Glossar
Achse – Unter Achsen lassen sich in der → Topologie (→ 1. Topologie) einer Kultur
spezielle privilegierte → Linien verstehen, welche bei der Konstitution des kul-
turellen Selbstverständnisses eine herausgehobene Rolle spielen, wie etwa die
Achsen ‚nah‘ – ‚fern‘, ‚vorne‘ – ‚hinten‘ oder ‚oben‘ – ‚unten‘. Durch diese Achsen
konstituieren sich grundlegende, für kulturelle Raumordnungen konstitutive
Unterscheidungen zur besseren Orientierung in einem an sich ungeordneten,
zunächst aus nichts als bloßen Nachbarschaften bestehenden → spatium; sie
sind auch für die meist auf den Menschen bezogene Konstruktion eines schach-
telartigen Containerraums verantwortlich (→ 4. Deixis).
Außen → Innen/Aussen
carte – Michel de Certeau beschreibt im Modus der ‚carte‘ eine Form der Lokali-
sierung, die von einem statischen Überblick über einen gegebenen Raum ausgeht
und hierin von den konkreten → parcours-artigen Bewegungsformen und den
dabei angestellten Verknüpfungen einzelner Stationen von einem Ausgangs- zu
einem Zielpunkt weitgehend abstrahiert. Die carte setzt kulturtechnisch bzw.
medial ein vereinheitlichendes Prinzip voraus, demzufolge einzelne → Punkte in
einem metrischen bzw. → gekerbten Raum nach einer übergeordneten Adress
logik (z. B. Länge und Breite) beschreibbar werden. Die Kartographie ist histo-
risch das Medium, in dem sich eine solche Kerbung des Raums exemplarisch rea-
lisiert. In Erzähltexten kann eine Zusammenschau der Raumstruktur eines Textes
in Form einer carte im geographischen Sinn bzw. metaphorisch erweitert als
‚mapping‘ verschiedenster Bedeutungszusammenhänge nur durch Abstraktion
von spezifischen Parcours einzelner Aktanten hergestellt werden (→ 20. Literatur-
geographie). Konkrete Karten können ihrerseits auch zur Erzählmatrix werden,
wobei Figuren, ausgehend von gegebenen Orten, in Bewegung gesetzt werden
und sich ein → konnektiver Parcours auf der Matrix einer materiell existieren-
den oder imaginierten Karte ergibt (→ 22. Kartographisches Schreiben).
Chronotopos → Raumzeit
ein Phänomen der Entgrenzung und der Flucht vor einvernehmlichen, wenn auch
damit veranschaulichenden und vereindeutigenden Festlegungen und steht im
Zeichen der Figur des → Rhizoms sowie des damit einhergehenden Nomadismus.
Gleichwohl ist sie immer auch verbunden mit der gegenläufigen Bewegung einer
Reterritorialisierung, welche die Fliehkräfte im Prinzip offener Nachbarschaften
immer wieder akzidentell und ökologisch zu temporären Konfigurationen bindet,
so dass De- und Reterritorialisierung dergestalt aneinander gekoppelt sind, dass
sie Prozessualität als ein beständiges Werden fassbar machen können.
Dimensionalität – Räumlichkeit, die sich nach Gilles Deleuze und Félix Guattari
metrisch beschreiben lässt, d. h. in geometrischen Dimensionen oder in bestimm-
ten Größenverhältnissen, wobei jedem sich im metrischen Raum befindlichen
Gegenstand ein bestimmter → topographischer → Ort zukommt. Dimensiona-
lität ist ein Kennzeichen von so genannten → gekerbten Räumen.
Direktionalität – Nach Gilles Deleuze und Félix Guattari meint dies eine Bewe-
gungsform (→ Parcours; → 3. Dynamisierungen; 23. Transitorische Räume),
die in spezifischer Weise gerichtet ist, aber sich, im Unterschied zur → Dimen-
sionalität, nicht in einen bereits metrisch durch feste Punkte vorstrukturierten
‚Gesamtraum‘ (→ gekerbter Raum; carte) einfügen lässt, sondern allein auf
einer → topologischen Relationalität beruht. Die dieser Bewegungsform korres-
pondierende Räumlichkeit wird als → glatter Raum bezeichnet.
