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LEBENSPHILOSOPHIE

UND PHXNOMENOLOGIEj·
EINE AUSEINANDERSETZUNG
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DER DILTHEY'SCHEN RICHTUNG MIT
tg>o- n.
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HEIDEGGER UND BUSSERL
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GEORG MISCH
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LEIPZIG UND BERLIN
V E R LA G UND D R U C K V 0 N B. G. TE U B N E R
VORWORT

Dieses Buch ist aus einer Folge von Aufsätzen hervorgegangen, die im
"Philosophischen Anzeiger" 1929/30 (III. Jahrg., Heft 2 und 3; IV, Heft 3) ·
erschienen sind. Sie sind hier unverändert zusammen abgedruckt, um dem
Wunsch, das Ganze in der Hand zu haben, nachzukommen. Den Anstoß zu
der Arbeit gab eine Aufforderung zur Beteiligung ~n der Festschrift für Husserl,
die zu seinem 70. Geburtstag (Aprill929) von dem jüngeren Phänomenologen·
Kreise vorbereitet wurde. Dieser Aufforderung glaubte ich, trotz dringender
anderer, schon allzu lange zurückgestellter Arbeiten, folgen zu müssen, um das
in ihr sich äußernde Bewußtsein der Gemeinschaft mit dem Dilthey'schen
Kreise auch von mir aus zu bekunden. Und auch das Thema für den Beitrag
war von selbst gegeben: Bemerkungen zu Heideggers Werk: "Sein und Zeit"
(1927), durch das diese Gemeinschaft offe~kundig geworden war. Aber aus der
Gelegenheitsschrift wurde ein langanhaltender Dialog, der den Rahmen einer
Festschrift weit überschritt. Es wirkte dabei zweierlei zusammen. Die du;ch
Heideggers Eingreifen in die philosophische Bewegung entstandene Situation
drängte zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung und steigerte zugleich das
Bedürfnis, :Oilthey's Richtung zu größerer Klarheit zu bringen: durch das
Erscheinen des 7. Bandes seiner Schriften (1927) war es möglich geworden,
die im "Vorbericht" zum 5. Band (1923) begonnenen Darlegungen weiterzu·
fÜhren.- Nach der Drucklegung der ersten Stücke dieser Arbeit (I bis III) er-
schien dann außer weiteren Schriften von Heidegger ein neues logisches Grund·
werk von Husserl, zugleich wurde der (vorläufig abschließende) 8. Band von
Dilthey's Schriften fertiggestellt, und Husserl teilte die Briefe mit, die er s. Z.
nach seinem Angriff gegen "Historismus und W eltanschauungslehre", mit Dil-
they gewechselt hatte. So schien es möglich und auch geboten, die Ausein-
andersetzung mit Heidegger an die zwischen Dilthey und Husserl, auf die sie
zurückweist, anzuknüpfen. Aber dadurch erweiterte sich der Dialog noch ein·
mal, da jeder der Unterredner mit seiner eigenen Stimme zu Worte kommen

____!' ""- ....


IV. Vorwort

mußte, damit der V ersuch gemacht werden konnte, auf den es uns ankommt:
dazu beizutragen, daß die gegenwärtige philosophische Bewegung sich zu
ihrem gemeinsamen Ziel hinfinde.
INHALTSVERZEICHNIS
Dem Herausgeher des "Philosophischen Anzeigers", Herrn Prof. Pleßner,
·Seite
und auch dem V erlag hin ich zu Dank dafür verpflichtet, daß sie die Arbeit 1. Die Aufgabe der philosophischen Grundlegung in der gegensätzlichen,
trotz des für einen Zeitschrift-Artikel ungewöhnlichen Umfanges aufnahmen durch die Begriffe: "Sein" und "Zeit" gekennzeichneten :J;,age 3
und so das Zustandekommen dieses Buches förderten. 1. Doppelaufgabe der existenzialen Phänomenolog:ie . . . . 5
Das gemeinsame hermeneutische Prinzip der· geisteswissenschaftlichen ;,Lebens-
· Göttingen, im Juni 1930. Georg Misch. philosophie" und der aus der Phänomenologie hervorgehenden "existen:~<ialcn Ana-
lytik des Daseins"; das Trennende in der Zielsetzung durch die Ausrichtung der
Lebensinterpretation auf .eine "Fundamentalontologie". Orientierung an dem für
die Gestaltung der Philosophie· maßgebenden Verhältnis des metaphysischen
Zuges in ihr zu dem ebenso ursprünglichen der Aufklärung.

2. Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Steilung des Seins~
prohlems . . . . . . . . . . . . . . : . . . . . . . . . . . . 11
Der metaphysische Zug in Heideggers Stellung der Seinsfrage und die Problematik
ZUR ZWEITEN AUFLAGE dieser Fragestellung im Hinblick auf die abzubauende ontologische Tradition.
Nachde~ das bei Friedrich Cohen, Bonn. erschienene Buch vergriffen war, Vora~slage des philosophischen Fragens bei Heidegger -- Die Parmenideische
ist es in den jetzigen Verlag übergegangen. Der Text blieb in dem Neudruck Tradition der Ontologie - Doppelstellung der Philosophie in dem Leben über
ihm - · Der notwendige Einschluß der Philosophie in die philosophische Lebens-
unverändert, ich habe nur zur leichteren Übersicht Kolumnen-Titel hinzugefügt
interpretation - Der Unterschied von Beginn und Anfang der Philosophie ~
und de~entsprechend das Inhaltsverzeichnis erweitert. · Relativierung dieses Unterschiedes in der Philosophie des Lebens --- Die zu einer
systematischen Lebensinterpr.,tation geforderte philosophische Methode: die der
Georg Misch. Analyse gesetzten Grenzen und das Überschreiten dieser Grenzen durch die Hin-
Göttingen, im Juli 1931.
wendung zur Ontologie.
3. Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie. . . . . . 30
Der ontologische Einsatz der Phänomenologie innerhalb der Daseins-Analytik.
Die Frage nach der Art der systematischen Analyse und ihre Bedeutung für die
Bestimmung der philosophischen Aufgabe: Fundamentalontologie oder ·tran-
szendentale Logik? ·'
Heideggers ontologische Ausformung der lebensphilosophischen Fragestellung -
Universalität des Ontologischen - Der Bruch der Lebensphilosophie mit dem
traditionellen Primat der Logik, gerichtet gegen die Logik-Ontologie - Genetische
Konstruktion der apophantischen Logik -- Der ergebnishafte Charakter der Seins- ·'
idee: Notwendigkeit des Rückganges hinter die theoretische Erkenntnisstellung
der Ontologie.
I nh~ltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis VII
VI
Seite Seite
4. Die Dynamik des Lehens und der Zirkel der hermeneutischen Me- die Frage nach der gedanklichen Durchsichtigkeit und Überschau-
thode . . . . . . . . . . . . . . . . . · . . · · · · · · · 41 . harkeit ihres Gefü'ges . . ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Die gemeinsame dynamische Richtung der Lebensauslegung und der entscheidende Evozierende Aussage und rein-diskursive Feststellung ~ Die Rolle des prägenden
Gegensatz durch den Begriff des geschichtlichen Werdens. Heideggers Aufstellung Wortes gegenüber dem t!lrminus der rein theoretischen .Erkenntnis -- Abwehr der
einer ontologischen Form für die Grundbewegtheit des Daseins, Diltheys Wendung Konsequenz-Logik~ Abweh~: der Alternativ!': geschlossenes System oder Rhapsodie.
der Lebensphilosophie zu einer universalen philosophischen Logik. 2. Die Lehenskategorien und der Begriff der Bedeutung (Dilthey) . . 103
Macht des Lebens oder Seinkönnen des Daseins- Die notwendige Mannigfaltigkeit Die zentrale Stellung der "Bedeutung" als der gehaltbestimmenden Grundkategorie
der Daseinsformen (bioi)- Das EiniLeben als ,,bestimmt-unbestimmter" Grund des geschichtlichen Lebens gegenüber ihrer ästhetischen oder rein logischen Fassung.
-Das Wissen vom Unergründlichen verbindlich für die. Logik- Die ursprüng- Das Problem ihrer Idealität und die in dem hermeneutischen Verfahren zu suchende
liche Konzeption des Logos. Lösung.
II. Logik des Lehens und phänomenologische Ontologie . . . . . . · · 53 Übergang zu den Lebenskategorien: Von den "formalen" Kategorien der traditio-
Die logische Richtung der Lebensphilosophie in ihrem durch die weltanschaulichen nellen Logik ~us- Zwiefacher Sinn der· Lebenskategorien -Der anthropologisch-
Gegensätze hindurchgreifenden Verhältnis zu der phänomenologischen Ontologie. historische Weg zU: den Lebenskategorien - Der kritische Punkt: Worte· und Sätze
Die Konzeption der "Kategorien des Lebens" (Dilthey) und der "Existenzialien" als Lebensäußerungen -- Ist der Übergang vom Lebensverhalten zur Aussage ein
stetiger? - Die wesentliche Schwierigkeit des hermeneutischen Verfahrens.
(Heidegger).
1. Die Aufgabe der kategorialen Zergliederung des menschlichen I. Die Folge der einzelnen Kategorien von der Zeitlichkeit aus ~ . 116
Lehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · 56 (Wissen vom) "Erwirken" als primärer Zugang zu "Struktur im Zusammenhang"--
Reflex des Wissens vom "Erwirken" im Erlebnisausdruck- Impression oder Ein-
Die Diltheysche Methode der Zergliederung der Wirklichkeit (die synergistische
druck als ein Erlebnisausdruck-Der Fortgang vom "Wirkungszusammenhang"
oder Struktur-Analyse) und das Recht der von Heidegger beanstandeten "onto-
zur "Bedeutung"- Das Problem der Individuation: Unzulänglichkeit der Reihen-
logischen Indifferenz". form.
Das gemeinsame philosophische Anliegen ~ Grenzen der Analyse und Kreisform
der Methode -Leben als "ständiger Untergrund"; Dialektik des Lebens und rück- II. Die Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge . . . 130
wendige Hervorbringung des Wissens. Genesis der "Struktur im Zusammenhang": der Charakter der "Präsenz" -
Ideale Einheit von Lebensteilen durch Bedeutung - Abgrenzung gegen Busserls
2. Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Lehen (Dilthey) . . 72 "ideale Bedeutungseinheiten" ...,-- Die Nähe zu Hegel - Bedeutung als, gehalt-
Das elementare Wissen (Verstehen) von Sinn und Bedeutung in seinem rückwendig- bestimmende Strukturform des Lebens.
produktiven oder "reflexiven" Charakter. Die Frage nach dem Geschehen, durch
welches der menschliche Geist sich findet, und der entscheidende Gegensatz in der 111. Der Rückgang hinter die gegenständliche Sphäre oder die Wen-
· Antwort auf diese Frage. dung von der Theorie der Geisteswissenschaften zur logischen
"Natürliche" Bedeutung des Lebens als "Macht zu" und ineins damit "Wissen um" Grundlegung einer Philosophie des Lehens durch genetische
Bedeutung - Immanenz des V erstehens in der musikalischen Produktion - Analyse der Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.43
"Erlebnisausdruck" aus rückwärtiger Immanenz des Verstehens- Die Ich-Rede Das Verhältnis von apeiron und peras als dynamische Mitte der Struktur -
als Erlebnisausdruck-Genesisdes Erlebnisausdrucks aus produktiv-objektivierender "Sprichwörtliche Aussagen" als vortheoretische Schicht der geistigen Welt -
Artikulation - Die. wesentliche Differenz: das Sichfinden als ein Sichwieder- Vorrang der Bedeutung vor Bedeutsamkeit, Wert und Zweck - Genesis der
finden des Ich im Du oder als entschlossene Selbstnahme - Gemeinschaften als Bedeutung auf dem geschichtlichen Weg vom Faktischen zum Ideellen: Be"
ursprüngliche Träger des Wissens- Das logische Grundverhältnis: Ursprung als deutung als Werden zum Seirr '-------.Logischer Ort der Geisteswissenschaften mitsamt
Zuwendung zu einem "Bestimmt-Unbestimmten". · der Kunst- Die Folge für den Begriff der Weltanschauung.
111. Das Problem des Syndesmos der Lehenskategorien und der Existen· IV. Das Lehenshand von Kraft und Bedeutung. Die Diltheysche
zialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · · · · · 88 ·Konzeption der geistigen Einheitsbildung . . . . . . . . . . 158
1. Der hermeneutische Charakter der lehensphilosophischen Grund- Der Begriff der "Zentrierung zu !linem Mittelpunkt" --'--- Explikation und Schaffen
begriffe und seine Tragweite für die Systematik der Kategorienfolge: -- Bedeutung als produktive Mitte zwischen Geschichte und System- "Wir-
VIII Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis IX
Seite Seite
kungszusammenhang" als Verwandlung des Zufälligen - Die Grundeinsicht in die II. Der Gegensatz der Richtungen in der- Frage nach dem Verhält-
Geschichtlichkeit. nis von Metaphysik und Existenz . . : . . . . . . . . . . . 237
Die unmittelbare Lösung des Problems durch "phänomenologische Konstruktion"
IV. Versuch einer objektiven Entscheidung auf dem Wege einer geschichts·
eines "metaphysischen Urgesehehens", in dem Philosophie und Leben zur Deckung
systematischen Zergliederung der v,on Dilthey und Husserl ausgehenden kommen, und die in dieser Lösung enthaltene Voraussetzung der reinen Theorie,
philosophischen Bewegung . . . . . . . . . . . 175 • die auf die Husserlsche Grundstellung zurückweist.

(Y.useinandersetzung zwischen Dilthey und Husserl 180 Heideggers Konstruktion der Transzendenz ·des. paseins - Die logische Form
dieser Konstruktion - Die Parmenideische Tradition '- Heidegger und
Der Beginn der gegenwärtigen Auseinandersetzung in der Aussprache zwischen
Scheler - Existenziale Verschiebung der Hu~serlschen "phänomenologischen ·
Dilthey und Husserl (1911). Ihre Übereinstimmung in der Richtung auf eine all-
Reduktion".
gemeingültige Theorie des Wissens; ihr Gegensatz in der Stellung zur Metaphysik
und die dabei zurückbleibenden Probleme: der wissenschaftliche Charakter der 111. Der theoretische Vorgriff der "Metaphysik des Daseins". V~rsuch
Philosophie; das Verhältnis von Metaphysik und Weltanschauung. einer immanenten Kritik 256
Philosophie als Wissenschlilft gegen Weltanschauung- Der Gegensatz im Begriff Das Konstruktionsprinzip der Transzendenz: die "ontologische Differenz" . --
der Wissenschaft--- Husserls mathematisch-platonische Stellung- Der Weg der Der Ansatz der Intentionalitätstheorie - "Sein inmitten von ... " gegen "Sein
· Wissenschaft in der Philosophie des Lebens - Das Problem der Metaphysik. Ihr hei ... " (Intentionalität) -- "Gestimmtes Sichbefinden"· und Transzendenz des
geschichtlicher Anblick bei Dilthey - Husserls Enthusiasmus der "absoluten Daseins - Befindlichkeit als Lebensbegriff und als Konstruktionselement -
Wissenschaft'' Metaphysik - Der Fortgang in der Entwicklung der Phäno- Die ethisch-idealistische 'Deutung der Befindlichkeit - Die zurückbleibenden
menologie. Antinomien ~ Produktiver Sinn des "gestimmten · Sichhefindens" -- Welt-
ansicht und Weltbildung. Die Bedeutung der Antezipationen - Notwendige
2. Husserls Kritik der logischen Vernunft 197 Mannigfaltigkeit der Antezipationen der Weltanschauung -- Die Konstruktion
Das Ergebnis der immanenten Entwicklung der Phänomenologie zur Philosophie der Philosophie aus der menschlichen Endlichkeit -- Metaphysik als seien-
in Husserls Werk: "Formale und transzendentale Logik" (1929). Die ungebrochene des Schicksal oder als geschichtliche Macht? - Die Folgen für die Geschichte der
Macht der rein theoretischen Einstellung und ihre Begründung durch die "phä- Philosophie.
nomenologische Reduktion" oder die entwirklichende Realisierung.
4. Diltheys historische Kritik der Metaphysik. Die Notwendigkeit einer
Der Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik- Die Cartesische Metakritik auf Dihheys eigenem Wege . . . . . . . . . 281
·.·l·
Tradition-- Die Vormacht der reinen Theorie-- Die Grenzen des Einvernehmens
'mit Dilthcy. I. Das historisch-psychologische Verfahren bei der systematischen
Zergliederung des Phänome~s der Metaphysik . . . . . . . . . 288
3. Heideggers Bestimmung der Philosophie als "Metaphysik des Da·
Das fragliche Verhältnis von Leben, Metaphysik und Wissenschaft '--- Die von
seins" und das Bemühen der "Lebensphilosophie" um das Recht der
Dilthey gesehene Eigenständigkeil der philosophischen Grundbewegung - Auf-
theoretischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 lösung des Eigenständigen . in eine unitas composiÜonis - Die Voraussetzung
Das Bild der gegenwärtigen Situation im Streit der Thesen und im geschichtlichen eines stetigen Ganges der Entwickiung vom I.ebensverhalten her zur Philo-
Anblick. sophie hin.

