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 International 7

WOZ Nr. 33 16. August 2018

Kalte Luft aus Hunderten Klimaanlagen lich, in einer Sitzung zur Mobilisierung
strömt in die Fussgängerpassage. Baustel- gegen die Räumung, habe man eine halbe
len reihen sich an Zara-Filialen, Noodle Bars Stunde lang über das Wohl der Fische im
und Eisdielen, das antike Amphitheater liegt Springbrunnen diskutiert, erzählt Kike Es-
hinter einer Glasscheibe. Vergeblich schreit paña Naveira, Aktivist und ebenfalls Archi-
ein Schürzenverkäufer gegen den Lärm der tekt. Die Reporterin selbst sitzt derweil an
PassantInnen an. Mit den grossen Ketten ­einem Treffen für die kommende «Bodies
können kleine Läden nicht lange mithalten. in Resistance»-Woche: Statt über Verteidi-
Málaga ist ein Moloch der Touristifizierung. gungstaktiken zu sprechen, spinnen die
GemüsehändlerInnen oder Bars mit bezahl- UnterstützerInnen Performanceideen und
baren Tapas sind komplett aus der Innenstadt diskutieren philosophische Körperkonzep-
verschwunden. Mehr als 10 000  Einwohner­ te. Von Sitzungsüberdruss keine Spur. «Wir
Innen haben das historische Stadtzentrum verschwenden keine Energie auf das Räu-
innerhalb der letzten Dekade verlassen: mungsszenario», so Naveira, «nur auf die
Málagas Innenstadt ist zum Airbnb-Dorf ver- Verteidigung des Projekts. Viele intelligente
kommen. Für die UnternehmerInnen ist die Leute arbeiten 24 Stunden am Tag daran.»
Entwicklung lukrativ, der Tourismus boomt.
Zugleich sind viele Jobs in der Tourismus-
Neue Protestwelle?
branche prekär, ein grosser Teil der Löhne
liegt noch auf dem Krisen­niveau von 2008. Die «Invisible» steht als Symbol konträr zu
Geblieben ist im Herzen der Innenstadt einem Businessplan, den Bürgermeister de
eine widerständige Anomalie: die «Casa la Torre um die Jahrtausendwende entwarf,
Invisible» – das unsichtbare Haus. Seit elf um die sonnige Strandlage Málagas zu nut-
Jahren arbeitet eine Gruppe von mittlerwei- zen und sie durch kulturelle Institutionen
le über sechzig AktivistInnen in dieser öf- zu einem touristischen Hotspot zu machen.
fentlichen Oase der Selbstverwaltung. Doch So erfand man Málaga kurzerhand neu als
auch der «Invisible» droht inzwischen das die Stadt Picassos, den ausser seiner Geburt
Aus. Noch diesen Sommer soll das Zentrum nichts mit dem Ort verband. Nun wacht er
geräumt werden – das hat die Mehrheit der wie ein heiliger Schutzpatron über die seit-
Stadtregierung, bestehend aus dem konser- her errichteten rund 25 Museen, mit Ableger
vativen Partido Popular und der rechts-neo- des Centre Pompidou und der russischen
liberalen Partei Ciudadanos vor wenigen Eremitage, deren Eröffnung 2015 das Stadt-
Monaten beschlossen. Die Behörden warten design des Bürgermeisters vollendet hat.
lediglich auf den Ausführungsbefehl von Auch die symbolische Relevanz der ge-
Bürgermeister Francisco de la Torre. Der planten Räumung wird verständlicher, blickt
heisse August eignet sich dafür bestens: man etwas zurück: Besetzte soziokulturelle
Viele verlassen die Stadt, und im Lärm des Zentren hätten in den letzten zwanzig Jah-
zehntägigen Stadtfests La Feria gehen Nach- ren eine Schlüsselrolle in der Gestaltung
richten leicht unter. alternativer Politik eingenommen, so der
Philosoph Raùl Sanchez Cedillo, Mitglied
des landesweiten Netzwerks Fundación de
Akt des zivilen Ungehorsams
los Comunes. Sie seien die Wiege für beinahe
«Die Unterstützer der ‹Invisible› waren von alle bahnbrechenden politischen Ereignis-
Beginn an breit zusammengesetzt, mit vie- se in Spanien gewesen, angefangen mit der
len bekannten Personen aus der Stadt und Antiglobalisierungsbewegung im Jahr  2001,
dem gesamten Land  – man dem Movimiento 15-M aus den
konnte uns nicht ignorieren», Jahren 2011/12 bis hin zur mu-
sagt die Juristin Amanda Ro- Mittlerweile ist nizipalistischen ­Bewegung.
mero, eine der AktivistInnen, eine ganze Die neoliberale Partei Ciu-
die sich für den Erhalt des Zen­ Gruppe von dadanos, die sich aus den Kon-
trums einsetzen. Die Direk- flikten um die Unabhängigkeit
toren der Museen Reina Sofia
RentnerInnen zur Kataloniens etabliert hat, fährt
in Madrid oder der Macba in Besetzung zurzeit die landesweite Kam-
Barcelona befinden sich genau- gestossen. pagne «Stop Okupas» gegen
Wegen der Behörden jetzt ohne Tapas: Patio im unsichtbaren Haus. so darunter wie ausländische Besetzungen und Zentren wie
PhilosophInnen oder verschie- die «Invisible». Sie rückt Beset-
dene linke Parteien und Ge- zerInnen in die Nähe mafiöser
werkschaften. «Die stereotypen Drogenkartelle  – und reagiert
G E N T R I F I Z I E RU N G Bilder von Besetzungen einer auf den Erfolg von Gruppen wie
bestimmten subkulturellen Gruppe passten dem Movimiento 15-M und der PAH-Platt-