Erde – Als Denkfigur des Globalen bezieht sich der Ausdruck ‚Erde‘ nach Robert
Stockhammer – im Unterschied zu → Welt – auf die physische Gestalt der Welt-
kugel in ihrer → Topographie (→ 2. Topographien) und somit auf einen geome-
trisch endlichen, per Kartenprojektion als → Fläche darstellbaren → Raum. Die
Konstitution von Erde als vermessbarer Raum mit genau adressierbaren → Orten
ist somit Ansatzpunkt geopolitischer Operationen ebenso wie geographischer
Faltung – Im Gegensatz zur → Schichtung handelt es sich bei der Faltung um ein
topologisches Modell kultureller Ordnung, bei dem sonst oppositive Räume mit-
einander in Kontakt gebracht werden können – so kann z. B. in das → Innen einer
kulturellen Ordnung ein → Aussen ‚eingefaltet‘ werden, so dass es eine Hetero
topie (→ 15. Utopie und Heterotopie) inmitten dieser Ordnung bildet.
Glatter Raum – Als → topographisches Modell für die Beschreibung des ‚glatten‘
Raumes (der ursprünglich aus der Musiktheorie bei Pierre Boulez stammt) führen
Gilles Deleuze und Félix Guattari das Meer an, weil ein dort vollführter → Par-
cours , anders als im → gekerbten Raum, keine sichtbaren → Spuren hinterlässt
und aufgrund des Fehlens dauerhafter Wegmarken die Wiederholung erschwert.
Über diese geographische Bedeutung hinaus dient jedoch der ‚glatte Raum‘ als
allgemeiner Begriff dazu, jede Form → vektorialer Bewegung im → direktio-
nalen, nicht-metrischen Raum zu beschreiben, in dem sich → Feld-Relationen
und Lagebeziehungen zwischen Körpern ausbilden, ohne dass dabei von einem
festen → Ort ausgegangen werden müsste, der diesen Beziehungen vorausgeht.
Grenze – Der Begriff der ‚Grenze‘ zielt auf diejenige → Linie, die zwei → Felder
voneinander teilt, wobei sich die Felder allererst durch den Prozess der Teilung
als deren Resultat ergeben. In der Sujettheorie Jurij M. Lotmans (→ 14. Semio-
sphäre und Sujet) dient diese → topologische Vorstellung als Ausgangspunkt
für die Vorstellbarkeit kultureller Semantisierungen, wonach Kulturen an ‚Ver-
botsgrenzen‘ → Übertretungen/Überschreitungen imaginieren, um so ihre
innere Ordnung auszutesten und zu fixieren. Im Anschluss hieran erforschen
neuere kulturtheoretische Ansätze zunehmend die selektive Durchlässigkeit von
Grenzen (so etwa auch Jurij Lotmans Verständnis der Grenze als ‚Membran‘ in
seinen späten Schriften) bzw. die Ausweitung von trennenden Grenzlinien zu
Grenzzonen, die → Kontaktzonen bzw. Übergangszonen zwischen zwei Teilräu-
men kultureller Ordnung sichtbar machen (→ 23. Transitorische Räume).
Innen/Außen – Neben der vor allem der Schwerkraft auf der → Erde verpflichte-
ten Relation ‚Oben/Unten‘ ist die Relation ‚Innen/Außen‘ in allen menschlichen
Kulturen aktualisiert zur Abgrenzung des ‚Fremden‘ vom ‚Eigenen‘ und damit zur
Orientierung, Bestimmung und Verortung der eigenen Kultur im eigenen Raum.
