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DAS

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ZEIT WISSEN GESPRÄCH

Die Wahrheit
im Wein
Entzieht sich Genuss der wissenschaftlichen
Erkenntnis? Ein Expertengespräch zwischen
einem Lebensmittelchemiker und einer
Weinkennerin. Dolmetscher: Ein Sauvignon
blanc, ein Riesling, ein Pinot noir

Interview Gero von Randow Fotos Jonas Holthaus


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ZEIT Wissen: Frau Hehn, Sie waren Chef-


sommelière in Sterne-Restaurants. Da
überlassen wir die Auswahl des Weins
heute Abend Ihnen.
Stefanie Hehn: Gern! Dann probieren wir
den Sauvignon blanc vom Weingut Knewitz,
Jahrgang 2016, aus Rheinhessen.

Stefanie Hehn bereitet sich gerade auf ihre


letzte Prüfung für den Titel des Master Som-
meliers vor. Das schwierige Examen wird von
einer internationalen Organisation abgenom-
men; derzeit gibt es weltweit nur 247 Personen,
die den begehrten Titel erworben haben. Es
dauert mehrere Jahre, sich vorzubereiten.

Und, wie schmeckt er?


Hehn: Fruchtig, aber nicht extrem, nicht so
parfümiert wie viele Sauvignon blancs. Ein
bisschen nach Holunderblüte, aber nicht so
sehr, dass man denken würde: oh, ein
Hugo. Und das Lesegut war schön reif.
Daher der Hauch Süße?
Hehn: Ja, und das geht gut mit unserem
Rindfleisch-Tatar zusammen, das wir gleich
essen. Da sind ja immer Zwiebeln drin, und
zu Zwiebeln passt ein bisschen Süße. Und
wenn auch noch Kapern verwendet wur-
den, dann werden wir deutlich die Kräuter-
noten im Wein schmecken.
Vom Essen hängt also viel ab.
Hehn: So bilde ich meine Mitarbeiter aus.
Wenn ich ihnen einen Wein einschenke,
dann muss jeder zu einem der Aspekte etwas
sagen: Optik, Nase, Gaumen, Abgang – und
passende Speise. Denn wenn man weiß,
was man zum Wein am besten isst, kann
man ihn auch viel besser beschreiben.
Wie sind Sie zum Wein gekommen?
Hehn: Ich stamme aus Bad Kissingen, also
aus einer Weingegend. Eigentlich wollte ich
Hotelkauffrau werden, aber während mei-
ner Ausbildung meinte der Küchenchef:
Du musst an den Gast. Ich sollte die Fla-
schen aufmachen und lernte eine faszinie-
rende Welt kennen.
Reiner Wittkowski: Bei mir war das anders.
Ich komme aus Berlin und bin Lebensmit-
telchemiker. In den achtziger Jahren habe
ich beim Bundesgesundheitsamt Methoden
zur Messung von Dioxin in Lebensmitteln
entwickelt. Im Jahr 1990 wurde ich Leiter
des Fachgebietes »Wein und andere Geträn-
ke«. Wir mussten zum Beispiel entscheiden,
wenn die Weinkontrolleure der Bundes-
länder unterschiedlicher Meinung waren.
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Amtliche Lebensmittelkontrolle. Harmonie? Was soll das sein? halten sich dermaßen unterschiedlich?
Wittkowski: Genau, wir erhielten etwa vom Wittkowski: Dass Geschmacksstoffe, der Wieso das denn?
Zoll Flaschen mit Importweinen und muss- Chemiker spricht von bestimmten Phenolen, Wittkowski: Weil ihre Chemie unterschied-
ten beurteilen, ob sie Fehlaromen aufwiesen sich abbinden. Dass sie Komplexe bilden. lich ist. Das kann auch gar nicht anders
oder ob jemand sie verdünnt hatte. Später Das ergibt einen angenehmeren Geschmack. sein, denn sie schmecken ja verschieden.
ging ich auch zur OIV, zur Internationalen Die Gerbstoffe zum Beispiel schmecken Weiß die Wissenschaft Genaueres darüber?