I. Die gemeinsame philosophische Intention hinter den strittigen II. Metaphysik und Wissenschaft. Die Zusammengehörigkeit ·des
Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 von Dilthey Geschiedenen . . . . . . . . . . . . . . . . . · 291
Die Kampfstellung gegen die traditionelle Logik-Ontologie und der Rückgang zum Die kontinuierliche Herleitung der Philosophie aus dem Aufklärungszug des Lebens
Ursprung in. der Sphäre der Realisierung --- Die ursprüngliche "metaphysische" in Diltheys Theorie des Wissens und der dabei vorausgesetzte Begriff der .,all-
Bewegung in ih~:er analogen Form von der Transzendenz des Daseins und von der gemeingültigen'' Wissenschaft -- Der ·metaphysische Anfang der Philosophie
Reflexivität des Wissens aus - Der Hinfall des absoluten Bodens der Grund- als geschichtliche Gegeninstanz -- Die Vorstellung einer Naturgeschichte der
legung. Philosophie- Objektivität gegen "Allgemeingültigkeit".
X Inhaltsverzeichnis

III. Metaphysik und Weltanschauung. Die Unterscheidung des von


Dilthey Zusammengenommenen . . . . . . . . . . . ·. · · 298
Einheit der Philosophie gegenüber der Mehrheit der Weltanschauungen - Der
Begriff des "metaphysischen Bewußtseins", auf die weltanschaulichen Gehalte hin
entworfeO: - Das Problem der Einheit in der Mannigfaltigkeit des Gehalts - Edinund Husserl
Die Konstruktion· eines notwendigen Fortganges von der Weltansicht durch zum 70. Geburtstag gewidmet.
Religion und Dichtung hindurch zur Metaphysik in .Diltheys Weltanschauungs-
lehre und die Zweideutigkeit der dabei leitenden Begriffe von Festigung und

r
Freiheit. Heideggers Buch "Sein und Zeit" hat, seit es, lang 'erwartet, vor imn schon
IV. Die Erhebung des Lehens zum Bewußtsein als Motiv und Auf- mehr als Jahresfrist in einem Bande des "Jahrbuchs des Busserlsehen Phän:o-
gabe der Philosophie und die Notwendigkeit einer logischen menologen-Kreises erschienen ist, eine ungewöhnliche philosophische Erregung
Klärung des hier maßgehenden Begriffs des "Bewußtseins" . . 309 I
·hervorgerufen. Man liest dieses strenge, schwere, systematische Wer~ und
Der existenziale und der , erkenntnistheoretische Begriff des Bewußtseins - nimmt es zusehends auf. Während Husserls "Logische Untersuchungen" wohl
Bewußtwerden und Bewußtmachen -Weltbild und Welterkenntnis - Kon-
t~mplation und Reflexion- Ungenüge der Stufenform für die "Steigerung" der Be-
ein Jahrzehnt.hrauchten, um allgemein in ihrer Bedeutung erkannt zu werden,
wußtheit: Die ursprünglich-eingreifende philosophische Bewegung - Vorgreifend- dann freilich auch schnell ein klassisches Werk geworden sind; während bei
vermittelnde Rolle der Antezipationen der Weltanschauung - Möglichkeit einer Dilthey gar die breite Wirkung über den Schülerkreis J:rinaus erst nach seinem
Auflösung des Gegensatzes von Metaphysik und Wissenschaft durch das wissen-
schaftlich-philosophische Verfahren selbst. Tode und auch dann noch erst .langsam sich vertiefend einsetzte, hat dieses
Buch eingeschlagen wie der Blitz. Und doch ist das kein bloß zeitlicher Erfolg,
wie er einem System zufiel, das ei~e Zeitlang die Situation beherrschte, weil es
en;_em Bedürfnis nach Orientierung, das innerhalb des Bereiches der Wissen-
schaften entstanden war, durch einen geschlossenen Gedankenhau Befriedigung
bot. Gewiß ist heute eine ganz andere Resonanz für ein systematisches Unter-
nehmen da als vor einem Vierteljahrhundert, wo man auf den akademischen
;i . Lehrstühlen von der "Wiedergehurt . der Philosophie" in Deutschland zu
sprechen begann, ja die Zeit scheint erfüllt, daß riun endlich Hand angelegt
werden kann zu dem neuen Aufhau von unten auf. Und gewiß zeichnen sich in
Heidegg~rs Werk auch deutlich die Linien des Zusammenhanges ab, die es mit
der Gesamtentwicklung der Philosophie seit dem letzten Drittel des vorigen Jahr-
.i hunderts verbinden. Man braucht sie nicht eümial erst post festurn zurückzu-
verfolgen, sondern seit langem schon ließ sich die Richtung, die vorwärts führt,
,vorimssehen 1). In einer ausführlichen, aus dem älteren Phänomenologenkreis·

1) Der Zusammenhang der philos. Bewegungen im XIX. Jahrh., Logos VI (1916), 169. 165.

MIsch, Lebensphilosophie. 2. Auft I


2 Der Eindruck von Heideggers Werk Sein und Zeit 3

kommenden Besprechung des Buches wird denn auch, in Ablehnung des "revo- Fichte die Verbindung von ethisch'er Energie und begrifflicher Strenge und
lutionären" Anspruchs, geradezu erklärt: "Es ist in Wahrheit nur die Synthese Prägekraft. Hier wird freilich jedem, der genauer hinsieht, auffallen, daß die
aller heute lebendigen Tendenzen der Philosophie" 1 ). Und die da gegebenen scheinbare Schärfe zweischneidig ist, ja daß die maßgebenden Begriffe zuweilen
Hinweise auf die "Voraussetzungen" in Husserl und Dilthey, Aristoteles und etwas Schillerndes haben:: eine "Doppelbödigkeit" der ganzen Stellung scheint
Augustinus, Nietzscheund Kierkegaard ließen sich, we_nn man das wollte, auch sich darin zu verraten. Aber diese Zweideutigkeit braucht nicht ein Mangel zu
noch intensiver machen. Aber der Nerv des Unternehmens wird dadurch nicht sein, sondern könnte wesentlich zu dieser Art von Begriffen gehören, die nicht
getroffen. eigentliche Begriffe im Sinn von termini, sondern ausdr.uckskräftige Worte der
Heidegger ist nicht wie Scheler, dessen führende Stellung sofort auf ihn Sprache sind, oder sein müßten, da sie, hinter die rein diskursiv-logische Schicht
übergegangen ist, der "typischste Zeitaus druck", "der repräsentativste V er- zurückdringend, ,die Lebendigkeit in ihr Recht einsetzen' wollen. Doch das
treter" der deutschen Philosophie, wie den V erstorbenen ein nahestehender kann sich erst herausstellen, wenn die Aufgabe der Systematik, um die es hier
Beurteiler, "der Imperialist des Geistes", wie ihn ein fernerstehender genannt geht, klar geworden ist. Bedenklicher ist, daß Heidegger sich noch nicht. ganz
hat. Er ist aus anderem, alten· Holz geschnitzt. Sein Buch zeigt den langen ausgesprochen hat - wer möchte den auf dem Wege Befindlichen aufhalten?
Atem, der von Anfang bis zu Ende gleichmäßig durchhält, und das handwerk- Aber es geht um eine gemeinsame Sache; in der Üb('lreinstimmung erzielt werden
liche Können, das keine Stelle in dem langen Ged~ilkenzug undurchgearbeitet muß, und das um so mehr, ~ls jeder, der an ihr beteiligt ist, dankbar bekennen
zurückläßt. In der gegenwärtigen Bemühung um die philosophische Grund- wird, durch Heidegger einen großen Schritt weiter gekommen zu sein.
legung erscheint er als der rechte Werkmeister, der die Arbeit einrichtet. So ist
auch im Gefolge des Buches sogleich eine ganze Reihe von Abhandlungen aus I.
der Phänomenologen-Schule hervorgetreten, die in demselben Sinne vorwärts- "Sein und Zeit" -in diesem Titel von Heideggers Werk sind zwei Begriffe
gehen; das Steuer des Husserlschen Jahrbuches ist wie mit einem Ruck in die zusammengenommen, die in der Stellung von philosophischen Grundbegriffen
neue Richtung herumgerissen. Auf den hier eingeschlagenenWeg zur Erneuerung nach dem bisherigen Sprachgebrauch die Kennworte von zwei einander ent-
der philosophischen Systematik, auf das Methodische also, kommt es uns gegengesetzten, noch um den Vorrang kämpfenden Richtungen der Philosophie
wesentlich an. sind. "Sein" ist der herkömmliche, von den griechischen Begründern der euro-
"Ich glaube den Weg entdeckt zu haben, auf welchem die Philosophie sich päischen Tradition festgestellte Ausdruck für den "Gegenstand" der als Wissen-
zum Rang einer evidenten Wissenschaft erheben muß": dieses Fichte-Wort schaft auftretenden Metaphysik, herkömmlicherweise verknüpft mit dem
könnte sich Heidegger aneignen. Er ist vorsichtiger; der suchenden Haltung der griechischen Anspruch der Philosophie auf grundlegende Erkenntnis aus reiner
Untersuchung entsprechend, die Husserl mit Dilthey gemein hat, erklärt er Vernunft. Wie das von Pa.rmenides her festgelegt ist in der Aristotelischen Be-
gegenEnde (437), daß die vorliegende Untersuchung noch erst "unterwegs" sei, stimmung, daß es sich in der prote philosophia um "das Seiende als Seiendes",
und· zwar dazu allein unterwegs, um überhaupt den Streit über die philo- d. h., wie Heidegger übersetzt, "hinsichtlich seines· Seins" handelt, und in der
sophische Fundamentalfrage erst wieder neu ~u entfachen. Aber er teilt mit entsprechenden scholastischen Gleichung: prima philosophia sive ontologia.
· Wenn der Begriff "Zeit" in einer Stellung auftritt, in der er nicht ein Phänomen
1) M. Beck, Philos. Hefte 1. 1928. unter andern, sondern ein dem metaphysischen "Gegenstand" gleichgeordnetes

1*
4 Die Aufgabe der philosophischen Grundlegung Lebensphilosophie und Ontologie 5.

Urphänomen bezeichnet, befinden wir uns dagegen im Umkreis der modernen Zeit sich als "der transzendentale Horizont der Frage nach dem Sein" auftut;
sog. Lebensphilosophie. "In dem Leben ist als erste ltategoriale Bestimmung freilich erst dann sich auftut, wenn das mit "Zeit" bezeichnete Phänomen selbst
desselben, grundlegend für alle· andern, die Zeitlichkeit enthalten." (Dilthey.) · wirklich in dem ursprünglichen Sinn erfaßt und dargelegt ist (18).
Zeit ist die - vielleicht abstrakte - Bewußtseinsform dessen, was das Leben Es handelt sich also um eine Erneuerung der prima philosophia, der"philo-
"
selbst in nicht aussagbarer, nur zu erlebender unmittelbarer Konkretheit sophischen Ontologie"; sie ist aber einem heutigen Denker aufgegeben, der
ist." (Simmel.) Aber in der Richtung, die von hier ausgeht, ist "das 'Leben" als durch die Lehensphilosophie hindurchgegangen ist. Der Titel "Sein und Zeit"
philosophischer Grundbegriff gerade an die Stelle getreten, an der in der antiken kündigt dies Unternehmen an. Und hier, bei dieser einfachen Feststellung,
Tradition "das Sein'' stand. Und diese Umstellung, die nach Fichtes Vorgang halten wir sogleich ein. Was bedeutet ein solches Unternehmen, zunächst ganz
gegenwärtig am Werke ist, hat auch geistesgeschichtlich einen der griechischen allgemein auf die Aufgabe der philosophischen Grundlegung hin angesehen?
Ontologie fremden Ausgangspunkt: die im christlichen Glauben errungene Er-
fahrungsstellung. Wie denn der hier maßgebende Begriff von "Leben" gleichwie 1.
das begriffliche Ringen mit dem Rätse~ der Zeit auf Augu1:1tinus zurückgeht. Lebe:psphilosophie und Ontologie erschienen uns hislang als gegensätzliche,
Heidegger geht in dieser "modernen" Richtung vorwärts, aber ohne jene miteinander· streitende Tendenzen; die eine noch erst in der Ausbildung he-
Umstellung in der philosophischen Grundlegung vom Begriff des Seins zu der griffen und von den Systematikern alten Stils geradezuinihrerphilosophischen
Idee des Lebens mitzumachen. Vielmehr soll die griechische Rede vom Sein, die Würde bestritten, wie noch soeben wieder Rickert von den "in der Mode" be-
zur Feststellung des Gegenstandes der metaphysischen Vernunfterkenntnis findlichen "neuromantischen Strömungen" der "Lebensphilosophie" ge-
diente, festgehalten werden auch nachdem die Unhaltbarkeit einer meta- sprochen hat 1 ); die andere, die Ontologie, eine längst ausgebildete, altehr-
physischen Vernunftwissenschaft erkannt ist. Das philosophische Grundpro- würdige Gestalt der Philosophie, bei der es sich gerade darum handelte, sie
blem sei und bleibe die Frage nach dem "Sinn des Seins".Die Frage sei neu zu nicht mehr als die .maßgebende Form philosophischer Systematik überhaupt
stellen im Verfolg der neuen Intentionen, die seit Augustinus hervorgetreten hinzunehmen, sondern sie als eine besondere Gestaltung derselben zu ver-
sind und auf dem Boden von Kaut sich in der Gegenwart durchzusetzen suchen. stehen, wie das uns durch Kaut ermöglicht worden ist, durch die in Kants V er-
Sie sei aber an der Stelle aufzunehmen, wo Aristoteles das Seinsproblem stehen nunftkritik enthaltene neue Form des systematischen Aufhaus der Philosophie.
ließ; denn jene Intentionen seien deshalb ohnmächtig geblieben, weil sie nicht In dieser Kautsehen Richtung sahen wh: die sogenannte Lebensphilosphie von
radikal genug vordrangen, und seien so lange zur Ohnmacht verdammt, als der Fichte her vorwärtsgehen, und so schien uns die fundamentalphilosophische
Griff an die Wurzel ausbleibt, der darin besteht, die Frage nach dem "Sein" · Bedeutung derselben gerade durch den Gegensatz zu der "griechischen Onto-
neu zu stellen, und zwar so, wie Platon fragte: "was wir denn eigentlich mit logie und ontologischen Logik", durch die" Umstellung in der Grundlegung vom
diesem Ausdruck ,Sein' meinen". Nur wer so schlicht phänomenologisch fragt, Begriff des Seins zu der Idee des Lebens" gekennzeichnet zu sein 2). War dies
dem werde es möglich sein, jene Intentionen für die philosophische Grund-
legung fruchtbar zumachen. Denn es ergibt sich nunmehr, daß die Zeitlichkeit, H. Rickert, Die Grenzen der naturw. Begriffsbildung, 5. Aufl. 1929, Anhang, S. 759.
1)

Die Idee der Lebensphilosophie in der Theorie der Geisteswissenschaften (Österr. Rundsch.
2)
die man neuerdings als Grundbestimmung des "Lebens" hinzustellen liebt, XX, 1924. Abgedruckt Ktstud. XXXI, 1926). Rickert hat sich a. a. 0. gegen diesen Aufsatz ge-
geradezu das ausmacht, woraus das Sein selber zu begreifen ist, derart, daß die wandt. Aber derselbe ist nur eine kurze Zusammenfassung des in dem Vorbericht 'zu Diltheys
6 Doppelaufgabe der existenzialen Phänomenologie Ihr hermeneutischer Weg und ontologisches Ziel 7