In Jurij M. Lotmans Theorie von der Semiosphäre (→ Sphäre; → 14. Semiosphäre
und Sujet) teilt sich der Innenraum selbst noch einmal auf in ein dominantes,
stabiles, aber auch weitgehend statisches ‚Zentrum‘ und eine die Ränder bestim-
mende, hochaktive, dynamische ‚Peripherie‘, welche oszillativ das Zentrum
beständig infrage zu stellen sucht. Bei Michel Foucault führt die epistemologi-
sche Unterscheidung von ‚Innen‘ und ‚Außen‘ einer gegebenen Wissensordnung‚
die er in Auseinandersetzung mit Maurice Blanchot entwickelt (→ 6. Literarischer
Raum), u. a. zu dem Konzept eines ‚wilden Außen‘, der Vorstellung von einem
utopischen Außenraum, der den Innenraum konstituiert und beschützt, seiner-
seits aber per definitionem nicht zugänglich ist. Entsprechend lässt er sich ergän-
zen durch den Gedanken eines enklavenhaft begriffenen ‚wilden Innen‘, das die
äußeren utopischen Merkmale – wie etwa im Karneval, im Fest oder im Urlaub –
für eine Zeit nach innen spiegelt, um sie dort heterotopisch (→ 15. Utopie und
Heterotopie) greif- und erlebbar zu machen.
Intervall – Der Begriff des ‚Intervalls‘ meint im Gegensatz zu dem einer weitge-
hend kontinuierlich verstandenen → ‚Grenze‘ oder auch → ‚Schwelle‘ die Figur
einer Zäsur oder auch Kluft, welche – ähnlich dem Modell von den zwei Seiten
einer Medaille oder demjenigen von der Vorder- (recto) und der Rückseite (verso)
eines Blattes Papier – zwei Felder genau dadurch vereint, dass sie sie trennt:
Das Zusammengehörige wird somit nicht-kontinuierlich über ein Dazwischen
etabliert, welches zwar da ist, ohne dass es sich erkennbar als vorhanden mani-
festiert. Insofern bezeichnet das Intervall einen Zwischenraum oder auch eine
Absenz, eine Lücke oder ein Nichts, welches gleichwohl funktional als differen-
tielles Prinzip am Werk ist, wie dies etwa die Sprache mit ihrer intervallhaften
Zuordnung von Signifikanten zu Signifikaten über ein als Dazwischen fassbares,
‚form‘schaffendes Drittes bezeugt.
Karte → carte
Linie – Linien lassen sich nicht nur als Geraden und somit als kürzeste Verbin-
dung zwischen zwei geometrischen → Punkten verstehen. In literatur- bzw. kul-
turtheoretischen Ansätzen tauchen Linien entweder als Grenzlinien auf, deren
→ Überschreitung konstitutiv für ein narratives Sujet (→ 7. Raum und Erzäh-
lung; 14. Semiosphäre und Sujet) ist, oder als Bewegungslinien, die den → Par-
cours eines Aktanten im Raum in Anhängigkeit von der dabei aufgewendeten
Zeit (→ Raumzeit) beschreiben; eine solche Linie ist im Nachhinein oft nur
→ spurhaft rekonstruierbar. Die Netzwerkforschung unterscheidet Linien als
→ Konnektoren, mit denen sich n-dimensionale (→ Dimensionalität) → Netz-
werke beschreiben lassen und die im speziellen dreidimensionalen Raum der
euklidischen Geometrie mit einer konkreten → Topographie (→ 2. Topographien)
verknüpft werden können, von Linien als Bewegungsvektoren in einem topologi-
schen → Feld, bei denen man nur eine spezifische Gerichtetheit (→ Direktiona-
lität), nicht aber Anfangs- und Endpunkte wie bei konnektiven Linien angeben
kann.
Origo – Der auf Karl Bühlers Sprachtheorie zurückgehende Begriff der ‚Origo‘
bezeichnet das pragmatische Zentrum einer Äußerung, den idealiter anzu-
nehmenden → Punkt, von dem aus ein Sprechakt vollzogen wird und der sich
zugleich von Äußerung zu Äußerung → spurhaft bewegt, indem er die perso-
nen-, zeit- und raumbezogenen → Achsen von ‚Ich‘ – ‚Nicht-Ich‘, ‚Jetzt‘ – ‚Nicht-
Jetzt‘ und ‚Hier‘ – ‚Nicht-Hier‘ im ständigen Verschub vereint und so die Illusion
eines Ursprungs erzeugt, der gleichwohl immer schon differentiell aufgeschoben
ist (→ 4. Deixis).
