heu quas non lachrymas, quae non suspiria fundit;
Curvarent miserae saxea corda preces.
Illa sua sibi mente placet, ridetque dolentem,
0 Ac gaudet vultus talia posse suos,

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GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA 41

Das, mein Bundschuh, war nicht unsere Haltung. (20) Wir haben unsere bei-
den Herzen bewahrt, indem wir sie aufs festeste in einzigartiger Gemeinschaft
verbanden, und lange sind wir einander schon vertrauensvoll zugetan. Und so
werde ich es halten, solange der Lebensgeist mir die Glieder stärkt: Wen ich ein-
mal mir erwähle, dem halte ich stets die Treue. Jene unbeständige Beständigkeit
kenne ich nicht, wenn beim feurigen Wein neuer Feuereifer von beiden Seiten
zusammenkommt, um einen innigsten Liebesbund zu schließen. Eine Freund-
schaft, begründet zwischen Rülpsen und stinkenden Nachttöpfen – (30) wonach
kann die schon riechen als nach den Örtlichkeiten, an denen sie entstand? Wer
aus der Küche kommt, bringt ihren Geruch mit. Nichts hält sich länger im holp-
rigen Lauf der Zeit als eine feste Freundschaft, die entstanden ist, während man
sich mit Wissenschaft und Büchern beschäftigte. Diese Freundschaft verbindet
uns mit einer unlösbaren Kette, und sie wird uns auch künftig verbinden. Geh
nur! Ob dir nun die Bildungsstätte des beneidenswerten Helden Moritz gefällt
oder ein anderer Landstrich, stets wirst du doch hier, im tiefsten Grunde meines
Herzens, verborgen sein.

An Bernhard Wilhelm Nüßler,


den hochgelehrten und für die Wissenschaften
geborenen Jüngling
Elegie.

Du reißt dich los und wirst ohne mich nach dem hessischen Athen ziehen, bester
Jüngling, künftiger Ruhm deiner Heimatstadt. Ziehen wirst du und aus dem
Herzen des befreundeten Dichters zugleich mit dir selbst alles Vergnügen und
alle Freuden reißen. Weder meine Liebe noch die Sorge deines Bruders werden
dich rühren noch ein Brief, feucht von den Tränen, die die Wangen herabfließen.
All meine Gedichte sind schwächer als dein hartes Herz, gute Worte finden kein
Gehör. So wie der Liebende, wenn er, von den schönen Augen eines Mädchens
getäuscht, (10) entflammt und von heftigem Feuer erfaßt vergeht – welche Trä-
nen vergießt er nicht, welche Seufzer seufzt er nicht! Seine kläglichen Bitten wür-
den sogar steinerne Herzen erweichen. Sie aber gefällt sich selbst im Grunde
ihres Herzens und verspottet den Leidenden und freut sich, daß ihr Anblick sol-

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42 GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA

15 Forsitan et reliquis narrat sua facta puellis.


Non est gens toto vafrior ulla solo.
I tamen, et claras illic diffunde per artes
Sedulus, ingenii munera larga tui.
Non etenim invideo. Tua nam quoque gloria nostra est,
20 Nec minor hoc nobis laus ab honore venit.
Atque ita sim felix, lateri comes impiger irem,
Nec mihi vis ausus sisteret alta meos:
Ah quam dulce foret generosis gaudia curis,
Doctaque festivis jungere verba logis,
25 [A3v] Interdum posita cunctorum mole laborum,
Solari blanda taedia longa chely,
Innocuisque jocis. Chorda uno dißilit ictu,
A nimium rigida sub juga tensa manu.
Sed votis illac pertingere possumus unis,
30 Mi Nüßlere, licent caetera sola tibi.
Non tamen iccirco videar desertus; et hic est
Quod poßit nostram crede levare sitim.
Me procul à vani defendit sordibus aevi
Scultetus, nostri Phoebus Apollo soli:
35 Incorrupta illibatae virtutis imago,
Dives opum, ast animo ditior ipse suo.
Hic tenerae clemens dat amica silentia Musae,
Ac fovet ingenij dona minuta mei.
Sic querula explicita Pandionis ales in umbra
40 Suaves solicito concinit ore sonos.
Sic mihi vita ruit. Tenera cum matre Cupido
Idalius vati dulce ministrat opus.
Cumque laborato sublimius ire cothurno
Possem, et Mantoo tradere vela Noto,
45 Arridens vafro Cytherea venustula nutu,
Monstrat virgineos imperiosa sinus.
Ista palaestra tua est, ait, haec sunt praelia, nervos
Hic licet intendas chare Poëta tuos.
Quid facerem? praestat tam suavi morte perire,
50 Claudere quam extremum militis ense diem.
Et nunc totus amo: sed non constanter. In una
Qui perit, hic nimium relligiosus amat.
Lesbia formosa est, non est deforme Neaera
Monstrum, nec tua nil Naso Corinna placet.

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GUILIELMI COTHURNI ET B ERN. G UILIELMI NUSSLERI PROPEMPTICA 43

ches vermag. Womöglich erzählt sie den anderen Mädchen auch ihre Taten: Auf
der ganzen Erde gibt es kein Geschlecht, das gerissener wäre als dieses. Ziehe
dennoch dahin und verschenke dort durch weitberufene Künste fleißig die rei-
chen Gaben deines Geistes. Ich neide es dir nicht, denn dein Ruhm ist auch der
meinige, (20) und mir wird durch diese Ehre kein geringeres Lob zuteil. Und bei
meinem Glück, ich wäre als nimmermüder Begleiter an deiner Seite, und nicht
einmal höhere Gewalt würde meine Vorhaben aufhalten. Wie schön wäre es,
Freuden mit gewichtigen Sorgen und gelehrte Worte mit heiteren Geschichten
zu verbinden, bisweilen die Last all der Mühen abzulegen und mit schmeicheln-
dem Leierspiel und harmlosen Scherzen sich über langwährende Plagen hinweg-
zutrösten. Die Saite reißt bei einem einzigen Anschlag, wenn sie von einer zu
starren Hand gespannt wurde. Aber nur mit Wünschen kann ich dorthin gelan-
gen, (30) lieber Nüßler, alles andere steht allein dir offen. Doch sollte ich des-
halb nicht verlassen scheinen; auch hier ist etwas, das, glaube mir, meinen Durst
lindern kann. Fern von den schmutzigen Geschäften unserer eitlen Zeit be-
schützt mich Scultetus, der gelehrte Apoll unseres Landes, ein unversehrtes Bild
ungeschmälerter Vortrefflichkeit, reich an Besitz, doch in seinem Herzen noch
reicher. Der schenkt der zarten Muse freigebig freundliche Stille und fördert die
geringen Gaben meines kleinen Talentes. So singt der klagende Vogel Pandions,
wenn Dämmerung sich verbreitet, (40) mit seinem emsigen Schnabel süße
Klänge. So eilt mein Leben dahin. Der idalische Cupido und seine reizende Mut-
ter gewähren dem Dichter eine angenehme Aufgabe. Und als ich auf dem müh-
selig verfertigten Kothurn höher einherschreiten und meine Segel dem Südwind
aus Mantua hätte anvertrauen können, lachte die schöne Göttin von Kythera
mit verschmitztem Nicken und wies gebieterisch auf den jugendlichen Busen:
„Dies“, sagte sie, „ist deine Arena, dies deine Kämpfe: hier darfst du deine Mus-
keln spielen lassen, mein lieber Dichter.“ Was hätte ich tun sollen? Es ist besser,
einen so süßen Tod zu sterben (50) als den letzten Tag durch das Schwert des
Soldaten zu enden. Und nun liebe ich ganz, aber nicht beständig: Wer wegen
einer einzigen zugrunde geht, der liebt zu bedenkenvoll. Lesbia ist schön, Neaera

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44 DIstrahitur binis
55 [A4r] Omnibus est aliquid quod se commendet amanti.
Vatibus hic fastus solus inultus abit.
Securo ingredimur Romana cubilia passu:
Cum volumus, nobis Graecia tota patet.
Sic vivam casto deperditus igne, libellis
60 Heroisque satis tutus amore mei.
Iam cernis tanti num sit tuus ardor, ut optem
Propter te patriam linquere posse meam.

***
Vidi qui facili narraret Stoa puellae
Dogmata, et in medio scita seuera sinu:
Ast haec nescio quid Stoum poscebat, et ipso
Si quid durius est marmore Stoicidum.
5 Stultum olet haec sapientia. Qui pro tempore vafre
Desipit atque loco cum ratione furit.

5 *  « N'«
2 "«
+ # , .
2
inquit Astyl!us" In Longi Pastoral!ibus"

ECQVANTVM RESTAT

Mart. Opitius Bol. Sil.


amicae beneuol. ergo
L. M. Q. apposuit
2. m. April die
M DC XVII.

***
J. MELIDEO V. CL.
Poetae et Oratori excellenti:
Cùm hodiernos Oratores et Poetas antiquis contulisset.

DIstrahitur binis doctorum natio sectis:


Haec vetus eloquium dejicit, illa novum
Nil Criticae felli, nisi saecula prisca probantur;
Rhetoras et Vates sola tulere bonos.
5 Ecce Poêtastris quae stat sententia nostris!

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DIstrahitur binis 45

ist auch kein mißgestaltetes Ungeheuer, und auch deine Corinna, Naso, gefällt.
Alle haben etwas, das sie dem Liebhaber empfiehlt; dieser Stolz kommt allein
bei den Dichtern ungestraft davon. Mit sicherem Schritt betrete ich römische
Schlafgemächer; wenn ich will, steht mir ganz Griechenland offen. So möchte
ich leben, von keuscher Brunst dahingerafft, (60) ganz im Schutze der Bücher
und der Zuneigung meines Mäzens. Jetzt siehst du, ob mein Verlangen nach
dir so schwer wiegt, daß ich wünsche, deinetwegen meine Heimat verlassen zu
können.
[F.R., R.S., W.-W.E.]

***
Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen steife stoische Leh-
ren vorerzählte und strenge Grundsätze an ihrer zarten Brust. Sie jedoch ver-
langte etwas stoisch Steifes oder sogar etwas Härteres, wenn es das geben
könnte, als den Marmor der Stoiker. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schlie-
ßen, der den Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit
all seinem Verstand rast.

Ich schwöre bei den Mädchen, daß ich nicht lüge.


Dies sagte Astylos im Hirtenroman des Longos.

Und wieviel bleibt mir noch zu tun!


Martin Opitz aus Bunzlau in Schlesien
setzte dies aus freundschaftlicher Gesinnung freudig
und mit Fug und Recht hierher
am 2. April
1617.
[R.S.]
***
An den hochgeachteten Jonas Melideus,
den hervorragenden Dichter und Redner,
anläßlich seines Vergleichs der modernen Redner und Dichter mit den alten.

In zwei Parteien spaltet sich das Volk der Gelehrten: Die eine verwirft die Be-
redsamkeit der Alten, die andere die der Neueren. Vor der gallenbitteren Kritik
der letzteren finden nur die alten Zeiten Gnade: Nur diese brachten gute Redner
und Dichter hervor. Und dagegen nun die Meinung unserer heutigen Dichter-
linge: Wir sind es, die etwas von der Sache verstehen; die Gedichte der Alten

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46 ARdentes oculi
Nos sapimus; veterum carmina rancor habet.
Error in utroque est, Jona Clarissime. Sed tu
Ad pacem laetas tollis, Amice, faces.
Antiquos colimus submissis fascibus: aetas
10 Non tamen ex ausis excidit ista suis.
Omnibus ex merito pretium est. Laudare solemus
Sic nummos Veteres, nec reprobare novos.

Martinus Opitius.

***
ARdentes oculi, radiantia tela puellae,
Membraque Riphaeâ candidiora nive;
Vobiscumnè velit virgo deponere, forma
Conspicua in nostris sit licet illa plagis?
5 Saepè, nec infiteor, vultus miratus honorem
Obstupui, inque oculis haesit imago meis:
Quae tibi nunc soli discet servire marito,
S CHUBERTE , et soli posse placere tibi.
O te felicem nimiùm tàm divite praedâ?
10 Innocuae florem virginitatis habes.
Credo equidem, nec vana fides, corrumpet ocellos
Lachrymulis, sibi quòd ire necesse siet.
Certè dejectum videor mihi cernere vultum,
Quo prius ignotum dissimulabit opus.
15 Hic patris, hic matris charae jactura vetabit,
Hic timor, et primi visque pudorque thori.
Hic vitta obstabit positis sine lege capillis;
Hic os pallebit, hic oculi atque genae.
Mira sibi confinget, et omnia tuta timebit,
20 Quodque tibi objiciet, istud et istud erit.
[B3r] Ut plebs virginea innumeris contendere causis
Novit, et è nata re simulare moras.
Tu pacem promitte, et contrà audentior ito.
Omnem, crede mihi, nox fugat una metum.

MARTINUS OPITIUS.
ex tempore lusit.

***

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ARdentes oculi 47

riechen ranzig. Beide Parteien sind im Irrtum, würdiger Jonas. Aber du, lieber
Freund, läßt zur Versöhnung die Freudenfackeln leuchten. Die Alten verehren
wir voller Respekt; (10) und dennoch tragen auch ihre kühnen Werke die Spuren
ihrer Zeit. Allem kommt der Rang zu, den es verdient: So pflegen wir alte Mün-
zen zu loben und dabei doch die neuen nicht zurückzuweisen.

Martin Opitz.
[R.K.]

***
Ihr strahlenden Augen, glänzende Waffen eines Mädchens, und ihr Glieder, wei-
ßer als der Schnee der riphäischen Berge! Sollte die Jungfrau zusammen mit euch
ihren Namen aufgeben, wo sie doch durch ihre Schönheit hierzulande aller
Blicke auf sich zieht? Oft, ich leugne es nicht, war ich starr vor Bewunderung für
den Adel ihrer Züge, und ihr Bild schwebte mir andauernd vor Augen. Und diese
wird nun lernen, nur dir, Schubert, als ihrem Gemahl zu dienen und nur dir ge-
fallen zu dürfen. O, wie überglücklich kannst du mit einer so reichen Beute sein!
(10) Die Blüte unschuldiger Jungfräulichkeit ist dein. Ich glaube allerdings, und
das ist keine bloße Einbildung, daß sie sich mit vielen Tränchen die Äuglein aus-
weinen wird, weil sie, wie sie weiß, diesen Weg gehen muß. Ja, ich sehe schon den
gesenkten Blick vor mir, mit dem sie das bislang unbekannte Geschäft abwehren
will. Da wird der Verlust des Vaters, da wird der Verlust der geliebten Mutter An-
laß zum Einspruch sein, da die Furcht und die gewaltsam verletzte Schamhaftig-
keit der ersten Nacht. Da wird ein Stirnband ihre frei flatternden Haare zügeln,
da wird ihr Gesicht, da werden ihre Augen und Wangen erbleichen. Merkwür-
dige Dinge wird sie sich einbilden und sich vor allem fürchten, auch wenn es
ganz harmlos ist, (20) und sie wird dir dieses und jenes vorhalten, so wie es das
Mädchenvolk eben versteht, mit zahllosen Vorwänden seine Sache zu verfechten
und je nach Lage der Dinge neue Hindernisse zu erfinden. Versprich du nur
Frieden und gehe um so dreister zu Werke: Eine einzige Nacht, glaube mir, ver-
treibt alle Furcht.

Aus dem Stegreif gedichtet


von Martin Opitz.
[R.K.]
***

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48 EST locus haud ulli visus
ILle parens tenerae fidusque auriga juventae,
Ille Heliconiadum non temeratus amor,
Attigit optatam malè-grato in pulvere metam,
Et corpus, major corpore, cedit humo.
5 Occurrit cupidis morti imperterritus ulnis,
Excipit haud ullo fata suprema metu.
Quám bene quos docuit felici vivere vitâ,
Instituit faustâ nunc quoque morte mori.
M ARTINUS O PITIUS.

***
GEORGIO VECHNERO
cùm Doctor Theologiae crearetur.
Non solùm terra ista tuos, Vechnere, labores
Novit, ut in patriam mentem animumque tuam.
Longè se claras virtus tua vexit in auras,
Et juvenem laudat fama senecta virum.
5 Jam qvoqve te sancti praenobile culmen honoris
Servat, ut hic testem nominis hujus habes.
Gratulor hîc nobis qvoqve, nam vix fiet, ut in te
Laus non et nostros evehat ista locos.

***
EST locus haud ulli visus, (nisi forte Poetis,
Queis Lunae quoque regna patent, et mystica divûm
Consilia, ignotique etiam sine nomine mundi.)
Quà nostri firmo amplexu confinia caeli
5 Concurrunt, fictis Atlas queis consulit armis.
Hic Veneris stat sancta domus, hic mollis Amorum
Gens habitat: tristi pars miscet dulce venenum
Ambrosiae, nectarque gravi confundit aceto:
Pars rigidas parat ista faces: Pars ista sagittas,
10 Dissimiles per cuncta sui, variique tenoris
Conficit: hae fatuas stulto mucrone lacessunt
Mentes, ut persaepe suae contagia vitae
Ignorent, generisque sibi majoris amorem
Affectent, poenasque suis dent moribus ipsi:
15 Aut oblita etiam non raro stemmatis alti

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EST locus haud ulli visus 49

Dieser Vater und treue Lenker der zarten Jugend, dieser untadelige Liebling der
Musen ist im undankbaren Staub an das ersehnte Ziel seiner Bahn gelangt und
überläßt, weit mehr als bloß Körper, seinen Körper der Erde. Er lief dem Tod
unerschrocken mit sehnsüchtigen Armen entgegen und nahm ohne alle Furcht
das ihm bestimmte Ende an. Wie gut hat er die, die er ein glückliches Leben zu
führen lehrte, nun auch unterwiesen, einen gesegneten Tod zu sterben. 0

Martin Opitz.
[R.K.]

***
Für Georg Vechner
anläßlich dessen Promotion zum Doktor der Theologie.
Nicht allein dieser Landstrich kennt deine Leistungen, mein Vechner, wie du dei-
nen Geist und Sinn für deine Heimat einsetzt. Weithin hat sich dein Verdienst ins
helle Licht der Öffentlichkeit gehoben, und den jungen Mann ehrt der Ruhm
eines Greises. Nun trägt dich auch der erhabene Gipfel einer anerkannten Eh-
rung, wie du hier den Zeugen dieses Namens hast. Ich beglückwünsche an dieser
Stelle auch uns, denn es wird kaum geschehen, daß dieser dein Ruhm nicht auch
unseren Stand emporhebt.
[R.S.]

***
Ja, es gibt einen Ort, den keiner jemals erblickt hat
(Außer vielleicht den Poeten, die Länder im Monde, geheime
Göttergespräche, sogar manche Welt ohne Namen besuchen
Dürfen, die keiner kennt), wo in enger Umarmung des Himmels
Grenzen, die Atlas bewacht mit Schultern der Sage, verfließen. 5
Da steht ein Haus, das heilige Haus Aphrodites, darin wohnt
Schelmisches Volk: die Eroten. Die einen mischen ein süßes
Gift zu betrübender Speise der Götter, vermengen mit bittrem
Essig den Nektar. Und andre verfertigen furchtbare Fackeln,
Wieder andere Pfeile, in allem verschiedne, verschiedner 10
Wirkung: Ein Teil verletzt mit besinnungraubender Spitze
Toren, so daß sie sehr oft Gefahr für ihr Leben mißachten,
Liebesverbindung erstreben, die über den eigenen Stand reicht,
Schließlich für ihre Verfehlung Bestrafungen hinnehmen müssen;
Oder die Pfeile verdunkeln nicht selten betörte Gemüter 15

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50 EST locus haud ulli visus
Nobilis occaecant praecordia capta juventae,
Vt positas infra majorum nomina sordes
Defigant animo, mediaque è faece popelli
Obscuri servas mercentur munere noctes.
20 Hae vultus feriunt, et visus lumina damnant,
Vt credant Helenae exemplar se perdere, cum vix
Virginis os et membra gerat. Confecta suprema
Si macie fugiunt deformia vulta, tenellam
Dicunt: aut nimio si se vix pondere molis
25 Suffartae trahit, eximia gravitate superbit.
Si lusca est, blandum patrantes frangit ocellos,
Et vultu loquitur; si vix quoque noctua cernit,
[C1r] Dissimulat Veneris lusus, et deijcit ora.
Scilicet haud opus est nimium, tum posse videre,
30 Cum facimus quod tentat Amor: quaeque omnia claudit
Nox non multum oculos, quia caeca est ipsa, requirit.
Hae, nec enim nostri teneant oblivia mentem,
Vatum corda petunt, qui quod non vidimus unquam
Doctis prosequimur lacrymis, auramque papyro
35 Credimus aeternae, nec nostro insania cordi
Displicet, atque ipso revocantur pectora morbo.
Quosdam, lucidior queis risit ab aethere Phoebus,
Ancillae mendax depictae vexat imago,
Ne nil prorsus ament: sic Thrax gladium, Italus hastam,
40 Ignem Persae, Arabes lapidem vice numinis orant.
Infelix amor ô nimium solaque beatus
Hac facie, tuto quod plane Henrice, timemus,
Ne quis ad incautam tendat rivalis amicam,
Ingratusque hospes nostra se jactet in aula.
45 At tibi felicis multo gratissima teli
Mentem animi, praeclare virùm, confixit arundo.
Cerne tuae vultùs et caelica lumina Nymphae,
Cerne comas, ac labra rosis, et colla pruinae
AEmula: quicquid habet soli tibi subdere discet
50 Sponsa, tibi casti deponet signa pudoris.
O dulces animae. Vobis latitantia caelo
Sidera praecipitant: ite ultum Cypridos ignem,
Sit gravis ille licet, vel gutta extinguet amoris.
O par formosum vestro indulgete calori:
55 Casta ligustra cadant, vacinia nigra legantur:

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EST locus haud ulli visus 51

Adliger Jugend, so daß sie, den vornehmen Stammbaum vergessend,


Ihre Gedanken auf Abschaum weit unter der Würde der Ahnen
Richten und Nächte, mit Mägden ganz tief aus des ruhmlosen Pöbels
Schmutzigem Unflat verbracht, mit Geschenken erkaufen. Und andre
Treffen das Antlitz und schaden den Augen, so daß die Getroffnen 20
Glauben, ein Muster der Schönheit, das Helena gleicht, zu verlieren,
Hat sie nur grad’ das Gesicht und den Körper von Mädchen. Sofern ihr
Häßlicher Leib, entstellt von der schlimmsten Magerkeit, wegsiecht,
Nennt man sie „zart“. Und wenn sie sich unter dem Übergewicht der
Fülligen Formen dahinschleppt, dann heißt’s: „Stolziert voller hoher 25
Würde.“ Für Schielende sagt man: „Gebrochenen Blickes erreicht sie
Schmeichlerisch viel, sie hat so redende Augen.“ Und wenn sie
Kaum etwas sieht, wie Eulen: „Mißachtet die Spiele der Liebe,
Senkt ihre Blicke verschämt.“ (Und freilich erfordert es wenig,
Sehen zu können, sobald wir verrichten, was Amor verlangt, denn 30
Nacht – sie ist blind – verdunkelt das alles und mag nicht besonders
Augen.) Und andere Pfeile – ich will meiner selbst nicht vergessen –
Zielen aufs Herz der Dichter: Wir leisten dem niemals Erlebten,
Weinend mit Tränen voll Bildung, Geleit, übergeben ein Lüftchen
Ewig beständ’gem Papier, unser Wahnsinn gefällt uns nicht übel; 35
Grade durch diese Erkrankung gelangt unser Herz zu sich selbst erst.
Manche, denen vom Himmel die Sonne zu kräftig gelacht hat,
Trügt das täuschende Bild einer Magd ihrer Vorstellung derart,
Daß sie nichts anderes lieben: So beten, anstelle der Gottheit,
Thraker das Schwert und Römer die Lanze an, Perser das Feuer, 40
Araber Steine. O Liebe, zu traurige Liebe, von einem
Bilde erfüllt nur; dies fürchten wir, Heinrich, fürchten gewiß es:
Irgendein böser Rivale umgarne die arglose Freundin,
Prahle an unserem Hof herum, ein verwünschter Besucher.
Dir aber, herrlicher Mann, durchbohrte das Herz der bei weitem 45

Reizendste Pfeil eines Schusses, der Glück bringt. Betrachte das Antlitz,
Schau auf die himmlischen Augen des dir gehörenden Mädchens,
Schau auf ihr Haar, ihren Mund, der den Rosen, den Hals, der dem Schnee gleicht:
Alles, was immer die Braut besitzt, sie wird es noch lernen,
Dir allein es zu schenken, für dich wird sie Zeichen der Reinheit, 50

Keuschheit verlernen. Gestirne, am Himmel verborgen, sie stürzen


Eilig hernieder für euch, ihr Geliebten; nun eilt, Aphrodites
Noch so heftigen Brand zu löschen; ein Tropfen der Liebe
Löscht ihn. O schönes Paar, willfahrt eurer Hitze! Es falle
Keuscher Liguster dahin, Hyazinthen erlest euch, die schwarzen! 55

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52 AESTUO, nec voti

Nec vos poeniteat thalamo trivisse labella,


Et laetos dulci pugna committere flores.
Sed quid ego haec frustra, quae nox docet ipsa, revolvo?
Martinus Opitius Silesius.

***
C ARMEN H EROICUM .
AESTUO, nec voti novit se terminus, omnis
Incerta sub mole precum versatur imago.
Plus est quod vero patriae debemus amori,
[A3v] Quam quod quisque sibi; nec commoda publica tanto
5 Sunt fraudanda bono. Deus est, Deus, ille vigorem
Et mentis commissa tuae tibi munera, forti
Confirmabit ope; quamvis tot mille labores
Incumbunt Scultete tuo celsissime collo.
Non equidem invideo requiem, et jam tempora cana
10 Multum sparsa nive, faciesque exercita curis,
AEtatem superant: sed tu tamen ardua facta
Sublimesque animos patriae ne subtrahe nostrae,
Et famae superesto tuae. Plus tendimus ultra,
Qui reliquos infra nos linquimus. Una quietis
15 Spes generosae animae est, nullam sperare quietem.
Saltem parce tibi pater, et te conjugis oro
Dilectae, natique tui non improba vota
Commoveant. Tantum vix Thessala pharmaca vitae,
Quantum cura nocet. Praestat superesse tenello
20 Jncolumem Ascanio, celeri quam morte peremptum
Linquere divitias haeredi. Exempla parentum
Plus quovis rectore valent. AEnëia virtus
Et facies veneranda patris prolem omnia magna
[A4r] Attentare jubet. Spectaclum haud pulchrius ullum est,
25 Ac quando magni patris non degener haeres,
Virtutem assequitur clari genitoris avitam.
Hos numeros tibi pono, pater charissime. Sed tu,
Alme Deus, si te communia flectere vota,
Si possunt lacrymae, sero tibi tale reposcas
30 Nobile depositum coeli: concede quietem,
Et morbos dispelle malos, curasque voraces

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AESTUO, nec voti 53

Freude bereite es euch, im Bett eure Lippen zu reiben


Und in dem süßen Gefecht einander Blumen zu schenken,
Fröhliche. Doch ist’s nicht nötig zu sagen, was euch die Nacht lehrt.
Martin Opitz aus Schlesien.
[G.B.]

***
Gedicht auf einen Helden.
Ich bin in Unruhe, und das Ziel meines Gebetes kennt sich selbst nicht. Unter
der Last der Ungewißheit stellen sich Bitten jeder Art ein. Mehr ist es, was wir
der wahren Liebe zum Vaterland schuldig sind, als was jeder sich selbst schuldig
ist; und der gemeine Nutzen darf nicht um ein solches Gut gebracht werden. Es
gibt einen Gott, und jener Gott wird die Kraft und die dir anvertrauten Gaben
deines Geistes mit kraftvoller Hilfe stärken, obgleich so viele tausend Mühen
schwer auf deinem Nacken lasten, erhabener Scultetus. Ich mißgönne es dir
nicht zu ruhen, und schon weisen deine Schläfen, die (10) stark mit weißgrauem
Schnee durchsetzt sind, und dein von Sorgen zerfurchtes Antlitz über dein
eigentliches Alter hinaus. Aber dennoch: entziehe du dein schwieriges Tun und
deinen erhabenen Sinn nicht unserem Vaterland, und bleibe noch am Leben für
deinen Ruhm. Über alle Grenzen streben wir empor, wenn wir die übrigen hinter
uns lassen. Die einzige Hoffnung auf Ruhe besteht für eine würdige Seele darin,
keine Ruhe zu erhoffen. Schone doch dich ein wenig, Vater, und mögen dich die
nicht unberechtigten Bitten deiner geliebten Gattin und deines Sohnes bewegen.
Kaum schaden thessalische Gifte dem Leben so sehr wie die Sorge. Besser ist
es, dem zarten (20) kleinen Ascanius zuliebe gesund am Leben zu bleiben als,
von einem raschen Tod dahingerafft, ihm, wenn er erbt, Reichtümer zu hinter-
lassen. Das Vorbild der Eltern zählt mehr als jeder Lehrmeister. Die Tapferkeit
eines Aeneas und das verehrungswürdige Antlitz eines Vaters fordern den Nach-
kommen auf, alle großen Taten zu versuchen. Kein Schauspiel ist schöner anzu-
sehen, als wenn der nicht unwürdige Sproß eines großen Vaters die alte Tapfer-
keit seines ruhmreichen Erzeugers erreicht. Diese Verse schreibe ich für dich
auf, bester Vater. Doch du, gütiger Gott, wenn dich allgemeine Wünsche, wenn
dich Tränen zu rühren vermögen, dann mögest du erst spät ein solch (30) edles
Kapital des Himmels für dich zurückfordern. Gewähre ihm Ruhe, vertreibe die
bösen Krankheiten, und möge der schnelle Nordwind die verzehrenden Sorgen

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54 SI posito
Praepes Hyperboreas Aquilo deportet in undas;
Donec ovans animi, vitae satur atque dierum,
In laetas patrii sedes succedat Olympi.
M ARTINUS O PITIUS.

***
I.
SI posito tua dona vides livore maligno,
Hoc etiam titulis adde, Bolesla, tuis:
Sincerum erectumque virum labisque carentem,
Cui virtus culmen cessit amica tuum.
5 Non etenim dubiae suffragia languida plebis,
Perversusque favor tale peregit opus:
[A3r] Sed germana fides, verusque in pectore candor,
Virtutisque sibi sufficientis amor,
Doctrinaeque amplae dotes, et coelica fandi
10 Munera, Nestoreo tota referta favo.
Haec te S ENFTLEBI , Fato accedente benigno,
Conspicuis auctum fascibus esse jubent.
Quamvis illa tuae prudentia vivida mentis,
Munera suspensa suscipit ista manu:
15 Nempe subinsulsae novisti pectora plebis,
Quoque magistratum praedicet ore suum.
Ecce tibi nullo conscriptos ordine patres,
Per condensati compita longa fori.
Hi vigilant nobis, si dîs placet, omnibus; hi nos
20 Certe haud exigua sedulitate regunt:
His mens in lingua est; hi te, Respublica, servant,
Ne quid non cauti forte Senatus agat.
At tu, justitia divina vindice, vano,
O praeclare virûm, ne moveare grege.
25 Sed patriae atque tibi laetus te suffice; gratum,
Ut desint homines, experiere Deum.

II.
Aonidum stabili qui sacra colebat amore
Et libris totus deditus, atque sibi;
[A3v] Assertos studiis tibi, Curia, tradidit annos,
Proque suo celebrat nunc Helicone forum.

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SI posito 55

in die hyperboreischen Fluten davontragen, bis Scultetus, frohlockend im Gei-


ste, satt am Leben und an Tagen, dir in die glückseligen Gefilde des väterlichen
Olymp nachfolge.
Martin Opitz.
[R.S.]
***
I.
Wenn du die Mißgunst der anderen außer acht läßt und dann deine Gaben be-
trachtest, füge auch dies deinen Ruhmestiteln hinzu, Bunzlau: einen ehrlichen,
aufrechten Mann ohne Makel, dem die Tugend, seine freundliche Helferin, den
Platz an deiner Spitze zugestanden hat. Denn nicht die schwache Abstimmung
einer wankelmütigen Bevölkerung und ihre Gunst, die sie oft dem Falschen
schenkt, haben ein solches Werk vollbracht, sondern angeborene Vertrauens-
würdigkeit und echte Redlichkeit im Herzen und Liebe zur Tugend, die sich
selbst genügt, reiche Gabe der Gelehrsamkeit und das himmlische Geschenk der
Beredsamkeit, (10) ganz voll von der honigsüßen Anmut eines Nestor. All dies
fordert, daß du, Senftleben, wenn das Schicksal es freundlich zuläßt, die präch-
tigen Amtsinsignien erhältst, obwohl jene lebhafte Klugheit deines Verstandes
diese Aufgaben mit zögernder Hand empfängt: Denn du kennst das Herz
des geistlosen Volkes und weißt, wie es über seine Beamten redet. Doch sieh, da
kommen die Ratsherren zu deiner Amtseinführung ohne feste Ordnung über die
große Kreuzung des von Menschen erfüllten Marktes. Sie wachen für uns alle,
wenn es die Götter wollen; sie regieren uns mit (20) gewiß nicht geringem Eifer;
ihr Verstand äußert sich in ihren Worten; sie bewahren dich, Stadt, davor, daß
der Rat nicht zufällig etwas Unvernünftiges tut. Du aber – die göttliche
Gerechtigkeit wacht darüber – laß dich nicht von der törichten Masse bewegen,
Bester unter den Menschen, sondern genüge freudig den Anforderungen des
Staates und deiner selbst: Du wirst, wenn nicht die Menschen, doch jedenfalls
Gott dankbar finden.

II.
Der mit beständiger Liebe die Altäre der Musen verehrte und sich ganz den Bü-
chern und sich selbst widmete, hat die für die Wissenschaft aufbewahrten Jahre
an dich, Rathaus, übergeben und besucht nun anstelle des geliebten Helikon die
Sitzungen.

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56 Ferax Bolesla

III.
Qui quondam patrium docuit cum laude Lycéum,
Jam sedet ad clavum, chara Bolesla, tuum.
Officium sic officio succedere par est,
Qui rexit juvenes, ut regat ille viros.

IV.
HIPPONAX.
Ferax Bolesla, grande Slesiae lumen,
Et hortulorum dulciumque rivorum,
Sed et virûm nutricula alma doctorum;
Quos forte nomen inter audiet pulchrum,
5 Opitii non impotens tui Musa,
Virgisque committenda poedagogorum;
Sed sat virilis, sed decora, sed fulgens,
Famaeque plena literariae Musa.
Quam te relinquo non libenter, ô mater,
10 Et matre si quid charius: sed hoc sidus
Fatale nobis, et noverca Fortuna
Mandat jubetque, destitutus ut plane
[A4r] Et consilî expers omnis exteras terras
Dehinc peragrem, inops, egenus, exulque;
15 Ac absque nervis ambulem. Vale longum
O officina, ô hospita alma Musarum,
Vale beata: tuque, clare S ENFTLEBI ,
Et tu satelles Pacis aeque VVesseli,
VVesseli amate praeco coelici verbi,
20 Et tu togae corusca stella Namslere,
Ac in parentis ipsius modum nobis
Dilecte semper, ò amice Preibisi
Integritatis, et modestiae antiquae:
Et caeteri quibus favoris in vatem
25 Scintilla restat ulla, queisque non restat,
Valete cuncti, sospitesque florete.
At nos miselli, pauperes et extorres,
Fortasse frustra saepe, more Ulysseo,
Optabimus videre patriae fumum!
M ARTINUS O PITIUS
Candid!atus" Poës!eos" et LL. !Legum" ac
Philos!ophiae" Studiosus.

***
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Ferax Bolesla 57

III.
Der einst mit Erfolg am Gymnasium der Heimatstadt gelehrt hat, sitzt nun an
deinem Steuerruder, mein geliebtes Bunzlau. Es ist recht, daß so Amt auf Amt
folgt, so daß der, der die Jugend geführt hat, nun die Männer führt.

IV.
Hipponax.
Reiches Bunzlau, du strahlende Leuchte Schlesiens, nährende Mutter von Gär-
ten und lieblichen Bächen, auch von gelehrten Männern – unter denen vielleicht
auch die kundige und doch den Ruten der Schulmeister ausgelieferte Muse
deines Opitz einen guten Ruf haben wird. Aber es ist ja eine recht tatkräftige,
schöne und strahlende Muse, voll von literarischem Ruhm – wie ungern ich dich
verlasse, die du mir Mutter bist (10) oder womöglich noch lieber als eine Mutter!
Aber dieser Stern, der uns Unglück bringt, und die stiefmütterliche Fortuna ver-
langen und fordern, daß ich fortan völlig verlassen und ohne jeden Rat fremde
Länder durchstreife, arm, hilflos und ohne Heimat, und kraftlos wandere. Leb
wohl für lange Zeit, Werkstatt und gastfreundliche Wirtin der Musen, leb wohl
und sei glücklich, auch du, großer Senftleben, und du, Begleiter des Friedens,
gerechter Wessel, Wessel, geliebter Verkünder des himmlischen Wortes, (20) und
du, schimmernder Stern der Toga, Namsler, und du, den ich immer wie meinen
eigenen Vater liebe, mein lieber Preibisch, Mann von alter Rechtschaffenheit
und Bescheidenheit: Und ihr übrigen, die noch einen Funken von Zuneigung
zum Dichter verspüren, und auch die, die es nicht mehr tun, lebt alle wohl, und
möge es euch gut gehen. Ich aber, unglücklich, arm und heimatlos, werde wahr-
scheinlich oft vergeblich wie Odysseus wünschen, den Rauch der heimatlichen
Herde zu sehen.

Martin Opitz,
Kandidat der Dichtkunst und Student der Rechte
und der Philologie.
[R.S., W.-W.E.]

***

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58 ARISTARCHUS

ARISTARCHUS
sive
D E C ONTEMPTU
Linguae Teuto-
nicae.
Auctore
M ARTINO O PITIO.
BETHANIAE ,
EXCUDEBAT JOHANNES
DÖRFER .

0 [A1v] Cicero pro P. Sextio.

Amemus patriam, consulamus bonis: praesentes fructus negligamus: posteritati


et gloriae serviamus: id esse optimum putemus, quod erit rectissimum: speremus
quae volumus, sed quod acciderit, feramus: cogitemus denique, corpus virorum
fortium magnorumque hominum esse mortale, animi vero motus et virtutis glo-
5 riam sempiternam.

[A2r] MAGNIFICIS ET NOBILISSIMIS


V IRIS, D N .
FRIDERICO à
Kreckwitz et Au¤en in
Denchwitz etc.
ET DN.
VVIGANDO à Gerßdorff
in Lindaw/
E QUITIBUS S PLENDIDISSIMIS.

IN Orbe hoc universo, Viri Nobilissimi, nihil homine, in homine nihil animo
praestantius fabricator sapientissimus collocavit. Quae excelsa mens et coeli,
unde originem trahit, aemula, unumquenque nostrum studiis certis et cogitatio-
nibus donat. Nec quisquam mortalium tam iniquo fato vivit, qui non semina ali-
5 qua virtutis concipere secum audeat. In hoc tamen communi aestu, varijs affec-
tibus et curis rapimur quisque, pro ingenii nostri, aut sor-[A2v]tis in quam nati
sumus, dignitate. Eam mentium diversitatem, si quicquam, nobilium nostrae

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ARISTARCHUS 59

Aristarchus
oder
wider die Verachtung
der deutschen
Sprache.
Verfaßt von
Martin Opitz.
In Beuthen
gedruckt von
Johannes Dörffer.

[Cicero in der Rede für P. Sestius]

Wir wollen das Vaterland lieben, den Guten helfen; wir wollen die gegenwärti-
gen Vorteile geringschätzen; der Nachwelt und dem Ruhm wollen wir dienen;
wir wollen das für das Beste halten, was das Richtigste ist; wir wollen auf das hof-
fen, was wir uns wünschen, aber ertragen, was immer eintreten mag; wir wollen
schließlich bedenken, daß der Leib tapferer Männer und bedeutender Menschen
sterblich ist, das Wirken des Geistes und der Ruhm der Tugend aber unsterblich
sind.
[V.M.]

Den durchlauchtigen und edelsten


Männern, dem Herrn
Friedrich von
Kreckwitz und Austen in
Denchwitz usw.
und dem Herrn
Wigand von Gerßdorff
in Lindaw,
den hochmögendsten Rittern.

Auf diesem ganzen Erdkreis, edelste Männer, hat der Schöpfer in seiner voll-
kommenen Weisheit nichts Vorzüglicheres geschaffen als den Menschen, im
Menschen aber nichts Vorzüglicheres als den Geist. Dieser überragende und
dem Himmel, woher er seinen Ursprung nimmt, nacheifernde Sinn beschenkt
einen jeden von uns mit bestimmten Bestrebungen und Gedanken. Und keiner
der Sterblichen lebt mit einem so ungerechten Schicksal, daß er nicht wagte, ir-
gendwelche Samen von Tugend in sich zu hegen. In diesem gemeinsamen Feuer
wird dennoch ein jeder von uns durch verschiedene Leidenschaften und Inter-

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60 ARISTARCHUS

aetatis vota et diversae curarum viae produnt. Quidam enim omnem conatum ac
industriam literis impendunt, et tum demum generis sui existimationem tueri se
10 probe censent, si, quos splendore natalium exsuperant, eosdem etiam doctrinae
eminentia post se relinquant. Laudabili more: nisi ad chartas istas veluti scopulos
aut Sirenum cantilenas consenescant, et cum omnia sciant hoc ipsum quoque
quod sunt ignorent. Alii nihil nisi equos loquuntur et molossos, ac quot feras uno
die confecerint, neminem quenquam volunt latere. Tela alij fulminant et gladios:
15 alij sola morum et humanitatis affectatione exercentur. Perit his omnis plerun-
que labor inanibus studijs: et cum diu vixerint, nondum tamen se vivere memi-
nerunt. Otioso negotio deterunt florem aetatis ac consu-[A3r]munt, et praeter
propter vitam degunt, non in ipsa. Optime autem ii temporis sui calculum po-
nere mihi semper visi sunt, qui literarum cognitionem externae elegantiae dulci
20 contubernio jungunt. Moderatur enim librorum amorem, ne infra sui generis
authoritatem excrescat, polita illa et ad comitatem magis composita calliditas:
quam vicissim literatae sapientiae dedita mens flectit et gubernat, ne, dum futili-
bus et fluxis rebus nimis est intenta, illud propter quod homines sumus, negligat
et omittat. Hoc tam augustum et illustre virtutis genus, Viri eminentissimi, nemo
25 est, nisi aut invidus aut imperitus, qui in vobis non agnoscat. Vos cum politicam
illam et civilem prudentiam ametis; literas etiam ac eruditionem non odistis: et
quotiescunque à domesticis occupationibus respirare vobis datur, ad libellos ve-
stros charissimos, tanquam portum curarum ac asylum, non [A3v] illibenter con-
fugitis. Sic cum illiteratorum ruditatem excedatis et ignorantiam: in sordes tamen
30 umbraticorum et lucifugarum non inciditis. Quae me res potissimum impulit, ut
exiguum hoc munusculum offerre vobis auderem: qui et diligitis has amoenita-
tes, et judicare de iis optime potestis. Accedit, quod immerentem me favore ve-
stro et benevolentia amplecti ac erigere voluistis, et inter caeteros virtutis ac no-

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ARISTARCHUS 61

essen hingerissen aufgrund des Ranges unserer Begabung oder des Schicksals, in
das wir hineingeboren sind. Diese Verschiedenheit der Gesinnungen bringen,
wenn überhaupt etwas, die Wünsche der Adligen unseres Zeitalters und die ver-
schiedenen Wege der Interessen hervor. Denn gewisse Leute verwenden jede
Anstrengung und allen Fleiß auf die Wissenschaften und meinen, daß sie dann
erst die hohe Meinung über ihre Herkunft rechtfertigen, wenn sie diejenigen,
welche sie durch Glanz der Geburt übertreffen, auch durch das Herausgehoben-
sein ihrer Gelehrsamkeit hinter sich zurücklassen. Dies ist eine löbliche Art –
wenn sie nicht bei diesen Schriften wie auf den Klippen oder bei den Gesängen
der Sirenen alt werden, und, auch wenn sie alles wissen, dies selbst jedoch, was
sie sind, nicht wissen. Die einen reden über nichts als ihre Pferde und Hunde
und wollen nicht, daß irgendjemandem verborgen bleibt, wie viele wilde Tiere
sie an einem einzigen Tag erlegt haben. Andere lassen ihre Waffen und Schwer-
ter blitzen: andere üben sich allein im Streben nach feinen Sitten und Lebensart.
Diesen geht meistens die ganze Mühe in leeren Bestrebungen zugrunde: und
selbst, wenn sie lange gelebt haben, besinnen sie sich dennoch nicht, daß sie le-
ben. Mit müßiger Beschäftigung vergeuden und verbrauchen sie die Blüte ihrer
Jahre, und führen nur so ungefähr ein Leben, stehen aber nicht in diesem selbst.
Am besten aber schienen mir immer diejenigen ihre Zeit einzuteilen, die die Er-
kenntnis der wissenschaftlichen Studien mit der Eleganz ihrer äußeren Erschei-
nung in einer angenehmen Kameradschaft verbinden. Denn, auf daß sie nicht
unterhalb der Würde ihrer Herkunft Auswüchse zeitige, setzt der Liebe zu den
Büchern jene gewandte und mehr zur Höflichkeit ausgerüstete Lebensklugheit
die Schranken, die wiederum der der gelehrten Weisheit ergebene Geist beugt
und lenkt, damit sie nicht, während sie sich mit eitlen und nichtigen Dingen all-
zusehr abgibt, jenes, weswegen wir Menschen sind, vernachlässige und verliere.
Es gibt aber niemanden, erlauchteste Männer, der, wenn er es nicht aus Neid
oder Unkenntnis tut, diese so erhabene und glänzende Art der Tugend in Euch
nicht anerkennt. Ihr haßt, während ihr jene politische und gesellschaftliche
Klugheit liebt, auch die Wissenschaft und die Bildung nicht. Und wie oft auch
immer es Euch gegeben ist, Euch von den Beschäftigungen in bezug auf Eure
Güter zu erholen, flüchtet Ihr Euch mit größter Freude zu den Euch so teuren
Büchern wie in einen Hafen und Zufluchtsort vor den Sorgen. Auf diese Weise
fallt Ihr, wenn Ihr die Roheit und Unwissenheit der Ungebildeten flüchtet, den-
noch nicht in das Dunkel der Schattengestalten und Lichtflüchtlinge. Diese Tat-
sache vor allem hat mich dazu bewogen, daß ich es wagte, dieses geringe Werk-
chen Euch zu widmen, die Ihr sowohl diese ergötzlichen Dinge schätzt als auch
über sie am besten urteilen könnt. Dazu kam, daß Ihr mich Unwürdigen durch
Eure Gunst und Euer Wohlwollen umfangen und aufrichten und unter die übri-
gen Verehrer Eurer Tugend und Vornehmheit zulassen wolltet. Daß aber dieses

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62 ARISTARCHUS

bilitatis vestrae cultores admittere. Non minus autem hunc libellum quam me,
35 acceptum vobis fore confido. Suscipite igitur immaturum hunc foetum, et natum
paene citius quam conceptum, unius et alterius dieculae studium: ac, nisi mino-
rum vos taedet, majora aliquando, si favor divinus et bonorum patrocinium ac-
cesserit, à nobis expectate.

Sint Moecenates, non deerunt forte Marones.

40 Valete, Nobilissimi Heroes, cum amabi-[A4r]lissimis vestris conjugibus (lectis-


simo sororum pari) ac liberis charissimis: et amate adolescentem, qui vos colit ex
animo et veneratur.

M ARTINUS O PITIUS.

[A4v] AD GERMANIAM.

ACcipe festino quae deproperavimus aestu,


Vindicias linguae, Teutona terra, tuae.
Heroos patriae charae qui commodet ausus,
Atque mares animos, unus et alter erit.
5 Haud etenim totam virtus Alemana reliquit
Se, sed et in sera Posteritate viget.
Ast ego, sancta Parens, cordis monimenta fidelis
Do tibi, doctrinae munera parva meae.
Ingenium fervore tui sine fine laborans;
10 Has Sors divitias, haec mihi dona dedit;
Non pomposa quidem, tumidoque superba nitore;
Nec tamen haud plane de meliore nota.
Caetera mortales patiuntur singula casus:
Quae venit è chartis Fama, perennis erit.
15 Quis Germanorum tot fortia nomina nosset?
Quis sciret vires, Carole Magne, tuas?
Ni vatum gens dia sequens servasset in aevum,
Et duraturum composuisset opus.
Vivunt carminibus reges, regumque triumphi:
20 Vindicibus nobis res nequit ulla mori.
Tu quoque, magna parens, versu celebrabere nostro,
Transibit dotes pagina nulla tuas.
En tibi promißi pignus levidense laboris.
Illud laudis, at hoc sit pietatis opus.

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ARISTARCHUS 63

Büchlein nicht weniger als ich selbst Euch willkommen sein wird, darauf ver-
traue ich fest. Empfangt also diesen unreifen Fötus, der beinahe schneller gebo-
ren als empfangen wurde, die Arbeit von ein oder zwei Tagen: Und, wenn Euch
dieses Geringe nicht mißfällt, mögt Ihr, sofern göttlicher Beistand und die Gön-
nerschaft der Guten hinzukommen, einst Größeres von mir erwarten.

Wenn es Mäcene gibt, wird es auch an Männern wie Vergil nicht fehlen.

Lebt wohl, edelste Helden, mit Euren liebreizendsten Gemahlinnen (dem erle-
sensten Schwesternpaar) und den teuersten Kindern und empfindet Wohlwollen
für den Jüngling, der Euch von Herzen schätzt und verehrt.

Martin Opitz.
[V.M.]
An Deutschland.

Empfange, was ich in eilender Hitze schleunig zu Papier gebracht habe, die Ver-
teidigung deiner Sprache, deutsche Erde. Es wird den einen und den anderen ge-
ben, der der teuren Heimat heldenhafte Unternehmungen und mannhaften Sinn
zuteil werden läßt. Denn die deutsche Tugend hat sich nicht ganz aufgegeben,
sondern wird auch in später Zukunft noch gedeihen. Aber ich, heilige Mutter,
widme dir ein Denkmal meines treuen Herzens, die geringen Gaben meiner Bil-
dung: einen Geist, der sich aus glühender Liebe zu dir ohne Ende müht; (10) die-
sen Reichtum, diese Gaben hat mir das Schicksal verliehen, bestimmt nicht voll
Pomp oder hochfahrend in aufgeblasenem Glanz; dennoch nicht ganz entfernt
von der besseren Sorte. Alles Übrige erleidet das Los des Sterblichen; doch der
Ruhm, der aus den Schriften kommt, wird unvergänglich sein. Wer kennte noch
so viele Namen von tapferen Deutschen? Wer wüßte noch von deiner Macht,
Großer Karl, wenn nicht die göttergleiche Schar der Dichter dies für die nach-
folgende Zeit bewahrt und ein Werk geschaffen hätte, das die Zeiten überdauern
wird. Es leben durch Gesänge die Könige und die Triumphe der Könige: (20)
Unter unserer Obhut kann nichts sterben. Auch du, große Mutter, wirst durch
unseren Vers gefeiert werden, keine Seite wird deine Gaben unbeachtet lassen.
Da hast du also nun einen bescheidenen Ertrag meiner versprochenen Mühe. Je-
nes sei ein Werk des Ruhms, aber dieses eines der Ergebenheit.

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64 ARISTARCHUS

[B1r] Aristarchus, sive de con-


temptu linguae Teutonicae.

QUotiescunque majores nostros Germanos, viros fortes ac invictos, cogito: re-


ligione quadam tacita ac horrore ingenti percellor. Augusta enim illa ac libera
gens, sola divinae virtutis suae et factorum memoria reverentiam mihi quandam
atque cultum imponit. Romanis, totius orbis victoribus, solo pectore adverso re-
5 stiterunt; et cum illa

Terrarum dea gentiumque Roma

nihil non subjugasset, corda Germanorum, vi omni ac impetu majora, expugnare


nondum potuit. Existimabant quippe heroës animosissimi: patriae suae liberta-
tem non murorum aut urbium magnificentia, sed mentis cujusque propugnaculo
10 censeri. Hanc ab omni injuria, hanc à telis ac potentia securam praestabant et im-
munem. Saepe nervorum ac corporis robore, saepius inexpugnabili animorum
celsitudine cum hostibus dimicabant, ac victores evadebant. Arma autem et gla-
dios sola famae suae ac laudis recordatione frangebant. Virtutem ac candorem
colebant ita, ut quod aliis longa demum et molesta institutione accedit, innatum
15 ipsis ac implantatum à natura videretur. Jura vero ac leges non tabulis aut aeri,
sed animo quisque suo insculptas circunferebat: et quae metu caeteri praestant
ac poenarum formidine, pudor iis atque modestia persuadebat. Fidei ac pro-
[B1v]missorum pignus non juramento dabatur, sed innocentia. Hanc non suis
modo, sed et hostibus probabant. Accedebat ad vitae ac gestorum gravitatem
20 lingua factis non dispar: succulenta illa et propriae cujusdam majestatis plenis-
sima. Hac excelsae suae mentis sensa libere et nullo ambitu explicabant, hac ad
arma se invicem hortabantur, hac saepe sola inimicorum minas quasi fulmine
quodam evertebant. Eam tam generosam, tam nobilem ac patriam suam spiran-
tem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, puram nobis et ab omni ex-
25 terna illuvie mundam tradiderunt. Et confirmare ausim, nullam reliquarum lin-
guarum, fatalem suam periodum, quam in omnibus humanis rebus experimur,
per tantum tempus

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ARISTARCHUS 65

Aristarchus
oder wider die
Verachtung der deutschen Sprache

Sooft ich mir unsere Vorfahren, die tapferen und nie besiegten Germanen, im Gei-
ste vorstelle, ergreift mich eine stille Ehrfurcht und ein mächtiger Schauer. Denn
jenes ehrwürdige, freie Volk flößt mir allein durch die Erinnerung an seine gött-
liche Tapferkeit und an seine Taten Scheu und Verehrung ein. Sie allein widerstan-
den in offener Feldschlacht den Römern, den Eroberern der Welt, und während

Rom, die Göttin der Völker und Länder,

sich alles unterworfen hatte, konnte sie doch die Herzen der Germanen, die je-
der Gewalt und jedem Angriff standhielten, nicht bezwingen. Als mutige Helden
glaubten sie, die Freiheit ihres Vaterlandes beruhe nicht auf der Pracht ihrer
Mauern und Städte, sondern auf dem Schutze der Gesinnung eines jeden von ih-
nen. Diese Freiheit sicherten sie vor jeder Bedrohung, vor Waffengewalt und
Übermacht, und erhielten sie uneingeschränkt. Oft kämpften sie durch die seh-
nige Kraft ihrer Arme, noch öfter durch die unüberwindliche Erhabenheit ihres
Mutes siegreich gegen ihre Feinde. Ja schon die Erinnerung an ihren alten Hel-
denruhm gab ihnen die Kraft, Schilde und Schwerter zu zersplittern. Tugend
und Sittenreinheit pflegten sie in dem Maße, daß ihnen das, was andern Völkern
erst lange, mühsame Unterweisung verleiht, von Natur angeboren und einge-
pflanzt erschien. Recht und Gesetz aber trug ein jeder in seinem Herzen, nicht
auf Erztafeln, eingegraben, und Scham und Sittlichkeit bewirkten bei ihnen das-
selbe wie bei den übrigen die Angst und die drohenden Strafen. Nicht Eide bürg-
ten bei ihnen für Verträge und Versprechen, sondern ihr unverdorbenes Herz,
das sie auch ihren Feinden gegenüber bewährten. Zu dem Ernst ihrer Lebens-
und Handlungsweise gesellte sich eine Sprache, die ihren Taten gleich voller
Kraft und eigentümlicher Hoheit war. In ihr drückten sie ihre erhabenen Gesin-
nungen frei und ohne Umschweif aus, durch sie feuerten sie sich gegenseitig
zum Kampfe an, durch sie allein machten sie oft, wie durch einen Blitzstrahl, die
Drohungen ihrer Feinde zunichte. Diese edle, vornehme Sprache, die den Geist
ihres Volkes atmet, haben sie uns lauter und rein, frei von jeder fremden Beflek-
kung, lange Jahrhunderte hindurch bewahrt, und ich möchte zu behaupten wa-
gen, daß keine Sprache die Zeit, welche ihr, wie allem Irdischen, nach unserer
Erfahrung das Schicksal gesetzt hat, so weit

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66 ARISTARCHUS

– vires ultra sortemque senectae

produxisse.
30 Suavissimus certè Graecorum et delicatissimus sermo barbarie aliorum populo-
rum ita corruptus est ac debilitatus, *ut se hodie in se vix agnoscat, et solo sui de-
siderio, in invidiam sui et exprobrationem, sibi supersit.

Tantum aevi longinqua valet mutare vetustas.

Latinus etiam nitor ultra felicem ac disertam Augusti aetatem se vix reservavit.
35 *Labente namque sensim urbe aeterna, mascula quoque illa et robusta oratio
eundem exitum fecit. Sive id fatali quadam lege et occulta ac mystica vi accidit;
sive vitio superiorum. Imperantibus enim Claudiis, Neronibus et Domitianis
monstris hominum ac sceleribus, et quorum sine flagitio ne meminisse quidem
possumus; lingua [B2r] principibus sui temporis melior esse non voluit. Praeter
40 pauca itaque cadentis Eloquentiae fulcra, mimum omnes instruxerunt. Enati
sunt prurientes quidam Rhetorculi, qui argute lascivire, quam bene loqui malue-
runt. Omnem conatum, omnem industriam ac laborem curiosa subtilitate con-
sumpserunt; et dum nervositatem affectarunt anxie, nobilem orationis sensum
fregerunt, et succum amiserunt ac sanguinem. Picas dixisses aut simios, qui de-
45 sultoria agilitate saltitant ubique non ambulant, et sibi molestiam, spectatoribus
risum creant ac misericordiam.

Ex illo fluere, et retro sublapsa referri


Lingua Italûm.

Irruptione enim peregrinorum, cultissimus sermo cecidit cum imperio, et se ipse


50 deseruit. Ac nisi praeclara illa ingeniorum monimenta, indulgentia numinum ac
coelesti clementia, reservata huc usque essent; nihil prorsus de Latina ac Graeca
eruditione, quam nomen inutile superaret. Quanquam, nisi vanus sum hariolus
(atque utinam vere sim) nescio quid mali etiam hodie impendeat, quod venustis-
simas linguas, quas è sedibus suis ante ac regnis depulit, ex animis quoque homi-
55 num evellet ac memoria. Graeca ignoramus multi, plurimi negligimus: et Platonis
ac Aristotelis, reliquorum etiam scripta multo divinissima, ab interpretibus ad-
discere malumus, quam ipsis. Qui nutricibus mihi non absimiles plane videntur.

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ARISTARCHUS 67

über die Kräfte und das Los des Alters hinaus

ausgedehnt hat.
Die liebliche und reizende Sprache der Griechen ist durch die Barbarei anderer
Völker so verderbt und entartet, daß sie sich heutzutage selbst kaum wiederer-
kennt und nur noch zu ihrer eigenen Schmach und Schande fortlebt.

So viel vermag im Laufe der Zeit das Alter zu ändern.

Auch der Glanz der Sprache Latiums erhielt sich kaum über das glückliche, re-
degewandte Zeitalter des Augustus hinaus. Denn mit dem allmählichen Nieder-
gang der ewigen Stadt ging auch die männlich kräftige Sprache zugrunde, viel-
leicht durch ein Gesetz des Schicksals und eine verborgene geheimnisvolle
Macht, vielleicht auch durch die Schuld der Herrschenden. Denn unter einem
Claudius, Nero, Domitian, diesen verbrecherischen Ungeheuern in Menschen-
gestalt, an die wir ohne Abscheu nicht einmal denken können, wollte die Sprache
nicht besser sein als die Herrscher ihres Zeitalters. Abgesehen von einigen Trä-
gern der sinkenden Beredsamkeit führten alle andern eine Posse auf. Lüsterne
Möchtegern-Redner traten vor die Menge, die lieber witzige Zoten vorbrachten,
als zu reden, wie es sich gehört. Mühe und eifrige Arbeit verwandten sie auf
die peinliche Genauigkeit des Ausdrucks, und während sie ängstlich Kraft zu
heucheln suchten, vernichteten sie den edlen Sinn der Rede und wurden kraft-
und saftlos. Sie glichen Spechten und Affen, die mit ausgelassener Behendigkeit
überall nur umherspringen, statt zu gehen. Sie sind sich selbst eine Last, bei den
Zuschauern aber erregen sie Gelächter und Mitleid.

Seitdem zerrann und schwand dahin


Die Sprache der Italer.

Denn durch den Einbruch der Fremden verfiel die aufs feinste ausgebildete
Sprache zugleich mit dem Reiche, sie gab sich selbst auf. Und wären uns nicht
jene herrlichen Monumente des Geistes durch die Nachsicht der Götter und die
Gnade des Himmels bis jetzt erhalten geblieben, so würde von der Bildung der
Griechen und Römer uns nichts übrig sein als der wertlose Name. Freilich, wenn
ich nicht ein Lügenprophet bin (und ich wünschte, ich wäre es wirklich), so droht
vielleicht noch jetzt das Übel, das die schönsten Sprachen, welche es einst aus ih-
ren angestammten Reichen vertrieb, auch aus dem Geiste und dem Gedächtnisse
der Menschen tilgen könnte. Viele von uns haben gar kein Griechisch gelernt,
sehr viele vernachlässigen es, und wir unterrichten uns über die göttlichen Schrif-
ten des Platon, des Aristoteles und der übrigen lieber durch Vermittlung von

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68 ARISTARCHUS

Illae namque cibis quos praemandunt, florem plerunque educunt ac animam: in-
fantes autem innocentissimos sputo livente pascunt ac spiritus olentis putredine.
60 Idem nobis accidit; et merito: qui [B2v] ne paratas quidem artes audemus co-
gnoscere. Nec felicius sane Latinitatis fatum. Iam quilibet nostrum singularem
loquendi ideam aut proponit sibi ipse, aut fingit. Vtut loquamur, dummodo non
sileamus, perinde est. Salustius antiquum nomen audit, et Criticis curiosissimis
mortalium relinquendus. Cicero, praeclarus ille quidem Orator, sed qui perpetuo
65 hoc laborat vitio, quod intellegi non erubescat. Quae calamitas ac invidia Ovi-
dium etiam, poëtarum omnium longè ingeniosissimum, deprehendit. Petronius
vero, Tacitus, Curtius, Symmachus ac reliquus ille priscorum ordo Lunae regna
sunt, in quae, praeter Endymionem, quem altera demum luce rediisse perhibent,
nemo hactenus vivorum nisi somniando pervenit. Haec censura universae clas-
70 sicorum cohorti intentatur. Novorum interea quorundam, et terrae filiorum inu-
sitatam ac portentosam dicendi rationem, miro judiciorum applausu, colimus et
amplectimur. Sic elegantissimam illam Venerem Romanam et fraudamus decore
nativo, et spurio fuco corrumpimus. Prostituimus denique eam nobis ipsi ac de-
floramus. Pauci sunt, qui suavissimae et simulachris omnibus emendatiori deae
75 misericordiam, pauciores qui auxilium commodant et operam. Ita sensim ac
*-"
+  λ Latina illa puritas ad fatalem metam tendit; quam brevi elapsam
prius quam elabi sentiemus.

*4 ’ 
 
  «  φ  .

80 Nos, quanquam Germanum ac liberale pectus horret hoc nomen, mendacio de-
prehendi et puniri rubore libenter vellemus. Neque laetior aliarum quo-[B3r]que
linguarum Catastrophe: de quibus sermonem facere et imperitia nostra vetat, et
instituti ratio. Germanorum tamen sermo linguas posterorum, ut fides et candor
animos, hucusque indivulsus et incorruptus semper est comitatus. Quotusquis-
85 que verò nostrum invenitur, qui aut vindicare eum, aut excolere audeat? Pauci,
quod pace vestra liceat, amamus Bonam Mentem, et furere libet cum insanienti-

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ARISTARCHUS 69

Übersetzern als bei ihnen selbst. Diese Vermittler sind ja fast wie die Ammen, die
die Speisen vorkauen, ihnen dadurch den Geschmack und die Gestalt nehmen
und den unschuldigen Kindlein nur noch ihren eigenen fahlen Speichel und ihren
fauligen, stinkenden Atem als Nahrung übriglassen. So ergeht es auch uns, und
mit Recht; denn wir können uns nicht einmal dazu entschließen, die Wissens-
schätze kennenzulernen, die fertig für uns bereitliegen. Auch mit der lateinischen
Sprache verhält es sich nicht besser. Ein jeder von uns richtet sich heute nach
einem besonderen Begriff von der Sprache oder macht sich gar selbst einen
zurecht. Wie wir sprechen, ist gleichgültig, wenn wir nur nicht schweigen. Sallust
steht in dem Rufe eines Altertümlers und wird den Kritikern, den Wißbegierig-
sten der Sterblichen, überlassen. Cicero ist zwar ein trefflicher Redner, er leidet
aber beständig an dem Fehler, daß er ohne Scheu verständlich schreibt. Derselbe
schlimme Vorwurf trifft auch Ovid, den weitaus begabtesten aller Dichter. Petro-
nius vollends, Tacitus, Curtius, Symmachus und die übrige Schar der Alten gehö-
ren ins Reich der Luna, und dort ist außer dem Endymion, welcher erst am zwei-
ten Tag zurückgekehrt sein soll, bis jetzt noch kein Lebender außer im Traume
eingedrungen. Während dieser Maßstab an die ganze Schar der Klassiker ange-
legt wird, üben wir uns unter dem wunderlichen Beifall der Kunstrichter in jener
weit hergeholten, monströsen Redeweise einiger von den neuen Staubgeborenen
und übernehmen sie als unsere eigene. So bringen wir die feine römische Schön-
heit um ihren angeborenen Schmuck und verderben sie durch trügerische
Schminke. Kurz, wir geben sie uns selbst preis und berauben sie ihrer Reinheit.
Nur wenige haben mit der lieblichen Göttin, die makelloser als alle ihre Bilder ist,
Mitleid, und noch weniger leisten ihr tätige Hilfe. So nähert sich allmählich
Schritt für Schritt die Reinheit der lateinischen Sprache ihrem vom Schicksal ver-
hängten Ende, und in kurzem, ehe wir noch ihr Verschwinden bemerken, werden
wir sehen, daß sie schon vergangen sein wird.

Unbestechliche Zeugen aber


Bleiben die künftigen Tage.

Wir wollten uns gern, obwohl unser edles deutsches Herz vor dem Worte zu-
rückschreckt, der Lüge zeihen und durch Schamröte strafen lassen. Auch das
Geschick der übrigen Sprachen ist nicht erfreulicher; aber über diese zu reden,
verbietet uns unsere Unkenntnis und die Natur unserer Aufgabe. Die Sprache
der Germanen jedoch ist bis auf den heutigen Tag unvermischt und unverfälscht
den Zungen der Nachkommen verblieben, so wie die Treue und Einfalt ihren
Herzen. Aber wie wenige unter uns versuchen, diese Sprache zu schützen und
weiter auszubilden. Mit Verlaub möchte ich sagen: Wenige von uns lieben gesun-
den Sinn, man rast mit den Wahnsinnigen, und keiner tritt auf, der dem über-

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70 ARISTARCHUS

bus; nec quisquam prodit, qui malo gliscenti et publico delirio occurrat. Exteras
regiones periculoso ac incredibili labore, neque sumptibus exiguis peragramus;
et impense hoc agimus, ne similes patriae ac nobis videamur. Sic dum effrenata
90 quadam cupidine peregrinum idioma addiscimus, negligimus nostrum ac in con-
temptum adducimus. Quasi verò non eorundem vitiorum tellus nostra atque
dissiti loci sit ferax, et ab hac gente libidines, ab ista petulantiam, ab illa fastum et
superbiam petere sit necesse. Quae et perpetrari hic possunt singula; et nisi pos-
sent, salvo, ut opinor, Reipublicae statu fieret. Tanti profecto morum novitas et
95 mercimonia linguarum neutiquam emenda sunt. Ego tamen, non ut utilissima
peregrinandi consuetudo intermittatur suadeo: sed ut desideratissimae patriae
nostrae dignitas salubri auxilio conservetur. Sedulo hoc agamus, ut qui à Gallis ac
Italis humanitatem mutuamur et elegantiam: non minus ab ipsis et linguam no-
stram, quod certatim eos facere in sua animadvertimus, perpolire accurate et ex-
100 ornare addiscamus. Inconsulte facit, qui neglectis domesticis extera habet anti-
quiora. Verùm ita natura comparatum est, ut in proprio quisque negotio hebetior
sit, quàm in alieno: [B3v] sive id fastidio familiarium rerum, sive exterarum allu-
bescentia, sive denique inexplebili sciendi aviditate accidit. Ea enim mentis hu-
manae ratio est, ut libero et effreni cursu volitet per omnia, et studio inusitata
105 noscendi sui ipsius saepe obliviscatur. Multa scire quam multum quilibet deside-
rat: ut ambitioni modo suae ac gloriae velificetur. Si quis strabo saltem oculo
alpes transmisit, interesse suae existimationis autumat, ne quis tam horribile
secretum ignoret. Quae omnia sapiens animus ridet, et alto supercilio contemnit.
* Nam et aliud agenti possunt haec accedere; et plausum populi magis, quam lau-
110 dem eruditorum merentur; et à viris gravibus nonnunquam etiam plane respu-
untur. Magistratum certe Romanum nunquam nisi Latinè Graecos responsa
dare, eosque per interpretem loqui coëgisse, non in urbe solum, sed ipsa Graecia
et Asia, Valerius Maximus autor est. Nunc pudet patriae; et saepe hoc agimus, ne
nihil minus quam Teutonicum idioma callere videamur.