ein Anschein bloß, hinter dem ein Vorurteil gegen Aristoteles. und die großen Leben selber, das innere bewegliche Gefüge des menschlichen Daseins, aus dem
Scholastiker steckte ? .so müssen wir uns fragen angesichts von Heideggers die Auslegungen hervorgehen, systematisch erfassen. Zwar stellt sich dabei eine
Unternehmen, der die Lebensphilosophie akzeptiert und doch die Ontologie als bestimmte Lebensdeutung, die offensichtlich einseitig ist, wieder mit ein; er
das Ziel festhält. Oder liegt vielmehr dieser Zielsetzung ein Vorgriff zugrunde, nimmt sie aus der ethisch"religiösen Bewegung auf, die die junge Generation
der gerade von der Lebensphilosophie aus durchsichtig wird -wenn man deren heute erfüllt und die auch über diesen starken Denker mächtig geworden ist;
philosophische Intention nur ganz voll nimmt, voller noch als es Heidegger tut ? davon wird noch zu sprechen sein. Aber das erscheint zunächst nur als eine un-
Heidegger erklärt zwar geradezu ~in striktem Gegensatz zu jenem Rickert- gewollte Beschränkung in der Durchführung seiner Intention, das Struktur-
schen Urteilsspruch -,,~Lebensphilosophie" sei eine Tautologie, besage "soviel ganze menschlicher Existenz überhaupt einer systematischen Zergliederung zu
wie Botanik der Pflanzen" (46). So vermeidet er den uns geläufigen Ausdruck unterwerfen.
und sagt statt dessen mit einem methodisch geharnischten Begriff: "existentiale Die Zergliederung kommt zu dem Resultat, daß die Möglichkeit von Ganz-
Analytik des Daseins". Aber jene paradoxe Erklärung kann nun doch nicl;tt heit menschlichen Daseins an dem Vollzug einer ewigen, im Grunde einfachen,
meinen, daß die Philosophie selbstverständlich auf das Leben als ihren Gegen- wenn auch für die Analyse höchst kompliziert sich darstellenden Bewegung
stand gerichtet sei --'--- dem widerspräche ihre geschichtliche Wirklichkeit zu hängt, an einer in die Macht des Menschen gegebenen Entscheidung, die uns
offensichtlich - , sondern stellt nur als selbstverständlich das hin, was sich aus von der Weltbefangenheit befreit, aber uns zugleich positiv freimacht zum Er-
der Analysis dieser Wirklichkeit bei Nietzsche und Dilthey ergeben hat: daß im greifen unseres Daseins in der Welt, auf die wir nach unserer Lage in ihr an-
Gegensatz zu dem geläufigen Anspruch der Metaphysiker auf Erkenntnis des gewiesen sind. So scheini es fast, als ginge bei ihm aus der Interpretation des
"absoluten Seins", den Kaut der Kritik unterzogen hat, im Gegensatz aber menschlichen Daseins, die rein immanent, ohne weltanschauliche Vorgriffe,
auch zu der Fichteschen metaphysischen Rede vom "Leben", die aufs Absolute nach der von Dilthey formulierten Regel: "das Leben aus ihm selber verstehen"
im Sinne der "unendlichen Agilität" bezogen ist, in allen philosophischen verfährt, ein allgemein verbindliches Lebensideal von ethisch-metaphysischem
Systemen eine Deutung des menschlichen Lebens und eine dieser zugrunde Charakter hervor. Und diese von der Lebensphilosophie geforderte Aufrichtung
liegende "Lebenserfahrung" von metaphysischem Gehalt das unbewußt des Lebensideals auf dem Boaen des Lebens selbst gelingt auf die Weise, daß
Leitende und zugleich auch das kernhaft Wahre sei. Sobald dies eingesehen ist, die Strukturanalyse phänomenologisch auf die innere Form der "Dasein"
fällt aber auch, wie Dilthey klargestellt hat, für die Philosophie, die an dem genannten Seinsweise des Menschen gerichtet ist und dabei eine gleichförmige
Anspruch auf Wissenschaftlichkeit festhält, die Möglichkeit hin, sich bei einer Dynamik ans Licht bringt. . .
bestimmten Lebensdeutung zu beruhigen, die als solche notwendig relativ und Aber damit ist nun noch nicht das letzte Ziel des philosophischen Unter-
einseitig, eine unter andern ist und sich nunmehr auch als solche weiß. So ist nehmens angegeb-en, und Heidegger selbst· würde die ethische Wirkungskraft
es auch Heidegger bei seiner "existentialen Analytik" nicht darum zu tun, eine seines Buches, die wir herausstellten, nur als sekundär ansehen. Die Inter-
bestimmte "Idee der Existenz~' in Systemform auszubauen, sondern er will das pretation des menschlichen Daseins soll selber wiederum nur "Vorbereitung",
Mittel und Weg sein, um die erneut gestellte Frage nach'dem "Sinn des Seins"
Schriften Bd. V Dargelegten, und auf diese Darlegungen kann gegenüber Rickerts Angriff ver- überhaupt zu beantworten. Die Absicht ist nicht Lebensphilosophie oder philo-
wiesen werden. Sie werden im Folgendeil weitergeführt.- Diltheys Schriften sind nach der
Bandzahl zitiert, nur der Aufsatz über die Typen der Weltanschauung (1911) kurz als "Typen". sophische Anthropologie, sondern "Fundamentalontologie". So bleibt es auch
8 Doppelaufgabe der e."Cistenzialen Phänomenologie
Die wesentliche Polarität der Philosophie: Metaphysik und Aufklärung 9
bei der antiken Stellung der prima philosophia zu den secundae philosophiae
sätzlich hin, um zu dem produktiven Punkt ihrer Vereinigung vorzudringen,
oder "Einzelwissenschaften''. Mit der Beantwortung jener Grundfrage wird
sondern sucht für sie ein einziges bestim~tes (wenn auch in sich selbst be-
sich eine "Genealogie der verschiedenen möglichen Weisen von Sein" ergeben,
wegtes) Grundphänomen auf- zunächst das "ich bin in einer Welt", dann eben
die nur nicht mehr "deduktiv konstruierend" ist (11); auf der "Fundamental-
dies als die "Sorge", dann, tiefer gefaßt, die "Zeitlichkeit" -,aus dem die ver
Ontologie" sollen sich die Ontologien der verschiedenen, sachlich umgrenzten
schiedeneu gleich ursprünglichen Züge des Daseins allzumal herkommen, so daß
"Seinsregionen" erheben, die ihrerseits wieder die Grundbegriffe für die wissen-
sie als Modifikationen desselben (eigentliche, abkünftige, privative, defizient~
schaftliche Erfassung dieser Sachgebiete - "z. B. Geschichte, Natur, Raum,
usw. Modi) begreifbar werden, während es selber alles, was hervorgeht, "vor-
Leben, Dasein, Sprache" (9)- bereit- bzw. klar- und richtigstellen. Und hier er-
gängig an Mächtigkeit überragt". Grundsätzlich ist diese Stellung, die in der
hebt sich für uns die erste Frage: wie ist diese Verbindung der ontologischen
Scholastik die V erhi.ndung der antiken Philosophie mit der christlichen Lebens-
Richtung mit dem lebensphilosophischen Einsatz zu verstehen?
gewißheit ermöglichte, ausgesprochen: "Alles ,Entspringen' im ontologischen
Es wird hier eine Doppelstellung eingenommen. Einerseits soll das Sein "aus Felde ist Degeneration" (334).
der Zeit begriffen" werden, andererseits soll das menschliche Dasein, an dem die
So ist auch jenes doppelseitige Verhältnis des menschlichen Daseins zu
Zeitlichkeit zu erfassen ist, von dem "Sein" umfaßt werden, um dessen Er-
dem "Sein" nicht dialektisch gemeint, etwa im Sinne einer "Verschränkung"
grÜndung es sich letztlich handelt. Eine solche Doppelseitigkeit hat nun in der
(J. König) des Endlichen und des Unendlichen in der lebendigen Existenz sondern
philosophischen Grundlegung zunächst nichts Befremdliches. Sie ist vielmehr
in argumentierender Weise, nämlich so: von der menschlichen Existenz aus
das Unerläßliche bei einer Analyse, die sich innerhalb eines vorgängigen Ganzen
öffnet sich der Zugang zum "Sein", weil zu ihr ein "Seinsverständ:ilis" wesent-
bewegt: als dialektische Bewegung, die von den Teilen zum Ganzen und wieder
lich gehört; zugleich aber ist sie selber eine Art des Seins, so daß an ihr das, was
zurück vom Ganzen in die Teile geht. Und Heidegger selbst hat über den sog.
zum Sein überhaupt gehört, sich finden und faßbar sein muß. Das methodische .
Zirkel der Erkenntnis Aufschlußreiches, ja Endgültiges gesagt: daß er keines-
Prinzip des Ausgehens von der menschlichen Existenz betrifft also einerseits
wegs ein circulus vitiosus ist, den ein strenges Denken eigentlich vermeiden
das ihr als menschlicher eigene Wissen, das hier als "Seinsverständnis" he-
müßte, sondern als solcher nur vom Standpunkt der "Konsequenz-Logik" aus
zeichnet wird, andererseits das in ihr sich darstellende "Sein". So gefaßt, wird
erscheint, die nur den - allerdings fehlerhaften - circulus in probando kennt,
uns die hier eingenommene Doppelstellung nun aber auch in einer gewissen
daß in Wahrheit aber die zirkuläre Bewegung des Denkens zu einer "positiven
Weise durchsichtig, und zwar sowohl in ihrer wesentlich philosophischen
Möglichkeit ursprünglichen Erkennens" gehört, zum "Verstehen" nämlich, das
Motivation, in der sie ihre allgemeine Bedeutung hat, als auch in der beson- ·
gerade im Gegensatz zu dem überlieferten Erkenntnisideal ~nd der Beschränk-
· deren - uns abwegig erscheinenden - ontologischen Wendung. Denn in jener
ung der Logik auf die Theorie des·Beweises zur Geltung zu bringen ist (153,
zwiefachen Beziehung des lebensphilosophischen Einsatzes auf das Wissen und
314). Aber sein eigener Weg zum Aufbau der Philosophie ist im Grunde nicht
' das Sein wirkt sich, so will uns scheinen, eine zum Wesen der Philosophie ge- ·
der dialektische - obwohl dialektische Bestimmungen auf diesem Wege an
hörige Polarität aus, die wir fixieren können, indem wir neben dem "meta-
einer entscheidenden Stelle auftreten und dort in Überfülle - , sondern das
physischen Zuge", der das U~sprüngliche in der philosophischen Bewegung
Verl\ahren der "Fundierung"; d. h. er stellt nicht innerhalb des vorgängigen
überhaupt ist, als gleichgewichtig die Richtung der "Aufklärung" heraus-
Ganzen die herausanalysierbaren Züge in ihrer relativen Selbständigkeit gegen-
stellen, die sich jeweils bei der Ausbildung der Philosophie in deren Wesen
I

10 Doppelaufgabe der existenzialen Phänomenologie Der metaphysische Grundzug in Heideggers Werk 11


hineinbildet 1). Diese Polarität wirkt sich aber in Heideggers Unternehmen aus, Seienden voraus, wenn auch der Sinn, in dem sie zu fassen wäre, hier noch un-
ohne als solche dialektisch erfaßt zu sein; vielmehr geht er, wie schon he- bestimmt bleibt, weil das eben erst ergründet werden soll. Aber daß hier ein
merkt wurde, argumentierend vor und nimmt in der ontologischen Zielsetzung metaphysischer Impuls am Werke ist, das ist unverkennbar. Er trittim Verlauf
eine bestimmte Verbindung jener beiden Wesenszüge vorweg. So ist zunächst der Lehensinterpretation auf der Höhe des Werks als ihr substantieller Kern
zu zeigen, wie sie heide bei ihm sich geltend machen. hervor in ergreifenden (nur durch dieAngleichung an eine moderne Zeitströmung
Für das erste Moment der"existentialen Analytik", das in dem Prinzip des verengten) Analysen der Macht des Menschen, sich der Lehensbefangenheit zu
"Daseins" und der Kennzeichnung des Daseins als einer "Last" angezeigte Aus- entreißen. Es wirkt aber auch schon, was uns jetzt angeht, in der Stellung der
gehen vom Menschen als dem Träger des Wissens ist das leicht gezeigt. Es liegt, Seinsfrage. Das spürt man sofort heim Aufschlagen des Buches, wenn man die
ganz allgemein auf das Wesen der Philosophie hin angesehen, in der Richtung Einleitung liest, in der die Frage nach dem Sinn des Seins exponiert wird, und
des ihr wesentlichen Zuges der "Aufklärung", des näheren, geschichtlich an- diese großangelegte Erklärung, die in das ganze geplante Werk einführen soll,
gesehen, auf der innerhalb des Aufklärungszuges fortgehenden Linie der Ent- nicht bloß mitdenkend durchgeht oder gleich kritisch ansieht, sondern sie freiund
wicklung von der Erkenntnistheorie her, wie sie sich gabelte von Hume aus zu total aufnimmt. Wir verfolgen zunächst diese Spur und verstärken sie dabei
einer "Phänomenologie der Erkenntnis" hin in dem Sinne, in dem Husserl dem über Gebühr, um die formal gemeinte ontologische Problemstellung erst ein-
aufbauenden Teil seiner "Logischen Untersuchungen" diesen Titel gab, und von mal konkret fassen zu können.
Kaut aus vorwärts zu der Aufgabe einer "Selbstbesinnung" des "ganzen"
Menschen, wie Dilthey es nannte, der Hume und Kaut tadelte, weil sie "die Er- 2.
fahrung und die Erkenntnis aus einem dem bloßen Vorstellen angehörigen Tat- Wenn mir von einem Denker, der mich aufruft, endlich einmal wieder radikal
bestand erklärten", und der Augustinus dafür lohte, daß er nicht cogito, sondern zu fragen, als die philosophische Grundfrage entgegengeworfen wird: Was heißt
vivo sagte, daß er "den Gegenstand der Selbstgewißheit mit einem tiefen wahren "Sein"? und mir dann gesagt wird: Du verhältst dich in deinem eigenen Sein
Ausdruck als Lehen bezeichnete". Diese beiden Linien des Fortganges be- je schon zu eben dem Sein, nach dessen Sinn ich frage! du machst ja ständig
wegten sich seit längerer Zeit schon aufeinander zu, seit der Aufnahme Husserls "von ,Sein' Gebrauch", nicht bloß in deinem Erkennen und Aussagen, sondern
durch Dilthey (1905) und dem Übergang Husserls zu dem von der Brentano- injeglichem "Verhalten", sei es zu dir selbst, sei es zu dem, was in der Welt dir
Schule einst bekämpften Kaut (1913): nun sollen sie sich hier ganz zusammen- begegnet (4); aber du gebärdest dich wie die Unverständigen, die nach dem
1", '

schließen zu einer Phänomenologie des menschlichen Daseins. Ob dieser pro- "Selbstverständlichen" nicht fragen. Das "Sein" ist der allgemeinste und zu-
duktive Zu~ammenschluß gelungen ist, wird noch später unsere Frage sein. gleich der dunkelste Begriff, als allgemeinster Begriff undefinierbar, aber des-
Auf den metaphysischen Zug der Philosophie weist die andere Bestim- halb nicht der Bestimmbarkeit entzogen, sondern gerade das Fragenwürdigste
mung hin, die in dem methodischen Prinzip enthalten ist .. Denn daß die (3); es ist dir in deinem Lebensverhalten, "ontisch", "das Nächste", aber für
menschliche Existenz als eine Weise des "Seins" angesprochen wird, dessen dein gegenständliches Bewußtsein, "ontologisch", "das Fernste" (31) - : da
"Idee" alle möglichen Weisen des Seins "umfaßt", setzt doch eine Einheit alles werde ich mich gleichsam von der Philosophie in Person angesprochen finden
' ~

1) Der Weg in die Philosophie. Eine philosophische Fibel (1926) S. 1~6 ff. - Dies Buch wird im und in die Richtung gewiesen, in diejeder Metaphysiker weist: ,;Von ihm, mit
folgenden kurz als "Fibel" zitiert. dem sie allernächst in Einem fort verkehren, dem Allwaltenden Logos, kehren
r
12 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems Vorauslage des philosphischen Fragens bei Heidegger l3

sie sich fort, und was ihnen täglich begegnet, ist ihnen fremd". "Gleichwie den in einen Lebenszusammenhang, den höchsten Grad der Lebensaktivität zu erreichen ? Warum
dieses Streben, die Beschränkung, die durch das Leben selbst gesetzt ist, aufzuheben, um das zu
verborgenen Goldschatz die des Ortes Unkundigen nicht finden, obwohl sie suchen, was jenseits der Grenze des Lehens ist? Nur aus dem Leben selbst kann dieses stammen,
dicht darüber wandeln, so finden all die Geschöpfe, obwohl sie täglich. . . dort~ was über das Leben selbst hinausstreht; es muß irgendwie in der Natur, in der Beschaffenheit
dieses Lehens liegen ... "
eingehen, die Welt des Brahman nicht und werden durch die Unwahrheit zu~
rückgehalten." So aufgenommen, versetzt mich die Frage nach dem Sein in Heidegger, der den Ausgangspunkt vom Leben aufnimmt, um von da aus die
die ursprüngliche und immer wieder zu erneuernde Anfangsbewegung der Philo- Neugründung der Philosophie zu erreichen, kennzeichnet das Dasein als das-
sophie hinein, in der die Gewißheit eines dem menschlichen Leben innewohnen- jenige Seiende, dem es "in seinem Sein um das Sein.ßelbst geht", (12, 42)und
den und es zugleich über sich selbst hinausdrängenden metaphysischen Bezuges erklärt über die Interpretation des Daseins, die er als methodisches Prinzip an-
entspringt, - die "Immanenz des Transzendenten". Und es wäre nur zu be- erkennt, daß sie "das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort
denken, ob das, worum es bei dieser Bewegung des Fragens und Antwortens festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt", (38)
geht, angemessen oder auch nur unbefangen mit "Seiri." bezeichnet wird. -und doch begreift er das philosophische Fragen als solches nicht in die "Ana-
Aber Heidegger fragt und fordert nun gar nicht so, wie wir es ihm hier an- lytik der Existenz" hinein, wenigstens nicht von vornherein und auch nicht
muteten. Seine Exposition erfolgt in rein theoretischer Haltung. Er will be- in den Ausführungen des vorliegenden Teiles, def gerade in den existentialen
gründen oder rechtfertigen, daß die Frage nach dem Sein neu gestellt werden Analysen sein Schwergewicht hat. Da muß eine bestimmte Vorentscheidung
muß, und tut. das im Hinblick auf den heutigen Stand der Philosophie, deren maßgebend sein, und zwar eine, die eben jenen ersten uns problematischen
"Not", wie er anderwärts zusammenfaßt, "erst aufbricht, wenn ihre wenigen, Punkt betrifft, den Punkt, an dem der lebensphilosophische und zugleich
seit der Antike unbewältigten, elementaren Grundprobleme neu ergriffen sind". phänomenologische Einsatz sich auf das Ziel der philosophischen Ontologie
So erörtert er zu Beginn den "Vorrang der Seinsfrage" vor den Sonderproblemen hin richtet.
der Wissenschaftslehre wie der Lebensinterpretation. Das bedeutet aber: die Würde das philosophische Fragen als solches - und nicht bloß der "Leit-
Frage tritt (wenigstens zunächst) als eine innerphilosophische auf, die die Philo- faden", an dem der Analytiker die philosophischen Probleme aufrollt, - an
sophie als solche, für sich genommen, und ihre grundlegende Stellung zu den seinem Ort innerhalb des menschlichen Lebenszusammenhanges "festgemacht"",
sog. Einzelwissenschaften angeht, als ein "Problem" bzw. das philosophische so müßte es, d. h. das Auftreten von so etwas ~ie Philosophie überhaupt, in den
Grundproblem, und nicht ist sie vom menschlichen Dasein aus gestellt und auf systematischen Gang der Lebensinterpretation einbezogen sein. Das besagt
die Funktion der Philosophie in diesem unserm Dasein hin, wo essich dann vor- aber, da die Hermeneutik des paseins derWeg zur Begründung der Philosophie
erst gar nicht um ein "Problem" handeln würde, sondern um das radikale ·'als Fundamentalontologie sein soll, daß diese von jener, die zu ihr hinführen
Fragen selber, mit dem der Mensch sich aus der Befangenheit im Leben hebt. soll, zugleich umfaßt würde, oder vorsichtiger ausgedrückt: daß die prima
Wie etwa in der Richtung Diltheys ein solcher Beginn lautet 1): 'philosophia sich zur Hermeneutik des Daseins nicht wie das Ziel zum Wege ver-
"Warum müssen wir immer wieder nach der Welt fragen? Warum können wir uns nicht genügen hielte, sondern auf diesem Wege sich ergeben oder heraustreten müßte. Das
lassen an dem, was um uns ist, an der Mannigfaltigkeit der wechselnden Erscheinungen des möchte als eine bloß formale Argumentation erscheinen, aber es wird zu zeigen
Lebens ? Warum begnügen wir uns nicht, das Schöne in alledem zu erleben, dieses alles einzuordnen
se!n, daß die hier offenbare Schwierigkeit das wesentliche Anliegen, die neue
1) Groethuysen, Leben und Weltanschauung, 1911. ' Form der Systematik betrifft. Darauf werden wir geführt, wenn wir bedenken,
14 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems Die Parmenideische Tradition der Ontologie 15