Organisation für Rebe und Wein, in Paris. dann nicht mehr so grün. Wittkowski: Gar nicht so viel. Wir Men-
Eine zwischenstaatliche Organisation, die Manche Weine füllt man vor dem Genuss schen denken ja dreidimensional, aber in
versucht, Ordnung in die Weinwelt zu auch noch mal in eine Karaffe um. der Natur geht es multifaktoriell zu, da
bringen. Sie wurden sogar OIV-Präsident. Hehn: Ich habe damit viel experimentiert. spielen sehr viele Aspekte eine Rolle. Wir
Ein Weinpräsident aus einer Bierstadt. Pinot noir zum Beispiel wird durch dieses können die zwar messen, Statistiken errech-
Wittkowski: Das wurde durchaus ange- Dekantieren meistens verbessert. nen und nach Korrelationen suchen, aber es
merkt. Was geschieht da genau? Sauerstoff aus der bleibt ganz schwer, etwas vorherzusagen,
Und es gab Streit. Luft trifft auf den Wein – und nun? etwa einen Geschmackseindruck. Auf der
Wittkowski: Besonders um die Frage, ob Wittkowski: Das hängt von den Verbin- anderen Seite gibt es Erfahrungswerte.
Geschmacksstoffe aus dem Holz nur vom dungen im Wein ab. Das können zum Bei- Auch die sind Wissen.
Fass in den Wein gelangen dürfen oder spiel Lactone sein, das sind bestimmte Frau Hehn, was tun Sie, wenn Ihnen ein
auch von Holzchips oder Holzstäben, was ringförmige Moleküle ... Gast mit seinem Wissen kommt?
die billigere Variante ist. Die Australier und ... typischerweise in Früchten vorhanden Hehn: Dann höre ich immer aufmerksam
Amerikaner wollten mit solchen Weinen oder in der Butter – und etwas süßlich ... zu (lacht). Im Ernst: Man muss schnell
auf den europäischen Markt, die Franzosen Wittkowski: ... und die sind relativ instabil. herausfinden, ob der Gast mit einem reden
wehrten sich. Nun ist Aromatisierung des Wenn Sauerstoff hinzutritt, gehen die Ringe will oder ob es ihm nur darum geht, dass
Weins einerseits verboten, andererseits auf, und es entstehen neue Verbindungen. ihm alle zuhören. Wenn da eine große Her-
konnten wir zeigen, dass solche Substanzen Aber da ist vieles noch nicht erforscht. Es ist renrunde ist, und einer weiß über alles Be-
aus dem Fass in den Wein wandern, die hochkomplexe Chemie. scheid: Dem widerspreche ich nicht. Er soll
durchaus das Aroma verändern. Und wenn
nun die gleichen Substanzen aus Holzchips
oder Stäben in den Wein kommen, ist es
»Wir können zwar nach Korrelationen suchen, aber es
wissenschaftlich nicht zu begründen, das zu bleibt schwer, einen Geschmackseindruck vorherzusagen.
verbieten. Der Kompromiss lautete dann: Da gibt es Erfahrungswerte. Auch die sind Wissen«
Die Aromatisierung mit Extrakten, die aus
Reiner Wittkowski, Lebensmittelchemiker
Holz gewonnen wurden, bleibt verboten.
Der reine Kontakt mit Holz aber nicht.
Hm. Ich öffne manchmal am Vorabend die Fla- ja wiederkommen. Man muss nicht immer
Wittkowski: Hochpolitisch das Ganze. schen, ohne sie zu dekantieren, damit der recht behalten.