115 Hoc fonte derivata clades


In patriam populumque fluxit.

Contemnimus itaque nos ipsi, et contemnimur. Interim purissima et â peregrino


squalore libera hactenus lingua mutat, et in miras loquendi formulas degenerat.
Monstra vocabulorum et carcinomata irrepunt occulte, ad quae genuinus aliquis

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ARISTARCHUS 71

handnehmenden Übel und dem allgemeinen Taumel steuerte. Mit unglaub-


lichen, gefahrvollen Mühen und mit nicht geringen Kosten durchwandern wir
fremde Länder und streben eifrig danach, unser Vaterland und unser Wesen un-
kenntlich zu machen. Indem wir mit ungezügelter Gier eine fremde Sprache er-
lernen, vernachlässigen wir die eigene und machen sie verächtlich. Als ob nicht
unser Boden dieselben Laster hervorbrächte wie entfernte Länder, und als ob
wir uns von diesem Volke die Lüste, von jenem die Frechheit, von einem dritten
Stolz und Hochmut erst beibringen lassen müßten. Das kann man alles auch zu
Hause erwerben, und könnte man es nicht, so wäre es, glaube ich, nicht zum
Schaden unseres Gemeinwesens. So teuer darf man neue Sitten und Sprachen
wahrhaftig nicht erkaufen. Doch will ich damit nicht geraten haben, die nütz-
liche Gewohnheit des Reisens aufzugeben – nein, es geht nur darum, das Anse-
hen unseres geliebten Vaterlandes durch heilsame Hilfe zu erhalten. Wir wollen
eifrig dafür sorgen, daß wir von den Franzosen und Italienern, von denen wir
Bildung und feine Sitten entlehnen, auch erlernen, unsere Sprache mit Sorgfalt
auszubilden und zu schmücken, ganz so, wie jene es offensichtlich mit der ihri-
gen tun. Unbedacht handelt, wer das Einheimische zurücksetzt und Fremdes
vorzieht. Aber die Natur hat es so eingerichtet, daß jeder seine eigenen Dinge
nachlässiger betreibt als fremde, mag das aus Überdruß an den häuslichen An-
gelegenheiten oder aus Wohlgefallen an den fremden oder aus unstillbarem Wis-
sensdurst geschehen. Denn das ist die Art des menschlichen Geistes, daß er alles
in freiem, ungezügeltem Fluge durcheilt, und im Eifer, Neues kennenzulernen,
sich selbst oft vergißt. Viel, möglichst viel will jeder wissen, nur um seinen Ehr-
geiz und seinen Ruhm zu fördern. Wer nur einmal einen kurzsichtigen Blick über
die Alpen hinüber gewagt hat, der meint schon, er sei es seinem Rufe schuldig,
daß nun jeder ein so schreckliches Geheimnis erfahre. Darüber lacht der Weise
mit Stolz und Verachtung. Denn so etwas kann auch Leuten begegnen, die an-
dere Dinge betreiben, und es verdient eher den Beifall des Pöbels als das Lob der
Gebildeten; von weisen Männern wird es bisweilen völlig mißachtet. Valerius
Maximus berichtet, die römischen Behörden hätten den Griechen stets auf
Lateinisch Bescheid gegeben und sie gezwungen, mit Hilfe eines Dolmetschers
zu sprechen, und das nicht nur in Rom, sondern in Griechenland selbst und in
Kleinasien. Wir schämen uns jetzt unseres Vaterlandes und bemühen uns gar so
zu tun, als verständen wir die deutsche Sprache schlechter als jede andere.

Aus dieser Quelle entsprungen,


Strömte das Verderben über Land und Volk dahin.

So verachten wir uns selbst und werden verachtet. Indessen verändert sich die
reine und bisher von fremder Befleckung unberührte Sprache und entartet zu

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72 ARISTARCHUS

120 Germanus quandoque vix indignationem, quandoque nauseam vix tenet. Dicas
in sentinam durare hanc linguam, ad quam reliquarum sordes torrente promis-
cuo deferantur. Nulla ferme periodus est, nulla interpunctio, [B4r] quae non as-
cititium quid redoleat. Jam à Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutua-
mur, quod domi nascitur longe elegantius. Vidi quoque, qui ne à Graecis quidem
125 se abstineret. Talis illa vox, quae sine risu non excipiebatur: Jungfraw/ sie muß
auch da‚    observiren.

En cor Zenodoti, en jecur Cratetis!

Et tamen, quo quis in his nugis perfectior, eo major sibi videtur, et seipsum, si
diis placet, adulatur. Trojam cepisse autumat, et Hectori viro fortissimo contro-
130 versiam de gravitate movisse. Quae profecto neque prudentum reprehensionem
effugere; neque favorem vulgarium animarum promereri possunt: risum autem
et ludibrium foeminis etiam non raro debent. Et quis ejusmodi *
 
effusissimo cachinno non prosequeretur? Der monsieur al‚ ein brave cavallier,
erzeige mir dz plaisir. Quod vir literatissimus, et Germaniae nostrae singulare
135 ornamentum Casparus Dornavius, fautor meus longe gratiosissimus, in exem-
plum citat. Cui musteum hunc et nuper natum dicendi morem non probari, ex
animo gaudeo. Atque utinam candidi omnes Germani, condensato agmine satis
elegantem linguam nostram servaremus, qui virtutem nondum amisimus. Jam
opem nostram, jam auxilia implorat; deturpata cultu non suo et deformata. Fin-
140 gite vobis adesse liberalis faciei virginem, castam hactenus et ne spe quidem noc-
tis imminutam. Colligite ipsi fractam in gradus comam, aedificate superne, anulo
gemmeo cacuminis (ut sic dicam) extremitatem includite. Jam caput Romanum
est. Sit humeros manuleato Hispaniae amictorio, sit mulierum Italarum è nebula
linea
145 [B4v] strophio surgentes cincta papillas.
Ventrem cyclade Gallica, hoc est, exiguam muscam elephanti corio, circunten-
dite. Jam Atheniense peplum illi injiciatur. Nonne *Maenadi insanae, quam de-
centi nymphae erit similior? Omnia disparia, peregrina omnia, neque quicquam

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ARISTARCHUS 73

wunderlichen Redeweisen. Wortungetüme und Krebsgeschwüre schleichen sich


ein, bei denen ein ehrlicher Deutscher bald seine Entrüstung oder seinen Ekel
nicht mehr zurückhalten kann. Man kann sagen, diese Sprache wird zur Kloake,
in die sich wahllos aller Unflat ergießt. Es gibt beinahe keinen Abschnitt, keinen
einzelnen Satz, an welchem nicht eine fremde Zutat zu spüren ist. Einmal ent-
lehnen wir von den Römern, dann wieder von den Franzosen und sogar von den
Spaniern und Italienern, was unser heimischer Boden viel besser hervorbringt.
Ich kenne auch einen, der sich nicht einmal scheute, griechische Worte einzu-
mengen. So sprach er, was man nicht ohne Gelächter anhören konnte: Jungfraw,
sie muß auch das &
  observiren.

Das ist der Geist des Zenodot, die Weisheit des Krates!

Und doch, je besser sich einer auf diese Possen versteht, um so bedeutender
kommt er sich vor und schmeichelt sich womöglich noch selbst. Er dünkt sich, er
habe Troja eingenommen und dem tapferen Hektor den Rang streitig gemacht.
Das kann in der Tat dem Tadel kluger Männer nicht entgehen, wie es auch die
Gunst der Leute aus dem Volk nicht erringen kann; aber selbst den Frauen gibt es
häufig Stoff zu Gelächter und Spott. Und wer müßte nicht unbändig lachen über
ein so törichtes Gerede wie dieses: Der monsieur, als ein brave cavallier, erzeige mir daz
plaisir. Dies führt der hochgelehrte Dornau, mein günstiger Gönner und die
Zierde unseres Deutschland, als Beispiel an, und ich freue mich von Herzen, daß
auch ihm diese neugebackene und erst jüngst aufgekommene Redeweise nicht ge-
fällt. Möchten doch alle wohlgesinnten Deutschen, soweit sie noch männliche
Tatkraft besitzen, in geschlossener Reihe unsere schöne Sprache beschützen. Um
unsere Unterstützung und Hilfe geht es heute. Denn sie ist geschändet und ent-
stellt durch ein Gewand, das ihr nicht paßt. Stellt euch eine Jungfrau von edlem
Antlitz vor, deren Keuschheit noch nicht einmal durch die Hoffnung auf eine Lie-
besnacht vermindert ist. Bindet ihr Haar zusammen, kräuselt es in Wellen, türmt
es hoch auf und umschließt den Gipfel gleichsam mit einem von Juwelen glän-
zenden Ring. Nun ist der Kopf römisch. Dann umspannt ihre Schultern mit
einem langärmeligen spanischen Mantel wie bei italischen Weibern aus dünnem
Leinen,

mit einem Bande seien die schwellenden Brüste umschlossen.

Den Leib umhüllt mit einem weiten französischen Kleide, wie eine winzige Fliege
mit einer Elefantenhaut, und endlich werft ihr einen athenischen Mantel über:
Wird sie am Ende nicht eher einer rasenden Mänade als einer züchtigen Nymphe
ähnlich sehen? Nichts paßt zusammen, alles ist fremd und nichts natürlich als das,

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74 ARISTARCHUS

genuinum, praeter id quo foeminae censentur. Eadem fortuna linguam nostram,


150 idem casus obruit: non sua, sed suorum culpa. Amamus enim hos naevos, et fo-
vemus indies ac imitamur: vitio judiciorum, ac seculi quoque. Prisca certe aetas
id non tulisset. Tiberius militem testimonium Graece interrogatum, nisi Latine
respondere vetuit. Ipse etiam sermone Graeco [Tranquilli verba sunt] quanquam alias
promptus et facilis, non tamen usquequaque usus est. Abstinuitque maxime in senatu: adeo
155 quidem ut *Monopolium nominaturus, prius veniam postularit, quod sibi verbo peregrino
utendum esset: atque etiam in quodam decreto patrum, cum *
 recitaretur, commut-
andam censuerit vocem, et pro peregrina nostratem requirendam: aut si non reperiretur, vel plu-
ribus et per ambitum verborum rem enuntiandam. Juvenalis quoque eundem morbum
salse neque acriter minus insectatur.

160 *Nam quid rancidius, quam quod se non putat ulla


Formosam, nisi quae de Tusca Graecula facta est,
De Sulmonensi mera Cecropis? (omnia Graece,
Cum sit turpe magis nostris nescire Latine.)
Hoc sermone pavent, hoc iram, gaudia, curas,
165 Hoc cuncta effundunt animi secreta; quid ultra?
Concumbunt Graece.

*P0
 , $*  "«, et quidem satis pro Sa-[Clr]tyrica libertate. Neque
timidior alterius ad Imperatorem vox: Tu quidem, Imperator, peregrinis homini-
bus dare civitatem potes, verbis non potes. Id nos imitemur. Haud enim nobis
170 quicquam, quod quidem necesse ad rem sit, deesse potest. Ingenium certe ver-
borum nostrorum et tractus sententiarum ita decens est, ita felix: ut neque
Hispanorum majestati, neque Italorum decentiae, neque Gallorum venustae
volubilitati concedere debeat. Cujus rei unicum Marnixii apiarium, in nostrum
idioma conversum, optimae fidei testem arcessere possumus. Quem quidem li-
175 brum, quod quidam ita atroci stylo et indignanti pungunt ac confodiunt, causam
profecto non habent. Nihil sane est in tam festivo opere, quod non et ad aeter-
nam salutem praecepta ingerat, et honesta suavitate conditum vim quasi asperio-
ribus naturis faciat, ac nil tale cogitantes expugnet. Delitiarum omnium pyxidem

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ARISTARCHUS 75

wonach man die Frauen bestimmt. Dasselbe Geschick, dasselbe Verhängnis ist
über unsere Sprache hereingebrochen, aber nicht durch ihre Schuld, sondern
durch die der eigenen Leute. Denn wir sehen diese Schandmale gern, wir pflegen
sie und suchen sie nachzuahmen, weil unsere Kunstrichter so verdorben sind, wie
es unsere ganze Zeit ist. Im Altertum hätte man das gewiß nicht geduldet. Tibe-
rius ordnete an, ein Soldat dürfe, falls er als Zeuge auf Griechisch vernommen
werde, nur lateinisch antworten. Er selbst war, nach den Worten des Tranquillus,
sonst zwar der griechischen Sprache mächtig und gebrauchte sie mit Leichtigkeit; aber er be-
diente sich ihrer doch nicht überall. Am meisten vermied er sie im Senat, und er ging darin so
weit, daß er sich, als er dort einmal ein Monopol bezeichnen wollte, sich zuerst dafür entschul-
digte, daß er ein Fremdwort benutzen müsse. Und als ein andermal in einem Senatsbeschluß das
Wort 
 vorgelesen wurde, befahl er, das Wort zu ändern und ein lateinisches dafür zu
suchen; finde man aber keines, so solle der Begriff lieber durch Umschreibung wiedergegeben wer-
den. Auch Juvenal zieht gegen dieselbe Sucht witzig und nicht weniger scharf zu
Felde:

Gibt’s was Faderes wohl, als daß sich nicht eine für chic hält,
hat sie sich aus der Etruskerin nicht in ’ne Griechin verwandelt,
aus der Sulmonerin in’ne Kekroperin? Alles nur griechisch,
(während’s für uns doch noch schmachvoller ist, nicht Lateinisch zu können,)
Sprache der Furcht ist’s ihnen, des Zorns, der Freud’ und der Sorgen,
jedwedes Herzensgeheimnis versprudeln sie darin: Gibt’s Stärkres?
Griechisch nur schlafen sie bei.

Wenig, aber recht deutlich, ganz wie es der Freiheit des Satirikers entspricht. Und
ebenso mutig war das Wort, welches ein anderer zu einem Kaiser sprach: Kaiser,
du kannst wohl fremden Menschen das Bürgerrecht verleihen, aber nicht fremden Worten.
Danach sollten wir uns richten. Denn eigentlich haben wir alles, was wir brau-
chen. Der Geist unserer Worte und der Fluß unserer Sätze ist so angemessen und
so glücklich, daß sie weder der gemessenen Würde des Spaniers noch der Feinheit
des Italieners noch der Zierlichkeit und Zungenfertigkeit des Franzosen zu wei-
chen brauchen. Ein schlagender Beweis ist die ganz einzigartige deutsche Über-
setzung des Apiarium von Marnix. Man hat gar keinen Grund, dieses Buch so hart
und erbittert anzugreifen und zu verurteilen, wie das manche tun. Überall in die-
sem artigen Werke sind Lehren für das ewige Heil enthalten, und da es mit einer
ehrbaren Anmut geschrieben ist, tut es härteren Naturen gleichsam Gewalt an
und nimmt Leute für sich ein, die sonst gar nicht an solche Dinge denken. Ich
möchte es ein Gefäß aller Lieblichkeit nennen, ein Salbendöschen der Grazien,
ein Mittel zur Vertreibung der Sorgen, eine Verführerin zu feinen Sitten, und
ohne das alles ist ja die Göttin der Schönheit selbst nicht schön genug. Jedes ein-

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76 ARISTARCHUS

dixerim, myrothecium Gratiarum, curarum medelam, lenam morum: absque


180 quo nec ipsa Venus satis venusta. Verba singula majestatem spirant singularem ac
elegantiam, et sensus nostros non ducunt, sed rapiunt. Adeo inusitata facilitas,
gratia inexhausta ac lepos ita lectorem detinet, ut quo magis eadem repetat, eo
minus fastidium relectionis ullum sentire sibi videatur. Quae omnia et pellicere
nos ad se, et invitare ad excogitanda plura paris elegantiae ac festivitatis debent.
185 Neque enim tam abjectè de lingua nostra judicandum, quasi in illo libro ita se ex-
hauserit; ut ad similia aut majora etiam aspirare porro non audeat. Extirpemus
saltam spurias istas et furtim irrepentes loquendi formulas, neque hanc maculam
inuri nobis patiamur, quasi laboremus [Clv] *inopia, vel potius, ut Plinius noster ait,
egestate patrij sermonis. Ringantur et invideant: nec soluta nec astricta oratione ce-
190 dimus ulli linguarum. Jam pridem majores nostri (quod et Tacitus, alias satis par-
cus nostrarum laudum promus, fateri cogitur) avorum suorum fortes ausus car-
minibus antiquis celebraverunt. Et superant etiamnum quoque non pauca, quae
Melchior Goldastus vir in commodum ac gloriam Germaniae natus, eruit ante
aliquot annos è situ ac publicavit. Qui calculum etiam posuit, ante M CC. annos
195 scripta Christianorum Latinis juxta et vernaculis literis in Alemania visa esse.
Cujusmodi vero veterum illa Poësis fuerit, Marneri, quanquam sequioris aetatis
authoris versiculi indices esse possunt.

Der erenspegel i‚t du scham/


Swer ‚ich darinne ersiht
200 Der wirt vnzemen bliken gram:
Du schame ist argen worten vigent/ untrüwen
ha‚/ vnsteten fluch:
Scham ist ein tugent du manne‚ namen gegen
frowen prise‚ giht;
205 Du reinen wib tunt man alsam ir beider lieb
mit schame geschiht;
Schame get edelen gesteine vor/ vnd turet ba‚
danne siden tuch;
Schame ist mit bescheidenheit der werden min-
210 ne bi;
Du scham in eren garten ist ein blüende‚ zwi;
Du scham ist eren schilt;
Du scham alsam ein reine‚ kint in schoner fro-
wen schozen spilt;
215 Schame zieret reinn wib vnd wirdet edelen man/

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ARISTARCHUS 77

zelne Wort atmet eine besondere Würde und Feinheit und nimmt unsere Sinne
nicht langsam ein, sondern erobert sie im Sturm. So sehr fesselt den Leser die un-
gewöhnliche Leichtigkeit, die unerschöpfliche Anmut und Liebenswürdigkeit,
daß er nie, sooft er es auch wieder liest, Abneigung dagegen empfindet. Das alles
muß uns anziehen und auch dazu einladen, noch mehr von gleicher Anmut und
Artigkeit zu ersinnen. Denn so niedrig darf man von unserer Sprache nicht den-
ken, als hätte sie sich in jenem Buche so erschöpft, daß sie es nicht wagen dürfte,
Ähnliches oder noch Größeres zu erstreben. Laßt uns wenigstens jene Bastard-
redensarten ausrotten, die sich heimlich eingeschlichen haben, und uns nicht das
Brandmal aufdrücken, als litten wir an Dürftigkeit, oder, wie Plinius sagt, an Bet-
telarmut unserer Muttersprache. Man mag uns grollen und anfeinden: Weder in
gebundener noch in ungebundener Rede weichen wir irgend einer anderen Spra-
che. Schon von alters her priesen unsere Ahnen (wie auch Tacitus zugeben muß,
sonst kein allzu lauter Verkünder unseres Ruhms) die Heldentaten ihrer Väter in
alten Liedern. Und noch heute ist nicht wenig erhalten, das Melchior Goldast, ein
Mann, geboren zum Nutzen und zum Ruhme Deutschlands, vor einigen Jahren
aus dem Staube hervorgezogen und veröffentlicht hat. Er hat auch nachgewiesen,
daß man vor 1200 Jahren die heiligen Bücher der Christen in lateinischer und ein-
heimischer Sprache nebeneinander in Alemannien gesehen habe. Die Art jener
alten Poesie aber können einige Verse des Marner zeigen, der freilich in einer spä-
teren Zeit schrieb

Der erenspegel ist du scham/


Swer sich darinne ersiht
Der wirt vnzemen bliken gram:
Du schame ist argen worten vigent/ untrüwen
has/ vnsteten fluch:
Scham ist ein tugent du mannes namen gegen
frowen prises giht;
Du reinen wib tunt man alsam ir beider lib
mit schame geschiht;
Schame get edelen gesteine vor/ vnd turet bas
danne siden tuch;
Schame ist mit bescheidenheit der werden min =
ne bi;
Du scham in eren garten ist ein blüendes zwi;
Du scham ist eren schilt;
Du schame alsam ein reines kint in schoner fro =
wen schozen spilt;
Schame zieret reinn wib vnd wirdet edelen man/

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78 ARISTARCHUS

[C2r] Schame kan leiden vf den ban


Da nie schandentrit kam an,
Swer schame minnet den bkret in schanden die-
nest selten han;
220 Scham ist ein du hosten tugent/ sagent vn‚ die
meister vnd du buch.

Quae certe ejus sunt amoenitatis, ut nos poenitere sermonis nostri non debeat.
Et dolendum profecto, tam felicem poëtandi spiritum plane hactenus interce-
ptum fuisse. Cum Italia tot Petrarchas, Ariostos, Tassos; Gallia Marottos, Barta-
225 sios, Ronsardos et alios Poëtas praeclaros in dedecus nostri et exprobrationem
eduxerit: Belgae quoque eadem virtute stimulati id ipsum tentaverint. Nec infe-
liciter sane. Extant enim praeter caetera, Danielis Heinsii, hominis ad miraculum
usque eruditi, Poëmatia vernacula, quibus ille Latinorum suorum carminum ele-
gantiam non aequavit modo, sed quadamtenus illa et seipsum fere exuperavit.
230 Nos apertis oculis bona fide dormimus: cum tamen non pari modo successu, sed
iisdem quoque numeris, gravitate non dissimiliis quib!us" reliquae illae gentes,
carmina nostra instruere possemus. Memini Illustri ac Nobilissimo Viro, Dn.
Tobiae Sculteto à Schvvannensehe ac Bregoschitz, Consiliario Imperatoris ac
Commissario, etc. Dn. ac Maecenati meo aeternum venerando Germanicos
235 quosdam meos, *Gallico more effictos, versiculos non ita pridem fuisse oblatos.
Ibi Heros Literatissimus conatum meum non improbare non solum, sed et nutu
humanissimo solari cepit ac corroborare. Ego ubi ingenio non fuit locus, ut cum Fa-
bio loquar, curae testimonium promeruisse contentus, nisi successu, laudabili tamen in-
du-[C2v]stria, non degenerem patriae incolam praestare me volui. Juvit diligen-
240 tiam natura, et facilitas provocavit audaciam. Primum itaque illud versuum genus
temtavi, quod Alexandrinum (ab autore Italo, ut ferunt, ejus nominis) Gallis di-
citur, et loco Hexametrorum Latinorum ab iis habetur. Cujus exemplum appo-
nere non sum veritus.

O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/


245 Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/
Du todte‚ leben/ ja du lebendiger Todt/
Durch welcher grimm sich mu‚ manch trewe‚ hertze scheiden.

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ARISTARCHUS 79

Schame kan leiden vf den ban


Da nie schandentrit kam an,
Swer schame minnet den bkret in schanden die =
nest selten han;
Scham ist ein du hosten tugent/ sagent vns die
meister vnd du buch.

Das ist gewiß so anmutig, daß wir mit unserer Sprache nicht unzufrieden zu
sein brauchen. Und es ist wahrlich zu beklagen, daß diese glückliche dichteri-
sche Begabung inzwischen ganz abgebrochen ist, während Italien so viele Pe-
trarcas, Ariosts und Tassos, Frankreich so viele Marots, Bartas’, Ronsards und
andere treffliche Dichter zu unserer Schande und Schmach hervorgebracht hat,
während auch die Niederländer, von demselben edlen Triebe durchglüht, Glei-
ches zu erreichen versucht haben, und zwar mit recht viel Glück. Denn es gibt,
abgesehen von den übrigen, von dem wunderbar gelehrten Daniel Heinsius
Gedichte in seiner Muttersprache, in denen er die Formvollendung seiner latei-
nischen Gedichte nicht nur erreicht, sondern bis zu einem gewissen Grade
diese und sich selbst beinahe übertroffen hat. Wir aber, wir schlafen ruhig wei-
ter mit offenen Augen. Dabei wären wir doch in der Lage, nicht nur ebenso er-
folgreich, sondern auch in denselben Versmaßen und mit ähnlicher Würde wie
jene andern Völker zu dichten. Vor nicht sehr langer Zeit habe ich dem erlauch-
ten und edlen Herrn, Herrn Tobias Scultetus von Schwanensee und Brego-
schitz, Kaiserlicher Rat und Commissar usw., meinem stets zu verehrenden
Herrn und Gönner, einige von mir nach französischer Art gedichtete Verse ge-
widmet. Dieser hochgebildete, großartige Mann hat meinen Versuch gebilligt,
ja er hat mich mit freundlichem Zuspruch ermutigt und in meinem Bestreben
bestärkt. Wo ich kein Talent zeigen konnte, um mit Fabius zu reden, habe ich doch vol-
ler Zufriedenheit, das Zeugnis des Eifers erlangt zu haben, mich als einen wenn auch
nicht an Erfolg, so doch durch löbliches Streben nicht unwürdigen Sohn mei-
nes Vaterlandes zeigen wollen. Die natürliche Begabung unterstützte meinen
Fleiß, und die Leichtigkeit erweckte meinen Mut. So habe ich zuerst mich in je-
ner Versart versucht, welche die Franzosen (nach einem italienischen Dichter
dieses Namens, wie man sagt) Alexandriner nennen und die sie anstelle der la-
teinischen Hexameter verwenden. Ich scheue mich nicht, hier ein Beispiel dafür
zu zitieren:

O Fortun/ o Fortun/ stieffmutter aller frewden/


Anfeinderin der lust/ erweckerin der noth/
Du todtes leben/ ja du lebendiger Todt/
Durch welcher grimm sich mus manch trewes hertze scheiden.

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80 ARISTARCHUS

Sol deine grawsamkeit den auch mein junge‚ leben


(De‚ allen vngeacht da‚ mir Natura mehr
250 Al‚ ich auch wirdig bin geschencket gunst vnd ehr)
In trübniß vnd gefahr so trawrig lassen schweben?
Du scheutzliche Chimer sieh wozu du mich bringest/
Da ich von kindheit an mit vnverwandtem sin/
Standhafft vnd vnverzagt alzeit gewesen bin/
255 Jetzt bitter zehren mich auch zuvergiessen dringest.
Ey bi‚ mit dem zufried’: ey la‚ dir doch genügen /
Da‚ deiner stralen brunst an meine‚ alter‚ blum
Die fri‚chen bletter gantz verdörret: disen rhum
La‚ dir doch sein genung: mit diesem raub thue siegen.
260 Ein freyer heldt wenn er den Feind nur vberwunden/
Ist er gar wol zufried’: er helt e‚ für rhümlich/
Da‚/ ob er‚ köndte thun/ er doch nicht reche sich /
Weil er nun albereit wa‚ er gesucht / hat funden.
Vnd du/ o schnöde‚ weib/ wilst mich so hoch verderben/
265 Vnd dir ist‚ nicht genung da‚ du mich so gerührt/
Ja durch viel creutz vnd leidt/ durch angst vnnd noth geführt/
[C3r] Du denckest dir auch noch bey mir vmb mehr zuwerben.
Gott aber ist mein schutz/ dem wil ich da‚ vertrawen/
Wa‚ mir noch vbrig ist: er ist mein schirm vnd schilt/
Wenn ich jhn nur fleh’ an gar keine noth mehr gilt.
270 Auff jhn wil ich allein in allen nöthen bawen.
Wer sich auff Gott verlest/ der mag gar künlich dencken/
Da‚ er alle‚ vnglück so vn‚ offtmal‚ zusteht/
(Ob e‚ gleich in der erst schwer vnd gedrang’ hergeht)
Zu ‚einer stell’ vnd stundt mit frewden werde lencken.
275 Item hoc breve Epigrammation:
Wollust vnd vppigkeit der welt must du vermeiden/
Vnd treten mit gedult der scharffen dörner weg/
So er dich tragen sol auff den lieblichen steg/
Vnd in da‚ schöne schlo‚ der wahren lust vnd frewden.

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ARISTARCHUS 81

Sol deine grawsamkeit den auch mein junges leben


(Des allen vngeacht das mir Natura mehr
Als ich auch wirdig bin geschencket gunst vnd ehr)
In trübniß vnd gefahr so trawrig lassen schweben?
Du scheutzliche Chimer sieh wozu du mich bringest/
Da ich von kindheit an mit vnverwandtem sin/
Standhafft vnd vnverzagt alzeit gewesen bin/
Jetzt bitter zehren mich auch zu vergiessen dringest.
Ey bis mit dem zufried’: ey las dir doch genügen/
Das deiner stralen brunst an meines alters blum
Die frischen bletter gantz verdörret: diesen rhum
Las dir doch sein genung: mit diesem raub thue siegen.
Ein freyer heldt wenn er den Feind nur vberwunden/
Ist er gar wol zufried’: er helt es für rhümlich/
Das/ ob ers köndte thun/ er doch nicht reche sich/
Weil er nun albereit was er gesucht/ hat funden.
Vnd du/ o schnödes weib/ wilst mich so hoch verderben/
Vnd dir ists nicht genung das du mich so gerührt/
Ja durch viel creutz vnd leidt/ durch angst vnnd noth geführt/
Du denckest dir auch noch bey mir umb mehr zuwerben.
Gott aber ist mein schutz/ dem wil ich das vertrawen/
Was mir noch vbrig ist: er ist mein schirm vnd schilt/
Wenn ich jhn nur fleh’ an gar keine noth mehr gilt.
Auff jhn wil ich allein in allen nöthen bawen.
Wer sich auff Gott verlest/ der mag gar künlich dencken/
Das er alles vnglück so vns offtmals zusteht/
(Ob es gleich in der erst schwer vnd gedrang’ hergeht)
Zu seiner stell’ vnd stundt mit frewden werde lencken.
Ebenso dieses kurze Epigramm:
Wollust vnd vppigkeit der welt must du vermeiden/
Vnd treten mit gedult der scharffen dörner weg/
So er dich tragen sol auff den lieblichen steg/
Vnd in das schöne schlos der wahren lust vnd frewden.

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82 ARISTARCHUS

280 Variari autem ac transponi hi versus possunt pro libitu.


Aliter enim sibi haec succedunt.

*Die schönheit fleucht hinweg al‚ wer sie nie gewe‚en;


Wer sie mit Tugend schmückt i‚t selig vnd genesen:
Al‚ den steht alle‚ wol vnd siehet hurtig auß/
285 Al‚ den wohnt ein schön wirth in einem schönen hauß.

Aliter ista:
Wa‚ in der welt die Sonn’/ in der Sonn’ ist da‚ licht/
In dem licht ’ ist der glantz/ in dem glantz’ ist die hitze:
Da‚ ist vn‚ Menschen auch die wahre libe‚ pflicht/
290 Vnd ein getrewe‚ hertz’: e‚ ist nicht‚ nicht ‚o nütze.
O wie glückselig ist auch in dem höchsten schmertzen/
Der dem ein trewer Freund mit liebe‚ brunst von her-
tzen
[C3vl Ohn falsch ist zugethan. ein solchen in der noth
Vnd wiederwertigkeit halt’ ich fur einen Gott.

295 Aliter rursum ista Ernesti Schwaben von der Heyde, politißimi hominis, et mira sua-
vitate morum commendatißimi: cujus tamen Germanica quaedam carmina *longe post vidi,
quam de hoc scribendi modo cogitaveram.

Sonnet.
Ihr die jhr höret an wie mancher sturmwind wehet/
300 Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/
Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/
Vnd ein vorletzte‚ hertz vol tausen wunden sehet.
Erlernet wol hierauß wa‚ man in Lieb’ au‚stehet/
Darin die junge zeit mich lie‚ ergeben sein/
305 Al‚ ich für wahre lust hielt ’ einen fal‚chen schein/
Darüber mich jetzund hertzliche rew’ vmbfehet:
Vnd fliehet ‚olche brunst vnd jhre ‚üsse Gifft/
Der eiteln schönheit glantz/ die vn‚ da‚ Hertz schnel trifft/
Vnd angst vnd schmertzen vol witzlo‚ herummer leitet:
310 Ohn Tugend i‚t schönheit nur ein triegliche‚ Kleidt;
Wer ‚olcher dien‚tbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt:
Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.

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ARISTARCHUS 83

Diese Verse können aber beliebig verändert und umgestellt werden. Die folgen-
den nämlich haben eine andere Reihenfolge:

Die schönheit fleucht hinweg als wer sie nie gewesen;


Wer sie mit Tugend schmückt ist selig vnd genesen:
Als den steht alles wol vnd siebet hurtig auß/
Als den wohnt ein schön wirth in einem schönen hauß.

Anders sind diese:


Was in der welt die Sonn’/ in der Sonn’ ist das licht/
In dem licht’ ist der glantz/ in dem glantz’ ist die hitze:
Das ist vns Menschen auch die wahre libes pflicht/
Vnd ein getrewes hertz’: es ist nichts nicht so nütze.
O wie glückselig ist auch in dem höchsten schmertzen/
Der dem ein trewer Freund mit liebes brunst von her =
tzen
Ohn falsch ist zugethan. ein solchen in der noth
Vnd wiederwertigkeit halt’ ich für einen Gott.

Wieder anders sind die folgenden des Ernst Schwabe von der Heyde, eines sehr
gebildeten und durch die wunderbare Liebenswürdigkeit seines Charakters sehr
angenehmen Mannes. Seine deutschen Gedichte habe ich jedoch viel später ge-
sehen, als ich selbst den Gedanken gefaßt habe, in dieser Art zu dichten.

Sonnet.
Ihr die ihr höret an wie mancher sturmwind wehet/
Durch seufftzen ohne zahl in meinen reimelein/
Vnd einen weiten bach darin/ vol trenelein/
Vnd ein vorletztes hertz vol tausen wunden sehet.
Erlernet wol hierauß was man in Lieb’ ausstehet/
Darin die junge zeit mich lies ergeben sein/
Als ich für wahre lust hielt’ einen falschen schein/
Darüber mich jetzund hertzliche rew’ umbfehet:
Vnd fliehet solche brunst vnd jhre süsse Gifft/
Der eiteln schönheit glantz/ die vns das Hertz schnel trifft/
Vnd angst vnd schmertzen vol witzlos herummer leitet:
Ohn Tugend ist schönheit nur ein triegliches Kleidt;
Wer solcher dienstbar ist/ dem lohnet rew’ vnd leidt:
Auß Tugend wahre lust allein wird zubereitet.

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84 ARISTARCHUS

Ejusmodi itaque, ut cernitis, versus deduci varie ac instrui pos-


sunt: quod et Germanica mea Poëmatia, quae aut cum Latinis,
315 aut seorsim aliquando, volente Deo, prodibunt

* « 
µ φ « 

 ,

ostendent amplius et edocebunt. Observandus saltem accurate syllabarum nu-


merus, ne longiores duo versus tredecim, breviores duodecim syllabas excedant:
quarum in his ultima longo semper tono; in illis [C4r] molli et fugiente quasi pro-
320 ducenda est. Et * $« attendendum, ut ubique sexta ab initio syllaba dictione
integra claudatur, et versus ibi veluti intersecetur. Est et aliud genus, quod Franci
Vers communs appellant, decem ac undecim syllabarum, quod post quartam respi-
rat semper et interquiescit. Hoc modo.

Der liebe brunst bald frewde macht dem hertzen/


325 Bald lohnet sie mit wehmut vnd mit schmertzen/
E‚ ist jhr glantz ein schatten vnd ein schein/
Vnd jhre lust i‚t bitter-‚üsse pein.

Ernestus Schwabe:
In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/
330 Wie da‚ sein schatz sey heufftig zugerichtet/
Die Gotte‚furcht in dessen (ach der Noth!)
Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt.

Monendum et hoc: è vocalem in fine dictionis positam, sequente altera vocali


proximi verbi initio, in quibuscunque versibus semper elidi. Quia vero mos hic
335 novus est Germanis et inusitatus, ne litera è tam crebro absorbenda difficultatem
rudioribus afferat, non incommode eximi potest, et ejus loco tale signum’ ap-
poni. Quod et Schvvabius docet ac observat. Ejus exemplum hoc est.

Möcht’ ich dein schatten sein! ja deine‚ schatten‚ schatten!


Vnd Echo deiner stimm’! auff da‚ ich köndt ’/ erstatten/
340 Wa‚ mir hat die Natur vnd die Erfahrenheit/
Vorsaget an Vorstand’ an kunst vnd wissenheit.

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ARISTARCHUS 85

Wie man sieht, können derartige Verse also nicht auf verschiedene Art gebaut und
angeordnet werden; das werde ich auch anhand meiner eigenen deutschen Ge-
dichte noch deutlicher zeigen und nachweisen, die entweder zusammen mit den la-
teinischen oder, so Gott will, eines Tages gesondert ans Licht treten werden,

ans süße Licht der Sonne.

Einzuhalten ist wenigstens die Zahl der Silben, daß nämlich die längeren Ver-
spaare nicht mehr als dreizehn, die kürzeren nicht mehr als zwölf Silben zählen.
Bei diesen muß die letzte Silbe immer lang sein, bei jenen muß sie mit schwäche-
rer und gleichsam entschwebender Betonung ausgesprochen werden. Es ist auch
genau zu beachten, daß überall die sechste Silbe einen Wortschluß bildet und daß
der Vers dort gleichsam einen Einschnitt hat. Es gibt noch eine andere Versart,
welche die Franzosen vers communs nennen, aus zehn und elf Silben, welche nach
der vierten immer Atem holt und eine Pause macht. Das geht folgendermaßen:

Der liebe brunst bald frewde macht dem hertzen/


bald lohnet sie mit wehmut vnd mit schmertzen/
Es ist jhr glantz ein schatten vnd ein schein/
Vnd jhre lust ist bitter = süsse pein.

Ernst Schwabe:
In dieser zeit nur der Sterbliche dichtet/
Wie das sein schatz sey heufftig zugerichtet/
Die Gottesfurcht in dessen (ach der Noth!)
Entschlaffen ist/ so sie nicht gar ist Todt.

Auch an Folgendes ist zu erinnern: Der Vokal e wird in allen Versarten immer
ausgestoßen, wenn er am Ende des Wortes steht und das folgende Wort mit
einem Vokal beginnt. Weil aber dieser Gebrauch des Deutschen neu und unge-
wohnt ist, empfiehlt es sich, damit nicht das häufige Stummbleiben des Buch-
stabens e den Ungeübteren Schwierigkeiten bereite, dieses e auszulassen und an
seine Stelle dieses Zeichen ’ zu setzen. Auch Schwabe verfährt so und hält sich
daran. Dafür soll das Folgende als Beispiel dienen:

Möcht’ ich dein schatten sein! ja deines schattens schatten!


Vnd Echo deiner stimm’! auff das ich köndt’ / erstatten/
Was mir hat die Natur vnd die Erfahrenheit/
Vorsaget an Vorstand’ an kunst vnd wissenheit.

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86 ARISTARCHUS

[C4v] Ut compendio dicam, nullum illarum gentium carminis genus reperitur,


quod Germanica lingua, utut rudem eam vocitent ac asperam, aemulari nequea-
mus. Anagrammatismos etiam, si frivolis ejusmodi aureum tempus jugulandum
345 est, non infeliciter sane conquirere nuper dicimus: nisi idem nobis accidit, quod
Narcisso
– cui gloria formae
Igne cupidineo proprios exarsit in artus.
Tale est hoc nostrum:
350 Tobia‚ Scultetu‚ von Schwanensehe vnd Bregoschitz.
Gott i‚t vnser schutz vnd schild/ ob schon wa‚ eben taue.

Item hoc:
Johanne‚ von Landtßkrone der jungere.
O kron de‚ hause‚: leid nur gern an in not.
355 Du adeliche‚ blut/ der welt vnd jhre‚ sause‚
Geh müßig/ wie du thust/ leid nur ’ gern an in not/
Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst
Gott/
In künfftig schreien zu: O kron de‚ gantzen Hause‚.

Tale illud alterius cujusdam in Vratislaviae suae (magnificentissimi totius Sile-


360 siae Amphitheatri) *
 φ « λ   « Bucretium.
Daniel Rindfleisch.
Ein friedliche‚ Landt.
Item:
Laß friedlich dienen.
365 [D1r] Item:
Daniell Rindfleisch.
Seid allen freindlich.
Item istud in ejus filiam:
Margareta Rindtfleischen.
370 Ein träfflicher Smaragdt.
Effinxit etiam Schvvabius Anagrammata non pauca: et quaedam haut ita infelici
genio: quorum unum et alterum hic addam.
Helena Roggen.
Oh ringe lange.
375 Weil da‚ Glück vnter dir du heltest in dem zwange/
Vnd dir sein lachen nicht erschwellen mag da‚ hertz/
Weil auch sein trutz vnd macht dir ist ein blo‚‚er schertz/

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ARISTARCHUS 87

Kurz, es findet sich bei keinem jener Völker eine Dichtungsart, in der nicht auch wir
in der deutschen Sprache, mag man sie auch unausgebildet und rauh schelten, mit
ihnen wetteifern könnten. Sogar Anagramme, freilich eine Spielerei, mit der man
eigentlich die kostbare Zeit nicht verschwenden sollte, haben wir jüngst zu ersinnen
gelernt, und zwar nicht ohne Glück; es müßte uns denn gehen wie dem Narziß,
– dem der Ruf seiner Schönheit
In Liebesfeuer zu dem eigenen Leibe entbrannte.
In dieser Art habe ich Folgendes verfaßt:
Tobias Scultetus von Schwanensehe vnd Bregoschitz.
Gott ist vnser schutz vnd schild/ ob schon was eben taue.

Ebenso dieses:
Johannes von Landtßkrone der jungere.
O kron des hauses: leid nur gern an in not.
Du adeliches Blut/ der welt vnd jhres sauses
Geh müßig/ wie du thust/ leid nur’ gern an in not/
Vnd schlag der Tugend nach/ so wird man dir/ nechst
Gott/
In künfftig schreien zu: O kron des gantzen Hauses.

Ferner das Folgende von einem anderen Autor auf Rindfleisch, die strahlende
Leuchte und herrliche Zierde seiner Heimatstadt Breslau (der prächtige Schauplatz
von ganz Schlesien).
Daniel Rindfleisch.
Ein friedliches Landt.
Oder:
Laß friedlich dienen.
Oder:
Daniell Rindfleisch.
Seid allen freindlich.
Oder dieses auf seine Tochter:
Margareta Rindtfleischen.
Ein träfflicher Smaragdt.
Auch Schwabe hat nicht wenige Anagramme gebildet, darunter einzelne recht
glücklich. Das eine oder andere davon möchte ich hier zitieren.
Helena Roggen.
Oh ringe lange.
Weil das Glück vnter dir du heltest in dem zwange/
Vnd dir sein lachen nicht erschwellen mag das hertz/
Weil auch sein trutz vnd macht dir ist ein blosser schertz/

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88 ARISTARCHUS

Spricht jede‚ tapffer‚ hertz/ heldin: oh ringe lange!


Helena Roggen.
380 Engel ohne arg.
Gantz Engelich bistu an ge‚talt vnd geberden;
Dazu dein Nahme wil/ wenn er durchmenget ist/
Auch bringen an da‚ licht/ wer du inwendig bist/
Denn Engel ohn’ all arg soltu genennet werden.
385 Johanne‚ Rogge.
Jage ohn sorgen.
Weil du in der Welt jagt / kanst frey ohn sorgen jagen/
So jage frölich hin/ vnd geneu‚ deiner Lust:
Nicht allen ist die Jagt sorglo‚ also bewust/
390 Denn vielen muß sie sein vol sorgen/ gremen/ plagen.
Nemo igitur ignorare diutius potest, nihil obstare quo minus nostra etiam lingua
emergat imposterum ac in lucem protrahatur: lingua venusta, lingua [Dlv] de-
cens, lingua gravis ac patriae suae, tot ingentium heroum nutrici, dignissima, lin-
gua quae integra et incommista

395 *tot jam labentibus annis

ad nos pervenit. Hanc, si qui coelo vestro, hoc est, vobis ipsis non invidetis,
amate, hanc expolite, hic viros vos praestate. Hic Rhodus, hic saltus. Quod si
precibus dandum aliquid et obsecrationi censetis: per ego vos dilectissimam ma-
trem vestram Germaniam, per majores vestros praegloriosissimos oro et obte-
400 stor, ut nobilitate vestra gentisque dignos spiritus capiatis; ut eadem constantia
animorum, qua illi fines suos olim tutati sunt, sermonem vestrum non deseratis.
Proavi vestri, fortes et inclyti Semones, animam pro aris ac focis efflare non du-
bitaverunt. Vos ut idem praestetis, necessitas minime jam flagitat. Facite saltem,
ut qui candorem in generosis mentibus vestris servatis illibatum, oratione quo-
405 que illibata proferre eundem possitis. Facite, ut quam loquendi dexteritatem
accepistis à parentib!us" vestris, posteritati relinquatis. Facite denique, ut qui
reliquas gentes fortitudine vincitis ac fide, linguae quoque praestantia iisdem non
cedatis.

***

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ARISTARCHUS 89

Spricht jedes tapffers hertz/ heldin: oh ringe lange!


Helena Roggen.
Engel ohne arg.
Ganz Engelich bistu an gestalt vnd geberden;
Dazu dein Nahme wil/ wenn er durchmenget ist/
Auch bringen an das licht/ wer du inwendig bist/
Denn Engel ohn’ all arg soltu genennet werden.
Johannes Rogge.
Jage ohn sorgen.
Weil du in der welt jagt/ kanst frey ohn sorgen jagen/
So jage frölich hin/ vnd geneus deiner Lust:
Nicht allen ist die Jagt sorglos also bewust/
Denn vielen mus sie sein vol sorgen/ gremen/ plagen.
Hinfort muß also jedermann wissen: Dem steht nichts im Wege, daß auch unsere
Sprache aus dem Dunkel auftauche und ans Licht gezogen werde, diese schöne,
feine, kräftige Sprache, die ihres Vaterlandes, der Amme so vieler gewaltiger Hel-
den, so würdig ist, die Sprache, welche unverfälscht und unvermischt

im Laufe schon so vieler Jahre

auf uns gekommen ist. Sie müßt ihr lieben, wenn ihr nicht gegen den Himmel
eures Vaterlandes, das heißt gegen euch selbst, Feindschaft hegt; an ihrer Ausbil-
dung müßt ihr arbeiten, darin müßt ihr euch als Männer zeigen. Hier ist Rhodos,
hier springt! Und wenn ihr glaubt, man müsse Bitten und Beschwörungen nach-
geben: Nun, so bitte und beschwöre ich euch bei eurer vielgeliebten Mutter
Deutschland, bei euren glorreichen Ahnen: Zeigt eine Gesinnung, würdig eures
edlen Volkes, verteidigt eure Sprache mit derselben Ausdauer, mit der jene einst
ihre Grenzen schützten. Eure Vorfahren, die tapferen und weitberühmten Sem-
nonen, trugen keine Bedenken, für Altar und Herd zu sterben. Schon die Not
fordert jetzt von euch, daß ihr dasselbe leistet. Bringt es wenigstens dahin,
daß ihr die hohe Gesinnung, welche ihr lauter in euren edlen Herzen bewahrt,
auch in einer lauteren Sprache ausdrücken könnt. Bringt es dahin, daß ihr die
Gewandtheit der Rede, die ihr von euren Eltern überkommen habt, euren Kin-
dern hinterlaßt. Bringt es endlich dahin, daß ihr den übrigen Völkern, welche ihr
an Tapferkeit und Treue übertrefft, auch an Trefflichkeit eurer Sprache nicht
nachsteht.
[H.J.]

***

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90 DAPHNIS

MARTINI OPITII
DAPHNIS.

BETHANIAE
ad
Oderam,
L ITERIS J OANNIS D ÖRFERI .
A N. MDCXVII .

[A1v]

ILLUSTRI MAGNI-
FICO ET NOBILISSIMO
VIRO, D !omi"N !o"
T OBIAE à S CHVVANNENSEE
ET BREGOSCHITZ ,
cognomento S CUL -
TETO
Bellaquimontii et Hirschfeldae Haeredita-
rio, Sac!ri" Lateranensis Palatii Comiti, Caes!areae"
Maj!estatis" Consiliario et Commissario, Fisci Re-
gii per Sil!esiam" et Lusatiam Patrono et J!uris"C!onsul"to,
Heroi Literatissimo, Moe-
cenati domestico
D!edicavit" C!consecravit"Q!ue"
Autor

[A2r]

DAPHNIS ECLOGA.

FOrte sub egelidis quercûs prostratus Iolas


Frondibus, irriguis Viadrus quà labitur undis,
Et rauco pulsat montis concussa susurro
Oppositi latera, ac cedentia dorsa fatigat;
5 Illic hos tenui ludebat arundine cantus:
Hic tibi, Daphni pater mitissime, pauper Iolas,
Silvestres calamos quercûs de robore pendit.
Da veniam, si plura nequit. His Tityrus olim
Demulsit rigidas dilectae Amaryllidis aures.

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DAPHNIS 91

Martin Opitz
Daphnis.

Beuthen
an der
Oder,
gedruckt bei Johannes Dörffer
im Jahre 1617.

Dem ruhmreichen,
glanzvollen und edlen
Mann, Herrn
Tobias von Schwanensee
und Bregoschitz,
genannt Scultetus,
Erbherrn auf Schönwasserberg und Hirschfeld,
päpstlichen Pfalzgrafen,
kaiserlichen Rat und Kommissar,
Rechtsbeistand des königlichen Fiskus in Schlesien und der Lausitz,
dem hochgebildeten Helden,
seinem persönlichen Förderer
hat dies der Verfasser
gewidmet und zugeeignet.

Daphnis. Ekloge

Einmal streckte Iolas sich hin am Fuß einer Eiche


(Kühle verströmte ihr Laub), und zwar, wo mit netzender Flut die
Oder dahinströmt, mit dumpfem Geräusch den Hang des entgegen-
Stehenden Berges bedrängt und schlägt, seinen Rücken, der ausweicht,
Auch noch belästigt. Und dort, zu lieblicher Rohrpfeife, sang er: 5
„Daphnis, gütiger Vater, hier zahlt dir von kräftiger Eiche
Klänge des Rohrs aus dem Wald als Lohn der arme Iolas.
Bitte verzeih, wenn er mehr nicht vermag. Mit solcherlei Tönen
Schmeichelte Tityrus einst Amaryllis’, der Liebsten, gestrengen

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92 DAPHNIS

10 Haec mihi pastorum liquit solatia noster


Tityrus. O quoties dulcis Galatea canenti
Favit, et obliquis arrisit Alexis ocellis.
Saepe illum tenerae charis cum matribus agnae,
Saepe etiam sanctae stupuerunt numina silvae.
15 Haec abiens mihi dona dedit, hoc pignus amoris,
Dixit, habe: ecce Siracosii tibi munera vatis,
Munera parva quidem, sed non incognita nymphis
Naiasin, Panique tibi; te sacra Lycaei
Culmina non tenuere, et tanti Maenalus ipse
20 Vix fuit, ac suavis Siculi pastoris avena.
Tu quoque, nostra licet curis sint cantica, Daphni,
Inferiora tuis, tenues ne despice cannas,
[A2v] Et non excultae modulamina rustica Musae.
Nec te poeniteat, pecoris quia pauperis haeres
25 Incedo, sub tecta meas intrasse capellas.
Crescet ager mecum, crescent armenta gregesque,
Quantum vere novo florem flos trudit, et arbos
E tenui radice venit, ex arbore sylva,
Sylva olim seris factura nepotibus umbram.
30 Non indigna cano, nec degener incola campi
Pastorum vereor cantûs, et nuper Hyella
Nympharum flos atque decus prolixa favoris
Argumenta dedit: Pan has laudavit avenas,
Et Satyri, Faunique, et monticolae Sylvani.
35 Sunt Musis, sunt et Phoebo mea carmina curae,
Hic mentem intrepidam de sordibus eximit aevi,
Et me simplicibus curis beat: unica virtus
Inclyta, et augusti clementia caelica vultûs,
Daphni, tuas me sponte mea deduxit in oras.
40 Jam sex ferme pater Titan per signa cucurrit,
Cum mihi fausta tuos persuasit ab ilice cornix
Aspirare lares, et idem quoque charus Amyntas,
Spemque metumque inter, dilecto in cortice scripsit.
Nec mens laeva fuit. Satis ô satis omnia votis
45 Respondere meis; juverunt sidera sortem.
Non alibi licuit numen praesentius ullum
Cernere: tu nostrae concedis dulcia Musae
Otia, et ô utinam sint longa, nec improba lappae
Semina se loliumque istis immisceat agris.

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DAPHNIS 93

Ohren. Und Tityrus ließ mir – er ist ja der Unsere – diese 10


Tröstung der Hirten. Wie oft Galatea, die süße, dem Sänger
Beifall zollte, wie oft ihm Alexis mit neidischen Augen
Lächelte! Oftmals erstaunten vor ihm die zärtlichen Lämmer
Samt ihren lieben Müttern und oft manch heiliger Waldgott.
Dieses Geschenk übergab er mir scheidend als Pfand seiner Liebe. 15
‚Nimm es‘, so sprach er, ‚hier hast du des syrakusanischen Dichters
Gabe, die zwar gering, jedoch najadischen Nymphen,
Pan, auch dir gut bekannt ist; Lycaeus’ heilige Gipfel
Hielten dich, Pan, nicht zurück, selbst Maenalus hatte für dich nicht
Gleichen Wert wie das liebliche Lied des sizilischen Hirten.‘ 20
Daphnis, verachte auch du mitnichten die schwächliche Flöte,
Mag mein Gesang auch den Werken von dir unterliegen, verachte
Nicht den so bäurischen Klang einer wenig gebildeten Muse.
Hoffentlich stört es dich nicht, daß Ziegen – nur ärmliches Kleinvieh
Hab’ ich geerbt – daß Ziegen von mir dein Gebäude betreten. 25
Grund und Boden wird wachsen wie ich, auch Großvieh und Kleinvieh,
Ganz so, wie Blume um Blume im Lenz hervortreibt und Bäume
Wachsen aus schwächlicher Wurzel, aus Bäumen später ein Wald wird,
Welcher den spätesten Enkeln dereinst noch Schatten verspendet.
Was ich dir singe, hat Wert; ich wohne nicht bei verkommnen 30
Landstreichern, Hirtengesang beeindruckt mich nicht, und vor kurzem
Gab mir Hyella, die Blume, die Zier aller Nymphen, Beweise –
Reichlich! – der Gunst. Und Pan fand lobende Worte für meine
Syrinx; so Satyrn und Faune, Sylvane dazu von den Felsen.
Wirklich, es liegen den Musen, es liegen Apoll meine Verse 35
Wirklich am Herzen. Apollo entreißt mich – ich zittere nicht – dem
Unflat der Zeit und gewährt mir den arglosen Auftrag: Besondre
Ruhmvolle Haltung und himmlische Milde erhabener Miene
Führten mit meinem Willen, o Daphnis, mich her in die Gegend
Hier, wo du lebst. Schon hat Sol den halben Tierkreis durchlaufen, 40

Seit eine Krähe mir riet, auf dem Eichbaum mir Gutes verkündend,
Deine Behausung zu suchen; der liebe Amyntas – er bangte,
Hoffte zugleich –, er schrieb mir zur Freude dasselbe auf Rinde.
Und der Gedanke war glücklich. Wie reichlich entsprachen dann alle
Umstände Wünschen von mir; die Sterne hoben mein Leben. 45

Anderswo hätte ich nie etwas Göttliches wirksamer sehen


Können. Du gibst meiner Muse erfreuliche Freiheit; sie möge
Lange noch währen! Und möchten sich weder der Klette verwünschter
Same noch unechter Hafer, der Lolch, auf diesen bestellten

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94 DAPHNIS

50 Tu pastorales cantus et rustica verba


Aspicis his oculis, patriae quîs commoda nostrae
[A3r] Collustrare soles, rebusque occurrere fessis.
Tu quando tenerae fastûs recitamus Hyellae,
Crudelesque oculos, et durae spicula formae,
55 Oblitum revocas ignem, et suspiria docta,
O inter lacrymas suspiria exhalata,
Aphrosynaeque dolos, Sophiaeque adamantina corda:
Quae te sub caeli tulerunt vaga sidera, mollis
Ante genas certa lanugine vestiit aetas.
60 Fortunate virûm, longae indulgentia Famae
Concessit se tota tibi, tua praetulit annis
Gloria primaevis meritae virtutis honorem.
Non modo vicinos saltus, vicinaque circum
Litora, Daphni, tuos laudavit cunctus amores
65 Pastor: et Arcadiae cecinit gens omnis in aruis
Ingenii monimenta tui. Te Tibridis undae,
Te Rhodanus stupuit; te pulcra Garumna Tagusque
Plausibus excepit laetis: Nordvvicides agnae
Exiliere tibi: Benaci fluminis exul
70 Infelix, soboles magnorum invicta deorum,
Omnia rura, tuos retulerunt omnia cantus.
Jam quoque, solicitae post mille negotia vitae,
Si libet ad lucos et amoena vireta reverti,
Te veniente nemus gaudet, tibi sacchara sudat,
75 Ambrosiis arbusta madent saltusque pruinis,
Mentitur ros mella: tuis elementa polusque
Conjurata favent umbris. Audisne canoro
Ceu volucrum ingeminat gens candida gutture carmen?
Non tot in aurata lusit testudine voces
80 Ingenioso Orpheus Thrax pollice, non tot Iopae
[A3v] Criniti musaea chelys, non tibia diae
Euterpes, quot sola modos Philomela sequaces
Caelesti ore facit. Tibi laude oppleta loquuntur
Avia voce notha: Daphni ô Daphni omnia clamant,
85 Omnia clamabunt, raucis dum rura cicadis,
Dum suavi volucrum resonabunt litora cantu.
Ipse ego, si te fortè movent mea munera, purum
Quotquot erunt anni, mactabo altaribus agnum,
Et lauri foliis, hederaque altaria cingam:

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DAPHNIS 95

Feldern verbreiten! Die Lieder vom Land und bäurische Wörter, 50


Ja, du betrachtest sie ganz mit demselben Blick, der der Heimat
Nutzen zu prüfen pflegt und Erschlaffung entgegenzuwirken.
Wenn ich die Sprödheit Hyellas, der zarten Hyella, besinge,
Ihren grausamen Blick, ihrer Schönheit stahlharten Stachel,
Rufst du dir Feuer herauf, das vergessen war, Seufzer voll Wissen, 55
Seufzer, hervorgehaucht unter Tränen, die häufige schlimme
List Aphrosynes, das Herz, das ganz Diamant war: Sophiens.
All diese Seufzer erhoben dich schon zu den schweifenden Sternen,
Eh’ dir die freundliche Jugend die Wangen mit deutlichem Flaum deckt’.
Glückhafter Mann! Denn die Gnade des lange beständigen Ruhmes 60
Hat sich dir ganz gewährt. Dein Ansehn trug schon deinen frühen
Jahren Verehrung voran, Verehrung verdienstvoller Leistung.
Rings um die näheren Wälder nicht nur und die näheren Ufer –
Jeglicher Hirt war voll Lob für deine Liebesgedichte,
Daphnis, das ganze Volk auf den Fluren Arkadiens sang die 65
Zeichen deines Genies: deine Lieder; die Wellen des Tiber
Staunten dich an und die Rhône; die schöne Garonne und der Tajo
Klatschten dir fröhlichen Beifall; die Schafe von Noordwijk verließen,
Dir zu begegnen, den Pferch; der vom Lago di Garda, zu seinem
Unglück, vertriebene Mann, ein siegreicher Nachfahr der großen 70
Götter, und alle Gefilde vermeldeten deine Gesänge.
So ist’s auch jetzt noch: Sobald dir beliebt, nach Tausenden Pflichten
Vielbeschäftigten Lebens noch einmal zu Hainen und schönen
Wiesen zu wandeln, frohlockt der Hain, weil du kommst, und er schwitzt dir
Zucker entgegen, Gebüsche und Wald sind feucht von dem Reif, der 75
Wie Ambrosia aussieht, und Tau scheint Honig. Der Himmel
Hegt deine Muße im Bund mit der ganzen Natur. Und das biedre
Völkchen der Vögel – du hörst’s? – verstärkt mit melodischer Kehle
Seinen Gesang. Und die Finger des Orpheus, des Thrakers, begabte
Finger, vermochten es nicht, auf vergoldeter Laute so viele 80

Lieder zu spielen, noch Jopas’, des lockigen, musische Lyra


Noch auch die Flöte Euterpes, der Göttin, wie einzig die Himmels-
Kehle der Nachtigall singt, geschmeidige Lieder; zu dir spricht
Einöde, voll deines Lobs, mit geborgter Stimme: O Daphnis,
Daphnis! So rufen dich alle und immer, solange das Feld von 85

Schrillen Zikaden, das Ufer von süßem Vogelgesang tönt.


Freut meine Gabe dich etwa, so will ich in jeglichem Jahr, und
Seien es noch so viele, ein reines Lamm am Altare
Schlachten, mit Lorbeer- und Efeugezweig den Altar rings umwinden.

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96 Augusta virtus

90 Ac cum jam Superae fueris pars nobilis aulae,


Atque aliquis laetas ibit novus hospes in oras,
Narrabit grati laudabile carmen Iolae,
Cum Daphnin campi et segetes, cum lustra vocabunt.
Te mea Musa canet; quamvis sit rustica, nullo
95 Per sylvas et rura tamen reticebitur aevo.
Interea hos calamos, cantor quae Tityrus ipse
Simichidae mihi dona dedit, facili aspice vultu,
Sic, ô Daphni, tuis responsent omnia votis.
Haec projectus humi secum cantabat Iolas,
100 Cantanti eripiunt surgentia sidera lucem,
Sesamaque è sudo spargunt super arbuta rore.

***
M. MARTINO FÜSSELIO
Seren!issimi" Elect!oris" Brandeb!urgensis" à Concionibus
cum Docturae honores peteret.

Augusta virtus, et bonarum mentium


Devotus ardor, in pium cultum DEI
Non interibit: altiùs qvovis loco
Ascendit, et laudis vehetur aureo
5 Curru decorae, dum tuus viris honor
Constabit altis, clare Füsseli, tuba
Tonantis et vox celsa, qvamvis vultures
Qvidam cucullati, venenati canes
Pacis beatae hirudines, peste impiâ
10 Famam atqve nomen involant viri boni.
Assurgit onere palma: cui nisu parant
Nocere tanto, spiculis prosunt suis:
Et ille conscientiae muro aureo
Obseptus, omnes temnit insultus feros,
15 Et gloria messem uberem largè facit.
Qvalis tibi nunc exhibetur, ô virûm
Typus piorum, qvamlibet longè tua
Doctrina vincat hos honoris indices.
[794] Adeste, adeste, qvi voletis strenuam
20 Opem locare charitatis, et sacrae

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Augusta virtus 97

Kommt eines Tages ein Gast, ein neuer Gast in die heitre 90
Umwelt um dich, du bist ja ein vornehmes Mitglied des edlen
Hofes, so wird er vom löblichen Lied des Iolas erzählen,
Der dir ja Dank weiß, und Felder und Saaten und Wildhöhlen werden,
Daphnis, dich rufen. Nur dich wird meine Muse besingen,
Wird auch, wie bäurisch sie sei, in Wald und Feld nie verstummen. 95
Schaue inzwischen das Rohr, das Tityrus selber mir gab, der
Sänger im Lied Theokrits, mit freundlichem Blick an. Auf diese
Weise soll alles, o Daphnis, den Wünschen von dir sich bequemen.“
Dieses war’s, was Iolas, am Boden liegend, sich vorsang;
Sterne steigen herauf, sie nehmen dem Sänger das Licht weg, 100
Streuen aus heiterem Himmel mit Tau auf die Meerkirschen Sesam.
[G.B.]

***
Für Magister Martin Füssel,
Hofprediger Seiner Durchlaucht, des Kurfürsten von Brandenburg,
als er die Doktorwürde anstrebte.

Erhabner Wert und guter Menschenseelen tief


Ergebne Liebesglut zu Gottes frommem Kult
Gehn niemals unter, steigen auf an jedem Ort
Empor und fahren hin im goldenen Gefährt
Des schönen Ruhms, da deine Ehr’ bei hohen Herrn
Bestehen bleibt, berühmter Füssel, Donnergotts
Fanfar’ und hohe Stimm’, manch Geier mag verkappt,
Manch Hund voll Gift, des frohen Friedens Egel, mag
Mit frevelhaftem Geifer gegen Ruf und Rang
Des guten Menschen fliegen oder rennen. Last
Läßt Siegeszeichen wachsen. Dem so angestrengt
Sie schaden wollen, nützen sie durch ihren Dorn.
Und der, umschirmt von des Gewissens goldnem Wall,
Schätzt jeden wilden Angriff ganz gering; es bringt
Sein Ruhm weithin die überreiche Ernte ein.
Was man dir nun an Ehrung bietet – o wie weit
Ragt all dein Wissen, Vorbild jedes frommen Manns,
Hinaus, weit über diese Ehrung, die jetzt kommt!
Herbei, ihr alle, die ihr nun die muntre Kraft
Der Liebe zeigen wollt, wohnt diesem Bühnenstück

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98 Vidi qui facili

Pacis theatro, cernite haec vestigia.


Sic approbabitis Deo, vos, patriae
Flammas amoris, optimâ pace entheum
Sic audietis et docebitis fide.

***
BEate Tite, si quid in modestia
Bonisque moribus situm est,
Profecto nemo comparabitur tibi.
At hoc fleo; quibus prius
5 Probae innocente vitae imagine, exitu
Quod innocente nunc praeis.

Scripsi
M ARTINUS O PITIUS.

***
A3ξ $
 λ  !
 4 Ν".

Vidi qui facili narraret stoa puellae


Dogmata, ut in tenero scita severa sinu:
Ast haec nescio quid stoum sperabat, ut ipsis
Si quid stoicis durius esse potest.
5 Stultum olet haec sapientia: qui pro tempore vafre
Desipit atque loco cum ratione furit.

Martinus Opitius Silesius, illibatae amicitiae


sacramentum deposuit Dn. Possessori
Anno M.DC.XVIII., Prid. Cal. Februar.

Amandandus amoris amarus amaror amore.

***

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Vidi qui facili 99

Des heil’gen Friedens bei, beachtet diese Spur!


Denn so erweist ihr Gott, daß ihr das Vaterland
Voll Feuer liebt, und hört den Gottbegeisterten
In guter Ruh und werdet Lehrer bester Treu’.
[G.B.]

***
Glückseliger Titus, wenn an Bescheidenheit und gutem Verhalten etwas gelegen
ist, wird sich gewiß niemand mit dir vergleichen lassen. Doch darüber weine
ich, daß du denjenigen, denen du zuvor durch ein unbescholtenes Vorbild recht-
schaffenen Lebens vorangingst, nun durch einen unbescholtenen Tod voran-
gehst.

Das schrieb ich,


Martin Opitz.
[R.S.]

***
Immer der Beste zu sein und hervorzuragen vor andern.

Ich habe einen gesehen, der einem bereitwilligen Mädchen an ihrer zarten
Brust steife stoische Lehren vorerzählte wie strenge Grundsätze. Sie jedoch
erhoffte sich etwas stoisch Steifes, wie wenn es etwas Härteres geben könnte
als die Stoiker selbst. Diese Weisheit läßt auf einen Toren schließen, der den
Umständen entsprechend pfiffig irregeht und am rechten Ort mit all seinem
Verstand rast.

Martin Opitz aus Schlesien leistete dem Herrn Besitzer


einen Eid über seine unverminderte Treue
am 31. Januar 1618.

Die bittere Bitterkeit der Liebe zu vertreiben durch Liebe.


[R.S.]

***

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100 Namslere si quid

Dn. S EBASTIANO N AMSLERO


S . P. D .
0 M ARTINUS O PITIUS.