wie jene Einbeziehung auch die Seinsfrage selbst angeht, die von Heidegger immerhin ein notwendiger Fortgang wäre), sondern durch die geschichtliche,;
rein theoretisch exponiert wurde. von Parmenides vollzogene Entscheidung: die Selbstgewißheit der Vernunft
Es wurde schon angedeutet, daß sie gar nicht die ursprüngliche Form des über die Zulänglichkeit ihrer diskursiv-logischen Formen zur Feststellung des
Fragens darstellt, mit dem die philosophische Bewegung, vom Leben her ge- metaphysischen Wissens 1).
sehen, anhebt. Sie ist vielmehr erst etwas Ahkünftiges, ein Ergebnis der Be- Wem diese Zusammenhänge gegenwärtig sind, der sieht sofort, was es für
wegung, in der wir uns fragend aus dem Leben heben. Sie ergibt sich, wenn die eine Bewandtnis damit hat, wenn die philosophische Grundfrage hier in der
Bewegung des Fragens und Antwortens, in der die Philosophie ihr wirkliches durch die Griechen festgelegten Fassung gestellt wird als "die Seinsfrage", hier,
Dasein hat, zu einem einmaligen Abschluß gekommen ist; so hat der Begriff des wo gerade die von Aristoteles herrührende abendländische Tradition der Onto-
Seins auch seine geschichtliche Ursprungsstelle am Abschluß einer Entwick- logie überwunden werden soll durch das Ausgehen von einer existentialen Ana"
lung, in der das vorangegangene "metaphysische Wissen" in gegenständlicher lyse des Daseins. Die Aufnahme des Seinsbegriffes kann nicht bedeuten, daß er
Feststellung seines Besitzes zur Ruhe kam (Fibel 103). Gehe ich dahinter auf in der ganzen griechischen Schwere aufgenommen würde, mit der er durch jene
das radikale Fragen selber zurück, so bekomme ich vorerst gar keine abstrakte Parmenideische Entscheidung helastet ist, - die Zulänglichkeit der Vernunft
Problemstellung in die Hand, sondern der metaphysische Zug konkretisiert sich, (des denkenden hzw. anschauenden "Vernehmens") zum Erfassen des Seins
eben weil er innerhalb unseres Lebens, über das er hinausdrängt, einsetzt, sofort wird vielmehr von Heidegger radikal, im Zuge der Lebensphilosophie, he-
zu bestimmten Fragen, sei es nach der Welt, sei es nach dem eigenen Selbst, sei stritten - , der Begriff "Sein" kann hier nur in hinweisender, "formal an-
es nach der menschlichen Gemeinschaft. Und in dieser notwendigen Konkretion zeigender" Bedeutung genommen sein, hinweisend auf das erst noch zu be-
erfaßt, terminiert er gar nicht notwendig in der Feststellung seines Ziels mit stimmende Zentrum. Und insofern bleibt jener erste Eindruck bestehen, den
dem Begriff (oder zunächst vielmehr Satz) des Seins. So wird z. B. gerade da, wir aus Heideggers Exposition der Seinsfrage gewannen: daß darin nichts
wo das philosophische Fragen im Blick auf die menschliche Gemeinschaft aus weniger zum Ausdruck komme als jene ursprüngliche metaphysische Gewißheit,
der Sorge um das rechte Handeln aufsteigt, wie das in China der Fall war, das die aus den Worten Heraklits oder des indischen Weisen ZlJ. uns sprach. Aber
Ziel 'des Fragens gar nicht im Sein, sondern im Walten konzipiert, und in · ganz unverbindlich ist die Aufnahme dieses terminus doch nicht: es steht
Indien, wo das Fragen zum Suchen des Einzelnen nach Ständigkeit im eigent- dahinter eine bestimmte '- noch durch die Phänomenologie Husserls und deren
lichen einsamen Selbst wird, ist zwar die Seinslehre, der .griechischen Antike aristotelischen Hintergrund bedingte;- Anschauung vom Wesen der Philo-
entsprechend, entworfen, sie fungiert aber dort nur als ein Durchgang für die sophie, die sich nicht an die philosophische Bewegung selber in ihrer geschicht-
Bewegung, die in der Selbstbefreiung durch den Vollzug des Wissens im Seih- lichen Wirklichkeit hält, an den "Wirkungszusammenhang" (das Wort im
stand des Geistes ihr Ziel hat. Daß aber in der griechischen Philosophie der
1 ) Fibel, 92ff.- Heidegger verweist für das Verständnis von Parmenides auf das bekannte,
Seinsbegriff die grundlegende Stellung erhielt, in der er durch unsere abend- in seiner Art ausgezeichnete Buch von Reinhardt. Wenn die dort verfochtene These, daß die
ländische Tradition geht, das ist dann bedingt durch eine bestimmte Ent- griechische Philosophie mit dem Eleaten beginnt, zuträfe, so wäre unserer Argumentation die
Stütze genommen, die auf der Übereinstimmung des geschichtlichen Verlaufes der Philosophie
scheidung - d. h. nicht etwa bloß durch den Fortgang von der ausspr~chenden
mit ihrem systematischen Gange beruht. Aber jene These dürfte - von den chronologischen
("evozierenden") Dialektik des Denkens zur "rein diskursiven" (das Gemeinte Schwierigkeiten abgesehen- nach dem in der Fibel I, III-V gegebenen Nachweis des Fort-
voll aufhebenden) Aussage des metaphysischen Wissens im Satz des Seins (was ganges vom "metaphysischen Wissen" zum "metaphys. Erkennen'' kaum noch haltbar sein.
16 Das ursprüngliche~ph~losophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems Die Doppelstellung der Philosophie: in dem Leben über ihm

Diltheyschen Sinn), in dem sie ihr Dasein hat, sondern zu ihr als einer aufsich Analyse bloßlegt, nun auch an der Hand der Sprache aufzuzeigen, nun nicht
selbst beruhenden Theorie hindrängt, wie die des Aristoteles eine war und nach auf die primären Ausdrücke zurück, in denen gerade der Zusammenhang von
dem antiken Vorbild die abendländische Philosophie es sein wollte, sofern sie Wahrheit und Sein ausgeprägt zu finden wäre, sondern hält sich dabei an
als lehrhafte "strenge Wissenschaft" auftrat. ein späteres Wort, das (relativ) späte griechische Wort aletheia: an diesem soll
Diese im Grunde statische Anschauung dürfte sich in der Richtung auf eine auf dem ihm selbst bedenklichenWege der Etymologie (aletheia = Unverborgen-
"Fundamentalontologie" verraten, trotz des existentialen Einsatzes, bei dem heit) der ursprüngliche existentiale Sinn von Wahrheit überhaupt als "Entdeckt-
es um die Dynamik des Daseins geht. Heidegger akzeptiert zwar die - für heit" oder genauer "Entdeckendsein" abzulesen sein. Doch wie dies ist und
Husserl, den Verfasser der "Logischen Untersuchungen", unannehmbare - zustande kommt, das kann sich erst im Verlauf unserer Auseinandersetzung
geschichtlich-philosophische Anschauung Diltheys in ihrer ganzen systemati- herausstellen.
schen Tragweite, er eignet sich ausdrücklich die programmatischen Sätze an, in So finden wir uns hier grundsätzlich vor Fragen gestellt, die das Wesen der
denen Graf Yorck diese philosophische Intention ausgesprochen hat (402): Philosophie berühren. Und das zeigt sich nun auch schon an in der Schwierig-
daß "bei der inneren Geschichtlichkeit des Selbstbewußtseins eine von der Historie abgesonderte keit, auf die wir vorhin stießen: d'aß die Philosophie, sofern sie selber ein exi-
Systematik methodologisch inadäquat" ist, daß es "kein wirkliches Philosophieren gibt, welches
stentielles Phänomen ist, innerhalb der existentialen Analytik aufgefunden
nicht historisch wäre. Die Trennung zwischen systematischer Philosophie und historischer Dar-
stellung ist dem Wesen nach unrichtig". werden muß,. während sie doch zugleich - und gewiß mit Grund _ als etwas
Aber er wird, um das akzeptieren zu können, der Geschichtlichkeit einen ganz von diese~ aus erst zu Erreichendes, ja über sie Hinausreichendes hingestellt
anderen Sinn gehen müssen, als den von Dilthey intendierten. - Ebenso der wird. Diese scheinbare Alternative wäre zu überwinden, wenn sich zeigen ließe,
Idee der Wahrheit. Heidegger nimmt den Begriff der Lehenswahrheit auf, daß der Philosophie ebendiese Doppelstellung zum menschlichen Leben,eignet:
der in der geschichtlichen Analyse von Religion, Metaphysik und Dichtung in ihm über ihm. Und das würde sich zeigen, wenn man sie in ihrer geschicht-
zur Feststellung des in ihnen enthaltenen Wissens. und des fundamentalen lichen Wirklichkeit aufsuchte, als einen" Wirkungszusammenhang", wie Dilthey
Unterschiedes dieses "weltanschaulichen" Wissens gegenüber der rein theo- ihn im Sinne eines historischen Begriffs, in bezug auf das "Schaffende", "be-
retischen Erkenntnis ausgebildet worden ist, ja er gibt diesem geschichtlichen ständig Tätige" des werterzeugenden geschichtlichen Lebens, bestim~te als
Begriff (wenn auch unter anderer Bezeichnung) eine universale Tragweite, aber "einen Zusammenhang, der in dessen dauernden Produkten enthalten ist"
er hält zugleich mit Recht daran fest, daß "Wahrheit in einem ursprünglichen (VII 153). Es zeigt sich dann 1): Philosophie, die eben als die ewige- einmal
Zusammenhang mit Sein steht" (213); er verweist dafür auf Aristoteles: Philo- hervorgerufene, aber nun immer zu erneuernde - Bewegung des Fragens und
sophie als das "Forschen nach der Wahrheit" ist eben die "Wissenschaft, die Antwortens anhebt, führt zwar ihr Dasein nicht unabhängig ~om menschlich-
das Seiende als Seiendes betrachtet". So muß er diese theoretisch-ontologische geistigen Leben in selbständigem gegenständlichem Bestand - so erscheint
Bestimmung mit jenem geschichtlich-~ehensphilosophischen W ahrheitshegriff sie erst nachträglich für die Reflexion, die in ihr einen rein objektiv faßbaren,
zu vereinen suchen und sucht nach dem gemeinsamen Fundament. Aber er wird von einer immanenten Logik durchgängig bestimmten Zusammenhang finden
nun wiederum, um eine solche Vereinigung zu erreichen, die Idee der Wahrheit
selber ebenso wie die des Seins umdeuten müssen. Er geht nämlich, um jenes ')Das ist dargelegt in der "Philos. Fibel".. Vgl. dazu: Groethuysens die Sache fördernde Be-
Fundament, das er unmittelbar durch das eigene Verfahren der existenzialen sprechung dieses Buches. Neue Jahrbücher f. Wiss. u. Bildung, 1927, S. 577ff.

Misch, Lebensphilosophie. 2. Auf!.


2
18 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems .. Einschluß der Philosophie in die philosophische Lebensauslegung 19

Bei Heidegger begegnet uns hier eine prinzipielle Schwierigkeit. Er gibt näm-
möchte. Aber ihre Selbständigkeit, die diesen Schein hinter sich wirft,läßt sich
lich eine solche Ableitung aus dem Wesen des "Daseins" - zwar nicht für die
anderseits auch nicht auflösen in die Daseinsrelativität, d. h. in die Abhängigkeits-
Philosophie selbst, aber doch für die Erkenntnis bis zur Wissenschaft hin, indem
beziehungen, die zwischen den mannigfaltigen Gestalten der Philosophie und
er diese aus dem menschlichen Lebensverhalten und dem zu diesem Lebensver~
den wechselnden Lagen und jeweiligen Formen des Lebens zu finden sind, sei es so,
halten gehörigen Wissen geradwegs hervorgehen läßt. Das muß uns befremden,
daß die Philosophie im Hinblick auf ihre zeitgeschichtliche Funktion, der Aus-
da uns als eine geschichtliche Tatsache feststeht, daß der Weg vom Lebensver-
druck einer Kultur zu sein, ihrer erkenntnismäßigen Würde zum Trotz, zu einem
halten zur Wissenschaft nicht stetig hinführt, sondernnur über die Philosophie
bloßen Kulturphänomen herabgedrückt wird, oder so, daß ihre Erkenntnis-
geht, und zwar ~wenigstens für die exakte Naturwissenschaft gilt das- gerade
leistung seTher unter Absehen vo~ der metaphysischen Grundlage derselben dar-
über die Ontologie im traditionellen Verstande, gegen die Heidegger zur Neu-
.auf beschränkt wird, die jeweils erfahrenen Lebensantriebe durch deren· Auf-
gründung der Philosophie Front macht (Fibel27, 276). So wird durch jene Ab·
klärung über sich selbst ins Zeitliche hinein zu sichern. Sondern der eigene·
Ieitung doch die Stellung der Philosophie indirekt mitbetroffen: die in ihr sich
Charakter ihrer Selbständigkeit bleibt bestehen gerade in der Lebensmacht des
erhebende Macht der Erkenntnis muß dadurch geschmälert werden. Wir werden
radikalen Fragens, daß es die Macht ist zur Befreiung des Geistes, uns aber
hierauf, sofern es sich dabei um das Verhältnis von Leben und Theorie handelt,
befreit auf einem Wege der Erkenntnis, der von dem im Leben enthaltenen
noch zurückkommen müssen. Andererseits ist auch ihm sicherlich die "existen•
Wissen her steil ansteigt plötzlich in eine neue Ebene mit eigener Mitte. Wir
tielle" Bedeutung der Philosophie gegenwärtig, wie er sie anderwärts sehr schön
finden hier dasselbe Grundverhältni~, das in der pantheistischen Weltansicht
formuliert hat als "die freie Selbstnahme des Daseins". So muß es für ihn einen
die V er.bindung der .Lehre von der Immanenz mit der Konzeption der 'Per-
Weg geben, auch das Auftreten der Philosophie selber vom Leben her' zu. er·
sönlichkeit und Freiheit ermöglicht, wie Schelling es formuliert hat:
fasse!\· Diese Möglichkeit bleibt trotz der Konzentration aUf die Ontologie in-
,,Abhängigkeit hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf • • • Das Nämliche gilt
sofern offen, als die Seinsfrage, wie wir ausführten, nur eine - nämlich die rein
theoretische - Feststellung jenes befreienden radikalen Frage~s ist, mit dem
vom Begriffensein in einem andern. 1 )"
Die Philosophie in die Lebensinterpretation einbeziehen, bedeutet also nicht,
die philosophische Bewegung, von dem metaphysischen Zuge geleitet, anhebt.
sie anthropologisch herleiten, sondern aufweisen, wie sie im Sinne des mensch·
Aber dann istwiederum ebe:njene theoretische Wendunghier nicht motiviert
liehen Lebens liegt gleich allem geschichtlichen Schaffen, aber eben nicht aus
und muß ihren rechten Ort erst noch e~halten, da sie doch zum Ganzen der
einer ,Natur' des Lebens ableitbar ist. Nur die Möglichkeit zu ihr, besser: die
Philosophie wesentlich zugehört, mit der Macht der Aufklärung im Wesen der
Macht, so etwas hervorzubringen, müssen wir in das Leben dynamisch zurück-
Philosophie zusammenhängend. Und so stellt sich aufs neue das Problem, bei
verlegen-,-wenn wir nicht zur Schöpfung aus dem Jenseits flüchten wollen und
dem wir einsetzten: wie sich die hier ergriffene und durchgeführte Aufgabe
dabei positiv über das organisch, geschichtliche Phänomen der Reifung, das "als
einer existentialen Analytik des Daseins zu der mit ihr intendierten E:r,neuerung
die Zeit erfüllet war" hinwegsehen wollen. Aber das wirkliche Auftreten der
der prima philosophia verhält.'
Philosophie hat den Charakter eines eigentlichen geschichtlichen Ereignisses,
Das Problematische liegt nicht darin, daß hier überhaupt der Versuch ge-
das ins Leben, s~i es des Einzelnen, sei es der Menschheit, unableitbar eingreift.
macht wird, von der menschlichen Sphäre aus -in der doch das "Dasein"
als "das Sein des Menschen" jedenfalls liegt- rein durch immanente Inter-
1) Schelling, Über das Wesen.der meliseblichen Freiheit (1809), Werke I 7 S. 3-46.
2*
20 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems Einschluß der Philosophie in die phüos~phische Lebensauslegung 21

pretation derselben auf ihre "Grundstmkturen" hin ZUl' Philosophie durch- "das bürgerliche BewUßtsein der Neuzeit hat es verstanden, das Leben gewissermaßen in sich
zustoßen. Das bedeutet ja nur, daß hier der durch die Phänomenologie Husserls selbst zu verfestigen, es außerhaib aller kosmischen Problemstellungen als ·ein in sich zentrierendes
Ganzes zu erfassen, das in sich selbst seine Begründung findet"l),
sowohl wie die Lebensphilosophie Diltheys eröffnete Weg der Hermeneutik
entschlossen be_schritten ·wird, um auf diesem durch die heutige Situation Vielleicht handelt es sich nicht um einen einmaligen, bloß neuzeitlichen Men-
freigelegten Wege·· das Ziel zu erreichen, das noch je in einer neuen Lage schentypus, sondern um die bürgerliche Lebens- und Geistesver(assung über-
des geistigen Lebens die. führenden Denker ·bewegt hat:. endlich die Philo- haupt, zu der das Immanenz-Prinzip gehört;.denn es ist zu bedenken, daß auch
sophie auf gesichertem Grunde aufzubauen. Und wenn die phänomenologische die Philosophie der Griechen, zwar nicht in bezug auf das menschliche Leben
Methode zunächst, in den "Logischen Untersuchungen" Husserls, sich he- als philosophisches Thema, aber in bezug auf die lebendige Wirklichkeit der
scheiden sorgsam in der dünnen Schicht ·des reinen, auf sein eigenes inneres "Natur" (physis), in ihrem Weltbegreifen also. von einer solchen Antizipation
Gefüge reflektierenden Gedankens bewegte und erst hinterher zu dem uni- geleitet war 2). Aber jene Relativität bleibt auch dann bestehen. Und daß sie uns
versalen philosophischen Anspruch vorangetrieben wurde, so war doch bei sichtbar wird, daß wir uns überhaupt fragen können, ob nicht jener philo-
Dilthey vo~ vornherein .die Intention maßgebend, aus der Geschichte Philo- sophische Wille, "das Leben aus ihm selber zu verstehen", einer bestimmten
sophie zu entbinden, und auf all seinen verschiedenen Wegen, unter denen geschichtlichen Lage entspricht, in der der Mensch noch vor aller philosophi-
sich schließlich der hermeneutische durchsetzte, trieb ihn dieses Bemühen schen Besinnung "das Leben als ein· in sich zentriertes Ganzes zu erfassen
um "eine neue Art des Philosophieren~··, für die er dann den Namen ~bens• versteht": das ist gewiß nicht bloß eine Folge des historischen Bewußtseins,
philosophie aufnahm. eine logische Konsequenz dieser von uns erreichten Stufe der Selbsterkenntnis,
Nun wird freilich, wer von Dilthey geschichtlich sehen gelernt ·hat, sich eine Sache der Theorie also, der kritischen Reflexion, sondern das ist uns
sagen müssen, daß das methodische Prinzip. der Lebensphilosophie, wie., er es wiedemm durch unsere geschichtliche Situation ermöglicht, in der unser Leben
formulierte: "das Leben aus ihm selber verstehen wollen", selber geschicht- selber sich wandelt, der philosophische Geist aber diesem Wandel vorantastet,
lich bedingt ist, so wie das in den klassischen Systemen der Neuzeit der absolute · durch ·die· historische Reflexion zur Selbstkritik freigemacht, doch in seiner
Anfang mit Gott war. Dilthey gebrauchte diese Formel dei:m auch nicht bloß Produktivität wie immer dem vorgreifend, was im Leben selber sich bildet.
für die moderne Lebensphilosophie und ihren größten Repräsentanten Nietzsche, So möchten wir von hier aus auch das gegenwärtige philosophische - aber
sondern auch, ja zunächst, für die Dichtung seit der Epoche der Aufklärung und z:ugleich auch religiöse (oder nur theologische?) --Andrängen gegen einen "En-
· Goethe zumal. Gehört nicht dieses Prinzip einer von transzen~enten Setzungen thusiasmus der Existenz" verstehen, der das menschliche Leben als ein Letztes
freien Vertiefung in den wirklichen Zusammenhang des von uns Menschen ge- und Absolutes nahm, wie das einst für die Griechen die Natur und ihr Leben
lebten Lebens offensichtlich zu unserer heutigen "Art Mensch zu sein, zu denken war. Dieses Andrängen macht sich auch bei Heidegger geltend, schon darin,
und zu handeln"? zu einem bestimmten Menschentypus also, den wi~ nun auch, . · daß er das von Nietzsche und Dilthey gebrauchte Augustinisch,e und Goethesche
eben dank der geschichtlichen Selbsterkenntnis, als solchen zu verstehen, aus
seiner ,;Welt'' zu verstehen und damit als etwas Relatives kritisch anzusehen .· ... ') B. ·Groethuysen, Die Entstehung der bürgerlichen Welt- u. Lebensanschauung in Frankreich,
1,1927, V1lrwort.
vermögen? wie ein Schüler Diltheys, der die "bürgerliche Welt- und Lebens- 8) Fibel S. 2781f. Vgl; dazu Erich Frank, Das Problem des Lehens bei Hegel u. Aristoteles,

anschauung" in ihrem Werden verfolgt, dieselbe kennzeichnet: . Deutsche Viertelj. V. 1927, 625, 637. .
1