Hehn: Als sich deutsche Winzer für diese Sauerstoff nur allmählich und in kleinen Wittkowski: Das Rechthaben ist eine
Verfahren aussprachen, wurden sie von ihren Dosen hinzutritt. schwierige Sache. In Australien kamen Wis-
Kollegen und den Medien zerrissen. Aber Hehn: Das bringt nichts. senschaftler zu dem Schluss, dass 20 Gene
mal ehrlich: Wenn ich einen Wein für we- Wittkowski: Nee. den Bittergeschmack diktieren. Bei den
niger als zehn Euro kaufe, und er schmeckt Und das beliebte Umfüllen? Also dekan- meisten Leuten aus Amerika oder Europa
nach Holz, dann nehme ich nicht an, dass tieren, Flasche ausspülen und durch einen sind davon vier aktiv, bei vielen Asiaten 16.
der in einem Fass lag. Trichter wieder auffüllen? Es können also gar nicht alle Menschen
Ein Argument der Fassverteidiger lautete: Hehn: Nur wenn der Wein schon gut ent- gleich schmecken.
Durch die feinen Poren des Holzes gelangt wickelt ist. Durch die Öffnung kommt ein- Hehn: Viele Asiaten können zum Beispiel
etwas Sauerstoff in den Wein. Woraufhin fach nur wenig Sauerstoff. den Fehler nicht schmecken, den wir Kork-
die Holzchip-Fraktion dünne Schläuche Manchmal wird vor dem Dekantieren alter geschmack nennen. Oder er macht ihnen
mit winzigen Löchern in die Stahltanks Bordeaux-Weine gewarnt: Sie würden zer- nichts aus. Ein Kollege hat einmal chinesi-
hängte, das hatte den gleichen Effekt. fallen. Was heißt das? schen Sommeliers korkigen Wein einge-
Wittkowski: Aber die Oxidation im Fass Hehn: Ich habe viele sehr alte Bordeaux schenkt, um ihnen den Geschmack zu de-
dauert länger. dekantiert und kann sagen: Weine aus Ca- monstrieren, und dann hieß es: »Oh yes, it’s
Und wieso soll das besser sein? Oder ist es bernet Sauvignon und vor allem Merlot cork«, und sie tranken alles aus. Es hat sie
ein Mythos? vertragen meistens nicht viel Luft. Die Aro- nicht gestört.
Wittkowski: Ich weiß nicht, ob das ein My- men werden schnell schwach. Es kommt Wittkowski: Manche nehmen zum Beispiel
thos ist. Wein ist jedenfalls eine Mischung natürlich auch auf den Ausbau im Keller den Styrolton in fehlerhaftem Wein wahr ...
vieler chemischer Stoffe, und die brauchen an, also auf die Fässer und so weiter. ... also wenn er aufdringlich nach Lack
etwas Zeit, um in Harmonie zu kommen. Rotweine aus Pinot noir oder Merlot ver- riecht und schmeckt ...
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Wein reift traditionell in Fässern und nimmt dabei Holzaroma auf (hier die Dekoration
des Berliner Weinhauses Habel). Darf man das Aroma auch mit Holzchips erzeugen?
Das war eine hochpolitische Frage, die mit einem Kompromiss beantwortet wurde
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Wittkowski: ... und andere merken nichts. Wittkowski: ... ach, viel zu kompliziert. nicht auf das bisschen Saft in der Pflanze.
Hehn: Der Geschmackseindruck wird auch Manche Leute wissen ganz genau Be- Hehn: Um das herauszufinden, habe ich bei
von Kindheitserinnerungen mitbestimmt. scheid. Für sie wird der Wein von den Vollmond und bei abnehmendem Mond
Neulich habe ich zu meiner Frau gesagt: Mondphasen bestimmt. Schnittproben bei einer Orchidee gemacht.