HAbes, Mi Namslere, quod petisti: quanquam posses jubere. Exigimus enim ab


amicis jure, quod ab aliis precibus impetramus. Vides ergò versus, tenues illos et
inconcinnos: quales ab homine curis distracto proficisci solent. Libuit autem
mihi à more usitato secedere, et Teutonicè loqui. Quoniam lingua nostra reliquas
5 et puritate aequat, et gravitate procul dubio vincit. Si quis est, qui lepores hos
ferre non potest, atroci stylo effodiat quicquid velit. Non diffido, absque meis
nugis fieri à te ac tuâ Sponsâ posse, quod à novis nuptis solet. Quis in bello tuba
canit, interfecto tubicine? Et tamen pugnatur. Vale, cum ipsa, et virum te praesta.

[…]

[A4v] Ejusdem Iambi claudi.


Namslere si quid discere ex inexperto
Tibi libido est, magnae opus moves molis:
Nanque in cribrum fundes aquam: quia uxori
Vir saepe dat suae nimis, satis nunquam.

Qvò vis, Sebastiane? quid Camoenarum


Dilecta multum castra perfidus linquis?
Quò te pedes, amice? dure quò tendis?
Sed verba frustra: cui semel iugo collum
5 Venus dolosa aptauit, ille nequicquam,
Quae iam subiuit onera, ferre detrectat.
Si quam tamen fidem imputas inexperto,
Opus moves profectò molis ingentis,
Et ardui negotii: quia vxori
10 Vir saepè dat suae nimis, satis nunquam.

***

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Namslere si quid 101

Herrn Sebastian Namsler


grüßt ganz herzlich
Martin Opitz.

Da hast du, mein lieber Namsler, worum du gebeten hast; du hättest freilich auch
befehlen können. Von einem Freund fordern wir nämlich zu Recht, was wir von
anderen durch Bitten zu erlangen suchen. Hier siehst du also Verse. Sie sind
schlicht und schmucklos, so wie sie ein Mensch hervorzubringen pflegt, der von
Sorgen geplagt wird. Nun hat es mir aber gefallen, vom gewohnten Brauch ab-
zugehen und deutsch zu reden. Unsere Muttersprache kommt den übrigen ja an
Reinheit gleich und übertrifft sie ohne Zweifel an Ausdruckskraft. Sollte es je-
manden geben, dem meine Tändeleien unerträglich sind, so möge er mit spitzem
Griffel auskratzen, was immer er mag. Ich zweifle nicht, daß auch ohne meine
Reimereien von dir und deiner Braut ins Werk gesetzt werden kann, was bei
Neuvermählten üblich ist. Wer bläst im Krieg die Trompete, wenn der Trompe-
ter gefallen ist? Und dennoch wird gekämpft. Leb wohl mit ihr und beweise dich
als Mann.

[…]

Hinkjamben desselben Verfassers.


Wenn du, lieber Namsler, von einem Unerfahrenen zu lernen begehrst: Du
machst dich wahrhaftig an ein Werk von großem Umfang. Du wirst nämlich
Wasser in ein Sieb gießen, weil ein Mann seiner Frau oft allzuviel gewährt, nie je-
doch genug.

Wohin, Sebastian, willst du? Warum verläßt du treulos das vielgeliebte Lager der
Camenen? Wohin, Freund, tragen dich die Füße? Wohin, Hartherziger, strebst
du? Doch Worte sind vergeblich bei einem, dem einmal die listenreiche Venus
ihr Joch auf den Nacken gelegt hat; er weigert sich vergebens, die einmal aufge-
nommene Last zu tragen. Falls du dennoch einem Unerfahrenen etwas Ver-
trauen entgegenbringst: Du machst dich wahrhaftig an eine Aufgabe von unge-
heurer Größe und harter Mühsal, weil (10) ein Mann seiner Frau oft allzuviel
gewährt, nie jedoch genug.
[W.-W.E.]

***

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102 E7E8EI9ION

SI quid adhuc Divi patriis jam restat in oris,


Quod laudi pateat, nec nomina prima parentum
In nobis tacitis dudum defodimus umbris;
Hoc uno genios patriae probet esse benignos,
5 Qui nostris saevam defendant jugiter oris
Barbariem, placidoque velint nos surgere cultu.
Omnibus hoc uno majus commisimus uni
Bethaniae, cunctas voto conclusit avaro
Spes patriae locus iste sibi; quodcunque potentum
10 Admirandus amor jubet expectare Deorum,
Incipit hoc nobis debere urbs omnibus una.
Graecia sic quondam solis quaerebat Athenis
Socraticos, aevi miracula sancta, furores,
Commissasque sibi virtutum in Socrate vires:
15 Tanto felices jactabat ab hospite terras.
Surge age, surge tui pulcher flos temporis, aude,
Dornavi ingenii vivacibus indere chartis
Ostenta, et seros tibi devincire nepotes.
Nos, viles umbrae, quos conscia numina Divûm
20 Ferre animum ignavo majorem viribus aevo,
Et miserè augustas inter sordescere curas,
Non capiente suam, mandant, re paupere mentem,
Quandocunque tuae monumenta ingentia dextrae
Judicii majore oculo lustrare licebit;
25 Fortiter hoc nostram solemur schemate sortem,
Quod quaecunque aliis Natura infesta negavit,
[T4r] Ingentique tibi conceßit funditus ausu,
Omnia sint nostrae laudi cessura parenti.
Id. O PITIUS.

E7E8EI9ION.
QUalis apis teneri strepitu delata susurri,
Remigiis libans aëra praepetibus,
Et modò per campos faciles, perque obvia tempe
Matris magnae agili lusitat in gremio,
5 Et nunc florum animam tumidis lasciva labellis
Purpureaeque rapit munera sancta rosae:
Sed dum prudenti nequicquam fertur in umbra,
Stringit felices succina gemma pedes,
Quam Phoebe et Phaëtusa et Lampetie aurea triga

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E7E8EI9ION 103

Wenn es wirklich noch etwas Göttliches in unseren heimatlichen Gefilden gibt,


das Lob verdient, und wenn wir, stumme Schattenexistenzen, die besten Namen
der Vorväter nicht schon längst in uns begraben haben, so ist das doch wohl ein
Beweis dafür, daß uns in diesem einen die Schutzgeister des Vaterlandes gewo-
gen sind, die ohne Unterlaß die wüste Barbarei von unseren Landen fernhalten
und wollen, daß wir in ruhiger Pflege heranwachsen.
Mit diesem einen haben wir etwas, das größer ist als alles andere, allein Beu-
then überlassen. Alle Hoffnungen des Vaterlandes, alles, was die (10) wunder-
bare Liebe der mächtigen Götter uns noch erwarten läßt, schloß diese Stadt mit
eifersüchtigem Streben in ihren Mauern ein. Und allmählich schuldet diese eine
Stadt uns allen dieses eine. So suchte einst Griechenland allein in Athen die so-
kratischen Verzückungen, diese göttlichen Wunderzeichen ihrer Zeit, und die
moralischen Kräfte, die dem Land in der Person des Sokrates zuteil geworden
waren. Es brüstete sich mit Gegenden, die das Glück hatten, einen so großen
Mann zu beherbergen.
Wohlauf denn, wohlauf, du schöne Blume deiner Zeit, Dornau, mach dich
daran, die Wunder deines Geistes auf langlebiges Papier zu bannen und dir damit
auch die spätesten Nachfahren zu verpflichten.
Wir, nichtige Schatten, denen der wissende Wille der Götter (20) es auferlegt,
einen Geist zu ertragen, der sein kraftloses Zeitalter überragt, und dabei selbst,
umgeben von erhabenen Aufgaben, elend zu verkommen, da wir mit unseren
armseligen Möglichkeiten sein Denken nicht fassen können – wenn wir derma-
leinst die gewaltigen Werke deiner Rechten mit gereifter Urteilskraft betrachten
dürfen, wollen wir uns tapfer mit dem folgenden Gedanken über unser Schicksal
trösten: All das, was eine feindliche Natur den anderen verweigerte und in einem
ungeheuren Aufschwung dir allein zuteil werden ließ, all das wird unser aller
Mutter zum Ruhm gereichen.
Derselbe Opitz.

Kleines Gedicht in elegischen Versen.


Wie die Biene, die mit zartem Summen dahergeflogen kommt, dabei mit raschen
Flügeln die Luft streichelt und bald durch offene Gefilde, bald durch waldige
Schluchten ihren Weg suchend im lebendigen Schoß der großen Mutter tändelt
und nun mutwillig mit schwellenden Lippen den Blumen ihren Seelenhauch
und der Purpurrose ihre heiligen Gaben raubt; dann aber, als sie in vergeblicher
Vorsicht im Waldesschatten umherfliegt, umschließt die glücklichen Füße ein
Harztropfen, wie ihn Phoebe, Phaetusa und Lampetie, die goldene Dreiheit,
(10) ohne Unterlaß aus dem Saft der Pappeln hervorquellen lassen. Und so ein-
geschlossen, ziert sie die mitleidigen Tränen der Heliostöchter und wird zugleich

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104 FElix, conjugii
10 Populeo stillant jugiter è latice.
Heliadumque pias lachrymas implexa venustat,
Compedibusque simul fit pretiosa suis.
Sic dum Bethaniae, Dornavi, vivis in oris,
Nostra tibi grata est patria, tu patriae.
Idem.

***
Nobilissimi et Generosi
Sponsorum
Paris
CHRISTOPHORI
GEORGII DE BERGK,
Equitis Literatissimi,
ET
ANNAE MARIAE
MUTSCHELNICIAE,
Matronae Lectissimae
EPITHALAMIUM .
Auctore
MARTINO OPITIO.
GORLICII
IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant.

[A2r] FElix, conjugii cui mollia fata prioris,


Et fortunati dulcis concordia lecti,
Ad memores laetâ revocatur imagine sensus.
Non ille, innuptae commendans otia vitae,
5 Laudat damna tori, viduosque amplectitur annos
Tristis, et iratis teneros incusat amores
Vultibus, ac thalamo sese traducit inerti.
Sed, quoties raptae non fictus conjugis ardor,
Et desiderium rediit; alimenta caloris
10 Se nova concipiunt, serisque doloribus aegro
Speratos blandâ vi Cypria sufficit aestus,
Et penitis flammae reparat fomenta medullis.
Ac veluti tacitae cum grata silentia noctis
Composuêre solum, defessosque occupat artus
15 Alta quies; subit attonitae per somnia menti

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FElix, conjugii 105

selbst durch ihre Fesseln zur Kostbarkeit. So auch du, Dornau: Indem du in den
Mauern von Beuthen lebst, ist dir unser Vaterland willkommen und du dem
Vaterland.
Derselbe [Opitz].
[R.K.]

***
Ein Hochzeitsgedicht
für das vornehme und edle
Brautpaar,
Christoph
Georg von Bergk,
hochgelehrten Ritter,
und
Anna Maria
von Mutschelnitz,
hochwürdige Frau,
verfaßt von
Martin Opitz.
Gedruckt in Görlitz
bei Johannes Rambau.

Glücklich der Mann, in dem von erfreulichen Bildern die schöne


Zeit einer früheren Ehe, das süße Beisammen beglückten
Lebens zu zweit in Sinnen, die dessen gedenken, erneut wird.
Der wird die schläfrige Zeit ohne Frau mitnichten empfehlen
Noch den Verlust der Gefährtin für gut erklären noch Witwer- 5
Jahre in Trauer durchleben, mit zorniger Miene auf zarte
Liebschaften schimpfen noch gar in sinnlosem Faulbett versinken.
Sondern, sooft eine Sehnsucht und echte Begier, die verstorbne
Gattin noch einmal zu haben, zurückkehrt, beginnen sich neue
Scheite für Feuer zu sammeln, und Cypria schickt dem von alten 10
Schmerzen Geplagten mit sanfter Gewalt die erhoffte, die Glut zu,
Gibt ihm im innersten Mark den Zündstoff für Brände von neuem.
Wenn das erwünschte Schweigen in lautlosen Nächten zunächst den
Boden bereitet, sodann den erschöpften Leib eine tiefe
Ruhe umfängt, gehn im Traum einem jeden die eigenen Wünsche 15

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106 FElix, conjugii
Quod sibi quisque cupit, vultusque videmur amicos
Cernere: decepto sed ubi temeraria corde
Vota sub abrupti meditamur stamina somni,
Quod solum nobis superest, spe vota potenti
20 Irrita prosequimur, fictoque illudimus igni
[A2v] Igne novo, et vanae sic obliviscimur umbrae.
Nec tu aliter, generis dignißima gloria vestri,
Et flos nobilium, et virtutis sidus avitae,
Postquam, connubio bis despoliatus amico,
25 Sensisti vacui non mitia frigora lecti;
Vitae damna tuae, inflammatus amore recenti,
Fatique immites occulti ulcisceris ausus.
Et merito: quis enim, quoties felicia secum
Vincula et amplexus, fidei jucunda maritae
30 Pignora, consortesque thoro considerat annos;
Mallet inexplicita damnare jugalia pacta
Pigritie, quàm sideribus Zephyroque secundis
Currere desveto placidum per Nerea passu?
O fortunatum, qui curas pectoris omnes,
35 Qui secreta animi sensa, absque pudore metuque,
Suaviter in dominae gremio diffundit amicae:
Qui postquàm studiis sese lassavit, et acres
Officii deglutivit de luce labores,
Liber et intrepidus, somno cùm mundus inerti
40 Occubuit, rebusque dedit nox otia feßis,
Uxoris cupidis dilectae audacter in ulnis
Seria sollicitae deponit munia vitae.
[A3r] O fortunatum, cui dura negotia gratus
Diluit aspectus natorum, et dulce paterno
45 Pendet onus collo, genitorisque ora labellis
Excipit implicitis. Hoc gaudia fine laborant
Caetera; faemineique sinus sunt unica verae
Semita laetitiae, gravidae queis pondera barbae
Submisit rigidi virtus intonsa Catonis,
50 Atque Laërtiadis prudentia, duraque ferro
Aut adamante magis sapientis porticus aevi.
Scilicet hoc matri Naturae soluimus omnes
Vectigal meritò; nec amore venustius uno
Quicquam caelicolûm favor has produxit in auras.
55 Hic veluti lenocinio virtutibus ipsis

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FElix, conjugii 107

Durch den erstaunenden Sinn, und wir bilden uns ein, daß wir liebe
Bilder erblickten; sobald wir jedoch, Enttäuschung im Herzen,
Kaum daß der Traumfaden riß, diese planlosen Wünsche bedenken,
Suchen wir – das nur verbleibt uns – mit Hoffnung voll Kraft den enttäuschten
Wünschen Erfüllung zu schaffen, verlachen das Feuer des Traumbilds, 20
Weil uns ein neues erfüllt, und vergessen die leeren Phantome.
Ebenso Ihr, der prächtigste Ruhm Eurer ganzen Familie,
Blüte des Adels und Stern einer Kraft, die von Urahnen herrührt,
Ebenso Ihr: nachdem euch schon zweimal die liebe Gemahlin
Starb und Ihr spürtet, wie schrecklich die Kälte des einsamen Betts ist, 25
Gleicht Ihr, in neuer Liebe entbrannt, Eure Lebensverluste
Aus und bestraft das Fatum, das feige, für grausame Frechheit.
Recht so! Wer würde denn auch, sooft er die glücklichen Bande,
Jede Umarmung, die Kinder – die lieblichen Pfänder der Treue
Seiner Gemahlin – erwägt und gemeinsame Jahre der Ehe, 30
Lieber mit dumpfer Trägheit das Bündnis der Ehe verdammen,
Als unter günstigen Sternen, mit Zephyr im Rücken, ein sanftes,
Ruhiges Meer zu durchfahren, sosehr er des Fahrens entwöhnt ist!
Glücklich der Mann, der die Sorgen, der alle Sorgen des Herzens,
Alle geheimen Gedanken ganz frei von Scham und von Ängsten 35
Liebevoll-zärtlich der Frau, der geliebten Herrin, ins Herz gießt;
Der, nachdem er sich selbst mit Mühen erschöpft und die schwere
Arbeit vom Tag im Dienst seiner Pflicht hinuntergeschluckt hat,
Nun aber ruhig und frei, sobald die Welt in erschlafftes
Schlafen versank und die Nacht all dem, was müde ist, Ruh gab, 40
Ohne zu zögern den ernsten Betrieb seines ruhlosen Lebens
Seiner geliebten Frau in die willigen Arme hineinlegt.
Glücklich der Mann, dem der Anblick der Kinder erfreulich die schweren
Sorgen und Pflichten hinwegspült, an dessen Hals, eines Vaters
Hals, eine liebliche Last hängt und Vaters Antlitz mit Küssen, 45

Schmatzenden Küssen bewirtet. Es dienen die andern Genüsse


Diesem Zweck; und der Schoß einer Frau ist der einzige Weg zu
Wirklicher Freude, und ihm unterwarf sich die wenig frisierte
Strenge des eisernen Cato mitsamt dem Gewicht seines Vollbarts,
Auch so Odysseus, der kluge, und damals, zu Zeiten der Weisheit, 50

Die übertraf Diamanten und Eisen an Härte: die Stoa.


Denn einen Zoll dieser Art entrichten wir alle mit Fug und
Recht unsrer Mutter Natur; und nichts Schönres als einzig die Liebe
Ließ der Himmlischen Gunst in die Luft unsrer Erde hineinziehn.
Diese, die Liebe, verleiht in schöner Verkupplung sogar den 55

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108 FElix, conjugii
Conciliat non vile decus speciemque venusto.
Hic naevos etiam humanos et crimina peplo
Obnubit quasi candenti, innatamque perenni
Nequitie specioso excusat lumine culpam.
60 Omnia divini ardori debemus Amoris.
Hunc tu, docte heros, taedarum nempè priorum
Connubiique memor, victrici vivere chartâ
Jußisti, et nostram quoque non nescire juventam
Passus es, ingenti quàm vivant parte beati,
65 [A3v] Quos irrupta tenet jurati copula lecti,
Et mansura fides. Nos te, Praeclare virorum,
(Hoc solum nobis regnum fati ordo reliquit,)
Quamvis te celso laus propria donet Olympo,
Sublimi idcircò tollemus ad astra cothurno.
70 Transcribet solidi flore ipso cusa metalli
Penna procul positis ausa haec illustria terris:
Et dùm jucundae lato superabit in orbe
Nomen amicitiae, dùm faedera mentis, amorque
Dum super ullus erit, Paphii dum diva vireti
75 Corda Cupidineis unget mortalia succis;
Ingenii monimenta tui, tantique leporis
Posteritas agnoscet opus, generisque decorem
Et titulos post se tua gloria linquet avitos.
Atque vide, Venus ipsa tibi pro munere tanto
80 Dignum operae pretium, ingratos exosa cuculos,
(O utinam cunctis sic esset in aere) rependit;
Matronale decus. Haec te largißima merces,
Haec te dona manent. I nunc et praemia Musas
Posce tuas, quisquis vigili noctuque diuque
85 In studiis genii defraudas pensa labore.
Haec Erycina suis expendit faenora mystis.
[A4r] Ergò faemineum dilecto, Sponsa, pudorem
Ultrò, nam tua res agitur, submitte marito.
Jam puer Idalius viduatae taedia noctis
90 Longa recompensat, jam roscida sidera vestro
Indulgent et Luna tori non inscia ludo.
At tu, cui tot saepè dies (dùm vindice dextra
Facundas aevum fecisti vivere flammas)
Sponse, prius consecrasti, jam noctis Amori
95 Junge operam, ne laus hîc solum parta laboret.

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FElix, conjugii 109

Ernsten Tugenden Reiz, nicht geringen, und glänzendes Aussehn.


Liebe umhüllt sogar die Gebrechen und Sünden der Menschen
Gleichsam mit leuchtendem Kleid und gleicht von der erblichen Sünde
In uns gepflanzte Schuld mit schön erstrahlendem Licht aus.
Alles verdanken wir doch der Glut der göttlichen Liebe. 60
Sie habt Ihr, Held und Gelehrter, an Eure früheren beiden
Hochzeiten denkend und Ehen, in triumphierendes Schriftstück
Eintragen lassen, zugleich dran gedacht, daß unsere jungen
Leute erfahren, wie sehr das Leben der Menschen beglückt ist,
Die das beständige Band beschworener Ehe umschlingt und 65
Treue, die immer Bestand hat. Wir heben, Herrlicher, darum
(Diese Vollmacht allein überließ uns die Planung des Fatums),
Mag Euer eigener Ruhm ohnehin Euch dem Himmels-Olympus
Zusenden, dennoch auf hohem Kothurn Euch hinauf zu den Sternen.
Federn, geprägt mit der Kraft eines festen Metalls, werden ferne 70
Liegenden Ländern vermelden, daß hier etwas Schönes gewagt ward.
Und, solange auf Erden, im weiten Weltkreis, die holde
Freundschaft weiterbesteht, solange es innere Bünde,
Liebe noch weiterhin gibt, die Göttin des Haines von Paphos
Herzen von Sterblichen weiter massiert mit Öl von Cupido, 75
Werden die Späteren alle die Urkunden Eurer Begabung,
Derart gefällige Werke, zu rühmen wissen, und Euer
Ruhm wird den Ruhm Eures Stamms und ererbten Glanz überstrahlen.
Seht, für solch ein Geschenk entrichtet Euch Venus persönlich
– Widrige Faulenzer haßt sie – der Mühe entsprechende Gabe 80
(Wäre sie doch einem jeden in solcher Weise verschuldet!),
Nämlich die schmückende Frau. Diese überreiche Belohnung,
Dieses Geschenk kommt zu Euch. Nun fordre, wer immer zur Zeit des
Tages, zur Zeit der Nacht mit wachsamer Mühe studiert und
So die Pflicht seiner Neigung versäumt, den Lohn seiner Musen: 85

Nein, diesen Lohn reserviert Erycina den eigenen Mysten.


Also, bräutliche Frau, nun legt dem geliebten Gemahl die
Weibliche Keuschheit von Euch aus (es geht ja um Euch doch) zu Füßen.
Endlich vergütet der Knabe von Zypern den langen Verdruß der
Einsamen Nächte; Gestirne, die Tau bewirken, und Luna, 90

Bräutlichen Bettes kundig, sind Euren Spielen gewogen.


Ihr aber, Bräutigam, widmet dem Gott, dem Ihr früher soviele
Tage geweiht habt (indem Ihr mit helfender Hand unsre Zeiten
Redegewandte Liebe zu leben gelehrt habt), o widmet
Amor die Mühe der Nacht, versaget nicht einzig nur hierin. 95

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110 H IPPONAX A D A STERIEN

Fallor an ex sancto (modò si mortalia Manes


Credibile est defunctorum perpendere) caelo
Ipsae, quas superûm lex abstulit alta, maritae
Bergi magne tuae, lingvisque animisque faventes,
100 Spectant festa, tibique novum gratantur amorem!

FINIS.

***
M ARTINI O PITII
H IPPONAX
A D A STERIEN
puellam formae et animi do-
tibus longè amabi-
lissimam.
Item Germanica quaedam
ejusdem argumenti.
GORLICII
IohannIs RhaMbae typI eXCVDebant.

[A2r] V.C. C ASPARO K IRCHNERO ET


B ERN . G VILIELMO N ÜSSLERO
literatissimo adolescenti,
amicis summis.

MAximam vitae hujus felicitatem, Juvenes multò dilectissimi, in tranquillitate


mentis positam esse, mortalium paenè omnium conspiratio probavit. Eam ut alii
aliunde, ita ego ex literarum potissimùm cognitione hauriendam mihi semper
existimavi. Animus enim hominis solidae praeceptis sapientiae imbutus, detur-
5 bari statu suo omnino non potest. Sortis tempestatem, et illa quae dejicere ple-
beias mentes solent, non admittit, sed obruit, et cum adversitate sua paria facit.
Opes autem et divitias non à Fortuna petit, sed à se ipso; quas sola virtute absolui
credit. Involutus itaque sibi ipsi facile se tuetur, et externa bona, quorum sola
opinio pretium fecit, aut non aestimat, si habet; aut non optat, si non habet.
10 Quare mirum vobis videri nequaquam debet, quòd in tam prolixa adolescentiae
meae calamitate de amoribus adhuc cogito et delitiis. Facilius enim, ubi pertur-
bationes reliquae absunt, Amor locum sibi vel invenit, vel facit. Satis enim impu-
dens est hic hospes. Audivi praeterea, tum temporis, cùm affectus iste sibi indul-

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H IPPONAX A D A STERIEN 111

Täusch’ ich mich nicht, so schauen vom heiligen Himmel


(Falls es erlaubt ist, zu glauben, die Seelen Verstorbener nähmen
Anteil an menschlichem Los) sie selbst, Eure Frauen, die hoher
Spruch, Herr von Berg, der Götter hinwegnahm, in Sprache und Denken
Günstig auf Euer Fest, Eure neue Liebe begrüßend. 100

ENDE.
[G.B.]

***
Martin Opitz:
Hipponax
an Asterie,
das nach Gaben der Schönheit und des Geistes
bei weitem
liebenswerteste Mädchen.
Außerdem einige deutsche Gedichte
über denselben Gegenstand.
Görlitz,
gedruckt bei Johannes Rambau, 1618.

Für den ehrenwerten Herrn Caspar Kirchner und


den hochgebildeten Jüngling
Bernhard Wilhelm Nüßler
seine besten Freunde.

Daß der größte Teil des Glückes in diesem Leben, vielgeliebte Jünglinge, in der
Ruhe des Gemütes begründet liegt, darüber besteht Einigkeit unter fast allen
Menschen. Diese glaubten andere anderswoher, ich hingegen stets vor allem aus
der Kenntnis der Wissenschaften schöpfen zu sollen. Ist der Geist eines Men-
schen nämlich mit klaren Weisheitsvorgaben durchtränkt, kann er von seinem
festen Stand ganz und gar nicht abgebracht werden. Die Stürme des Schicksals
und jene Dinge, die einfache Gemüter zu verwirren pflegen, läßt er nicht an sich
heran, sondern drückt sie nieder und gleicht sie durch seine eigene Gegenkraft
aus. Güter aber und Reichtümer erbittet er sich nicht von der Glücksgöttin, son-
dern von sich selbst, überzeugt, sie seien nur durch Tugenden zu erwerben. Da-
her schützt er sich, in sich selbst eingehüllt, leicht, und äußere Güter, bei denen
allein eine falsche Einschätzung den Preis festgesetzt hat, schätzt er nicht, wenn
er sie besitzt, und wünscht sie nicht, wenn er sie nicht besitzt. Daher darf es

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112 H IPPONAX A D A STERIEN

get maximè, nervos caeterarum [A2v] rerum non requiri. Et id quidem à fide
15 dignis hominibus ad Posteritatis memoriam pervénit. Causas itaque cur tant-
operè debeam jacere, fateor me adhuc ignorare: cum praesertim Sappho nostra
in Poëtica domo luctum perferre non potuerit; Smerdiae verò capillum, et Cleo-
buli oculos, et florem Bathylli non admodum illibenter eam admisisse, Maximus
Tyrius autor sit. Nisi fortè Penian meam pellicem sufferre non posse censetis.
20 Scitis insuper, Poëtas sicuti reliqua, sic amasias quoque, ut scilicet hac occasione
languentem stylum excitent, fingere sibi facilimè posse. Certè utrum Pyrrha plu-
res procuderit an nostri, videtur mihi adhuc quidem in controversiam adduci
posse. Ego quidem hîc, ubi etiam à seriis non abstinui, praeter animi remissio-
nem nihil quaesivi. Quod satis dedicatio haec probat. Si enim lege seria voluis-
25 sem agere, difficulter certè, ut ingenuè non mentiar, Juvenes eruditissimi, ista
vobis credidissem. Nam plerique putant, talia ne amicis quidem tutò permitti:
praesertim vestrae aetatis. Utrum enim nuntius magis voti fiat compos, an qui
misit, &
-«  : ;. Valete. E coenobio.

[A3r] M ART. O PITII


ad Asterien puellam amabilissimam
H IPPONAX .

DIvina virgo, dulcium puellarum


Flos nemini mortalium prius tacte,
Tangende nulli prurientibus verbis,
Aut gestibus factisque non verecundis.
5 O alma nympha, quis furor tuum pectus,
Illud beatum, candidum, innocens pectus
Quae strix nocente fascino profanavit?

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H IPPONAX A D A STERIEN 113

euch keineswegs verwunderlich erscheinen, daß ich in den sich so ausweitenden


Schwierigkeiten meiner Jugendzeit noch immer über Liebesdinge und ihre Freu-
den nachsinne. Leichter nämlich findet oder schafft sich seinen Ort der Liebes-
gott da, wo die übrigen Affekte fehlen. Denn dieser Gast ist außerordentlich
unverschämt. Zudem habe ich gehört, daß zu der Zeit, da dieser Affekt sich am
meisten Raum schafft, der Anreiz durch andere Dinge nicht erfordert werde.
Und dies ist von vertrauenswürdigen Männern der Nachwelt überliefert worden.
Daher gestehe ich, daß ich noch nicht recht den Grund dafür weiß, warum ich so
ganz am Boden liegen sollte, zumal unsere Sappho im Hause eines Dichters
keine Trauer habe ertragen können; daß sie vielmehr das Haar eines Smerdias,
die Augen eines Kleobulos und die blühende Schönheit eines Bathyllos nicht
ganz ungerne an sich herangelassen habe, dafür kann Maximus von Tyros ein
Gewährsmann sein. Es sei denn, ihr meint, daß meine Armut eine Rivalin nicht
ertragen könne. Im übrigen wißt ihr ja, daß die Dichter so wie alles übrige auch
ihre Geliebten sich leicht selbst erfinden könnten, um nämlich bei dieser Gele-
genheit ihrem dichterischen Vermögen aufzuhelfen, wenn es erschlafft. Gewiß:
Mir jedenfalls scheint es, als könne es noch zu einem Streit darüber führen, ob
Pyrrha [mit ihren Steinwürfen] mehr Frauen hervorgebracht habe als unsere
Dichter. Ich jedenfalls habe hier, auch wo ich mich des Ernstes nicht ganz ent-
halten habe, nichts gesucht außer der Entspannung meines Geistes – was diese
Widmungszuschrift hinreichend belegt. Wenn ich nämlich nach strenger Regel
hätte verfahren wollen, hätte ich euch, gelehrte Jünglinge, wohl schwerlich, um
die Wahrheit zu sagen, derlei Dinge anvertraut. Denn die meisten finden, daß
solches nicht einmal Freunden sicher anvertraut wird, zumal denen in eurem
Alter. Denn ob am Ende eher der Bote das Gewünschte erlangt oder der, der ihn
geschickt hat, das liegt bei dem Mädchen. Lebt wohl. Aus dem Kloster [Sitz des
Gymnasiums in Görlitz].

Martin Opitz:
Hipponax
an Asterie, das liebenswerteste Mädchen.

Göttliche Jungfrau, lieblicher Mädchen Blüte, von keinem Sterblichen noch be-
rührt, von keinem zu berühren mit Worten voll Begier oder Gesten und Hand-
lungen ohne Scheu. O holde Schöne, welcher finstere Wahn hat dein Gemüt,
jenes selige, reine, unschuldige Gemüt, welche Ohreule hat es durch Schaden-
zauber entweiht? Soviele reizende Worte, die Phoebus und Luna vom Himmel

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114 H IPPONAX A D A STERIEN

Tot delicata verba, quae polo Phaebum


Deducerent Lunamque dißipat Cori
10 Ferocientis impetus truci flatu.
Et tu, rebellis, obstinata me linquis,
Et ut timoris hinnulus tener plenus
Jugis inerrat montium exul et clivis,
Timetque tuta cuncta; sic tuum vatem
15 Frustra vereris, aufugisque nequicquam.
Nam non adulter impudicus et maechus
Obscaenus, alta nocte depudicare
Accedo, diva, virginem tuum lectum:
Qualis medullis Phaebus intimis ardens,
20 Daphnen misellam deperire tentavit:
Aut pullus ille Martis, acer AEneas
Didûs pudori fraudulenter illusit.
Absit venenum tale cordibus sacris
[A3v] Vatum piorum, quos amabilis candor,
25 Noxaeque vita non amica per caeli
Fert arduis volubiles plagas pennis.
Sed unico favore me frui saltem
Concede vestro, nec superba subduce
Sidus tuorum luminum venustorum.
30 Nam non ego felicitatis indignus
Incedo tantae: quamlibet suburbanis
Suffarcinatus haud superbio villis,
Bobusque centum divites aro fundos.
Parvo beatus, atquè sorte contentus
35 Quae numinum favore contigit nobis,
Omnes avaros atque sordidos infra
Me sperno liber, et quietus eludo.
Honesta res est namque laeta paupertas,
Et se satis contenta. Nemo tam pauper
40 In orbe vivit, atque pauper est natus.
Fortes timet Fortuna, vexat ignavos,
Et saepè littus transit, atque sublimi
Rates in alto quaerit, invias nubes
Quarum superbo vela supparo velant.
45 Istaque mens serena se fide lactat,
Nil esse majus uspiam suâ sorte
Quam compotivit, et nihil minus credit.

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herabholen könnten, vertreibt (10) der Ansturm des wilden Nordwestwindes


mit heftigem Blasen. Und du, abspenstig gemacht, verläßt mich fest entschlos-
sen, und wie ein zartes Hirschkalb voller Furcht weitab über Anhöhen und
Hänge der Berge irrt und sich von allem bedroht fühlt, obwohl es ohne Gefahr
ist, so bist du umsonst argwöhnisch gegenüber deinem Dichter und entziehst
dich ihm ohne Grund. Denn nicht schleiche ich als schamloser Verführer und
sittenloser Buhler in tiefer Nacht heran, du göttlich Schöne, um dein jungfräu-
liches Bett zu entehren, so wie Phoebus, im innersten Mark entflammt, (20) die
arme Daphne stürmisch zur Liebe zu zwingen versuchte, oder wie jener Sproß
des Mars, der kampfesstarke Aeneas, die sittsame Dido zum Besten hielt. Ein
solches Gift sei fern den geweihten Herzen der frommen Sänger, die eine lie-
benswerte Aufrichtigkeit und ein Lebenswandel, der jedem Vergehen abhold ist,
mit emporstrebenden Flügelfedern schwerelos durch die Gefilde des Himmels
hintragen. Laß mich doch wenigstens eine einzige Gunst von dir genießen und
entziehe mir nicht voll Hochmut das Gestirn deiner liebreizenden Augen. (30)
Denn ich nahe dir nicht unwert eines so großen Glückes, obgleich ich nicht mit
Landgütern vor der Stadt reich gesegnet prahle noch mit hundert Ochsen ertrag-
reiche Äcker pflüge. Mit wenigem glücklich und zufrieden mit dem Los, das mir
durch die Gunst der himmlischen Mächte zuteil geworden ist, blicke ich in Frei-
heit auf alle Habgierigen und niedrig Gesinnten verächtlich herab und spotte ih-
rer in innerer Ruhe. Etwas Ehrbares nämlich ist froh getragene Armut, die sich
mit sich zufrieden gibt. Niemand (40) auf der Welt lebt ja so arm, wie er geboren
wurde. Die sich anstrengen, schont das Geschick, es schlägt die Lässigen; oft
auch läßt es die Küstengegend ungeschoren und sucht die Schiffe auf hoher See
heim, deren prächtige Segel hoch oben am Mast die Wolken, die der Fahrt ent-
gegenstehen, verdecken. Ein heiterer Sinn speist sich aus dem Glauben, daß es
nirgends etwas gibt, das größer wäre als das Los, das er gezogen hat, und nichts
hält er auch für geringer. Durch diese Maxime geläutert, nimmt er die Kargheit
mit offenen Armen als Hausgenossin auf (50) und kleidet sich in den Reichtum

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Hac lege defaecata, contubernalem


Admittit ulnis obviis egestatem,
50 Suaque se virtute dives involuit.
Haec te pudica vota non retardabunt,
[A4r] O inclytum astrum; nec quod impio fastu,
Et vestium fulgore gloriosarum,
Pompaque vobis non onustus impono:
55 Ut delicata musteae juventutis
Solet caterva, quae suos quidem exosa
Cultûs, decorem mollium puellarum
Paenè aemulatur: frangit in gradus crines
Ferro erudito, circulus fluit collo
60 Maeandricum ceu syrma, palla subtili
Bombyce commendata funis in morem
Contorta nervos circumambit enerves,
In textilique nube diffluens corpus.
Quin et manûs stant gemmeis relucentes
65 Et fulgurantes ignibus: pedes docti,
Laxis superbi fasciis, timent terram
Gravi pedatu tangere; ergò suspensi
Sese gradu librant volante Semones,
Et evirato confitentur incessu,
70 Quid impudico corde ruminent secum.
Hos, diva, castitatis aucupes vestrae,
Hirudinum relinque sangvisugarum
Claustris pudendis, quae parabiles parvo
Nil praeter unum virginis tenent nomen,
75 Vultuque nequam ad quodque liberum verbum
Minantur, argutantur, annuunt, nictant,
Sciuntque jam quod nesciunt, premi gaudent,
Et improbos lassantur inter amplexûs:
Quae spe vagisque devorant viros votis,
80 [A4v] Succo carentes atque larva deformis,
Et petrae pumex, pallidae magis buxo.
Hoc namque schema more musteo quodam
Natoque nuper obtinet? placet pallor
Quaesitus arte pharmacisque, vel noctis
85 Jejunio frequentis: his nocens pruna,
Hic calx cinisque vile sanguen educit,
Aut acre acetum, aut gleba turpis, aut creta.

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seiner Tugend. Meine sittsamen Wünsche werden dich nicht von deiner Bahn
abbringen, o vielgerühmter Stern, wo ich doch nicht aufgedonnert mit verwerf-
lichem Stolz, mit dem Glanze sich brüstender Kleidung und in prunkhaftem
Aufzug euch zu täuschen versuche, wie es die verwöhnte Clique unausgegorener
junger Männer zu tun pflegt, die den ihnen angemessenen Aufzug verschmähen
und stattdessen fast die Zierlichkeit zarter Mädchen nachahmen. Das Haar legen
sie mit modellierten Eisenstäben in Wellen; eine Kette fließt vom Nacken herab
(60) wie eine mäandernde Schleppe; ein Überwurf, der mit feiner Seide glänzt,
umschlägt wie ein gewundenes Seil die gar nicht muskulösen Muskeln und den
Leib, der in einer Wolke gewebter Stoffe zerfließt. Ja, auch die Hände starren von
Geschmeide, das feurig strahlt und blitzt. Die gedrillten Füße, prangend mit wei-
ten Bändern, scheuen sich, kräftig auf den Boden aufzutreten; so tänzeln diese
Semonen fliegenden Schrittes einher und geben mit ihrem unmännlichen Gang
zu erkennen, (70) worauf sie in ihrem schamlosen Herzen sinnen. Überlasse,
du göttlich Schöne, diese Männer, die deiner Keuschheit Fallen stellen, den
schimpflichen Schlupfwinkeln der Blut saugenden Vampire, die für wenig Geld
zu haben sind und von einer Jungfrau nichts als die Benennung haben; die mit
liederlicher Miene bei jedem anzüglichen Wort Andeutungen machen, schwat-
zen, zunicken, mit den Augen zwinkern und schon wissen, was sie nicht wissen,
sich gern beschlafen lassen und in schändlichen Umarmungen ihre Kraft er-
schöpfen; die mit Aussichten und vagen Versprechungen die Männer zum be-
sten halten, (80) Wesen ohne Saft und Kraft, häßliches Gerippe und Bimsstein,
fahler als Buchsbaumholz. Denn hat sich nicht dieses Aussehen aufgrund einer
aktuellen, jüngst aufgekommenen Mode verbreitet: Blässe gefällt, mit Tricks und
Mittelchen herbeigeführt oder auch mit vielen durchwachten Nächten. Bei man-
chen vertreiben schädliche glühende Kohlen, bei anderen Kalk und Asche die
wenig geschätzte Röte durchbluteter Haut, oder auch scharfer Essig oder gar-
stige Klümpchen oder Kreide. Denn diese Flittchen treibt die Sorge um, jemand

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118 H IPPONAX A D A STERIEN

Haec nempè cura delicatulas torquet,


Ne non pudorem cum superfluo cunctum
90 Rubore projecisse censeat quisquam.
Has virgines non virgines, inexhaustas
Voragines virilitatis infaustae,
Muscasque sanguinis virûm suburranas
Non aemulare. Sancta Castitas omnes
95 Multum antecellit longo honore virtutes:
Velut minorum siderum antesignanus
Praeit trilustris Lucifer, vel augusti
Ales parentis relliquam alitum turbam.
Frustra decentem corporis venustatem,
100 Frustra lepores et facetias oris
Jactas superbi, et quicquid in tuam cedit,
O virgo, famam, ni modestiae laude
Stipata circum sit corona virtutum.
Puella quamvis dotibus suae formae
105 Ausit decorem provocare Ledaeae,
Si sit pudoris nescia, annuli est instar
Cui gemma non relicta nil locum praeter
[B1r] Sui reliquit, et foramen attritum.
Hoc tu diserta saepè voce commendas,
110 Hoc usque jactas, hoc tuo doces ipsa,
Typus beatae Castitatis, exemplo.
Festivitatis et leporis idcircò
Fructu tamen carere non decet sexum
Cui dura divi cuncta proposivere.
115 Facetiarum nutriendus est melle,
Jocisque amoenis suscitandus et risu
Ordo tenellus mollium puellarum.
Quid osculum nocebit intimè raptum
Amantis ore? charitatis hoc signum
120 Et pignus est fidelis. Ipsa mens imo
Cordis barathro provocata, concursu
Hiantium committitur labellorum.
Os nempè porta et promptuarium est mentis,
Et valva cogitationis humanae.
125 Hoc cordium Cupido limine angusto
Coit duorum contubernio dulci.
Hac quaeso nobis parte, si licet salvo

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könnte meinen, (90) sie hätten nicht mit der sich ergießenden Röte auch all ihre
Scham abgelegt. Diesen Jungfern, die keine Jungfrauen sind, diesen unersätt-
lichen Schlünden glückloser Manneskraft, diesen Männerblut saugenden Stech-
mücken der Subura eifere nicht nach. Die heilige Keuschheit übertrifft mit ihrer
Ehre, die Bestand hat, alle übrigen Tugenden bei weitem, so wie der Morgen-
stern, der Anführer der kleineren Sterne, diese dreifach überstrahlt oder auch der
Vogel des erhabenen Vaters die übrige Vogelschar übertrifft. Umsonst prangst
du im zierlichen Liebreiz deiner Erscheinung, (100) vergeblich mit dem feinen
Witz deiner hochgemuten Rede und allem übrigen, was dir zum Ruhm gereicht,
o Jungfrau, wenn nicht der Kranz deiner Vorzüge von der Ehre der Sittsamkeit
umfangen wird. Wenn ein Mädchen mit den Gaben ihrer Gestalt auch mutig die
Schönheit der Tochter Ledas zum Vergleich herausfordern wollte – wenn sie
keine Scham kennt, gleicht sie einem Ring, der von seiner verlorenen Perle nur
noch den leeren Platz und die verletzte Fassung behalten hat. Das legst du mit
beredten Worten oft ans Herz, (110) das führst du immer im Munde, das lehrst
du, Muster seliger Keuschheit, durch dein eigenes Beispiel. Doch sollte das Ge-
schlecht, dem die Götter lauter schwere Dinge auferlegt haben, die Frucht des
heiteren Scherzes deswegen nicht entbehren müssen. Mit dem Honig witziger
Einfälle soll es genährt, mit angenehmen Scherzen und mit Lachen angeregt
werden, das zarte Volk der empfindsamen Mädchen. Was wird ein Kuß denn
schaden, den des Liebenden Mund sich insgeheim holt? Er ist ein Zeichen (120)
und Unterpfand treuer Liebe. Die Seele selbst wird aus dem tiefsten Grund des
Herzens heraufgerufen und vereinigt sich im Zusammentreffen der sich öffnen-
den Lippen. Denn der Mund ist Tor und Mittler der Seele und Türflügel des
menschlichen Denkens. Durch diesen engen Ausgang kommt das Liebesverlan-

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120 H IPPONAX A D A STERIEN

Pudore, te non illibenter indulge,


Insignis heroina. Castitas dia,
130 Amorque non adulterinus haud pugnant.
Hic me subegit, hic mihi potestatem
Excußit omnem: vestra solus aspiro,
Virgo, venusta lumina. Huc meum fatum,
Huc vota tendunt. Unicus lepos vester,
135 Formaeque vis divina me mihi furto
[B1v] Subducit amplo. Nempè corporis vestri
Externa pulchritudo mentis internae est
Character et figura: vera virtutis
Abstrusae imago ab hoc decore resplendet.
140 Sic quando Titan mortis algidae fratrem
Brevi relinquet, nobile antecedenti
Jubar nitore sensa nostra delectat,
Stringens cacumen montium serenorum.
Mens pulchra pulchro quippe corpore elucet,
145 Ut flos ab unda. Plura quaerit in vobis,
O nympha, quam vos et decentiam formae
Artûsque bellos, quisquis aspicit velo
Pulchrum remoto, et arbitratur ex vero.
Persona nuda est aureae venustatis,
150 Quicquid venustum fertur inscii vulgi
Opinione: clara fax ocellorum
Transenna faeditatis absque virtute est;
Os, intimorum dulce sensuum littus,
Lasciviae canalis; aluus, optatae
155 Faecunditatis illa pyxis, obscaeni
Cloaca faeda coeni, abyssus infandae
Libidinis specusque; fons papillarum,
Rivus sororiantium gemellarum,
Scatebra Circes poculi; sinus, vitae
160 Portus severae, centrum amoris et limes,
Pruriginis palaestra, fossa peccati,
Castrumque velitationis impurae.
At quando mens decora corpori juncta est
[B2r] Non indecoro, pulcher in domo pulchra
165 Hospes moratur. Ista dos tuam formam,
Mi sidus, ornat, ista lancinat vatis
Cor immerentis, vultur atque fatalis

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H IPPONAX A D A STERIEN 121

gen zweier Herzen in süßer Gemeinschaft zusammen. Soweit überlasse dich mir
doch – die Scham bleibt gewiß gewahrt – nicht unwillig, du Vortreffliche und
Hohe. Die herrliche Keuschheit (130) und eine Liebe, die nicht buhlt, schließen
einander nicht aus. Eine solche hat mich bezwungen, eine solche mir alle Herr-
schaft über mich entrissen. Ich lechze ganz allein nach deinen liebreizenden Au-
gen, o Jungfrau. Dahin strebt mein Schicksal, dahin meine Wünsche. Einzig
deine Anmut, die göttliche Macht deiner schönen Gestalt entzieht mich mir
selbst – ein großer Diebstahl. Die Schönheit deiner äußeren Erscheinung ist
nämlich Ausdruck und Gestalt deines inneren Wesens; dieses tief verborgene
echte Bild der Tugend erglänzt in jenem Glanz. (140) So ergötzt, wenn Helios
den Bruder des kalten Todes bald verlassen wird, sein herrlicher Glanz mit sei-
nem Vorschein unsere Sinne, wenn er die klaren Gipfel der Berge streift. Denn
aus einem schönen Leib strahlt eine schöne Seele hervor, wie eine Blume aus
dem Wasser. Mehr als dich mit deiner zierlichen Gestalt und deinen hübschen
Gliedmaßen sucht in dir, o Mädchen, wer das Schöne ohne Schleier sieht und
es nach seinem wahren Werte schätzt. Ist das innere Wesen nicht von goldenem
Liebreiz, dann ist – (150) was die unwissende Menge für liebreizend hält – die
helle Fackel der Äuglein nur eine Schlinge der Schlechtigkeit ohne jede Tugend;
der Mund, lieblicher Hafen der innersten Empfindungen, nur ein Kanal der
Ausschweifung; der Schoß, dieses Gefäß ersehnter Fruchtbarkeit, nur eine gar-
stige Kloake ekelhaften Unflats, abscheulicher Wollust Abgrund und Höhle; der
Bronn der Brustwarzen, das Rinnsal des Schwesternpaares, nur ein Quell von
Circes Zaubertrank, und die Brust, (160) der Ankerplatz eines ernsthaft geführ-
ten Lebens, der Liebe Fixpunkt und befestigte Bahn, nur ein Tummelplatz der
Begierde, ein Graben der Sünde und eine Schanze schmutziger Scharmützel.
Doch wenn eine schöne Seele mit einem Leib verbunden ist, dem es nicht an
Schönheit fehlt, dann wohnt ein herrlicher Gast in einem herrlichen Haus. Die-

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122 H IPPONAX A D A STERIEN

Fibras Titî jecurque fertile immiti


Percurrit ore, pabulumque depascit
170 In damna crescens propria atque decrescens.
O dulce lumen, ô chori puellaris
Illustre sidus, ô benigna regina
Et imperatrix omnium venustarum,
Relinque quicquid aestimat puellarum
175 Plerunque fastus: quamlibet tibi nullus
Nec formae honore, nec parentium stirpe,
Largaeque liberalitate Fortunae,
Dives sagacis unico ingenî censu,
Sim comparandus. Nobilem facit virtus,
180 Non laus avorum sanguinisque majestas,
Vanumque nomen. Nec pudere me nostrae
Natura jußit patriae. Loci splendor
Celebriorem neminem licet reddat;
Tamen Bolesla nos in aureum Phaebi
185 Non poenitendo lumen extulit partu;
Bolesla grande Slesiae decus nostrae,
Et hortulorum fontiumque amoenorum,
Nec non virorum alumna foeta doctorum,
Quos censeat fors, non recenseat quisquam.
190 Elucet inter caeteros tamen cunctos,
Senftlebianae gratia et lepos Suadae,
[B2v] Et Musa nostri delicata Kirchneri:
O dulce par mortalium venustorum,
Quotquot benignus Jupiter catâ mente
195 Et literarum laude ritè donavit!
O chara biga, contubernio vestro,
Vester sodalis, civis, atque congerro,
Quando beabor? quando, quando vos inter,
Et inter Asterin meam, Asterin stellam
200 Decusque virginum, omniumque stellarum,
Propter vireta amaena nobilis Quecci,
Et obstrepentes voce garrula rivos
Quietus ibo; vel quà amabilis ripa
Bobrae salacis undae amore lascivit,
205 Anfractuoso devehens aquas cursu?
Hîc, ô puella, amaenioribus grati
Risûs susurris atque lusibus blandis

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H IPPONAX A D A STERIEN 123

ser Vorzug ziert deine Gestalt, mein Stern, und zerreißt das Herz des Dichters,
der das nicht verdient hat, so wie der verderbenbringende Geier mit unbarmher-
zigem Schnabel über das Gewebe der ergiebigen Leber des Tityos fährt und
seine Speise, (170) die zum eigenen Nachteil wächst und schwindet, verzehrt.
O süßes Licht, o leuchtender Stern der Mädchenschar, o gütige Königin und
Herrscherin aller Schönen, setze alles beiseite, was weiblicher Anspruch ge-
wöhnlich hochschätzt, bin ich dir auch in keiner Weise zu vergleichen, weder an
ansehnlicher Schönheit noch an familiärer Herkunft noch durch Großzügigkeit
eines freigebigen Glücks, da ich allein an meines klugen Kopfes Vermögen reich
bin. Adelig wird man durch Leistung, (180) nicht durch Verdienst der Vorfahren,
Würde der Abstammung und einen bloßen Namen. Die Natur hat mir freilich
nicht auferlegt, mich meiner Heimat zu schämen. Wenn auch der Glanz eines
Ortes niemand berühmter macht, so hat mich doch Bunzlau ans goldene Licht
des Phoebus gebracht, ohne daß ich mich dieser Geburt schämen müßte: Bunz-
lau, meiner schlesischen Heimat große Zier, das viele liebliche Gärten und Quel-
len nährt und auch viele gelehrte Männer, die man wohl alle schätzen, aber nicht
alle anführen kann. (190) Doch leuchten unter allen übrigen die Anmut und der
feine Witz von Senftlebens gewinnender Rede und die elegante Muse meines
Kirchner hervor. O liebenswürdiges Paar geschmackvoller Menschen unter all
denen, die Jupiter in seiner Güte mit einem gewitzten Verstand und preiswürdi-
ger Gelehrsamkeit gehörig beschenkt hat. O teures Zwiegespann, wann werde
ich als euer Genosse, Mitbürger und Kamerad das Glück vertrauten Umgangs
mit euch genießen? Wann, wann werde ich inmitten von euch und meiner Aste-
ris, ja, meiner Asteris, dem Stern (200) und der Zier aller Jungfrauen und aller
Sterne, in den idyllischen Flußauen des denkwürdigen Queck entlang seinem ge-
schwätzig plätschernden Lauf in Ruhe wandeln oder auch wo das liebliche Ufer
des Bober liebesdurstig nach der springenden Welle lechzt und die Fluten in ge-
wundenem Lauf hinabgeleitet? Dort, o Mädchen, werden wir mit dem noch rei-
zenderen Plätschern eines bezaubernden Lachens und mit süßen Scherzen die

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124 H IPPONAX A D A STERIEN

Vitae tyrannas aufugabimus curas.


Nec tu Poëtas obstinata fastidi,
210 Aut extimesce: Numini suum et sancto
Propago nostra semen imputat caelo.
Me laus scientiae aureae et fames famae,
Genîque calcar campo honoris instigat;
Me literarum fervor è sinu mundi
215 Molestiis subducit atquè secernit
Plebe implicatâ multum inanibus curis.
Non sum minor misellulis Poëtastris,
Qui prostitutae honore laureae imponunt
Plebi insciae sibique: nempè ne gratis
220 [B3r] Cogantur insanire, non velut blatta,
Aut tinearum grex iniquus affixus
Libris adhaereo unicis et intentus,
Meque hospitem reddo mei; ut solet foedo
Sentina coeno nata Grammatistarum,
225 Qui vim potentis ingenî scopo certo,
Domesticaeque angustiae suae clatris
Sublime, fertile, igneum, polo lapsum,
Prorsusquè non mortale pectus affigunt.
Vos scilicet jecur Cratetis intravit,
230 Vos estis illud alpha literatorum
O paedagogi, caeteri cinis tantùm
Feruntur, et vix umbra nominis vestri.
Vos Tulliano verba melle condita,
Merumque rorem funditis Caballinum.
235 Nos pulli, ephebi, transfugaeque cunarum,
Rudes, inepti, barbari, inscii, insulsi,
Omnisque judicî, artis omnis expertes,
Qui quicquid erudita relliqui fecit
Antiquitas cura et labore inexhausto
240 Noctu diuque evoluimus, magistellis
Nil fracta praeter vitra, vel nuces cassas
Quicquam tenemus. O miserrimae mentes!
O noctuini! ô semivultures! Famae
Canes benignae, Cerberique vivorum,
245 Vestrisne nostra caelica ausa cancellis,
Vestrine limite ingenî veternosi
Et angiporto clauditis? cor excelsum

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H IPPONAX A D A STERIEN 125

Sorgen des Lebens, die uns knechten, verjagen. So verschmähe auch du nicht
hartnäckig die Dichter (210) noch fürchte sie: Unser Geschlecht schreibt seinen
Ursprung einem göttlichem Wesen und dem heiligen Himmel zu. Mich stacheln
die hohe Geltung der goldenen Wissenschaft, der Hunger nach Ruhm und der
Sporn des Genius zum Wettlauf um die Ehre an. Mich führt brennendes Inter-
esse an der gelehrten Literatur aus dem Treiben der Welt mit seinen Beschwer-
nissen hinweg und scheidet mich von der Menge, die ganz in fruchtlose Sorgen
verstrickt ist. Ich bin nicht geringer als jene elenden Dichterlinge, die die unwis-
sende Menge und sich selbst mit dem Ehrenzeichen eines feilen Dichterlorbeers
täuschen, damit sie, versteht sich, nur nicht unbezahlt (220) dem Rausch des
Dichtens verfallen. Ich klammere mich nicht, wie die Milben oder das schädliche
Mottenvolk, allein an Bücher, indem ich all mein Sinnen nur darauf richte und
mich so mir selbst entfremde, wie es das Gesindel der dem garstigen Unrat ent-
stammenden Buchstabengelehrten zu tun pflegt, die die Kraft eines fähigen Gei-
stes an ein begrenztes Ziel heften und einen erhabenen, erfinderischen, feurigen,
vom Himmel herabgekommenen und gewiß nicht sterblichen Sinn auf die Git-
terstäbe ihrer eigenen beengten Behausung fixieren. In euch hat ja freilich der
Verstand des Crates Wohnung genommen, (230) ihr seid die erste Garde unter
den Gelehrten, o ihr Pädagogen, die übrigen gelten euch nur als Abfall und
allenfalls als Schatten eures rühmlichen Geschlechts. Aus euch strömen Worte,
die mit dem Honig Ciceros gesüßt sind, und das reine Wasser des Musenquells
hervor. Wir aber – Küken, unreife Knaben, aus der Kinderstube entwichen, un-
gebildet, täppisch, barbarisch, unwissend, ohne Witz und bar jedes Urteilsver-
mögens, jedes Könnens – wir, die mit Eifer und unerschöpflichem Arbeitswillen
(240) bei Tag und Nacht studieren, was immer das gelehrte Altertum hinterlas-
sen hat, halten nach Meinung jener Schulmeisterlein außer Scherben und leeren
Nüssen gar nichts in Händen. O ihr jämmerlichen Geister! O ihr Nachteulen!
O ihr halben Geier! Ihr Hunde, die ihr einem guten Ruf nachsetzt, ihr Höllen-
hunde der Lebenden! Unsere vom Himmel eingegebenen Vorhaben sperrt ihr
in eure Käfige, in die Grenze und die enge Gasse eures kraftlosen Geistes ein?

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[B3v] Plus tendit ultrà, nec Scholastici regni


Pomoeriis quiescit; immemor metae,
250 Flagransque laudis igne libero cursu
Scientiae omnis atque disciplinarum
Decurrit aequor omnium: velut fraenis
Equus remißis acer indolem magni
Probat vigoris, carceresque deridet
255 Hinnitu alacri, despicitque rectorem.
Nec Posterorum me favor situ putri
Unquam sinet jacere, si integer vitae
Labisque purus, unico fretus mentis
Sanae furore ad templa celsa doctrinae
260 Laudisque purae regia via grassor.
Hoc inter auras aliti ferar curru,
AEvo superstes et mihi, vehens mecum
Tuas, virago, caelicas venustates;
Tuasque dotes non tacebo; te caelo
265 In Posterorum corda gemmeo sculpam,
Paremque stellis Fama tollet aeterna.
Hac lege nubes pauperi quidem vati,
Sed non pudendo: quippe provocat lethum,
Ultroque securus sui rogum invadit,
270 Qui jam ante vitae fata terminum explevit,
Premitque mortem quam odit. Hac tibi dote
Absolvar, hoc stipendio: modò celsae
AEternitatis non repelle mercedem.
Quid quaeris ultra? luctus et dolor vultûs
275 Errat per omnes: aestuo velut ponto
[B4r] Minuta navis arduo, Notus saevo
Cum fluctibus furore totus incumbit.
Flammam occupavi; saevior coquit mentem,
Quam qui camino insanit ignis AEtneo.
280 In me Dione viribus ruens cunctis
Cyprum suam reliquit: huc et huc curro,
Incerta qualis cursibus vagis fertur,
Succensa Maenas Liberi sui flammis,
Nisae superbi vertice aut jugis Pindi,
285 Sacroque pectus incitum ferit cultro.
Te quaero, te investigo, ceu suis tygris
Crudelis orba liberis, nemus multo

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Ein hochgesinntes Herz strebt über Grenzen hinaus und bleibt nicht ruhig in-
nerhalb der Mauern des schulischen Bereichs. Ohne an eine Zielmarke zu den-
ken, (250) auflodernd vom Feuer ruhmwürdigen Tuns, durcheilt es in freiem
Lauf die Bahn jeder Wissenschaft und aller Studien, so, wie ein feuriges Roß,
dem man die Zügel schießen läßt, seine kraftvolle Natur beweist, seines Gefäng-
nisses mit freudigem Wiehern spottet und seines Lenkers nicht achtet. Und die
Gunst der Nachwelt wird mich niemals in schimmeligem Moder unbeachtet lie-
gen lassen, wenn ich, untadelig in meinem Lebenswandel und rein von Schand-
flecken, allein auf die Begeisterung eines gesunden Sinnes vertraue und auf dem
Königsweg zu den erhabenen Tempeln der Wissenschaft (260) und des reinen
Verdienstes strebe. Auf diesem Flügelwagen werde ich durch die Lüfte getragen
werden, meine Zeit und mich selbst überlebend und deinen himmlischen Lieb-
reiz, starke Jungfrau, mit mir führend. Und deine Gaben werde ich nicht ver-
schweigen, dich werde ich mit glänzendem Meißel in die Herzen der Nachwelt
meißeln, und ewiger Ruhm wird dich zu den Sternen erheben. Zu dieser Bedin-
gung wirst du den Dichter heiraten, der zwar arm ist, dessen du dich aber nicht
zu schämen brauchst. Denn er fordert den Tod in die Schranken und steigt, sei-
ner selbst gewiß, freiwillig auf den Scheiterhaufen, (270) da er schon vor dem Le-
bensende sein letztes Ziel erreicht hat und den Tod, den er nicht achtet, be-
zwingt. Durch diese Mitgift, diesen Lohn soll beglichen sein, was ich dir schuldig
bin; weise du nur meine Gegenleistung erhabener Unsterblichkeit nicht zurück.
Was willst du mehr? Trauer und Schmerz wandern immer wieder über mein Ge-
sicht; ich woge auf und nieder wie ein winziges Schiff auf stürmischer See; in wil-
dem Rasen legt sich der Regenwind, die Fluten aufpeitschend, mit ganzer Kraft
ins Zeug. Ich habe die Flamme aufgenommen; das Feuer, das meinen Sinn quält,
ist grausamer als jenes, das in der Esse des Ätna wütet. (280) Dione hat ihr Zy-
pern verlassen und stürzt sich mit aller Kraft auf mich. Ich laufe hierhin und
dorthin, so wie eine Mänade in unstetem Lauf ziellos auf dem Gipfel des hoch-
ragenden Nyssa oder den Anhöhen des Pindus umherschweift, wenn sie von
den Flammen ihres Bacchus entzündet ist, und mit dem heiligen Dolch ihre er-

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128 H IPPONAX A D A STERIEN

Gangeticum moerore lustrat, et vastis


Terret querelis. Lachrymae obruunt vultum,
290 Cor fluctuatur omne, spemque formido,
Spes occupat formidinem. Ô venustatis
Formaeque cunctae terminos supergressa
Festiva Syren, Scylla mentis et portus,
O dulce monstrum, nescium ullius labis
295 Naevique, pura stella seculi et morum,
Quies mea, at laboriosa, dos, mulcta,
Morbus, medela, lumen, umbra, mors, vita,
Amica et hostis, tota flos, lepos tota,
Adjuncta Gratiis tribus soror quarta:
300 Tui decoris cultor atque adorator
Virtutis adsum. Cede, cede Fortunae,
Dîs cede magnis: quicquid imperant, opto.
Non est in illis partibus minus Fatum,
[B4v] Quas vester abscondit sinus: duas mentes
305 Divina conspiratio remotorum
Non rarò ad unam siderum trahit metam.
Occurre jußis caelitum: manum fatis,
Os dede nobis suave nectar exhalans,
Suavesque flores; dede basium nobis,
310 Signum futuri et dulce faederis pignus.
Nec fortè taedeat mei, quod informi
Te Choliambo qui pedem trahit claudum,
Ut Mulciber suam Dionem, acceßi,
Quod si ferens me ventus ad tui, diva,
315 Portum favoris applicabit, et casti
Torum cubilis, atque dulcis appendix
Haec colla stringes vinculo lacertorum
Blando tuorum, gratioribus nervis
Te demerebor, claudicans nihil quicquam.
320 At si querela nulla, lachrymae nullae,
Nullae preces movere dura te possunt;
Hic ipse Jambus fulminans suas discat
Probare conscientiae tuae vires.

[C1r] Quanquam satis me nugis putem defunctum, Juvenes doctissimi; tamen ne


Latinè solummodò delirem, vel propter argumenti affinitatem Germanica quae-
dam, donec junctim omnia edantur, adjungere hîc libuit. Si qui sunt, quorum sto-

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H IPPONAX A D A STERIEN 129

regte Brust verletzt. Dich suche ich, dir spüre ich nach, wie eine Tigermutter, das
grausame Tier, die ihre Jungen verloren hat, in tiefer Trauer durch den Wald am
Ganges streift und ihn mit rauhem Klagen aufschreckt. Tränen stürzen mir über
das Gesicht, (290) das ganze Herz wogt hin und her, auf Hoffnung folgt Furcht
und auf Furcht Hoffnung. O heitere Sirene, die du die Grenzmarken des Lieb-
reizes und jeder Schönheit überschreitest, Skylla und Hafen der Seele, o süßes
Ungeheuer, das nichts von Schuld und Makel weiß, reiner Fixstern unserer Zeit
und Sitten, meine Ruhe, wenn auch voll Mühsal, mein Besitz und mein Verlust,
Krankheit und Heilmittel, Licht und Schatten, Tod und Leben, Freundin und
Feindin, ganz Blüte, Anmut ganz und gar, den drei Grazien als ihre vierte Schwe-
ster zugesellt – (300) als Verehrer deiner Schönheit und Anbeter deiner Tugend
stehe ich vor dir. Füge dich dem Geschick, füge dich ihm! Füge dich den großen
Göttern; nur was sie befehlen, wünsche ich. Auch in jenem in eurer Brust ver-
borgenen Organ waltet das Schicksal. Nicht selten zieht das göttliche Zusam-
menwirken entfernter Gestirne zwei Seelen zum selben Ziel. Komme dem Wil-
len der Himmlischen entgegen, gib dem Schicksal die Hand, mir aber deinen
Mund, der süßen Nektar atmet und süßen Blütenduft; gib mir einen Kuß (310)
als Zeichen und süßes Unterpfand unseres künftigen Bundes. Und es soll dich
nicht etwa an mir stören, daß ich mich dir mit dem unförmigen Choliambus, der
einen lahmen Fuß nachzieht, genähert habe, so wie Mulciber seiner Dione.
Denn wenn der Wind, der mich antreibt, mich im Hafen deiner Gunst, du gött-
lich Schöne, und im Bett deines sittsamen Schlafgemaches landen läßt, und du
als süße Last mit der zärtlichen Fessel deiner Arme meinen Hals umschlingst,
dann werde ich dich mit reizenderen Sehnen gewinnen und kein bißchen lahm
sein. (320) Doch wenn keine Klage, keine Tränen, keine Bitten dich erweichen
können und du hart bleibst, dann soll dieser Jambus Zornesblitze aussenden und
lernen, seine Kraft an deinem schlechten Gewissen zu erweisen.

Obgleich ich glaube, ihr hochgelehrten Jünglinge, mich genug mit Nichtigkeiten
beschäftigt zu haben, hat es mir doch gefallen, um nicht nur Lateinisch zu
schwatzen, mindestens wegen der Verwandtschaft der Gegenstände einige deut-
sche Gedichte, bis sie einmal alle zusammen gedruckt vorliegen, hier beizu-
fügen. Wenn es Leute gibt, deren Magen dies nicht verdauen kann, können sie

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130 Immeritae post tot

machus concoquere haec non potest, poterunt sanè Lucianum rogare, ut vomi-
5 torio se purget. Ego et Seneca Graeco Poëtae et Platoni credimus: quorum ille
aliquando et insanire jucundum esse; hic frustrà poëticas fores compotem sui pe-
pulisse affirmavit. Valete.

[Es folgen sechs deutsche Gedichte.]

[C2r] FINIS.

***

Sicut serpentes et columbae.


+
Ad C. Kirchnerum
amitinum suum.

Immeritae post tot Syrtes scopulosque iuuentae,


Et tam crudelis tristia tela deae,
Fidus adhuc duras, vates clarissime, nobis,
Nec, quem Sors et se qui fugit ipse, fugis.
5 Desere me, trucis es mihi tu quoque causa procellae:
Explorant animum sic mea Fata tuum.
Tam raram concedo fidem meruisse probari:
Quis probet, idcirco me meruisse pati?

Martinus Opitius
viro ingenio, virtute et e-
ruditione consummatissimo,
amico incomparabili, ex a-
nimo scripsit Ao. 1618.
8. d. IIXbr.

Extrema primo nemo tentauit loco.


+
Multis tacere discitur tandem malis.

***

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Immeritae post tot 131

doch wenigstens den Lukian bitten, er möge sie mit einem Brechmittel reinigen.
Ich und Seneca glauben dem griechischen Dichter und Plato, von denen jener
behauptete, dann und wann sei es auch angenehm, verrückt zu sein, und dieser,
ein Dichterhaus habe vergeblich einen Bewohner vertrieben. Lebt wohl.

[Es folgen sechs deutsche Gedichte.]

Ende.
[W.S.]
***

Wie Schlangen und Tauben.


+
An Caspar Kirchner,
seinen Vetter.