Ort – In der Gedächtnisforschung (→ 17. Mnemotop) versteht man unter einem
‚Ort‘ (locus) mit Bezug auf die aristotelische Topik (→ 9. Räume des Wissens)
ein mnemotechnisches Hilfsmittel, das die kulturelle Überlieferung durch ihre
Bindung an bestimmte imaginierte oder reale → Topographien (→ 2. Topogra-
phien) stabilisiert. Bei Marc Augé erscheint der ‚Ort‘ im Gegensatz zum anony-
men, wesenlosen → ‚Nicht-Ort‘ (→ 16. Nicht-Orte) als genau lokalisier- und spe-
zifizierbare identitäre Räumlichkeit, die sich weder verwechseln noch ersetzen
lässt, sondern durch ihre ganz besondere Eigenheit stets verlässlich erkennbar
bleibt. Bei Michel de Certeau wird der Begriff des ‚Orts‘ (‚lieu‘) in einem syntakti-
schen Sinne statisch verstanden als Ordnungspunkt (→ Punkt) im Raum, wohin-
gegen der → ‚Raum‘ (‚espace‘) aus pragmatischer Sicht dynamisch gefasst ist als
‚praktizierter Ort‘, der durch die Praktiken seiner Benutzer wie etwa die Etab-
lierung von individuellen → Parcours oder auch akzidentellen → trajectoires
funktional entfaltet wird.
Parcours/Wegstrecke – Nach Michel de Certeau lässt sich eine Form der Orien
tierung im Raum als ‚Parcours‘ beschreiben, wenn eine Bewegung ‚relational‘ von
einer Wegmarke zur nächsten beschrieben wird (im Gegensatz zu einer festen,
Plateau – Als Plateau lässt sich nach Gilles Deleuze und Félix Guattari eine spe-
zifische Art der Stabilisierung → rhizomatischer Verknüpfungen zu einer kon-
sistenten, jedoch nur durch immanente Regeln der Verknüpfung bestimmten
Ordnung fassen, die auch für kulturelle Zusammenhänge herangezogen werden
kann. Während, so lässt sich aus dem geologischen Modell von Deleuze und Guat-
tari weiterhin folgern, ein ‚Plateau‘ seine immanente Konsistenz aus ‚horizonta-
len‘ Relationen zu anderen Elementen desselben Plateaus gewinnt, grenzt es sich
gegenüber anderen Plateaus durch eine ‚stratigraphische‘, d. h. schichtenweise
erfolgende Anordnung und die Ausbildung einer topologischen → Achse ‚oben‘
vs. ‚unten‘ ab, bei der sich die ‚jüngste‘ Schicht oben und die ‚älteste‘ ganz unten
ablagert. Verschiedene Kulturtheorien der Moderne, von der Freud’schen Psycho-
analyse bis zur Foucault’schen Wissensarchäologie (→ 9. Räume des Wissens),
haben implizit oder explizit ein geologisches Modell zur historischen Beschrei-
bung kultureller, auch literarischer Formationen (→ 25. Formationen literarischer
Raumgeschichte) genutzt. Größere Komplexität erlangt ein solches Schichten-
modell von Geschichtlichkeit durch Operationen wie diejenige der → Faltung,
durch die die klare Ausrichtung der Schichtung von Plateaus an einer Oben-
Unten-Achse infrage gestellt werden.
Raum – Bei Michel de Certeau wird der Begriff des ‚Raums‘ (‚espace‘) im Gegen-
satz zu dem des → ‚Orts‘ (‚lieu‘) dynamisch gefasst als das aus Prozessen wie
dem → Parcours oder der → trajectoire hervorgehende momentane Resultat
einer an Orten abgeleisteten Praxis, welche diese durch Aneignung in Anspruch
nimmt, nutzt, miteinander verbindet und auf diese Weise in Räume individu-
ellen Handelns verwandelt, die von unterschiedlichen Akteuren unterschied-
lich ‚beschrieben‘ werden können. Während also Orte lediglich syntaktische
→ Punkte in einem räumlichen Gefüge darstellen, zeigen Räume deren prakti-
zierte Pragmatik.