Eine Oase im
nicht. Die Regierung war deshalb sehr ver- form, die die strukturellen Enteignungen
unsichert», sagt Romero. während der Immobilienkrise international
Von Beginn an haben die AktivistInnen sichtbar machten und vielen Personen aus
die Behörden zu Verhandlungen gezwun- lebenslanger Verschuldung halfen. Nicht
gen: In einem Akt zivilen Ungehorsams be- zuletzt wegen einer massiven Suizidwelle

Airbnb-Dorf
setzten sie das städtische Grundstück – mit habe die PAH starken Rückhalt in der Bevöl-
dem Ziel, Einfluss zu nehmen auf die über- kerung gewonnen, sagt Aktivistin Amanda
wältigende Macht der Immobilienspekula- Romero.
tion. Seit einer Übereinkunft im Jahr 2011 In der «Invisible» trifft man auf einen
liess die städtische Regierung den Status sozialen Zusammenhalt, der durch die
der «Invisible» im Schwebezustand. Die Be- Räumungsdrohung gefestigt wurde. Es
Im südspanischen Málaga wehren sich EinwohnerInnen setzerInnen erfüllten alle Kriterien, die ih- seien viele Leute und Gruppen da­zu­ge­stos­
gegen Immobilienspekulation und dagegen, dass die Stadt nen die Behörden auferlegt hatten. Nur eine sen, an der letzten Demonstration mehrere
Forderung wurde nicht befolgt: das Haus zu Tausend Menschen zusammengekommen,
­
dem Tourismus geopfert wird. Im Herzen der Proteste verlassen, um danach die Übergabe zu orga- erzählt Jesús Iglesias Saugar, ein Aktivist
steht das soziale Zentrum «Casa Invisible». nisieren. des Bündnisses Málaga no se vende und
Unternehmensberater für ökologische und
VON CAROLINE BAUR (TEX T) UND JOSÉ E . CABRER A PÉREZ (FOTO), MÁLAGA soziale Fragen. Insbesondere die Gefahren
Kein Sitzungsüberdruss
des Klima­wandels hatten ihn dazu bewo-
Die «Invisible» mit ihrem pflanzenreichen gen, sein Tech­nomadenleben aufzugeben. Er
Patio und dem kühlenden Springbrunnen liess sich in Málaga nieder, schloss sich loka-
ist für die GegnerInnen schwer einzuordnen. len politischen Kämpfen an.
Sie ist vieles: Treffpunkt von Künstlerinnen Die Bürgerlichen, so Saugar, wüssten
und Theoretikern, verschiedener feministi- nur zu gut, dass aus diesen Allianzen gegen
scher Gruppen und Initiativen wie Málaga Touristifizierung und die kapitalistische
no se vende oder der Vereinigung Platafor- Verwertung aller sozialen Beziehungen
ma de Afectados por la Hipoteca (PAH), einer der Stadt eine lokale Opposition entstehen
landesweiten Organisation gegen Zwangs- könnte. «Wir verlangen, an Entscheidungen
räumungen. Sie beherbergt die Universidad teilzuhaben, die darüber bestimmen, wie
libre experimental  – und bis vor kurzem die Stadt geplant, organisiert und erhalten
eine kollektiv geführte Tapasbar, der die wird.» Das passiere momentan nicht, demo-
Stadt nun das Wasser abgedreht und ein kratische Prozesse fehlten. «Deshalb haben
Ausschankverbot erteilt hat. Sechs Tage die wir uns mit der 15-M-Bewegung erhoben,
Woche, zehn Stunden am Tag kann jede und und wir werden es wieder tun», sagt Saugar.
jeder ein und aus gehen, die Räumlichkeiten Spanien sei in einer komplexen Situ-
nutzen oder auch einfach herumlungern, ation, sagt Philosoph Cedillo. Durch den
ohne Konsumzwang. schwelenden Katalonienkonflikt sei weitere
«Von Anfang an hatten wir die Möglich- Instabilität zu erwarten. Zudem würde das
keit, am Haus unsere Ideen auszutesten», Ende der Zuschüsse der EZB im Herbst das
sagt Alicia Carrió, eine Architektin, die im Image der spanischen Solvenz wieder ver-
Zuge der Wirtschaftskrise zwangspensio­ schlechtern. Cedillo spekuliert auf weitere
niert wurde. Nie hätte sie gedacht, nicht Proteste: «Bestenfalls werden sie zu einem
mehr arbeiten zu können, doch die wenigen radikal demokratischen und egalitären Pro-
vorhandenen Stellen gingen an Jüngere. Ihre zess führen.»
Pension beläuft sich auf einen Minimal­
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die
betrag. «Die ‹Invisible› gibt mir Kraft, weiter- Meldung, dass die AktivistInnen und
zuleben.» Mittlerweile ist eine ganze Gruppe VertreterInnen der Fundación de los Comunes in
von RentnerInnen zur «Invisible» gestossen. Verhandlungen den Bürgermeister dazu bewegen
konnten, das Räumungsverfahren der «Invisible»
Die AktivistInnen sprechen von ihrer einzustellen und die Übertragung des Hauses an
Praxis als einer Ökologie der Sorge. Kürz- die Aktivist­Innen einzuleiten.

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