Einschluß der Philosophie in die philosophische Lebensauslegung 23


22 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems
die Welt selber in der ihr eigenen, von den bloß menschlichen Lebensbezügen
Wort "Leben" grundsätzlich vermeidet, um dafür seinen Begriff "Dasein"
losgelösten gedanklichen Ordnung erkennen zu. können.
einzusetzen, und des näheren in seiner merkwürdigen programmatischen Er-
So sah Dilthey in dem Ausgehen vom Leben den "Anfang einer Philosophie,
klärung, daß "die vorbereitende existential-zeitliche Analytik des Daseins ent-
welche den großen Phänomenen der Dichtung, Religion und Metaphysik wirk-
schlossen ist, den Geist des Grafen Y o r c k zu pflegen, u~ demWerke D il t h e y s
lich genug tut" (V, cxy1), und wenn er in der Lebensnähe, in der die Geistes-
zu dienen" (404). Aber auch die fragliche Stelle, an der in dieser Analytik der
wissenschaften verbleiben, einen Vorzug derselben· fand ("Leben erfaßt hier
"metaphysische Zug" der Philosophie hereintritt, wird sich von hier aus auf-
Leben"), so erkannte er doch andererseits für die Naturwissenschaften positiv
klären. die Macht des Denkens an, die Relation zur menschlichen Lebendigkeit zu
Wird nun aber durch solche Erwägungen der Weg der Philosophie selbst, der
durchbrechen und bis zu einer gewissen Grenze aufzuheben. Wie eine solche
durch das "Ausgehen vom Leben" bestimmt ist, wirklich beeinträchtigt ? Es
Anerkennung für den "Lebensphilosophen" des näheren begründbar sei, ist
tritt im Gegenteil dadurch nur deutlicher hervor, worauf es bei ihm ankommt.
noch die Frage. Aber daß sie erreicht werden muß, dürfte· ebenso wie für Dil·
Da ist zunächst zu betonen, daß durch die vorsichtige Bestimmung Diltheys,
they (V, 77) für jeden fraglos sein, der, wie es ihm durch den Verkehr mit
das Leben sei für ihn der ,,Ausgangspunkt" (nicht bloß der Geisteswissen-
Helmholtz vergönnt war, von dem Geist der Naturwissenschaft berührt worden
schaften, sondern) der Philosophie (VII, 131), im Gegensatz zujener para-
ist. Ob es gelingt, oder ob wenigstens die Möglichkeit dazu offenbleibt, beim
doxen Erklärung Heideggers, Lebensphilosophie besage soviel wie Botanik der
Ausgehen vom Leben dieses größte jntellektuelle Besitztum der europäischen
Pflanzen, noch nichts darüber festgelegt ist, daß das menschliche Leben auch
, Menschheit in seinem Eigenbestande zu erreichen, Raum zu ge~nnen für das
selbstverständlich der ausschließliche Gegenstand der Philosophie sei. Das für
Glück der rein theoretischen Erkenntnis, das eben darin besteht, die Har•
uns erste Thema braucht ja nicht schon das letzte zu sein. Es bleibt vielmehr
. monien des Kosmos zu vernehmen - und das nicht als eine fruchtbare Illusion
die Möglichkeit offen, daß dieser Ausgangspunkt, sobald er nur wirklich als
(die Irrlichterei des "Als ob" will sieher auch Heidegger nicht, wenn er auch
solcher genommen wird, uns auf den von ihm aus sich bahnenden Wege in eine
die' Naturerkenntnis als eine "Abart des Verstehens" hinstellt die sich"
Bewegung versetzt, die über die Ausgangsebene hinausführt. Es könnte doch ' - ' "
·in. eine besondere, immerhin "rechtmäßige" Aufgabe "verlaufen hat", 153),
sein, daß für eine unbefangene immanente Interpretation die eigene innere
sondern als Ausdruck der Sachlag~ selbst, als eine wesentliche Möglichkeit: das
Mächtigkeit des von den Menschen gelebten Lebens sich gerade darin auftut,
dürfte ein Prüfstein dafür sein, ob man auf dem rechten Wege ist. Gegen die
daß aus ihm etwas zu entspringen vermag, was nun selber Macht über das
heutzutage bemerkbaren Versuche, die Idee der Lebensphilosophie auf die
Leben gewinnt. Wie das vorhin an dem Ereignis des Auftretens der Philosophie
Ebene der philosophischen Anthropologie zu nivellieren, stehen die abwehrenden
beispielsweise erläutert wurde: jener eigentümliche Charakter von Selbständig-
.Worte schon des jungen Dilthey~ die aus einer ähnlichen Situation (wohl im
keit des aus dem Leben Entsprungenen, den wir, wegen der Nachträglichkeit
Hinblick auf Feuerbach) koin;men (1861): "Was hilft es, alles Hohe im Mev.schen
se_inflr Betrachtung, nur durch die zweiseitige Abwehr einer isolierenden Ab-
beschlossen zu :finden, '/to).).ti 'ttX ömti, 'ltOMsv av{)opcintoo OSLYOtspov 'itEAsL" (Viel Ge-
straktion verdeutlichen können: daß er weder anthropologisch auflösbar noch
waltiges gibt's, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch). Und insbesondere
rein id~ell als etwa& auf !!ich selbst Beruhendes faßlich ist. Wie das aber auch
für die Metaphysik: jenen "einheitlichen Kern", aus dem sie ineins mit der.
-aus der Sicherheit der religiösen Menschen spricht, "die Welt überwunden" zu
Religion und zusammen mit der Dichtung zu begreifen wäre, suchte er im
haben, und gleichfalls auch aus der Selbstsicherheit des echten Naturforschers,
· Der Unterschied von Beginn und A~fangder Philosophie 25
24 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems

Leben und ging so zurück auf ein "unsterbliches" "inneres metaphysisches Be- etwas Entscheidendes - daß die ganze Bewegung, die von ihm aus sich ergibt,
wußtsein" und dessen Spezifikation in typischen Bewußtseinsstellungen; aber innerhalb der Philosophie fällt.- Dadurch unterscheidet er sich von einem
diese den metaphysischen Systeme~ zugrunde liegenden menschlichen Be- bloßen methodischen "Beginn" mit der Theorie des menschlichen Wissens.
wußtseinsstellungen, in denen "sich das Darinnensein im Leben vollzieht", Solchem ,,Beginn" steht der eigentliche "Anfang" der Philosophie gegenüber,
sind ihm nichts Subjektiv-Innerliches, sondern "Organe des Gewahrens", der von ihm aus erst erreicht werden soll (falls die Phil()sophie sich nicht in der
"Weisen des Sehens", jed~ - auch die, die dem Naturalismus zugrunde liegt,- Erkenntnisthe~rie erschöpfen will, was heute als abgetan geiten kann). So·
gleich ursprünglich als "ein gültiges Verhältnis" einer Seite unseres Wesens zu nahm Descartes ·das Cogito er:go sum nur als einen (durch den methodischen
dem, was "in der Wirklichkeit mit ihr in Relation steht", "so daß solcher Zweifel vermittelten) Beginn, von dem aus er - vermittelst des Wissens vom
Stellungnahme gewisse Seiten der Welt sich aufschließen". Und so ist ihm auch Unendlichen, das für das menschliche Dasein konstitutiv ist - auf den ab-
das "Leben", in dem diese aufeinander unreduzierbaren Relationen zusammen- soluten Anfang zurückging, um zu erklären:
hängen, nicht bloß "die Wurzel der Weltanschauung"- eine in der mensch- "Früher ist auf gewisse Weise in mir die Idee des Unendlichen als die des Endlichen, die Gottes,
als die meiner selbst.••• Weil Gott von allem was ist oder sein kann die wahre Ursache .ist, so
·lichen Seele aufzugrahende Wurzel, die "dauert und fortwirkt und immer neue ist klar, daß wir den besten Weg des Philosophierens verfolgen, wenn wir aus d~r Erkenntnis
Gebilde herVorbringt" - , sondern zugleich das in den Weltansichten Erblickte Gottes selbst die Erklärung der von ihm geschaffenen Dinge zu deduzieren versuchen und so die
vollkommenste Wissenschaft er~erben, die .ein Erldären der Wirkungen aus den Ursachen ist."
und Ausgedrückte, der "Gegenstand" einer aus dem Darinnensein im Lebe:;:;. ,
entspringenden "metaphysischen E:rfahrung", den wir eben ~egen der gleichen Und ebenso in den Systemen des deut~chen Idealismus der Beginn auf einem
Ursprünglichkeit der verschiedenen "Verhaltungsweisen des Geistes", in denen Standpunkt außerhalb der Philosophie, um erst zu dem Anfang hinzuführen .
."die eine Realität der Welt für uns da ist", nie durch einen geschlossenen Be- Hier ist überall das platonische Ideal philosophischen Erkennens maßgebend:
gri:ffszusammenhang·, sondern nur im Gleichnis, auch in der philosophischen ' wie Gott blicken, von einem absoluten Punkte aus, wo die ewige Ordnung der
Systematik nur wie in einer Bilderschrift erreichen können. Der Philosoph, der Dinge in ihrem ged~nkenmäßigen Gefüge. offen vor Augen läge und Jegliches
endlich der Metaphysik "wirklich genugtun" will,indem er sie aus ihrem Ur- nach. seiner Stelle und Bedeutung in diesem zeitlosen Zusammenhang über·
sprung in dem von den Menschen gelebten Leben versteht, erfährt an-der "un- . schaubar wäre nach der Notwendigkeit, die "ein So '-- oder - auch- anders
geheuren Arbeit" des metaphysischen Geistes "die unergründliche Tiefe der nicht duldet".
Die Lebensphilosophie leugnet den absoluten Anfang der Philosophie - sie
Welt".
Aber wenn solchermaßen das Ausgehen vom Leben durchaus nicht bedeutet, steht damit nur auf dem Boden von Kant, für den es auch, gemäß der "Archi-
daß wir in der Fläche eines "bloß" menschlichen Lebens, das nur unser wäre, tektonik" der Vernunft, -das Problem des Anfangs nicht gibt. Und so ist ihr das
verbleiben müßten, wie die imaginären zweidimensionalen Wesen in der Ober- . ~usgehen vom menschlichen Dasein nicht Anlauf z,u dem Sprung in den Ab-
fläche einer Kugel, so enthält die~er Ausgangspunkt doch andererseits mehr als grund, in dem eine absolute Bewegung von jenseits her den Denkenden emp-
~inen bloßen Zugangsweg, der uns nur erst an
den eigentlichen Bezirk der finge und wieder zurücktrüge-bi!! wohin? Sondern daß sich der Abgrund auf-
Fundamental-Philosophie heranführte und der damit seine Aufgabe erfüllt tut, und der Sprung dahinein, "ins Unbetretene, nicht zu Betretende", gehört
hätte, wie man ein Gerüst abbricht, nachdem der Bau errichtet ist. Ihn wirklich zu eben dem, was von diesem Ausgangspunkt aus eueicht werden. soÜ, ohne
als Ausgangspunkt der Philosophie nehmen, bedeutet vielmehr - und das ist aus ihm hergeleitet werden zu können, da es uns mit dem Charakter eines

\
. \

26 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems Relativierung dieses Unterschiedes in der Lebensphilosophie 27

unverhofften Ereignisses auf demWege des Lebens mit innerster Notwendigkeit Philosophie heraus erzeugt: die Befreiung - nicht der menschlichen Existenz,
begegnet: freier grundloser Schritt zum Grunde des Daseins und doch etwas sondern des menschlichen Geistes, ·der in ihr fußend über ihr verweilen gelernt
geschichtlich Erwirktes, entspringend aus dem totalen Zusammenhang der ·hat, so daß keine ihm äußerliche Bindung mehr Macht über ihn hat. Diese
menschlichen Lebensbewegung selbst in der Entfaltung und Gestaltung des· Stellung ist nichts isoliert Heutiges, nicht eine Stellung miter anderen bloß,
selben durch das Schaffen namenloser Menschen unter bestimmter zeitlicher sondern die wesentlich philosophische Stellung, durch den der Philosophie
Lage; Alle Wirkungsmacht aber, die das einmal Entsprungene nun über das wesentlichen Zug der Aufklärung gefordert, den zu: beschneiden ihre _Selbst-
Leben zu gewinnen vermag, aus eigener Mitte den stillen Einfluß des Geistes vernichtung bedeuten würde: er setzt sich vollends durch, indem die "Imma-
ausstrahlend, ist daran. gebunden, daß das lebendige Geschehen, aus dem es nenz des Transzendenten", die das ursprüngliche metaphysische Wissen am
entsprang, immer wieder neu erzeugt wird, im Erringen, Erarbeiten des je von Anfang der Philosophie bewegte, mit der der philosophische Gedanke, um das
der Menschheit Errungenen. Es wirkt nicht aus ruhender Mitte in scheinbar absolut Unendliche kreisend, ins Leben trat (Fibel3lff.), in die "Transzendenz
losgelöstem Bestand, sondern unser eigenes geistiges Trachten bringt erst die des Lebens" (Simmel) zurückgenommen wird. Und so wird diese Stellung des
Wärme he:r.vor, in der das Starre sich löst und jene Mitte in Bewegung gerät "heutigen Menschen" auch von Dilthey selbst eingeschätzt. "Die geschichtliche
auf uns zu in absoluter Wechselwirkung mit der von uns ausgehenden. Weltanschauung ist· die Befreierin des menschlichen Geistes von der letzten
"Denn auch was Frucht des Geistes und der Sinnesart ist, Wissenschaft, Kunst, sittliche Ein- Kette, die Naturwissenschaft und Philosophie noch nicht zerrissen haben"
richtung, verliert das Geistige. und wird zur Materie, wenn nicht der Geist es immer von neuem
belebt. Alle diese Dinge tragen die Natur des Gedankens an sich, der nur erhalten werden kann, (VII, 290. V, 9).
indem er gedacht wird" (Humboldt). Aber dann kommt auch alles. darauf an, daß .der Ausgangspunkt, der kein
So bleibt es bei dem Ausschluß transzendenter Setzungen, an denen die bloßer "Beginn" im Unterschied zu dem erst noch kommenden "Anfang" der
Philosophie festgemacht werden könnte zu einem absoluten Anfang. Hier gibt Philosophie ist, auch so genommen wird, daß sie mit ihm bereits auf dem Wege
es keinen Komprom:iß. Die Transzendenz bleibt immer notwendig mit der Im- ist, daß, wie vorhin gesagt wurde, die ganze Bewegung von ihm aus innerhalb
manenz "verschränkt". Das Jenseits verlegt sich zurück in die innerliche Jen- der Philosophie fällt. - Dilthey erklärte:
seitigkeit des menschlichen Lebens, die selber, an ihrer Stätte in der Person er- "Man muß vom Leben ausgehen. Das heißt nicht, daß man dieses analysieren muß, es heißt, daß
faßt, wiederum etwas ~om Menschen Errungenes ist. Und wenn dies, in Verfolg man es in seinen Formen nachleben und innerlich die in ihm liegenden Konsequenzen ziehen
muß. Die Philosophie ist eine Aktion, welche das Leben, d. h. das Subjekt in seinen Relationen
unserer früheren Erwägungen, als ein bloßes Diktat der "bürgerlichen Welt- als Lebendigkeit, zum Bewußtsein erhebt und zu Ende denkt" (V, LVIII).
anschauung" erscheinen möchte, wenn Dilthey selbst dem entsprechend mit Analog formuliert Heidegger, der die philosophische Grundfrage als die nach
vorsichtiger Einschränkung erklärt: "Das von den Menschen gelebte Leben - ·dem "Sinn von Sein" festgelegt besitzt, in bezug auf die Hermeneutik des
das zu verstehen, ist. der Wille des heutigen Menschen": so ist gegenüber einer .Daseins, aus der die Fundamentalo~tologie hervorgehen soll: Die Interpretation
Verkennung, die aus solchem "anthropologischen Relativismus" Nutzen ziehen muß sich, um der "Dasein" genannten Seinsart des Menschen, die durch ihren
möchte für einstige Möglichkeiten, festzustellen, daß der Relativismus auch hier ,;existentiellen" Charakter bestimmt. ist, genugzutun, auf all ihren .Schritten
nicht das letzte Wort des "historischen Bewußtseins" ist. Denn nur der Wille, "von der Idee der Existenz leiten lassen", und das bedeutet die methodische
de~ das menschliche Leben zum Thema der Philosophie gemacht hat, ist aus Forderung, die entscheidenden, für menschliche Seinsart konstitutiven Phä-
unserer Zeit ~eboren, das dami~ zu Gewinnende aber ist aus dem Wesen der nomene "auf die in ihnen vorgezeichneten existentielleli' Möglichkeiten ZU