Nach so vielen Untiefen und Klippen in einer Jugendzeit, die das nicht verdiente,
und den niederschmetternden Geschossen der so grausamen Göttin, harrst du
noch stets in Treue zu uns aus, ruhmreicher Dichter, und fliehst nicht vor dem,
den das Schicksal und der sich selbst flieht. Verlaß mich – und dann bist auch du
mir die Ursache wütenden Sturmes: So prüft mein Schicksal deine Gesinnung.
Ich gestehe es: Eine so seltene Treue hätte es verdient, auf die Probe gestellt zu
werden. Wer sollte überprüfen, daß ich deswegen verdient hätte zu leiden?

Martin Opitz
schrieb dies einem nach Anlage, Einstellung und Bildung
ganz herausragenden Manne,
seinem unvergleichlichen Freund,
aus dem Grunde seines Herzens im Jahre 1618,
am 8. Oktober.

Das Äußerste hat niemand an erster Stelle versucht.


+
Nach vielen Übeln lernt man endlich zu schweigen.
[R.S.]
***

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132 AT nobis intempestivis
AD
BERNHARDUM
GUILIELMUM NÜSLERUM,
eximium et eruditißimum adolescen-
tem, cum Araneum suum
ederet.

AT nobis intempestivis aurea curis,


Succumbens nimiâ mole, juventa perit.
Ingenio Sors fausta tuo contendit, et aequat
Virtutes rerum dexteritate tuas.
5 Hinc tam rara tuae legimus praeconia famae,
Doctrinâ imberbes exuperante dies.
Nam seu Socraticis traducis tempora chartis;
AEstuat in lepidis Attica tota jocis.
Seu, melius nobis quondam obvia numina, Musas
10 Sollicitas; cultis proditur Ascra modis.
Sive ad tentatas toties mihi vertere leges;
Astraea haud alium mallet amica procum.
[A8r] Quicquid agis, teneris lectori imponitur annis,
Et, jam vix juvenem, credimus esse senem.
15 Adde quod abjectis quaerens nos fallere curis;
Hîc quoque dissimilis non potes esse tibi.
Vile quidem, hoc nemo non fassus, Aranea; sed tu
Absolvis linguae dexteritate tuae.
Staminis artifices nebulae volitantis, et umbra
20 Telae fit coeli liberioris opus.
Triste operae pretium Colophonia Nympha tulisti,
Cum doluit radiis victa Minerva tuis.
Nunc et per damnum, tàm docto vindice, crescis:
Judicio Pallas concidit ipsa suo.
25 Asterien jam nemo tuam non novit, Arachne,
Et Ledam, tanti nonne perire fuit?
Martinus Opitius ex
animo scripsi.

***

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AT nobis intempestivis 133

An
Bernhard
Wilhelm Nüßler,
den hervorragenden, hochgebildeten jungen
Mann, als er seine „Spinne“
herausgab.

Mir aber geht die Jugend, die goldne, durch unangemeßne


Sorgen zugrunde, erliegt unter der maßlosen Last.
Glücklich Geschick liegt im Wettstreit in dir mit Begabung und kommt durch
Guten Erfolg überall deiner Befähigung gleich.
Herrliche Zeugnisse les’ ich daher deines Ruhmes, dieweil doch 5
Deine Gelehrtheit so weit Jugendlichkeit übertrifft.
Denn, verbringst du die Zeit über Schriften sokratischer Artung,
Wallt ganz Attika auf, sind doch die Scherze so hübsch.
Rufst du uns besser die Musen – es kamen die Göttinnen früher
Selbst zu den Menschen –, verrät metrische Kunst: Hesiod. 10
Wenn du Gesetze studierst (wie oft hab’ ich das unternommen!),
Wünscht’ sich Astraea nicht leicht andre zu Freiern als dich.
Was auch immer du treibst, der Leser hält dich für älter,
Du, ein Jüngling grad’ erst, scheinst schon ein älterer Herr.
Nimm noch dazu: selbst wenn du durch scheinbare Muße uns täuschen
Wolltest, du könntest auch so nimmer dir unähnlich sein.
Jeder gesteht es ein: Eine „Spinne“ ist ganz und gar schäbig;
Doch deiner Sprache Geschick hat sie vollkommen gemacht.
Sie, die mit flatterndem Faden so kunstreiche Wolken erweben,
Schattenhaft Webwerk, es wird Werk eines milderen Lands. 20
Mädchen aus Kolophon, betrüblich dein Lohn, als es Pallas
Schmerzt’, in der webenden Kunst dir unterlegen zu sein!
Nun erhöht dich sogar dein Leid, da ein solcher Gelehrter
Deiner sich annimmt, es fällt Pallas durch eigenen Spruch.
Alle kennen nun schon die von dir, Arachne, gewebten
Leda, Asterie. Das war einen Untergang wert.

Aus freundschaftlicher Verbundenheit geschrieben


Martin Opitz
[G.B.]

***

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134 ERgo iter ad dulces
JOHANNIS A
LANDTSKRON
Nobilissimi Juvenis
Amicorum omnium
longè desideratissimi
PROPEMPTICON.
Scripsi
M ARTINUS O PITIUS.
'! 4  » ν 0 .
BETHANIAE,
T YPIS J OHANNIS D ÖRFFERI .

[A1v] Seneca ep. 9.


Qui se spectat et propter hoc ad amicitiam venit, malè cogitat: quemadmodum
coepit, sic desinet: necesse est ut initia inter se et exitus congruant. Qui enim
utilitatis causâ assumptus est, tandiu placebit, quandiu utilis fuerit: hunc florens
amicitia circunsedit. Circa eversos solitudo est; et veri amici fugiunt, ubi pro-
5 bantur.

[A2r] =XE9IA=MA.

ERgo iter ad dulces peramoeni Neccaris undas


Moliris, placidae flos illibate juventae?
Dî tibi dent ut quicquid ego, charissime frater,
Consignabam animo, divosque timente Viales
5 Murmure poscebam quod mî concedere vellent
Tecum abeunti, aequo peragas feliciter astro
Solus, ab heu frustra charo divulsus Oreste:
Quando fata meo non respondentia voto
Sollicito nequicquam, actoque minacior Eurus
10 Flatu conceptas spes ultra dissita Ponti
Flumina deducit: superis sic nempe videtur,
Arbitrio nostram ipsorum succumbere sortem.
Quare, quod solum potero, constantibus ausis
Fortunae tormenta feram, vel denique vincam.
15 Omne malum levius tandem Patientia reddit,
Et spe damna ruunt: nec saeva tonitrua coeli
Continuo terrent mortalia pectora nimbo.

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ERgo iter ad dulces 135

Abschiedsgedicht
für Johannes von Landskron,
den jungen Mann von höchstem Adel,
den ich unter all meinen Freunden
bei weitem am meisten liebe.
Verfaßt von mir,
Martin Opitz.
Verkünde lieber deines Freundes Lob als deins.
In Beuthen
gedruckt bei Johannes Dörffer.

Seneca, 9. Brief.
Wer nur an sich denkt und deswegen Freunde sucht, der ist schlecht beraten.
Wie er begonnen hat, so wird er enden. Anfang und Ende stehen notwendig
in Einklang miteinander. Wer nämlich des Nutzens wegen zum Freund erwählt
worden ist, wird nur so lange gefallen, wie er sich nützlich erweist. Ihn umgibt
eine blühende Freundesschar. Um die, die zu Fall gekommen sind, ist es einsam,
und ‚echte‘ Freunde fliehen, sobald sie einer Prüfung unterzogen werden.

Verse aus dem Stegreif.

Also du planst nun die Fahrt zu des schön-gefälligen Neckar


Lieblicher Flut, du reiner Flor der friedsamen Jugend?
Mögen die Götter dir geben, geliebtester Bruder, daß alles,
Was ich mir vornahm, worum ich die Götter der Wege mit scheuem
Flüstern gebeten – sie sollten es mir gestatten, gemeinsam 5
Abzureisen mir dir –, daß du’s unter freundlichen Sternen
Glücklich vollendest allein, ohne Grund deinem lieben Orestes
Leider entrissen. Und wenn ich das Fatum – es folgt meinem Wunsch nicht –
Stürmisch bedränge: Vergeblich! Umsonst! Es vertreibt doch
Eurus, mit heftigem Wehen noch drohender, all meine Hoffnung 10
Über die ferne Flut des Pontus hinaus. Denn die Götter
Wollen, der Menschen Los soll ihrer Meinung sich fügen.
Deshalb will ich – nur das vermag ich – die Foltern Fortunas
Standhaft und kühn ertragen, vielleicht am Ende besiegen.
Schließlich macht die Geduld ein jedes Unglück erträglich, 15
Hoffnung läßt Schäden verschwinden, das wilde Donnern des Himmels
Schreckt die Herzen der Menschen durchaus nicht mit ewigen Stürmen.

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136 ERgo iter ad dulces
Post prolixa hyemis concretae nubila, veris
Commoditas optata redit, sudumque serenum.
20 Nec tanti facio probrosae verbera linguae,
[A2v] Insultusque venenatos, si munera nutu
Ingenii quod fata mihi cessere benigno,
Jnvidiam capiti huic conflant. Suppressa superbo
Surgit palma jugo, viresque â pondere sumit.
25 Jpse ego, quantumvis Paupertas impia, Mentis
Una Bonae soror atque comes, me tollere doctae
Alas virtutis vetuit livore maligno;
Assurgam tamen, et dulci stimulatus honore,
Elidam invalidis fluitantia tela lacertis.
30 Cui Deus est clypeus, cui mens bene conscia murus,
Cui favor heroum Zephyro succurrit amico,
Jbit ovans animi, damnoque virescet ab ipso.
At tu, dimidium nostri et pars optima cordis,
Sic superis visum est, tecum omnia gaudia nostra,
35 Omnia sensa trahe, et lateri si fidus adhaesi
O dilecte tuo, comes, hæc suspiria, tristi
Quae calamo non felici commendo papyro,
Suscipe quo suscepisti me semper amore.
Si tibi nec genere aut opibus formaeque decore
40 Fecerunt me fata parem; at virtutis amore,
Et Phaebi, vatum residet qui pectore, cultu,
Optasti mecum te vivere posse, sacrasque
Indice me Aonidum puro de gurgite lymphas
[A3r] Haurire, et toto Pindum lustrare recessu.
45 O utinam nequeas vnquam pejore sodali
AEtatem jactare tuam, faex invida verbis
Fors poenas propriis indiceret, atque venenum,
Judex ipsa sibi, linguae damnaret acerbae!
J tamen i – et me dimidium mihi linque. Sed istud
50 Depositum Heidelberga tuum, tam nobile pignus,
Jncolumi nobis servare memento juventâ,
Spem generis floremque sui; ô clarissima famâ
Heidelberga tuâ, magnorum dote virorum,
Cecropio quoque nil quicquam cessura Lycéo.
55 Felices nimium quos tu dulcedine linguae
O Paraee rapis, Paraee heu debite frustra
Silesiae praeclare tuae, si dissita tellus

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ERgo iter ad dulces 137

Nach den währenden Wolken des düsteren Winters erscheint des


Frühlings ersehnter Vorzug und klares, heiteres Wetter.
Angriffe voller Gift und Schläge schmähender Zungen 20
Nehme ich gar nicht wichtig, sofern die geistigen Gaben,
Die mir das Fatum verlieh in gütiger, milder Geneigtheit,
Neid gegen mich erregen. Die Palme, die vorher gedrückt war,
Hebt sich gerad’ durch ein Krummholz, gewinnt ihre Kraft von der Last her.
Hat auch verfluchte Armut, für kluge Köpfe die eine 25
Schwester, die eine Gefährtin, in bösem Haß mich gehindert,
Flügel gelehrter Kraft zu nehmen, ich werde zu voller
Höhe mich dennoch erheben und werde, gespornt von ersehnten
Ehren, mit schwachem Arm meine fliegenden Pfeile versenden.
Einer, dem Gott ein Schild ist, ein gutes Gewissen ein Schutzwall, 30
Einer, den Gunst von Großen wie freundlicher Westwind vorantreibt,
Geht triumphierend einher, selbst Schaden läßt ihn erblühen.
Du, meines Herzens Hälfte, du bester Teil meines Herzens,
Du aber führe mit dir – die Götter wollen es – alle
Meine Gedanken hinweg und Freuden. Und hab’ ich dir treulich, 35
O geliebter Gefährte, zur Seite gestanden, so nimm mein
Seufzen (mit grämlicher Feder vertrau’ ich’s betrübtem Papier an),
Nimm’s mit derselben Liebe, mit der du mich immer empfingest.
Wenn auch das Fatum mich nicht dir ähnlich geschaffen hat, was die
Schönheit des Leibs, den Besitz und die Abstammung angeht, doch gleicher 40
Liebe zur Kunst und Verehrung Apolls, der im Dichterherz wohnet,
Hast du gewünscht, du könntest mit mir in Gemeinsamkeit leben,
Könntest, von mir geführt, von der reinen Quelle der Musen
Heilige Wasser schöpfen, im Pindus von allem geschieden
Wandern. O könntest du nie zusammen mit schlechteren Freunden 45

Deine Jugend verschleudern, o würde der neidische Abschaum


Etwa durch eigenes Wort seine Strafen verkünden, in eigner
Sache als Richter das Gift der kränkenden Sprache verdammen!
Geh aber, geh und laß mich, deine Hälfte, mir selber zurück. Doch,
Heidelberg, denke daran, das dir vertraute so edle 50

Pfand für mich zu erhalten in unbeschädigter Jugend,


Hoffnung seines Geschlechts, seine Blüte! O Heidelberg, herrlich
Ruhmvolle Stadt, an Zahl bedeutender Männer mitnichten
Gar dem Lykeion Athens unterlegen! Glücklich zu preisen,
Überaus glücklich sind die, die du durch gewinnendes Sprechen 55

Hinreißt, Pareus, auf den – vergeblich – dein Schlesien wartet,


Großer Pareus, sofern diese weit entlegene Landschaft

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138 Accipe qvae vester

Canorum tam sanctorum se munere jactat.


Felices nimium, qui suavia pocula diae
60 Doctrinae Scultete tuo celeberrime ductu
Continuo potant haustu, divine Grutere
Felices nimium, qui te praeeunte sorores
Blandiloquas adeunt, scanduntque Helicona beatum.
Hac tibi sorte frui datur, ô formosa corona
65 Atque nitor iuvenum, mea sola atque una voluptas.
At frustra: si jam, ingenti moerore relicto,
[A3v] Me fugis, et Musas etiam mihi reddis amaras,
Quarum sacra tuli. Non me, velut ante, juvabit
Delitias Venus alma tui celebrare furoris,
70 Et dulces Elegos optatâ condere venâ.
In luctum vertam cytharam, lachrymisque querelisque
Implebo chartas omnes, ubicunque lituris
Charta notata mea in splendentia lumina Solis
Exibit, lacrymas et tot suspiria prodet,
75 Quae desiderio et curis damnatus acerbis
Effudi frustra: et jam singultantia verba
Ingrata abrumpunt exorsae stamina telae.

[…]

***
AD JONAM MELIDEUM
cùm illi in Nuptiis exhiberet Carmen
Germanicum.
Accipe qvae vester tibi vilia carmina vates
Ad thalamos offert docte Poëta tuos.
Da veniam, Latio qvod non incedo cothurno,
Nec mea soccum Italae Musa Dionis habet.
5 Hos qvoque succidit nobis sors impia nervos,
Et me vix memini sic potuisse loqui.
Vestibulum vitae mihi famae est terminus: ausus
Eminùs aspicio post mea terga meos,
Succumboque mihi: primo se in limine fregit
10 Ingenii flos et vena benigna mei.
[795] Materiem teneris tibi suppeditabit in ulnis
Sylvia, plusque satis qvod mediteris erit.

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Accipe qvae vester 139

Sich des Besitzes so frommer, so würdiger Alter berühmte.


Überaus glücklich auch die, die, verehrter Scultetus, von deinen
Händen geführt, den lieblichen Trank der Gottesgelehrtheit 60
Ununterbrochen genießen. Und überaus glücklich auch jene,
Welche in deinem Gefolge, o göttlicher Gruter, den schmeichelnd
Redenden Schwestern sich nähern, zum seligen Helikon steigend.
Solch ein Leben wird dort dir gereicht, du, der Jünglinge schöner
Ruhm und der Jünglinge Glanz, meine eine, einzige Freude. 65
Was aber nutzt’s? Du gehst ja nun fort, gewaltige Trauer
Hinter dir lassend, und nimmst mir sogar das Lächeln der Musen,
Deren Dienst ich geweiht war. Es wird mich nicht mehr wie vorher
Freuen, den Reiz deines Wahns, o liebliche Venus, zu rühmen,
Noch Elegien voll Schmelz mit poetischer Ader zu schreiben, 70
Wie ich es wünsche. Das Spiel meiner Saiten verwandl’ ich in Klage,
Decke alles Papier mit Tränen und Jammer. Wo immer
Meine Schriften, erkennbar an Streichungen, ausgehn ins Licht der
Strahlenden Sonne, sie werden die Tränen verraten, die vielen
Seufzer, die ich, zu Sehnsucht und bitteren Sorgen verurteilt, 75
Nutzlos verströmte. Schon jetzt, meinem Willen entgegen, zerreißt das
Brechen der Stimme die Fäden des angefangnen Gewebes.
[G.B.]

***
An Jonas Melideus,
als er ihm bei seiner Hochzeit ein deutsches
Gedicht aushändigte. 0

Empfange bitte, gelehrter Poet, anspruchslose Gedichte, die dir zu deiner Hoch-
zeit dein Dichter darbringt. Verzeih, daß ich nicht auf dem lateinischen Kothurn
daherkomme und daß meine Muse nicht den Schuh der italischen Venus trägt.
Auch diese Kraft brach mir ein rücksichtsloses Schicksal, und kaum erinnere ich
mich daran, daß ich so habe sprechen können. Die Vorhalle des Lebens setzt mir 5

schon ein Ende des Ruhms. Und schon fern hinter mir sehe ich meine wage-
mutigen Taten. Mir selbst falle ich zum Opfer: Noch an der Schwelle erschlafften
(10) die Blüte und die fruchtbare Ader meines Geistes. Dir wird Sylvia in ihren
zärtlichen Armen reichlich Stoff geben, und mehr als genug wirst du haben, was
du bedichten kannst. Mich ließ Asterie, spröde und auf ihren mächtigen Reich- 10

tum stolz, Worte vergeuden vor der herrischen Tür. Lebend sterbe ich zweimal,
verwundet von verschiedenem Feind, vom Glücksverhängnis und von deinen

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140 NIße pater
Me rigida Asterie censuque superba potenti
Ad dominas jussit perdere verba fores.
15 Bis vivus morior, diverso saucius hoste,
Fortunâ et jaculis, saeve Cupido, tuis.
Sentiat haec si qvis dulces odisse puellas,
Cypridis haut ullo victus ab igne potest.
Te foveat placido vatum clarissime, vultu
20 Appendix colli Sylvia blanda tui.
Hoc solum Ausonio potui deducere plectro:
Caetera Teutonicis sunt animata sonis.
Illa etiam qvisqvis patriis non invidet astris,
Vix cernet Latiis inferiora modis.
25 Scriptor Romani Naso celebratur amoris:
Germani scriptor dicar amoris ego.
Hac nos absolvat paupertas conscia dote,
Hac urant flammae lege, Cupido, tuae.
Charior ut reliqvis est patria terra, paternae
30 Charior hic linguae sic qvoque foetus erit.

***

NIße pater, foetis quem diva Lusatia pratis,


Et variis cultâ saltibus ambit humo:
Et tu nobilium formosa corona locorum
Gorlicium, nostri stella corusca soli:
5 Si fas est, sedesque meis vacat ulla Caménis,
Nos quoque post reliquos vatibus adde tuis.
Haud ego praeripiam vestris loca debita Musis:
Sat mihi, postremo non nisi fine legi.
Meisteri summâ facies statuatur in orâ:
10 Huic par tàm celebri nullus in urbe fuit;
Seu facili puros elegos deducit avenâ;
Seu, Flacco propior, grande figurat epos.
Vendicat inde suo Mylius sibi jure triumphum,
Cederet argutis Bilbilis ipsa jocis.
15 Alcaei quoque sublimi rivalis in oestro
Arnoldus, reliquis non minor unus eat.
Cùchleri numero titulus ponatur ab isto,
Quem referet Latiis Graecia versa modis.

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NIße pater 141

Pfeilen, wilder Cupido. Dies möge einmal spüren, wer, noch nicht vom Feuer der
Venus besiegt, die süßen Mädchen verschmähen kann. Dich aber, hochgerühm-
ter Dichter, (20) soll Sylvia mit ihrem sanften Antlitz, schmeichelnd an deinem 15

Hals hängend, verwöhnen. Nur dies konnte ich auf ausonische Weise dichten,
das Übrige erhält von deutschen Tönen sein Leben. Jeder, der dem Schicksal
des Vaterlandes nicht mißgünstig gestimmt ist, wird sehen, daß jene auch nicht
hinter den lateinischen Weisen zurückbleiben. Ovid wird gefeiert als Dichter der
römischen Liebe: Ich will der Dichter der deutschen Liebe genannt werden. 20

Dank dieser Gabe möge mich die Armut, deren ich mir bewußt bin, freigeben,
unter diesen Bedingungen sollen uns, Cupido, deine Flammen verbrennen. Wie
das Vaterland einem lieber ist als andere, (30) so wird einem auch dieses Erzeug-
nis der vaterländischen Zunge lieber sein.
[W.K.]

***

Neißestrom! Vater! Die göttliche Lausitz umschließt dich mit fetten


Wiesen und Boden, den Wald, vielerlei Wald, überzieht.
Ebenso, Görlitz, auch du, du schöne Krone der edlen
Städte, du schimmernder Stern unserer Heimat, auch du!
Wenn es denn Recht ist und irgendein Ort meinen Musen bereitsteht, 5
Reihe auch mich, zuletzt, Görlitzer Dichtern noch an.
Nein, ich nehm’ nicht den Platz, der deinen Musen gebührt, weg;
Find’ ich am Ende der Reih’ Leser noch, reicht mir das aus.
Nein, an der höchsten Stelle soll Meisters Statue stehen;
Keiner in dieser Stadt, rühmlichen Stadt, war ihm gleich, 10
Ob er, auf biegsamem Schilfrohr, ganz rein im elegischen Maß tönt,
Ob er, Valerius gleich, Epen, gewaltige, formt.
Darauf beansprucht mit Recht den Triumph Martin Mylius, dessen
Klugen Scherzen sogar Bilbilis selbst unterläg’.
Arnold, mit edler Begeistrung Rivale Alkaios’, auch er soll 15
Minder als andere nicht gelten, er ganz allein.
Diese gesamte Schar soll Cüchler Ehre erweisen,
Den ja Griechenland rühmt, das er lateinisch geformt.

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142 NIße pater
Post alios aliosque quibus tua gloria surgit
20 Vindicibus, nomen tunc superadde meum.
Nec timeo, reliquis ne dedecus arguar; hospes
Nec nimium vestrâ sum male notus humo.
Jam vaga bis solitum Phoebe decrevit in arcum,
Vestra mihi gratus tecta recessus erant;
25 Cum me sollicitas intra tua moenia curas
Sperabam pulchro fallere posse dolo.
Nec nos vana suâ mens credulitate fefellit
Plus nimis, et voti sat benè compos eram.
[F1r] Materies etiam nostro festiva furori
30 Contigit, et nervo digna palaestra meo.
Nam cum grassantem patriis crudeliter hostem
Finibus, et saevas in sua membra manûs,
Victurâ populis tentassem credere pennâ,
Virgiliique gravi non minor ire tubâ:
35 Mox aliò traxere tui nos, diva, lepores,
Fixaque virgineis astra superba polis.
Hinc mihi grandiloquum Cypri regina cothurnum
Exuit, et lepidum condere jußit opus.
Protenus exciderunt animo fera bella, meumque
40 Pro lauru myrti circumiere caput.
Nec mirare, meas hausisse venena medullas;
Vates, et juvenis, res erat apta deae.
Feci quod voluit: nunc claudos fingere jambos
Occepi, numeros nunc, Elegia, tuos.
45 Hos quoque tam placido manantes flumine versûs,
Indulget genio spontè Cupido meo.
Seu quia sopitos et jam sentiscit amores,
Et tacito mea mens igne videtur agi.
Seu quod sidereos credit se cernere vultûs,
50 Et Sponsae, juvenis, lumina clara tuae.
His quoque numen inest; instinctu surgimus illo:
Spiritus ex oculis virginis iste venit;
Ex oculis Sponsus dudum queis saucius errat,
Incerto veluti cymba relicta freto.
55 Heu quoties motu conatus frangere morbum,
Leschwicium* sese contulit ille suum,
[F1v] Si rapidas valeat restinguere fortè favillas,
Et dominas grato fallere rure manûs!

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NIße pater 143

Hinter noch andren und andren, auf deren Geltung dein Ruhm sich
Gründet, füg obendrein dann meinen Namen hinzu. 20
Daß ich den andern zur Schande gereich’, das befürchte ich nicht, ich
Bin ja in deinem Gefild kein allzu ruhmloser Gast.
Schon schwand die schweifende Phoebe zum zweiten Mal zur gewohnten
Sichel dahin, seit dein Dach wünschbarer Fluchtort mir ward,
Seit ich mit lustiger List in deinen Stadtmauern, Görlitz, 25
All die geschäftige Not abtun zu können gehofft.
Wirklich, mein törichtes Hirn betrog mit dem eigenen Leichtsinn
Nicht allzu sehr mich selbst; was ich mir wünschte, traf ein.
Auch ward erfreulicher Stoff meinem Furor als Dichter zuteil, ein
Kampfplatz dazu, der durchaus meinen Gelenken entsprach. 30
Denn nachdem ich den Feind, der im Lande der Väter so grausam
Wütete, Hände, die schlimm gegen den eigenen Leib
Vorgingen, allen den Völkern mit bleibendem Werk zu verraten
Suchte, Posaunen Vergils nicht unterlegen im Klang:
Da zog dein Reiz, o Göttin, mich anderswohin und die stolzen 35
Sterne, am Himmel fest, welcher die Mädchen beherrscht.
Da befahl mir die Herrin von Zypern, erhabenes Reden
Solle ich lassen, ein Werk schaffen von reizender Art.
Grausamer Krieg entschwand mir sogleich, meine Stirne umfing nun
Nicht mehr der Lorbeer des Kriegs, sondern das Myrtengezweig. 40
Wundre dich nicht, daß mein Mark die Vergiftung geschluckt hat; der Dichter
War wie der Jüngling ein Ding, wie es der Göttin gefiel.
Und ich tat, was sie wollte: begann damit, Jamben zu formen
Hinkender Art und sodann Verse wie du, Elegie.
Dieses Versmaß sogar, das in derart friedlichem Fließen 45

Hinströmt, Cupido gewährt’s meiner Begabung sehr gern;


Ob nun mein Herz schon schlummernde Liebesgefühle verspüret
Und von heimlicher Glut heftig getrieben erscheint
Oder vermeint, ein Gesicht wie Sterne so schön zu erblicken,
Nämlich den – Jüngling, merk auf – strahlenden Blick deiner Braut. 50

Göttliche Kraft wohnt in Augen; ein solcher Stachel erweckt uns;


Diesen feurigen Sinn schafft einer Jungfrau Gesicht,
Schaffen die Augen, von denen verwundet der Bräutigam lange
Schwankt wie ein Schiff, das allein treibt im gefährlichen Meer.
Ach, wie oft er versuchte, die Krankheit zu brechen durch Wohnorts- 55

Wechsel, wie oft er sein Gut Leschwitz besuchte dazu!


Hoffend, er könne vielleicht die fressende Glutasche löschen,
Käm’ auf dem lieblichen Gut los von der Herrin Gewalt.

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144 NIße pater
Sed mediis Venus errat agris, vitaeque decorem
60 Quaquà se vertit repperit esse suae.
Dißita mane novo villarum culmina fumant:
Sic halat casto languida nympha toro.
Supprimit astra decens croceis Aurora capillis:
His aequas etiam spargit amica comas:
65 Immenso radios Titan extendit Olympo:
Hic oculis divae splendor amoenus inest.
Audit inerrantes arbustis flare susurros:
AEthereo similes promit ab ore sonos.
Purpureis cernit gemmantes floribus hortos:
70 Tale decus vernans undique vultus habet.
Expansas patulâ circumspicit arbore frondes:
Brachia non aliter pandit et illa sua.
Consulit adversi bipatentia culmina* montis:
Parnasso dominae vellet adesse suae.
75 Quaerit in explicitis gelidam convallibus umbram:
Expliciti roseâ sunt quoque valle sinûs.
Nil non rure videt; sunt virginis omnia plena,
Quàque venit flammas invenit ille suas.
Flumen adit: sed et his Cytheréa vagatur in undis,
80 Et furit in liquidis fervidus ignis aquis.
Ergò, nec proprio cum sit securus in agro,
Rursus, inops animi, moenia nota petit.
Hic reperit teneras, frustra quas liquerat, ulnas,
Exoptatque suam flectere posse deam.
85 [F2r] Illa, licet blandis, mitescere nescia verbis,
Ut rupes pelago dura fremente manet.
Paulatim tamen instanti concedit amori,
Et discit nimias spernere nolle preces:
Donec quas timuit purâ spe praecipit horas,
90 Quaeque prius nequiit basia ferre, petit.
Vicisti, juvenis, rigidae praecordia nymphae:
Excute nunc si quid sedulitatis habes;
Infractoque moras ulciscens pectore, poenas
Exige de totâ virginitate tuas.
95 Aspice magnanimi canentia menta parentis;
Gestit et ille novo posse nepote frui.
Nec minus ipsa, licet lachrymarum depluit imbrem,
Succumbet gratis victa puella minis.

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NIße pater 145

Venus jedoch, sie schweift inmitten der Felder; er findet,


Wo er sich aufhält, den Glanz, welcher sein Dasein verschönt: 60
Jeden Morgen steigt Rauch von den einzelnen Firsten der Häuser;
Ähnlich seufzt auch die Braut, schlaff von dem einsamen Bett.
Sittsam vertreibt Aurora die Sterne mit flachsblonden Strähnen;
Ebenso breitet im Glanz auch die Geliebte ihr Haar.
Helios sendet sein Strahlen vom unermeßlichen Himmel; 65
Dieser liebliche Glanz füllt auch der Liebsten Gesicht.
Hört er ein sanftes Geräusch, das in Sträuchern herumschweifend säuselt,
Bringt ihr so himmlischer Mund ähnliche Klänge hervor.
Gärten, so sieht er, ersprießen mit purpurfarbenen Blumen,
Frühlinglich trägt ihr Gesicht solch einen Schmuck überall. 70
Sieht er an breiten Bäumen gestrecktes Gezweig in der Runde –
Ähnlich strecket auch sie selbst ihre Arme hinaus.
Blickt er zum doppelten Gipfel des Bergs gegenüber, so wär’ er
Gern an dem zweifachen Berg seiner Verehrten sogleich.
Sucht er den kühlenden Schatten gedehnter Täler – gedehnte 75
Wölbungen finden sich auch dort an dem rosigen Tal.
Geht er aufs Land, sieht er alles: ’s ist alles voll von dem Mädchen,
Wo auch immer er geht, geht er in eigene Glut.
Tritt er zum Fluß, so tummelt sich Venus auch hier, in des Flusses
Wellen, ein glühender Brand tobt in dem heiteren Naß. 80
Also – er ist ja sogar auf dem eigenen Landgut nicht sicher –
Strebt er, sein Sinn ist getrübt, wieder zur Stadt, die er kennt.
Wieder erblickt er den Arm, den zarten, vor dem er umsonst floh,
Wünscht sich, er biege den Sinn seiner Verehrten zurecht.
Sie versteht es noch nicht, von noch so schmeichelnden Worten 85

Weicher zu werden, bleibt hart, Felsen in tobender See.


Ganz allmählich jedoch gibt sie Raum der bedrängenden Liebe,
Lernt sein maßloses Flehn nicht mehr mit Absicht verschmähn,
Bis sie die drohende Stunde mit heitrer Erwartung vorwegnimmt,
Küsse, die vorher sie nicht hinnehmen konnte, verlangt. 90

Sieg, junger Mann! Besiegt ist das Herz eines grausamen Mädchens!
Falls du noch Diensteifer fühlst, schüttle ihn ganz von dir ab!
Nimm mit geschwellter Brust jetzt Rache fürs Warten, vollziehe
Rache am ganzen Stand, Jungfrauenstande, zugleich.
Sieh den ergrauenden Bart ihres edeldenkenden Vaters: 95

Freude an Enkeln, die wünscht der sich aufs sehnlichste auch.


Ebenso sie, das Mädchen – mag Tränenstrom noch so sehr fließen –
Gibt sich dem, was ihr droht, dankbar am Ende, besiegt.

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146 NIße pater
Crede mihi, quicquid metuit jam perdere, tali
100 Saepius optabit perdere posse modo,
Atque diu tibi collectos exhauriet aestûs.
Hîc quoque, si nescis, non nihil usus agit.
Felices animae, pallenti Vesperus ipse
Gaudia festinat tanta videre face.
105 Praecipites vobis impendunt sidera flammas,
Et citior solitò nox ruit alta polo.
Ite, brevi discedet hiems, componite nidos:
Ver etiam vobis ad sua puncta redit.
Fortunate virûm, placidos nunc carpere somnos,
110 Nemine, quam dominâ fortè, negante potes:
Et, gratis ne sis felix, accedit amori
Dos quoque, sat dotis sit licet ipsa sibi.
[F2v] Nos miseris vitae florem depascere curis
Cogimur, et Sortis de levitate queri.
115 Scilicet adversae tempestas horrida vitae,
Ingenio voluit non minor esse meo.
Quid quod et hoc tanto suppressum pondere languet,
Ulteriusque sui vix meminisse potest?
Si tamen haud prorsus Musarum castra relinquam,
120 Nec penitus nostrae transfuga partis ero;
Extollam, Famae fretus plaudentibus alis,
Carmine Gorlicium non moriente tuum.
Tunc et Moeoniden, Richtero judice, vincam,
Supremusque mihi quisque secundus erit.
125 Tu sobolis, Gothofrede, tuae natalis in ipsâ
Ut poßit libri fac modò fronte legi.

[…]

Non est mortale quod opto.

Martinus Opitius.

***

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NIße pater 147

Glaube mir, das, was sie jetzt zu verlieren befürchtet, das will sie
Öfter auf gleiche Art einbüßen können demnächst, 100
Wird deine Glut, gesammelt in langem Warten, erschöpfen.
Hier auch bewirkt – du weißt’s? – Praxis wohl einiges noch.
Menschen im Glück! Eine solche Freude zu sehen, beeilt sich
Hesperus sehr, er trägt gelbliche Fackeln herbei.
Vorzeitig kommen die Sterne, ihr Licht euch beiden zu spenden, 105
Schneller als sonst fällt Nacht oben vom Himmel herab.
Eilt euch, der Winter geht bald, so eilt, ein Nest euch zu bauen:
Frühling kommt auch für euch wieder zur üblichen Zeit.
Nunmehr, du Mann im Glück, vermagst du in Ruhe zu schlafen,
Niemand, wenn nicht vielleicht sie, deine Herrin, verwehrt’s. 110
Und damit dir das Geld im Glück nicht fehlt, tritt zur Liebe
Mitgift noch, wenn auch die Braut Gabe genug sich erscheint.
Ich muß die Blüte des Lebens mit elenden Arbeiten fressen,
Klage führen zugleich über mein treuloses Los.
Denn der entsetzliche Sturm eines widrigen Lebens ertrug’s nicht, 115
Schwächer zu sein als ich, meine Begabung und Kraft.
Ist es ein Wunder, wenn Kraft unter solchen Gewichten erschlafft und
Kaum noch das Wissen bewahrt, einmal gewesen zu sein?
Wenn ich jedoch die Truppen der Musen nicht schlankweg verlasse,
Wenn ich von meiner Partei nicht desertiere, nicht ganz, 120
Heb’ ich, darauf vertrauend, daß Famas Flügel mir Beifall
Spenden, in ewigem Lied lobend dein Görlitz empor.
Dann übertreff ’ ich Homer, und Richter mag richten, ein jeder
Dichter von höchstem Rang bleibt hinter mir dann zurück.
Gottfried, sorge dafür, daß der Tag der Geburt deines Kindes 125

Gleich schon am Anfang des Buchs Leser zu finden vermag.

[…]
Nichts Sterbliches ist es, was ich begehre.
Martin Opitz.
[G.B.]

***

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148 NUper ab Hesperio
AD MARTINUM SCHINDLERUM
In Italiam proficisc!entem" A. 1619.

At tu remotas Ausonum terras petis,


Et tendis ultra; nos polum libabimus
Viciniorem forte: sic satis tamen
Et nos abesse credo; dummodò absumus.
5 Longè fugit, qvicunque patriam fugit.

***
E PITHALAMIUM
D. N .
I ACOBI
NICOL .
DE BUCKAW
In Althoffen et Eckersdorff,
ET
A NNAE M ARIAE
G EISLERIAE
de Polsdorff et Golsdorff,
eximiae Virginis
Autore
MART. O PITIO.
L IGNIC I Typis Nicolai Sartorii.

[A2r] NUper ab Hesperio procul huc devecta Cythero,


Gradivum Venus alma suum quaerebat, et inter
Tot deplorati furibunda tonitrua belli
Invento, quo ferris, ait, Mars saeve, tumultu,
5 Committisque feras in propria viscera dextras?
Non satis innocuo stagnavit sanguine Mulda
Natorum, et miseras viduarunt praelia matres,
Albicolisque enses avidi maduere Bohemis?
Nequicquamnè novis candens flagraverit aether
10 Ignibus, et tanto volitantem lampada tractu
Impunè altitonans caeco suspenderit orbi?
Quicquid Oresteâ Discordia mente volutat,
Jam gladii fecere tui: velut agmine facto

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NUper ab Hesperio 149

An Martin Schindler,
als der 1619 nach Italien aufbrach.

Doch du strebst hin zum fernen Land Ausonia


Und strebst noch weiter. Ich verkoste einen Ort
Vielleicht, der näher liegt. Jedoch verweil’ auch ich,
Bedünkt mich, fern genug so (falls ich fern verweil’).
Denn weit geht jeder weg, der weggeht von daheim.
[R.S.]

***
Hochzeitsgedicht
für Herrn Jacob
Nikolaus
von Buckau
in Althofen und Eckersdorf
und
die edle Jungfer
Anna Maria
Geisler
von Polsdorf und Golsdorf.
Verfaßt von
Martin Opitz.
Liegnitz, gedruckt bei Nikolaus Sartorius.

Kürzlich fuhr Venus, die holde, hierher vom westlichen Kultort,


Fernher, und suchte nach Mars, ihrem Mann, dem Gradivus, und als sie
Mitten im rasenden Donnern des vielbejammerten Krieges
Endlich ihn fand, da entfuhr ihr: „Von welcher Verwirrung ergriffen,
Mars, läßt du zu, daß grausame Hand gegen Mitbürger wütet, 5
Furchtbarer? Stockt denn noch nicht genug vom schuldlosen Blut der
Eigenen Söhne die Moldau? Macht Kampf noch nicht ausreichend Mütter
Elend und kinderlos? Triefen der Böhmen am Elbufer Schwerter,
Gierige Schwerter, noch nicht genug? Hat ein glühender Himmel
Sinnlos mit neuem Feuer gezuckt? So blitzend erhob der 10

Donnrer ein fliegendes Licht ohne Wirkung verblendeten Menschen?


Was auch immer die Zwietracht im muttermordenden Sinn wälzt,
Schwerter von dir vollbrachten’s bereits. Wie geschlossene Truppen

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150 NUper ab Hesperio
In sua fata ruunt, lentisqve morantia poenis
15 Funera sollicitant. Pestis quoque tabida quovis
Saevius hoste furit, ignavâqve aegra queruntur
Corpora morte mori, nec stantia posse perire;
Et sibi se superesse dolent, felixque putatur
Quisquis caede perit, quemque oderat opprimit, atque
20 Luctantem patrias animam projecit ad aras.
Ipse fatigatis vix ad sua littora velis
Brachia lassa refert Porthmeus, metuensque resolvi
Attritam ingenti permutat classe carinam.
Quin et Taenarias iterum rupisse catenas
25 Ac superas didicisse pati canis inferus auras
Fertur et horrendo regna irritasse ululatu.
Jam tandem ludo, Mavors, satiate cruento,
AErumnis impone modum, armorumque furori
Non satis assuetas, paci rursum assere gentes;
30 Sic Paphiae cupis ora tuae. Quodcunque ruinis,
Si nescis fortassè, tuis festinat ad umbras,
Hoc regno perit omne meo. Sic fata viriqve
[A2v] Discedens niveis loricam amplexa lacertis,
Ad, detestatos nequicquam bella, Silesos
35 Idaliis vehitur liquidum per inane columbis.
Atque ubi magnanimi sacratas principis arces
Contigit, et valido surgentia maenia vallo
Lignicii veteris, G EISLERI fertur ad aedes,
Tectaque inassueto replet splendentia cultu.
40 Olli Suada potens à primis astitit annis,
Et linguam pro dote dedit. Non talibus acer
Eloquiis Laërtiades dejecit Achivos,
Indomitis ad pugnam animis sine lege ruentes.
Seu cum olim positâ fronte exorare beatum
45 Sustinuit veteri pro relligione Rodulphum:
Qui jam (si qua movent manes terrena sepultos)
Austriacos inter proavos, ex orbibus illis
Quos Pelusiacâ toties descripserat arte,
Et frustrà ringente Pharo signarat, avitas
50 Ingemuit tantâ quassari mole tiaras,
Funestâque orbos misceri clade colonos.
Sive parens regum turrita Vienna potentum,
Cum stupuit nuper vix mortali ore loquentem;

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NUper ab Hesperio 151

Stürzen ins eigene Unglück sie sich und machen das Sterben
Schneller, das säumt, weil die Strafe noch zögert. Und schlimmer als jeder 15
Feind tobt verzehrende Seuche, es klagen die Kranken, sie stürben
Eines zu langsamen Todes und könnten doch aufrecht nicht sterben;
Klagen, sie lebten zu lange. Für glücklich wird jeder gehalten,
Der in den Schlachten dahinsank, verhaßte Feinde erschlug und
Der seine Kämpferseele dem Vaterland opferte. Charon 20
Bringt die verbrauchten Rahen mit Mühe nur an sein Ufer,
Auch die Segel sind schlaff, und aus Furcht vor dem Schiffbruch vertauscht er
Dieses vernutzte Gefährt mit Schiffen gewaltiger Größe.
Cerberus, sagt man sogar, der Hund des Hades, hat wieder
Höllische Ketten zerrissen, die Luft der oberen Welt zu 25
Atmen gelernt und die Länder mit furchtbarem Heulen zu schrecken.
Setze nun endlich, Gradivus, gesättigt vom blutigen Spiel, den
Leiden der Menschen ein Ende und führe die Völker – sie sind ans
Rasen des Kriegs noch nicht gewöhnt genug – wieder zum Frieden.
Willst doch das Lächeln der Venus, der Deinen. Bedenke doch bitte: 30
Alles, was du vernichtest, was deshalb hinab zu den Schatten
Eilig hinab muß, geht ganz meiner Herrschaft verloren!“ So sprach sie,
Legte zum Abschied den Arm, den schneeweißen Arm um den Panzer
Ihres Gemahls und ließ sich von zyprischen Tauben durch freien
Luftraum nach Schlesien fliegen, dem Land, wo die Menschen vergeblich 35
Kriege verfluchen. Sobald sie das Schloß, das heilige Schloß des
Hohen Fürsten erreicht und Liegnitz’, des alten, auf starken
Wällen sich hebende Mauern, begibt sie sich eilig zum Hause
Geislers, läßt es erstrahlen in nie noch gesehenem Glanze.
Dem stand die mächtige Suada, die Göttin der Rede, von Kindheits- 40

Jahren zur Seite, sie gab ihm als Mitgift die Sprache; Odysseus
Stimmte, der kluge, die Griechen mit keinem so kräftigen Wort um,
Als sie ohne Beherrschung und planlos zu kämpfen versuchten.
Nahm er es doch vor Jahren schon auf sich, gebeugten Hauptes den nunmehr
Seligen Rudolph zugunsten des alten Glaubens zu bitten; 45

Dieser beklagt (sofern, was auf Erden geschieht, der Begrabnen


Seelen noch irgend berührt) im Kreis seiner Habsburger Vorfahrn
Seufzend aus jener Welt, die er oft astrologisch beschrieben
Und von geöffneter Warte vergeblich beobachtet hatte,
Alle die Kronen der Ahnen erlitten so schwere Erschüttrung, 50

Furchtbar treffe das Elend die ausgeplünderten Bauern.


Oder: vor kurzem bestaunte ihn Wien, das mit Türmen bewehrte,
Mutter von mächtigen Herrschern, er sprach mit fast göttlichem Munde,

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152 NUper ab Hesperio
Ac septem geminis exundans amnibus Ister
55 Majores provolvit aquas, nec pulchrius unquam
Libertas meminit sese Germana locutam.
Haec postquam arcano secum dea corde volutat,
Pro tantâ pietate viri Venerem excutit omnem,
Quei prodesse queat, generumque anquirit, et acri
60 Buccavio penitas succendit amore medullas.
Ille Budorgiacas extemplò spernere nymphas
Occipit, et quod nescit, amat: tamen ardet, agrosque
Defertur Ligios, urbemque accedit, et illic
Discit, quâ patrias damnarit lege puellas.
65 [A3r] Nam juveni vix visa omnes G EISLERIA sensûs
Eripit. Eximii tantum indulgentia vultûs,
Et species divina potest. Hoc prodiit igne,
Cum totum praegnans furata est Cynthia Phoebum,
Atque nothâ fratres extinxit luce minores;
70 Incassum plaustro tardi luctante Bootis,
Gnosiacaeque diu contrà nitente coronae
Circuitu; fortique sacri victore Draconis,
Orpheâque lyra (quae quondam saxa ferasque,
Nunc rapit immensi secum aurea sidera mundi)
75 Cornibus oppositi frustrâ insurgente sereni;
Ac quotquot tristes defendunt astra tenebras.
Talis Dardanii fuerat sub vertice montis,
Cum meruit facilem genetrix AEnëia palmam,
Et cunctis praelata fuit. His Tyndaris olim
80 Laomedonteás accendit dotibus arces.
Hac placidam Pario de marmore fronte Dianam
Praxitelis finxere manûs; lapidumque decorem
Nativae damnat vis laudatissima formae,
Et castigato cedit bacca Jndica collo.
85 Nec quicquam teneris emendati artubus oris
Nobilium minor est pulcherrima gratia morum,
Et sexûs oblita sui viridisque juventae
Majestas gravitasque decens, ac sola disertum
Ambrosiá linguae prodentia verba parentem.
90 Tam raris excussa deae virtutibus ultrà
Vix se flamma capit, curisque ingentibus impar
Paulatim suspirat amans, nataeque doloris
Succedunt lachrymae: sic primùm sparsa favillae

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NUper ab Hesperio 153

Daß die Donau sogar, die in sieben Mündungen ausfließt,


Größere Wellen rollte; die ‚Teutsche Freyheit‘ vermag sich 55
Nicht zu erinnern, je schöner gesprochen zu haben. Nachdem die
Göttin all das bei sich, im innersten Herzen, erwogen,
Zeigt sie sich ganz als Venus vor so großer Vaterlandsliebe,
Sucht einen Eidam zu finden, der Geisler nützlich sein könne,
Und entzündet das Mark von Herrn Buckau zu feuriger Liebe. 60
Dieser beginnt sofort, die Mädchen von Breslau zu meiden,
Ohne’s zu wissen, verliebt; doch er glüht schon, er reist ins Gebiet von
Liegnitz, betritt diese Stadt, und es geht ihm darinnen ein Licht auf,
Welche Bestimmung ihm auftrug, die heimischen Mädchen zu meiden.
Kaum nämlich sieht der Jüngling die Tochter Herrn Geislers, beraubt sie 65
Aller Sinne ihn schon. Der Charme des aparten Gesichts, die
Göttliche Schönheit vermag das. Mit eben dem nämlichen Feuer
Strahlt Diana bei Vollmond, sobald sie Apollo die Leuchtkraft
Raubt und die kleineren Brüder mit diebischen Strahlungen aussticht,
Während der Wagen Bootes’, des trägen, vergeblich sich anstemmt, 70
Lang’ Ariadnes Krone sich anstrengt, entgegengesetzte
Richtung zu wahrn, der tapfre Besieger des heiligen Drachen
Wie auch die Lyra des Orpheus (vor Zeiten zog sie Getier und
Felsgestein mit sich und jetzt die goldenen Bilder des Weltalls)
Zwecklos gegen die Hörner des Lichts gegenüber sich aufbäumt, 75
All das Gestirn überhaupt, das die traurige Finsternis wegjagt.
So war die Mutter Aeneas’ am Gipfel des Berges bei Troja,
Als sie im Wettstreit den Preis ohne Mühe errang und den Vorzug
Fand vor den andern. Mit solcher Gabe versetzte dereinst die
Tyndaris, Helena, Stadt und Burg Laomedons in Gluten. 80

Solch eine Stirne erschuf Praxiteles, parischen Marmor


Formend, der sanften Diana. Den Schimmer des Steins übertrifft die
Allseits gerühmte Gewalt ihrer angeborenen Schönheit,
Herrlich geformtem Hals unterliegt jede indische Perle.
Weniger nicht als des reinen Antlitzes liebreiche Formen 85

Strahlt die herrliche Anmut der vornehm-adligen Sitten,


Gleichfalls die sonst bei Mädchen von frischer, blühender Jugend
Seltene Würde und Ernst, und auch schon die Weise zu reden,
Die durch ambrosische Worte den redekundigen Vater
Spiegelt. – Hervorgerufen von derart göttlichen, seltenen 90

Kräften, vermag das Feuer sich kaum noch zu halten, allmählich


Seufzt der Liebende laut, dem gewaltigen Kummer erliegend.
Schmerz bringt Tränen hervor: So nährt sich ein fliegender Funke

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154 NUper ab Hesperio
Scintilla exiguae stipulâ vix vivit inani:
95 At si fortè ferens illam sufflaverit Auster,
Majores sensìm latè considit in ignes
[A3v] Indomitumque furit, vastosqve impunè penates
Corripit, et totum fumo confundit Olympum.
Ergò conspectu sperans propiore mederi
100 Morbis posse suis, accedit, et occupat omnes
Ingeniosorum ritus et verba procorum.
Primas visus agit, vultuque lacessit in ipso
Deprendi castae metuentia lumina nymphae.
Hinc gemitûs pro voce dedit, mittitque profundo
105 Pectoris oratum suspiria ducta recessu.
Dum tacitis crescens pedetentim gressibus, omnem
Dedidicit mens laesa metum, positoque pudore
Ingenuas sumpsit sibi confidentia vires.
Tum verò nil vile sonat; sed verba sequuntur
110 Cecropiis etiam vix concessura loquelis,
Atque omni majora fide: nec laeta colorum
Tot facies roseo Thaumantia sumit amictu,
Cum bibit Oceani, quas mox tamen evomat, undas.
At virgo secura sui, duransque, nec uno
115 (Ut genus hoc duplex consuevit) mobilis ictu;
Non magis instanti juvenis Sermone movetur,
Quam pelago certante silex; licet aequora juxtâ
Iratis scopulos tundunt et saxa procellis,
Insultantque jugis, et vasto murmure Cauri
120 Suspensos rauco latratu ad littora fluctûs
Propellunt, omnemque ferunt sub nubila pontum.
Heu stolidos nympharum animos. Quid Fata morentur,
Si quid virgo velit? Tamen imo pectore grande
Nescia vulnus alit, tacitoque venena meatu
125 Viscera pertentant, nec dulci membra quiete
Deficiunt, solitoque absolvit lumina somno.
Donec in expressum marcens et pallida languorem
Incidit, et macies artûs jejuna venustos
[A4r] Distulit, ac solitum liquerunt membra vigorem.
130 Quid faceret? Medicis aperit sua vulnera; febrim
Dicunt, Paeoniae quaeruntur montibus herbae,
Et quotquot didicit gens docta Machaonis artes.
Risit Amor, dominaeque toro juvenem applicat; ille,

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NUper ab Hesperio 155

Spärlicher Asche zunächst von leeren Strohhalmen, kaum nur;


Hat ihn jedoch der Südwind ergriffen, ihn anfachend, weitet 95
Nach und nach er sich aus, weithin, zu größerem Feuer,
Rast unbeherrschbar, erfaßt, ohne daß man ihn eindämmen könnte,
Große Gebäude und qualmt den ganzen Himmel verdunkelnd.
Also, weil Buckau erhofft, seine Krankheit durch größere Nähe
Heilen zu können, begibt er sich hin und verwendet die Worte, 100
Alle, und jede Gewohnheit von ganz durchtriebenen Freiern.
Protagonist ist zunächst sein Blick, mit dem Mienenspiel lockt er,
Um zu bezwingen die furchtsamen Augen des sittsamen Mädchens.
Dann bringt er Ächzen statt Worten hervor und entläßt aus dem tiefen
Innern der Brust entspringende Seufzer, sein Flehen zu künden. 105
Wachsend sodann allmählich in heimlichen Schritten, vergißt der
Angeschlagene Mut alle Furcht, er legt alle Scheu ab,
Selbstvertrauen ergreift die mit ihm geborenen Kräfte.
Aber er äußert auch jetzt nichts Flaches; die Worte, die folgen,
Stehen sogar hinter Reden Athens nur wenig zurück, sind 110
So, daß man’s kaum noch glaubt. Die farbenfreudige Iris,
Tochter des Thaumas, verwendet, sobald sie das Wasser der See trinkt,
Das sie jedoch bald ausspeit, am Rosengewande durchaus nicht
Soviele Farben. Das Mädchen jedoch, ganz selbstsicher, wartend,
Nicht zu erschüttern von einer Attacke (die Doppeltheit bringt das 115
Mit sich), es läßt von des Jünglings bedrängenden Worten sich grade
So weit bewegen wie Felsen bei stürmischer See: mit erzürnten
Stürmen mögen die Wellen die Felsen und Riffe behämmern,
Ja, sie springen auf Höhen und treiben, wobei der Nordwestwind
Fürchterlich heult, mit heisrem Gebell die am Ufer gestauten 120

Wasser nach vorn und ziehen das ganze Meer unter Wolken.
Ach, alle Mädchen sind dumm. Warum soll das Fatum noch zögern,
Wenn eine Jungfrau was will? Sie nährt doch im innersten Herzen,
Weiß aber nichts davon, eine große Wunde, und schleichend
Dringt ihr ein Gift durch den Leib, und die Glieder erschlaffen in süßer 125

Ruhe nicht mehr, sie erläßt’s ihren Augen, zu schlafen wie früher.
Schließlich verfällt sie, ganz träge und bleich, einer sichtbaren Schlaffheit,
Kraftlos mageres Aussehn vertreibt die Schönheit der Glieder,
Alle Teile des Körpers verlieren die früheren Kräfte.
Was ist zu tun? Sie vertraut ihre Wunde den Ärzten. Die sagen: 130

„Fieber!“ Man sucht in den Bergen nach Kräutern, die Krankheiten heilen,
Greift zu den sämtlichen Künsten gelehrter Jünger Machaons.
Amor lacht und entsendet den Jüngling ans Bett seiner Herrin.

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156 QUod ver praeterito
Verborum ambrosiâ, succoque salutis inemptae,
135 Nunc digitos nunc ora fovet; vix ipsa valere
Tanti virgo putat: tamen exilit, atque salutem
Esse videt, quod morbus erat, charique vicissim
Vires, non propriâ fractas febre, mulcet amantis,
Obtentâque genis vix summovet oscula palmâ.
140 Jam cursum quem sancta dedit Cytherea, peregit
Virginitas intacta suum; jam lumina Titan
Claudet, et auricomos stagna in Tartessia currûs,
Pertaesus longorum operûm, demerget, et alas
Nox pandet tranquilla suas, roseoque micabunt
145 Noctivagae super axe faces; jam nobile fastus,
Sponse, tibi debet Spolium, jam lenta morarum,
Si quid cordis habes, ulciscere puncta tuarum;
Denique jam totum audacter conjunge maritum.
Hespere qui. Sed tam speratae gaudia noctis,
150 Et quae nec vigiles admittunt sacra lucernas,
Forte Dionaeo vates felicior oestro,
Nectareis ibit describere versibus. At nos,
Desuetos socco ferri leviore, cruentis
Rectius assereret proles Latonia bellis.

***
Nuptiarum Promulsis
A D C ASP. K IRCHNERUM ,
18. d. m. Martii.

QUod ver praeterito redibat anno


Consveto citius, tibi imputabam,
Vatum maxime: nam tuo serenis
Adventu radiis polus micabat;
5 Et si non radiis micasset illis,
Prae lucis faculâ tuae, pruinis
Nil qvicquam licuisset: at vicissim
Quod, Phaebus licet altiore caelo
Incessu graditur, tamen paternum
10 Sero constiterit gelu fluentum,
Et secura sui rigensque leges

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QUod ver praeterito 157

Dieser erwärmt mit dem Duft seines Worts, also selber erzeugtem
Heilendem Saft, ihr Gesicht, ihre Finger. All das zu verdienen 135
Mag sie nun selbst nicht glauben. Sie springt jedoch aus dem Bette,
Sieht: die vermeintliche Krankheit ist Rettung, liebkost den geliebten
Liebenden auch, dessen Kraft nicht von eigenem Fieber geschwächt ist,
Legt ihre Hand um ihn, hört kaum auf, seine Wangen zu küssen.
Endlich hat sie den Weg, den die heilige Venus ihr zumaß, 140
Unangetastet, als Jungfrau durchlaufen, und Helios schließt nun
Bald aller Augen und lenkt, von der langen Arbeit verdrossen,
Seiner Pferde Gespann – ihr Haar ist wie Gold – an Tartessos’
Küste ins Meer, die Ruhe der Nacht verbreitet die Flügel,
Oben am rosigen Himmel erschimmern nächtliche Fackeln. 145
Bräutigam, Sprödheit muß jetzt Euch edle Trophäen gewähren;
Nehmt, wenn Ihr Mut habt, nun Rache für lange Schmerzen des Wartens;
Kurz: verbinde den Mann nun ganz und entschlossen der Gattin,
Hesperus! Aber ein Dichter – er müßte, von Venus begeistert,
Glücklicher dichten als ich – geht hin und beschreibt uns in nektar- 150
Fließenden Versen die Freuden der Nacht, die derart ersehnt ward,
Stellt die Mysterien dar, die keine nächtlichen Lampen
Dulden. Doch mich, auf leichteren Schuhen zu geh’n nicht gewöhnt mehr,
Schickte Apollo wohl besser zum Dienst im blutigen Kriege.
[G.B.]

***
Als Vorspeise zur Hochzeit
an Caspar Kirchner,
am 18. März

Daß der Frühling im vergangenen Jahr früher als gewöhnlich wiederkehrte, habe
ich dir zugerechnet, du größter aller Dichter, denn mit deiner Ankunft glänzte
der Himmel von heiteren Strahlen. Und hätte er auch nicht von diesen Strahlen
geglänzt, so wäre vor der Leuchte deines Lichtes dem Winter keine Macht ge-
geben gewesen. Doch daß, umgekehrt, mag Phoebus mit höheren Schritten am
Himmel dahinziehen, dennoch der heimische (10) Fluß von später Kälte ge-

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158 SCilicet hoc reliquos
Veris sumit hyems, negatque campos
[A2v] Dulces dicere, sobriasqve terras,
Et laetas volucres, nivesqve canae
15 Luctantis radios premunt Olympi;
Hoc, K IRCHNERE , tibi quoqve imputamus:
Nam postquam lepor unius puellae
Praefertur teneris tuis Camaenis,
Et prae vertice gratiore Pindi,
20 Parnassum dominae requiris unum;
Cum Musis Pataraeus universis
Infandùm gemit: ergo nec decora
Gaudent cum dominis suis vireta,
Nec sylvae solitos nemusque cantûs
25 Absolvunt, Zephyrusque murmurante
Ludit florifer undiquaque vento.
Sed quod jam posito gravi Maronis
Summi pondere, castiore gressu
Gyros contraho carmen in minores,
30 Quid mirum tibi? Si tuae puellae
Acclinis lateri, brevi patrabis,
Quod nunquam puto fortè perpetrasti:
M ART. O PITIUS.

In Nuptias CL. V.
C ASP. K IRCHNERI
et M ARTHAE Q VEISSERIAE castissimae
pariter et elegantissimae Virginis.

SCilicet hoc reliquos pretio sublimibus alti


Vincimus ingenii curis; hac lege per oras
Tendimus innumeras, et vastum currimus aequor;
Ut post tanta viae discrimina vela legamus
5 Virgineo defessa sinu. Sic saltibus Anglis
[A3r] Imposuit certum AEneae tibi mater amorem.
Namque ferunt illic, quà regia collibus altis
Aërias Windsora domos ostentat, et amne
Vicinos Tamesis clementi illabitur agros,
10 Te placidam vidisse deam, et post mille viarum

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SCilicet hoc reliquos 159

froren ist und selbstsicher der starre Winter dem Frühling sein Recht nimmt, die
Felder nicht süß preisen läßt, die Erde nicht trocken und die Vögel nicht froh,
und daß grauer Schnee die sich vom Himmel durchkämpfenden Strahlen ver-
schluckt, auch das, mein Kirchner, rechnen wir dir zu. Denn seitdem du den Reiz
eines einzigen Mädchens deinen zarten Musen vorziehst und eher als den an-
mutigen Gipfel des Pindus (20) nur den Parnaß deiner Herrin aufsuchst, klagt
darüber zusammen mit allen Musen Apollo unsäglich. Daher prangt nicht das
schöne Grün zusammen mit seinen Herrinnen, Wald und Hain lassen nicht den
gewohnten Sang ertönen noch spielt Zephyr blumenduftbringend allenthalben
mit säuselndem Wehen. Daß ich aber nunmehr die schwere Last des großen
Maro abgelegt habe und mit verschämtem Schritt mein Gedicht in engere
Bahnen lenke, (30) was wundert’s dich? Wenn du an der Seite deines Mädchens
liegst, wirst du bald vollbringen, was du bisher vielleicht niemals vollbracht hast.
Martin Opitz.

Auf die Hochzeit des berühmten Mannes


Caspar Kirchner
und der Martha Queisser, der höchst züchtigen
wie überaus feinen Jungfrau.

Also für diesen Lohn übertreffen wir die Menge durch die erhabenen Bemühun-
gen eines hohen Geistes, unter dieser Voraussetzung streben wir zu unzähligen
Küsten und durcheilen das gewaltige Meer, daß wir nach so großen Gefahren des
Weges die schlaffen Segel einholen im Schoß eines Mädchens. So hat also auf den
waldigen Höhen Englands die Mutter des Aeneas dir eine feste Liebesbeziehung
auferlegt. Denn es heißt, dort, wo auf hohen Hügeln das königliche Windsor
seine weit in die Lüfte ragenden Gebäude zeigt und die Themse mit segensrei-
chem Lauf die nahen Felder tränkt, (10) habe die gefällige Göttin dich erblickt
und dir nach dem Überdruß von tausend Wegen und dem angstvollen Segeln mit
dem kühnen Schiff hier deinen Hafen bestimmt. Mit diesem Lohn bezahlte die

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160 SCilicet hoc reliquos
Taedia, et audacis metuentia lina carinae,
Hic portum fixisse tuum, hac mercede tot annos
Absolvit divina Venus; geniique labores
Ausaque digna tui, facunde Poëta, rependit.
15 Iccircò docti miracula dissita caeli,
Astrorumqve vagos juvit lustrare recursûs,
Et quicquid non novit humus? hoc denique centrum
Quaesisti, radium toties cum lignea sensit
Terra tuum, et penito naturae occulta recessu
20 Uranie studio docuit te diva benigno?
Virtutis dos ista tuae est: repete alma libellos
Roma tuos, reddique tibi Grassere coronae
Dona jube; frustrà juvenis miratus es, Heinsi,
Doctrinam, et quicquid solis tantum esse Batavis
25 Autumat, atque poli fatali errore maligni
Germanos putat esse rudes. Tam grandibus ausis
Invenit Cytheréa modum: quodcunque requiret
Posteritas, hoc virgineis scribetur in ulnis,
Maximaque exiguis requiescet gloria metis.

30 FElix quem externis nitentem assurgere chartis,


Invadit tam faustus amor, vitaeqve reponit
Innocuae spes tanta sibi, parvoque quiête
Sed proprio contenta domus: sitis ardua Famae,
Vix unquam est secura sui, et vicinior astris,
35 Laus semper suprema petit: vix nomen inane est
Quicquid inexhaustó noctuque diuque labore
Prodigus ipse tui et vitae pene inscius optas.
[A3v] Et jam quod reliquum est, merito, K IRCHNERE , requiris,
Si fines tua Fama suos invenit, et annos
40 Praetergressa tua est virtus immensa juventae:
Nunc aliis opus est conatibus; hactenus omnes
Dilectis operas licuit consumere Musis.
Vendicat hanc natura sibi; depone tributum,
Vates docte, tuum: Cypri regina Poëtis,
45 Destinat, eventu tamen impare, vulnera cunctis.
Tu voti sat compos abis: tibi casta puella,
Et formosa tamen, animoque simillima fronti,
Ducitur, et nox illa polo descendit amico,
Quam vix ipse queas dignâ celebrare Camoenâ.

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SCilicet hoc reliquos 161

göttliche Venus so viele Jahre und vergalt die Mühen deines Genius und die mu-
tigen Unternehmungen, die deiner würdig, beredter Dichter. Dafür freute es dich,
die weitgespannten Wunder des gelehrten Himmelszeltes und die unberechenba-
ren Bahnen der Sterne zu beobachten und was sonst die Erde nicht kennt? Dieses
Zentrum hast du schließlich gesucht, wenn die hölzerne Erde so oft deinen Zirkel
spürte und die Göttin Urania, tief in die entlegenen Geheimnisse der Natur ver-
hüllt, (20) dich mit gütiger Neigung belehrte? Das ist die Mitgift deiner Tüchtig-
keit! Fordere, fruchtbares Rom, deine Bücher zurück; Grasser, verlange, daß dir
der Kranz, den du verliehst, wieder zurückgegeben wird; vergeblich hast du,
Heinsius, die Bildung des Jünglings bewundert und alles das, wovon er behauptet,
das gebe es einzig und allein bei den Niederländern und wozu er die Deutschen
wegen eines verhängnisvollen Irrtums des böswilligen Himmels noch zu roh fin-
det. Für so großes wagemutiges Beginnen fand Cytherea ein Maß: Was immer die
Nachwelt von dir erwarten wird, wird in den Armen eines Mädchens geschrieben
sein und größter Ruhm wird sich in engen Grenzen zufrieden geben.

(30) Glücklich, wen inmitten des Bestrebens, sich zur wissenschaftlichen Höhe
des Auslandes zu erheben, eine so glückliche Liebe überkommt, wen eine so
große Hoffnung auf ein friedliches Leben sich bewahrt – nämlich ein Haus,
in Ruhe, mit kleinem, aber eigenem Gut zufrieden. Der schwer zu stillende
Durst nach Ansehen ist kaum je unbesorgt um sich selbst, und der bis zu den
Sternen reichende Ruhm sucht immer das Alleräußerste. Es ist doch kaum ein
nichtiger Name, was du mit unermüdlicher Anstrengung bei Nacht und Tag
verschwenderisch mit dir selbst und nahezu ohne Rücksicht auf das Leben
wünschst. Und jetzt erstrebst du, Kirchner, mit Recht, was noch zu tun übrig
bleibt: Wenn dein Ruhm seine Grenzen gefunden und (40) deine unermeßliche
Tüchtigkeit die Jahre der Jugend überschritten hat, sind nun andere Versuche er-
forderlich. Bisher konntest du doch alle Mühen für die geliebten Musen aufwen-
den. Diese Mühe beansprucht die Natur für sich, zolle, gelehrter Dichter, diesen
deinen Tribut. Die Herrin von Zypern bestimmt, wenn auch mit ungleichem
Ausgang, allen Dichtern Wunden. Du erlangst reiche Erfüllung deiner Wünsche:
Du heiratest ein reines, doch schönes Mädchen, deren Geist ihrem Aussehen
entspricht, und jene Nacht, die du kaum selbst mit einem ihrer würdigen Lied

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162 Qvid mihi cum viduo?

50 At mihi, si, qvamvis ab avo descendimus uno,


Praesenti non esse licet, vultusque meorum,
Asterienque meam cogor vitare, benignus
Fatorum concedat amor, reduci alite laeto
Ut detur vestros tamen olim cernere natos.

M ART. O PITIUS.