Merkwürdig, unser Knoblauch korkt. Wittkowski: Tja, das ist so ein Thema. Tat- Bei Vollmond trat Flüssigkeit aus. Ich stelle
Hehn: Ja genau! Gemüse kann total nach sache ist: Es gibt nichts, das ohne Einfluss mir vor, dass Rebschnitt bei Vollmond dazu
einem Korkfehler riechen. Das kann mich ist. Also hat auch der Mond Einfluss. führen kann, dass sich die Pflanze dann
im Restaurant ganz schön nervös machen, Auf was? leichter Krankheiten einfängt.
da hängt dann dieses Aroma in der Luft. Wittkowski: Auf die Biosynthese. Wittkowski: Es gibt auf jeden Fall Einflüsse.
Vielleicht weil das Gemüse mit chlorhaltiger Also auf den Aufbau der Biomoleküle. Aber kann ich sie messen und quantifizieren?
Substanz in Berührung kam? Nun gut. Aber in welchem Maße? Da wird es schwierig.
Wittkowski: Dann waren aber auch Mikro- Wittkowski: Das weiß man nicht. Da gibt Die Anziehungskraft einer Masse auf eine
organismen daran beteiligt. es nur gesammeltes Erfahrungswissen wie andere hängt extrem von der Entfernung
Irgendwo kommt eine Chlorverbindung ab. Wenn ein dicker Winzer bei Vollmond
her, und die Mikroorganismen, die im durch die Rebzeilen geht, übt er weitaus
Naturkork hocken, verarbeiten sie zu, wie mehr Wirkung auf sie aus als der Mond.
heißt das noch? Wittkowski: Immerhin geht er durch seine
Wittkowski: 2,4,6-Trichloranisol. Rebzeilen.
Wieso werden dann Flaschen mit hoch- Hehn: Solche Winzer kümmern sich meis-
wertigen Weinen immer noch mit Kork- tens mehr um ihre Pflanzen und sehen
stopfen verschlossen? schneller, wenn sie krank sind.
Wittkowski: Für langfristige Lagerung gibt Wittkowski: Der Wissenschaftler sagt: So-
es bisher nichts Besseres, soweit man weiß. lange mir niemand solche Einflüsse wie die
Schraub- oder Glasverschlüsse werden irgend- des Mondes belegt, so lange gilt das für
wann undicht oder rosten. mich nicht. Aber ich will nicht so weit ge-
Die haben so ein Silikon-Inlet. hen, zu sagen: Da gibt es nichts.
Hehn: Das kann man manchmal schon Sollte man das erforschen?
nach zehn Jahren schmecken. Ich habe ver- Wittkowski: Es gibt Weineinkäufer, die sich
gleichende Verkostungen zehnjähriger Wei- nach den Mondphasen richten. Dann lasst
ne mitgemacht, Flaschen mit Korkstopfen uns doch mal eine Studie machen, mit Ver-
und anderen Verschlüssen, das Ergebnis kostungen nach einem objektivierbaren
war eindeutig. Es gibt allerdings moderne System. Vielleicht zeigt sich dann, dass sich
Schraubverschlüsse, die länger durchhalten. nicht der Wein mit den Mondphasen ver-
Nur sind die Weine dann oft reduktiv. ändert, sondern der Verkoster.
Was verstehen Sie darunter? Frau Hehn, wie verkosten Sie Weine?
Reiner Wittkowski, Jahrgang 1954, ist
Hehn: Sie hören ein leises Zischen, wenn habilitierter Lebensmittelchemiker
Hehn: Ich bereite mich zurzeit auf die große
Sie die Flasche aufschrauben, und die Wei- und Vizepräsident des Bundesinstituts Prüfung zum Master Sommelier vor. Da
ne kitzeln manchmal ein bisschen in der für Risikobewertung. Er war Präsident werden mir sechs Weine vorgesetzt, über
Nase oder haben einen flüchtigen Hauch und Vizepräsident der Internationalen die ich nichts weiß, und ich habe 25 Minu-
von Schwefel. Die Frucht ist komprimiert Organisation für Rebe und Wein (OIV) ten, um sie zu beschreiben, von der Farbe
und nicht offen. In sich gekehrt. Als würde und ist heute deren Ehrenpräsident bis zum Abgang. Ich muss jeweils den Jahr-
der Wein nicht nach außen, sondern nach gang angeben, die Rebsorte, die Weinge-
innen duften. gend und die offizielle Qualitätseinstufung.