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28 Das ursprüngliche philosophische Fragen und die Stellung des Seinsproblems
Ontolog,sche Lebensauslegung als Oberschritt über die Grenzen der Analyse 29

entwerfen und: diese existential ,zu Ende zu denken"' (302f. u. a.). Auf diesem eigenem bildenden Grunde die durchgreifenden Linien des Zusammenhangs
sich abzeichnen, in denen das nachschaffende Denke:O:, "schaffend in· der Linie
Wege kann, so erklärt er nun weiter, durch die "existentiale Analytik" eine
des Geschehens'' "innerlich" die Konsequenzen, die im Leben liegen, zieht.
Lösung der fundamentalen Frage riach dem "Sein" deshalb erreicht werden,
weil das menschliche Dasein nicht bloß - sozusagen in Objektstellung, als Wie so etwas möglich sei als ein nicht bloß künstlerisches, sondern wissenschaft-
selbstloses genommen,- das uns Menschen zunächstliegende "Seiende" ist, liches Verfahren, ist da die Frage. Feststeht aber von vornherein, daß es sich
so daß wir diese Seinsart "primär zu befragen" haben, wenn wir philosophisch nicht um ein "bloßes Analysieren" handeln kann. Bei Heidegger, der als das
nach dem Sein fragen, das dem All des Seienden zugrunde liegt, sondern weil philosophische Ziel der Hermeneutik des Daseins die "Fundamentalontologie"
vorwegnimmt, ist dagegen gerade die Analyse der königliche Weg der Inter-
das Dasein- sozusagen in Subjektstellung- "überdies das Seiende ist, das
sich je schon in seinem Sein zu dem verhält, wonach in dieser Frage gefragt pretation. Eine "existentiale" Analyse freilich, der es . um "die Grundstruk-
wird". ·und so schließt er, entsprechend jener Diltheyschen Bestimmung turen" des Daseins zu tun ist, ja'nicht bloß um sie, sondernletztlich um das aus
der Philosophie als einer Aktion, die das Leben ins Bewußtsein erhebt: "Die ihnen unzusammensetzbare "Strukturganze". Aber diese Struktur-Analyse,
Seinsfrage ist dann aber nichts anderes als die Radikalisierung einer zum Dasein die auch Dilthey gewiß·nicht ausschalten wollte, die er ja vielmehr selber- im
Gegensatz zu der "naturwissenschaftlichen atomistischen Psychologie" und zu
selbst gehörigen weseri.haften Seinstendenz, des vorontologischen Seinsver-
der "psychologischen Scholastik" der Brentanoschule, di,e er auf jene folgen
ständnisses" (15).
Hier haben wir die wesentliche Übereinstimmung, aber zugleich stoßen wir sah - ausgebildet hat, ist. hier in begriffsgewaltiger Durchführung bis zu den
hier auf denuns fraglichen Punkt, in dem sich der Weg wendet, zur "Ontologie" äußersten Möglichkeiten vorgetrieben; während Dilthey sich in seiner Weisheit
fragte: "Wie weit kann nun diese Zergliederung geheri."l)? Diese Übermacht
hin. Es handelt sich um das "zu Ende denken". Innerlich "die im Leben liegen·
der Analyse hängt n:un aber (durch die Methode der Fundierung vermittelt)
den Konsequenzen ziehend" - wie komme ich da zu einem Ende ? Bei Dilthey
ist über das "Ende" im vorhinein nichts festgelegt - es sei denn insofern, als 1 ) VII, 237. Scheinbar trifft hier mit Dilthey Franz Brentano zusammen, der - bei der
jenes Ziel feststeht, den Gehalt unserer Existenz, ~e wir ihn vor allem iri. der Abwehr dßs Psychologismus in der L~hre von der Evidenz - gegen Sigwart bemerkt, daß er, wie ·
das ..vielen bei psychologischer ·zjlrgliederung begegnet ist, im Eifer der Analyse am richtigen
Religion, Metaphysik und Dichtung besitzen, nach dem Wegfall eines "abso- Punkt nicht Halt machte" (Voii;l: Ursprung sittlicher Erkenntnis, 1899, Anm. 27, 7). Aber diese
luten Punktes" (jenseits· des menschlichen Lebens oder auch innerhalb seiner) Grenzsetzung richtet sich doch nur~ sozusagen technisch,· dagegen, daß man ,,Phänomene von
durch eine allseitig objektive, nichts verstümmelnde Interpretation des Lebens sehr versc:hiedenem Charakter noch aufeinander zurückzuführen sucht" nicht aber wehrt sie
wie bei Dilthey, prinzipiell. ein redUktives V erfahren ab, das hinter de~ Lebenszusammenhan;
zu sichern und so die "Anarchie der Überzeugungen", die im Gefolge des auf die herausanalysierbaren Momente, die in ilim enthalten sind; zurückgeht. Wohl aber wäre
"Relativismus" hereinzubrechen droht, zu überwinden (V 9, cx). Der Weg die Diltheysche Stellung bei Sc:b.I'eiermacher zu finden (was noch zu untersuchen ist), vgl.
z. B. in dessen Erziehungslehre die Kritik Pestalozzis, die von dem methodischen Grundsatz
des Lebens bildet sich überhaupt erst, indem er gegangen wird, auf das ausgeht, "daß alle Unterrichtsgegenstände in solche Elemente nur aufgelöset werden, in denen
Gehen kommt es vorzüglich an: auf den geschichtlich sich vollziehenden oder . das Lebensprinzip noch ist'•, z, B. die Sprachen in den ..einfachen Satz" als das ,.einfachste
~ebendige Element" in ilineli~ :"Die Hauptsache ist, daß man in der Auffindung der Elemente,
"erwirkten" Gang des Lebensgeschehens und auf die Kraft einer Methode, ihn
In dem Rückwärtsgehen von dem Ziel auf den Anfangspunkt, nicht den rechten Punkt über-
"geschichtssystematisch" durchzukonstruieren, so daß aus den großen Formeil springt, daß man nicht zu weit zurückgeht auf solche Punkte, in denen kein Leben mehr ist.
menschlicher Existenz, die zunächst als mächtige Tatsächlichkeiten auftreten, Alles Abstrakte muß in Beziehlulg auf das Lebendige vorkommen und durchaus nicht für sich."
( Schleiermachers Werke, 3. Abt~· IX, 422 f.)
die eigene innere Mächtigkeit des Lebens herausgeholt wird und auf dessen
30 Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie Heideggers ontologische Ausformung der lebensphilosophischen Fragestellung 31
mit der Richtung auf die Ontologie zusammen, wie denn beides gleicher-
"Leben" wählt, um das "Sein des Menschen" zu bezeichnen, scheint dazu an-
maßen durch die Phänomenologie bedingt ist, der ursprünglich, eine Kehr-
getan, dies auszudrücken: sozusagen die Daseinheit -'- "Existentialität": das
seite ihrer Stärke, des .distingierenden Denkens, des scharfen Abhebens des
ontologische Gegenstück transzendentalphilosophischer Art zu der Fichteschen
zu Unterscheidenden, der Blick für das Lehensganze, für Genesis überhaupt
Prägung des terminus "Ichheit". Als ein eigenartiges Phänomen, hinter das
und gar für die Geschichtlichkeit fremd war. Denn, wie Dilthey selbst ein~al
man, wie Dilthey vom "Leben" sagt, nicht zurückgehen kann, läßt sich das
bemerkt, "die Interpratetion dessen, was in Worten, Sätzen, Satzverbm-
Dasein nicht durch eine Definition bestimmen; um es zu begrifflicher Bestimmt-
dungen mit Wirklichkeit, Wert, Gut, Zweck gemeint ist auf die Intention hin;
heit zu bringen, muß es zunächst in beschreibender Weise durch zeichnende
so den gemeinten Sinn festzustellen, schließt alle Genesis aus"·
Züge fixiert werden. Diese "Charakteristik" stellt als allgemeinsten Zug heraus,
So werden wir hinter das Problem der Metaphysik, auf das uns die Stellung
daß, wie schon angegeben wurde, "es diesem Seienden in seinem Sein um
der Seinsfrage zunächst führte, zurückgedrängt auf das Problem der Methode, dieses Sein selbst geht" (12).
das gleichfalls die Ontologie betrifft, aber nun nicht die "Fundamental-Onto-
An dieser Aufstellung von so etwas wie Daseinheit hängt die ganze Möglich-
logie" als die prima philosophia, sondern die ontologische Richtung in der
keit der hier unternommenen "ontologischen Interpretation" (209) der mensch-
Lebensinterpretation selbst. lichen Existenz. Ein Doppeltes wird dadurch gewonnen. Zunächst ist dadurch
überhaupt erst der Boden geschaffen, auf dem die phänomenologische Analyse
3.
ansetzen und unbeschränkt sich bewegen kann, da sie nunmehr das Dasein als
Als Ontologie fragt die Hermeneutik des Daseins nach dessen Seinsart, dem
ein in sich fest bestimmtes Phänomen im Blick hat, das auf seinen inneren Auf-
ihm eigenen "Wie des Seins" oder "Seinssinn". D. h. sie stellt der me~sch­
bau hin zu zergliedern, bis ins Fundament freizulegen und so in seiner "Möglich-
lichen L 9bensw1rklichkeit gegenüber die platonische oder phänomenologische
keit" zu begreifen ist. Zugleich aber wird die phänomenologische Sinn-Analyse,
Frage nach der usia, die sich jeglichem gegenüber stellen läßt, was einen Na~en
da es sich hier, bei dem "Dasein", gegenüber der Faktizität z. B. der "Fried-
hat und durch denNamenzunächst in phänotypischer Prägung als etwas Em•
rich-Heinrich-Jacobiheit", um den Ursprung der Kategorie des "Faktischen"
heitliches angesprochen ist. Wir können diese Fragestellung, um die verfäng-
handelt, in die lebensphilosophische Richtung getrieben, den Sinn aus der
lichen Begriffe "Idee" und "Wesen" zu vermeiden, anknüpfend an die Worte
Faktizität selber herauszuholen, und so -'-' wenigstens prinzipiell - davor be-
der Sprache durch die Bildung mit " ... heit" formulieren, wie z. B. Heidegger
wahrt, die Wesenssphäre als etwas rein ideell Darstellbares von der geschicht-
von dem Worte "Welt" aus nach der "Weltlichkeit" fragt, ebenso nach der
lichen Wirklichkeit des Daseins zu trennen, wie denn Heidegger ausdrücklich
Zeitlichkeit, Zuhandenheit, V orhandenheit, Geschichtlichkeit usf., wie man
bemerkt, daß der Analytiker nicht eine "Idee" der Existenz zugrunde legen
aber auch von einem Eigennamen aus so fortgehen kann, wenn z. B. Fr.Schlegel
dürfe. Freilich wird man auf der Hut sein müssen, ob nicht der terminus Da-
über die Romanfiguren J acobis urteilt, daß sie "nicht ,die Menschheit, wie sie sein, dieser Doppelseitigkeit entsprechend, gelegentlich auch einen Doppelsinn
ist' sondern die Friedrich-Heinrich-Jacobiheit offenbaren"- den "in Begriffe bekommt.
un~ Worte gefaßten Geist eines individuellen Lebens". Der neutrale (freilich
Dies also ist die methodische Richtung, in der es hier durch die Verbindung
· d urc h d'1e " J eme1n1
d ann · 'gke1'.t''- Dasein ist " J·e meines"- determinierte) ter-
der Lebensaufklärung mit der Phänomenologie philosophisch vorwärtsgeht,
minus Dasein, den Heidegger statt der üblichen Rede vom menschlichen
wie mit einem Ruck. Die Intention wird vollends. deutlich, wenn man den
32 Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie
Transzendentale Logik gegen.Fundamentalontologif! 33
Fortgang an dem auf diesem Felde Erreichten mißt, wie das Heidegger selber tut,
keinen, der Diltheys Intention in sich aufnimmt, zur Ruhe kommen läßt, sieht
indem er sein Unternehmen mit den Bemühungen Busserls einerseits, Diltheys
er nun darin, daß er das ,Leben' "in· ontologischer Indifferenz stehen ließ" (209).
andererseits (und, sozusagen dazwischenliegend, Schelers} konfronti~rt. Überall,
Dadurch erklären sich die "Grenzen seiner Problematik und der Begri:fflichkeit,
sei es gegenüber Diltheys Ausgangspunkt vom "Leben" und seiner Beziehung
m der sie sich zu Worte bringen mußten";. wie diese. Grenzen denn auch von
zur "geistigen Welt", sei es gegenüber Busserls Entwurf einer "phä~o~en~­
Busserl gekennzeichnet worden sind, der urteilte: "Dilthey erfaßte zwar die
logischen Philosophie", der auf dem Grunde des "reinen Bewußtset~s die
tiefgehenden Probleme, die Richtungen der :~;u leistenden Arbeit, aber zu den
,, Konstitution" erst der materiellen Natur, dann der animalischen
. zergliederte
. . entscheidenden Problemformulierungen und methodisch richtigen Lösungen
und nun, zur geistigen Welt fortschreitend, das Thema formulierte: dte "per- drang er noch nicht durch" (47).
sonalistische Einstellung im Gegensatz zur naturalistischen'', oder gegenüber
Wir fragen jetzt nicht, ob "die Aneignung der Diltheyschen Forschungen",
Schelers Konzeption einer philosophisch~n Anthropologie, die in analoger
die Heidegger als eine der. heutigen Generation noch bevorstehende Aufgabe
. Schichtung über dem Kraft- und dem Vital-Zentrum das geistige "Perso~­
bezeichnet (377), wirklich auf dem Wege über die Ontologie zu gewinnen sei,
zentrum" heraus~rbeitete: überall ist das entscheidende Argument, daß die
und ob der dauernde Gewinn, den uns Heideggers eigenes Werk bringt, der
Forschung überhaupt nicht "in die Dimension" der ontologischen Frage·
ontologischen Systematik zu danken sei und nicht vielmehr der Intensität, mit.
stellung der Frage nach dem Sein des Daseins kommt" (47).
' " . I
der er bestimmte Seiten des :menschlichen Lebens (oder auch gewisse, die heutige
Gegenüber Dilthey ist uns diese Argumentation besonders aufschlußreich,
Jugend bewegende Lebensdeutungen) zu sehen, gedanklich zU: durchdringen,
zumal Heidegger zu den ganz Wenigen gehört, die die systematisch-philo-
ja von Grund aus zu formalisieren und durch die begriffliche Formkraft in den.
sophische Bedeutung von Diltheys Forschungen erkannthaben, noch ehe durch
Blick zu zwingen vermag (eine Interpretationskunst, die auch der Geschichte
den Fortgang der Ausgabe seiner Schriften das geläufige, vornehmlich durch·
der· Philosophie zugute kommt, indem altererbtes Lehrgut plötzlich zu neu er-
Rickert und Hus~erl, also durch geschichtsfremde, überlegen reine. Syste-
worbenem Besitz wird). Das Entscheidende sch.eint uns zu sein, daß die Auf-
matiker, bestimmte Bild, das ihD. als "Nur-Historiker" erscheinen ließ (z. B.
gabe, vor die die Philosophie durch Diltheys "geschichtliche W eltansicht'' ge-
noch 1923 Logos XII, 296), aligemein verdrängt wurde. Heidegger findet "das
stellt ist, hier, wo sie radikal ergriffen wird, der Ontologie zudiktiert wird und
philosophisch Relevante" in Diltheys Arbeiten darin, daß er bei all dem, w~~
nicht der Logik, de:t; von innen heraus sich erweiternden transzendentalen Logik
ihn beschäftigte, "und vor allem unterwegs war zur Fr~ge nach dem Leben überlassen bleibt.
(46); er erkennt in ihnen "die eleme~tare Unruhe zu dem: einen Ziel: ,das
Das ist kein bloßer Wortstreit. Der Gegensatz manifestiert sich gerade an der
Leben' zum philosophischen Verständnis zu bringen und diesem Verstehen aus
SteUe, an der sich ;die Aufgabe einer Erweiterung der logischen Fundamente
dem Leben selbst' ein hermeneutisches Fundament zu sichern"; er stellt fest,
' . . nach Kants Konzeption der transzendentalen Logik durch die Sachen selbst er-
daß mit "dem Leben", wie es von Dilthey "als Gegenstand der Geistes-
geben hat: an der neuerdings viel berührten Stelle, wo durch die Scheidung
wissenschaften und als ihre Wurzel zumal hingestellt ist, gemeint sei "die
zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ein Riß durch die Logik geht.
Weise, in der der Mensch ist" (398); und ·so erklärt er geradezu, daß Diltheys
Heidegger nimmt diese Scheidung an. Er nimmt die rückhaltlose Formu-
"eigentliche philosophische Tendenzen auf eine Ontologie des ,Lebens' zielten"
lierung auf, die Graf Y orck, unzufrieden mit Diltheys nicht genügend scharfer
(249). Aber das philosophisch Unbefriedigende, das trotzdem bleibt und das
"Absage der naturwissenschaftlichen Prätensionen" ihr gegeben hat, indem er

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl.


·' 3
34 Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie Die Universalität des Ontologischen bei Heidegger 35
von "der generischen Differenz zwischen Ontischem und Historischem" sprach. jene als konstitutiv für das Sein des "Daseins", diese als etwas Ab künftiges, und
Aber nun korrigiert er: das ,Ontische', das sei nicht der richtige Ausdruck für zwar aus dem "Dasein•' selbst Herkommendes, herzuleiten aus einer zu dieser
das, was Y orck "mit sicherem Instinkt" als etwas von dem Historischen ,gene· Seinsart wesentlich zugehörigen Bewegung (bzw. "Modifikation") des ,,Ver-
risch Differentes' erkannte, für den Gegenstand der Naturwissenschaften also. fallens". Und so kann Heidegger auch an dieser von der Wissenschaftstheorie
In diesem Gehrauch des Ausdrucks ,ontisch' verrate sich vielmehr ein Vorurteil, so schwer belasteten Stelle einfach durch eine formale Argumentationfür den
das durch die Vorherrschaft der griechischen. Ontologie bedingt sei: die viel zu Vorrang der Seinsfrage entscheiden:
enge, ja sekundäre Fassung des Seinsbegriffs, in der ,Sein' als gleichbedeutend "Wie anders. s~ll Ge~chichtlichkeit in ~hrem Unterschied vom ,Ontischen' philo!Sophisch erlaßt
und • ,kategorial begnffen werden, es sei denn dadurch, daß ~ Ontisches' sowohl wie , H·st · h •
mit ,Vorhandensein' genommen werde (403).' Es ist dieselbe Befangenheit, die . _ .. . • • 1 onsc es
m eme ursprunghebe Einheit der möglichen Vergleichbarkeit und. Unterscheidbarkeit ge-
nach Heidegger die gegenwärtige philosophische Bewegung überhaupt, auch · bracht werden?" (403).
wo sie von der Phänomenologie herkommt, bisher verhindert hat, "in die Di- Diese - bloß relativ oder doch absolut? - "ursprüngliche Einheit" aber kann
mension der Frage nach dem Sein des Daseins zu kommen", obwohl man nichts anderes sein als das ,Sein', das dem All des Seienden zugrunde liegt.
dicht davorstand, wie bei dem für die geistige Welt konstitutiven Begriff der Hier springt heraus, worum es sich handelt. Die Frage nach dem , Wie des
Person (48). Von der Person als dem Vollzieh er der geistigen Akte wurde zwar Seins' hat jetzt ein neu es Gewicht bekommen. Es schien uns zunächst, daß sie
von seiten der Phänomenologen erkannt (oder wieder erkannt, da dies eine . nur .eine bequeme Formulierung für die radikal gefaßte phänomenologische
Kautisch-Fichtesche Einsicht ist), daß sie ihrem Wesen nach nichts psychisch Fragestellung wäre, und daß die Verwendung des Seinsbegriffes, die an die
Vorfindliches, nichts Dinghaftes oder Substantiales, überhaupt nicht ein antike Frage nach der usia anknüpft, hier vollends unverbindlich wäre. Gerade
"Gegenstand" ist, aber die Frage nach dem Personsein selber wurde nicht ge- gegenüber der verfänglichen Rede von den Ideen, hzw. dem Eidos, die Husserl
stellt, und diese Frage hätte dann auch, da die Person eben nur eine Schicht im bei der Ausbildung seiner Methode zu einer "phänomenologischen Philosophie"
·"ganzen Menschen" ist, auf die Frage nach dessen Sein führen müssen, d. h. in Kurs gesetzt hat, sollte der Rückgriff auf die usia und die Zurechtstellung
aber auf Hejdeggers Frage nach dem Sein des "Daseins". Ebenso sei dem dieses Grundbegriffes in der Bedeutung "Seinssinn" oder "Wie des Seins"
Grafen Yorck, obwohl er das Richtige im Sin:Q. hatte, daß nämlich das geschieht~ (statt der irreführenden lateinischen Übersetzung mit ,Substanz') den Zugang
liehe Leben gänzlich verschieden ist von allem "Vorhandenen", und obwohl er, zu den Sachen wieder für eine unbefangene Aufklärung freimachen. Und so ließ
philosophisch radikaler als Dilthey, mit seiner Forderung, diese "generische sich diese Fragestellung der ,ontologischen'· Aufklärung auch ohne den Seins-
Differenz" herauszuarbeiten, "das f und a m e n t a 1e Ziel der ,Lebensphilo- begriff durch Anknüpfung an die geläufige Wortbildung mit dem Suffix, ..• heit'
sophie' festgemacht" habe, doch die ontologische Problematik verschlossen ge- formulieren. Jetzt aber stellt sich heraus, daß die Aufn~hme des Seinsbegriffs
blieben, und so stellte er jene generische Differenz fälschlich als eine solche auch hier, innerhalb des Aufklärungszuges "der Philosophie, durchaus nicht un-
zwischen dem Historischen und dem ,Ontischen' hin. Aber beides, das Ge- verbindlich ist, so wenig wie sie das bei dem metaphysischen Zuge war; beide
schichtliche und das mit dem ,Ontischen' gemeinte "Vorhandene" seien Arten treffen plötzlich zusammen. Die Frage nach dem , Wie des Seins', die bei Jed-
des Seienden, werden also "von der Idee des Seins umgriffen", als Geschicht- wedem "Phänomen" einsetzen kann und die Interpretation gerade des Fak-
lichkeit einerseits, V orhandenheit andererseits, und müssen von dieser Idee aus tischen leiten sollte, führt zurück auf eine ursprüngliche Einheit in der die ver-
in einer Genealogie der verschiedenen Weisen des Seins hergeleitet werden, schiedenen Seinsweisen "umgreifenden Idee des ·Seins".