***
CErnis ut exutâ serae formidine brumae,
Laxentur nitidi vere tepente dies?
Purpureis laeti pubescunt floribus horti:
Rure pecus, querulae colle vagantur aves.
5 Diva Paphi Charisin tenerisque immista puellis
Et saltat, suaves et praeit ipsa modos.
Et tu, Sponse, memor quorum consederis arvis,
Egregiam transfers in tua prata rosam.
Da veniam genitrix formarum fausta bonarum
10 Gorlicium; à nymphis demitur ista tuis.
Vicinis etiam felix est terra Silesis:
Ducta aliò fructus non minùs arbor alit.
Hoc olim quoque tu fors ipsa fateberis, haec cum
Incipiet multas unica ferre rosas.
Martinus Opitius

***
In Nuptias
JOHANNIS TSCHERNINGII.
Qvid mihi cum viduo? impubes amplector amores,
Ne radat teneras hispida barba genas.
Adde qvod in rudibus Veneris vis fortior annis,
Ibit in amplexus sola juventa meos.
5 [793] Sic plerumque putant, neqvissima turba, puellae,
Spe nondum expertes praecipiente toros.
Tu tamen ad viduum confers te, Sponsa, maritum,
Et tibi qvod periit vix periisse putas.

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Qvid mihi cum viduo? 163

feiern kannst, steigt vom dir wohlgesonnenen Himmel herab. (50) Wenn aber
ich, obwohl wir von demselben Großvater abstammen, nicht anwesend sein
kann und gezwungen bin, das Antlitz meiner Verwandten und meine Asterie zu
meiden, so möge mir doch die gütige Liebe des Geschicks zugestehen, dereinst,
bei der Wiederkehr unter günstigen Vorzeichen, eure Kinder zu sehen.

Martin Opitz.
[L.C.]

***
Seht Ihr: nachdem die Furcht vor dem langen Winter nun schwindet,
Werden die Tage so hell, milde von laulichem Lenz.
Fröhlich sprießt’s in den Gärten von purpurfarbenen Blumen,
Rinder weiden, am Berg schweifender Vögel Gezänk.
Venus, die Göttin von Paphos, im Flor von Chariten und zarten 5
Mädchen: sie tanzt, aber tanzt liebliche Weisen auch vor.
Bräutigam, Ihr übertragt eine herrliche Rose, wohlwissend,
Wo Euer Haus steht, hierher, Euerem Garten zur Zier.
Görlitz, verzeih, o Mutter, gesegnet mit braven und schönen
Töchtern: aus deiner Schar Mädchen entführt er sie dir. 10
Auch das benachbarte Schlesien hat fruchtbares Land, und ein Setzling,
Sonstwo bezogen, trägt hier keine geringere Frucht.
Das wirst dereinst auch du womöglich selber bekennen,
Wenn die einzelne dann zahlreiche Rosen noch trägt.
Martin Opitz
[G.B.]

***
Auf die Hochzeit von
Johann Tscherning
Was soll ich mit einem Witwer? Ich ziele auf einen ganz jungen Liebhaber, damit
nicht ein struppiger Bart meine zarten Wangen zerkratzt. Nimm noch hinzu, daß
in jungen Jahren die Kraft der Liebe stärker ist: In meine Arme wird nur ein Jun-
ger seinen Weg finden! – So denken meistens die Mädchen, diese leichtfertige
Schar, noch unerfahren in ihrer Hoffnung und Vorfreude auf die Hochzeit. Du 5

jedoch, Braut, begibst dich zu einem Witwer in die Ehe und denkst, was verloren
ist, sei dir kaum verlorengegangen. Zum übrigen kommt nämlich hier das si-
chere Vertrauen auf Nachkommenschaft, (10) indem du ja, noch nicht Gebäre-

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164 Vt primum Venere

Haec etenim accedit reliqvis fiducia Prolis,


10 Cum genitrix nondum jam potes esse parens.
Qvod juvenis praestat, viduus qvoque praestat, et hoc quod
Non praestat juvenis, praestat et ille tibi.

***
BALTHASARIS EXNERI
ET
EVAE BARTHIAE
NUPTIIS
E>?T?PAI8NION.

Vt primum Venere insuetamque, rudemque doloris


Dilecti, suasu ducere BARTHIADAM
Exnerus delenifico conatus, vt, osculo
Oscula, nec-docili sauia sauiolo
5 Pacta sibi iuncto cieret traducere sponsi
Spiritibus tremulam corditrahis animam:
Haec, cui consilium perplexile millia dudum,
Finxerat ignaris gaudia ab ominibus,
Nequicquam causata, licet renuisse nec audet,
10 Nec dare non-solitis labra pudica modis,
Nictitat in vatem lasciua tuentibus hirquis,
Et monstrat mollis luxurians tabulae
AEquor, in hoc condat lusus simulacra futuri,
AEternisque canat tempora figminibus,
15 Tempora amabilium non nescia primitiarum.
Nec mora, quae sponsae porricitur tabula,
[246] Arripit, et teneram cassus reclinis in herbam,
Mergit vbi exertis cirriflua vnda comis,
Graminis hinc atque hinc subtiliter intertexti,
20 Ad fluuii erumpens mella supercilium
Illibata, caput mirti de flore superbum
Erectus, carmen versibus aureolis
Orditur: sed dum figit mens omnis in ipsam,
Lasciuis lente marcuit in manibus.
25 Illatebrans graphium, vndique et vndique et vndique scriptum
Quo se optet plena sponsa lubens tabula.
Ceu vti quando recentatur lepidissima veris

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Vt primum Venere 165

rin, schon Mutter sein kannst. Was ein junger Mann bietet, bietet auch ein Wit-
wer, und was ein junger Mann nicht bietet, bietet jener dir auch. 10

[R.S.]

***
Erotopaegnion
zur Hochzeit
von
Balthasar Exner und Eva Barth

Gleich, als Herr Exner versuchte, Barths Tochter – sie war da noch nicht mit
Venus vertraut und noch nicht liebliche Schmerzen gewöhnt –
Sanft beredend zu führ’n, daß sie Küsse erwid’re, versprochne
Küsse, noch wenig geschickt küssend, sich nehme, zugleich
Jenes zitternde Seelchen herüberzuholen sich anschickt’, 5
Fürchtend des Bräutigams herzbewegenden Drang,
Findet sie weder den Mut – es hat ihr ein unklarer Rat von
Dunklen Vorzeichen her tausend Genüsse gemalt –
Weder den Mut, sich zu weigern (was hätte sie vorbringen können?),
Noch, ihren züchtigen Mund neuartig ihm zu gewährn, 10
Zwinkert dem Dichter keß zu und läßt sich von Geißböcken schützen,
Zeigt ihm ganz munter ein Brett, flach und geglättet, auf dem
Solle er künftige Spiele mit Worten darstellen, solle,
Verse von dauerndem Wert formend, die künftige Zeit
Singen, die Zeit der Erinnrung an lieblichen Frühling der Liebe. 15
Unverzüglich ergreift Exner die Tafel der Braut,
Legt sich zunächst vergeblich in weiches Gras, wo die Welle
Lockig fließend ihr Haar – kunstvoll sind da ihm und dort
Stengel des Schilfs verwoben – entknotet und abtaucht. Dann bringt er,
Dort am Ufer des Stroms, Honig poetischer Art 20
Plötzlich hervor ohne Makel. Er schmückt sich das Haupt mit der Myrte,
Richtet es auf voller Stolz, fängt seine Verse nun an,
Herrliche sind’s. Doch indem dann sein Geist sich ganz auf das Mädchen
Wendet, erschlafft er, wird lasch, fahrig allmählich die Hand.
Griffel und das, was er schrieb, versteckt er mal hierhin, mal dorthin, 25

Daß sein Mädchen ihn wünscht, froh, weil die Tafel gefüllt.
Ganz so, wie, wenn des Frühlings so fröhlicher Mutwille wieder

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166 Exnerus teneri

Suaui interplexa ab ordine vernilitas,


Ad virides vlmi ramos super impendentis
30 Dulce, Dioneae biga columba deae
Murmure blandisono professum iungit amorem,
Et latices animae virginis irriguos
Aspirant cantu tacito, humida musice-anhelus
Mas crudae impingit basia militiae,
35 Haec satie priua integrat rapta oscula, vafris
Testans mollitiem dissimulaminibus.
Ebria sic cantu sponsa illice, dat promisso
Sauio enim sponsus res vt acu tetigit.

0 EPIGRAMMA.
Exnerus teneri suauis desultor amoris,
In quo sese ipsum Phoebus Apollo stupet,
Cui arrisit Hymen toties totiesque canenti
Alterius primi sauia pacta thori,
5 Demum argutabit priuatos versibus ignes,
Ipse suo ipse sibi carmine carmen erit,
Et qui votum aliis lusit tam suaue canendo,
Ludendo melius post canet ipse suum.
Martinus Opitius Boleslau!iensis"

***

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Exnerus teneri 167

Sprießt, in die Jahre gefügt immer, nach sanftem Gesetz,


Dicht bei den grünenden Zweigen der überhängenden Ulme
Freundlich der Göttin Gespann, Tauben, der Venus Gespann, 30
Eingestandene Liebe so schmeichelnd dahinrauschend festmacht.
Und das Mädchen erhofft netzende Wasser sich nun,
Innerlich singt sie, indes der musisch-lechzende Jüngling
Drückt feuchte Küsse ihr auf, ihr, der Erfahrung noch fehlt.
Sie, zur eigenen Sattheit, ergänzt die gestohlenen Küsse, 35
Hingabe zeigend, doch klug alles verheimlichend auch.
Trunken vom lockenden Singen: die Braut; der Bräutigam nämlich
Zeigt mit versprochenem Kuß: „Traf auf den richtigen Punkt.“

Epigramm.
Exner, der Süße, der sprunghaft mit tändelnder Liebe einst umging
Und in welchem sich selbst Phoebus Apollo bestaunt,
Dem der Hochzeitsgott lachte, wann immer und immer er wieder
Sang zu dem süßen Bund, wenn ihn ein anderer schloß,
Der wird nun endlich in Versen von eigener Leidenschaft schwatzen, 5
Er wird in seinem Gedicht selbst ein Gedicht sich nun sein.
Und der für andre im Lied so süßen Glückwunsch erdachte,
Denkt sich hernach für sich selbst sicher noch besseren aus.
Martin Opitz aus Bunzlau
[G.B.]

***

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168 JVuenantibus Poëtis
MART. OPITII
SILESII ROSA AD
ROSILLAM .

JVuenantibus Poëtis
Rosa ordium canendi,
Rosa Etesiarum ocellus;
Rosa muta lingua Florae,
5 Rosa pompa nuda Peithûs,
Rosa Gratiae dioptra,
Rosa semihulca pubes
Horae nec impudica,
Rosa Cypridis labella,
10 Rosa carminum tabella,
Rosa basii medulla,
Rosa mel puellulorum,
Rosa lac puellularum,
Rosa temporis cachinnus,
15 Rosa ventuli susurrus,
Rosa amantium catena,
Rosa lectulus superbus,
Rosa rubra nuptiarum
Obelus aurearum,
20 Rosa dosque flosque florum,
Rosa osculum Rosillae,
Rosa corculum Rosillae,
Iuuenantibus Poëtis
Rosa exodus canendi.

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JVuenantibus Poëtis 169

Die Rose an Rosilla.


Von Martin Opitz
aus Schlesien.

Dichtern, die wie Jünglinge fühlen, ist die Rose der Anfang ihres Dichtens.
Die Rose ist der Liebling der Sommerwinde. Die Rose ist die stumme Zunge der
Frühlingsgöttin. Die Rose ist der unverstellte Schmuck der Überredung. Die
Rose ist das Meßgerät der Anmut. Die halbgeöffnete Rose ist die Jugendzeit,
aber keine schamlose. Die Rose formt die Lippen der Venus. (10) Die Rose ist
das Schreibtäfelchen für Gedichte. Die Rose ist das Mark des Kusses. Die Rose
ist der Honig der Jünglinge. Die Rose ist die Milch der Mädchen. Die Rose ist das
Lachen der Zeit. Die Rose ist das Flüstern des Windes. Die Rose ist die Kette der
Liebenden. Die Rose ist das prächtige Brautbett. Die rote Rose ist die Spitze des
goldenen Hochzeitsfestes. (20) Die Rose ist die Mitgift und die Blüte der Blüten.
Die Rose ist der Kuß Rosillas. Die Rose ist das Herzchen Rosillas. Dichtern, die
wie Jünglinge fühlen, ist die Rose das Ende ihres Dichtens.
[R.S.]

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170 SERMO DE PASSIONE DOMINI

MARTINI
OPITII
SERMO
DE PASSIONE
DOMINI AC
SALVATORIS NO -
STRI J ESV
C HRISTI .
Item
EVCHARISTIA ,
SIVE MEDITA -
tio in sacrâ Coenâ
ejusdem.
HAIDELBERGAE ,
T YPIS G OTTHARDI V OEGELINI .
A NNO M.DC.XX.

[A2r]
ILLUSTRIBUS MAGNIFICIS GENEROSISSIMIS ET NOBILISSIMIS DNN. MELCHIORI
A RECHENBERG, L . B. CHRISTOPHORO GEORGIO ET IOHANNI A BERGK , EQVITIBUS
SIL . SPLENDIDISSIMIS, TOBIAE DE SCHWANENSEHE ET BREGOSCHITZ , COGNOM .
SCVLTETO, HIRSFELDAE HAEREDITARIO, ETC . MEIS ET OMNIVM LITERATORVM
0 MAECENATIBVS AC PATRONIS.

QVAM multis nominibus benignitati vestrae, Illustres et Nobilissimi Viri, ob-


strictus sim, non opinor anxiè inquirendum esse. Vt enim de benevolentiâ, quam
saepè coram expertus sum, non dicam, neque liberalitatem quae in magnificen-
tissimâ domo tuâ, Scultete incomparabilis, anno diutius in me collata est, exag-
5 gerem: literas ad-[A2v]huc quod tracto et studia, vestrum potissimùm opus est.
Itaque quantum debeam agnosco: gratias quomodo referre possim, sive vos sive
me intueor, non invenio. Estis enim ii, qui cum caetera indultu coelesti abundè
possideatis, ne his ipsis quidem careatis rebus, quas nos homines, quorum uni-
versus census libri sunt et calamus, dare solas possumus. Quae res imprimis facit,

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 171

Des Martin
Opitz
Sermo
von der Passion
unseres Herrn und
Heilandes
Jesus Christus,
dazu
die „Eucharistia“,
eine Meditation
über dessen
Heiliges Abendmahl.
Gedruckt in Heidelberg
bei Gotthard Vögelin
im Jahr 1620.

Den berühmten, erhabenen, großzügigsten und edelsten Herren, Freiherrn


Melchior von Rechenberg, den glanzvollen schlesischen Rittern Christoph
Georg und Johannes von Bergk sowie Tobias von Schwanensee und
Bregoschitz, genannt Scultetus, Erbe von Hirschfeld etc., meinen und aller
Gelehrten Förderern und Gönnern.

In wie vielen Belangen ich eurer Güte, berühmte und edelste Männer, verpflich-
tet bin, braucht meines Erachtens nicht peinlich untersucht zu werden. Um da-
her nicht von dem Wohlwollen, welches ich oft öffentlich erfahren habe, zu re-
den und auch nicht die Freigebigkeit zu sehr hervorzuheben, welche mir in
deinem prächtigen Haus, o unvergleichlicher Scultetus, länger als ein Jahr lang
entgegebracht wurde: Daß ich noch stets die gelehrten Wissenschaften pflege,
ist vor allem euer Werk. Ich bekenne also, wieviel ich euch verdanke; auf welche
Weise ich meinen Dank abstatten könnte, kann ich, ob ich nun mich oder euch
betrachte, nicht herausfinden. Ihr gehört ja zu denen, welchen es – während ihr
die übrigen Dinge aufgrund der himmlischen Güte im Überfluß besitzt – selbst
an den Dingen nicht mangelt, die Menschen wie wir, deren gesamtes Vermögen
Bücher und Feder sind, einzig schenken können. Diese Tatsache bewirkt vor
allem, daß, wenn ich in der Dürftigkeit meiner Jugend allenfalls etwas erreicht
hätte (wie wenig das ist, dessen bin ich mir bewußt), daß das alles dennoch an
den Gipfel eurer Leistungen und eurer Würde nicht heranreichte. Das Bewußt-
sein also eurer Erhabenheit und meiner Bedeutungslosigkeit könnte bei mir sehr

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172 SERMO DE PASSIONE DOMINI

10 ut si maximè in hac adolescentiae mediocritate aliquid assecutus essem (quod


quam exiguum sit sentio) illud omne tamen ad virtutum vestrarum ac dignitatis
culmen non pertingat. Itaque et sublimitatis vestrae et meae tenuitatis conscien-
tia facilimè silentium à me impetrarent: nisi temerarius potius et confidens,
quam ingratus audire mallem. Orationem igitur, cui ab amplissimo nomine ve-
15 stro praesidium quaererem, inveni: eamque sacram; ut materiâ se commendet,
quia eruditione authoris non potest. Si qui erunt qui me alienae professioni ad-
dictum opus non meum tractare dicent, illos vestro exemplo egregiè refutabo. Eâ
enim sacrorum experientiâ, maximo quidem at rarissimo nobilitatis ornamento,
estis praediti, ut cum [A3r] paucissima ignoretis, nihil tamen aliud quam hoc ip-
20 sum totâ vitâ egisse videamini. Porrò imperitam quorundam opinionem, qui
amatores humaniorum literarum ut ignaros artium quibus Reipublicae inservia-
mus, traducunt, et alii hactenus, et ego inposterum facilè, ut spero, absolvam. In-
terim ut illis tam acre suum judicium non invideo: ita blandum hunc errorem
meum, quo ad exornandum gravius studium varietates disciplinarum per inter-
25 valla sectamur, non possum non ex animo amplecti. Carmen de Coenâ Bolesla-
viae in patriâ antehac natum est. Novitatis itaque gratiam, quae utplurimum talia
commendat, jam decoxit. Addidi tamen, cum quia amicis quibusdam dignum
lectu visum fuit, tum quia aptiorem alibi sedem vix invenisset. Impetrabit non
minus hoc quoque veniam ex argumenti sanctitate. Nam artem si quis in ejus-
30 modi scriptis quaerit, nihil agit. Ut enim Theologicam jejunitatem hîc effugere
difficile, sic Poëticam libertatem admittere periculosum est. Neque etiam praeter
hominis Christiani officium quicquam affectare voluimus; Poëtam aliàs, si opus
[A3v] erit, melius exhibituri. Quicquid autem est hujus, vobis, ut dixi, maximi li-
terarum Fautores, offero: confessionem potius debiti quàm solutionem. Cujus
35 tanta magnitudo est, ut in aere hoc perpetuo mihi remanendum videam. Si tamen
favori divino Patronorum quoque et vestra praesertim velut hactenus accedet lu-
bentia; amore doctrinae ac industriâ (plura enim ipsi non requiritis) efficiam, ut
quantum vobis ac patriae honori esse studuerim, obscurum esse amplius non
possit. Interea pignus hoc et testimonium singularis meae erga vos observantiae
40 sereno vultu excipite, ac spes meas surgentes ope vestra et auxilio sublevare non

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 173

leicht Schweigen bewirken, wenn ich nicht eher kühn und zuversichtlich als un-
dankbar heißen möchte. Ich habe daher eine Schrift aufgesetzt, für welche ich
von eurem bedeutenden Namen das Geleit erbitten wollte, und zwar eine reli-
giöse, damit sie sich durch den Gegenstand empfehle, weil sie es durch die Bil-
dung des Autors ja nicht kann. Wenn dann welche auftreten, die mir vorwerfen,
daß ich als einer anderen Profession zugehörend ein mir nicht anstehendes Werk
vorlege, werde ich jene mit eurem Beispiel vortrefflich zurückweisen. Denn
ihr seid mit einer solchen Erfahrung in religiösen Dingen, dem sicher größten
und seltensten Schmuck des Adels, versehen, daß ihr, obgleich nur sehr wenige
Dinge sind, die ihr nicht kennt, euch mit nichts anderem als damit euer ganzes
Leben lang beschäftigt zu haben scheint. Weiters werde ich die ganz unkundige
Meinung von einigen, die die Liebhaber der schönen Wissenschaften als unwis-
send in den Künsten hinstellen, durch welche wir dem Staat dienen, ebenso in
Zukunft, so hoffe ich, leicht zerstreuen können, wie andere schon vor mir. In-
zwischen muß ich, wie ich jenen ihr so heftiges Urteil nicht übel nehme, diesen
meinen verzeihlichen Fehler, durch welchen wir zur ernsthafteren Abrundung
unserer Studien eine Vielfalt von Fachgebieten in Abständen weiter verfolgen,
doch ganz entschieden vertreten. Das Gedicht über das Abendmahl ist schon
zuvor in meiner Heimatstadt Bunzlau entstanden. Der Reiz des Neuen, welcher
meist derartiges empfiehlt, ist also schon aufgebraucht. Ich habe es dennoch
hinzugefügt, einerseits weil es von einigen Freunden der Lektüre wert erachtet
wurde, andererseits weil kaum anderswo eine geeignetere Stelle dafür hätte
gefunden werden können. Es wird auch dieses nicht weniger als das Voran-
stehende Gnade finden wegen der Würde seines Gegenstandes. Denn wenn
jemand in derartigen Schriften nach Kunstfertigkeit sucht, erreicht er nichts. Wie
es nämlich schwierig ist, theologische Schlichtheit zu vermeiden, ist es hier ge-
fährlich, poetische Freiheit in Anspruch zu nehmen. Und wir wollten auch nichts
außer der Pflicht eines Christenmenschen im Sinn haben; dem Dichter werden
wir ein anderes Mal, wenn es die Notwendigkeit erfordert, einen besseren Auf-
tritt gewähren. Wie es aber auch damit stehe, euch, wie ich sagte, ihr größten
Förderer der Literatur, widme ich es: eher als Einbekenntnis der Schuld denn als
deren Einlösung. So groß ist ja deren Ausmaß, daß ich wohl für immer darin ver-
bleiben muß. Wenn jedoch zur gottgleichen Gunst der Beschützer noch beson-
ders wie bisher euer Vergnügen hinzukommt, werde ich durch meine Liebe zur
Bildung und durch Fleiß (denn mehr verlangt ihr selbst ja nicht) bewirken, daß
weiter nicht mehr unbekannt wird bleiben können, wieviel ich euch und dem
Vaterland zur Ehre zu gereichen bestrebt war. Inzwischen nehmt dieses Unter-
pfand und Zeugnis meiner einzigartigen Hochachtung euch gegenüber mit gnä-
digem Blick entgegen und laßt nicht ab, meine aufkeimenden Hoffnungen durch
eure Hilfe und Unterstützung weiter zu heben. So möge Jesus Christus, der Kö-

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174 SERMO DE PASSIONE DOMINI

desinite. Sic vos et nobilissimas vestras familias sub novo Rege nostro florere si-
nat et incolumes diu diuque superesse Rex Regum Christus Jesus; cujus sum-
mum erga nos amorem expressum hîc legetis.

[A4r-v Begleitgedichte von Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator]

[B1r]
MARTINI OPITII
SERMO
D E P ASSIONE C HRISTI .

SI dolores et cruciatus quos Iesus Christus Dei Filius et Deus ipse, Deus à se,
Filius à Patre, Deus ante tempora, homo in tempore, propter nos et propter no-
stram salutem pati voluit, non magis studium devotionis et gratitudinem quàm
facundiae dexteritatem requirerent; non immeritò me et imbecillitas ingenii, et
5 ne mediocris quidem in dicendo exercitatio à tam sublimi argumento revocarent.
Praesertim cum tot ingentes animae, tot divini heroës, tot doctores et lumina
Ecclesiae eruditam suam pietatem adeò hîc exercuerint, ut religiosa magis invidia
quam par eloquentiae felicitas aemulis omnibus relicta sit. Sed cum inexhausti
hujus amoris mysterium ubique humanam sapientiam, humilitatem nunquam
10 rejiciat: nos cujus rei magnitudinem cogitationibus assequi non valemus, ejus or-
dinem grato animo considerabimus, et pro doctrina reverentiam, piam contem-
plationem pro anxiâ verborum collocatione ad Saluatoris nostri passionem adfe-
remus. Altiùs autem ea repetenda est quam à cruce, quae terminus potius ejus
quam summa dici debet: ita omnis vita Christi calamitas, miseria, paupertas et
15 continua passio est. Deserit primò regium coeli solium et nondum natus exulat.
Nascitur deinde in tugurio, reponitur in praesepe, cui se totum hoc universum
debet. Ad infantem pecudes citiùs veniunt, quam ii propter quos venit. Mox qui
in stabulo lachrymas, effundit in templo sanguinem. Infans adhuc reges et regum

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 175

nig der Könige, von dessen Ausdruck höchster Liebe uns gegenüber ihr hier
lesen werdet, euch und eure hochedlen Familien unter dem neuen König gedei-
hen und unbeschadet durch alle Zeiten bestehen lassen.
[A.N., R.S.]
0

[Begleitgedichte von Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator]

Des Martin Opitz


Sermo
über die Passion Christi.

Wenn die Schmerzen und die Marter, welche Jesus Christus – Gottes Sohn und
selbst Gott, Gott aus sich, Sohn aus dem Vater, Gott vor der Zeit, Mensch in der
Zeit – um uns und um unseres Heils willen hat erdulden wollen, nicht eher eif-
rige Andacht und Dankbarkeit als geschickte Beredsamkeit verlangten, würden
mich nicht ohne Schuld sowohl die Schwäche meines Geistes als auch meine
nicht einmal geringe Übung im Reden von einem so erhabenen Thema zurück-
halten. Und zwar besonders deshalb, weil schon so viele große Geister, so viele
göttliche Helden, so viele Lehrer und Leuchten der Kirche ihre gelehrte Fröm-
migkeit hierin so sehr entfaltet haben, daß allen Nachstrebenden mehr religiöser
Wetteifer als gleiches Gelingen bei der Beredsamkeit verblieben ist. Weil aber das
Geheimnis dieser unerschöpflichen Liebe allenthalben die menschliche Weis-
heit, niemals hingegen die Demut verwirft, so vermögen wir zwar die Erhaben-
heit dieser Sache nicht in Gedanken zu erreichen, wollen aber dennoch mit
dankbarem Herzen ihren Hergang betrachten und anstelle von Gelehrsamkeit
Verehrung, anstelle von peinlich genauer Anordnung der Wörter fromme Ver-
senkung zu dem Leiden unseres Heilands bringen. Dieses ist nämlich von weiter
als nur vom Kreuz herzuleiten, das eher dessen Ende als dessen Hauptinhalt ge-
nannt werden muß: das ganze Leben Christi ist ja Unglück, Elend, Armut und
andauerndes Leiden. Er verläßt zunächst den königlichen Thron des Himmels
und wird, noch ungeboren, zum Heimatlosen. Zur Welt kommt dann in einer
Hütte und gelegt wird in eine Krippe jener, dem sich diese ganze Welt schuldet.
Die Tiere kommen schneller zu dem Kind als diejenigen, für die es gekommen
ist. Bald vergießt derjenige, der im Stall Tränen vergoß, im Tempel Blut. Als
Kind schon hat er Könige und Söhne von Königen zu Feinden. Als er aber zu
lehren beginnt, was für Zorn, was für Schmach, welche Mißgunst ruft er nicht
gegen sich hervor? Er zeigt den Weg zum Himmel, und er hört „Verführer“; er,
Gott selber, verbreitet die Erkenntnis Gottes, und man heißt ihn Verächter des
Heiligen; er lehrt Gottesverehrung, man nennt ihn Gotteslästerer; er verkündet
den Frieden und heißt Fackel des Bürgerkrieges; er nimmt hinweg die Sünden

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176 SERMO DE PASSIONE DOMINI

filios hostes habet. Docere verò cum incipit, quas non furias, quae probra, quem
20 livorem in se non concitat? Monstrat coeli viam et seductor audit: cognitionem
Dei Deus ipse propagat, et spretor sa-[B1v]crorum, docet pietatem, et blasphe-
mus, annunciat pacem, et fax belli civilis, tollit peccata mundi, medetur insanis, et
furiosus; ejicit Diabolos, et Diabolus vocatur; à quocunque tandem alios liberat,
illius insimulatur. Miracula miraculis cumulat: vertit aquam in vinum, subjugat
25 ventos, suam famem domat, aliorum ut consulat jubet panem sub dentibus cres-
cere et plus quam totum superesse, indurat undas et transit siccis pedibus, pisces
ut vectigal pro se solvant è profundo maris accersit, virentibus arboribus humo-
rem exhaurit, aridis manibus eundem reddit, desperatae sanitati unicâ voce resti-
tuit, coecis oculos, mutis linguas, surdis aures recludit, ac postquam coelum, ter-
30 ram et mare testes suae divinitatis adduxit, inferos etiam aggreditur, et mortuos
revocat in vitam ne vivis solum prosit. Vbique se Dei filium, ubique Deum, ubi-
que Messiam quem electa à tot seculis gens expectaverat probat. Vbique natura
rerum hoc ipsum testatur. Illi quid faciunt? Agnum immaculatum cujus memo-
riam tandiu celebraverant, stellam ex Iacob quam Balaam praedicaverat, virgam
35 Iessae quae radice abyssum terrae, vertice Olympum occupat, Patrem populi sui
plerique non noverunt, quidam noverunt et dissimulant, plurimi verò ignominiis,
probris, malis omnibus afficere, crucifigere malunt denique quam agnoscere.
Post tam ingentes itaque calamitates et miserias, post moerorem, sitim, famem,
aestum, frigus et exilium, unum adhuc restabat, ut moreretur. In cujus quidem
40 ultimae passionis exaggerationem totius generis humani scelera, horror mortis,
furor inferorum et potestates, gravissima aeterni Patris ira, et cruciatus quos
nemo hominum solus, imò ne omnes quidem homines sustinere potuissent, con-
spiraverunt. Tot ac tantis divinae justitiae poenis, quarum magnitudinem nullus
dolor aequat, major est Salvatoris nostri amor erga nos et bonitas. Antequam in-
45 greditur viam quam ire solus potest, quâ constantiâ, fortitudine, perseverantiâ
et quaecunque alia duris opposita virtus est, discipulis, quos a-[B2r]mico nomine
filiolos appellat, valedicit! Pedes etiam quibus fugerunt postea lavat. Comitem
prius suum deinde proditorem deplorat: quem ut labore quaerendi sublevet,
spississimâ nocte iter facit, transit torrentem, in hortum precibus ante, nunc et

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 177

der Welt, heilt die Besessenen, und man nennt ihn rasend; er treibt die Teufel aus
und wird als Teufel beschimpft: Endlich, wovon er andere befreit, dessen wird er
selbst bezichtigt. Er häuft Wunder auf Wunder: er verwandelt Wasser in Wein; er
zähmt die Winde; er beherrscht seinen Hunger; damit er dem anderer abhelfe,
befiehlt er dem Brot, unter den Zähnen zu wachsen und in größerer Menge als
zuvor das Ganze war übrig zu bleiben; er festigt die Wellen und überschreitet sie
trockenen Fußes; aus der Tiefe des Meeres ruft er die Fische herbei, daß sie für
ihn den Zinsgroschen bringen; er zieht den Saft aus den grünen Bäumen und
gibt ihn den verdorrten Händen wieder; mit einem einzigen Wort hilft er bei
hoffnungsloser Krankheit; er öffnet den Blinden die Augen, den Stummen die
Zunge, den Tauben die Ohren; und nachdem er Himmel, Erde und Meer als
Zeugen seiner Göttlichkeit angeführt hat, steigt er auch noch in die Unterwelt
und ruft die Toten ins Leben zurück, auf daß er nicht allein den Lebenden nütze.
Überall erweist er sich als Sohn Gottes, überall als Gott, überall als der Messias,
den das auserwählte Volk seit so vielen Jahrhunderten erwartet hatte. Überall
beweist die Natur der Dinge dieses selbst. Was tun aber jene? Das unbefleckte
Lamm, dessen Gedächtnis sie so lange gefeiert hatten, den Stern aus Jakob, den
Balaam prophezeit hatte, das Reis Jesse, das mit der Wurzel den Abgrund der
Erde, mit dem Wipfel den Olymp berührt, den Vater ihres Volkes erkannten die
meisten nicht; manche haben ihn erkannt und verbergen es; die meisten aber zie-
hen es vor, ihm lieber Schimpf, Schmach und alles Übel anzutun, ihn endlich zu
kreuzigen, als ihn anzuerkennen. Nach so gewaltigem Unglück und Elend, nach
Betrübnis, Durst, Hunger, Hitze, Kälte und Heimatlosigkeit blieb also nur noch
eines, nämlich daß er sterben sollte. Wahrlich, zu dieser Steigerung seines letzten
Leidens haben die Verbrechen des ganzen Menschengeschlechts, der Schrecken
des Todes, die Wut und Gewalt der Unterwelt, der schwerste Zorn des ewigen
Vaters und die Martern, die kein Mensch allein, ja nicht einmal alle Menschen zu-
sammen hätten ertragen können, zusammengewirkt. Doch größer noch als so
viele und so große Strafen der göttlichen Gerechtigkeit, mit deren Größe kein
Schmerz zu vergleichen ist, ist die Liebe unseres Heilands zu uns und seine Güte.
Bevor er den Weg beschreitet, den nur er allein gehen kann, mit welcher Bestän-
digkeit, Tapferkeit, Beharrlichkeit und welche andere den Bedrängnissen entge-
gengestellte Tugend es gibt, verabschiedet er sich von seinen Jüngern, die er
freundschaftlich seine Söhne nennt! Er wäscht ihnen sogar die Füße, mit wel-
chen sie später geflohen sind. Er beklagt den, der erst sein Gefährte, dann sein
Verräter ist; damit er diesem die Mühe des Suchens erleichtere, macht er sich in
finsterster Nacht auf den Weg, durchquert den Bach und eilt gleichsam in den
Garten, der zuvor zum Gebet, nun sogar zu seiner Auslieferung bestimmt ist,
bleibt dort, während die Jünger in Schlaf versinken, allein wie in einem Kerker,
und steht als Angeklagter vor dem Gericht Gottes, und, wegen der Heftigkeit

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178 SERMO DE PASSIONE DOMINI

50 oblationi suae destinatum quasi festinat, commoratur ibi, labentibus in somnum


discipulis, solus tanquam in carcere, stansque reus ad tribunal D EI , ac prae vehe-
mentiâ luctae ad ultimam perductus tristitiam et sanguinem exudans, mortem
quam tantoperè formidat tamen non refugit. Iudae artibus instructo quas à se
magistro non didicerat, et micantibus undique gladiis facibusque cincto, occurrit,
55 aurem servi à Petro abscissam manu quam ingratus mox ligat, restituit, militibus
captivo plus trepidantibus ultrò se indulget, ac vinculorum molestiam inexupe-
rabili patientiâ suffert. Socii eum secuti ut oves pastore abrepto dissipantur;
Iohannes, qui è sancto pectore super quod in coenâ recubuerat infinita divinae
gratiae mysteria perceperat, dilectissimus ille omnium, aquila in nubibus, vix non
60 avolat; Fortissimus Apostolorum, qui mori unà volebat, jam nec ad judicem ire
unà potest, gelu et corpus trepidantis attentavit et animum, commoratur in ve-
stibulo, ore quo salutis suae pignus non ita diu exceperat salutem mundi ejurat,
ac ne ostiariam quidem eamque non asperè percontantem tolerat. Itane, Petre,
Christum, cum quo anteà vigilare non poteras, cujus nunc etiam nomen profiteri
65 non audes, ad mortem usque comitaberis? Iam discis, Domini tui passionem ae-
mulos habere, pares non habere; et si maximè posses, mori cum ipso pro omni-
bus moriente, non esset mori. Disce interim, et superbi à te, quam nihil hoc sit
quod jactamus, quam laboret magnitudo humana, quam vanae sint vires morta-
lium absque illius ope, qui sine tuâ potest omnia. Stat itaque pontifex generis hu-
70 mani ante pontificem Caipham, à cujus socero Annâ jam venerat, iturus mox ad
Pilatum, ab illo ad Herodem, ab hoc rursus ad Pilatum: ut testimonium [B2v] in-
nocentiae, quod postea coelum, sol et terra reddet, nunc etiam et alii et ipsa ju-
dicum multitudo vel invitis extorqueat. Iudam delicti conscientiâ furentem totus
mundus non capit; agnoscit se plus quam magistrum prodidisse, reddit emptori-
75 bus pretium perfidiae, laqueo sceleris sui eventum praevertit, et damnatum spi-
ritum cum intestinis effundit. Vxor Pilati somnio solicitata maritum ab injustâ
damnatione dehortatur. Ipse Pontius inspicit querelam, sentit leges insontem
absolvere, invidiam accusare, et timens offensam plebis, optat etiam crimen dari

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 179

des Ringens zur äußersten Niedergeschlagenheit geführt und Blut schwitzend,


flieht er dennoch nicht vor dem Tod, wie sehr er ihn auch fürchtet. Dem Judas,
unterwiesen in Künsten, die er von ihm als Lehrer nicht gelernt hatte, und um-
geben von allen Seiten von Schwertern und Fackeln, läuft er entgegen; er heilt
das von Petrus abgehauene Ohr des Knechtes mit der Hand, die der Undank-
bare bald danach bindet; er überläßt sich sogar den Soldaten, die mehr zittern als
der Gefangene, und erträgt mit unübertrefflicher Geduld die Last der Fesseln.
Die Gefährten, die ihm gefolgt waren, werden zerstreut wie Schafe, welchen der
Hirte genommen ist; Johannes, der aus der heiligen Brust, auf welcher er beim
Abendmahl geruht hatte, unendliche Geheimnisse göttlicher Gnade empfangen
hatte, jener am meisten geliebte von allen, der Adler in den Wolken, kaum, daß er
nicht davonfliegt; der Stärkste unter den Aposteln, der zugleich mit ihm sterben
wollte, kann nicht einmal mehr mit ihm vor den Richter treten, Kälte hat sowohl
den Körper des Zitternden ergriffen als auch seinen Geist, er bleibt im Vorhof
stehen; mit dem Mund, durch den er nicht lange zuvor das Unterpfand seines
Heils empfangen hatte, verleugnet er das Heil der Welt und hält nicht einmal
stand vor einer Türhüterin, die gar nicht so scharf nachfragt. So, Petrus, wirst du
Christus, mit dem du vorher nicht zu wachen vermochtest, dessen Namen du
nun nicht einmal zu bekennen wagst, bis zum Tode begleiten? Schon lernst du,
daß das Leiden deines Herrn zwar Nacheiferer, aber keine Ebenbürtigen hat;
und wenn du bestenfalls mit jenem sterben könntest, der für alle stirbt, wäre das
immer noch kein Sterben. Lerne inzwischen – und die Hochmütigen von dir –,
wie nichtig das ist, was wir uns anmaßen, wie sehr sich die menschliche Kraft ab-
müht, wie vergeblich die Kräfte der Sterblichen ohne die Hilfe dessen sind, der
ohne die deinige alles vermag. So steht der Hohepriester des Menschenge-
schlechts vor dem Hohepriester Kaiphas, von dessen Schwiegervater Annas er
eben gekommen war, und wird bald auf dem Weg zu Pilatus sein, von jenem zu
Herodes, von diesem wieder zu Pilatus: damit das Zeugnis der Unschuld, das
später Himmel, Sonne und Erde ablegen werden, jetzt sogar sowohl die anderen
als auch die Menge der Richter selbst sogar den Unwilligen herauspresse. Den
im Bewußtsein seines Verbrechens rasenden Judas faßt die ganze Welt nicht
mehr; er erkennt, daß er sich selbst mehr als den Meister verraten hat, gibt den
Käufern den Preis seiner Treulosigkeit zurück, kommt dem Ausgang seines Ver-
brechens mit einem Strick zuvor und haucht den verdammten Geist mit den
Eingeweiden aus. Durch einen Traum in Unruhe versetzt, warnt die Frau des Pi-
latus ihren Ehemann vor dem ungerechten Urteil. Selbst Pontius prüft die An-
klage, befindet, daß die Gesetze den Schuldlosen freisprechen, daß ihn der Neid
anklage, und, aus Besorgnis vor der Ungnade der Menge, wünscht er sogar, daß
ihm ein Verbrechen angelastet werden könne: Er findet keines. Er versucht des-
halb zuerst alles übrige, bis er, besiegt von der Hartnäckigkeit der Lärmenden,

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180 SERMO DE PASSIONE DOMINI

posse: non invenit. Tentat itaque prius caetera omnia, donec tumultuantium per-
80 tinaciâ victus extrema etiam permittit. At scelestae factionis insaniâ quid pejus,
quid magis nefarium? quid tot vocibus improbis et vexationibus simile excogitari
potest? Omnem orationem, omnem sensum excedunt, quae demens populus
quasi timens ne quid relinquat, et ingeniosâ crudelitate comminiscitur, et audac-
ter perpetrat. Verissimum Dominum, veritatem ipsam, qui facinus nullum admisit,
85 in cujus ore non inventus est dolus, testimoniis premunt et mendaciis. Infimae sortis
lixa Domino coeli et terrae malas pulsat. Vilissimi mortalium, terrae filii, infelices
linguas convitio ejus exercent, oculos Solis justitiae velo petulanter obnubunt, fa-
ciem quam fluctûs maris reveriti sunt purgamentis oris immundissimi aspergunt,
vestem candidam, quasi ita coacti innocentiam agnoscerent, humeris injiciunt,
90 tacentem despiciunt, suggillant et irrident, Barrabam seditiosum et desperatissi-
mum latronem ac similem sui odio insontis insontem faciunt; nemo denique non
vapulantis injuriâ veluti cibo se replet. Pilatus etiam postquam saevientium mi-
nas nequicquam interpellasset, furere cum insanientibus cogitur, eumque, ne
quid crudelius eveniat, tractat crudelissimè. Caput, abyssum imperscrutabilis
95 sapientiae, spinis sauciat, flagris ex more suae gentis coeleste latus exhaurit,
artubus cruentis ejusdem coloris vestem per ludibrium applicat, si tam truci
spectaculo im-[B3r]placabilis rabiosorum iracundia detumescat. Ipse quasi agnus
mansuetus qui portatur ad lanienam, adversus insultûs canum ne loquitur quidem,
labascens corpus excelso, inconcusso et regali animo fulcit, ac patienter quicquid
100 nobis remisit excipit. Pontius itaque consumpto reliquarum omnium poenarum
argumento, vibicibus, sputo et sanguine sordentem palam oculis omnium osten-
tat, et, Ecce, ait, homo. Quid ultra petitis, Iudaei, aut quid vultis? Quid sufficit iratis,
si hoc non sufficit? Ecce homo cujus à capillis usque ad ungues nulla pars cor-
poris ignominiâ vacua est. Formae decus coma sanguine est concreta, frons spi-
105 narum cicatricibus scissa, facies sputi vestigiis inquinata, terga notis flagellorum
variegata, labra colaphis tumentia, manûs vinculorum sulcis luridae, pedes mar-
cidi aegrè subsistunt, totum denique corpus unum est vulnus. Si populi scelera
solus perpetrasset, satiari possetis poenâ quam videtis. Ecce iterum, ecce rex ve-
ster, Hebraei, Ecce homo, inquit. Sed his etiam apud obcoecatas coelesti disposi-

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 181

sogar das Äußerste bewilligt. Aber was ist schlimmer als das Rasen der verbre-
cherischen Rotte, was gottloser? Was kann man sich so vielen schurkischen
Stimmen und Belästigungen Vergleichbares ausdenken? Jede Rede, jeden Ge-
danken übersteigt, was das verblendete Volk gleichsam aus Furcht, vielleicht
etwas auszulassen, sowohl an einfallsreicher Grausamkeit erfindet als auch
unverzagt ausführt. Den wahrhaftigsten Herrn, die Wahrheit selbst, obgleich er
kein Unrecht zuließ, kein Trug in seinem Munde gefunden wurde, bedrängen sie mit Zeu-
genaussagen und Lügen. Ein Gerichtsdiener untersten Ranges schlägt dem
Herrn des Himmels und der Erde auf die Wangen. Die Geringsten unter den
Sterblichen, Söhne der Erde, gebrauchen ihre unglückseligen Zungen zu seiner
Schelte, verhüllen frech mit einem Tuch die Augen der Sonne der Gerechtigkeit,
bespritzen das Gesicht, welches die Fluten des Meeres verehrten, mit den Aus-
würfen des schmutzigsten Mundes, werfen ihm ein weißes Kleid, gleich als ob sie
so genötigt seine Unschuld anerkennten, um die Schultern, verschmähen, ver-
höhnen und verlachen den Schweigenden, machen den aufrührerischen und ver-
worfensten Räuber Barrabas, der ihnen ähnlich ist, aus Haß auf den Unschuldi-
gen zum Unschuldigen; und es gibt mit einem Wort keinen, der sich nicht an der
Beleidigung des Gezüchtigten wie an einer Speise erquickt. Nachdem Pilatus bis
jetzt vergeblich gegen die Drohungen der Rasenden Einspruch erhoben hat,
wird er gezwungen, mit den Tobenden zu wüten, und behandelt ihn grausamst,
damit nicht noch Grausameres geschehe. Das Haupt, den Abgrund unerforsch-
licher Weisheit, läßt er mit Dornen verwunden, nach Sitte seines Volkes die
himmlische Seite bis zur Erschöpfung geißeln, auf die blutigen Gliedmaßen zum
Scherz ein Gewand der selben Farbe legen, wie wenn durch das wilde Schauspiel
der unerbittliche Zorneseifer der Tollwütigen sich legen könnte. Er selbst aber,
wie ein sanftes Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, erwidert nichts auf die Be-
schimpfungen der Hunde, hält den wankenden Körper durch seinen erhabenen,
unerschütterten und königlichen Geist aufrecht und nimmt geduldig auf sich,
was auch immer er uns erlassen hat. Daher führt Pontius, nachdem das Mittel al-
ler übrigen Strafen aufgebraucht ist, den von Striemen, Speichel und Blut Be-
fleckten öffentlich vor allen Augen vor und sagt: „Ecce homo. Was verlangt ihr noch,
Juden, oder was wollt ihr? Was genügt den Erzürnten, wenn das nicht genügt?
Seht, hier ist ein Mensch, bei dem keine Stelle des Körpers von Kopf bis Fuß von
Schimpf frei ist. Die Zierde der Erscheinung, das Haar, starrt vor Blut, die Stirn
ist zerrissen von den Narben der Dornen, das Gesicht besudelt von den Spuren
des Speichels, der Rücken schillert von den Merkmalen der Geißeln, die Lippen
sind geschwollen von Faustschlägen, die Hände fahl von den Einschnitten der
Fesseln, die entkräfteten Füße halten ihn nur mit Mühe, ja der ganze Körper ist
eine einzige Wunde. Wenn er allein die Verbrechen eines Volkes begangen hätte,
könntet ihr euch mit der Strafe begnügen, die ihr hier seht. Hier, so nochmals,

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182 SERMO DE PASSIONE DOMINI

110 tione mentes nihil proficit. Perseverat furor, saeviunt proceres cum plebe, et ut
cruci vix adhuc spirans affigatur instant. Tot convitiis defatigatus aquam Roma-
nus poscit, manus abluit quia mentem non potest, tantaque rabie postulatum
regem servili supplicio tradit. Nulla ergò fit mora. Ferale lignum, quod ipsi ne
attingere quidem volebant, patientissimus Isaacus subit, victoriae signum ut
115 victorem decet humeris imponit, et crucem à quâ mox feretur, fert ipse. Ne verò
in viâ pereat, Simonem rure venientem urbanorum factio ponderi cogit succe-
dere, et attritum corpus in spem majoris saevitiae paulisper sublevare. Vincit tan-
dem durum iter redemptor generis humani, et crucis onere, ac totâ irae aeterni
Patris mole pressus dirum Golgothae jugum ascendit. Solum sanie, ossibus, cra-
120 niis ac putridis scelestorum reliquiis sordet, et cadaverum numerus languentes
gressus vix admittit. Vt sic in areâ damnatorum trophaea absolutorum erigantur:
ut ostendatur ipsum non pro Adae [B3v] solum, sed totius mundi peccato mori.
Acetum quoque hyssopo permixtum sitienti porrigunt, ut illud Prophetae fidem
inveniat: Dederunt in cibo meo fel, cum sitirem potarunt me aceto. Quod ore vix dignatur:
125 sed invictâ ac infatigabili fortitudine luctam aggreditur. Perforantur pedes, rum-
puntur venae, diducuntur brachia, manûs affiguntur, et maledicto ligno factus pro
nobis maledictus erigitur. Specta nunc, anima mea, specta truculentissimam totius
mundi tragoediam, eleva oculos, et relictis terrestrium quisquiliis tota in hunc ac-
tum cujus tu quoque non leve argumentum es, veni: intuere crucem ad quam unus-
130 quisque nostrûm suos quoque clavos adjecit. Ecce qui coelos inequitat, auxiliator
tuus, et in magnificentiâ suâ nubes: qui mensus est volâ suâ aquas, et coelos palmo aestimavit:
qui comprehendit tribus digitis pulverem terrae, et appendit montes in staterâ, et colles in
bilance: qui altitudines coelorum aequat, qui profundior est inferis: qui ascendit super coelum
coeli, ad orientem. Ecce scala Paradisi, quae Iacobo somnianti apparuit. Per quem
135 claudi ibant, ejus pedes sunt perfossi, per quem surdi audiebant, ejus aures mille
ludibriis sunt contaminatae, per quem coeci videbant, ejus oculi guttis à fronte
manantibus caligant, qui totidem panibus totidem millia hominum paverat, qui
mulierculae aquam petenti vitae aquam dederat, felle potatur et aceto, per quem
mortui vivebant, ille jam morietur. Quid ultra faciendum erat vineae meae, clamat in
140 cruce relictus ab hominibus, et propter homines à Deo, quod non fecerim ei? Factus
sum in derisum omni populo, canticum eorum totâ die. Replevit me amaritudinibus, inebriavit
me absynthio, et fregit ad numerum dentes meos, cibavit me cinere. Quam corporis mei
partem à tormentis immunem videtis? Caput spinis, manûs et pedes clavis, facies
colaphis et sputo, caetera omnia flagrorum vibicibus vulnerata sunt. Quis sensus
145 corporis mei doloris est expers? An tactus? at flagrorum ictûs et clavos sentio.

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 183

Hebräer, hier ist euer König, Ecce homo,“ sagt er. Aber selbst damit erreicht er
nichts bei den durch himmlische Bestimmung verstockten Gemütern. Die Ra-
serei hält an, es toben die Vornehmen mit dem Pöbel und drängen, daß der
kaum mehr Atmende ans Kreuz geschlagen werde. Der von so viel Geschrei er-
mattete Römer verlangt nach Wasser, reinigt sich die Hände, weil er das Gemüt
nicht reinigen kann, und übergibt den von solcher Tollwut verlangten König
der Hinrichtung wie ein Sklave. Da gibt es kein Zögern mehr. Das todbringende
Holz, das sie selbst nicht einmal anrühren wollten, lädt der überaus geduldige
Isaak auf sich, das Zeichen des Sieges setzt er sich, wie es einem Sieger gebührt,
auf die Schultern und trägt selbst das Kreuz, von dem er bald getragen wird.
Damit er aber nicht schon auf dem Weg zugrunde gehe, zwingt die Rotte der
Städter den vom Land kommenden Simon, die Last auf sich zu nehmen und so
dem aufgeriebenen Körper in Erwartung einer größeren Grausamkeit ein we-
nig Erleichterung zu gönnen. Endlich überwindet der Erlöser des Menschen-
geschlechts den harten Weg und steigt, niedergedrückt durch die Last des Kreu-
zes und durch die Schwere des Zorns des ewigen Vaters, den grauenvollen
Abhang von Golgotha hinauf. Der Boden ist bedeckt von Eiterjauche, Kno-
chen, Schädeln und verwesenden Resten der Hingerichteten, und die Zahl der
Kadaver läßt den erschlaffenden Schritten kaum Platz. Damit so auf dem Feld
der Verurteilten das Siegeszeichen der Erlösten errichtet werde: daß gezeigt
werde, daß er nicht allein wegen derjenigen Adams, sondern wegen der Sünde
der ganzen Welt stirbt. Essig vermischt mit etwas bitterem Ysop reichen sie dem
Dürstenden, damit sich jener Ausspruch des Propheten erfülle: Sie gaben Galle in
meine Speise, in meinem Durste Essig zum Trank. Er berührt das kaum mit dem
Mund, sondern tritt mit unbezwungener und unermüdlicher Tapferkeit den
Kampf an. Die Füße werden durchbohrt, die Adern aufgerissen, die Arme weit
ausgestreckt, die Hände angenagelt, und auf dem verfluchten Holz wird aufge-
richtet, der für uns zum Fluche ward. Betrachte nun, o meine Seele, betrachte das
furchtbarste Trauerspiel der ganzen Welt, hebe die Augen und komm, nachdem
du die Eitelkeiten des Irdischen verlassen hast, ganz zu diesem Geschehen, bei
dem auch du kein unwichtiger Gegenstand bist: Betrachte das Kreuz, zu dem ein
jeder von uns auch seine Nägel hinzugefügt hat. Schau auf den, der auf den Him-
meln reitet, dein Helfer, und in seiner Herrlichkeit auf den Wolken: der mit seiner hohlen
Hand die Wasser gemessen und mit seiner flachen Hand die Himmel geschätzt hat: der den
Staub der Erden mit drei Fingern umschließt und die Berge auf der Waage und die Hügel auf
den Waagschalen abwiegt: der die Höhen der Himmel erreicht, der tiefer ist als die Unterwelt:
der hinaufsteigt über den Himmel des Himmels, gegen Aufgang. Schaue die Paradiesleiter,
die Jakob im Traum erschien. Der, durch den die Lahmen gingen, dessen Füße
sind durchbohrt, der, durch den die Tauben hörten, dessen Ohren sind durch
tausend Spottworte beschmutzt, durch den die Blinden sehend wurden, dessen

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184 SERMO DE PASSIONE DOMINI

An gustus? at felle et aceto me potaverunt. An olfactus? At in foetidissimo cada-


verum et craniorum ole-[B4r]to pendeo. An auditus? at probra blasphemantium
et irridentium percipio. An visus? at matrem meam cum charissimo discipulo-
rum lachrymari video et lugere. Quid est in quo homo pati potest cujus ad me
150 pars non pervenit? Amici? illi me deseruerunt. Fama? convitiis et calumniis lace-
rata est. Honor? ludibrio fui omnibus. Facultates? et vestibus spoliatus sum. Cor-
pus? sanguinem pluo. Animus? tristitia et moeror circumdedit me. Tali sermone
Christus omnem populum suum affatur, non Hierosolymitanos tantum. Ad quo-
rum urbem sine causâ non patitur. Praedictum enim erat à Davide: Deus rex noster
155 ante saecula operatus est salutem in medio terrae. Nihil hîc fit temerè. Arbori affixus est:
ut quicquid in eâ Adam perdiderat, rursum inveniat. Pendet sub coelo: Oportet ex-
altari filium hominis; ut et aërem sanctificet qui sanctificabat terram in quâ vivebat.
Hac dextra illac sinistra expansa est: ista species extremi judicii imago est. Crux
est in quâ pendet: non minus cathedra est, non minus et tribunal. Inter scelestos
160 positus est: ut unum servet; qui ex reo martyr fit, et dolores, tanquam in alieno
corpore pateretur, constanter suffert. Iuvenis adhuc patitur: eò magis dilectio-
nem suam nobis commendat, cujus in ipsâ morte expressa videmus signa. Falsus
reus veros absolvit, et pro iis etiam intercedit; Mariae propè crucem stanti pectus
quod Christum tulerat lachrymae invadunt, et gemitûs suspiriis suffocati ani-
165 mam paenè submovent. Incerta est quà oculos vertat. In terram respicit? res-

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 185

Augen sind blind durch die von der Stirn rinnenden Tropfen, er, der mit ebenso
vielen Broten ebenso viele tausend Menschen versorgt hatte, der einer um Was-
ser bittenden Dirne das Wasser des Lebens gegeben hatte, wird mit Galle und
Essig getränkt, durch den die Toten ins Leben zurückkehrten, jener wird nun
selbst sterben. „Was sollte ich für meinen Weinberg weiter tun“, ruft der am Kreuz
von den Menschen und wegen der Menschen von Gott Verlassene, „das ich ihm
nicht getan hätte? Zum Gelächter ward ich meinem ganzen Volk, zu ihrem Spottlied alle
Tage. Mit bittrer Kost hat er mich gesättigt, mich getränkt mit Wermut und meine Zähne der
Reihe nach zerbrochen, mich mit Staub genährt. Welchen Teil meines Körpers seht ihr
unberührt von Martern? Das Haupt ist von den Dornen, die Hände und Füße
von den Nägeln, das Gesicht von Faustschlägen und Speichel, alles Übrige von
den Striemen der Geißeln wund. Welcher Sinn meines Körpers ist frei von
Schmerz? Der Tastsinn? Aber ich spüre die Schläge der Geißeln und die Nägel.
Der Geschmackssinn? Aber Galle und Essig haben sie mir zu trinken gegeben.
Der Geruchssinn? Aber ich hänge im abscheulichsten Gestank der Kadaver
und Totenschädel. Das Gehör? Aber ich vernehme die Schmähungen der Got-
teslästerer und Spötter. Das Sehen? Aber meine Mutter sehe ich mit dem lieb-
sten meiner Jünger weinen und trauern. Worüber kann ein Mensch Leid emp-
finden, woran nicht auch ich Anteil habe? Freunde? Jene haben mich verlassen.
Ein guter Ruf ? Er ist von Lästerungen und Verleumdungen zertrümmert.
Ehre? Ich bin allen zum Gegenstand des Gespötts geworden. Besitz? Sogar der
Kleider bin ich beraubt. Der Leib? Es regnet Blut aus mir. Der Geist? Traurig-
keit und Betrübnis hat mich umgeben.“ Mit solcher Rede spricht Christus zu
seinem ganzen Volk, nicht nur zu den Einwohnern von Jerusalem, vor deren
Stadt er nicht grundlos leidet. Denn durch David war vorhergesagt worden: Gott,
unser König von Anbeginn, wirkte das Heil in der Mitte der Erde. Nichts geschieht hier
ohne Grund. An einen Baum wurde er genagelt: Damit er wiederfinde, was
Adam daran verloren hatte. Er hängt unter freiem Himmel: Der Menschensohn muß
erhöht werden, daß er auch die Luft heilige, wie er die Erde heiligte, auf der er lebte.
Hierher ist die Rechte, dorthin die Linke ausgestreckt: Diese Gestalt ist ein Bild
des Jüngsten Gerichts. Ein Kreuz ist es, an dem er hängt: nicht weniger jedoch ist
es ein Predigt-, nicht weniger auch ein Richterstuhl. Unter die Verbrecher ist er
gestellt: Damit er einen rette, der vom Beschuldigten zum Märtyrer wird, und die
Schmerzen, wie wenn er sie in einem anderen Körper erleide, standhaft erträgt.
Als ein noch junger Mann leidet er: Damit er uns desto mehr seine Liebe er-
weise, deren Zeichen wir in diesem Tod selbst ausgedrückt sehen. Ein zu Un-
recht Angeklagter spricht die wahrhaft Schuldigen frei und tritt für sie ein; Maria,
die nahe dem Kreuz steht, wird die Brust, die Christus getragen hatte, nass von
Tränen, und die vom Stöhnen erstickten Seufzer rauben ihr beinahe den Atem.
Sie weiß nicht, wohin sie die Augen richten soll. Blickt sie zu Boden? Besprengt

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186 SERMO DE PASSIONE DOMINI

persa est suo sanguine. Sursum? videt laceros filii artûs quos pepererat. Crederes
ipso patiente tristiorem. Et hanc erigit, ac Iohannem in solatium viduitatis sibi
adoptat. Cruciario Paradisum promittit, et ne in ipsâ morte quidem otiosus est.
Donec tandem sanctissimam animam Patri commendans expirat. Cui spectaculo
170 neque Sol interesse potest, sed Iudaeis se negat; ut careant Sole qui datorem Solis
et stellarum injustè supprimunt, ut coeci fiant oculis, qui coeci sunt corde. Den-
sissimae itaque tenebrae [B4v] diem adimunt, omne coelum se aufert: sequi cu-
peret tellus quoque, nisi negaretur. Tremit ergò sedibus suis emota et subsultat:
rupes dissiliunt, gemunt colles, hiant petrae, velum templi scinditur, monimenta
175 defunctorum patent, ipsi egrediuntur, omnia denique creatorem suum fatentur.
Sic humanitate moriente fortior omnibus viventibus est divinitas. Pendet Chri-
stus in cruce, et commovet omnia: tremit in ligno, et universum orbem terrarum
concutit: moritur, et mortuos resuscitat. Dum templum quassat summum sacer-
dotem, dum velum frangit abrogatorem ceremoniarum, dum tonitrua emittit to-
180 tius mundi regem, dum sepulchra reserat dominum viventium et mortuorum se
ostendit. Relictus est à Deo, non separatus. Relictus; quia poena quam suffert
magna est, non culpa: caret enim omni culpâ. Quiescit ergò divinitas. Non sepa-
ratus; quia separari à Deo non potest qui Deus ipse est et unum cum Patre. Mo-
ritur ut homo, operatur ut Deus. Moritur in carne, non cum carne: nam ut Deus
185 major est omni carne. Verè anima corpus relinquit, verè moritur Christus, sed
non totus. Verbum enim quod in principio erat, quod apud Deum erat, quod
Deus erat, animae et corpori manet unitum. Sic etiam mortuus homo permanet:
vinculo personae, non confusione substantiae. Moritur humanitas, hoc indulget
divinitas. Nemo, inquit ipse, tollit animam meam à me, sed ego pono eam à me ipso. Pote-
190 statem habeo ponendi eam, et potestatem habeo rursus sumendi eam. Moritur, ideò homo;
moritur spontè, ideò Deus est. Vt Deus facit quod vult: nam Deus esse non
potest qui facit quod non vult, aut patitur quod alius vult. Vt homo facit quod

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 187

ist er von seinem Blut. Nach oben? Sie sieht die zerrissenen Glieder des Sohnes,
den sie geboren hatte. Man könnte sie für betrübter als den Leidenden selbst hal-
ten. Und dieser richtet sie auf und setzt ihr zum Trost der Einsamkeit Johannes
an seine Stelle als Kind ein. Einem Gekreuzigten verspricht er das Paradies, und
ist nicht einmal im Tod selbst müßig. Bis er endlich, seine allerheiligste Seele dem
Vater anvertrauend, verscheidet. Diesem Schauspiel vermag auch die Sonne
nicht beizuwohnen, sondern verweigert sich den Juden; damit jene die Sonne
entbehren sollen, die den Schöpfer von Sonne und Sternen unrechtmäßig um-
bringen, damit jene auch an den Augen blind werden sollen, welche im Herzen
blind sind. Dichteste Finsternis rafft deshalb den Tag hinweg, der ganze Himmel
entschwindet: Die Erde würde auch gerne folgen, wenn sie es nur könnte. Auf-
gewühlt zittert sie daher in ihren Grundfesten und bebt: Die Felsen bersten, die
Hügel stöhnen, die Steine klaffen auseinander, der Vorhang des Tempel zerreißt,
die Grabmäler der Verstorbenen stehen offen, die Toten schreiten heraus, alles
bekennt sich so zu seinem Schöpfer. So ist, wenn auch die menschliche Erschei-
nung stirbt, doch die Gottheit mächtiger als alle Lebendigen. Christus hängt am
Kreuz und bewegt alles; er zittert am Holz und erschüttert den ganzen Erdkreis;
er stirbt und erweckt die Toten. Indem er den Tempel erschüttert, zeigt er sich
als der Hohepriester, indem er den Vorhang spaltet, als der Überwinder der Ze-
remonien, indem er den Donner ausstößt, als König der ganzen Welt, indem er
die Gräber aufschließt, als Herr der Lebenden und der Toten. Verlassen ist er
von Gott, aber nicht getrennt. Verlassen, weil die Strafe, die er erduldet, groß ist,
nicht die Schuld: Denn er ist ohne jegliche Schuld. Deshalb ruht seine Göttlich-
keit. Nicht getrennt, weil von Gott nicht getrennt werden kann, der Gott selbst
ist und eins mit dem Vater. Er stirbt als Mensch und wirkt als Gott. Er stirbt im
Fleisch, aber nicht mit dem Fleisch, denn als Gott ist er größer als alles Fleisch.
Wahrhaftig verläßt die Seele den Körper, wahrhaftig stirbt Christus, aber nicht
zur Gänze. Das Wort nämlich, das am Anfang war, das bei Gott war, das Gott
war, bleibt vereint mit Seele und Leib. Selbst als Toter bleibt er so ein Mensch:
durch das Band der Person, nicht durch die Vermengung des Wesens. Es stirbt
die menschliche Erscheinung, das läßt die Gottheit zu. „Niemand,“ sagt er selbst,
„nimmt meine Seele von mir, sondern ich gebe sie von mir selber. Ich habe die Vollmacht, diese
hinzugeben, und ich habe die Vollmacht, sie wieder zu nehmen.“ Er stirbt, insofern er
Mensch ist; er stirbt aus freiem Willen, insofern er Gott ist. Als Gott tut er, was
er will: Denn Gott kann nicht sein, wer tut, was er nicht will, oder erleidet, was
ein anderer will. Als Mensch tut er, was Gott will. Ich möchte darüber hinaus sa-
gen: Auch Gott stirbt, aber nicht die Gottheit: weil der, der stirbt, Gott und
Mensch ist. Gott vom Vater ohne Mutter, Mensch von der Mutter ohne Vater.
Vom Vater der Anfang des Lebens, von der Mutter das Ende des Todes. Vom
Vater ein anderer, von der Mutter ein anderer: durch die Unterscheidung des We-

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188 SERMO DE PASSIONE DOMINI

Deus vult. Plura dicam: Moritur et Deus, sed non divinitas: quia moritur qui
Deus et homo est. Deus de Patre sine matre, homo de matre sine patre. De patre
195 principium vitae, de matre finis mortis. De Patre alius, de matre alius: per discre-
tionem substantiae, non per unitatem personae. De patre Deus, de matre homo:
de patre et matre unus [C1r] Christus, una persona. Sicut enim in Trinitate tres
sunt personae in unâ naturâ: ita in Christo duae sunt naturae in unâ personâ. Di-
vinitas apud humanitatem, ut pati possit: humanitas apud divinitatem, ut resur-
200 gere possit. Ambo unus, ambo in uno, ambo idem. Hic est, ô Iudaei, quem con-
tumeliis, verberibus, malis omnibus affecistis, quem protervè occidistis. Verbum
aeterni Patris: qui ab initio vobiscum locutus est, et suavissimâ voce suâ ubique
vobis adfuit. Qui primis parentibus Diabolo jam promissis ex infinitâ misericor-
diâ seipsum promisit. Qui totam Ecclesiam uni arcae inclusam inter medios irati
205 maris fluctûs reservavit. Qui salutare illud foedus cum Noâ pepigit, quod confir-
mavit Abrahamo patri credentium, quod probavit patri benedictionis Isaaco,
quod in Iacobo patre vestro, et patre gentium Esau, cujus surculus loco vestri insertus
est, manifestè ostendit. Hic est, ô Iudaei, cujus adventûs signum unusquisque ve-
strûm corpori suo incisum circumtulit, qui flumina suspendit ut transiretis, liber-
210 tatis vestrae ex durissimâ servitute assertor, perpetuus itineris per solitudines et
deserta comes, petra cujus aquam bibistis, panis qui de coelo lapsus vos enutrivit.
Hic est qui judices vobis constituit et reges, qui filium Isai coronavit, qui post
longam captivitatis Babylonicae miseriam vos manumisit, qui Esdrae ac Nehe-
miae consilio sacra vestra et urbem restauravit, qui eximiis pulcherrimae
215 Estherae dotibus nutantem rempublicam fulcivit; cujus praesentiam suspiriis et
precibus noctu diuque indesinenter flagitastis. Venit tandem, assumpsit carnem
in ventre virginis, qui regnat ab aeterno in sinu patris: factus est quod vos estis
qui est quod Deus est. In propria venit, neque recipistis eum. Accepistis ab eo omnia,
et omnia ipsi denegastis. Sanavit vos, vulnerastis ipsum. Sustulit jugum legis,
220 contra leges ipsum sustulistis. Via est, et non secuti estis. Veritas est, et mendaciis
eum suppressistis. Vita est, et vitâ ipsum spoliastis. Factus est vobis in lapidem offen-
sionis et petram scandali. Caeterùm conversio-[C1v]nem animorum et rerum om-
nium post mortem vide. Astant cruci cum centurione milites, homines armis in-