Raumzeit – Mit dem Begriff der ‚Raumzeit‘ bzw. des ‚Chronotopos‘ zielt der rus-
sische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin im Anschluss an Überlegungen
aus der zeitgenössischen Biologie wie der Physik der 1920er und 1930er Jahre
(→ 24. Nicht-euklidische Räume) auf die Untrennbarkeit der Konzepte ‚Raum‘
und ‚Zeit‘ und die damit insbesondere für die Gattung des Romans folgenreiche
Bewusstmachung, dass jedem literarischen Raum immer schon auch eine zeitli-
che Dimension mit eingeschrieben ist, welche sich äußert einerseits in der Ver-
räumlichung von Zeit wie etwa im Abenteuer- und Prüfungsroman, wo der Held
in aller gegebenen Unwahrscheinlichkeit ‚zeitlos‘ durch Stationen geführt wird,
bis er seine ‚Identität‘ erlangt, und andererseits in der Verzeitlichung von Raum
wie etwa im idyllischen Roman, wo sich Zeit in einer Form gedehnt findet, dass
beim Leser der Eindruck von unverwandelter Räumlichkeit entsteht (→ 13. Chro-
notopoi).
Reterritorialisierung → Deterritorialisierung
Rhizom – Der von Gilles Deleuze und Félix Guattari geprägte Begriff des ‚Rhizoms‘
meint in Anlehnung an das Wachstum bestimmter Pflanzentypen ein eher unsys-
tematisches und ‚wucherndes‘ Verknüpfungsmodell im → Raum, das im Gegen-
satz zu rational übergestülpten Ordnungstypen wie etwa dem der Taxonomie
nicht schon von Haus aus zugunsten einer gesetzten (Vernunft-)Logik bestimmte,
durchaus mögliche Nachbarschaften ausschließt, sondern vielmehr die Mög-
lichkeit einer beständigen Verknüpfbarkeit eines jeden beliebigen → Punktes
mit jedem anderen beliebigen Punkt aufrecht zu erhalten sucht, so dass weder
das Denken noch dessen Repräsentation je der Illusion einer Abschließbarkeit
anheimfallen, sondern beide vielmehr umso mehr stets im Fluss bleiben, als ihre
Vielheit durch die transversale Überlagerung verschiedener → Plateaus zudem
noch gesteigert werden kann.
scapes – Scapes sind von einem Suffix abgeleitet (von mhd. ‚-schaft‘), das es
ermöglicht, eine abstrakte Form von Räumlichkeit zu beschreiben, die insbe-
sondere in Komposita wie landscape/Landschaft vorkommt und eine besondere
Art der dynamischen Raumkonstitution bezeichnet. Gegenüber der im Land-
schaftsbegriff dominanten, visuell geprägten Horizontstruktur (→ 12. Land-
schaft) werden in der neueren kulturwissenschaftlichen Theoriebildung, ins-
besondere in Anlehnung an Arjun Appadurai, scapes meist zur Beschreibung
einer → netzwerk-artig strukturierten Räumlichkeit verwendet: Komplementär
zu ihrem Gegenbegriff, den → ‚topes‘, sind ‚scapes‘ von einer → vektoriellen,
Verknüpfungen schaffenden Bewegung her gedacht. In literarischen Texten und
Filmen lassen sich scapes als paradigmatisch für narrative Situationsbildung ver-
stehen, bei denen Aktionen bzw. Bewegungen festen Situationen vorausgehen
(→ 3. Dynamisierungen).
folge das Trennende eher als Riss, Spalt oder auch als Kluft vorgestellt werden
muss (→ spatium; Kontaktzone), welche das Verbindende, ähnlich gleichpoli-
ger Magneten, gerade durch Abstoßung herstellt und damit in eine nicht-kontinu-
ierliche, inverse Relation zwingt.
spatium – Bei Gilles Deleuze erscheint als Begriff des ‚reinen spatium‘ die Vorstel-
lung von einer abstrakten, rein topologisch gedachten Räumlichkeit (→ 1. Topo-
logie), welche insofern noch nicht konventionellen menschlichen Ordnungs-
mustern anheimgestellt ist, als sie nicht als Ausdehnung, sondern lediglich als
bloße Nachbarschaft, als reine Verhältnishaftigkeit, in mathematischem Sinn
als schiere Relation gedacht ist, bevor sie überhaupt reduktiv vereinnahmenden
(aber damit eben auch etwa für uns semantisch oder topographisch veranschau-
lichenden) Konkretisierungen unterzogen wird. Das ‚reine‘ spatium steht auf
diese Weise mithin stets in Opposition zu intellektuell und kognitiv ‚kontaminie-
renden‘ Interessen und Besetzungen.