Was sagt die Wissenschaft dazu? Wittkowski: Das würde ich mir nie zutrauen.
Wittkowski: Freies, also nicht gebundenes zum Beispiel Mondkalender. Auch Instru- Hehn: Eigentlich ist es wie Kopfrechnen.
Schwefeldioxid kann man messen. Aber das mentenbauer kennen Mondphasen, in Denn wenn man weiß, wie die unterschied-
Reduktive ist wissenschaftlich schwer zu denen das Geigenholz leicht reißt. lichen Aromen entstehen, dann kann man
fassen, da gibt es fast nur Erfahrungswissen. Wieso das denn? die Faktoren Klima, Rebsorte, Boden und
Nanu, reduktiv ist doch ein Begriff aus der Wittkowski: Weiß man nicht. Oxidation miteinander kombinieren und
Chemie? Hehn: Es gibt doch auch Ebbe und Flut. im Prinzip daraus den Jahrgang herleiten.
Wittkowski: Schon klar, aber hier meint der Oder den Monatszyklus der Frau. Wittkowski: Sie müssen über eine innere
Begriff etwas anderes: das Gegenteil von Moment, Säugetiere weisen alle möglichen Datenbank verfügen.
oxidativ. Der Wein ist verschlossen. Das ist Menstruationszyklen auf, die nichts mit Hehn: Man muss täglich trainieren. Ich
eine sensorische Beschreibung, die einer dem Mond zu tun haben. Und was Ebbe probiere jeden Tag zur gleichen Zeit und
gewissen Empirie folgt. und Flut betrifft: Die Stellung des Mondes zeichne auf, was ich währenddessen sage.
Aber welche Moleküle das sind ... wirkt auf die Ozeane dramatisch, aber Bei jedem Wein habe ich die gleiche Vor-
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gehensweise, das ist wie ein Automatismus. Ich kann es jedenfalls nicht. Tatsache ist Lichteintrag kommt. Bei uns reflektiert
Mineralität, Säure, Körper ... eine verinner- aber, dass der Boden entscheidenden Ein- Schiefer das Licht. Und in australischen
lichte Checkliste. Ich trainiere auch andere, fluss auf den Wein nimmt. Diesen Einfluss oder kalifornischen Weinbergen gibt es
für die Vorstufen des Master Sommeliers. kann man schmecken, nicht direkt den auch ohne Schiefer genug Licht.
Und die bekommen Ärger mit mir, wenn Boden selbst. Das Silizium zum Beispiel, Moment – die Photonen erzeugen einen
sie ihre Struktur nicht auswendig könnten. das schmeckt niemand. Doch von einem besonderen Geschmackston?
bestimmten pH-Wert des Bodens an ... Hehn: So habe ich es auf einem wissen-
Die erste Flasche ist leer. Stefanie Hehn guckt ... also einem Säureniveau ... schaftlichen Symposion gehört. Und dann
wieder in die Weinkarte. Wir bestellen Käse. Wittkowski: ... werden viele Stoffe aus dem trinken wir solche Weine und stellen uns
Boden gelöst, die in den Saft gehen und an vor, dass sie irgendwie steinig schmecken.
Hehn: Hier ist einer: ein trockener Riesling den Vorgängen in der Pflanze teilhaben. Ich Wittkowski: Genau: Man stellt sich etwas
aus der Pfalz, der 2008er Ruppertsberger glaube allerdings nicht, dass man die gelös- vor, man assoziiert etwas. Man spricht von
Spieß von Dr. Deinhard, der könnte mine- ten Stoffe direkt schmeckt. Mineralität, obwohl man nicht das Mineral
ralisch sein und sogar etwas salzig. schmeckt, sondern einen geradlinigen,
Salz im Wein? säurehaltigen Wein.