3*
Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie Der Bruch mit dem Primat der Logik, gerichtet gegen die Logik-Ontologie 37
36
mit Recht. daß das , Sein', nach dessen Sinn gefragt wird, scharf unterschieden
Dieser Rückgang ist in der phänomenologischen Richtung alfein - wie in der
werden muß von dem ,Seienden'- das Sein ist ein transzendens schlechthin.
für sich genommenen Richtung der Aufklärung überhaupt - nicht begründet.
Aber wo öffnet sich von der Hermeneutik des Daseins aus der Weg zu Plato ?
War es doch· vielmehr bei allen bisherigen Versuchen, aus der Phänomenologie
So finden wir uns zurückgewiesen auf die Frage nach der Stellung der Onto-
ein philosophisches System zu machen, offenbar, daß sie mit ihrem - von '
logie zur Logik - Logik im umfassenden Sinne der Theorie des Wissens. Läßt
Busserl selbst als "positivistisch" bezeichneten -.methodischen Prinzip, sich
an das ,Gegebene' bzw. an die ,Sachen' zu halten, eben nicht soweit reicht;
sich das Umgreifende der Seinsidee. anders begründen als du·rch· d"Ie " uniVer-
·
-salität des Logischen" (Busserl), vom Aussagesatz aus? Man denkt an die Dar-
daß man vielmehr die philosophische Substanz sich von anderswoher holen
legungen Platos im Sophistes, daß auch das Nichtseiende, eben indem von ihm
mußte und in recht freier Wahl sich holte, aus metaphysischen bzw. religiösen
geredet wird, als Seiendes angesprochen wird. Wie selbst das absolute ~Nichts'
Überz ugungen oder vielmehr Anschauungen, mit der Zeit wandelb.aren. An-
der docta ignorantia, um auch nur an seinen Öri jenseits aller möglichen Prä-
schauungen. Wie am krassesten das Beispiel Schelers zeigt, das uns nun hinter-
dikationenhingestellt zu werden, siehin seiner Unaussagbarkeit muß durch das
her von seinen Freunden so zu Unrecht als vorbildlich, als ein philosophischer
"Ist" fixieren lassen, im ,,unendlichen Urteil" der Kautsehen TafeL Aber ist
Vorzug· der "Lebendigkeit des Mitgehens", hingestellt wird (Hartmann, Kant· .
eine solche Begründung, die von der Setzling des Seins im Aussagesatz ausgeht,
stud. 33, x). Heidegger gibt unter dem Titel: "Der Vorbegriff der Phänomeno-
denn noch möglich auf dem Boden der Lebensphilosophie? Diese bricht ja
logie" als den ,;formalen Sinn der Forschung, die sich den Namen Phänomeno-
gerade mitdem traditionellen Primat der Logik; wie Simmel es formulierte: es
logie gibt", die Bestimmung so: ,,das was sich zeigt ('ta )OilLVOtJ-SYtX), so wie es
ist ein Vorurteil, daß das Logische kein Präjudiz hinter sich habe. Und Heid-
sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen" (34). Aber ist
egger geht in dieser Richtung vorwärts; eines der wesentlichsten Anliegen
damit mehr bezeichnet als eine Aufgabe ? geradezu die Aufgabe ? Dilthey
s~iner Hermeneutik ist, nachzuweisen, daß die Aussage ein abkünftiger Modus
schrieb sich anno 1861 ins Tagebuch:
emes ursprünglichen in der ,,Seinsverfassung" (hier äquivalent mit "Wesens-
"Genialität. des betrachtenden Geistes ist die Gabe, außerhalb aller bereits existierenden Ideen
verfassung" gebraucht, z. B. S. 8) des Daseins enthaltenen Wissens sei, des
über die Dinge und die Welt die Objekte selbst und die Welt selbst zu Gesicht zu bekommen,
sich diesen selber ohne Etikette vis a vis zu setzen." zum Lebensverhalten gehörigen "Verstehens". Wir können ihm hier freilich, so
eindringlich auch seine Analysen sind, nicht ganz folgen; die Stellung der "An-
Womit nicht gesagt ist, daß dies Verhalten, weil es dem Genie selbstverständ-
schauung" und des theoretischen Verhaltens. scheint uns unterschätzt. Aber
lich ist, auch an geniale ,Begabung' gebunden seL Aber welcher Weg führt von
danach fragen wir jetzt nicht; ob der Nachweis gelungen sei; denn das betrifft
dem Sehen und Sehenlassen, auch.wenn es in die sichere (freilich eine ständige
das tiefer liegende Problem des Hervorgehens der Erkenntnis aus dem Lebens-
innere Anspannung fordernde) Bahn einer wissenschaftlichen Methode ge·
.'Verhalten, während es sich vorerst nicht um das. Verhältnis von Leben und
bracht ist, zum Wissen von der "ursprünglichen Einheit"? Und mit welchem
Logos, sondern das der Ontologie des Daseins zur ·Logik handelt. Dafür kommt
Recht tritt an dieser Stelle die "Idee des Seins" ein ? von der erklärt wird, "sie
~slediglich darauf an, daß ein solcher Nachweis überhaupt unternommen wird.
ist es, die sich muß ,generisch differenzieren' lassen" (403).
·Und gerade im Hinblick auf diesen Nachweis fragen wir uns: wie kann das
Plato, der den Syndesmos der Ideen entdeckte, erklärt auf der berühmten
. "primäre~'· zum Lehcm,sverhalten gehörige Verstehen, aus dem die Aussage sich
Seite 508 der Politeia von der obersten Einheitsidee, daß sie über ,Sein und
.••. restlos sollherleiten lassen, als ein "Seinsverständnis" gekennzeichnet werden?
usia' (und korrelativ allch über die Wahrheit) hinausliege. Heidegger betont
Genetische Konstruktion der apophantischen Logik 39
Das Problem der Methode: Hermeneutik und Ontologie
38 logischen bzw. objektivistischen Richtung, Franz Brentano, es wollte, der die
Ist das nur ein V erlegenheitswort, notgedrungener Behelf in Ermangelung Kopernikanische Tat als "eine widernatürlich kecke Behauptung" abtat. So
eines besseren Ausdrucks (obwohl wir ja unverbindlich von "Dingen" oder hält _er an dem Kern der transzendentalen Logik fest, der dynamischen Kon-
"Sachen" sprechen können) oder steckt darin mehr, versteckt sich dahinter ein zeptiOn der Kategorien und der Aufgabe einer Deduktion derselben. Er ergreift
diese wesentliche Aufgabe an der Wurzel, bei der Aussage selbst, von der die
vorwegnehmender Hinblick auf die Aussage?
Es handelt sich um das "vorontologische Seinsverständnis", von dem gesagt h~rkömmliche "apophantische" Logik wie von etwas Fix und Fertigem aus-
wurde, die philosophische Seinsfrage sei nur die "Radikalisierung" desselben, . beschrei·ben , zu I·nvent ansieren
gmg, das einfach in seinem Formenbestande zu · ·
die Radikalisierung "einer zum Dasein selbst wesenhaft zugehörigen Seins· wäre, und unternimmt es, sie herzuleiten auf dem durch das A usge
.h en vom
tendenz" (12). Das Lebensverhalten selber, von dem Heidegger richtig (wenn Leben eröffneten Wege. So setzt er- der Diltheyschen Erklärung entsprechend
auch einseitig in der Weise, wie er das Leben als Praxis bestimmt) ausgeht, wird daß das Wissen "im Leben allgegenwärtig" ist - bei dem elementaren Ver~
stehe~ ei~, das "zur W esensverfassu;ng des Daseins selbst" gehört (8), bei der
folgerecht als ein Seinsverhältnis bezeichnet.
In allem Erkennen Aussagen" aber auch so heißt es ohne Einschnitt weiter, "in jedem Verhalten ursp.runghchen Verbundenheit, die der erkenntnismäßigen Spaltung zwischen
" . , ' ., ., h"(4)
zum Seienden, in jedem Sich-zu-sich-selbst-verhalten wird vom ,Sem Gebrauch gemac t. . · SubJekt
. . und Objekt vorausliegt, der im ,werktätigen Wissen' -,- wie
· Wir
· es,
Das "Wesen" dieses "Dasein genannten" Seienden "liegt in seinem Zu-Sein" (42).- Sein zum Sem-
können, Sein zu Möglichkeiten, verstehendes Sein zu ... , Sein zum Gehörten, zum Ausgesagten
mit emem Ausdruck von Schelling, nennen möchten (Fibell09) _sich äußern-
den Vertrautheit des Menschen mit den Sachen und Personen in der Welt, die
usf. (148, 150, 193 u. ö.)
Ist dieses. durchgängige Operieren mit dem Seinsbegriff wirklich belanglos? der Boden seines Handeins ist. Un4 in tiefgreifender Analyse klärt er den Zu-
Wird nicht dabei das "Ist'', das erst in der Aussage auftritt, also nur von hier sammenhang auf zwischen
. dieser
. " Befindlichkeit" , dem z uge h..ongen
· " v er-
aus faßlich zu machen ist, unbedenklich zurückübertragen in die "voronto· stehen" und der vordiskursiven "Rede", wie er das nennt (paradox so nennt
logische" Schicht des Wissens, die ursprünglich zu erreichen gerade die Auf- was Dilth.ey im. Blick hatte, wenn er von dem "schweigenden Denken" sprach:
das das eigenthch produktive sei). Aber indem er jenes elementare Verstehen
gabe ist?
Gewiß läßt sich das Sein, auch rein im logischen Sinne genommen, nicht in die als ein "Seinsverständnis" bezeichnet, scheint von vornherein festzustehen daß
bloße Gegenständlichkeit auflösen, noch diese wiederum in ein Erzeugnis des die ur~prünglicheLinie des Zus~mmenhanges vom Leben her zum "Sein'.'hin-
reinen Denkens, wie das von Kant aus in dem sog. "logischen Idealismus" ver· geht, Ja zugleich, daß dieses jenem zugrunde liegt, da das Seinsverständnis zu
sucht worden ist. Die Kategorien, ja schon die sog. "Urteilsformen" der reinen einer besti.mmten Seinsverfassung, der des Daseins eben, gehört. Und so kommt
Logik lassen sich, obwohl sie innerhalb des Aussagesatzes auftreten, doch es ~ar nicht zu der Frage, ob nicht "der Gebrauch", der im Aussagen usw. vom
nicht ohne Rücksicht auf das begreifen, was in der Aussage zum Ausdruck ge· Sem gemacht wird, etwas E'utsprungenes sei, wo es sich dann als ein für das
bracht wird, und worauf der Satz mit dem Subjektbegriff hinausgreift. So . Menschentum entscheidendes Ereignis herausstellen dürfte, ereignishaft, wie es
macht Heidegger .mit Recht die "ontologische Bedeutung" der Kategorien das Auftreten der Philosophie selbst und in minderem Maße ihre Selbstfest-
wieder geltend, die von Aristoteles - aber ebenso auch von den altindischen legung _durch den (metaphysische~) Seinsbegriff war. - Jene Doppelstellung
Logikern - in einer vorkritischen, sozusagen natürli<:hen Einstellung· der aber, die dem Sein bzw. dem Seienden zugewiesen wird, innerhalb des Lebens
logischen Reflexion erfaßt worden ist. Aber auch er kann selbstverständlich und unterhalb seiner, es fundierend, führt zu einer schwer faßlichen (gerade-·
nicht über Kants Kritik hinweggehen, wie einst der Urheber der phänomeno·
Der ergebnishafte Charakter der Seinsidee 41
Das Problem der Methode: Hermeneutikund Ontologie
40
K~tegorientafel in der gleichen natürlichen Einstellung entworfen) - : gerade
wegen ihrer rein gedanklichen Durchsichtigkeit schwer in ihrer Bedeutung faß-
he1 demAusgehen vom "Dasein" scheint es uns verfänglich zu sein und jeden-
lichen) "Problemverschlingung", mit der die Erörterung des Realitätsproblems
falls das Problem des Ursprungs der Erkenntnis im Leben von jenem elemen-
vorläufig abschließt (212). taren Wissen her zu verstellen, wenn ein herkömmlicherweise mit der Be-
In dem transzendentalphilosophischen Zuge ergibt sich für das ,.Sein" dessen Daseinsrelativität:
ziehung auf die Aussagesphäre belasteter Grundbegriff in terminologischen
"Nur solange Dasein ist, d. h. die ontische Möglichkeit vom Seinsv~rständn~s, ,gibt es' ~ein."
Aber diese "Abhängigkeit vom Seinsverständnis" betrifft nur das Sem und mcht das Seiende Gehrauch genommen wird, nicht bloß als hinweisender Ausdruck, sondern als
(Reale); zu diesem eröffnet das V erstehen vielmehr nur ~en "Zugang", ~nd da~ Seinsverständnis "Leitfaden" der ganzen Interpretation. Gewiß ist das Sein nicht bloß etwas
ist dazu auch noch selber die Wesensverfassung (bzw. Semsverfassung) emes Seienden. So kommt
das Fundierungsverhältnis so heraus: "nur wenn Seinverständnis ist, wird Seiendes als Seiendes ,Hingeschautes', sondern in der Seinsaussage terminiert eine vom Leben her
zugänglich; nur wenn Seiendes ist von der Seinsart des Daseins, ist Seinsverständnis als Seiendes auf dem Grunde jener ursprünglichen Verbundenheit des ,Verstehens' aus-
möglich". gehende Bewegung, in der dasjenige, was im prägenden Worte gestaltet ist, mit
Aber muß man nicht bei dem durch ,Nominalisierung' gebildeten terminus
der Vergegenständlichung zugleich ·in sich selbst ,aufgebrochen' wird. Aber
Seiendes" noch mehr als bei dem Verbum "Sein" ständig im Auge behalten,
jener ergebnishafte Charakter des Seinsbegriffs bleibt, den Fichte als stehende
"daß er von dem satzmäßigen Ausdruck mit dem ,ist' abgeleitet ist, von dem
Modifikation oder Fixation, Plato mit dem Bilde vom Siegeln bezeichnete.
eigentlichen Ausdruck des diskursiven Denkens also, das mit diesem ihm
Aber dann kommt alles darauf an, einen weg zu finden, um in die mit der
eigenen Wort alles, was von ihm erfaßt wird, zum Stehen bringt, es "siegelnd
Aussage bereits zum Stehen gebrachte Bewegung vom Leben her wirklich
als seiend" ? so daß man die Aussagesphäre im Rücken hat, wenn man mit dem
hineinzukommen. Und damit finden wir uns nun wieder auf den Mittelpunkt
Seinsbegriff operiert, um diesseits und jenseits ihrer durchzustoßen. Fichte sah
zurückgeführt, um den sich unsere Bedenken drehten: das Verhältnis der onto-
das Merkmal, daß· man· auf dem rechten Wege philosophiere, darin, kein Auge
logischen Theorie (oder wenigstens des - unverkennbaren _ theoretischen
mehr zu haben für das Sein, sondern nur für das Werden: "jedes hingeschaute
Momentes der Ontologie) zu der "ontischen" Dynamik des Lebens.
ruhende Sein ist nichts weiter als die in sich angehaltene, die stehende Modi-
fikation, Fixation des Blicks". Heidegger wird dagegen sagen: da ist ja wieder 4.
das schier unausrottbare Vorurteil, von der antiken Seinsauslegung her, am
Auch in Heideggers "Hermeneutik des Daseins" handelt es sich wesentlich
Werke! die Gleichstellung des Seienden mit dem Vorhandenen als etwas dem
um die innere Bewegung desselben. Nicht nur, daß er die "Seinsverfassung"
Denken Vorgegebenem, ja vor dem Dasein Vorherbestehendem! während doch
des Menschen- er nennt sie "Sorge" (curare)- als einen Strukturzusammen-
eben das Dasein mit in die Sphäre des Seins einzubeziehen ist, ja der primäre
hang begreift und in diesem Strukturganzen, wie schon jener auffällige Name
Zugang zu ihm ist. Aber ganz abgesehen davon, ob durch die existentiale
anzeigt, die dynamischen Momente herausarbeitet. Sondern gerade auch für
Diärese: Dasein- Vorhandensein der zentrale Sinn der Sache wirklich er·
das elementare Wissen, das zu dieser Wesensverfassung gehörige "Seinsver-
ledigt ist, die in jenem altehrwürdigen Gegensatz von Sein undWerden getroffen
ständnis", führt er mit seiner ganzen Eindringlichkeit und mit nicht nach-
zu sein schien; und ob die Schranke der griechischen Logik-Ontologie voll
lassender Energie die neue Stellung durch: so schiebt er entschlossen den ganzen
darin befaßt ist, daß sie (44) "zum exemplarischen Boden ihrer Seinsauslegung
geläufigen Begriffsapparat der Erkenntnistheorie beiseite, der durch das Aus-
das innerhalb der Welt begegnende Seiende, das Vorhandene hat" (auch in der
gehen von der Subjekt-Objekt-Beziehung und den Ansatz beim Wahrnehmen
indischen Philosophie, die so gar nicht am Weltbegreifen orientiert ist, ist die
Ent;cheidender Gegensaiz durch den Begriffgeschichtlichen Werdens 43
42 Die Dynamik des Lebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode
wegliehe Leben einer systematischen Analyse unterwirft, die auf die ,Dasein-
und Vorstellen bestimmt ist; durch das ganze Werk geht in immer neuen Vor-
heit' gerichtet ist, entspringt ihm aus der Dynamik kein eigentliches Geschehen,
stößen auf derselben Linie der siegreiche Kampf gegen die Vorherrsch~ft der
mit dem etwas vorwärtsgebracht, erarbeitet, erwirkt wird, kein geschichtliches
reinen Theorie, gegen die falsche Gegenständlichkeit eines "frei schwebenden"
Werden auf dem sich aus sich herausgestalttmden Grunde des menschlichen
Intellekts, de~ über das in den Lebensbezügen sich entwickelnde werktätige
Lebenszusammenhanges, sondern es handelt sich - der. Hinweis auf Fichte
Wissen hinwegsieht. Und über dies Negative hinaus, das sich in der Ahhehung
deutete darauf vor - um eine für das menschliche Dasein als solches konstitu-
des "Daseins" vom ,,Vorhandensein" zusammenfaßt: er schafft mit seiner ziel-·
tive Bewegtheit, die als die "Seinsart" desselben radikal ~u begreifen wäre, also
sicheren Prägungskraft eine neue Welt von Begriffen, ,Energiehegriffen' von
um die innere, bis auf den Grund durchsichtige Form, in der die ewige Ge-
Fichtescher Art, die den Leser geradezu zwingen, die dynamische Eigenart der
schichte des Menschen, des Adam, gleichsam in sich selbst bewegt, sich voll-
Lehenskategorien in Blick zu bekommen - der "Existenzialen", wie er sie
zieht. Analog wie ihm die philosophische Bewegung des Fragens kein geschicht-
nennt, um die "Seinscharaktere" des Daseins von denen des nicht das~ins­ lic.hes Ereignis ist; das in das Leben sei es des einzelne~, sei es der Menschheit
:mäßigen Seienden, des ;,Zuhandenen"~ "Vorhandenen", Realen, zu scheiden, auf
einmal eingreift, unableitbar, schöpferische Tat des Durchbruchs ·zum Grunde
die er den Kategorienbegriffneschränktwissen will. Und an dem tiefsten Punkt,
·des D~seins, etwas Errungenes, sondern ein durchschaubarer, restlos durch-
den seine existenziale Analyse (hzw. :Konstruktion) in dem vorliegenden Teil
. schaubarer Wesenszug an jener inneren Bewegtheit des Daseins, die im G~unde
erreicht, bei dem Begriff der ,,Zeitlichkeit" ~ einem echt spekulativen Begriff:
. ehm gleichförmige ist, etwas mit der "Seinsart'' desselben Gegebenes.
er soll dazu verhelfen, die "Seinsart des Menschen", die "Sorge", nunmehr von
Hier scheiden sich die Wege. Wir verdeutlichen das, indem wir das Problem
innen beweglich aufzuhauen, ihren "ontologischen Sinn" aufschließen, so das
der Methode an der Stelle aufnehmen, an der uns (S. 34) die Absicht der Onto-
Tor Öffnen zu ·dem Geheimnis des Menschentums, der Selbstwerdung, der
logie des Daseins entgegensprang.
.. wesentlichen menschlichen' Möglichkeit, sich aus der Selbstvergessenheit zu
"pas fundamentale Ziel der ,Lebensphilosophie' ist festgemacht", so hieß
erheben zum E~greifen des eigenen Selbst - an dem Punkt also, wo er an der
·es; durch die Erkenntnis der "generischen Differenz" zwischen Historischem·
Stelle gräbt, auf die Fichte mit seinem }Jegriff der ,Tathandlung' die lland ge-
und ,Oniischem' oder, wie es richtig heißen muß, "Vorhandenem". Indes:
legt hatte: da stellt er den Seinsbegriff ausdrücklich zurück (328) : · jene y orcksche Formel ist doch nur eine p'ointierte Formulierungfür das von
z~itigt si~h. Ze~tlich­
"Die Zeitlichkeit, ,ist' überhaupt kein Seiendes. Sie ist nicht, sondern · ·. Dilthey in. seiner geisteswissenschaftlichen Produktion ausgebildete philo-
keit zeitigt, und .zwar mögliche Weisen ihrer se~bst. Diese ermöglichen die Mannigfaltigkeit der
sophische Verfahren der Lebensinterpretation, aus dein sich ihm die An-
Seinsmodi des Daseins ... ''
schauung vom "Aufbau der geschichtlichen Welt" erhob. Für die "neue Art zu.
Freilich bleibt auch hier "die Idee des Seins" im Hintergrund mit dem Vor-
philosophieren", die da am Werke war, und um die es Dilthey selbstvor allem ging,
behalt ihrer Univ~rsalität. Aber er führt doch gelegentlich (392) "Sein" und
die er demgemäß mitten in der handanleg~nden Arbeit durch Besinnung über
"Bewegung" ~ebeneinander wie glekh gewichtige Grundbegriffe auf. . . .
den ~inn seines forschenden Tuns begrifflich aufzuklären sich mühte; nahm er
Und doch_ ,so stark das alles ist~ sosehr die Dynamik des Lebens s1ch m
schließlich· den Titel "Lebensphilosophie" auf, einen Namen, mit dem der
dieser Hermeneutjk des Daseins geltend macht: die ontologische Einstellung
Philosophiehistoriker jene unschulmäßigen Denker bezeichnete, die sich von
des Analytikers behält die Oberhand., undjener Vorbehalt, den Heidegger zu-
den Erbauern der Systeme unterscheiden und aie in der zünftigen, dogmatisch
gunsten der Seinsidee machte, war durchaus am Platz. Denn wie er das he-
44 Die Dynamik des l~ebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode Macht des Lebens oder Seinkönnen des Daseins 45