Spur – Der Begriff der ‚Spur‘ bezeichnet im Gegensatz zu dem des → ‚Parcours‘
oder dem der → ‚trajectoire‘ eine Bewegung im → Raum, welche nur im Nach-
hinein fassbar ist (→ 17. Mnemotop) und deshalb auch noch nicht vorgreiflich
mit Bedeutung ausgestattet werden kann. Während Parcours und trajectoire mit
Certeau als räumlicher bzw. zeitlicher Aspekt einer Bewegung gefasst werden
könnten, suggeriert die Spur lediglich die Ahnung von etwas möglicherweise
Fassbarem vor aller begrifflicher Konkretisierung, das aber sowohl verräumli-
chende als auch verzeitlichende Wirkung hat.
Territorium – Im Zusammenspiel mit der Karte (→ carte) meint der Begriff des
‚Territoriums‘ vorderhand den bestimmten → Raum, den die Karte mimetisch
topes – Der ursprünglich meist als Suffix verwendete Begriff ‚-tope‘ (von griech.
Topos, Ort) bezeichnet eine abstrakte Form von Räumlichkeit, die sich vor allem
über die Unterscheidung von → Innen und Aussen stabilisiert (im Unterschied
zu sich vor allem über Praktiken der Vernetzung strukturierende → ‚scapes‘). Als
Modell dient (in Abgrenzung etwa zum festen → Ort in der rhetorischen Topik)
v. a. das dynamische Ortskonzept der biologischen Milieu- bzw. Umwelttheorien,
die im 20. Jahrhundert eine zunehmende Bedeutung in kulturtheoretischen Kon-
texten erlangt haben (etwa in der Systemtheorie). Neuere literatur-, kultur- und
medienwissenschaftliche Studien (→ 2. Topographien; 14. Semiosphäre und
Sujet) bauen auf derart strukturierten Räumlichkeiten auf, um die semiotische
bzw. kulturtechnische Konstitution von Situationen zu beschreiben (→ 3. Dyna-
misierungen).
Topologie – Mit dem Begriff der ‚Topologie‘ bezeichnet die Mathematik zunächst
nichts als eine → vektorielle Relationalität im abstrakten Raum des reinen
→ spatium. Topologische Relationen bewegen sich mithin auf bloßen → Achsen
oder auch – nicht-euklidisch – → direktional anderwärts im Raum, ohne dabei
Ursprünge oder Ziele zu markieren. Hierin liegt ihre grundsätzliche und reine
Strukturalität als Menge der Relationen unter explizitem Ausschluss der Ele-
mente (→ 1. Topologien).
trajectoire – Nach Michel de Certeau bezeichnet der Begriff der ‚trajectoire‘ eine
zeitlich organisierte Bewegung im → Raum, die sich im Gegensatz zum räumlich
gefassten → Parcours komplementär beschreiben lässt über die diachrone, suk-
zessive Abfolge der auf einem Plan oder einer → Karte (möglicherweise auch nur
gedachten) durchlaufenen → Punkte. Insofern steht der auf einer Karte verzeich-
nete → konnektive Parcours in konzeptueller Nähe zu Certeaus Begriff einer vor-
schreibenden ‚Strategie‘, während die trajectoire sich eher der Praxis der ‚Taktik‘
nähert, deren Freiheit allerdings wiederum erst in der → Spur greifbar wird.
Weg/Wegstrecke → Parcours
Welt – Im Unterschied zu → Erde bezieht sich ‚Welt‘ als Denkfigur des Globa-
len nach Robert Stockhammer meist nicht auf einen konkreten geographischen
Raum, sondern auf ein Sinn-Ganzes, das für sich beansprucht, kein → Aussen
mehr zu kennen. Wer sich auf ‚Welt‘ bezieht, generalisiert eine partikulare Per-
spektive häufig so, dass sie zum Inbegriff des geordneten → Innen schlechthin
wird. Kritik an einer solchen Form der Totalisierung stammt etwa aus der post-
kolonialen Theoriebildung (→ 11. Postkoloniale Räume), die als Gegenbegriff das
→ ‚Planetarische‘ einführt.
Zwischenraum → Intervall