Wittkowski: Auch bei Weinbeschreibungen Hehn: Ich unterscheide auch zwischen orga-
gibt es Trends. Erst nannte man alles Mög- nischem und steinigem Boden. Im Elsass
liche »mineralisch«, jetzt finden Sie überall weichen sogar oft an ein und demselben
Salz im Wein. Aber es gibt manchmal Weinberg diese Verhältnisse voneinander
durchaus schmeckbaren Salzgehalt. Der ab, wegen der geologischen Verschiebungen.
kann sogar zugesetzt sein, so einen Wein Und dann sprechen wir von der Kombina-
hatten wir aus Australien. Wegen der Mee- tion einer eher organischen sowie einer
resnähe, wurde uns erzählt. Wir haben das steinigen Mineralität.
analysiert, mit dem Ergebnis: zugesetzt. Wittkowski: Diese Unterschiede schme-
Dem französischen Weißwein Muscadet cken Sie?
wird ebenfalls Jod- oder Salzgeschmack Hehn: Ich bin darauf trainiert.
nachgesagt. Aber vielleicht ist das nur psy- Stoßen wir auf die vielfältigen Formen des
cho, denn man assoziiert mit diesem Wein Weinwissens an!
sofort die Austern, die er begleitet.
Hehn: Entsteht der Salzgeschmack nicht Gesagt, getan.
auch aus Phenolen im Holz?
Wittkowski: Nein, daraus bilden sich eher Und was sagen Sie zu diesem Wein?
rauchig schmeckende Substanzen, zum Bei- Hehn: Er beweist, dass es sich lohnt, Ries-
spiel das Kresol, das Sie von dem typischen ling liegen zu lassen. Er wird in diesem Jahr
S-Bahn-Geruch kennen, oder solche, die zehn.
Stefanie Hehn, Jahrgang 1985, legte
irgendwie zahnmedizinisch riechen. Aber mit 23 die Sommelierprüfung ab und
Wittkowski: Ob er nicht vor zwei Jahren
der Salzgeschmack, der kommt einfach arbeitete in Spitzenrestaurants wie besser war?
vom Kochsalz, also Natriumchlorid, oder dem Louis C. Jacob und dem Überfahrt. Oder in zwei Jahren besser ist?
auch vom Kaliumchlorid im Wein. Derzeit bereitet sie die Eröffnung eines Wittkowski: Glaube ich nicht.
Jedenfalls passt dieser Riesling hier schön Restaurants im neuen Hamburger Hehn: Bei Weißwein entscheide ich so: Je
zum Käse. Gibt es objektive Kriterien da- Hotel Fontenay vor. lebendiger er am Gaumen ist und je mehr
für, welcher Wein welche Speise begleiten Trinkfluss er hat, desto länger sollte man
sollte? ihn noch reifen lassen.
Hehn: Erfahrungen. Wenn Sie einen gerb- Trinkfluss?
stoffreichen, also tanninbetonten Rotwein Man schmeckt das Endergebnis. Unsereiner Hehn: Wenn man sich spontan denkt:
zum Fisch essen, dann ist es, als würden sie redet dann von erdigen Weinen oder Feu- Noch ein Glas bitte.
den Fisch gerben. Aber ein leichter Pinot erstein-Aroma. Es gibt ja Leute, die sagen: Riesling ist mir
noir mit nicht so vielen Tanninen, vielleicht Wittkowski: Das sind alles Assoziationen. zu sauer, davon bekomme ich Sodbrennen.