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 189

sens, nicht durch die Einheit der Person. Vom Vater Gott, von der Mutter
Mensch: von Vater und Mutter ein einziger Christus, eine Person. Denn so wie in
der Dreifaltigkeit drei Personen in einer Natur sind, so sind in Christus zwei Na-
turen in einer Person: die Gottheit bei der Menschheit, damit sie leiden könne;
die Menschheit bei der Gottheit, damit sie auferstehen könne. Beide einer, beide
in einem, beide eines. Dieser ist es, o Juden, den ihr mit Schmähungen, Schlägen
und allem Übel behandelt, den ihr schamlos umgebracht habt. Das Wort des
ewigen Vaters, der von Anbeginn mit euch geredet hat und mit seiner mildesten
Stimme überall bei euch war. Der den ersten Eltern, die schon dem Teufel ver-
sprochen waren, aus unendlichem Mitleid sich selbst versprochen hat. Der die
gesamte, in einem einzigen Kasten eingeschlossene Kirche mitten in den Fluten
des tobenden Meeres bewahrt hat. Der jenen heiligen Bund mit Noah geschlos-
sen hat, den er mit Abraham, dem Vater der Glaubenden, bestätigt, den er mit
Isaak, dem Vater des Segens, erwiesen, den er an eurem Vater Jakob, und Esau,
dem Vater der Völker, dessen Zweig an eurer Stelle aufgepfropft wurde, deutlich gezeigt
hat. Dieser ist es, o Juden, von dessen Ankunft jedweder von euch das Zeichen in
seinem Körper eingeschnitten herumgetragen hat, der die Flüsse aufgehalten
hat, damit ihr hindurchschreiten konntet, der Wahrer eurer Freiheit aus härtester
Knechtschaft, der ständige Wegbegleiter durch Einöden und Wüsten, der Stein,
dessen Wasser ihr getrunken, das Brot, das, vom Himmel gefallen, euch genährt
hat. Dieser ist es, der euch Richter und Könige eingesetzt hat, der den Sohn Isais
gekrönt, der euch nach dem langen Elend der Babylonischen Gefangenschaft
die Freiheit geschenkt hat, der mit Hilfe von Esra und Nehemia eure Heiligtümer
und die Stadt wieder errichtet, der mit den außergewöhnlichen Gaben der wun-
derschönen Esther den wankenden Staat gestützt hat; dessen Gegenwart ihr mit
Seufzen und Beten Nacht und Tag unaufhörlich herbeigerufen habt. Endlich ist
er gekommen und hat im Leib der Jungfrau Fleisch angenommen, der seit ewig
im Schoß des Vaters regiert: Der ist geworden, was ihr seid, der ist, was Gott ist.
Er kam in sein Eigentum, und ihr habt ihn nicht aufgenommen. Ihr habt von ihm alles
empfangen und habt ihm selbst alles versagt. Er hat euch geheilt, und ihr habt
ihn verwundet. Er hat das Joch des Gesetzes beseitigt, und gegen die Gesetze
habt ihr ihn beseitigt. Er ist der Weg, und ihr seid diesem nicht gefolgt. Er ist die
Wahrheit, und ihr habt ihn mit Lügen unterdrückt. Er ist das Leben, und ihr habt
ihn selbst des Lebens beraubt. Er ist euch geworden der Stein des Anstoßes und der Fels
des Ärgernisses. Nun aber schaue die Verwandlung der Gemüter und aller Dinge
nach seinem Tod. Es stehen bei dem Kreuz Soldaten mit ihrem Hauptmann,
in den Waffen geschulte und nur schwer zu ändernde Männer, und, was noch
schwerer wiegt, in bezug auf die jüdische Religion vielleicht völlig unerfahren.
Sie sehen den Himmel trauern, die Erde beben, Steine bersten, ja die ganze Na-
tur, wie wenn sie in das alte Chaos zurückkehrte, unter einer schrecklichen Er-

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190 SERMO DE PASSIONE DOMINI

nutriti, flecti difficiles, et quod magis est, religionis Iudaicae prorsus fortassis
225 ignari. Vident coelum tristari, terram tremere, petras frangi, totam denique na-
turam, velut in antiquum chaos rediret, horrendo impetu collidi. Audiunt elatio-
rem morientis vocem quam alterius viventis. Agnoscunt inique occisum esse
cum quo Sol etiam occidisset. Parcunt itaque mortuo qui vivo non pepercerant.
Nisi quod unus eorum lanceâ divinum latus pertemtat. Cujus ipsa protervitate ad
230 salutem nostram Deus utitur. Ex hoc enim vulnere fons vitae emanat. Iudaei par-
tim moesti partim attoniti, quaquà se vertunt: flagitii sui accusatores inveniunt.
Pars urbem ad mactandum agnum (vilem hostiam post mactatum Salvatorem
mundi) petunt: hîc inter mortuos ambulant. Pars ad templum ruit: hîc ruptum ta-
petem et prodita sacrorum arcana inveniunt; non obscurum desolationis suae ar-
235 gumentum. Nobilis senator Iosephus; timidus ante et animo fractus, sumit con-
fidentiam corpusque defuncti petit. Nicodemus qui Christum convenire vix
noctu ausus fuerat, palam eum sepulturae nunc mandat. Imbecillior sexus, ne
nihil non mutetur, paenè ipsis viris apparet fortior. Praesentes speculatae erant
omnia, decedentis clamorem exceperant; jam ad conditorium sequuntur, ac
240 praeclarum devotionis et constantiae exemplum praebent; aromata etiam ac un-
guenta religiosâ liberalitate mercantur: Impendio sumptuum exiguo magno pie-
tatis lucro: Longè illis beatiores, quae pro myrrhâ et aloë, hoc est, poenitentiâ et
conversione, totos censûs luxuriae suae instrumentis lancinant; pro bonâ famâ,
vero castitatis unguento, medicamentis venenatam cutem inficiunt; pro sindone,
245 hoc est, mente purâ quâ Iesum suum involvere debebant, vestium elegantiam,
quae vermium operâ et fiunt et pereunt, ostentant. Sepelitur itaque Christus: ut
mortis veritas constet. In horto: ut locus perditionis fiat locus salutis. [C2r] In
alieno conditorio: quia pro alienâ morte mortuus est. In recenti: ut doceamur,
nos quoque per mortem ejus innovari. Lapis ostio sepulchri advolvitur, nos
250 etiam praeter Iesum nihil in animum admittamus. Corpus putredine non cor-
rumpitur: sic virtutis divinae praestantia declaratur. Caro in terrâ, anima in coelo,
divinitas utrobique est. Porrò qui patientiam Christi et tolerantiam in passione
cum horrore et admiratione aspeximus, nunc in resurrectione fortitudinem ejus-
dem longè maximam nullo verborum conatu exprimere valemus. Qui non ape-
255 ruit os suum et ut ovis ad mactationem ductus est, omnipotenti dexterâ vincula
sepulchri frangit, et amplissimè triumphat. Evasit Diabolum: est enim semen
mulieris quod caput serpentis conterere debebat. Evasit mortem: est enim vita
per quam vivimus. Evasit vigiles: sic qui venerant ut resurrectionem impedirent,

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 191

schütterung zusammenstürzen. Sie hören die Stimme des Sterbenden, gewalti-


ger als die eines Lebenden. Sie erkennen, daß derjenige ungerecht getötet wurde,
mit dem auch die Sonne unterging. Diejenigen, die den Lebenden nicht geschont
hatten, schonen deshalb den Toten, außer daß einer von ihnen die göttliche Seite
mit einer Lanze durchstößt. Doch selbst dessen Schamlosigkeit gebraucht Gott
zu unserem Heil. Denn aus dieser Wunde strömt die Quelle des Lebens. Die
Juden sind teils betrübt, teils erschüttert, wohin sie sich auch wenden, finden sie
Ankläger ihrer Schandtat. Ein Teil eilt zur Stadt, um das Lamm zu schlachten
(ein geringes Sühneopfer, nachdem sie den Heiland der Welt geschlachtet): Hier
wandeln sie unter Toten. Ein Teil stürzt zum Tempel: Hier finden sie den Vor-
hang zerrissen und die Geheimnisse der Heiligtümer zum Vorschein gekommen:
ein allzu deutliches Zeichen ihrer Verödung. Der edle Ratsherr Josephus, der
vorher so zaghaft und unbeherzt war, faßt Mut und bittet um den Körper des
Verstorbenen. Nicodemus, der es kaum gewagt hatte, bei Nacht zu Christus zu
kommen, bestattet ihn nun öffentlich. Das schwache Geschlecht – damit nichts
unverändert bleibe – scheint förmlich stärker als die Männer. Mit eigenen Augen
hatten sie alles gesehen, sie hatten den Schrei des Sterbenden vernommen; jetzt
folgen sie zum Grab und geben ein glänzendes Beispiel der Ergebenheit und
Standhaftigkeit; sie kaufen sogar Gewürze und Salben mit frommer Großzügig-
keit; mit geringem Aufwand der Kosten für einen großen Gewinn an Frömmig-
keit. Weit seliger sind sie als jene, die anstatt für Myrrhe und Aloe, das heißt
Buße und Bekehrung, ihr ganzes Vermögen für Werkzeuge ihrer Üppigkeit ver-
schwenden; die anstatt guten Rufes, der wahren Salbe der Keuschheit, Schminke
auf ihre vergiftete Haut schmieren; die anstatt eines Baumwolltuches, das heißt
des reinen Geistes, in welchen sie ihren Jesus einhüllen sollten, eine Pracht der
Kleider zur Schau tragen, die das Werk von Würmern hervorbringt und zerstört.
Christus wird also begraben: Auf daß die Wahrheit des Todes feststehe. In einem
Garten: Auf daß der Ort des Verderbens der Ort des Heils werde. Im Grab eines
andern: Weil er ja für den Tod anderer gestorben ist. Noch frisch: Auf daß wir
lernen, daß auch wir durch seinen Tod erneuert werden. Ein Stein wird vor den
Eingang des Grabes gewälzt, so wie auch wir außer Jesus nichts in unseren Geist
Einlaß gewähren sollen. Der Körper wird nicht von Verwesung zerstört: So
manifestiert sich die Überlegenheit der göttlichen Tugend. Das Fleisch ist in der
Erde, die Seele im Himmel, die Gottheit in beiden. Ferner, die wir die Geduld
Christi und seine Beständigkeit im Leid mit Schrecken und Bewunderung be-
trachtet haben, vermögen nun mit keiner sprachlichen Anstrengung seine alles
übersteigende Stärke in der Auferstehung auszudrücken. Er, der seinen Mund
nicht auftat und wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt wurde, zerbricht mit der
allmächtigen Rechten die Ketten des Grabes und triumphiert schrankenlos.
Er ist dem Teufel entronnen: Denn er ist der Same des Weibes, der das Haupt der

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192 SERMO DE PASSIONE DOMINI

eandem coguntur fateri. Salve leo de tribu Iudâ, Salve victor invictissime, Salve
260 primitiae dormientium, Salve salus nostra, qui discerpsisti chirographum quod
contra nos erat, qui potentiam inferorum, Diabolum ac mortem conculcasti, et
pedibus tuis omnia subjecisti, Spes nostra, et caput credentium. Cuius membra
quod et nos ex singulari misericordiâ esse voluisti, gratias agimus tibi, ô Iesu,
quascunque humanae cogitationes possunt suscipere et rogamus, Spiritu sancto
265 tuo, sine quo nihil possumus, mentes nostras velis illustrare, ut acerbissimam
passionem tuam et gloriosam resurrectionem intimo cum ardore contemplemur,
ut pati tecum discamus pariter, et à morte peccati resurgere. Trahe nos post te.
Accende in cordibus nostris ignem amoris tui, et concede nobis oculos fidei, ut,
depositâ inutili humanae eruditionis opinione, quaeramus te ubi inveniris, neque
270 coecae rationi nimium fidamus. Da ut relictis vitae ineptiis vulneribus tuis nos
insinuemus, et sanguine tuo pretiosissimo pascamur. Caeterum quandoquidem
infelici hoc saeculo hostes veritatis nutantem religionis cymbam omnibus modis
petunt, et [C2v] nihil linquunt inausum, da ut propter nominis tui gloriam sublimi
animo insultibus eorum resistamus. Exere fortem manum tuam, erue nos afflic-
275 tos, et vindica qui tantâ protervitate genti tuae insidiantur. Confunde rabiosas
maledicorum linguas, quorum virulentia, proh dolor! eò prorupit, ut electam tibi
Ecclesiam sedem Antichristi, mitissimum tuum jugum jugum intolerabile jugum
Diaboli petulanter appellent. Retunde impia seditiosorum consilia, qui omnibus
modis hoc agunt, ut causam nostram et tuam mundo reddant exosam. Conserva
280 credentes, firma debiles, adduc errantes, et pacem post tantas calamitates redde.
Custodi piissimum Regem nostrum, et muneri quod ei dedisti adde perpetuita-
tem. Floreat inclyta domus Palatina. Vigeat charissima nostra Silesia. Ac quia
nunc optata veris amoenitas totum orbem quasi renovat, da ut nos etiam veteres
naevos exuamus, vitamque nostram seriâ castigatione renovemus. Et ne talen-
285 tum quod nobis credidisti aut otio defodiamus, aut in vetitos vel steriles usûs
convertamus, guberna actiones nostras et studia, ut ad laudem tuam, reipublicae
commodum, honorem patriae et salutem nostram unicè dirigantur. Denique
praesta, ut animae et corpora nostra, vasa gratiae et misericordiae tuae, casta et

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SERMO DE PASSIONE DOMINI 193

Schlange zertreten sollte. Er ist dem Tod entronnen: Denn er ist das Leben,
durch das wir leben. Er ist den Wächtern entronnen: Diejenigen, die gekommen
waren, die Auferstehung zu verhindern, müssen über sie berichten. Sei gegrüßt,
du Löwe aus dem Stamm Juda. Sei gegrüßt, du unüberwindlichster Sieger. Sei ge-
grüßt, du Erstling der Schlafenden. Sei gegrüßt, du unser Heil, der du zerrissen
hast die Handschrift, welche gegen uns war, der du die Macht der Unterwelt,
den Teufel und den Tod niedergetreten und deinen Füßen alles unterworfen
hast, du unsere Hoffnung und Haupt der Gläubigen. Dafür, daß du aus einzig-
artiger Barmherzigkeit wolltest, daß auch wir dessen Glieder seien, sagen wir dir
den Dank, o Jesus, welchen auch immer menschliche Gedanken erwägen kön-
nen, und bitten, daß du durch deinen heiligen Geist, ohne den wir nichts vermö-
gen, unsere Gemüter erleuchten mögest, damit wir dein so bitteres Leiden und
deine glorreiche Auferstehung mit innerer Inbrunst betrachten, damit wir ler-
nen, mit dir zu leiden und aus dem Tod der Sünde aufzuerstehen. Ziehe uns dir
nach. Entzünde in unseren Herzen das Feuer deiner Liebe und gib uns die Au-
gen des Glaubens, daß wir, nachdem wir unnütze Einbildung menschlicher Ge-
lehrsamkeit abgelegt haben, dich suchen, wo du zu finden bist, und der blinden
Vernunft nicht zu sehr trauen. Gib, daß wir, nachdem wir die Eitelkeiten des Le-
bens abgeworfen haben, in deine Wunden dringen und uns an deinem kostbar-
sten Blut laben. Da allerdings im übrigen in diesem unglücklichen Jahrhundert
die Feinde der Wahrheit mit allen Mitteln den schwankenden Nachen der Reli-
gion angreifen und nichts unversucht lassen, gib, daß wir wegen der Ehre deines
Namens mit erhabenem Geist ihren Schmähungen widerstehen. Strecke deine
starke Hand aus, reiße uns Betrübte heraus und bestrafe jene, welche mit der-
artiger Frechheit deinem Volk nachstellen. Verwirre die rasenden Zungen der
Schmähredner, deren Bösartigkeit – ach wehe! – so weit losgebrochen ist, daß sie
frech die dir erwählte Kirche den Sitz des Antichrist, dein sanftestes Joch ein un-
erträgliches Joch, ja ein Joch des Teufels nennen. Mache die gottlosen Absichten
der Aufrührer zunichte, die mit allen Mitteln darauf hinarbeiten, daß sie unser
und dein Anliegen der Welt verhaßt machen. Erhalte die Gläubigen, stärke die
Schwachen, führe herzu die Irrenden und gib uns nach so viel Unheil den Frie-
den wieder. Behüte unseren allerfrommsten König und füge dem Amt, das du
ihm gegeben, die Dauerhaftigkeit hinzu. Es blühe das ruhmreiche Haus von der
Pfalz. Es wachse unser vielgeliebtes Schlesien. Und weil nun die ersehnte Lieb-
lichkeit des Frühlings den ganzen Erdkreis gleichsam erneuert, gib, daß wir auch
unsere alten Fehler ablegen und unser Leben durch ernste Züchtigung erneuern.
Und damit wir das Talent, mit dem du uns ausgestattet, weder durch Müßiggang
vergraben noch durch unredlichen oder fruchtlosen Gebrauch veruntreuen,
lenke unsere Handlungen und Bestrebungen, damit sie auf dein Lob, den Vorteil
des Staates, die Ehre des Vaterlandes und unser Heil allein gerichtet werden. Ge-

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194 EVCHARISTIA

incorrupta conserventur: donec tu eâdem istâ carne nostrâ, quae ad dexteram


290 patris supra coelos coelorum sublata est, redibis, et nos cum omnibus electis ex
misero hoc curarum et mortalitatis theatro transferes in coeleste domicilium; qui
cum Patre et Spiritu sancto es et eras, et eris in Saecula. Amen.

[C3r] EVCHARISTIA.

QVid ingemiscis mole delicti gravis,


Quid ingemiscis anime mi? quid innatas
Suspiriis et ipse succumbis tibi?
Quò decidisti? quo profundo te trahis?
5 Emerge turpi corporis foedi luto,
Emerge rursum, emerge, luctum reprime:
Si nulla poenitentiae clausa est via,
Iterque nullum. Semper imminet polus
Sibi imminenti, et occupat veras preces.
10 Quid anime pendes teque in incerto tenes?
Quid saeve renuis lachrymis pacem tuis?
De te triumpha, praelium tecum gere:
Relinque tenebras carceris tristes tui,
Relinque mundum, escende sedes coelitum
15 Alis fidelitatis et sanctae spei.
Nullo premeris onere coeli regiae
Impositus arci. Nil supra fertur polum,
Nil infra Avernum. Quisquis Orci transfuga
Potitur aetheris domo, nihil timet
20 Nil sperat ultra: vota terminum suum
Tunc attigere. Mens bonâ rediens fide
Ad se Deumque supprimit quod senserat
Onus malorum: haec sola quamlibet prius
Adulterata, virginis rursum decus
25 Titulumque sustinebit; et dando quoque
Quam nos petendo tardior non est Deus.
Erumpe saltem, et ad Deum atque te redi.

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EVCHARISTIA 195

währe uns letzlich, daß unsere Seelen und Körper, die Gefäße deiner Gnade und
Barmherzigkeit, keusch und unverfälscht erhalten bleiben, bis du in ebendiesem
unseren Fleisch, das zur Rechten des Vaters über die Himmel der Himmel erho-
ben ist, wiederkommen wirst und uns mit allen Erwählten von diesem erbärm-
lichen Schauplatz der Sorgen und der Sterblichkeit zur himmlischen Heimstatt
führen wirst, der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist bist und warst und
sein wirst in Ewigkeit. Amen.
[A.N.]

Eucharistie.

Was stöhnst du, meine Seele, unter schwerer Untat Last?


Was stöhnst du, meine Seele? Was verströmst du dich
In Seufzern? Und weswegen gibst du auf ? Wohin
Bist du gestürzt? Aus welcher Tiefe willst du auf ?
Tauch auf aus Schand’ und Dreck der schnöden Leiblichkeit!
Noch einmal: Tauche auf, tauch auf! Die Trauer weg!
Ein jeder Weg steht jedem offen, der bereut,
Ein jeder Steg. Der Himmel droht demjenigen,
Der ihm droht, immer, immer führt er echte Bitten aus.
Was schwankst du, Seele, unentschlossen hin und her?
Was lehnst du, Harte, Stillung deiner Tränen ab?
Kämpf mit dir selbst, besiege dich und triumphier!
Verlaß das trübe Dunkel deines Kerkers, laß
Die Welt zurück, erfliege dir den Himmelsort
Auf Flügeln treuen Glaubens, frommer Hoffnung auch.
Hast du des Himmels Königsburg erreicht, bedrückt
Dich keine Last mehr. Oberhalb des Himmels gibt
Es nichts, und nichts auch unterhalb der Hölle. Wer
Die Hölle flieht, das Himmelshaus erreicht, der muß
Nichts fürchten, muß nicht weiter hoffen: jeder Wunsch
Ist dann erfüllt. Die Seele kehrt vertrauensvoll
Zu sich und Gott zurück, verliert der Sünden Last,
Die sie bedrückte. Sie allein, sosehr sie auch
Zuvor geschändet war, gewinnt von neuem Rang
Und Namen einer Jungfrau; Gott ist ebenso
Geschwind bereit zu geben wie zu bitten wir.
Zumindest brich nun auf, zurück zu Gott und dir!

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196 EVCHARISTIA

Hac lege vives. Victima haud ulla amplior


Potest magisque opima mactari Deo
30 Quam mens fidelis. Omnis in fide est salus.
Beatus ille qui procul mortalibus
Fide quiescit unicâ, et terrestrium
Pertaesus ad frugem redit, nec in scelus
[C3v] De scelere fertur, et recens semper nefas.
35 Quid inquietas conscientiae meae
Sufflas favillas, ô tyranna mentium
Misella vita? quid cupis? quid vis tibi?
Cloaca foedae impuritatis, hospita
Furoris et lasciviae, crux pectorum,
40 Abyssus impotentiae, libidinum
Illex et officina, Seiren impia,
Ludusque vanitatis, et fomes mali,
Hilarisque poena, gaudiumque noxium,
Caduca vita. Exeste peccati luto
45 Polluta putri lingua, polluti pedes,
Oculi, manusque, corque tot scelerum capax,
Exeste nobis: unicâ Christus sui
Guttâ cruoris omne crimen eluet,
Omnes reatûs, meque restituet sibi.
50 Accipite vestrum gens dicata Numini
Summo sodalem: jungo me vestro gregi.
Eamus omnes, quotquot aeternae sumus
Salutis avidi, quotquot ardor hic rapit.
Eamus omnes: nullus hîc ordo statûs,
55 Nullusque censûs, nullus aetatis gradus.
Quicunque propius ad Deum accedit fide,
Sit imperator omnium. Placet Deo
Ambitio talis, atque cor vinci dolens
Pietatis eminentiâ et studio sui.
60 Abite, abite, qui odia, caedes, funera
Palam fovetis, qui malum struitis malo,
Ruat vel in vos, dummodò in vestros ruat.
Abite, abite, linquite innocuum gregem,
Quicunque inerti vela Cocyto datis,
65 Mergique festinatis, et probra omnia
Scelusque succendens sibi furentibus
Protrahitis ausis, et libidini impiae

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EVCHARISTIA 197

Mit der Bedingung wirst du leben. Größere


Und fettre Opfer kann man Gott nicht geben als
Den gläubigen Sinn. Im Glauben liegt das ganze Heil.
Glückselig der, der ferne von den Sterblichen
Im einzigen Glauben ruht und aus dem Überdruß
Am Irdischen sich bessert, sich nicht fallen läßt
Von Untat zu Verbrechen, immer neuem Greuel.
Was fachst du im Gewissen mir die Aschen stets,
Die nicht erlöschen, an, Despot der Seele du,
Armselig Leben? Und was willst du überhaupt?
Du Spülicht schlimmen Schmutzes, Wohnung für den Wahn,
Für Wut und Geilheit, Qual für jedes Menschen Herz,
Du Abgrund aller Unbeherrschtheit, Falle du
Und Werkstatt aller Lust, Sirene ohne Scham
Und Schule leeren Lebens, Zunder aller Schuld,
Vergnügte Strafe, Frohsinn voller Schädlichkeit,
Gebrechlichs Leben! Fort mit euch, vom faulen Dreck
Der Sünden tief entweihte Zung’, entweihter Fuß
Und Hand und Auge, Herz, so vieler Frevel voll,
Fallt ab von mir! Mit einem Tropfen seines Bluts
Spült Christus jeden Vorwurf, jede Schuld von mir
Hinunter, nimmt mich wieder als sein Eigentum.
Ihr Scharen, die ihr Gott, dem Höchsten, dienet, nehmt
Als Mitglied mich dazu, ich schließe mich euch an.
O laßt uns alle gehen, alle, die das Heil
Für immer wünschen, die ein solches Feuer faßt,
O laßt uns alle gehn! Denn dort gibt’s Stufung nicht
Nach Stand noch Reichtum oder Altersunterschied.
Wer Gott am nächsten nahekommt im Glauben, der
Mag allen anderen befehlen. Gott gefällt
Ein solcher Streit, ein Herz, das nicht erträgt, besiegt
Zu sein im Grad der Liebe und im Drang zu ihm.
Geht weg, geht weg, die ihr das Hassen, Schlachten, Mord
Ganz offen fördert, Untat häuft auf Untat, was
Am besten euch, zumindest eure Leute treff ’.
Geht weg, geht weg und laßt die brave Schar in Ruh,
Die ihr zum schleichenden Cocytus Segel setzt
Und eilt zu sinken, jede vorwerfbare Tat
Und jeden Frevel – einer folgt dem andern – übt
In toller Frechheit, eure Geilheit ohne Scham

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198 EVCHARISTIA

[C4r] Litatis et turpi stupro: hoc ipsum unicae


Pignus salutis, ni reatuum piget,
70 Vos judicabit, et flagellis impetet,
Vestramque conscientiam. At tu fons boni,
Origo pacis et salutis conditor,
Maxime sacerdos, pastor, agnus, victima,
Stabulum ostiumque, servus et dominus simul,
75 Iudex et advocatus, omnia omnibus;
O cordium lux alma, servo mî tuo
Latus cruentum pande, pande vulnerum
Dulces receßûs; recipe me totum tuum,
Marcentis umbram pectoris sancti excita
80 Flammâ vigoris, flagrat incensum siti
Cor, atque gestit te frui: da sanguinem
Tuum atque corpus avidus ore flammeae
Fidei apprehendam, da salutarem cibum
Potumque veris aestimem virtutibus
85 Pretioque vero; ut ingerat fides mihi,
Infirma quicquid denegabunt lumina.
Benè est, abunde est, vota transcendi mea:
Nescio quei animus amplius solito tumens
Mortalitatis excidit metâ suae,
90 Et ultra Olympi subvehit se sidera.
Terrestre pignus non capit solidam fidem:
Plus tendito ultra, mens mea, et Christum inveni
Vbi invenitur, sentio in coelo, tuum.
Confunde gaudio metum: quem amas cole,
95 Verere quem optas; pasce te Domino tuo.
Salus salutis, alma lux, quae cordium
Tristes tenebras discutit, lux gentium
Indulget ultrò seque concedit tibi.
O dulce pignus, ô stupenda munera,
100 Quae das fidelibus tuis, amor Patris,
Amorque mundi: ô mysticum convivium.
[C4v] Non panis es tu, Christe, non vinum quoque:
Tu panis es salubris, et tu mentium
Salubre vinum, tu fidem satias meam.
105 O spes quieta, turris et rupes mea,
Amice verae charitatis, dux, via
Et vita nostra, pignore hoc et munere

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EVCHARISTIA 199

Und schlimme Hurerei betreibt: Er, der Garant


Des einzigen Heils, sagt euch und eurem Schuldgefühl,
Sofern ihr eure Sünden nicht bereut, den Spruch
Des Urteils, geht auf euch mit Geißeln los. Doch du,
Des Guten Quell, des Friedens Ursprung und des Heils
Begründer, höchster Priester, Opfer, Lamm und Hirt
Und Unterstand und Eingang, Sklav’ und Herr zugleich,
Richter und Anwalt, du, der allen alles ist,
Belebend Licht der Herzen, öffne deinem Sklaven, mir,
Eröffne deine blutige Seite, öffne mir
Die süßen Tiefen deiner Wunden, nimm mich ganz
In dich. Fach meiner matten Seele Dunkelheit
Mit Feuer heiliger Stärke an; es brennt mein Herz
Vor Durst und will dich kosten; gib mir deinen Leib,
Dein Blut, ich will sie mit dem Mund der Glaubensglut
Begierig fassen, gib mir Speis und Trank des Heils –
Ich will nach ihrer wahren Kraft, nach wahrem Wert
Sie würdigen –, daß mir der Glaube einverleibt,
Was von den schwachen Augen mir geleugnet wird.
Ich bin zufrieden überaus, und mehr als ich
Gewünscht, besitz’ ich. Irgendwie gerät mir, mehr
Als sonst gefüllt, die Seele aus dem Ring der ihr
Gemäßen Sterblichkeit und zieht noch weiter hoch,
Als die Gestirne reichen. Irdisch Unterpfand
Erfaßt nicht ganz den Glauben: Meine Seele, zieh
Noch weiter, finde deinen Christus, wo er weilt,
Ich spür’s: im Himmel. Mische Furcht und Freud’, verehr
Und liebe, scheu und wünsch zugleich und weide dich
An deinem Herrn. O Heil des Heils, o holdes Licht,
Das unsrer Herzen trübe Nacht vertreibt! Das Licht
Der Heiden gibt dir willig nach und tritt vor dir
Zurück. O süßes Unterpfand, erstaunliches
Geschenk, das du den dir Getreuen gibst. Geliebt
Vom Vater, von der Welt! Geheimnisvolles Mahl!
Nicht Brot bist du, o Christus, bist auch nicht der Wein:
Du bist das Brot des Heils, der Seelen Wein des Heils
Bist du, bist der, der meinen Glauben stillen kann.
O ruhevolle Hoffnung! Turm und Fels für mich!
Du Freund der wahren Liebe, unser Führer, Weg
Und Leben, nähr mit diesem Pfande und Geschenk

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200 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

Animas tuorum pasce, firma debiles,


Coecutientes excita, reduc vagos,
110 Confunde linguas hostium, gentis tuae
Solare rellictum gregem: donec polo
Iuncti sciemus cuncta quae fides modò
Scit sola, magnâ parte claudicans sui;
Et intuebimur palam in Nato Patrem,
115 In Patre Natum, utroque sanctum Spiritum.

***
ORATIO
AD
SERENISSIMVM
AC POTENTIS -
SIMVM PRIN -
CIPEM
FRIDERICVM
REGEM BO -
HEMIAE .

Auctore
MARTINO OPITIO
SILESIO.

Typis G OTTHARDI
V OEGELINI .

[A2r] ORATIO AD FRIDERICVM


REGEM B OHEMIAE.

Q VAMVIS, Rex Serenissime, speratus iste tuus in haec regna ingressus publicâ et
totius orbis Christiani laetitiâ celebrari meretur: tamen nos potissimum, quos
tam clementer in sinum tuum recepisti, absque summo scelere tacere non posse
arbitramur. Neque credo, ullum inter nos tam desperatae naturae, tam aversum à
5 studio pacis, tam infensum saluti patriae esse, qui optatam electionem tuam ipsi

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 201

Die Seelen deiner Treuen, stärk die Schwachen, mach


Den Blinzelnden die Augen auf, die Schweifenden
Geleite heim, verstör der Feinde Zungen, gib
Der hinterlaßnen Herde deines Volkes Trost,
Bis wir, dem Himmel eingegliedert, alles das
Erfahr’n, was jetzt nur – stark gelähmter! – Glaube weiß,
Und frei im Sohn den Vater anschaun, frei den Sohn
Im Vater, frei in beiden ihren Heiligen Geist.
[G.B.]

***
Rede
an den
allergnädigsten
und großmächtigsten
Fürsten
Friedrich,
König von Böhmen.

Verfaßt von
Martin Opitz
aus Schlesien.

Gedruckt bei Gotthard Vögelin.

Rede an Friedrich,
König von Böhmen.

Obwohl, durchlauchtigster König, dein erhoffter Einzug in diese Königreiche es


verdiente, in öffentlicher Freude von der gesamten Christenheit gefeiert zu wer-
den, meinen wir dennoch, daß gerade wir, die du so sanftmütig in deinen Armen
aufgenommen hast, nicht ohne größte Schande schweigen können. Ich glaube
auch nicht, daß einer unter uns von so verzweifelter Natur ist, so sehr gegen den
Eifer für den Frieden, so feindlich gegen das Wohlergehen des Vaterlandes, daß er
deine überaus glückliche Wahl nicht dem Himmel selbst zuschreiben und dieses
Werk Gottes nicht mit dankbarem Geist erkennen würde. Es schienen allerdings

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202 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

coelo non imputet, et opus hoc D EI gratâ mente agnoscat. Videbantur quidem te
eximiae virtutes tuae, suffragia maximae Imperii partis, tot regum ac principum
amicitiae, et fatalis quaedam harum regionum erga te inclinatio ad fastigium hoc
ducere: deplorandi tamen statûs nostri conditione moti, teipsum quoque tam in-
10 vidiosum honorem detrectaturum non pauci existimabant. Nunc supremus ille
arbiter, qui corda regum in manu habet, inclinatum aliàs ad clementiam animum
tuum direxit, et tibi quidem nos affli-[A2v]ctos pupillos, nobis verò te tutorem ac
parentem asscivit: quo an illustrior vnquam fuerit, nescio; digniorem certè secu-
lum hoc non invenit. Sive enim antiquissimam familiam tuam, sive vitam specte-
15 mus; illius splendorem omnes historiae, omnia annalium monumenta loquuntur:
tantas autem virtutes Deus immortalis in te congessit, ut nisi tam regale genus
ortum tuum vendicaret, iis solis sceptra aequare posses et imperia. Commendat
aliquem humanitas; majestas destituit et gravitas: ille insignis est pace; at sagum
minus decenter gestat: alius integritatem quam foris probat, in umbrâ voluptatis
20 confodit. Nemo denique existit vspiam, cujus moribus vestigium aliquod naevi
non sit impressum. In te quod culpent, liberè loquor, ipsi hostes non inveniunt.

Omnis vitae tuae ambitus, R EX , speculum innocentiae est; ac facilius dixerim


quid tota sit virtus, quam quid tua. Pietatis laudem nemo tibi detrahat nisi impius:
quae sola invictam aliàs mentem tuam vicit, quâque tantum ultrà reliquos princi-
25 pes conspicuus es, quantum illa ultrà omnes alias virtutes. Religionis amor, sine
quo nemo unquam ma-[A3r]gnus fuit, cum ipsa haereditate ad te transiit: cujus
vindicatio proprium familiae vestrae opus, cuius arx et sedes eadem quae vestra
Haidelberga est; celeberrima Academia, tam quod te, quam quod illam fovit.
Quid de prudentiâ, imperatrice humanarum actionum, dicam, quâ captum anno-
30 rum supergrederis? Quis te rectius praesentia ordinat, futura providet, anteacta
recordatur? Quis ad evitandas fraudes cautior? Quis in consiliis circumspectior?
Vitae spatio nondum aequas viros; superas tamen senes judicio. AEtate sensim
ut nos proficis; at festinas virtute. AEvi immaturus es, at maturus imperio. Ex-
cusavit hactenus, R EX Prudentissime, infirmitatem sapientiae annorum paucitas:
35 nunc praeter augustam indolem tuam, in quam nihil mediocre cadit, quid adoles-
centiam defendet? Quàm difficile est in hac aetate suam capere fortunam! Cepi-

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 203

deine außerordentlichen Tugenden, der Beifall des größten Teils des Reiches, die
Freundschaft so vieler Könige und Fürsten und jene vom Schicksal bestimmte,
auf dich gerichtete Neigung dieser Gegenden dich in diese Höhe zu führen. Den-
noch meinten nicht wenige, angesichts des bejammernswerten Zustands unserer
Lage, du selbst würdest dich der beneidenswerten Ehre entziehen. Nun hat jener
oberste Richter, der die Herzen der Könige in der Hand hält, dein auch ansonsten
zur Milde neigendes Gemüt gelenkt und hat dir uns als überaus gepeinigte Wai-
sen, uns aber dich als Beschützer und Vater beschieden. Ob jemals ein Berühm-
terer gewesen, weiß ich nicht, einen Würdigeren findet dieses Jahrhundert sicher-
lich nicht. Denn ob wir auf deine altehrwürdige Familie schauen oder auf dein
Leben, alle Geschichtswerke und alle Zeugnisse der Annalen reden von deren
Glanz. So große Tugenden hat der unsterbliche Gott aber in dir vereinigt, daß,
auch wenn nicht ein so königliches Geschlecht deine Herkunft für sich beanspru-
chen würde, du durch sie allein Szepter und Herrschaft aufwiegen könntest. Den
einen empfiehlt die Menschlichkeit, Majestät und Würde fehlen. Jener ist herrlich
in Friedenszeiten, den Kriegsmantel trägt er weniger gut. Der andere begräbt die
Redlichkeit, die er in der Öffentlichkeit lobt, im Schatten der Wollust. Nirgendwo
gibt es einen, in dessen Charakter nicht die Spur eines Makels geprägt ist. In dir
aber, ich rede frei, finden selbst die Feinde nichts, was sie tadeln könnten.

Der gesamte Lauf deines Lebens, König, ist ein Spiegel der Unschuld, und leich-
ter könnte ich sagen, was Tugend insgesamt sei, als was die deinige ist. Das Lob
der Frömmigkeit nehme dir niemand als der Unfromme; Frömmigkeit allein be-
siegte deinen ansonsten unbesiegbaren Geist, und durch diese bist du so sehr vor
den anderen Herrschern ausgezeichnet, wie sie über allen anderen Tugenden
steht. Die Liebe zur Religion, ohne die noch nie ein Mensch edel gewesen ist, ist
mit dem Erbe selbst auf dich gekommen: Deren Verteidigung ist das charakteri-
stische Werk eurer Familie, deren Festung und Sitz identisch mit eurem Heidel-
berg ist, nämlich die hochberühmte Akademie, weil sie dich ebenso wie diese be-
günstigt. Was soll ich über die Klugheit sagen, die Herrscherin über menschliche
Taten, durch welche du die Fähigkeiten deines Alters überschreitest? Wer ordnet
besser als du die Gegenwart, sieht die Zukunft voraus und erinnert an das Ver-
gangene? Wer ist vorsichtiger, Unheil zu vermeiden? Wer ist umsichtiger in den
Beratungen? Was dein Alter anbelangt, erreichst du noch nicht die Männer,
durch deine Urteilskraft übertriffst du dennoch die Alten. In deinem Alter rückst
du, wie wir, langsam voran, aber du eilst hinsichtlich deiner Tugend. An Jahren
bist du unreif, für die Herrschaft aber bist du reif. Bislang, klügster König, hat der
Mangel an Jahren die Unsicherheit der Weisheit entschuldigt: was wird nun, au-
ßer deiner erhabenen Begabung, in die nichts Mittelmäßiges fällt, die Jugend ver-
teidigen? Wie schwierig ist es, in diesem Alter sein Schicksal zu ergreifen. Den-

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204 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

sti tamen, et hujus rei tantò majus documentum nuper edidisti, quanto majus est
oblatum imperium deprecari, quam denegatum invadere. Nunc postquam rece-
peris, quid dubitamus, eadem moderatione te defensurum quâ recusasti? Tam
40 sublime ingenium dissimile sibi esse non potest. Sed [A3v] humanitas tua, Deus
bone, quàm ex ipsis oculis tuis elucet! Alter Trajanus es; nemo à vultu tuo discedit
tristior: nemo qui justitiam tuam sentit, queritur de saevitiâ. Imò alter Augustus
es, quem dare poenas apparebat cum exigeret. Nihil, Princeps indulgentissime,
fortunae tuae obtigit laudabilius, quam quod possis; nihil naturae, quam quod velis;
45 servare plurimos. Perge, R EX , mereri pulcherrimam coronam O B C IVES S ERVA-
TOS. Macte hac gloriâ, quae quò in regiâ domo rarior, eò in tuâ erit eminentior.
Desidero novum nomen, quo tam inusitatam modestiam majestatis tuae expri-
mam. Quam facilis ad te unicuique aditus, quam laetus recessus! Accedunt ad
principem, inveniunt patrem; et cum querelas fidenter apud te deponant, finem
50 quisque sermoni non ex tuo fastidio facit, sed ex suo pudore. Tam mira comitas,
tam civile tuum ingenium est, ut etiam invitos tibi devincias. Vultus ipse augustâ
hilaritate conspicuus quàm insolitam mansuetudinem promittit! Nec lenitas au-
thoritati, nec severitas amori officit. Nihil in te superbum, nihil insolens. Omnis
tuus status, incessus, motus, amabilis est. Et animos spectatorum et oculos [A4r]
55 recreas. O modestum regem, ô submissum principem! aut sublimem potius et fa-
stigium mortalitatis excedentem. Nunquam enim assurgis altius, quam cum sic te
deprimis. Quicquid grave est, in imo subsidit: inanis animus quavis aurâ se tollit.
Et haec quidem magna sunt omnia; non minora tamen, quibus ad ea pervenisti.
Admiranda dico vitae frugalitas, contemptus voluptatum, et divina praeter aeta-
60 tis ingenium temperantia. Ostendant alii libertatem potentiae peccandi licentiâ,
moveantur in adulteris amplexibus, transigant noctes libidine, dies helluationi-
bus: tu totus totus sobrietas es et continentia. Oportet itaque summas esse vir-
tutes, quae â tam puro et illimi fonte dimanarunt. Accedit his amor etiam studio-
rum et scientiae; quae quanti facias, tot literati circa te viri abundè testantur. Vt
65 praeteream illud sanctuarium eruditionis, Bibliothecam stupendae magnitudinis;
quam sustentasse non contentus, auges insuper novus Philadelphus et exornas.
Neque linguarum peritiam attingo; quas tu aliquot tam feliciter exprimis, ut una-

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 205

noch hast du es ergriffen und hast jüngst einen Beweis dafür erbracht, der so viel
größer ist, als es erhabener ist, die angebotene Herrschaft demütig abzulehnen,
als die verweigerte Herrschaft zu erobern. Jetzt, nachdem du sie angenommen
hast, was sollen wir zweifeln, daß du sie mit derselben Mäßigung verteidigen
wirst, mit der du sie zurückgewiesen hast? Solch erhabenes Wesen kann sich
nicht selber unähnlich sein. Aber deine Menschlichkeit – guter Gott –, wie sehr
leuchtet sie aus deinen Augen selbst hervor! Du bist ein zweiter Trajan, niemand
verläßt dein Angesicht trauriger, niemand, der deine Gerechtigkeit fühlt, klagt
über Grausamkeit. Ja, vielmehr bist du ein zweiter Augustus, der sich zu strafen
schien, wenn er Strafen forderte. Nichts Rühmenswerteres, gnädigster Fürst,
wurde deinem Schicksal zuteil, als daß du viele Menschen schützen kannst, und
nichts Rühmenswerteres wurde deinem Wesen zuteil, als daß du so viele schüt-
zen willst. Fahre fort, König, die herrlichste Krone für die Rettung der Bürger zu
verdienen. Gepriesen sie dein Ruhm, der, je seltener er in einem königlichen
Hause ist, um so strahlender in deinem sein wird. Mir fehlen die Worte, mit
denen ich die ungewöhnliche Mäßigung deiner Majestät ausdrücken kann. Wie
leicht ist es für jedermann, sich an dich zu wenden, wie fröhlich gestimmt verläßt
man dich. Sie nähern sich einem Fürsten und finden einen Vater, und wenn sie
ihre Klagen zuversichtlich bei dir abladen, beendet ein jeder seine Rede nicht auf-
grund deines Widerwillens, sondern aufgrund seiner eigenen Scheu. Deine Güte
ist so wunderbar, dein Wesen so zuvorkommend, daß du sogar die Widerstreben-
den dir verpflichtest. Welch ungewöhnliche Milde verspricht dein von erhabener
Heiterkeit kündendes Antlitz! Weder beeinträchtigt die Milde die Autorität noch
die Strenge die Liebe. Nichts an dir ist hochmütig, nichts unmäßig. Dein Stand,
dein Gang, deine Bewegung: alles ist liebenswert. Du erquickst sowohl die Ge-
müter als auch die Augen derer, die dich sehen: den so bescheidenen König, so
demütigen oder vielmehr so erhabenen Fürsten, der die Grenzen der Sterblich-
keit überschreitet. Niemals nämlich erhebst du dich höher, als wenn du dich so zu
uns herabläßt. Was immer gewichtig ist, senkt sich zu Boden, ein leerer Geist aber
erhebt sich durch jegliches Lüftchen. All dies ist in der Tat schon großartig, nicht
geringer jedoch, wodurch du dazu gelangt bist. Ich meine die bewundernswerte
Mäßigkeit deiner Lebensführung, die Abscheu vor Sinnesgenuß und die groß-
artige, über die Natur deiner Altersstufe hinausreichende Selbstbeherrschung.
Mögen andere die Freiheiten der Macht durch das Vorrecht zu sündigen bewei-
sen, durch ehebrecherische Umarmungen erregt werden, die Nächte mit Aus-
schweifungen verbringen, die Tage mit Völlerei: Du bist ganz und gar Nüchtern-
heit und Enthaltsamkeit. Es müssen deshalb die höchsten Tugenden sein, die
einer so reinen und klaren Quelle entspringen. Zu jenen gesellt sich auch deine
Liebe zu Studien und Wissenschaften; wie sehr du dich mit diesen beschäftigst,
bezeugen im Überfluß so viele gebildete Männer, die dich umgeben. Ganz zu

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206 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

quaeque tibi videatur nativa. Longè hic Alexandro felicior; qui cum tot populos
subegisset, vix unum intelli-[A4v]gebat. Et ista ex infinitâ virtutum tuarum serie
70 delibasse sufficiat: veram earum commendationem illis linquemus, quorum con-
fidentia et dicendi temeritas iisdem quibus aeterna laus tua limitibus terminatur;
quam, ut marmora desint et libri, intimis civium tuorum animis aureo charitatis
caelo insculpsisti.

His oculis vidimus, quam tristi laetitiâ abeuntem te senes et juvenes, viri pariter
75 ac foeminae prosequebantur: ita salus publica, et privata orbitas diversis affecti-
bus gaudium simul et moerorem committebant. Credidisses singulos suo pa-
rente privari. Nondum abieras, Princeps desideratissime, et reditum flagitaba-
mus. Ipse Nicer clementissimus fluviorum jam, qui olim Romanis, barbarus sibi
videbatur. Ipsa haec augusta sedes tua, haec templa, hae turres, moestâ quadam
80 specie Solem suum prosequebantur. Ne de hominibus dicam: quorum ingens
multitudo cum passim se effuderat, in vastâ solitudine deseri tamen se quisque
existimabat. Certatim suspiria erumpebant et lachrymae: corpore non adeò
multi; animo votisque, quia non licebat aliter, proficiscentem omnes comitaban-
tur. Quid conjux tua, haeres nominis et virtutum [B1r] ingentis illius Elizabethae?
85 Videbatur sibi Britanniâ denuò exire: hoc vno laeta, quod tecum. Quàm plus so-
lito lacteam faciem pictor genarum rubor infecerat! quàm violaverat pius imber
oculos clariores astris extra Lunam splendentibus! Valedicebant gemitus, quia
verba non sufficiebant. Tibi ipsi autem dubito majorne pietas moram an iter
suadebat. Relinquebas matrem, summam heroinam; superiorem sic tamen, quod
90 te genuit. Relinquebas liberos, hoc est, magnam cordis tui partem. Relinquebas
subditos, quorum vnusquisque et vivere optaret tecum et mori. Ibas à pace ad
bellum, à notis ad peregrinos, à pacatissimo Rheni littore ad manantem incola-
rum suorum sanguine Muldam, à vinetis et invidendae pulchritudinis horto ad
campos latrociniis cyclopum et suorum cadaveribus squallentes, ab arce amoe-
95 nissimâ ad vastam quidem, desolatam tamen et spoliatam quasi regiam. Infelix

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 207

schweigen von jenem Heiligtum der Bildung, die Bibliothek von unglaublicher
Größe, die du, nicht zufrieden damit, sie zu bewahren, als ein neuer Philadelphos
vergrößerst und reich ausstattest. Und auch deine Kenntnis der Sprachen be-
rühre ich nicht, von denen du einige so glücklich sprichst, daß eine jede dir Mut-
tersprache zu sein scheint. Hierin bist du weitaus glücklicher als Alexander, der,
obwohl er so viele Völker unterworfen hatte, kaum eines verstand. Es möge ge-
nügen, dies aus der unendlichen Reihe deiner guten Eigenschaften berührt zu ha-
ben; ihre wahre Lobpreisung werden wir jenen überlassen, deren Zuversicht und
Mut in der Rede von denselben Grenzen bestimmt wird wie dein ewiger Ruhm.
Diesen Ruhm, mögen auch Marmorstatuen und Bücher noch fehlen, hast du mit
dem goldenen Stichel der Liebe tief in die Herzen deiner Bürger eingegraben.

Mit unseren eigenen Augen haben wir gesehen, mit welch trauriger Freude dir,
dem Scheidenden, Alte wie Junge, Männer ebenso wie Frauen folgten. So fügten
öffentliches Wohlergehen und persönlicher Verlust mit gemischten Gefühlen
Freude und zugleich Trauer zusammen. Man hätte meinen können, ein jeder sei
seines Vaters beraubt. Du warst noch nicht gegangen, schmerzlich vermißter
Fürst, und wir erflehten deine Rückkehr. Selbst der Neckar, der lieblichste aller
Flüsse, schien schon, wie einst den Römern, sich selber öde. Selbst deine erhabene
Wohnstätte, diese Kirchen, diese Türme folgten ihrer Sonne mit trauriger Miene.
Ich will gar nicht von den Menschen sprechen, deren ungeheure Menge, während
sie allenthalben überströmte, glaubte, daß dennoch ein jeder in öder Einsamkeit
zurückgelassen werde. Um die Wette brachen Seufzer und Tränen hervor. Deine
Begleiter waren nicht sehr viele an der Zahl; doch im Geiste und mit Wünschen,
weil anders nicht möglich, gingen alle mit dem Scheidenden. Was war mit deiner
Gattin, der Erbin des Namens und der Tugenden jener außergewöhnlichen Elisa-
beth? Es schien ihr, daß sie Britannien von neuem verließe – allein deshalb mit
Freude, weil es mit dir war. Wie hatte ihr die Röte, Malerin der Wangen, mehr als
gewöhnlich das milchweiße Antlitz überzogen. Wie hatte ein frommer Tränen-
strom ihre Augen versehrt, die heller sind als die in mondloser Nacht leuchtenden
Sterne. Seufzer sagten Lebewohl, weil Worte nicht ausreichten. Bei dir selber aber
weiß ich nicht, ob dir größeres Pflichtbewußtsein zum Bleiben oder zur Reise riet.
Du hast die Mutter zurückgelassen, die größte Heldin – größer aber noch, weil sie
dich geboren hat. Du hast die Kinder zurückgelassen, das heißt, einen großen Teil
deines Herzens. Du hast die Untertanen zurückgelassen, von denen ein jeder sich
wünschte mit dir sowohl zu leben als auch zu sterben. Du gingst vom Frieden zum
Krieg, von den Bekannten zu Fremden, vom überaus friedlichen Ufer des Rheins
zur Moldau, die vom Blut ihrer Einwohner überläuft, von Weinbergen und einem
Garten von beneidenswerter Schönheit zu Feldern, die besudelt sind von den
Raubzügen der Zyklopen und den Leichen ihrer Spießgesellen, vom lieblichsten

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208 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

mutatio: nisi et regiae splendorem, et agris ver perpetuum, et Muldae tranquilli-


tatem, et peregrinis amicum, et militantibus pacem reduceres.

Venis itaque in hanc scenam, in tragoediam intricatissimam, verè deus è ma-


chinâ. [B1v] Vicit iter durum pietas: vicit amor nostri aspera Bohemiae juga, quibus
100 illam natura vallavit: vicit tua clementia loci inclementiam. Multò laetiore auspi-
cio, quàm cum olim fortissimus ducum Hannibal confusas coelo Alpium nubes
superaret. Illius enim aspectu tota Italia quasi fulmine quodam contremuit: tuo
sedatur tempestas, venti ponuntur, tranquilla fiunt omnia et serena. Ille militum
turmas adduxit, vt Romanos exscinderet: tu eosdem Comites habes vt nos ser-
105 ves. Ille gladios in Vrbem acuerat: tuo nutu inimicorum enses velut hebescunt.
Illi immane et juratum odium, tibi amor incredibilis viam aperuit. Ille natus ad
mortalium caedes, ad vastationem vrbium videbatur: tu bono reipublicae natus
es. Ille cum portis imminebat, metum excitabat et horrorem: te in tot Imperato-
rum ac regum sedem vel oculis ferre gestiunt. Illum pavidae matres, pueri,
110 virgines, foeminae virique fugiebant: tibi procedunt obviam. Illius praesentiam
planctu detestabantur et ejulationibus: tuam exultatione celebrant et laetitiâ. Vix
pares sunt gaudio, qui superfuerunt moerori. Credo etiam, si vllus rerum morta-
lium sen-[B2r]sus defunctis relinquitur, incredibili hilaritate perfundi; et operae-
pretium fecisse moriendo sibi omninò videri, beatos eorum manes, quotquot
115 hactenus libertati publicae cruore suo litaverunt.

O te regem, non hoc solum, sed totius orbis imperio dignum, dignum favore,
dignum admiratione etiam hostium! O te pium Principem, quem non felicitas
nostra et res secundae, sed ipsa fortunae atrocitas et impressa nobis vulnera ad
capessendum diadema solicitavit! O te felicem! non quia jam hostium furorem
120 totum superasti; sed quia felicitatem mereri omnibus videris. O faustum diem,
qui te et in lucem produxit, et regno huic primus destinavit: qui tanti herois
natalis, alter etiam noster natalis esse incipit: qui et tam augustum virtutis domi-
cilium edidit, et vniverso orbi Christiano consecravit! Salve Domine: Non enim

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 209

Schloß zu einer zwar gewaltigen, aber zerstörten und gleichsam ausgeraubten


Königsburg. Eine unglückliche Veränderung – wenn du nicht der Burg Glanz, den
Äckern ewigen Frühling, der Moldau Ruhe, den Fremden einen Freund und den
im Feld stehenden Soldaten Frieden brächtest.

So betrittst du diese Szene, diese vertrackte Tragödie, wahrlich wie ein Deus ex
Machina. Frömmigkeit siegte über die harte Reise: Deine Liebe zu uns siegte über die
rauhen Berge Böhmens, mit denen die Natur es verschanzte. Deine Sanftmut
siegte über die Schroffheit des Ortes – unter viel glücklicheren Vorzeichen, als
einstmals Hannibal, der tapferste der Feldherren, die mit dem Himmel ver-
schmelzenden Wolkenberge der Alpen überwand. Vor dessen Anblick nämlich
erzitterte einst ganz Italien wie vor einem Blitzschlag: Durch deinen Anblick
wird der Sturm beruhigt, werden die Winde zur Ruhe gebracht und alles wird
ruhig und heiter. Jener führte Haufen von Soldaten herbei, um die Römer zu
vernichten, du hast ebensolche Begleiter, um uns zu schützen. Jener hatte die
Schwerter gegen die Stadt Rom geschärft, die Schwerter der Feinde werden
gleichsam stumpf durch dein Kopfnicken. Ihm öffnete ungeheurer, geschwore-
ner Haß den Weg, dir unfaßbare Liebe. Jener schien geboren zu sein, Menschen
zu erschlagen und Städte zu verheeren, du bist zum Nutzen des Gemeinwesens
geboren. Als jener sich drohend den Toren näherte, erregte er Furcht und
Schrecken: Dich wünscht man sehnsüchtig selbst mit den Augen auf den Thron
so vieler Kaiser und Könige zu tragen. Vor jenem flohen ängstlich Mütter, Kna-
ben, Jungfrauen, Frauen und Männer, dir kommen sie freundlich entgegen.
Seine Gegenwart verfluchten sie durch lautes Wehklagen und Jammern, deine
feiern sie mit Ausgelassenheit und Freude. Kaum sind diejenigen ihrer Freude
gewachsen, die die Trauer überwunden haben. Ich glaube sogar, wenn irgend-
eine Empfindung irdischer Angelegenheiten den Toten übrigbleibt, daß die
glückseligen Seelen derer, die bislang mit ihrem Blut der allgemeinen Freiheit ge-
opfert haben, von unglaublicher Heiterkeit durchdrungen werden und meinen,
durch ihren Tod etwas ganz Wertvolles geleistet zu haben.

Nicht allein dieser Herrschaft bist du würdig, o König, sondern du bist würdig
der Herrschaft über den gesamten Erdkreis, würdig des Beifalls, würdig sogar
der Bewunderung der Feinde. O frommer Fürst, den nicht unser Erfolg und
glückliche Umstände, sondern die Grausamkeit des Schicksals selbst und die uns
zugefügten Wunden bewogen, die Krone zu ergreifen. O du Glücklicher, nicht
weil du schon den Zorn der Feinde gänzlich überwunden hast, sondern weil du
allen dein Glück zu verdienen scheinst. O glücklicher Tag, der dich ans Licht ge-
führt und als erster für diese Herrschaft ausersehen hat, der, als Geburtstag eines
so großen Helden, auch unser zweiter Geburtstag zu sein beginnt; der eine so er-

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210 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

rejecimus imperium, sed imperantem saevitiam. Parere possumus, tyrannidem


125 perferre non possumus. Serviemus tibi, vt liberi simus. Salve Rex, Salve Pater Pa-
triae, Salve delitiae generis humani. Pro te, illustre aevi decus, pro tuâ incolumi-
tate Vota susci-[B2v]pimus: nam te imperante de nostrâ sumus securi. Concedat
tibi Deus, vt manu tuâ nutantia reipublicae pondera fulciantur et restituantur; vt
compos fias voti quod tantopere Octavius olim expetebat, vt dicaris O PTIMI
130 S TATVS A VCTOR. Sera demum aetas vela regni tui contrahat, quae tam ferente
Zephyro Juvenis adhuc explicas. Auferas tecum aliquando moriens hanc spem,
mansura in vestigio suo fundamenta quae jeceris. Salve et tu Regina, filia Herois,
cujus laudes angustias seculi excedunt; qui profundam rerum scientiam inauditae
prorsus regnandi sapientiae junxit; qui Scotiae Angliam felici sidere adjecit. Salve
135 conjux ejus, qui nostras quoque regiones suis nunc sociat, aequali gloriâ, vtinam
et fortunâ. Salve par Dei hominumque consensu lectissimum. Salve Sol et Luna
nostra. Quàm suave civibus videre quem dominum, militibus quem ducem tanto
cum desiderio expectabant? Quàm jucundum, R EX , percipere divini oris tui vo-
ces illas? Susceptionem regni ab amore pacis esse non imperii; trahi te in has tur-
140 bas, minimè duci; modestiam recusantis ab of-[B3r]ferentium pertinacitate vic-
tam, securitatem publicam quieti tuae antevertisse: leve admodum populos
expetere, defendere non item: et penè melius esse imperium etiam jure tuum de-
serere, quàm novum sanguine civium occupare: Caeterum quando sine periculo
nec possideri jam Sceptrum, nec deseri possit, nostram sortem tuam esse: Itaque
145 te anniti velle, vt alium regem dum viveres non desiderare necesse sit.

Novimus, Princeps Sacratissime, novimus, invitè regnum te adiisse, quod invitè


relictum est: coacti etiam, non vltrò, qui tuam clementiam non ignorabamus,
imploravimus fortitudinem. Testamur Deum et homines; Compulsi arma sump-
simus, ad asserendam salutem patriae; libertatem etiam infimis gentium per-
150 missam; religionem denique, cui omnes aliae causae meritò postponuntur; cujus-

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 211

habene Wohnstätte der Tugenden hervorbrachte und diese dem gesamten


christlichen Erdkreis weihte. Sei gegrüßt, Herr: Wir haben nämlich nicht die
Herrschaft zurückgewiesen, sondern die herrschende Grausamkeit. Wir können
gehorchen, die Tyrannei ertragen können wir nicht. Wir werden dir dienen, um
frei zu sein. Sei gegrüßt, König, sei gegrüßt, Vater des Vaterlandes, sei gegrüßt,
Freude der Menschheit. Für dich, glänzende Zier des Zeitalters, für deine Unver-
sehrtheit beten wir, denn wenn du über uns herrschst, sind wir sicher. Möge
Gott dir zugestehen, daß unter deiner Hand das schwankende Gebäude des
Staates gestützt und wieder aufgerichtet werde, damit dir der Wunsch erfüllt
werde, den einstmals Octavius so sehr hegte, daß man sage: OPTIMI STATUS
AUCTOR – Errichter des besten Zustandes. Schließlich möge erst das hohe Al-
ter die Segel deiner Herrschaft zusammenraffen, die du nun in der Jugend bei
einem so günstigen Fahrtwind entfaltest. Sterbend sollst du einst die Hoffnung
mit dir nehmen, daß die Fundamente, die du gelegt hast, an ihrem Platz bleiben.
Sei auch du gegrüßt, Königin, Tochter eines Helden, dessen Ruhm die Enge des
Zeitalters übertrifft, der tiefe Kenntnisse mit einer ganz unerhörten Weisheit des
Herrschens verbunden hat und der unter einem günstigen Stern England an
Schottland fügte. Sei gegrüßt, Gattin desjenigen, der auch unsere Gegenden nun
den seinigen hinzufügt, mit gleichem Ruhm und hoffentlich mit gleichem Glück.
Sei gegrüßt, vortrefflichstes Paar, das ihr mit Zustimmung Gottes und der Men-
schen seid. Seid gegrüßt, unsere Sonne und unser Mond. Wie ergötzlich ist es für
die Bürger, den Herrn zu sehen, wie ergötzlich für die Soldaten, den Führer zu
sehen, den sie mit so großem Verlangen erwarteten! Wie angenehm, König, aus
deinem göttlichen Mund jene Worte zu hören: daß die Übernahme des König-
tums der Liebe zum Frieden entspringt, nicht der Liebe zur Herrschaft; daß du
in diese Auseinandersetzungen gezogen, keineswegs geführt wirst; daß die Be-
scheidenheit des Zurückweisenden von der Beharrlichkeit der Anbietenden be-
siegt wurde; daß du die allgemeine Sicherheit deiner Ruhe vorgezogen hast, daß
es ganz leicht ist, Völker zu begehren, jedoch nicht, sie zu verteidigen; und daß es
beinahe besser ist, ein Reich aufzugeben, das selbst durch das Gesetz dir zusteht,
als ein neues mit dem Blut der Bürger zu gewinnen; daß im übrigen, da ohne Ge-
fahr weder mehr das Szepter ergriffen noch abgelehnt werden kann, unser
Schicksal das deinige ist, und daß du dich deshalb darum bemühen willst, daß es
nicht notwendig ist, einen anderen König zu wünschen, solange du lebst.

Wir wissen, heiligster Fürst, wir wissen, daß du die Herrschaft unfreiwillig ange-
treten hast, weil sie unfreiwillig abgetreten wurde. Ebenso erflehten wir, die wir
deine Milde lange gut kannten, unter Zwang, nicht freiwillig, deine Tapferkeit.
Wir schwören bei Gott und den Menschen: Gezwungenermaßen haben wir die
Waffen ergriffen, das Wohlergehen des Vaterlandes zu schützen, die Freiheit, die

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212 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

que apud ipsos olim gentiles tam sacrum nomen erat, vt vastantibus Romam
Gallis Senonibus, L. Albunius è plebe homo, virgines Vestae nudo pede fugientia
sacra comitantes, depositis vxore et liberis, in plaustrum receperit. Adeò tum quo-
que in vltimis, religio publica privatis affectibus antecellebat. [B3v] Corpore attentari et
155 fortunis, grave; conscientiâ, intolerabile est. Libertatis verò hanc indolem vide-
mus, vt eam nemo bonus nisi cum animâ amittat. Sicuti feris postquam caveas
fregerunt, crescere vires solent et quasi duplicari: sic animositatem, cujus laudem
nemo vnquam nobis eripuit, dissimulare gens nostra non potuit diutius; acce-
dente ad odium crudelis erga nos consilii, desiderio conclamatae libertatis; quae
160 vt acquiratur, semper licitum est iis, quibus illa et naturâ innata, et privilegiorum
pondere confirmata, et juramenti sanctitate promissa est.

Scimus equidem, sufficere subditis laudem oboedientiae; bonos principes optan-


dos, caeteros si contingant ferendos esse. Verùm ista haudquaquam nos concer-
nunt. Non enim rebellandi animo, sed flagitatione extremae necessitatis; non pri-
165 vatâ conspiratione, sed vnanimi omnium consensu; non contemptu magistratûs,
sed provocatione infandae machinationis; arma post incredibilem patientiam
corripuimus: nec adversus Regem, sed dolos sanguinariorum, qui fidem non ser-
vandam esse, cujus damna [B4r] majora tamen sunt quàm quae aestimari possint,
palam prae se ferunt; qui perjuriis tempus fallunt, vt pueri astragalis. Scimus tan-
170 dem diffidere lugubribus exemplis moniti. Novimus quàm saevum fulmen ab
arce Tarpeâ mittatur; cujus Jupiter potestates et imperia obiter transcribit, et
oblectationis ergò animas damnat. Husso regni hujus civi quantum praesidii fue-
rit etiam in salvo conductu Caesaris, quis est qui nesciat? Lutherum non levior
tempestas deprehendisset Wormatiae, nisi et Imperator hanc maculam nomini
175 suo inuri noluisset, et Ludovicus majorum tuorum clementissimus repugnasset.

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 213

auch den geringsten unter den Völkern gestattet ist, und schließlich die Religion,
der zu Recht alle anderen Gründe hintangestellt werden und deren Name einst
sogar bei den Heiden so heilig war, daß L. Albinius, ein Mann aus dem Volk, als
die gallischen Senonen Rom verwüsteten, die vestalischen Jungfrauen, welche
barfuß die geweihten Gegenstände auf der Flucht begleiteten, in seinen Wagen
aufnahm, nachdem er Frau und Kinder abgesetzt hatte. So sehr pflegte damals, auch
bei den Geringsten, die öffentliche Religion die persönlichen Gefühle zu übertreffen. Am Kör-
per und an Gütern Schaden zu nehmen ist schwer zu ertragen, am Gewissen
Schaden zu nehmen ist unerträglich. Die Natur der Freiheit aber ist, wie wir se-
hen, tatsächlich so geartet, daß kein rechtschaffener Mann sie verlieren kann, es
sei denn zusammen mit seinem Leben. So wie bei wilden Tieren, nachdem sie den
Käfig zerbrochen haben, die Kräfte zu wachsen und sich gleichsam zu verdop-
peln pflegen, so konnte unser Volk den Mut nicht länger verbergen, dessen Ruhm
uns niemand jemals genommen hat.Und dabei kam zu dem Haß auf den gegen
uns gerichteten grausamen Beschluß die Sehnsucht nach der laut beklagten ver-
lorenen Freiheit, welche sich zu verschaffen jenen immer erlaubt ist, denen sie so-
wohl durch die Natur angeboren als auch durch das Gewicht der Gesetze bestä-
tigt und durch die Unverletzlichkeit der Rechtssatzungen zugesichert worden ist.

Wir wissen allerdings, daß den Untertanen der Ruhm des Gehorsams zusteht,
daß gute Fürsten wünschenswert sind, daß andere, wenn sie vom Schicksal be-
schieden sind, zu ertragen sind. Doch diese Dinge betreffen uns keineswegs.
Denn nicht aus dem Geist der Rebellion heraus, sondern aus der Forderung äu-
ßerster Notwendigkeit, nicht durch Verschwörung eines kleinen Kreises, son-
dern durch einträchtige Übereinstimmung aller, nicht aufgrund Geringschät-
zung der Obrigkeit, sondern wegen der Herausforderung durch unsägliche
Machenschaften haben wir nach schier unglaublicher Geduld die Waffen ergrif-
fen; nicht gegen den König, sondern gegen die Betrügereien blutrünstiger Mör-
der, die öffentlich zur Schau stellen, daß Versicherungen nicht einzuhalten sind,
wo deren Preisgabe doch größer ist, als man annehmen könnte, die mit Meinei-
den sich die Zeit vertreiben wie Jungen mit dem Würfelspiel. Wir haben schließ-
lich zu mißtrauen gelernt, durch traurige Beispiele gewarnt. Wir wissen, welch
gewaltiger Blitzschlag vom Tarpeischen Felsen geschickt wird; diese Macht und
Herrschaft überträgt Jupiter nebenbei und verdammt die Seelen zur eigenen Er-
götzung. Wer wüßte nicht, welch geringer Schutz Hus, einem Bürger dieses Kö-
nigreiches, sogar im vom Kaiser zugesagten freien Geleit zuteil wurde? Ein nicht
leichterer Sturm hätte Luther in Worms überrascht, wenn nicht sowohl der Kai-
ser nicht gewollt hätte, daß ein solcher Makel seinen Namen befleckte, als auch
Ludwig, dein überaus milder Vorfahr, Widerstand geleistet hätte.