etwas gekühlt, geht. Mit Rotweinsauce und Hehn: Es gibt ja auch diesen Petrolton in Hehn: Ich höre das oft. Aber die Magen-
intensiverem Fisch auf jeden Fall. Weinen, die auf Schiefer wuchsen. probleme kommen nur, wenn man schlech-
Es heißt, man könne den Boden eines In Rieslingen von der Mosel zum Beispiel. ten oder ganz, ganz jungen Wein trinkt, ob
Weins herausschmecken. Was schmeckt Hehn: Ja, aber den Petrolton kennt man das nun Riesling oder etwas anderes ist. Ich
man da? Steine? Erde? ebenso von australischen Rieslingen, die kenne es von Fassproben, also von Wein,
Wittkowski: Es soll Leute geben, die Mag- nicht auf Schiefer wurzelten. Heute wird der noch nicht einmal fertig ist. Man sollte
nesium- oder Kalium-Ionen schmecken diskutiert, dass das in Wahrheit ein soge- natürlich auch Wasser zum Wein trinken.
können. Das ist wissenschaftlich umstritten. nannter Lichtgeschmack ist, also vom Richtiges Sodbrennen wird fast immer
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Rotwein wird besser, wenn er vor dem Trinken »atmen« kann, heißt es. Braucht man
dafür einen Dekanter? Muss man die Flasche am Vorabend öffnen? Den Inhalt hin und her
füllen? Einen Aufsatz zum Einschenken benutzen? Und was sagt die Wissenschaft dazu?
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durch aufsteigende Magensäure verur- Spaß macht er trotzdem. Schöne Tannine. Wie setzen Sie die traditionellen Jura-
sacht. Etwa wenn man einfach zu viel Al- Wittkowski: Sehr sortentypisch, ausbalan- Weine im Restaurant ein?
kohol getrunken hat. ciert. Ein bisschen zu bitter im Abgang. Hehn: Man muss die Gäste ein bisschen
Wittkowski: Und auch noch zu fett isst. Hehn: Der hält noch fünf Jahre. vorbereiten: »Jetzt kommt ein Wein, der
Hehn: Entenbraten. Wittkowski: Na, ich weiß nicht. wird Sie vielleicht an Sherry erinnern.« Da-
Wittkowski: Jedenfalls liegt es nicht daran, Hehn: Schön saftig am Gaumen. mit sie keinen Schreck bekommen. Aber so
dass man Riesling trinkt. Es kommt auf die Wittkowski: Im Friaul habe ich mal etwas ein Wein kann das Essen ideal begleiten. Da
Zusammensetzung der Säuren an, und die Merkwürdiges erlebt. Alle Weine eines gibt es zum Beispiel die »Kartoffelkiste« im
entwickelt sich im Keller, wo aggressivere Winzers hatten so einen Geruch, als würde Restaurant Überfahrt: ein Kartoffelwürfel,
Säuren abgebaut werden. Die Empfindlich- man einen soeben fertiggestellten Neubau mit einem flüssigen Eigelb gefüllt, darüber
keiten sind eben unterschiedlich. betreten. Einen Betonton. etwas Trüffelsalat und drum herum Madei-
Wie die Geschmäcker. Und da frage ich Betontanks werden ja wieder beliebt. rajus. Dazu passt ein Savagnin aus dem
mich, was es bringt, wenn Weinratgeber Wittkowski: Die Note brauche ich nicht im Jura, der auch gut zu Artischocken passt.
den Weinen Punkte geben. 89 Punkte auf Wein. Oder zu Bressehuhn in Sahnesauce mit
einer Skala von null bis hundert: Solche Hehn: Neue Betontanks sollten eigentlich Morcheln ...
Zahlen täuschen Exaktheit doch nur vor. keinen Geschmack abgeben. Einige Win-
Wittkowski: Die 100-Punkte-Skala haben zer schwören allerdings auf eiförmige Be- Wir geraten ins Schwärmen. Streifen noch das
wir in der OIV entwickelt und die Kriterien tonbehälter, die frei stehen. Die lassen ein Thema »Wein und Gesundheit«. Die Studien-
dafür weltweit im Konsens verabschiedet. bisschen Sauerstoff durch, und wir Som- lage ist eindeutig, sagt Reiner Wittkowski, der
Lebensmittelchemiker und Risikoforscher: Ge-
ringer Alkoholkonsum fördere die Gesundheit.