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214 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

Non absimili multùm ludo nos includere volebant praeter caeteros ii, qui domi-
nos gentium sicâ et patritiis artibus invadunt; qui per sanguinem regum et parri-
cidia inclarescunt; qui scelere super omnia facinora horribili fulmen illud belli
Henricum Magnum, quem totius patriae moles incumbens non moverat, lanie-
180 nae temerarii nebulonis subjecerunt; qui socerum tuum, incomparabilem Britan-
niae Monarcham, flammis et sulfure parietibus regni illidere conati sunt; qui
[B4v] in caedibus ac latrociniis, animae salutem verti sibi et aliis persuaserunt; qui
trucidare inopes, insontes damnare, equuleo, igne, gladio tollere, vivos (parsimo-
nia scilicet humani sanguinis) sepelire, qui divina et humana confundere per lu-
185 sum et jocum solent. Hi in aulas magistratûs nostri penetraverant primò, deinde
in animum. Hi in omnibus consiliis sententias dirigebant: hi fraudes, dissimula-
tiones, perfidiam, sine quibus rectè neminem imperare docent, miscebant. Hi
laverniones decantatum illud V RE , S ECA , superioribus momentis omnibus insu-
surrabant. Horum mendaciis ac fallaciis, quasi praeclaris artibus, regebamur.
190 Accedebant Sejani aliquot, mali consultores: his ambitione et eminendi libidine
prurientibus, nullum genus perfidiae nimium erat. Itaque violata templa et obse-
rata; privilegiis vis illata; innocentes carceribus intrusi, variisque modis mulctati;
aditûs ad principes praeclusi; decreta divi Rodulphi elusa; aliter sentientium
quidam minis tentati, quidam dignitatibus aut praemiis depravati; ruptum fas
195 gentium; respublica velut diluvio inundata; et religio miris dolis turbata est. Nos
ro-[C1r]gare obtestari, flere, supplicando sine vllâ missione instare, et laborem
spe otii sustentare. Sed frustra. Vbivis tutius fuimus quàm domi, et irritis preci-
bus nihil profecimus, nisi vt nos rogando, illi audiendo defatigati sint.

Cum itaque lenitudine nihil proficeremus, et graviora tanquam ex facili toleran-


200 tibus indies imponerentur, consumptâ omnis patientiae materiâ, quosdam eo-
rum perfunctoriè reprehendimus. Hinc faces belli, quod turbatores pacis tant-
operè quaesiverant, accensae; hinc Janus apertus; hinc incendiis, cadaveribus,
horrore et sanguine foedata sunt omnia; aut, vt illi praedicant, correcta, si diis

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 215

In ein ganz ähnliches Spiel wollten uns unter anderen häufig diejenigen verwickeln,
die mit Dolch und ererbten Kniffen auf die Herren der Völker losgehen, die durch
das Blut von Königen und durch Hochverrat bekannt werden, die durch einen
über alle Schandtaten grausamen Frevel jenen unvergleichlichen Kriegshelden
Heinrich den Großen, den die schwer drückende Last des ganzen Vaterlandes
nicht erschüttert hatte, der Fleischbank eines waghalsigen Taugenichts überant-
worteten, die deinen Schwiegervater, den unvergleichlichen König von Britannien,
durch den Einsatz von Feuer und Schwefel gegen die Mauern des Königssitzes zu
schmettern versuchten, die sich und andere überzeugten, daß in Mord und Raub
ihr Seelenheil liege, die gewöhnlicherweise Mittellose niedermetzeln, Unschuldige
verurteilen und durch Folter, Feuer und Schwert vernichten, Lebende (um
sich nämlich das Vergießen menschlichen Blutes zu ersparen) begraben, Gött-
liches und Menschliches vermengen aus Spielerei und Zeitvertreib. Diese waren
zunächst an die Höfe unserer Oberen gedrungen, dann in deren Seelen. Diese
bestimmten in allen Ratsversammlungen die Meinungen. Diese vermengten Be-
trug, Verstellung, Treulosigkeit, ohne welche nach ihrer Lehre niemand richtig
herrscht. Diese Diebe flüsterten der Obrigkeit fortwährend jenes abgedroschene
BRENNE, SCHNEIDE ein. Von deren Lügen und Täuschungen wurden wir re-
giert, als seien es hervorragende Künste. Es kamen eine Anzahl Sejaner hinzu,
schlechte Berater: Keine Art der Ruchlosigkeit war denen zu gering, die geil waren
auf Ehrsucht und das Verlangen, sich hervorzutun. Deshalb wurden viele Kirchen
geschändet und geschlossen, den Privilegien wurde Gewalt angetan, Unschuldige
wurden in Kerker geworfen und auf verschiedene Weise gequält; der Zugang zu
den Fürsten wurde versperrt, die Verordnungen des göttlichen Rudolph wurden
verspottet, von den Andersmeinenden wurden einige durch Drohungen einge-
schüchtert, einige durch Ämter oder Geldgeschenke verführt, das Recht der Völ-
ker wurde umgestoßen, der Staat wie durch eine Sintflut überschwemmt und die
Religion durch außerordentliche Hinterlist in Unordnung gebracht. Wir bitten, be-
schwören, weinen, bedrängen durch demütiges Bitten ohne Unterlaß und halten
die Mühe aus in der Hoffnung auf Frieden. Aber vergeblich. Überall waren wir
sicherer als zu Hause, und durch vergebliche Bitten haben wir nichts ausgerichtet,
außer, daß wir durch Flehen, jene durch Zuhören ermüdet worden sind.

Nachdem wir also mit Gelassenheit in keiner Hinsicht Fortschritte machten und
immer schwerere Lasten denen täglich auferlegt wurden, die sie gleichsam mit
Leichtigkeit trugen, wiesen wir, nachdem alle Geduld aufgebraucht war, einige
von ihnen einfach zurück. Hierauf wurden die Fackeln des Krieges, den die Stö-
rer des Friedens so sehr gesucht hatten, angefacht; hierauf wurde der Janus-
tempel geöffnet; hierauf wurde alles durch Brände, Leichname, Schrecken und
Blut geschändet oder – wie jene rühmen – wieder gut gemacht und (mein Gott!)

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216 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

placet, et emendata. Horresco referens immanitatem barbaris inauditam, et apud


205 posteros vix inventuram fidem. Neque infantium vagitûs, neque singultûs pue-
rorum, neque lachrymas matronarum, neque canos senum, rabidas ac saevientes
belluas commovisse; virgines promiscuè imminutas, juxtà strenuos et imbecilles
obtruncatos, agros vastatos, regni opes attritas, periisse flammis quod ferrum
reliquerat. Lugenda adhuc enumeravimus: eundum ad erubescenda est. [C1v]
210 Matrem liberos, ne gladiorum acie caderent, in flumen abjecisse; cadavera mor-
tuorum medio templorum sepulchris eruta; foeminas situ nondum corruptas
denudatas, in aris (obstupescant Christiani) manibus et pedibus ligatas, ad fores
templi fulcris erectas; et alia prorsus abominabili saevitiâ perpetrata. O saeculum
etiam Mezentiis, Tiberiis, Neronibus et Domitianis, in crudelitatem ingeniosius!
215 Vivi propudiis humani generis non sufficimus, mortui accersuntur. Exacerbatis
itaque tam nefariis facinoribus bellum primò inter remedia erat, vt scirent nos
pro patriâ dimicare posse; et qui timere desieramus, incipiebamus odisse. Atque
solutos fuisse nos à regio sacramento, nemo nisi juris et privilegiorum regni
huius ignarus inficias ibit: irridebunt magis facilitatem nostram et indignabuntur
220 omnes, tam diu nos intolerabilem saevitiam concoxisse.

Nunc in clementiae tuae sinum, non sine coelesti instinctu nos recipimus, ô R EX ,
cujus ipsum nomen etiam Pacem nobis promittit. Deus tibi det, Princeps indul-
gentissime, quicquid tam inusitata mansuetudo tua meretur: nos cultu et obse-
quio grati [C2r] erimus, si plura non possumus. Bohemos, Moravos, Silesios,
225 Lusatos qui nos dicet inposterum, multa dicet; plura, qui tuos. Tui sumus dum
sumus: pro te abire quandocunque Deus volet, felicissimum augurium putabi-
mus. Sardos ajunt sumpto herbae succo sub exitum vitae ridere: pro te morti
etiam obviam ibimus laeti libentesque si opus erit. Pro te pugnare gestimus: non
deerunt vires sub tam forti, non voluntas sub tam intrepido, non successus sub
230 tam justo duce militantibus. Vincemus armis, qui causâ vincimus. Finem perse-
quendi non lassitudo nostra, sed mors hostium faciet, et ferrum quod lentè

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 217

sogar verbessert. Ich schaudere davor zurück, über die selbst bei den Barbaren
unbekannte Grausamkeit zu berichten, die bei den Späteren kaum Glauben fin-
den wird: Weder das Wimmern der Neugeborenen noch das Schluchzen der Kin-
der noch die Tränen der Mütter noch das graue Haar der Greise hat die wütenden
und wilden Bestien gerührt; Jungfrauen wurden gemeinschaftlich vergewaltigt,
auf gleiche Art Starke und Schwache niedergemetzelt, Äcker verwüstet, die Mittel
des Königreiches aufgezehrt, durch Feuer vernichtet, was das Schwert übrig
gelassen hatte. Bisher haben wir das Bejammernswerte aufgezählt; nun heißt
es zum Beschämenden zu kommen: Eine Mutter warf ihre Kinder, damit sie
nicht durch die Schärfe der Schwerter umkamen, in den Fluß; die Körper der
Toten wurden inmitten der Kirchen aus den Grüften gezerrt; Frauen, die noch
nicht vom Alter gezeichnet waren, wurden entkleidet (die Christen sollen erstar-
ren) an Händen und Füßen auf die Altäre gebunden und vor den Türen der Kir-
che an Pfählen aufgerichtet; und andere Dinge von ganz und gar verabscheu-
ungswürdiger Grausamkeit wurden begangen. O Jahrhundert, an Grausamkeit
einfallsreicher als ein Mezentius, Tiberius, Nero oder Domitian. Wir Lebenden
reichen für die Schandtaten des Menschengeschlechts nicht aus, die Toten wer-
den herbeigeschafft. Daher wurde von den über solch gottlose Untaten Erbitter-
ten der Krieg zunächst unter die Heilmittel gezählt, damit sie wüßten, daß wir für
das Vaterland zu kämpfen imstande sind; und als wir davon abgelassen hatten,
Furcht zu empfinden, fingen wir an zu hassen. Und daß wir vom Königseid be-
freit waren, wird nur der leugnen, der das Recht und die Privilegien dieses Rei-
ches nicht kennt. Alle werden eher unsere Gutmütigkeit verspotten und entrüstet
sein, daß wir uns so lange eine unerträgliche Grausamkeit haben gefallen lassen.

Nun ziehen wir uns in den Schoß deiner Milde nicht ohne himmlischen Anstoß
zurück, o König, dessen Name selbst uns schon den Frieden verheißt. Möge
Gott dir geben, nachsichtigster Fürst, was immer deine so ungewöhnliche Sanft-
mut verdient: Wir werden mit Verehrung und Gehorsam Dank erweisen, wenn
wir nicht mehr vermögen. Wer uns künftig Böhmen, Mährer, Schlesier, Lausitzer
nennt, sagt vieles; mehr noch, wer uns die deinen nennt. Dein sind wir, solange
wir leben. Für dich zu sterben, wann immer es Gott beliebt, werden wir für ein
höchst glückliches Zeichen halten. Man sagt, daß die Sarden im Sterben lachen,
weil sie vorher einen Pflanzensaft zu sich genommen haben: Für dich werden
wir auch dem Tod fröhlich und gern entgegengehen, wenn es sein muß. Für dich
wollen wir gerne kämpfen; es wird nicht an Kräften mangeln den unter einem so
starken, nicht an Willen den unter einem so furchtlosen, nicht an Erfolg den un-
ter einem so gerechten Führer Kämpfenden. Wir werden mit Waffen siegen, die
wir durch die Sache siegen. Nicht unsere Müdigkeit wird unserer Gefolgschaft
ein Ende setzen, sondern der Tod der Feinde, und das Schwert, welches wir zö-

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218 ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE

sumpsimus, lentè deponemus. Si numerus noster minor est, major erit animus:
nunquam multi sunt, qui occumbunt.

Interim te Praga, nutrix et hospita tot Caesarum regumque, obsecramus, ne Prin-


235 cipem optimum nostrae Silesiae diutiùs invideas; quae nunc proculdubio vultum
ipsius expectat, et ardenti desiderio flagrat. Intra patriam nostram, R EX , intra.
Acceptus eris omnibus: venis enim omnibus. Intra stipatus satellitibus et militum
manu: nihil [C2v] eos veremur, qui sub tam modesto rege didicerunt vivere. Intra
sine illis: tuam hîc gentem, tuos servos reperies. Videor mihi certè videre totam
240 regionem amoenissimam commoventem se funditus atque tibi occurrentem:
Principum studia, aemulationes nobilium, senatorum stipationem, effusam ad te
contuendum plebem, praecedentem, comitantem, insequentem, et praesentem
quoque flagitantem, Vratislaviae pulcherrimae vrbium muros optato amplexu te
excipientes, turrium fastigia quasi se tibi inflectentia, ipsam autem majestatis
245 tuae eminentiâ superbientem. Sed haec omnia literatis, quorum ingens apud nos
proventus, relinquo, consciusque et magnitudinis tuae, R EX Potentissime, et in-
genii mei imbecillitatis, coelestes tuas virtutes solâ admiratione et silentio vene-
rabor.

Dominum vniversi, qui mutat tempora et vices temporum, abjicit reges et insti-
250 tuit, publica voce supplices veneramur, Majestatem tuam custodiat, servet, pro-
tegat, regat consilia tua et cogitationes. Floreat sub te religio, et à pietate tuâ
incrementum accipiat fidemque veritatis; ejiciantur stirpes su-[C3r]perstitionis,
et deliria traditionum, abominationes ante oculos Dei. Confundantur hostes,
sequantur signa quibus obviam iverunt: Ziscam scopulum et terrorem malorum
255 bello, pace teipsum vincas; augeas regnum togatus, quod asseris armatus. Si verò
tristius quid paras, ô Deus, et finem laborum propter peccata nostra nondum
facis, fac vt pro nominis tui defensione, pro Principe nostro, pro libertate,
pro patria, aut superemus fortiter, aut beatè occumbamus, aut vtrunque. Tuere
imperium ejus qui tuam gloriam tuetur, eumque functum longissimâ statione
260 mortali, repositâ mole reipublicae felicissimâ, ab hoc caduco transfer ad scep-
trum vitae, quod non auferetur in aeternum.

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ORATIO AD FRIDERICVM REGEM B OHEMIAE 219

gernd ergriffen haben, werden wir zögernd niederlegen. Ist unsere Zahl kleiner,
wird unser Mut größer sein: Es sind niemals viele, die sterben.

Unterdessen beschwören wir dich, Prag, Nährerin und Gastgeberin so vieler


Kaiser und Könige, daß du den besten Fürsten unserem Schlesien nicht länger
entziehst, welches nun zweifellos dessen Antlitz ersehnt und in brennender
Sehnsucht lodert. Ziehe ein in unser Vaterland, König, ziehe ein. Du wirst von
allen angenommen sein: Du kommst ja für alle. Ziehe ein, begleitet von Leib-
wächtern und der Schar von Soldaten: Wir fürchten in keiner Weise die, die ge-
lernt haben unter einem so maßvollen König zu leben. Ziehe ein ohne sie: Hier
wirst du dein Volk, deine Diener finden. Ich meine schon zu sehen, wie die ganze
allerlieblichste Gegend sich ausnahmslos versammelt und dir entgegeneilt; zu
sehen die Gunstbezeigungen der Fürsten, den Wetteifer des Adels, die Reihe der
Ratsherren, das dich zu betrachten herbeieilende Volk, das voreilt, dich umringt,
dir folgt und nach dir, sobald du anwesend bist, auch laut verlangt; zu sehen, wie
die Mauern Breslaus, der schönsten unter den Städten, dich mit ersehnter Umar-
mung aufnehmen, die Giebel der Türme sich vor dir gleichsam verneigen, die
Stadt selbst sich der Erhabenheit deiner Majestät rühmt. Aber das alles überlasse
ich den Gelehrten, von denen es bei uns ungeheuer viele gibt, und eingedenk dei-
ner Größe, mächtigster König, wie auch der Schwäche meines Talents, werde ich
deine himmlischen Tugenden nur durch Bewunderung und Schweigen verehren.

Wir bitten demütig mit lauter Stimme den Herrn der Welt, der die Verhältnisse
und den Lauf der Zeiten wandelt, Könige abberuft und einsetzt, er möge deine
Majestät bewachen, er bewahre, schütze und lenke deine Ratschlüsse und Über-
legungen. Unter deiner Herrschaft blühe die Religion und durch deine Fröm-
migkeit möge sie Zuwachs und Vertrauen in die Wahrheit finden. Ausgerissen
werden sollen die Wurzeln des Aberglaubens, die Irrtümer der Überlieferungen,
die Ungeheuerlichkeiten vor den Augen Gottes. Niedergeworfen werden sollen
die Feinde, folgen sollen sie den Zeichen, denen sie sich widersetzt haben: Žižka,
das Bollwerk gegen die Bösen und ihr Schrecken, sollst du im Krieg, dich selber
im Frieden übertreffen; im Friedenskleid sollst du das Königreich stärken, wel-
ches du in Waffen beanspruchst. Wenn du aber, o Gott, etwas Traurigeres bereit
hältst und wegen unserer Sünden unseren Leiden noch kein Ende gönnst, be-
wirke, daß wir für die Verteidigung deines Namens, für unseren Fürsten, für die
Freiheit und für das Vaterland entweder tapfer siegen oder glücklich sterben
oder beides. Schütze die Herrschaft dessen, der deinen Ruhm schützt, und ge-
leite ihn nach einem langen irdischen Wirken, nachdem er die glückliche Bürde
der Staatsführung abgelegt hat, von dieser Vergänglichkeit zur Herrschaft über
das Leben, die in Ewigkeit nicht genommen wird.

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220 Te quoque post regem

[C3 v] AD EVNDEM
VRATISLAVIAM IN -
GREDIENTEM , EPIGRAM -
MA EIVSDEM .

Aspice, Rex, nostram, tibi quae dicat omnia, Breslam:


AEqua Palatino surgit et illa Solo.
Si mores hominum placidos, si jura requiris;
Vrbs genium dices exprimit ista meum.
5 Si saltûs et rura voles; non largiùs vllis
Indulsere sibi Flora Ceresque locis.
Has habitant aedes Phoebus, Phoebique sorores:
Arcibus his irae Mars habet arma suae.
Intuitu sunt digna tuo, quàcunque fereris;
10 Templa, forum, turres, moenia, tecta, viae.
Congeßit Natura suos huc prodiga luxûs,
Et totius opes orbis in vrbe vides.
Vitifero sed par quid poßidet Odera Rheno?
Haec quoque fit purum te veniente merum.

***
PANEGYRIS
In Magnifici Nobilissimi et Am-
plissimi Viri, Dn. LUDOVICI
CAMERARII Procancellariatum
Silesiae. Auctore Mart. Opitio.

Te quoque post regem pietas et caelicus ardor


Jussit opem indignè tractatis ferre Silesis,
Et patriae superesse meae; ne sola potestas
Armorumque fragor totum sibi vindicet illud
5 Quod populos saevi pressos livore tyranni
Erigit, inque diu nutantia jura reponit.
Gratia magna tibi, si sufficit illa; sed aether
Qui te dat miseris longè majora rependet.
O nimium superis dilecta Silesia! bello
10 Proficis, et tanta haec inter discrimina rerum
Te tua damna beant; quamvis crudelia passi
Immeritò fuimus, postquam vesana malorum

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Te quoque post regem 221

Auf denselben,
als er in Breslau
einzog, ein Epigramm
von demselben.

Schau auf unser Breslau, König, das dir alles darbietet; es erhebt sich wie aus
pfälzischem Boden. Wenn du nach dem freundlichen Wesen der Menschen, nach
ihrem Rechtsverständnis suchst, wirst du sagen: Diese Stadt verkörpert mein
Wesen. Wenn du nach Wäldern und Feldern verlangst: Nicht großzügiger geben
sich Flora und Ceres an irgendwelchen anderen Orten. Diese Häuser bewohnen
Apollo und Apollos Schwestern, auf dieser Burg hält Mars die Waffen seines
Zornes. Deines Anblickes würdig sind, wohin immer du eilst, (10) Kirchen,
Marktplatz, Türme, Mauern, Gebäude und Straßen. Hierher hat die Natur ver-
schwenderisch ihre Gaben gebracht, und die Reichtümer des ganzen Erdkreises
erblickst du in dieser einen Stadt. Was aber besitzt die Oder, das dem rebentra-
genden Rhein vergleichbar wäre? Selbst sie wird, wenn du kommst, zu lauterem
Wein.
[H.-J.L., M.M., R.S.]

***
Lobgedicht
auf des höchst edlen und berühmten Herrn
Ludwig Camerarius’ Vizekanzlerschaft in Schlesien,
von Martin Opitz.

Deine Frömmigkeit und deine göttliche Begeisterung geboten nächst dem Kö-
nig auch dir, den schmachvoll mißhandelten Schlesiern Hilfe zu bringen und für
mein Vaterland da zu sein, damit nicht allein Gewalt und das Getöse der Waffen
das ganz für sich beanspruchen, was die durch die Mißgunst eines wilden Tyran-
nen unterdrückten Völker aufrichten und in ihre lange wankenden Rechte wie-
der einsetzen kann. Großer Dank sei dir, wenn dies genügt, aber der Himmel,
der dich den Elenden schickt, wird noch viel Wertvolleres geben.
O du den Göttern allzu teures Schlesien! Durch Krieg (10) gewinnst du, und
inmitten dieser gewaltigen Gefahren bereichern dich deine Verluste, obgleich
wir zu Unrecht Grausames erduldeten, nachdem der wahnwitzige Parteiklüngel
der Schlechten den Königen schändliche Liebe zur Treulosigkeit eingeflößt
hatte und das erschöpfte Böhmen, da seine Tore aufgebrochen waren, verlernte,

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222 Te quoque post regem

Factio perfidiae turpem inspiravit amorem


Regibus, et ruptis lassata Bohemia claustris
15 Dedidicit frustra sperare, irataque virtus
Ad libertatem vi tandem irrupit avitam,
Et ferro sibi fecit iter. Sed plurima saepè
Dura ultraque fidem tot jam labentibus annis
Pertulimus; donec Patientia victa dolore
20 Restitit, ac quosdam mortalibus ante negata
Jussit abire viâ, et scelerum fraudisque magistros
Allisit stratae subter scribamque papyro.
Obscoenas veluti Stymphalidas Herculis olim
Dextera magnanimi caelestibus arcuit auris,
25 Atque afflixit humo, sic saltu transeat uno
Quà libitum est quisquis civili sanguine gaudet,
Et sua regum animos saevire in viscera cogit.
Hinc irae patuere, et aperta licentia belli
Invasit miseros: hinc passim urbesque casaeque
30 Incubuere sibi: quam diros sensimus hostes,
Boccoius sylvis quoties insedit iniquis,
Et latitans nocuit: vel cum discrimine nullo
AEmulus Albani Dampirius undique ferro
Saeviit et flammis, arasque incendit et ipsos
35 Quos fecit sua turba deos, spoliataque sacra
Caedibus explevit. Patrium, miserabile visu,
Albim corporibus clusere, et tarda cruento
Ivit Mulda vado. Volitat quoque fama, puellam
Objecisse suam nutritis sanguine prolem
40 Piscibus, et rapido melius mersisse profundo,
Ut fugeret gladium. Vi, ne qua intacta periret,
Innuptas nuptasque simul probrosa libido
Corrupit, lethique gradus Venus impia facta est.
Cur queror ista? leve est vivorum illudere sorti:
45 Ipsa sepulchra petunt, defossaque viscera terris
In lucem revocant, et quas tellusque pudorque
Celavit matrum partes in limine templi
Militis insani petulantia saeva revelat.
Tot scelerum cumulos, caedes, versosque penates,
50 Quaeque jacent totis inhumata cadavera campis,
Et commune nefas sparsit clementia dextrae,
O Fernande, tuae; tibi cuncta haec imputat uni

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Te quoque post regem 223

grundlos zu hoffen, und eine zornige Entschlossenheit mit Gewalt endlich zur
angestammten Freiheit aufbrach und sich durch das Schwert den Weg bahnte.
Aber so lange Jahre hindurch haben wir viel und oft unglaubliches Elend ertra-
gen, bis die Geduld durch den Schmerz besiegt wurde, (20) Widerstand leistete
und einige Männer nötigte, auf einem Weg fortzugehen, der Menschen zuvor
verwehrt war, und die Lehrer der Verbrechen und des Betrugs mitsamt ihrem
Sekretär unter das verstreute Papier schleuderte. Wie einst die Rechte des hoch-
gemuten Herkules die unheilvollen Stymphaliden vom Himmel herunterschloß
und zu Boden schlug, so soll mit einem einzigen Sprung sich davonmachen,
wohin er will, wer sich über Bürgerblut freut und die Könige zwingt, gegen eige-
nes Fleisch und Blut zu wüten. Von da an zeigte sich die Wut offen, und die
offensichtliche Zügellosigkeit des Krieges überfiel die Unglücklichen, von da an
stürzten ringsum Städte und Hütten (30) zusammen. Wie grausam erlebten wir
die Feinde, wie oft hielt sich Bucquoi in feindlichen Wäldern versteckt und fügte
aus dem Hinterhalt Leid zu. Und nicht anders wütete Dampierre, ein Nachah-
mer des Herzogs von Alba, überall mit Feuer und Schwert, zündete die Altäre
und selbst diejenigen, die seine Meute zu Göttern gemacht hatte, an und füllte
die ausgeplünderten Heiligtümer mit Toten. Die heimische Elbe schüttete man,
erbarmungswürdig anzusehen, mit den Leichen zu, und zäh floß die Moldau in
ihrem blutigen Bett. Es geht das Gerücht, daß eine junge Frau ihr eigenes Kind
den Fischen, die sich vom Blute nährten, vorgeworfen (40) und es lieber in der
reißenden Tiefe ertränkt habe, damit es dem Schwert entginge. Mit Gewalt, da-
mit keine unberührt sterbe, schändete Unverheiratete und Ehefrauen in gleicher
Weise die schändliche Begierde, und der ruchlose Trieb wurde zu einem Schritt
zum Mord. Warum beklage ich diese Dinge? Es ist ja noch ein kleines Verbre-
chen, mit dem Los der Lebenden sein Spiel zu treiben. Aber selbst gegen Gräber
gehen sie vor, und die in der Erde vergrabenen Leiber holen sie zurück ans Licht,
und die Teile der Mütter, die Erde und Scham verborgen hatten, enthüllt vor der
Schwelle der Kirche die grausame Tollheit des rasenden Soldaten.
Solches Übermaß an Verbrechen, soviel Blutvergießen, verwüstete Häuser,
(50) all die Leichen, die unbegraben überall auf den Feldern liegen, und den
allgemeinen Frevel hat die Sanftmut deiner Rechten, o Ferdinand, bewirkt. All

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224 Te quoque post regem

Gens proavis benè fida tuis, tibi patria flagrat.


Rex peccare jubet qui non vetat. Ivimus ergò
55 Quâ jus fasque sinunt, et jam non subditus hostis
Principis externi foedus quaesivit, adactus
Haud sic promissos aliò transferre tiaras.
Nec tamen humanis hoc solum viribus actum est:
Sic superi voluere, et non sine numine regnum
60 Accedis, Friderice, novum. Sentimus amorem
Gens suppressa Dei, et grato te pectore, caeli
Nobile depositum, colimus. Tot dura tulisse
Tanti paenè fuit, quin et dispendia lucro
Sunt nobis immensa gravi. Tu vindice dextrâ,
65 O juvenis, conjuratas in damna catervas
Franges, et populis atrocia vulnera passis
Ultor eris, pacemque invicto Marte reduces.
Te septemgemini fraenatis faucibus Istri,
Alta triumphali sublimem gloria curru
70 Divinis praeponet avis; tua signa timebit
Gens inflata Tagi, tibi par pietate vel armis
Nullus erit, tua progenies ultra ostia Nili
Proferet imperium, patrii nec limite Rheni,
Sed toto latè sua jura extendet Olympo.
75 Et talem indulsit tibi, diva Silesia, regem
Fatorum caelestis amor; nec munere tanto
Exhausit sese arca deum: comitatur euntem
Virtus rara ducem. Sic multo illustris honore
Ductor apum caveas et cerea regna relinquit:
80 Olli insigne latus parvorum fida quiritum
Turba tegit, potiorque volat vicina propago,
Et sacros certo circumerrant ordine fasces.
Quid tibi nunc mediter, quae me sub nubila pennae
In famae et laudum, Camerari, celsa tuarum
85 Templa ferent? tu rellictis natalibus arvis
Littoribusque Nicri nostrâ considere terrâ
Atque procul positos voluisti habitare penates.
Tu variâ et rerum magnarum mole gravatum
Suscipis officium; patriae armis maxima nostrae
90 Incumbet tutela tuis, Prudentia regis
Ore tuo responsa dabit, te judice rectum
Gratia non flectet, nec stabit legibus aurum

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Te quoque post regem 225

dies schreibt das Volk, das deinen Vorfahren sehr treu war, allein dir zu, für dich
brennt das Vaterland. Der König, der zu sündigen nicht verbietet, befiehlt es.
Wir sind also dorthin gegangen, wohin menschliches und göttliches Recht es zu-
lassen, und schon suchte dein nicht mehr sich unterwerfender Feind das Bündnis
mit einem fremden Fürsten, getrieben, die Krone, die dir keineswegs unter sol-
chen Bedingungen zugesagt war, anderswohin zu übertragen.
Jedoch wurde diese Sache nicht nur von menschlichen Kräften vorangetrie-
ben. Die Götter wollten es so, und nicht ohne göttlichen Willen (60) trittst du,
Friedrich, deine neue Herrschaft an. Wir, das unterdrückte Volk, fühlen die
Liebe Gottes und verehren dich dankbaren Herzens, du edler Abkömmling des
Himmels. Fast war es der Mühe wert, soviel Elend ertragen zu haben, ja vielmehr
werden uns die ungeheuren Verluste zu einem großen Gewinn. Mit deiner stra-
fenden Rechten wirst du, o Jüngling, die zum Unheil verschworenen Haufen zer-
schmettern, vor den Völkern, die grauenvolle Wunden erlitten haben, als Rächer
auftreten und in siegreichem Kampf den Frieden zurückbringen. Wenn du die
Mündungsgebiete der siebenarmigen Donau bezähmt hast, wird dein erhabener
Ruhm dich hoch oben im Himmel auf einem Triumphwagen (70) vor deine gött-
lichen Vorfahren stellen. Deine Feldzeichen wird das aufgeblasene Volk des Tajo
fürchten, dir wird an Frömmigkeit und an Waffengewalt niemand gleich sein,
deine Nachkommen werden die Herrschaft über das Nildelta hinaus ausdehnen
und nicht nur bis zur Grenze des väterlichen Rheins, sondern über die ganze
Welt weithin ihre Gesetze verbreiten. Einen solchen König bewilligte dir, gött-
liches Schlesien, die himmlische Liebe des Schicksals, doch in dieser großen
Gabe erschöpfte sich der Schatz der Götter noch nicht: Deinen Fürsten begleitet
auf seinem Weg ein Gefolge von seltener Erhabenheit. So verläßt der König der
Bienen, ausgezeichnet durch eine große Ehrengarde, seinen Stock und seine
wächsernen Reiche. (80) Ihm schützt die treue Schar der kleinen Quiriten seine
glänzende Flanke, und daneben fliegt eine noch vorzüglichere Nachkommen-
schaft und umschwirrt in bestimmter Ordnung die heiligen Rutenbündel.
Was nun soll ich für dich ersinnen, welche Flügel werden mich hinauf zu den
Wolken, zu den hohen Palästen deines Ruhms und deines Lobes, Camerarius,
tragen? Du wolltest, nachdem du deinen Geburtsort und die Ufer des Neckars
verlassen hattest, dich in unserem Land niederlassen und dein Heim in der Ferne
errichten. Du übernimmst eine Pflicht, die durch vielfältige und von gewaltigen
Ereignissen bestimmte Belastung erschwert ist. Der wichtigste Schutz unseres
Vaterlandes (90) wird deinen Waffen obliegen, die Klugheit des Königs wird aus

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226 Te quoque post regem

Fortius, ac solum inveniet bona causa favorem.


Et merito post tot devinctos undique vobis
95 Terrarum populos, nostris quoque poscitur oris
Nota omni dudum Virtus Cameraria mundo,
Ex quo barbariem, quam prava ac decolor aetas
Rasorumque cohors ignaro indixerat orbi,
Doctrinae proavi claro splendore fugarunt,
100 Ingentes proavi. Sed tu sublimibus ausis
Semideûm latè majorum extendis honores,
Digna viris soboles. Citius Germanus Ibero
Cedet, et inverso semper contrarius amne
Danubius retrò gressum feret, omnia laudis
105 Argumenta tuae digno perstringere versu
Quam mihi contigerit. Peithus de lacte bibisti,
Non hominis, cunis rapuit te Phoebus ab ipsis,
Et festinatas impubi contulit artes;
Quarum sacra tuus quoque nunc Joachimus, amore
110 Virtutis patriae, repetensque exempla suorum,
Non tepido fervore petit. Nil otia vitae
Detraxere tuae, nec mollis inertia turpi
Ingluvie accensas majori numine vires
Distulit, exuccosque labori tradidit artus.
115 Sed mens indefessa, et pulchris motibus ardens,
Ultra commixtas posuit te nubibus alpes,
Non uno contenta solo. Sic navita ponti
Oblitus rabiem tempestatesque sonoras,
Quaerit iter, natasque alio sub sidere merces
120 Explicat in patriâ multo cum foenore terrâ.
His gradibus majora petis, portusque reverso
Aula fuit. Nullis adeò mens ignea metis
Clauditur, ac vasto supra mortalia gressu
Fertur, et angusti spernit confinia mundi.
125 Quare Pieridum rellictis suavibus umbris,
Ingentem ingrederis campum, totumque laborem
Impendis patriae. quoties te curia Verbis
Manantem insolitis suspexit, et anxia rebus
Incertis sensit facundae oracula linguae!
130 Donec bellorum nutantia pondere regna
Consilioque fideque juvas, interque tumultûs
Tam facili cum rege venis, magnique secutus

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Te quoque post regem 227

deinem Munde antworten, vor deinem Richterstuhl wird Gefälligkeit nicht das
Recht beugen, Gold wird nicht mehr bedeuten als die Gesetze, und nur eine gute
Sache wird deine Gunst finden. Nachdem so viele Völker auf der ganzen Welt
euch zu Recht verbunden sind, fordert auch unser Land die Tüchtigkeit der
Camerarii, die längst der ganzen Welt bekannt ist, seitdem deine Vorfahren,
bedeutende Vorfahren, durch den herrlichen Glanz ihrer Wissenschaften das
Barbarentum vertrieben hatten, das ein schlechtes und entartetes Zeitalter und
eine Schar von Geschorenen dem ahnungslosen Erdkreis auferlegt hatten. (100)
Doch durch deine erhabenen Taten verbreitest du den Ruhm deiner halbgött-
lichen Ahnen weithin und erweist dich als ein dieser Männer würdiger Nach-
fahre. Eher wird der Deutsche vor dem Spanier weichen und die Donau sich um-
wenden und für immer rückwärts fließen, als es mir gelingen wird, den ganzen
Stoff deines Lobpreises in würdigen Versen zu binden. Du trankest die Milch der
Peitho, nicht die einer menschlichen Mutter, Phoebus raubte dich schon aus der
Wiege und brachte dir, als du noch ein unreifes Kind warst, frühzeitig die Künste
nahe. Nach ihren Weihen verlangt nun auch mit heißer Leidenschaft dein Joa-
chim aus Liebe (110) zur ererbten Tüchtigkeit, indem er die Vorbilder der Seinen
nachahmt. Nichts nahm Untätigkeit von deiner Lebenszeit weg noch ver-
brauchte eine weichliche Trägheit durch schändliche Völlerei deine Kräfte, die
eine höhere Gottheit entflammt hatte, oder übergab der Arbeit nurmehr saftlose
Glieder. Vielmehr führte dich dein unermüdlicher und von edlen Regungen
leidenschaftlich glühender Geist über die wolkenhohen Alpen, da du mit nur
einem Land nicht zufrieden bist. So sucht der Seemann, ohne an die Wildheit
und die heulenden Stürme des Meeres zu denken, seinen Weg und verbreitet die
Waren, die unter anderen Sternen entstanden sind, (120) mit viel Gewinn in sei-
nem Vaterland. Mit diesen Schritten strebtest du nach Größerem, und, als du zu-
rückkehrtest, war ein Palast dein Hafen. Keinem Ziel verschließt sich dein so
feuriger Sinn, er eilt mit gewaltigem Schritt über das sterbliche Maß hinaus und
verachtet die Grenzen der engen Welt. Deshalb betrittst du, nachdem du den
lieblichen Schatten der Musen verlassen hast, ein weites Feld und verwendest
deine ganze Mühe auf das Wohl des Vaterlandes. Wie oft blickte die Ratsver-
sammlung zu dir auf, als unerhörte Worte aus dir herausflossen, und vernahm,
ängstlich wegen der unsicheren Zeiten, die Weissagungen deiner beredten
Zunge, (130) bis du dem Land, das unter der Last des Krieges schwankte, mit
Rat und Treue halfst, mit deinem so gütigen König mitten in den Aufstand ein-

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228 Quisquis nos steriles

Fortia jussa Dei his demum consistis in oris.


Ergo age, seu Slesos inter te degere saltûs
135 Foetaque rura juvat; (laetis tibi Guttalus undis
Applaudet, viridique herbarum occurret amictu)
Seu potius vastae splendentia culmina Pragae
Te capiunt, et sancta tui praesentia regis;
Huc ades, huc patriae totum jam confer amorem.
140 Nec tibi fatidicae frondosus collis Iëttae
Uviferique magis placeat vindemia Nicri:
Hîc Nicer, hîc patria est. Istis quaecunque sub oris
Sunt Rheni nondum aequa vadis caelum addet, et aegra
Principis auspicio nostri renovabitur aetas.
145 Rex hominum atque deûm, cujus tot saecula nutu
Indelassato fluxerunt ordine rerum,
Quem caelum, quem terra timent, contunde furentes
Armorum strepitûs, patriaeque occurre ruenti,
Et Pacem demitte polo. Sat saeviit hostis,
150 Sat poenas dedimus: factum est jam turbida belli
Quicquid flamma potest. Graviter peccasse fatemur,
Nec scelerum immunes sumus: at clementia cordis
Infinita tui coecae deliria vitae
Cuncta supergreditur. Miseros tandem aspice cives
155 Ore tuo, et quem tam sublimi in sede locasti
Fridrici defende decus: sic ibit in orbem
Imperii admiranda tui vis, grexque luporum
Electae posthac nunquam tibi ovilia gentis,
Exempli monitus tanti gravitate, lacesset.

***
ALIVD.

Quisquis nos steriles sequi puellas,


Nec totis dare vela posse ventis,
Ut plebs judicat inficeta, dicit;
Hunc ausis satis et super refellam,
5 J ULI docte, tuis. Amica mammas
Infanti tibi praebuit Thalia;
Cunae Piërii fuere valles,
Et Phoebus cytharam pater jocanti

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Quisquis nos steriles 229

griffst und, die Befehle des großen Gottes befolgend, denen man sich nicht wi-
dersetzen kann, dich schließlich hier in diesem Land niederließest. Wohlan, sei
es, daß du gerne in den schlesischen Wäldern und den fruchtbaren Ländern
weilst – die Oder wird dir mit ihren lachenden Wogen Beifall spenden und zwi-
schen ihren grün belaubten Ufern entgegenströmen –, sei es vielmehr, daß dich
die glänzenden Dächer des großen Prag und die heilige Gegenwart deines Kö-
nigs aufnehmen, hilf hier, laß nun hier dem Vaterland deine ganze Liebe zukom-
men. (140) Der laubreiche Hügel der weissagenden Jetta oder die traubenbehan-
genen Weinstöcke des Neckar mögen dir nicht in höherem Maße gefallen: Hier
ist der Neckar, hier ist dein Vaterland. Was immer in diesem Land den Gebieten
am Rhein noch nicht ebenbürtig ist, das wird der Himmel hinzufügen, und unser
kummervolles Zeitalter wird sich unter der Leitung unseres Fürsten erneuern.
König der Menschen und Götter, auf dessen Geheiß so viele Jahrhunderte in
stetiger Ordnung dahingingen, den der Himmel, den die Erde fürchtet, beende
das wahnsinnige Waffengetöse, eile dem stürzenden Vaterlande zu Hilfe und
sende vom Himmel den Frieden! Genug hat der Feind gewütet, (150) genug
haben wir gebüßt. Es wurde alles angerichtet, was das reißende Feuer des Krie-
ges vermag. Wir gestehen, schwer gesündigt zu haben, und sind nicht frei von
Verbrechen. Aber die grenzenlose Sanftmut deines Herzens übertrifft jeden
Wahnsinn des verblendeten Lebens. Richte schließlich deinen Blick auf die
unglücklichen Bürger und verteidige die Würde Friedrichs, den du so hoch er-
hoben hast. So wird die wunderbare Kraft deiner Herrschaft über die Welt kom-
men, und das Rudel der Wölfe wird, gemahnt durch das Gewicht eines so großen
Vorbildes, danach niemals mehr in die Hürden des von dir auserwählten Volkes
einfallen.
[S.A.]

***
Ein anderes. [Glückwunschgedicht zur Promotion Zincgrefs]

Wer immer sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten, wie das
plumpe Volk urteilt, nicht mit allen Winden segeln, den werde ich genug und
übergenug widerlegen durch deine Unternehmungen, gelehrter J ULIUS. Die
freundlich gesinnte Thalia bot dir schon als unmündigem Knaben die Brüste.
Die pierischen Täler waren die Wiege, Vater Phoebus reichte dem scherzenden
Knaben die Zither, und mit Lorbeer (10) bekränzte er die für seinen Dienst be-
stimmten Schläfen. Daher stammen jene Anmut deines Geistes, der seltene
Liebreiz und der Glanz deiner Sprache; daher die gemalte Klugheit und die Bil-

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230 C VNRADE , humani mens

Porrexit puero, suisque lauru


10 Cinxit tempora destinata sacris.
Hinc illa est genii tui venustas,
Et rarae veneres decusque linguae.
Hinc prudentia picta, queisque surdos
Affaris sine vocibus tabellae.
15 Hinc quicquid lepido sub astra versu
Nemo te melius vocaret ipso.
Haec Musae sibi vendicant. At idem
Leges cum petis atque jura, nulli
Se plus alma Themis favere monstrat.
20 Nec novit minus hoc Nicer paternus,
Qui tot lubrica, totque syrtuosas
Emensum ingenio vias coronat,
Ac de te sibi gratulatur ipsi.
Et sic umbra foro, Dice Camenis
25 Blandâ jungitur hospitalitate,
Vt verè pateat cuique, quantum
Neglectâ ratione mentiatur
Quisquis nos steriles sequi puellas,
Nec totis dare vela posse ventis,
30 Vt plebs judicat inficeta, dicit.

M ARTINUS O PITIUS.

***
C ARMEN H EROICVM
CASPARIS CUNRADI V. C.
symbolo dictum,
vbi obiter de Proso!po"graphicis eius.

C VNRADE , humani mens et sublimis imago


Numinis, in quo se virtus miratur, et omne
Quodcunque est alti metas escendere mundi
Ausum, ac libratos tecum exsuperare triumphos
5 Celorum; cui mirandum Natura volumen,
Prodiga tota sui, patet, et vis vna malorum
Tollere morborum mendas mortalibus aegris;
Cui mens immensum sano lymphata furore,

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C VNRADE , humani mens 231

der, durch welche du die Tauben ohne Worte ansprichst; daher alles, was nie-
mand besser als du selbst durch einen zierlichen Vers an den Himmel erheben
könnte. Das schreiben die Musen sich zu. Aber indem du zugleich nach den Ge-
setzen und dem Recht strebst, zeigt die segenspendende Themis, daß sie nie-
manden mehr begünstigt. (20) Und nicht weniger weiß dies der heimische Nek-
kar, der den, der mit seinem Geist so viele Fährlichkeiten und so viele unebene
Wege durchmessen hat, krönt und deinetwegen sich selbst beglückwünscht. Und
es verbindet sich Zurückgezogenheit mit öffentlichem Wirken, das Recht mit
den Musen in reizender Gemeinschaft so, daß wahrhaft jedem offenliegt, wie
sehr unter Mißachtung der Vernunft lügt, wer immer, (30) wie das plumpe Volk
urteilt, sagt, wir hingen unfruchtbaren Geliebten an und könnten nicht mit allen
Winden segeln.

Martin Opitz.
[H.-H.K.]

***
Gedicht auf einen Helden
Auf den Wahlspruch
des hochverehrten Caspar Cunrad
mit gelegentlichen Hinweisen auf seine Prosopographia.

Menschlicher Göttlichkeit Seele, Cunradus! Der göttlichen Abbild!


Mann, in dem sie sich selbst bestaunt, die Vollkommenheit, gleichfalls
Alles, was je Überschreitung der Grenzen der riesigen Erde
Wagte, mit dir Übersiegung beständiger Siege des Himmels;
Mann, dem die ganze Natur, die mit sich so verschwenderisch umgeht, 5
Ihr erstaunliches Buch eröffnet und der zu der einen
Kraft den Zugang besitzt, den Menschen, die krank sind, den Makel
Böser Gebrechen zu nehmen; und Mann, dessen Geist, in gesundem

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232 C VNRADE , humani mens

Impendens se tota sibi, tot numinis oestro


10 Concita, diuinos panxit scito ordine versus;
Cui cura imbelli iamdudum doctior orbis
Subiugat ingenii, recte hercle! atque ordine, fasces;
Cui nimium pressae modo Relligionis ab aestu,
Instinctu diuum horribili, ista locutio nata est
15 Sancta: SALVS DOMINI, quam nunc licet impare sensu,
[A7v] Natio doctorum simili iunctim ore frequentant:
Docte heros, pueri faciles si suscipis ausus,
Et me Musaeas dignaris carpere Laurus,
Cultores inter tibi quos Fama ardua fecit,
20 (Si te, quod novit mundi MENS, nullus adulor)
Infantes etiam non aspernabere versus,
Quamvis te laus mortalis ventosa fauoris
Non capit aut hoederae vis ambitiosa tumentis,
(Quando, quum cupis, ipse tibi tua propria laus es,
25 Et merito soli stat ab ordine conscia virtus)
Sed miranda SALVS diuini Numinis, in qua
Stupratur mundi tibi gratia cassa superbi,
Haec mentem ignauo nimium subtraxit ab aeuo
Ante tuam, et supero celorum miscuit orbi,
30 Qua tot mille viri (quorum tua docta libido
Audet inaccessos huic mundo prodere vultus,
Seculaque heroum per coelum arcessere totum)
Ludunt humana, et solem fulgore lacessunt.
Haec tibi tot vires herbarum cessit, vt aegro
35 Vltima spes esses, et dia medela jacenti
Haec quaecunque tenes virtutum nomina, (quae sint,
Te liuor docet innocuus) iunxisse volebat,
Exemplarque in te perfectae reddere vitae,
Inuidiaeque tibi defendere tela profanae.
40 Haec te, qua flammis stellarum purior aether
Illustres animas anno confundit ab uno,
Conspicua tandem superorum sede reponet.
[A8r] Macte heros, orbem tibi devincire labora
Insueta virtute tua: Sciti omine porro
45 Ingenij diuina tui vela aequoris alto
Pande, et arenoso iamdudum pulvere tristes
Illustres animas, quae te vel mille per annos
Lentae vindicias exspectauere senectae,

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C VNRADE , humani mens 233

Wahn unermeßlich rasend und ganz sich selber gewidmet,


Göttlichen Furors voll so viele göttliche Verse 10
Klug geordnet erschuf; und dem die Welt der Gelehrten, des Geistes,
Lang schon in friedlichem Dienst die Regierung gegeben, fürwahr mit
Völligem Recht; und Mann, in dem, als der Glaube vor kurzem
Furchtbar gedrückt und bedroht war, durch heiligen göttlichen Antrieb
„Heil ist im Herrn“ entstand, der Wahlspruch, der fromme, den nunmehr, 15
Wenn auch in anderem Sinn, der Gelehrten Stand wie mit einem
Munde benutzt: Wenn du, du Held und Gelehrter, die leichten
Knabenversuche annimmst und mir den Griff nach der Musen
Lorbeer erlaubst, so wirst du, umringt von Verehrern, die hohes
Ansehn dir gab (allerdings: die Weltseele weiß, daß ich nie dir 20
Schmeichle), die lallenden Verse, die kindlichen, auch nicht verschmähen,
Wenn auch das windige Lob der menschlichen Gunst dich nicht einfängt
Noch des rankenden Efeus Gewalt, die die Ehrbegier stachelt
(Bist du doch, wenn du es willst, dir selbst deine eigene Rühmung;
Werte dürfen mit Fug und Recht ihrer selbst sich bewußt sein); 25
Aber das „Heil des Herrn“ verdient Erstaunen, es macht die
Wertlose Gunst einer Welt voller Hoffart dir gänzlich zuschanden.
Dieses, das Heil, entzog zuvor dein Denken der allzu
Kraftlosen Zeit und mischte es ein in den Weltkreis der Himmel;
Tausende läßt das Heil (dein Drang voll Gelehrsamkeit wagt es, 30
Deren zuvor nicht bekannte Gesichter der Welt zu vermitteln,
So die heroische Zeit überall unterm Himmel zu suchen)
Spotten der menschlichen Dinge, die Sonne zum Wettkampf im Glänzen
Fordern. Das Heil überließ dir die Kraft vieler Kräuter, damit du
Kranken die letzte Hoffnung und Liegenden göttliche Heilkraft 35

Wärest. Die Absicht des Heils war: Du sollst deine sämtlichen Werte
(Welche es sind, belehrt dich der Neid, er ist harmlos) vereinen
Und in deiner Person ein Muster vollkommenen Lebens
Geben, die Pfeile der Mißgunst, der gottlosen, von dir verweisen.
Dieses, das Heil, es wird dich, wo Äther, reiner durch Sternen- 40

Feuer, erleuchtete Seelen vom selben Jahre vereinigt,


Schließlich auf prächtigen Platz inmitten der Göttlichen setzen.
Heil dir, du Held! Bemüh dich, durch deinen besonderen Wert die
Welt dir verpflichtet zu machen. Und setze, geleitet von deinem
Kundigen Geist, noch ferner die gottvollen Segel zur hohen 45

See hin, entreiß die berühmten Verstorbnen, die lange schon trauern
Und dich seit Tausenden Jahren als Retter erwarten vor trägem
Altern, entreiß sie dem Staub, dem sandigen Staub, und verwehre

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234 C VNRADE , humani mens

Erue, queisque olim vita est concessa, renasci


50 Ex te ne prohibe: quin, si tibi viuere votum est,
Fac vti discusso doctus lentore resurgat
Orbis, et ipsorum clemens miserere nepotum,
Ad quos quum sensim defluxo tempore ventum
Ingenii flagrantis opus, lacrymabit, et in se
55 Flebit Posteritas occasi secula mundi,
Subtractumque sibi tumidis lugebit ocellis.
Cernis, vt heroas paulatim secula summos
Te, rerum magna spes, metatore recensent,
Et se paulatim virtus sopita recantat.
60 Omnia si tollas aeui laudum orsa vetusti,
Et quidquid gens docta dedit, sibi gutture rursum
Barbaries intercipiat depulsa voraci:
Tanto maior eris, quanto minor incipit esse
Ipsa vetustorum non ignoratio vatum.
65 Quidquid tempus iners, et edax mors deteret, in te,
Surget, et auctorum series ducetur in omnes
A te vel solo: tu nil tibi maius habebis.
At tu summe Deum, cuius norma una salute
Nititur, et tales Pallas Cunradia nubes
70 [A8v] Dissipat, vt tenebris excussis secula longum
Ignorata sibi, tandem se noscere discant,
CVNRADVM hac ipsa seruare salute memento,
Qua seruare omnes potuit, sacra pectora, doctos.

Vratislaviae scripsit
M. April. A NNO 1621.
MARTINVS OPICIVS
Bolislaviensis Sil!esius"

***

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C VNRADE , humani mens 235

Nicht, daß die, denen einst das Leben geschenkt war, durch dich nun
Wieder geboren werden; ja, wenn du ihr Aufleben wünschest, 50
Wirke drauf hin, daß die Welt der Gelehrten die Schlaffheit verscheucht und
Wieder ersteht, und erbarm dich in Güte der Enkel, der Enkel!
Ist im Verfließen der Zeit zu diesen allmählich das Werk des
Glühenden Geistes gelangt, wird die Nachwelt zu weinen beginnen,
Wird bei sich um die Zeit, die untergegangene Weltzeit 55
Trauern und das, was ihr fehlt, mit geschwollenen Augen beklagen.
Siehst du, wie unsere Zeiten die größten Helden allmählich,
Große Hoffnung der Welt, unter deiner Leitung von neuem
Prüfen, die Werte, die schliefen, allmählich von sich wieder künden!
Nehme man alles hinweg, was die Vorzeit löblich begonnen, 60
Schlucke die Barbarei, nachdem sie vertrieben war, wieder,
Was Gelehrte geschenkt, mit gefräßigem Schlunde hinunter:
Desto mehr wirst du groß sein, je weniger Mangel an Kenntnis
All der früheren Dichter beginnt, geringer zu werden.
Was die erschlaffende Zeit und das fressende Sterben zurückdrängt, 65
Wird sich erheben in dir, vielleicht wird die Reihe der Dichter
Einzig durch dich jedermann offenbar – dein größtes Besitztum.
Du aber, höchster der Götter, des einzige Richtschnur im Heile
Sich begründet – die Weisheit Cunrads zerstreut solch Gewölke
Weit in die Ferne, so daß nach Vertreibung des Dunkels die Zeit, die 70
Lange sich selbst nicht kannte, sich endlich selber erkennen
Lernt: Gedenke, CUNRADUS im selben Heil zu bewahren,
Das ihn alle die frommen Gelehrten zu retten befähigt’.

In Breslau geschrieben
im Monat April 1621
von Martin Opitz
aus Bunzlau in Schlesien
[G.B.]

***

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236 O Clara divae stella Silesiae

Martinus Opitius.

QV ICQVID in autorum felix tua dextra salutem


Contulit, et nunquam charta silebit anus,
Si rigidus planè repetas exactor ad assem,
Omnis obaeratus jam tibi mundus erit.
5 Caelica quid magni finget facundia Tullî?
Quid saxa, et Latii marmora docta soli?
Quid Seneca? incisas causabitur illéne venas?
Quid Taciti dicet lingua diserta mei?
Sume vades superos; alio sponsore caremus:
10 Sola Deûm meritis sufficit arca tuis.
Ad nostros autem venias si fortè Poëtas,
Atque illis paulò durior esse velis,
Conturbabit, egens aliàs quoque, natio tota:
Plus miseris nemo credidit ante viris.
15 Bilbilici debent animam tibi carmina; Belga
Sis licet, Hispano natus at ipse solo.
Tu grandem melius docuisti stare cothurnum:
Herculeos nescit Corduba magna rogos.
Oedipus è Davo jam fit quoque, Lucius Vmbro,
20 Post morbum, et criticae stigmata tanta notae.
A Plauti, ore prius Musae didicere; Gruteri
Nunc sed enim Plautus discit ab ore loqui.

***
Ad Serenissimum Principem
GEORGIUM RUDOLPHUM,
Obitum conjugis incomparabi-
lis lugentem,
Lyricum.

[I1r] O Clara divae stella Silesiae,


Heroa conjux impete quo tibi,
Nil tale quicquam cogitanti,
E mediis properante fato
5 Aufertur ulnis, dum superest catae
Fervor juventae, nec roseus fugit
Candor genarum? jure moestis

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O Clara divae stella Silesiae 237

Martin Opitz.

Alles, was deine glückliche Hand für das Wohl von Schriftstellern geleistet hat
und was das Papier, auch wenn es alt sein wird, niemals verschweigen wird –
wenn du das alles nach Heller und Pfennig wie ein unerbittlicher Kassierer
zurückforderst, wird alsbald die ganze Welt in deiner Schuld stehen. Was wird
die himmlische Redegewandtheit des großen Cicero sich einfallen lassen? Was
die Steine und der gelehrte Marmor des latinischen Bodens? Was Seneca? Wird
er seine aufgeritzten Adern als Entschuldigung anführen? Was wird die beredte
Zunge meines Tacitus sagen? Nimm du als Bürgen die Götter, einen anderen
Gewährsmann können wir nicht bieten: (10) Nur die Kasse der Götter genügt
für deine Verdienste. Wenn du dann aber einmal an unsere Dichter kommst und
zu ihnen ein wenig strenger sein willst, wird das ganze Völkchen, auch sonst
bedürftig, in Geldnöte geraten: Niemand sonst hat zuvor den armen Männern
mehr geliehen. Die Gedichte Martials schulden dir ihr Leben; magst du auch
Niederländer sein, bist du doch selbst auf spanischem Boden geboren. Du hast
den tragischen Kothurn gelehrt, besser zu stehen: Das große Cordoba kennt
nicht den Scheiterhaufen des Herkules. Und schon wird auch aus Davus ein
Ödipus, ein Lucius aus Plautus, (20) nach seinem schlechten Zustand und den
vielen Zeichen der kritischen Behandlung. Erst haben von Plautus’ Mund die
Musen sprechen gelernt; nun aber lernt wahrhaftig Plautus aus Gruters Mund zu
sprechen.
[C.K.]

***

Ein lyrisches Gedicht


an den erhabensten Fürsten
Georg Rudolf,
der den Tod seiner unvergleichlichen Gemahlin
betrauert.

O heller Stern des göttlichen Schlesiens, durch welche Gewalt wird dir, der
du nichts dergleichen erwartest, die heldenhafte Gemahlin durch ein jähes Ge-
schick mitten aus den Armen entrissen, während doch das Feuer der gewandten
Jugend noch reichlich vorhanden und der rosenfarbene Schimmer der Wangen

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238 Hoc etiam adversae

Numina sollicitas querelis,


Demptasque luges delicias, memor
10 Harum sodalis quas thalami trahit
Dulcedo rerum. Sed protervus
Cuncta feret per inane Corus.
Jus quippe lethi sanctaqve vis deûm
Quenquam reverti post obitum vetant
15 Ad nos in has orbis minantes
Interitum putridi ruinas.
Nobis terenda est haec quoque semita,
Justo sorores stamina pollice
Cum fluxa deducunt, virili
20 Interea tolerare sortis
Multùm frementis tela animo decet,
Certos nec isto nos stabiles solo
Durare semper, nec perenni
Compositos recubare terra.
M ARTIN. O PITIUS.

***
[D1v] Ad CL. V. D N .
MICHAELEM BARTSCHIUM,
amicum fraternâ fide sibi
junctum.

HO c etiam adversae pars est asscribere sorti,


B ARTSCHI , pars animi delitiaeque mei,
[D2r]Qvod ferè tum charis semper divellor amicis,
Qvando illud Veneris dulce minantur opus.
5 Nonné, hoc cum noster qvondam K IRCHNERUS agebat,
Ibam ad nunc moesti littora foeta Nicri?
Jam qvoque, post visas tot terrarum undique gentes,
Molle tibi dulcis jungit amica latus:
At nos extremum procul hinc migramus ad Istrum,
10 Visuri an Musas Dacia fortis amet.
Durum eqvidem; sed spe mentem solabimur unâ:
Dein qvoque nos fato posse priore frui.
Qvippe domum nobis elapsa aestate reversis,
Jam K IRCHNERUS erat Vir simul atque Pater.

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Hoc etiam adversae 239

nicht entflohen ist? Zu Recht bestürmst du die Götter mit schwermütigen Kla-
gen und trauerst um die dir entrissenen Freuden, eingedenk (10) dessen, was die
Süße des gemeinsamen Hochzeitslagers mit sich zu bringen pflegt. Doch der un-
gestüme Nordwestwind reißt alles mit sich. Freilich verbieten es das Gesetz des
Todes und die heilige Macht der Götter, daß irgendjemand nach dem Hinschei-
den zu uns in diese Ruinen des morschen Erdkreises, die dem Einsturz nahe
sind, zurückkehrt. Auch wir müssen diesen Weg gehen, während die Parzen mit
gerechtem Daumen die schwankenden Schicksalsfäden abspinnen; (20) indessen
ziemt es sich, daß wir, die wir sicher sind, daß wir weder auf diesem Erdboden
ständig bleiben noch ewig in der Erde bestattet ruhen, die Geschosse des heftig
brausenden Geschicks mit mannhaftem Sinn ertragen. 0

Martin Opitz.
[W.N.]

***
An den hochangesehenen Herrn
Michael Bartsch,
den ihm in brüderlicher Liebe
verbundenen Freund.

Auch dies nun muß man dem mißgünstigen Schicksal zuschreiben, lieber
Bartsch, du Teil und Freude meines Herzens, daß ich fast immer dann den lieben
Freunden entrissen werde, wenn sie den süßen Dienst an der Venus ankündigen.
Reiste ich nicht, als unser Freund Kirchner einst sich anschickte, dies zu tun, zu
den fruchtbaren Ufern des nun traurigen Neckars? Nun, nachdem du schon so
viele Völker überall auf Erden gesehen hast, schmiegt sich auch an dich eine
süße Freundin. Ich aber ziehe von hier in die Ferne an das äußerste Ende der
Donau, (10) um zu sehen, ob das tapfere Dakien die Musen liebt. Ein hartes Los
fürwahr, aber ich werde mich mit einer einzigen Hoffnung trösten: Daß ich da-
nach auch dasselbe Glück erleben kann wie schon einmal. Denn als ich am Ende
des Sommers nach Hause zurückkehrte, war Kirchner schon Ehemann und Va-
ter zugleich. Es möge, wer euch beiden in anderer Hinsicht Gleiches gewährt

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240 B ARTSCHI (namque tui …)

15 AEqvet et hîc, aliàs ambos qvi aeqvavit, amici,


Et nunqvam sterilem lasset uterque thorum.
Sic me, si flores, si gaudia verna negantur,
Horrea post saltem plena videre, sat est.

MART. OPITIUS
iter Pannonicum moliens raptim
scripsit BolesL. S I L. Non.
MaI. A. M DXXII . [sic!]

[D2r] Ad optimum amicorum M.B.V.CL.


Sponsum.
B ARTSCHI (namque tui modò recordor,
AEstus cui libet explicare nostros.)
[D2v] Qvid charam, superos rogo per omnes,
Me rellinqvere patriam coëgit,
5 Cum nuper, qvasi conscius malorum,
Aut prorsus capitis reus, citato
Usque ad Dacica tenderem arva cursu?
Qvamvis Musa meos venusta sensûs
Nasonis rapiat, tamen profectò
10 Nil dignum exilio illius patravi,
Si rectè memini. Nec atra egestas
Huc me, curtaque compulit supellex,
Dîs sit gratia. Qvin et heic amicos
Et multos et amabiles habebam,
15 Qveîscum futile tempus otioso,
Cantando simul, et simul bibendo
Passìm, qvodque caput rei est, amando,
Prorsus fallere suaviter licebat.
Nos patrem tamen, et patris penates,
20 Kirchnerumque meum tuumque, et illum
Cui nux juncta viae suave nobis
Cognomen dedit, et piam puellam
Planè sprevimus, ut solent novarum
Qvos ardet facilis cupido rerum.
25 Sed nunc alea prima jacta fermè est,

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B ARTSCHI (namque tui …) 241

hat, Freunde, euch auch hierin das Gleiche gewähren, und keiner von euch bei-
den lasse es zu einem unfruchtbaren Ehebett kommen. So genügt es mir, wenn
mir schon die Blumen, wenn mir die Freuden des Frühlings versagt bleiben, we-
nigstens später die vollen Scheunen zu sehen.

MART. OPITIUS
schrieb dies eilig vor der Abreise nach Ungarn
in Bunzlau in Schlesien
am 7. Mai 1622.
[W.-W.E.]

An den besten der Freunde, den hochangesehenen Michael Bartsch,


den Bräutigam.

Lieber Bartsch (denn ich denke gerade an dich, der du meine Unruhe deuten
magst), was hat mich – bei allen Göttern! – gezwungen, meine teure Heimat zu
verlassen, da ich mich jüngst in schleunigem Lauf bis zu den Fluren Dakiens auf-
machte, als hätte ich ein schlechtes Gewissen, ja geradezu als drohte mir die
Todesstrafe? Obwohl mir Nasos reizende Muse die Sinne raubt, habe ich doch
wirklich (10) nichts verbrochen, was eine Verbannung wie die seine verdient
hätte, wenn ich mich richtig erinnere. Auch hat mich nicht die düstere Armut
und häusliche Not hierher vertrieben, den Göttern sei Dank. Ja, dort hatte ich
sogar viele liebenswerte Freunde, mit denen ich die Mußestunden häufig sorglos
mit Gesang und Wein und, was vielleicht die Hauptsache ist, mit Liebe, ange-
nehm ganz wie im Flug vergehen lassen durfte. Ich habe trotzdem meinen Vater
und meine Heimatstadt (20) und deinen und meinen Freund Kirchner und
jenen, dem die Nuß, die mit dem Weg verbunden ist, den uns so lieben Beinamen
gegeben hat, und das treue Mädchen gänzlich verschmäht, wie es die zu tun pfle-
gen, die die leichtfertige Begierde nach Neuem entflammt. Aber jetzt ist der er-

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242 HActenus Aonias
Victâ Pannoniâ; secunda restat
[D3r] Mox calcanda via; haud quidem illa lethi,
Qvae communis erit mihi, tibique;
Multis asperior tamen vepretis
30 Illâ, quae tibi devoranda bellae
In complexibus est brevi maritae:
Qvamvis tanta meam indies freqventat
Pars plebis; tua trita non nisi uni est.
I, coeptosque locos capesse, cumque
35 Te fortasse sinum per hospitalem,
FRATER, vela vehent secunda; noster,
Dic, quam mallet OPITIUS negatam
Hanc tentare sibi viam, nec udam
Multum spernere humum ferente pennâ;
40 Qvi nunc Danubium colens ferocem
Scit quid liqverit heic, boni qvid illic
Posthac inveniet malique nescit.

MART. OPITIUS
Lusi Cassoviae, Pridie Cal.
Jun. A. MDcxxii.

***
Praestantissimorum Sponsorum
P AULLI H ALLMANNI
et
D OROTHEAE B AUDISIAE
Nuptiis.

HActenus Aonias agrestia culta puellas


Vidimus, et tenues vix habitare lares,
Nec cepere sacras rerum fastigia nymphas,
Parnassique jugis celsior aula fuit.
5 Non fert hoc noster, patriae spes unica, Princeps,
Sed vocat errantes ad sua tecta deas;
Dumque sinunt magni pro libertate labores,
Has solas posita tetricitate colit.
Te quoque quod tantis heros affectibus ultrò
10 Diligit, hoc debes artibus omne tuis.

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HActenus Aonias 243

ste Würfel schon fast gefallen und Pannonien besiegt; es bleibt noch in nächster
Zeit ein zweiter Weg zu gehen, zwar nicht jener Weg des Todes, der dir und
mir gemeinsam sein wird, sondern einer, der mit seinen vielen Dornen härter ist
(30) als jener, den du bald in der Umarmung deiner schönen Braut in vollen
Zügen genießen darfst. Während tagtäglich ein großer Teil des Volkes meinen
Weg geht, ist deiner einzig von dir betreten worden. Wohlan, nimm die Orte ein,
zu denen du dich aufgemacht hast; und während dich, mein Bruder, vielleicht
günstige Winde in eine gastliche Bucht tragen werden, sag: „Wieviel lieber wollte
unser Opitz diesen Weg, der ihm verwehrt ist, beschreiten und nicht immer wie-
der, während ihn seine Feder trägt, den feuchten Boden verabscheuen, (40) der
nun, während er an der wilden Donau ist, weiß, was er hier aufgegeben hat, und
nicht weiß, was an Gutem oder Schlechtem er dort finden wird.“

Ich, Martin Opitz,


habe dies in Kaschau am Tage vor den Kalenden
des Juni (31. 5.) 1622 gedichtet.
[W.-W.E.]

***
Zur Hochzeit
der vortrefflichen Brautleute
Paul Hallmann
und
Dorothea Baudissin.

Bis jetzt sahen wir die aonischen Mädchen bäuerliches Land und gerade einmal
bescheidene Hütten bewohnen, nicht beherbergten hohe Häuser die heiligen
Nymphen, und erhabener als der Parnassus-Berg war der Hof. Nicht ertrug dies
unser Fürst, die einzige Hoffnung der Heimat, sondern lud die umherirrenden
Göttinnen in seinen Palast. Soweit es die großen Mühen, die er für die Freiheit
auf sich nimmt, zulassen, legt er die finstere Strenge ab und verehrt sie allein.
Daß der Held auch dich mit so großer Leidenschaft ohne weitere Veranlassung

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244 DEstinatum tibi
Hinc tot (ut invidiae virus rumpatur,) honores,
Et quodcunque boni dat locus iste, capis.
Hinc tibi, sed fatum tamen addimus, illa Cytheris
Altera parte tori cedit, amice, sui.
15 Quisquis amas Musas aude tibi sumere vultum:
Et nostri tanto vindice surget amor.

M ARTINUS O PITIUS
ipso nuptiarum die scripsi.

***

V!iro" C!larissimo"
B ERNHARDO G VILIELMO
N ÜSSLERO
S UO
S alutem D icit M ARTINUS O PITIUS.
! " ! "

DEstinatum tibi, N ÜSSLERE, frater jucundissime, adhuc in Dacia, ubi calamum


ei primum admovi, hunc hymnum fuisse, vel adjecta sub ejus initium elegia (si
hoc nomen languidi versûs merentur) ostendit. Caussas, quae me tùm adduce-
bant, habebam quidem satis justas; non minores tamen ab eo tempore quo ad
5 vos reversus sum accesserunt. Nam ut de incomparabili amicitia nostra non di-
cam, quae à pueris ductu quodam naturae singulari ita crevit, ut de ea non ii so-
lum quibuscum hactenus viximus testari possint; verum etiam posteritas ipsa, si
qua illi cura nostri erit, beneficio carminum ad notitiam ejus perventura sit: erec-
tum istud ingenium tuum, varia doctri-[A2v]na, et judicium ante annos exquisi-
10 tissimum ita me ceperunt, ut fugientium optimarum artium, quae temporum ho-
rum calamitas est, non mediocre ornamentum esse te semper existimaverim.
Accedunt sacrarum literarum studia, quibus tu, quotiescunque occasio datur, ita
indulges, ut praeferre te haud paucis illorum quoque audeam, qui has solas pro-
fitentur. Opus autem esse mihi etiam hoc exemplo tuo contra illos autumo, qui,
15 si quando in vitam nostram, fori negotiis expositam potissimum, et nihil minus
quàm austeram, oculos conjiciunt, de iis quae majoris momenti sunt aut rarò nos

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DEstinatum tibi 245

(10) liebt, das alles verdankst du deinen Künsten. Daher erhältst du soviele
Ehren (daß nur das Gift des Neides abgewehrt wird) und, was immer dieser Ort
an Gutem gibt. Daher überläßt dir – aber das Schicksal nennen wir hier trotzdem
noch – jene zweite Kythereria eine Seite ihres Bettes, mein Freund. Wer auch im-
mer du bist, der du die Musen liebst, wage es, den Blick auf dich zu lenken; unter
so mächtigem Schutz wird auch Liebe zu uns entstehen.

Ich, Martin Opitz,


schrieb dies am Tag der Hochzeit.
[B.C.]

***

Martin Opitz grüßt


seinen Freund,
den geschätzten Herrn
Bernhard Wilhelm
Nüßler.

Daß dieser Lobgesang, mein lieber Bruder Nüßler, bereits in Dakien, wo ich zuerst
an ihn die Feder ansetzte, dir gewidmet war, zeigt schon die dessen Anfang voran-
gestellte Elegie (wenn die schwerfälligen Verse diesen Namen verdienen). Die
Gründe, die mich damals dazu veranlaßten, waren gewiß berechtigt genug; nicht
geringfügigere sind jedoch seit der Zeit, als ich zu euch zurückgekehrt bin, hinzu-
gekommen. Denn – um von unserer unvergleichlichen Freundschaft gar nicht zu
sprechen, die unter einer gewiß einzigartigen Führung der Natur von Kindesbei-
nen an so weit gediehen ist, daß nicht nur diejenigen, mit denen wir bis jetzt gelebt
haben, Zeugnis von ihr ablegen können, sondern sogar gerade die Nachwelt, wenn
sie sich überhaupt um uns kümmert, dank der Dichtung von ihr erfahren wird –
dieser dein aufgeweckter Geist, deine vielseitige Gelehrsamkeit und die bereits
über dein Alter hinaus so verfeinerte Urteilskraft haben mich derart eingenom-
men, daß ich dich schon immer für eine nicht unbedeutende Zier der im Nieder-
gang begriffenen Wissenschaft – was das Unheil unserer Zeit ist – gehalten habe.
Hinzu kommt die Beschäftigung mit der geistlichen Literatur, der du dich, sooft
sich nur eine Gelegenheit bietet, mit einer solchen Lust hingibst, daß ich dich nicht
wenigen auch unter denen, die dies hauptberuflich betreiben, vorzuziehen wage.
Ich behaupte, daß ich dein Beispiel aber auch gegen diejenigen nötig habe, die,
wenn sie einmal die Blicke auf unser Leben heften, das hauptsächlich Betätigungen
in der Öffentlichkeit gewidmet und nichts weniger als streng ist, meinen, wir küm-

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246 DEstinatum tibi
admodum, aut vix bona fide cogitare opinantur; quos tamen ipsos nonnunquam
ex eorum esse numero

Qui Curios simulant, et Bacchanalia vivunt,

20 locus iste non permittit ut recenseam. Porro, quoniam eo seculo nati sumus, quo
gratis nec offertur quicquam, nec accipitur, te, à quo extra constantem amicitiam
nihil po-[A3r]scimus aut expectamus, donare hac strena voluimus, ut videant ob-
trectatores, nos praeter benevolentiam bonorum et honestam nominis existima-
tionem nihil amplius expetere.

25 -
µ« « 4 $µ« '!«,

et ea excipiuntur humaniores literae gratia, ut ultrò etiam eximii se passim offe-


rant patroni, quorum splendore, munificentia et authoritate contra aemulorum
pariter et fortunae insultûs tueri se nullo negotio possunt. De aliis non dicam;
cum unicum Illustris Viri Henrici de Stange, Patris Musarum, exemplum mihi
30 sufficiat: cui literatissimo Equiti ingentem me ac propè solum studiorum meo-
rum fructum debere ne hîc quidem subticere possum. Caeterùm praeter dignita-
tem materiae, qua sanè meliorem nemo Poëtarum unquam suscepit, si quicquam
in hoc carmine quaeris, omninò frustra es. Quae mea tum scribentis conditio
fuerit, quam gravissimus me morbus invaserit, [A3v] [qui]bus curis involutus hae-
35 serim, non semel audivisti: Ab ejusmodi autem homine vividum aliquid et quod
cogitationes vulgi excedat proficisci posse, neque tu credis, N ÜSSLERE , neque
quisquam alius, qui remoto livore divinae artis sublimitatem paullò accuratius se-
cum perpendit. Propter solum itaque argumentum, circa cunas dulcissimi Serva-
toris nostri occupatum, haec amabis: aut si inibi quoque aliquid aliud boni inve-
40 nies, hocipsum etiam eidem unicè asscribes, absque cujus auxilio nihil uspiam
efficere mortales posse nemo Christianorum ignorat. Vale, frater jucundissime,
cum Amplissimo Kirchnero nostro, et hostes literarum fortiter nobiscum con-
temne. Lignicii, Propr. Cal. Januarias, Anni M.DC.XXIV.

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DEstinatum tibi 247

merten uns um Dinge von größerer Bedeutung entweder viel zu selten oder ohne
rechte Aufrichtigkeit. Daß sie dabei selbst zuweilen von der Sorte sind, die

„Wein trinkt und Wasser predigt“,

das darzulegen, ist hier nicht der Ort.


Ferner wollten wir – da wir nun einmal in einer Zeit geboren sind, in der nichts
kostenlos angeboten und angenommen wird – dich, von dem wir weiter nichts als
eine beständige Freundschaft verlangen oder erwarten, mit diesem Neujahrsge-
schenk bedenken, damit unsere Neider sehen, daß wir nichts anderes als das
Wohlwollen der Rechtschaffenen und eine ehrenvolle Meinung hinsichtlich unse-
res Namens erstreben.

„Ein edler Freund ist ein großer Schatz“,

und die gelehrten Studien werden mit solcher Gunst aufgenommen, daß sich
vortreffliche Gönner sogar von selbst allenthalben anbieten, durch deren Glanz,
Freigebigkeit und Einfluß jene sich gegen das von Neidern und vom Schicksal
gleichermaßen zugefügte Unrecht mühelos wehren können. Von anderen will ich
nicht reden, denn mir genügt das einzigartige Beispiel des hochachtbaren Man-
nes und Vaters der Musen, Heinrich von Stange. Daß ich eine ganz besondere –
und beinahe die einzige – Frucht meiner Studien diesem äußerst gebildeten Ritter
zu verdanken habe, kann ich selbst hier nicht verschweigen. Wenn du übrigens ir-
gendetwas in diesem Gedicht suchst außer der Würde des Stoffes (eines besseren
hat sich wahrlich kein Dichter jemals angenommen), dann bist du vollkommen
im Irrtum. In welchem Zustand ich mich damals während des Schreibens befand,
welch schwere Krankheit mich befallen hatte, welche Sorgen mich umschlungen
hielten, hast du mehr als einmal gehört. Daß aber ein Mensch in diesem Zustand
etwas Lebenskräftiges und etwas, das über die Gedanken des gemeinen Mannes
hinausragt, hervorbringen kann, glaubst weder du, Nüßler, noch glaubt es sonst je-
mand, der die Erhabenheit der göttlichen Kunst etwas gewissenhafter, ohne Neid
bei sich erwägt. Also wirst du vorliegendes Werk allein seines Inhalts wegen lie-
ben, da es hier um die Wiege unseres allersüßesten Heilandes geht. Oder wenn du
sonst noch etwas Gutes darin finden solltest, selbst das sollst du einzig und allein
demjenigen anrechnen, ohne dessen Hilfe, wie jeder Christ wohl weiß, kein
Sterblicher irgendetwas irgendwo vollbringen kann. Leb wohl, lieber Bruder, zu-
sammen mit unserem hochgeschätzten Kirchner, und achte die Feinde der Lite-
ratur, wie wir es tun, wacker für nichts. Liegnitz, am 30. Dezember 1623.
[P.F.]

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248 INgentes animae
[A4r] Elegia ejusdem ad eundem,
ante annum perscripta.

INgentes animae, sanctae quas impetus aurae


Immortale olim condere jußit opus;
Caelestes tantùm nobis quod narrat amores,
Non Venerem, et coeci tela pudenda dei:
5 Quale tibi surgit, Prudenti maxime, carmen,
Et tu, Lactanti, raptus ad astra canis:
Si licet, et fas est, vestris date fontibus ora,
Nil huc Pegasidum nam facit unda, rigem.
Virgineos partûs, quid versu dignius esset?
10 Natalemque hominis qui Deus ipse, canam.
Gens humana veni; cunas spectabimus illas,
Quas tua vera salus vitaque tota premit.
Tam festa cessent aliena negotia luce,
Nil urbes vani, nil ager ullus agat.
15 Priscorum sileat sapientia coeca sophorum,
Velaque Neptuni pallida turba legat.
Caußidici metuant venales solvere linguas,
Hostiles ponant arma cruenta manûs,
Author pacis adest, superûmque hominumque voluptas.
20 Spectatum huc avidè gens venit ipsa poli.
Nec faculis opus est: ostendunt sidera parvam,
Quà magnus vitae Sol jacet ille, casam.
Dulce decus rerum, generis lux unica nostri,
Quem pronis animis mundus uterque colit,
25 [A4v] Si tibi marmorei pereuntia limine templi
Munera, et Eoi non damus orbis opes:
Paupertas pietatis amans exosaque fraudi,
Et mens plena fide te, puer alme, capit.
Simplicius quid erat miseris pastoribus usquam?
30 Tu tamen hos primos in tua sacra vocas.
Dum domini rerum, et vincti fortaßè Lyaeo
Reges lenta gravi membra sopore levant,
Plebs contempta, capax fidei tamen, occupat antrum,
Neglectis gregibus, laeta libensque tuum,
35 Occurritque tibi: sic his quoque versibus (illos
Non ignoro tui muneris esse) fave.
Et tu, fide mihi semper, N ÜSSLERE , sodalis,

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INgentes animae 249

Eine Elegie desselben an denselben,


vor einem Jahr geschrieben.

Mächtige Seelen, die einst die Macht des Heiligen Geistes ein unsterbliches Werk
schaffen hieß, das uns nur von der himmlischen Liebe, nicht aber von Venus und
den schändlichen Pfeilen des blinden Gottes erzählt, so wie dein Lied sich er-
hebt, herrlicher Prudentius, und wie du es singst, zu den Sternen entrückter Lak-
tanz: Wenn es erlaubt ist und Gott gefällt, laßt mich meinen Mund an euren
Quellen netzen (denn das Naß der Musen taugt hier nichts)! Die Niederkunft der
Jungfrau – welcher Stoff wäre des Verses würdiger? – (10) und den Geburtstag
des Menschen, der Gott selbst ist, werde ich besingen. Komm, Menschenge-
schlecht, wir wollen jene Wiege anschauen, in welcher dein wahres Heil, dein
ganzes Leben liegt. An einem so festlichen Tag sollen weltliche Geschäfte ruhen!
Kein eitles Treiben herrsche in den Städten, keins auf den Äckern! Die blinde
Weisheit der alten Philosophen soll schweigen, und Neptuns Schar soll die blei-
chen Segel streichen! Die Anwälte sollen sich hüten, ihre käufliche Beredsamkeit
ohne Hemmungen anzuwenden; die verfeindeten Scharen sollen die blutver-
schmierten Waffen niederlegen: Der Friedensstifter ist gekommen, Wonne der
Himmelsbewohner und der Menschen. (20) Selbst die himmlischen Heerscharen
kommen begierig herbei, um ihn zu sehen. Und es bedarf keiner Fackeln: Sterne
zeigen die kleine Hütte an, in der jene gewaltige Sonne unseres Lebens liegt. Du
süße Zier der Schöpfung, unseres Geschlechts einziger Lichtstrahl, den beide
Welten mit willigem Herzen verehren: Wenn wir dir keine vergänglichen Ge-
schenke und keinen morgenländischen Reichtum an der Schwelle eines marmor-
nen Tempels darbringen, so nehmen dich, holder Knabe, die Armut, eine Freun-
din der Frömmigkeit, doch dem Truge verhaßt, und ein vom Glauben erfülltes
Herz auf. Wo gab es etwas Einfacheres als arme Hirten? (30) Trotzdem lädst du
diese als erste zu deinem Fest. Während die Herren der Welt und die Könige,
vielleicht vom Wein gefesselt, die schweren Glieder durch einen tiefen Schlaf
stärken, füllt das zwar verachtete, doch für den Glauben empfängliche Volk
glücklich und vergnügt deine Grotte, nachdem es seine Herden zurückgelassen
hat, und eilt dir entgegen. Sei also auch diesen Zeilen gewogen (ich weiß genau,
daß jene anderen ein Werk deiner Gnade sind)! Auch du, Nüßler, mein immer

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250 CErnis effusas
Quem Musae norunt et Themis esse suum,
Huc magnae steterat quà prisca colonia Romae,
40 Non licet hoc etenim corpore, mente veni,
Et vati largire tuo, majora quis optet?
Vel paullum ex genii nobilitate tui.
Nam me languor edax, et membra exercita morbis,
Vix digitos, taceo plura, movere sinunt.
45 Hora tamen clemens, post tot discrimina rerum,
In patria rursum te mihi junget humo.
Interea, nam sola ferè mihi vota supersunt,
Vive, et me melius, dulcis amice, vale!

[…]

[D3v] Paraphrasis Psalmi LXXIX.


eodem Authore.

CErnis effusas, pater alme, turmas


In tuis latè rutilare campis,
Atque vastantes tibi vota diras
Praedia gentes.
5 Polluit saevo tua templa ferro
Agmen infestum, jacet illa magna,
Urbium princeps solymaeque verrunt
Infima turres.
Pavit obscoenos furor impiorum
10 Alites sparso per agros cerebro,
Et feris sanctae laceranda liquit
Viscera plebis.
Civium turpi madefacta tabo
Innocens tellus rubuit, novisque
15 [D4r] Extulit stragis cruor insepultae
Flumina ripis,
Perfidum rident mala inhospitales
Nostra vicini, et satiant suorum
Heu! propinquorum fera luctuosis
20 Corda ruinis.
Quis manet tandem toties relictum

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CErnis effusas 251

treuer Kamerad, den die Musen und Themis als den Ihren betrachten, (40) begib
dich im Geiste – leibhaftig kannst du das ja nicht – hierher, wo die einstige
Kolonie des großen Rom gestanden hatte, und spende deinem Dichter – wer
könnte Größeres wünschen? – auch nur ein bißchen von deinem vortrefflichen
Geist! Denn eine zehrende Mattigkeit und die Heimsuchung der Glieder durch
Krankheiten lassen mich kaum die Finger bewegen – zu schweigen von anderen
Dingen. Doch die Stunde wird kommen, die uns nach so vielen Gefahren auf
heimatlichem Boden wieder gnädig zusammenführen wird. Inzwischen – denn
mir bleiben wohl nur Wünsche übrig – leb wohl, lieber Freund, und laß es dir
besser gehen, als es mir geht.
[P.F.]
[…]

Paraphrase des Psalms 79


von demselben Verfasser.

Du siehst, gütiger Vater, die Kriegshaufen in ihrem rötlichen Glanz auf deinen
Feldern ringsum, und die grausamen Völkerscharen, die deine Heiligtümer plün-
dern. Das feindliche Heer hat deine Tempel entweiht mit grimmigem Eisen.
Die erhabene Königin der Städte liegt danieder, und Jerusalems Türme streifen
die Erde. Die Wut der Gottlosen fütterte die unreinen (10) Vögel mit dem über
die Felder verteilten Gehirn und ließ wilden Tieren die Eingeweide des gott-
gefälligen Volkes zum Fraß. Die unschuldige Erde war rot, benetzt vom wider-
lich verwesenden Blut der Bürger, und aus dem Blut der nicht begrabenen Lei-
chen entsprangen Flüsse zwischen neuen Ufern. Treulos lachen die ungastlichen
Nachbarn über unser Unglück und laben ihre wilden (20) Gemüter an dem trau-

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252 CErnis effusas
Exitus caetum, Deus? an furoris
Non tui volvit satis aestuantes
Flamma favillas?
25 Impetu dextrae potius tremendae
Nescias contunde tui catervas,
Et lacessito tege peierantes
Fulmine reges.
Hi tui sedem et placidos Jacobi
30 Igne vastarunt rabido penates:
Sola nunc passim superant pudendis
Rudera campis.
Exequi poena nimium severa
Mitte transacti malè crimen aevi,
35 Et fatigatam gravibus procellis
Erige turbam.
Nominis per te veneranda sancti
Sacra, per numenque tuum precamur,
Arma pro nobis cape, nec fidelem
40 Linque cohortem.
Ne rudes belli pariter deique
Esse nos livor crepet impiorum,
Aduola certus tibi militantis
Sanguinis ultor.
45 v
[D4 ] Frange probrosas populi catenas
Duriter pressi, neque te vocantum
Lachrymas tristes, et in astra missos
Respue questûs.
Redde perversis mala quae dederunt
50 Septies castris, et ab insolenti
Jacta vicino toties, in ipsum
Probra retorque.
Atque sic grex nos tuus usque et usque
Ibimus, prompti simul et parati
55 Ore non falso tibi consecratas
Pangere laudes.

***

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CErnis effusas 253

rigen Untergang – ach! – der ihnen Nahestehenden. Gott! Welches Ende wartet
denn auf die so oft verlassene Gemeinde? Hat denn die Flamme deines Zorns
nicht genug glühende Asche aufgewirbelt? Zerschmettere lieber die Heereshau-
fen, die dich nicht kennen, mit einem Schlag deiner furchtbaren Rechten und
überziehe die meineidigen Könige mit dem Blitz, den sie herausgefordert haben!
Diese verwüsteten den Sitz und das friedliche Haus deines Jakob (30) mit wüten-
dem Feuer: Nur noch Schutt bleibt allenthalben auf den schändlich zugerich-
teten Feldern übrig. Laß ab davon, die Schuld sündiger Zeiten mit allzu harter
Strafe zu verfolgen, und richte das durch heftige Stürme zermürbte Volk auf!
Wir bitten dich bei der majestätischen Ehre deines heiligen Namens und bei dei-
nem göttlichen Willen, leg deine Waffen für uns an und (40) laß die Schar der
Gläubigen nicht im Stich! Damit der Neid der Gottlosen uns nicht zugleich
kriegsuntüchtig und gottverlassen schimpft, eile herbei als sicherer Rächer des
für dich streitenden Blutes. Zerreiße die schändlichen Ketten des Volkes in der
schweren Bedrängnis und weise die bitteren Tränen der dich Anrufenden und
ihre zu den Sternen emporgesandten Klagen nicht ab! Vergelte ihnen, nachdem
(50) die Festungen zerstört worden sind, das Übel, das sie zugefügt haben, sie-
benmal und wende die Schmähungen, mit denen uns der Nachbar in seinem
Übermut so oft beworfen hat, gegen ihn selbst. So werden wir dann für immer
und immerzu als deine Herde mit dir gehen, stets bereit und gewillt, mit einem
Mund, der kein Falsch kennt, das dir geweihte Lob anzustimmen.
[P.F.]

***

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254 Nil, C UNRADE , tuo

Nil, C UNRADE , tuo, diserte, Scito


Fermè est notius inter eruditos
Hac doctae pietatis, à tot annis
Fotae jugiter, aemulatione,
5 Qvin et me puerum, recordor, olim
Ausum nonnihil inter hos Olores:
Sed tantùm puerum, inscium profundi
Sensûs, nec benè verba ponderantem.
At postqvam nucibusque Patriaque,
10 Sic aetate jubente, derelictis,
A vobis procul, anxium sinistrae
Fortunae didici timere fulmen,
Tunc me, qvantus eram, venusta totum
Haec sententia cepit, aut ego illam;
15 Tunc vidi magis et magis tuum istud
Antiqvum, D OMINI E st S ALUS, qvid esset.
Inprimis gracilenta non torosos
Qvum nuper febris hos trahebat artûs,
[425] Nec qvidqvam mihi (tanta solitudo
20 In terrâ minimè malâ bonorum est,)
Veri consilii pateret usqvam,
Hanc solam petii D EUM S ALUTEM ;
Et vires animique corporisque,
Id qvod nec Medicus, nec herba posset,
25 Omni spe citiùs redire sensi.
Sint longè mihi Patria et Parentes,
Sint cari (grave dictu id est!) amici,
Et qvodcumque juvat domi morantes;
Non sum solus, ubi S ALUS J EHOVAE E st.

Albae Juliae Dacorum, ubi tum Professorem


Ordinarium agebat, 17. Jan. 1623.

***

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Nil, C UNRADE , tuo 255

Beinahe nichts, beredtester Cunrad, ist unter den Gebildeten bekannter als dein
Leitspruch, und zwar durch diesen Wettstreit mit deiner seit so vielen Jahren le-
bendig bewahrten gelehrten Frömmigkeit. Ja, ich erinnere mich, daß auch ich
einst als Knabe mancherlei gewagt habe unter diesen Schwänen, aber eben nur
als Knabe, der den tiefen Sinn nicht erkannte und die Worte nicht gut abwägte.
Nachdem ich jedoch die Kinderschuhe abgelegt, die Heimat, (10) wie es mein
Alter verlangte, verlassen und fern von euch den beängstigenden Blitzschlag
eines ungünstigen Geschicks zu fürchten gelernt hatte, da ergriff mich, wie ich
war, ganz und gar dieser liebliche Satz oder ich ihn. Da erkannte ich mehr und
mehr, was dein alter Wahlspruch „Beim Herrn ist Heil“ bedeutet. Besonders
neulich, als ein zehrendes Fieber meine geschwächten Glieder niederzog und
sich mir nirgends mehr (so groß ist die Verlassenheit (20) von guten Menschen in
einem Land, das ja keineswegs schlecht ist) irgendein brauchbarer Rat zeigte, bat
ich Gott nur um dieses Heil und spürte, daß die Kräfte des Geistes und des Kör-
pers, was kein Arzt und keine Medizin vermocht hätten, schneller als je erhofft
zurückkehrten. Es mögen Heimat und Eltern weit von mir entfernt sein, auch
die geliebten Freunde (dies zu sagen, fällt mir schwer!) und was immer den Da-
heimgebliebenen Freude macht – ich bin nicht allein, wo das Heil bei Jehova ist.

Weißenburg in Siebenbürgen, wo er zu dieser Zeit als ordentlicher


Professor wirkte, am 17. Januar 1623.
[R.G.C.]

***

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256 Oratio D.M. Martini Opici

Oratio D!omini" M!agistri" Martini Opicii.

SEreniß!ime" Sacri Romani Imperii Tranßylvaniaeque Princeps, et D!omi"n!i"


Clementiß!imi" Illustrißimi, Generosissimi-Magnifici, nobiliß!imi" Reveren-
di, Clarissimi, Egregij omnium Ordinum Audit!ores". Nullam in his terris, tam
eße absolutam felicitatem cui non sua quoque calamitas subinde coniuncta sit,
5 praesens hic rerum status exemplo singulari ostendit: Intuentibus enim nobis
altius omnia, quae ad constitutionem perfectae felicitatis in hac quidem publica
fragilitate requiri poßunt, nihil paenè quicquam eorum Princeps Sereniß!ime"
circa te desiderabatur. Nam si ea demum [147] verè beata vita dici debet, quae
relicto externae vanitatis strepitu, in virtute sola consistit; regali tuo, erecto et
10 infatigabili animo, fastigium mortalitatis paulò minus quam excesseras. Pacis
artibus cum quovis magnorum Heroum eras comparandus, dexteritate belli verò
summis ante ferendus. Et cum iis etiam quae vulgò prima habentur, opibus dico,
honoribus ac imperiis favor Coelestis abunde te donasset; ne ipsa quidem for-
tuna totis viribus incumbens nocere tibi posse videbatur. At, proh dolor! quam
15 fragile, quam incertum est hoc, quicquid miseri omnibus numeris exactum esse
nobis persuademus! In tanta incolarum laeticia, in tanto exterorum applausu et
gratulatione inter mediam spem pacis, vulnus tibi Princeps potentißime infligitur
gravissimum. Illa dimidia animae tuae pars, ille totus animus tuus, refugium
curarum et gaudium, coniux amabilissima, reposcitur ab eo, cuius indultu hacte-
20 nus tecum vixerat, et solum sui desiderium cum dolore et luctu acerbissimo tibi
relinquit. In cuius quidem Heroinae incomparabilis funere, quod ego, cui nulla

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Oratio D.M. Martini Opici 257

Rede des Herrn Magister Martin Opitz.

Durchlauchtigster Fürst des Heiligen Römischen Reiches und von Siebenbür-


gen, und allergnädigste, erlauchteste, hochedle, großmächtige, adligste, ver-
ehrungswürdige, hochangesehene, vortreffliche Herren Zuhörer aller Stände!
Daß auf dieser Erde kein Glück so vollkommen ist, daß ihm nicht doch bald
darauf auch sein ganz eigenes Unglück beigesellt ist, dies zeigt in einzigartiger
und beispielhafter Weise die hier vorliegende Situation. Wenn wir nämlich ganz
genau alles das betrachten, was inmitten dieser allgemeinen Vergänglichkeit
zur Begründung vollkommenen Glücks erforderlich sein könnte, so war an dir,
durchlauchtigster Fürst, von alldem beinahe nichts zu vermissen. Denn wenn
erst jenes Leben als wahrhaft glücklich bezeichnet werden darf, welches das Ge-
töse äußerlicher Eitelkeit hinter sich gelassen hat und sich allein auf die Tugend
gründet, so warst du kraft deines königlichen, aufrechten und unermüdlichen
Sinnes über den für Menschen erreichbaren Gipfelpunkt beinahe noch hinaus-
gelangt. In den Künsten des Friedens warst du mit jedem der großen Helden zu
vergleichen, doch in der Kriegskunst warst du selbst den Besten vorzuziehen.
Und da dich die Gunst des Himmels auch mit jenen Gütern, die gewöhnlich
als die wichtigsten gelten (ich meine Reichtum, Ehren und Macht), im Überfluß
beschenkt hatte, schien nicht einmal das Schicksal höchstpersönlich, wenn es
sich mit aller Macht anstrengte, dir schaden zu können. Doch, o Schmerz, wie
zerbrechlich, wie ungewiß ist all das, von dem wir Elenden uns selbst einreden,
es sei ganz genau berechnet! Als deine Landsleute gerade laut jubeln, als das Aus-
land gerade großen Beifall spendet und Glück wünscht inmitten der Hoffnung
auf Frieden, da wird dir, mächtigster Fürst, eine überaus schwere Wunde ge-
schlagen. Jene ‚Hälfte deiner Seele‘, dein ganzes Herz, deine Zuflucht bei Sorgen
und deine Freude, deine über alles geliebte Gattin wird von jenem zurückgefor-
dert, durch dessen Gnade sie bis dahin mit dir gelebt hatte, und sie hinterläßt
dir als einziges die Sehnsucht nach ihr zusammen mit tiefstem Schmerz und tief-
ster Trauer. Daß bei der Leichenfeier für diese unvergleichliche Heroine gerade
ich, der ich niemals über Beredsamkeit verfügt habe, aufgestanden bin, um das
Wort zu ergreifen, dafür kann ich, so muß ich gestehen, einzig mein Gefühl von
Verpflichtung zu meiner Entschuldigung anführen. Denn wenn es einerseits die
Tugenden der Dahingegangenen verdient haben, in angemessenem Lob gewür-
digt zu werden, so zweifle ich, ob die Redegabe irgendeines Menschen hierzu
ausreichte; wenn es andererseits darum ginge, unseren allergnädigsten Fürsten
durch Trost aufzurichten, so weist sein vollkommen unbesiegbarer Charakter
solche Stärke und Standhaftigkeit auf, daß wir zwangsläufig dieser Pflicht ent-
hoben sind. Hinzu kommt dieser edelste Kreis der Zuhörer, von denen einige
sich durch ihre unsterblichen Taten bereits jenseits dessen bewegen, was die

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258 Oratio D.M. Martini Opici

sermonis copia unquam fuit ad dicendum assurexi, unicam fateor, Pietatem, ad


excusationem meam afferre possum. Nam sive virtutes defunctae iustis laudibus
efferri meruerant, dubito an cuiusquam facultas sufficiat: sive Princeps noster
25 clementissimus consolatione sublevandus erat, ea invictissimus eius animus
fortitudine praeditus est, et constantiâ, ut perire nobis hoc officium neceße sit.
Accedit Corona haec Audit!orum" augustißima, quorum aliquot iam factis im-
mortalibus ultra ipsam eloquentiam et industriam annalium consistunt, plurimi
autem et aetate et doctrina, et quicquid ad tam grave dicendi munus requiritur,
30 intervallo me superant longè maximo. Sed nos haec omnia potius, quâm studium
et reverentiam, quibus magnos homines vivos mortuosque iure prosequimur,
desiderari in nobis patiemur. [148] Ac ut inde nostrum sumamus initium, unde
foeminarum Illustrissima suum, Pannonia eam, raro Dei munere nobis donavit.
Illa omnibus coeli ac Soli bonis tellus refertissima, quae frumenti luxuriâ, vini
35 bonitate, nemorûm et saltuum frequentia, fluminum amoenitate, metallorum
divitiis, quotquot usquam sunt regiones provocat. Illa quae tot Decios, Aure-
lianos, Probos, Diocletianos, Iovianos, Valentinianos, Valentes, Gratianos ad
summam Imperij sedem eduxit. Illa, quae Martinos, Hieronymos, Duditios,
Sambucos ingentes ac divinos propè viros, in lucem protulit. Illa, in qua Matthias
40 Corvinus, illud fulmen belli, qui eodem et uno tempore, Sarmatas, Bohemos,
Getas, Austriacos domuit, nasci voluit et educari. Illa, quae tot milites, quot alibi
vix homines, in foecundissimo sinu aluit. Hanc terram, cum Heroinarum prae-
stantissima patriam haberet, ne de illustri et splendidissima Caroliorum stirpe
verba faciam, virtutem illam singularem et generositatem animi, cum ipso proti-
45 nus aêre hausit. Nam quid ego de religione eius in Deum et mirifica loquar pie-
tate? Iuro vobis, si ad acerrimum quo praedita erat ingenium, doctrina saltem
accessisset exigua, cognitione sacrarum literarum, nemo hominum illam supe-
rasset. Ipsis eruditis et quorum hoc studium est proprium, ruborem saepè
numero expressit. Preces cum funderet ardore quasi, et interno devotionis aestu,
50 rapi extra sese videbatur. Cingebant hunc virtutûm Solem, praeter eximiam cor-
poris pulchritudinem, veluti sydera quaedam lucida, plurimae dotes aliae, quae

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Oratio D.M. Martini Opici 259

Redegabe und der Fleiß der Geschichtsschreibung darzustellen vermag, von


denen aber die meisten mich hinsichtlich ihres Alters und ihrer Bildung und al-
les dessen, was für einen so gewichtigen Redeanlaß erforderlich ist, mit gewal-
tigem Abstand übertreffen. Aber lieber will ich es hinnehmen, daß man bei mir
dies alles vermißt, als daß man jene Ergebenheit und Ehrerbietung vermißte,
die wir großen Menschen zu ihren Lebzeiten und nach ihrem Tode zu Recht er-
weisen. Und um an dem Punkt zu beginnen, an dem die herrlichste aller Frauen
begonnen hat: Ungarn hat sie uns dank einer besonderen Gunst Gottes ge-
schenkt, jenes Land, das überfließt an allen Gütern des Himmels und der Erde,
das durch den Reichtum an Getreide, durch die Güte des Weins, durch die
große Zahl an Wäldern und Gebirgen, durch die Anmut der Flüsse, durch den
Reichtum an Metallen mit allen Gebieten der Welt wetteifert, jenes Land, das so
viele Männer wie Decius, Aurelian, Probus, Diokletian, Jovian, Valentinian, Va-
lens und Gratian zum höchsten Thron des Kaiserreichs emporgeführt hat, je-
nes Land, das so gewaltige und beinahe göttlich zu nennende Männer wie Mar-
tin, Hieronymus, Dudith und Sambucus ans Licht der Welt gebracht hat, jenes
Land, in dem Matthias Corvinus, jener gewaltige Kriegsheld, der zu ein und
derselben Zeit die Sarmaten, Böhmen, Geten und Österreicher bezwungen hat,
geboren und erzogen werden wollte, jenes Land, welches in seinem überaus
fruchtbaren Schoß so viele Soldaten genährt hat, wie es anderswo kaum Men-
schen gibt. Da die vortrefflichste unter den Heroinen dieses Land zur Heimat
hatte (von dem erlauchten und überaus glänzenden Geschlecht derer von Ká-
rolyi will ich gar nicht erst reden), atmete sie unmittelbar mit der Luft zugleich
auch ihre einzigartige Tugend und edle Gesinnung ein. Denn was soll ich von
ihrem Glauben an Gott und ihrer wunderbaren Frömmigkeit reden? Ich
schwöre euch: Wenn zu dem äußerst scharfen Verstand, mit dem sie begabt war,
auch nur noch ein wenig Bildung hinzugekommen wäre, hätte sie kein Mensch
in der Kenntnis der Heiligen Schriften übertroffen. Sogar den Gelehrten, deren
Fachgebiet dies ist, trieb sie oft die Schamröte ins Gesicht. Wenn sie mit In-
brunst und gleichsam voll innerer Glut ihrer Hingabe ihre Gebete sprach,
schien sie sich selbst entrückt zu sein. Diese Sonne der Tugenden umringten –
neben der außerordentlichen Schönheit ihres Körpers – gleichsam wie leuch-
tende Sterne noch viele andere Gaben, welche man kaum aufzählen, ge-
schweige denn hinreichend würdigen kann. Neben allem übrigen, welchem
große Fürsten ausgesetzt sind, stellt eine schwere Last auch der Umstand dar,
daß alle ihre Worte, Taten und Verhaltensweisen, fast möchte ich sagen: sogar
ihre Gedanken mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit ausgeforscht werden.
Die menschliche Neugier dringt nicht nur zu den Türen und Hallen vor, son-
dern sogar zu den Schlafgemächern und der Abgeschiedenheit vollkommen
privater Räumlichkeiten, und unerwartet breitet sie gerade die größten Geheim-

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260 Oratio D.M. Martini Opici

vix recenseri, nedum satis commendari possunt. Est hoc magnorum Principûm
inter caetera non leve onus, quod in omnia dicta, facta, et mores eorum, dixerim
paenè in ipsas cogitationes, exquisita diligentia inquiratur: non fores modò et
55 atria, sed cubicula etiam intimosque secessus, curiositas humana petit, et praeter
expectationem, abditissima quaeque in oculis populi, et luce clarissima expo-
[149]nit. Inquisiverint undique, omnes angulos perreptaverint, nihil penes no-
stram fuit, quod, si proferatur, non gloriae ipsi maximae et honori futurum sit.
Poterat in hac Mariti Serenißimi eminentia, ad quam Numen coeleste et forti-
60 tudo bellica eum provexerant, vento quodam Superbiae, solenni foeminarum
morbo abripi: sed illa nihil sibi, ex tanto rerum secundarum affluxu, nisi gau-
dium vendicavit, nihil ab ea, quam à teneris prae se tulerat continentia quicquam
descivit. Ita dùm Heros noster arces expugnat, urbes subiugat, instantes hostium
catervas frangit, illa interim domi insolentiam, adversarium humani generis
65 longè validissimum: vicit et prostravit. Eadem, quanto amore maritum, quanta
subditos clementiâ, quâ munificentia inopes, qua peccantes venia, qua humani-
tate notos ignotosque prosecuta fuit? Nihil illa castius, nihil sobrius, nihil mode-
stius, nihil mansuetius, universum hoc seculum vidit. Et cum viva egenos paverit,
captivos vestierit, afflictis subvenerit, quotiesque potuit fortunae interceßerit,
70 ne moriens quidem illiberalis esse voluit, sed stipem pauperibus non exiguam te-
stamento reliquit; ô verè publicum bonum et in commune auxilium natam! For-
titudinem verò illius et constantiam prorsus masculam, si nihil aliud, extremus
profectò vitae actus abundè ostendit. Invaserat eam paulò vehementius in itinere
fatalis iste morbus, et vires corporis tenerrimi non mediocritèr attriverat: sed ne
75 reclinare se quidem in currum voluit, princeps ad omnes casus excipiendos pa-
ratissima; nedum ut ullam doloris impatientiam vel vultu, vel verbis indicasset.
Claudiopoli postea, cum imminere fatum sibi suum cerneret, medicorum indu-
striam aut contempsit, aut ne contempsisse videretur parcè admisit. Perpendebat

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Oratio D.M. Martini Opici 261

nisse vor den Augen des Volkes und am hellichten Tage aus. Sie mögen überall
nachgesucht haben und in jeden Winkel gekrochen sein, doch gab es bei unse-
rer Herrin nichts, was ihr nicht zu größter Anerkennung und Ehre gereichte,
wenn es denn publik gemacht würde. Angesichts der herausragenden Stellung
ihres durchlauchtigsten Gemahls, zu der ihn die Macht des Himmels und die
Tapferkeit im Kriege emporgetragen hatten, hätte sie vielleicht gleichsam vom
Wind des Hochmuts hinweggerissen werden können, was ja bei Frauen eine
ganz übliche Krankheit ist. Doch hat sie von all dem Überfluß an Erfolgen für
sich selbst lediglich die Freude darüber beansprucht. Sie ist kein bißchen von je-
nem Pfad der Zurückhaltung abgewichen, dem sie von Jugend an gefolgt war.
Während also unser Held Burgen eroberte, Städte unterwarf, die andrängenden
Scharen der Feinde schlug, besiegte und bezwang sie zur gleichen Zeit zu Hause
den Hochmut, welcher ja der bei weitem mächtigste Feind des Menschenge-
schlechts ist. Welch’ große Liebe hat eben diese Frau gegenüber ihrem Ehe-
mann gezeigt, welche Milde gegenüber ihren Untertanen, welche Großzügig-
keit gegenüber den Mittellosen, welche Gnade gegenüber den Sündern, welche
Menschlichkeit gegenüber Bekannten und Unbekannten! Dieses ganze Zeital-
ter hat nichts Reineres, nichts Enthaltsameres, nichts Bescheideneres, nichts
Sanftmütigeres gesehen als sie. Und da sie zu Lebzeiten die Armen speiste, die
Gefangenen kleidete, die Unglücklichen unterstützte und, so oft sie es konnte,
dem Schicksal in den Weg trat, wollte sie nicht einmal im Sterben ohne Freige-
bigkeit sein, vielmehr hinterließ sie in ihrem Testament den Armen einen nicht
geringen Betrag. Sie war wahrhaftig ein Segen für die Allgemeinheit und gebo-
ren als Hilfe für die Gemeinschaft! Ihre Tapferkeit und geradezu männliche
Standhaftigkeit zeigt zur Genüge, wenn man schon nichts anderes nennen will,
auf jeden Fall der letzte Akt ihres Lebens. Ziemlich heftig hatte sie auf der Reise
diese tödliche Krankheit befallen und die Kräfte ihres überaus zarten Körpers
in erheblichem Maße erschöpft. Doch die Fürstin, aufs beste gerüstet, alle
Schicksalsschläge hinzunehmen, wollte nicht einmal im Wagen ruhen, ge-
schweige denn, daß sie durch den Gesichtsausdruck oder durch Worte irgend-
eine Spur des Unvermögens gezeigt hätte, den Schmerz zu ertragen. Später
dann in Klausenburg, als sie sah, daß ihr Ende bevorstand, verschmähte sie die
Mühe der Ärzte entweder völlig oder aber ließ jene jeweils für kurze Zeit vor,
um nicht den Eindruck zu erwecken, daß sie sie verschmähte. Denn als die klüg-
ste unter den Heroinen bedachte sie natürlich die Bedeutung dessen, was sie zu-
rückließ, und auch die Bedeutung dessen, dem sie nun näher und immer näher
kam. Sie sah, daß all das, um dessentwillen wir über das Meer fahren, die Erde
umgraben, pflügen, Krieg führen, schwitzen und frieren, noch um einiges we-
niger als nichts ist und daß dieses ehrgeizige Lebewesen, das wir ‚Mensch‘ nen-
nen, wie eine Seifenblase erst glänzt und dann zerplatzt. Also ließ sie den Tod,

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262 Oratio D.M. Martini Opici

nimirum prudentissima Heroinarum, quantum hoc esset quod relinqueret,


80 quantum illud ad quod propius iam propiusque contenderet. Videbat ea omnia
propter quae navi-[150]gamus, terram fodimus, aramus, militamus, sudamus
et algemus, paulò minus, quàm nihil esse. Ambitiosum verò animal hoc, quod
hominem dicimus, bullae instar splendere et evanescere. Mortem igitur, ad quam
plerique nostrûm, obtorto collo, tanquam ad praetorem et in nervum rapimur,
85 suo vultu et tranquilla mente admittebat. Putasses hospitem aliquem gratum et
amicum ad coenam condixisse, cuius illa adventum tanquam in specula cupidè
praestolaretur. Sacrorum librorum sententiis consolari se volentibus verba sin-
gula praeripuit, et quamvis constituta in tormentis naturae precum sedulitate
vinci, extimuit. Ita plena spei, plena fidei, plena aeternitatis, cuius partem morta-
90 lis adhuc percipere videbatur, castissimam illam animam Servatori nostro qui
sangvine suo eam redemerat, laeta libensque tradidit, et sine ullo gemitu aut
moeroris indicio fragile hoc domicilium reliquit. O felicem te Susanna beatis-
sima, quae dum vixeras didiceras mori, quae animo amplexa eras Dominum ac
Deum tuum, cuius morte nostra mors fracta ac contrita est, translata nunc eo es,
95 ubi, cum corpore non licebat, mente tamen semper versabaris. Hoc quod mor-
tale erat, haec ossa nervis circumvoluta, hanc obductam cutem, et reliqua quibus
tanquam catenis vincimur, magnae matri, cuius pars fuerat reddidisti: tu verò ae-
terna, tu incorrupta, melioris nunc statûs es, expedita oneribus alienis, et tibi re-
licta. Have et vale olim terrae, nunc insigne coeli decus: nos eo ordine quo Deus
100 permiserit omnes te sequemur. Interim laudibus non morituris, innocentissi-
mam vitam tuam, quantum in nobis erit posteritati commendabimus, et digna
virtutûm tuarum contemplatione, desiderium tui leniemus. Te quoque Princeps
Sereniß!ime" dilectissima dum fata sinebant coniux tua huc vocat, ista se me-
moria potius, ut faustissimam in qua nunc versatur stationem tecum revolvas,
105 quam lamentis et luctu non profuturo prosequaris, cupit. Quicquid [151] eâ
factum est, praeter naturam non fuit. Hic Sol, haec Luna, hic orbis, haec terra,
hoc mare vices suas momentis omnibus experiuntur. Arboribus, plantis, floribus,

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Oratio D.M. Martini Opici 263

zu dem die meisten von uns im Würgegriff wie zu einem Richter und ins Ge-
fängnis geschleppt werden, mit unverändertem Gesichtsausdruck und ruhigen
Sinnes an sich heran. Man hätte meinen können, sie habe einen geschätzten und
befreundeten Gast zum Essen eingeladen, dessen Ankunft sie sich gleichsam
wie von hoher Warte aus sehnlichst erhoffte. Denen, die sie mit Sprüchen aus
der Heiligen Schrift trösten wollten, nahm sie jedes einzelne Wort aus dem
Mund, und obwohl sie körperliche Qualen litt, wollte sie sich auf keinen Fall im
eifrigen Beten übertreffen lassen. So übergab sie, erfüllt von der Hoffnung, er-
füllt vom Glauben, erfüllt von der Ewigkeit, von der sie schon als Mensch einen
Teil zu empfangen schien, freudig und gern ihre überaus keusche Seele unserem
Heiland, der sie mit seinem Blut erlöst hatte, und ließ ohne irgendeine Klage
oder ein Zeichen des Bedauerns diese hinfällige Wohnstätte hinter sich. O,
glücklich bist du, seligste Susanna, die du, noch während du lebtest, zu sterben
gelernt hattest, die du deinen Herrn und Gott ins Herz geschlossen hattest,
durch dessen Tod unser Tod vollkommen vernichtet worden ist. Nun bist du
dorthin verbracht worden, wo du doch mit der Seele schon immer verweiltest,
als es dir mit dem Körper noch nicht gestattet war. Das Sterbliche an dir, d. h.
deine von Muskeln umhüllten Knochen, deine Haut, die sich darüber spannte,
und alles übrige, durch das wir wie durch Ketten gefesselt sind, hast du der gro-
ßen Mutter zurückgegeben, deren Teil es gewesen ist. Du aber bist ewig, du bist
unvergänglich, du hast jetzt ein besseres Dasein, befreit von fremden Lasten
und nur noch dir selbst überlassen. Sei gegrüßt und lebe wohl, o prächtiger
Schmuck, einst der Erde, nun des Himmels. Wir alle werden dir folgen in der
von Gott gewollten Anordnung. Bis dahin werden wir, soweit es in unserer
Macht liegt, in ewigem Lob dein von größter Unschuld bestimmtes Leben der
Nachwelt in Erinnerung bringen und die Sehnsucht nach dir durch eine wür-
dige Betrachtung deiner Tugenden lindern. Auch dich, durchlauchtigster Fürst,
ruft hierher deine Gattin, welche von dir innig geliebt wurde, solange es das
Schicksal zuließ. Sie wünscht, du mögest, wenn du dich ihrer erinnerst, bei dir
eher an den überaus glücklichen Ort denken, an dem sie sich jetzt aufhält, als ihr
in Klagen und unnützer Trauer nachweinen. Nichts, was in ihrem Falle gesche-
hen ist, war wider die Natur. Diese Sonne, dieser Mond, diese Welt, diese Erde,
dieses Meer erleben in jedem Augenblick ihre eigene Veränderung. Die Bäume,
die Pflanzen, die Blumen und wilden Tiere sind alle ein und demselben Gesetz
unterworfen: entstehen und vergehen. Ob du nun frühere oder unsere eigenen
Zeiten betrachtest: Ganze Städte, ganze Reiche und Völker wechseln zu wieder-
holten Malen ihre Herren oder werden vollständig zerstört. Und da sollte es je-
mand von uns wagen, sich die Unsterblichkeit zu erhoffen? ‚Alles Fleisch ist
Gras und alle seine Herrlichkeit ist wie eine Blume auf dem Felde‘. Vergleiche
die Lebenszeit eines Menschen (mag sie auch noch so lang sein) mit dem end-

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264 Oratio D.M. Martini Opici

feris, una lex posita est, nasci et interire. Sivè priora sivè nostra inspicis tempora,
civitates integrae, integra regna et nationes, aut dominium subindè mutant, aut
110 funditûs delentur. Et nostrum aliquis immortalitatem sibi spondere audeat? Om-
nis caro est foenum, et omnis gloria eius sicut flos campi. Confer aetatem homi-
nis etiam longissimam, cum infinito magni illius aevi cursu: vix momentum erit.
Imò, confer totum hunc terrarum ambitum, cui tam superba Europae, Asiae,
Africae, Americae, nomina imposuimus, cum immensis coeli spaciis: pedis men-
115 suram non excedet. Nihilominus strenua nos exercet inertia. Quidam urbes fun-
dat, quidam evertit. Hunc ambitio sua, magnarum plerumque animarum pestis,
illum avaritia dormire non sinit. Est qui quaerit opes, est qui lancinat. Vbique
spes aut metus, ubique invidia; ubique luxus regnat et petulantia. Dubito certè
fleveritne prudentius Heraclitus, an Democritus riserit, nisi quod calamitas hu-
120 mana ineptiis plurimum antecellit. Neque aliam nobis vitam, natura cum nos
ederet permisit, quam à lachrymis omnes auspicamur. Ista conditione huc intra-
mus, hoc initium est, quod reliquus annorum ordo imitatur. Alius laborem, alius
egestatem; alius exilium, alius haec omnia, cum quibus se exerceat habet. Ista si
desunt, negotium nobis ipsi facessimus, et vitam quam cum somno partimur,
125 molitione magnarum rerum, et insatiabili votorum ambitu torquemus. Inter haec
plerumque mors ex transverso incurrit, et febricula inepta, aut calculo aliud
agentium curas abrumpit. Idque sine ullo dignitatûm accidit aut aetatis respectu.
Sicut poma quaedam acerba adhuc avelluntur, quaedam maturitate victa ultro
decidunt: ita nostrûm pars in herba et flore annorum, pars verò demùm, sed ta-
130 men avocamur.
[152] Et his quidem Senectus, quam diu optaverant, si contingit molesta est:
sic aut morbos illa secum trahit, aut ipsa morbus est. Vt ita quod ad eam uxor
tua Sereniß!ima" non pervenerit, Princeps Clementißime, queri non sit necesse.
Satis enim diù vel naturae vixit vel gloriae. Peregit cursum à Supremo Numine
135 sibi datum, et virtutes quibus gravior aetas interdum ornata est, maturitate inge-
nij percepit. Molestias autem eius nullo vivendi dispendio effugit. Possidet jam
pro mortali hoc Regno Regnum immortale, solius agni immaculati Iesu Christi

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Oratio D.M. Martini Opici 265

losen Lauf jener ewigen Zeit: Es wird kaum ein Augenblick sein. Mehr noch:
vergleiche den gesamten Umfang aller Länder, denen wir die stolzen Namen
Europa, Asien, Afrika und Amerika gegeben haben, mit den unermeßlichen
Räumen des Himmels: Er wird das Maß eines Fußes nicht übertreffen. Nichts-
destoweniger hält uns geschäftiges Nichtstun in Atem. Der eine gründet Städte,
der andere zerstört sie. Den einen läßt sein eigener Ehrgeiz (diese Krankheit
befällt zumeist große Persönlichkeiten), den anderen seine Habgier nicht schla-
fen. Es gibt Leute, die Reichtümer zu erwerben suchen, und es gibt Leute, die
ihre Reichtümer verschwenden. Es herrscht überall Hoffnung oder Furcht,
überall Neid, überall Verschwendungssucht und Dreistigkeit. Ich bin wirklich
im Zweifel darüber, ob größere Klugheit im Weinen des Heraklit oder im La-
chen des Demokrit liegt – außer daß das menschliche Elend die Torheiten bei
weitem übertrifft. Und als die Natur uns hervorbrachte, hat sie uns nur ein sol-
ches Leben gestattet, welches wir alle unter Tränen beginnen. Unter diesen Um-
ständen treten wir hier ein, dies ist der Anfang, den die restliche Abfolge der
Jahre nachahmt. Der eine hat sich auseinanderzusetzen mit Schinderei, der an-
dere mit Entbehrung, der dritte mit Verbannung, der vierte mit allem zusam-
men. Sofern dieses nicht auftritt, bereiten wir uns die Probleme selber und quä-
len unser Leben, welches wir ja auch noch mit dem Schlaf teilen müssen, mit der
Durchführung großartiger Pläne und mit dem unersättlichen Ehrgeiz unserer
Sehnsüchte. Dabei kommt uns zumeist ganz unerwartet der Tod in die Quere
und beendet durch ein lächerliches Fieberchen oder ein Steinchen die Sorgen
der Menschen, welche gerade mit ganz anderem beschäftigt sind. Und dies ge-
schieht ohne Ansehen des Ranges oder des Alters. Wie manches Obst gepflückt
wird, obwohl es noch unreif schmeckt, anderes hingegen überreif von selbst
herabfällt, so wird auch ein Teil von uns auf dem Halm und in der Blüte seiner
Jahre abberufen, ein anderer Teil erst ganz spät, aber schließlich doch. Und
wenn diesen Leuten das Alter, welches sie sich lange ersehnt haben, zuteil wird,
ist es ihnen beschwerlich. So nämlich bringt es entweder Krankheiten mit sich
oder ist selbst eine Krankheit. Daß deine durchlauchtigste Gattin, gnädigster
Fürst, bis dahin nicht gelangt ist, ist deshalb kein Grund zur Klage. Denn für
ihre Natur und ihren Ruhm hat sie lange genug gelebt. Sie hat den ihr vom all-
mächtigen Gott gegebenen Lauf vollendet und die Tugenden, mit denen das
vorgerückte Alter bisweilen geschmückt ist, durch die Reife ihres Charakters in
sich aufgenommen, hingegen ist sie seinen Beschwernissen ohne Beeinträchti-
gung ihres Lebens entflohen. Statt dieses vergänglichen Reiches hier gehört ihr
nun das unvergängliche Reich, das durch das Blut des einzig unbefleckten Lam-
mes, Jesu Christi, gewonnen wurde. Keine Kriegsmaschinen, keine Soldaten,
keine Belagerungstürme und Festungen waren hierzu erforderlich. Tränen, Ge-
bete, Seufzer und gottergebener Glaube: dies ist es, wodurch sie kraftvoller als

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266 Oratio D.M. Martini Opici

sangvine partum. Nullis hic machinis, nullis militibus, nullis turribus opus et pro-
pugnaculis fuit: lachrymae preces, gemitûs fides in Deum conversa, haec sunt,
140 quibus quavis ballista aut tormento fortiùs beatas illas coelitûm sedes perrupit.
In hanc Translata Regiam, procul à morbis, à suspicione, livore, et armorum qui-
bus totus Orbis ferè iactatur insania, iis perfunditur gaudiis, quae nec oculus vi-
dit, nec auris audivit, nec quisquam mortalium cogitationibus unquam compre-
hendit. Commigravit è tenebris in lucem, è fluctibus ad portum, è carcere ad
145 libertatem, eam agit vitam, quae nec temporis nec felicitatis termino ullo conti-
netur. Sedet plena Deo, in media beatarum animarum Corona, cincta est mille
Angelis, quos castimonia et sanctitate hic imitabatur; intuetur iam de facie ad
faciem Patrem, Filium et Spiritum Sanctum, infinitam et aeternam Trinitatem: ad
cuius nos genua supplices procidimus et ex animo oramus, erigat consolatione
150 viduum Serenissimum, et addat aetati eius, quicquid annorum Heroinae nostrae
detraxit. Sera sit dies ô Deus, quae Principem optimum ad defensionem Relligio-
nis et Patriae natum, reposcat; concede ipsi pacem, concede securitatem, aut si
infidae paci apertum bellum praeferendum est, da ut infandas hostium molitio-
nes, constantèr sicut hactenus, evertat. Et quoniam contra relictam Ecclesiam
155 tuam, totus furor inferorum in [153] nostra praesertim Germania exsurgit, ac velut
compos iam victoriae crudelitèr nobis insultat, fac ut infracto animo pro nominis
tui gloria, pro libertate, pro aris et focis vivere discamus et mori. Sine te, Deo
exercituum, victore nostro et Duce nihil possumus. Tu auxilium tu fortitudo no-
stra es. Veni igitur et noli tardare. Redde illis sanam mentem, qui simultatis et in-
160 vidiae studio aut imbelli metu perculsi, divortium à bona causa fecerunt. Erige
afflictos, et pulsis iniquis possessoribus suam cuique Patriam redde: donec te in
altera, quae supra nos est Patria, in quam beatissimam Principem praemisimus,
celebremus sine fine et laudemus. Amen.

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Oratio D.M. Martini Opici 267

mit irgendwelchen Kanonen oder Geschützen in jenen seligen Wohnsitz der


Himmlischen eingedrungen ist. Versetzt in diesen Palast, fern von den Krank-
heiten, von der Verdächtigung, vom Neid und dem Wahnsinn der Waffen, durch
die nahezu die gesamte Welt erschüttert wird, wird sie mit Freuden überhäuft,
welche ‚kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat‘ und die kein Sterblicher je-
mals gedanklich erfaßt hat. Sie wanderte aus der Finsternis ins Licht, von den
hohen Wellen in den Hafen, aus dem Kerker in die Freiheit; sie führt ein Leben,
das durch keine Grenze, weder der Zeit noch der Glückseligkeit, bestimmt ist.
Gotterfüllt sitzt sie inmitten der Schar glücklicher Seelen, sie ist umringt von tau-
send Engeln, denen sie schon auf Erden in Keuschheit und Reinheit nacheiferte.
Nun sieht sie ‚von Angesicht zu Angesicht‘ den Vater, den Sohn und den Heili-
gen Geist, die unendliche und ewige Dreifaltigkeit, zu deren Füßen wir demütig
niederfallen und von Herzen beten, sie möge den durchlauchtigsten Witwer
durch Zuspruch aufrichten und seiner Lebenszeit alle jene Jahre hinzufügen, die
sie unserer Heroine genommen hat. O mein Gott, spät komme der Tag, welcher
auch den vortrefflichsten Fürsten zurückfordert, der ja geboren ist zur Verteidi-
gung von Religion und Vaterland. Gewähre ihm Frieden, gewähre ihm Sicher-
heit, oder, wenn ein offener Krieg einem unzuverlässigen Frieden vorzuziehen
ist, gib, daß er die ruchlosen Pläne der Feinde ohne Schwanken so wie bisher
durchkreuzt. Und da sich gegen deine im Stich gelassene Kirche die ganze Wut
der Hölle, zumal in unserem deutschen Land, erhebt und uns grausam verhöhnt,
als sei sie schon im Besitz des Sieges, so gib, daß wir lernen, mit ungebrochenem
Mut für den Ruhm deines Namens, für die Freiheit, für Heim und Herd zu leben
und zu sterben! Ohne dich, den Gott der Heerscharen, unseren siegreichen Füh-
rer, vermögen wir nichts. Du bist unsere Hilfe, du bist unsere Stärke. Komm also
und zögere nicht! Gib jenen den gesunden Verstand wieder, die sich – aus Feind-
seligkeit und Neid oder getrieben von feiger Angst – von der guten Sache getrennt
haben. Richte die Geschlagenen auf, verjage die unrechtmäßigen Besitzer und
gib jedem seine Heimat wieder, bis wir dich in der anderen Heimat, die über uns
ist und in die wir die allerseligste Fürstin schon vorausgeschickt haben, ohne
Ende feiern und preisen! Amen.
[T.H.]

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268 TV post ampla quidem
[Aar] Elegia M. Opitii.

TV post ampla quidem funesti munia belli,


Et tam felici foedera pacta manu,
Plausibus innumeris, et victrice undique lauru,
O patriae vindex optime, dignus eras:
5 At te fata, quibus nullo discrimine rerum
Miscentur solitis omnia nostra malis,
Instaurare iubent charae devota maritae
Funera, et ad moestos spargere dona rogos.
Triste satis, fateor; sed te, qui caetera vincis,
10 Haec quoque constanti pectore ferre decet.
Illa, parum firmi procul hinc á sordibus aevi,
Incolit aurati templa serena poli:
Hîc vastum hoc miseros quod nos involvit inane
Despiciens, inter praemia mille sedet,
15 Mortalesque uno periturae laudis amore
Ridet inexhausti ferre laboris onus,
Et curas inter jactari, et inertia vota,
Ceu ruit incerto navis onusta salo.
Interdum cum facta tuae sublimia dextrae
20 Cogitat, et sumptae nobile pacis opus,
Gaudet, et ob partam, PRINCEPS auguste, quietem
Gratari populis incipit ipsa tuis,
His expleta bonis, animisque admota piorum,
Qua cytharae, et cantus, et joca laeta vigent,
25 [Aav] Extollit rerum non ficta laude parentem,
Vitaeque ipsius pectora fonte rigat.
Tu gemitus ducens, heros invicte, profundos,
Saucia crudeli vulnere corda geris
Ipsa tibi comitem se ripa binominis Istri
30 Iungit, et insolitis ad mare vergit aquis.
Hi flores, herbaeque, licet pulcherrimus annus
Nunc eat, et Zephyris foeta calescat humus,
Haec prata, hi colles quasi tacti frigore languent,
Et quidam luctus quaelibet arbor habet.
35 Carmina Pastores miseri feralia texunt,
Ingeminant tristes roscida rura modos.
Me quoque, quem patria Numen coeleste relicta
Has voluit terras, hos habitare lares,

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TV post ampla quidem 269

Klagelied von Martin Opitz.

Nach großen Leistungen im todbringenden Krieg und nach Verträgen, die du


mit so glücklicher Hand geschlossen hast, warst du, o bester Beschützer des Va-
terlandes, würdig grenzenlosen Beifalls von allen Seiten und des Lorbeers für
den Sieger. Doch das Schicksal, durch das ohne Unterscheidung der Fälle alles,
was uns gehört, den gewöhnlichen Übeln beigemengt wird, heißt dich ein from-
mes Begräbnis für die geliebte Gattin zu veranstalten und Gaben auf dem trau-
erkündenden Scheiterhaufen auszubreiten. Ich gestehe, das ist traurig genug;
doch für dich, der alles andere überwindet, (10) ziemt es sich, auch dies mit
gleichmütigem Herzen zu ertragen. Weit entfernt von hier, von dem Schmutz
des allzu wenig verläßlichen Diesseits, bewohnt sie die heiteren Tempel des gol-
denen Himmels. Hier sitzt sie zwischen tausend Gaben und schaut herab auf
diese leere Wüste, welche uns Elende umgibt, und lacht darüber, daß die Sterb-
lichen einzig aus Liebe zum vergänglichen Ruhm die Last nicht enden wollender
Mühe ertragen und hin und her geworfen werden inmitten von Sorgen und eit-
len Wünschen, gleichwie ein beladenes Schiff auf schwankender See dahintreibt.
Mitunter, wenn sie an die erhabenen Taten deiner Rechten (20) denkt und an das
edle Werk des errungenen Friedens, freut sie sich und beginnt selbst, erhabener
Fürst, deine Völker ob der gewonnenen Ruhe zu beglückwünschen. Von all die-
sem Guten erfüllt und bewegt durch die Herzen der Frommen, rühmt sie dort,
wo Saitenspiel und Gesang und fröhliches Scherzen in Blüte stehen, den Schöp-
fer der Welt mit aufrichtigem Lob und benetzt ihre Brust mit dem Quell des Le-
bens selbst. Du, unbesiegter Held, stößt tiefe Seufzer aus und trägst ein Herz in
deiner Brust, das verletzt ist durch grausame Wunde. Selbst das Ufer des zwei-
namigen Ister (30) gesellt sich dir zu als Trauerbegleiter und strebt mit unge-
wöhnlich starken Fluten zum Meer. Wenngleich nun die schönste Jahreszeit
kommt und sich die fruchtbare Erde durch den Westwind erwärmt, sind die Blu-
men hier und die Gräser, die Wiesen und die Hügel ohne Blüte, gleichwie von
Frost berührt, und jeder Baum hat etwas von Trauer an sich. Totengesänge er-

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270 TV post ampla quidem
Me quoque non accepta juvat, sub limine primo
40 Ingreßus, moestae fila movere lyrae.
Salve at cum lachrymis, laetarum Dacia frugum,
Magna parens celebri fertilitate potens,
Dives opum variarum, oppleta armisque virisque
Fortibus, at domina jam viduata tua.
45 Scilicet hic rerum stat terminus; omnibus aequo
Tardius aut citius mors venit atra pede,
Vrbibus haec validis lex fixa est, ipsaque regna,
Ceu senio quondam victa situque, ruunt.
Ne quis nos, mortale genus, moribundaque membra,
50 Vivere non rupto posse tenore putet.
Hic animus noster, divinae nobilis aurae
Surculus, interitu nos rapiente, manet,
Illaesoque vagas cursu spaciatur in auras,
Et petit agnati splendida tecta poli.
55 Huc tua, magne Pater Patriae, translata marita est,
Libera curarum quas miser orbis habet.
[Aa2r] Si numeras annos, poterat superesse, nec illam,
Vt solet, aetatis segne gravabat onus.
Sed si divitias mihi, si perpendis honores,
60 Et quicquid nobis hîc queat esse boni,
Venerat ad culmen, Princeps faustissime, tecum,
Quò Deus, et virtus te tua celsa tulit.
Omnibus expletis coelum restabat; et hîc est
Plus ultrà nostrum nemo venire potest.

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TV post ampla quidem 271

dichten die unglücklichen Hirten, und vom Tau benetzte Fluren lassen die trau-
rigen Weisen widerhallen. Auch mich, den die himmlische Macht das Vaterland
verlassen und dieses Land, diese Stätte bewohnen ließ, auch mich, der ich gerade
über die erste Schwelle (40) geschritten bin, erfreut es nicht, die soeben empfan-
genen Saiten der traurigen Lyra erklingen zu lassen. Doch sei unter Tränen ge-
grüßt, Dakien, du ob deiner berühmten Fruchtbarkeit mächtige und große Mut-
ter üppiger Ernten, die du reich bist an vielfältigen Schätzen, erfüllt von Waffen
und tapferen Männern, doch nun deiner Herrin beraubt. Dies ist nämlich die
Grenze weltlicher Macht. Zu allen kommt früher oder später mit gleichem
Schritt voll Unheil der Tod. Für mächtige Städte ist dieses Gesetz festgelegt, und
selbst Königreiche stürzen dereinst, gleichsam von ihrem eigenen Alter und
Moder besiegt, zusammen: damit ja niemand glaube, daß wir, ein sterbliches Ge-
schlecht und todgeweihte Glieder, (50) unser Leben in ununterbrochenem Lauf
führen könnten. Diese unsere Seele, ein edler Abkömmling göttlichen Odems,
dauert fort, wenn uns der Untergang dahinrafft, steigt in ungehindertem Lauf zu
den wehenden Lüften empor und strebt zu dem glänzenden Bau des ihr ver-
wandten Himmels. Hierhin, großer Vater des Vaterlandes, ist deine Gattin hin-
übergetragen worden, frei von jenen Sorgen, mit denen sich die elende Welt
quält. Wenn du nur die Jahre zählst, so könnte sie noch leben; und nicht be-
drückte sie, wie üblich, die schwerfällige Last des Alters. Doch wenn du mir den
Reichtum, wenn du mir die Ehrungen abwägst (60) und alles Gute, was uns in
diesem Leben zuteil werden kann, so war sie zusammen mit dir, hochbegnadeter
Fürst, zu dem Gipfel gelangt, auf den dich Gott und deine erhabene Kraft erho-
ben haben. Da alles andere erreicht war, blieb ihr nur noch der Himmel, und hier
ist sie nun. Weiter als bis dorthin kann niemand von uns gelangen.
[T.H.]

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