»Man muss die Gäste ein bisschen vorbereiten und ihnen Abstinenz hingegen sei nicht gesund, aber am
sagen: ›Jetzt kommt ein Wein, der wird Sie vielleicht an gefährlichsten der Exzess. Wann setzt er ein?
Sherry erinnern.‹ Damit sie keinen Schreck bekommen« Darüber streitet die Wissenschaft. Wir nicht.
Die dritte Flasche ist leer, das muss genügen.
Stefanie Hehn, Sommelière
Frau Hehn, in welchen Momenten finden
Das war nicht leicht. Auf unserer General- meliers sagen dann schon mal: Ah, im Sie Ihren Beruf am schönsten?
versammlung sagte ein Amerikaner, Typizi- Holzfass ausgebaut! Dabei sind das nur Hehn: Wenn Gäste, die nur ein Glas zu sich
tät sei kein Kriterium, denn das einzige Oxidationsaromen, wie sie auch im Holz- nehmen wollten, beim Verlassen des Res-
englische Wort, das es für Typizität gebe, fass entstehen. taurants nicht mehr so ganz klar sprechen
laute bullshit. Mittlerweile finden auf der Diese Betoneier sollen auch irgendwelche können. Dann habe ich ihnen offensicht-
ganzen Welt von der OIV geprüfte Verkos- verborgenen Energien konzentrieren. lich eine Freude bereitet.
tungen statt, und wenn auf denen zum Bei- Hehn: Man darf ja mal ein bisschen roman- Wittkowski: Das ist nun wirklich mal ein
spiel ein Wein im Mittel konstant 95 Punk- tisch sein. Im Weinkeller geht es sonst doch messbares Kriterium. —
te bekommt, ist das schon eine Aussage. meistens sehr rational zu, alles gekachelt,
Weinführer und Weinmagazine vergeben viel Stahl, aus hygienischen Gründen.
ebenfalls Punkte. Wie verlässlich sind die? In der Bourgogne habe ich über die man-
Hehn: Das sind meistens gut trainierte Ju- gelnde Hygiene manchmal gestaunt.
roren. Sehr gewissenhafte Leute. Aber ich Hehn: Da entsteht schnell ein bestimmtes
interessiere mich für die Punkte nicht so Phenol, ein Stoffwechselprodukt sehr hart-
sehr, ich lese lieber die Beschreibungen. näckiger Hefepilze namens Brettanomyces.
Wittkowski: Sie sind ja auch Profi. Die Stallgeruch.
Punkte sollen den Leuten helfen, die im Hehn: Oder Pferdeäpfel, wobei ich dieses
Supermarkt vor dem Weinregal stehen. Wort im Restaurant nie verwenden würde.
Oh, unsere Flasche ist schon leer. Wenn man Glück hat, wird das Aroma im
Wittkowski: Was, schon weg? Fass allmählich wieder abgebaut.
Hehn: Das ehrt uns. Wittkowski: Manche lieben das Aroma.
Andere schwören auf Weine, die eindeutig
Wir schauen einander an: Ja, noch eine Fla- oxidiert sind, und nennen sie Naturwein, Über Wein zwischen Genuss und
Wissenschaft diskutierten Reiner
sche. Stefanie Hehn sucht einen Pinot noir aus: oder Orange Wine.
Wittkowski, Gero von Randow und
einen 2012 Beaune du Château von Bouchard Hehn: Bewusst oxidierte Weine können Stefanie Hehn im Habel am Reichstag,
Père et Fils, einen verlässlichen Burgunder. wunderbar sein. Sherry zum Beispiel oder einem der ältesten Weinhäuser Berlins.
viele Weine aus dem französischen Jura. Der Bierbrauer Johann Georg Habel
Hehn: Na ja, der ist schon sehr reif. Nicht Leider gibt es zurzeit teure Modeweine, die gründete es 1779. Damals belieferte
der größte Pinot noir meines Lebens, aber einfach nur trüb sind. man noch den Hof des Königs.

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