eingerichteten Historie so schwer unterkommen, obwohl ihnen Platon, der Platon Einer der bekanntesten Sätze Diltheys, mit dem er einmal eine klipp und
der. Jugenddialoge, vorangeht! die römischen ,Moralisten', die ,Dichterdenker' klare, als Motto für Bücher verwendbare Formulierung. gegeben hat, lautet:
der Renaissance wie Brund;, un philosophe ·impremedite et fortuit, wie Montaigne "Was der Mensch sei, das erfährt er nur durch die Geschichte". Auch dieser Satz
sich nannte, Pascal und Goethe oder die ,freien Geister' des 19. Jahrhunderts. ist nicht als eine rein diskursive Feststellung zu verstehen, so daß das Gemeinte
So ordnete er sich durch jene Benennung einem bestimmten Typus der Ein- in der Aussage voll aufgehoben und rein aus ihr zu entnehmen wäre, sondern als
stellung und Haltung des philosophischen Denkens zu und stellte damit ein Ausspruch, der nach der Art einer ,evozierenden• Formulierung auf die
zugleich - wie das beides in seinem geschichtssystematischen V erfahren ent- Sache, hier also auf das V erfahren des geschichtlichen Verstehens, zurückweist.
halten ist (V, 343) -seine vorwärtsgerichtete Intention in den historischen Zu- "Was der Mensch ist", sein Wesen also: das geht zunächst einmal nicht, wie in
sammenhang ein, der die Vertreter dieses Typus miteinander verbindet und den Auguste Comtes Satz·: "Pour vous connaitre, connaissez l'histoire !" auf eine
er selbst von den römischen Moralisten her in die Renaissance hinein verfolgt unveränderliche constitution fondamentale des Menschen, die uns nu.r nicht
hatte (II, 9ff.). Diese Intention versteht sich dann dahin, die Domäne der direkt (auf physiologischem oder psychologischezn Wege) zugänglich wäre,
Lebensphilosophie, die hislang entweder von dogmatischen Überzeugungen (sei sondern gemeint ist mit dem ,Sein' des Menschen zugleich: was der Mensch ver-
es der stoischen, sei es der christlichen) oder von der genialen Subjektivität he- mag - die innere Mächtigkeit des menschlichen Lehens: nicht bloß ini Sinne
herrscht war, endgültig zu erobern, d. h. die freie Haltung jener freien Geister. des Unerschöpflichen, wie die Quelle mehr ist als der Strom, sondern im Hin-
durchzuhalten bis zu philosophischer Wissenschaft. Es erscheint auf den ersten blick auf jenes 'ltOAAOt tdt ömli als ,Macht': Das Wort ,Macht' in der elementaren
Blick höchst seltsam, fast naiv, w'enn er den Anspruch erhebt, "auf dem Wege verbalen Bedeutung genommen, in der es, im Unterschied sowohl zu dem nomi-.
methodischer Wissenschaft" (des näheren durch das Ausgehen vom "seelischen nalen.Ausdruck ,Kraft' (copia) wie zu dem erlernbaren Können der ,Kunst', .
Strukturzusammenhang") die Aufgabe lösbar .zu machen, die die genialen zunächst die leihhafte Beweglichkeit und sodann die personale Gestaltungs-
Lehensdeuter wie Nietzsche sich gestellt hatten (V, 371). Aber auch hier liegt kraft1) ebenso wie das genialische Sprudelnkönnen umfaßt.
die Entscheidung in dem V erfahren. - Das ,Lehen', das er (in Erweiterung Hier hat Heidegger mit der ganzen Schärfe des Begriffs d.urchgegriffen, so
·jener an Kant orientierten Anknüpfung an den seelischen Strukturzusammen- daß niemand mehr es übersehen kann:
hang: V, 354) als Ausgangspunkt d~r Philosophie hinstellte, ist ihm, wie Heid- "die Seinsart des Daseins als· Seinkönnen". "Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch
eggertteffendformuliert, Gegenstand der GeistesWissenschaften und Wurzel besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann
und wie es seine Möglichkeit ist" (143).
derselben zumal. Diese Formulierung trifft aber nur, wenn das ."Zumal" als
Hinweis auf die Methode verstanden wird, auf den wesentlichen Zug der Me- Mit Hilfe seiner Antithese: Dasein - Vorhandensein und der entsprechenden
thode, der dadurch angezeigt wird, daß sie sich ständig in der Bewegung hält Scheidung de~ "Existenzialien" von den Kategorien vermag er dieses lehens-
zwischen der Wurzel und der Krone, von dem Strom zur Quelle hin und her. mächtige "Möglichsein" vor der Verwechslung mit der apophantisch-logischen
· "Hinaufhinah- Ein Weg" (Heraklit). Aus dieser Bewegung führt schon die Möglichkeit zu schützen und so die These: "Höher als die Wirklichkeit steht die
Bestimmung heraus, die Heidegger - in der Angleichung der eigentlichen In- Möglichkeit" (38) festzuhalten, ohne sich dem Platonismus zu verschreiben.
tention an das Ziel einer "Ontologie des Lehens" -beifügt: es handele sich bei
dem ,Lehen' um "die Weise, in der der Mensch ist". 1) Vgl. des Verf. Aufsatz "Von den Gestaltungen der Persönlichkeit" (1911) S. 83, 92.
Die notwendige Mannigfal~igkeit der Daseinsformen (bioi) 47
46 Die Dyna",nik des Lebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode
Dieser Weg möchte als ein indirekter erscheinen: sich an die Hervor-
"Als modale Kategorie der Vorhandenheit bedeutet Möglichkeit. das n?c.h nicht ~irkli~he ~nd
· ht· · 'ls Notwendige. Sie charakterisiert das nur Mögliche. S1e 1st ontologtsch mednger bringungen halten, statt geradezu auf das Wesentliche loszugehen und das
d asnlC Jema . · . • · d'
1 di Wirklichkeit und Notwendigkeit. Die Möglichkeit als EX1stent1al dagegen 1st 1e ur- Leben "in seiner geheimnisvollen Verbindung von Schicksal, Zufall und ·Cha-
as e · h · d D · " (143)
sprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmt e1t · es asems · ' • rakter" (yn, 74) als ,die Weise, in der der Mensch ist' zu zergliedern. Aber
Aber schon im Sprachgebrauch; daß er statt des Wortes ;Macht und m ter-
das für den Phäriomenologen direkte Faßbare, das neutrale"Seindes Menschen"
minologischem. Vorzug vor dem äc:Juivalenten Wort ,Können' den Begriff
ist für das "historische Bewußtsein" gerade das Nachträg Ii c h e, ein Ergebnis
.. 1· hk I't" der in der rein diskursiven Sphäre beheimatet ist, verwendet.,
" M.og IC e , . isolierender Formbetrachtung, gegenüber .den mannigfrutigen Weisen ein
das weist auf die uns anstößige Stelle hin. Nur indem die Lebensmacht und die
Mensch zu sein, den bioi, die das Allgemeine und Besondere ineins zeigen und
apophantisch-logische Kategorie unter dem- wie immer ~espaltenen -.Be-
zu denen als inhaltvollen Daseinsformen die ursprüngliche Linie des Zusammen-
griff "Möglichsein" zusammengenommen werden, können sie unte.r den emen
hangs vom be~eglichen Leben her direkt hingeht.
Hut der Seins-Idee gebracht werden, so wie von dieser der Dualismus ·von
. "Der Mensch überhaupt ist uns nur unter Bedingung verwirklichter Möglichkeiten da. Auch in
Dasein und Vorhandensein überhaupt ,;umgriffen" wurde.- Positiv aber tritt den K~tursy'st.emen suchen wir eine anthropologisch bestimmte Struktur, in welcher sich ein
die Stelle ·heraus, wenn wir von der begrifflichen Formel, in der das Ziel "fest- ~ reahs1er~. ~u nennen es das Wesen, aber das-ist nur einWortfür ein geistiges Verfahren, das
eme~ beg.nfflichen Zusammenhang in diesem Gebiete konstituiert• Die Möglichkeiten in diesem
gemacht" ist, auf die Bewegung des Verfahrens zurückgehen, die auch durch
Geb1ete smd auch hier nicht erschöpft". (VII 279.)
jenen programmatischen Ausspruch Diltheys hindurchscheint.
So ist das ,leben', sofern es die Wurzel der Geisteswissenschaften ist, wohl
Daß der Mensch "nur durch die Geschichte erfahre", was er sei (vermöge),
das Eine, das menschliche, aber kein "Wie des Seins'', sondern die Wurzel,
. das gewinnt seinen vollen Sinn erst durch die Bedeutung der "geschichtlichen
die ,nicht ist, sondern lebt'. Und sofern es der Gegenstand dieser Wissen-
Erfahrung". Sie bedeutet nichtbloß einen Weg der Erkenntnis, zur objek-
schaften ist, zeigt es sich zwar als ein Wie des Seins, aber notwendig in einer
tiven _ kraftbewußten und· zugleich illusionslosen - Selbsterkenntnis hin,
Mannigfaltigkeit, deren Verbindung im Mensch\lntum eben nicht bloß die Be-
sondern das Zurücklegen des Weges~ den die . Geschichte in Schicksalen und .
sonderung eines Allgemeinen, sondern .ein geschichtlich erwirkter Zusammen-
Entscheidungen geht, das Mitmachen der Erfahrungen, das uns von der Größe
hang ist, wie das oben schon (S. 44 bei dem Namen ,Lebensphilosophie') be-
des Menschen, aber auch von der Gemeinheit, deren er fähig ist, überzeugt. Der
merkt wurde.
Mensch hat seine Vergangenheit. Sie erschließt sich ihm immer nur innerhalb
So tritt die Hermeneutik, wie sie Dilthey als Grundlage des durch die Geistes-
des Horizontes der jeweiligen Erlebnislage von der Zukunft her, und so immer
wissenschaften hindurchgehenden Lebensverständnisses im Sinne hatte, der
wieder neu: Aber dieses Moment, von dem aus Heidegger die Geschichtlichkeit
Heideggerschen "existentialen Analytik", die als "Hermeneutik des Daseins''
des Daseins konstruiert, ist nur eines. Das Befreiende, das die geschichtliche
auftritt; gegenüber.
Erfahrung hat, das, wodurch sie zu einer Kraftquelle und zugleich. zu ei~er
Aus seinen. Gespräc~en mit Dilthey heraus hat das Groethuysen angegeben (VII, vn): "Die
M~1hnung an die Grenzen des Mensc~en im Sinn des delphischen ,Erkenne dich Hermeneutik hat kemen selbständigen G-egenstand, dessen Erkenntnis grundlegend wäre für die
selbst' wird, diese ihre Lebensmacht liegt darin, daß sie jenen Horizont ent- Auffassung und Beurt~lung weiterer davon abhängiger Gegenstände. Die hermeneutischen
Grundbegriffe.lassen sich ~ur. an den Geisteswissenschaften selbst zur Darstellung bringen; sie
schränkt, und das hängt daran, daß wir das geschichtlich Gewesene trotz des . setzen sc~~n d1e g~samte ge1s~~e W ~lt voraus. So ist die Totalität des Lebens ~elbst ihr Ausgartgs-
subjektiven Zuganges zu ihm aus seiner eigenen Mitte her zu erf~hren vermögen, pun~t, wa~rend s1e andererseits Wieder zu einem Verständnis der Totalität führen". Treffend
erk~art er hierzu, um den Unterschied zu der "beschreibenden Psychologie" ~u kennzeichnen, von
freilich nur mit dem AufgeBot aller Mittel der historisch-philologischen Methode.
Das Eine Leben a,ls 'bestimmt-unbes~immter • Grund 49
48 Die Dynamik des Lebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode
Heidegger selbst einmal sich seine Lebe~sdeutung von der Geschichte durch ein
der Dilthey zunächst- analog wie die Phänomenologie Husserls- ausgegangen war: "Es handelt
sich nicht mehr um einen Aufbau von unten auf, um eine Grundlegung, die von bestimmten, als Selbstzeugnis bestätigen
, läßt,
. wie bei dem Begriff der
. " Sorge"
. ,. de.m zur . B e-
solchen zu zergliedernden und zu beschreibenden Tatbeständen ausginge, sondern um ein V er· zeichnung der Ganzheit des menschlichen Seins gewählten Begriff, für den er
.ein· Werk des mittelalterlichen Schrifttums heranholt, ~rscheint das V erfahren
fahren, das von vornherein an der Gesamtheit der Geisteswissenschaften orientiert ist."
Das Indirekte des Verfahrens aber, das durch den Weg über den "Aus·
ganz seltsam verdünnt; aus dem methodischen Kunstgriff ist ein zufälliges Auf-
druck", über die Objektivation des Lebens, kommt, vermittelt gerade die Direkt-
greifen geworden.
heit des "sich vis a vis zu den Objekten Stellens". Denn der Kunstgriff ist, sich
Und ebenso .wie die ·Hermeneutik, in der das Leben als Gegenstand der
an die Selbstauslegungen des Lebens zu halten, von den Worten der
Geisteswissenschaften auftritt, in eine die Gegenständlichk~it auflösende Be- .
Sprachen an, "in denen bereits die Auslegung der Welt einsetzt" (Typen 11), bis
wegung hineinführte - "die Bewegung von. Auslegung von Objektivierungen
hinauf zu den Aussagen, in denen ein Einzelner, eine Gemeinschaft, eine Lebens-
de~ Erlebten" (VI, 317) - , so ist es nun auch, nur in umgekehrter Richtung,
form ihr Wissen von sich selbst aussprechen. Solche Aussagen oder richtiger
be1 der "Strukturpsychologie", die der Wurzel dieser Herv~rbringungen im
Aussprüche, , Sprichwörter' - wenn wir diesen treffenden Ausdruck in einem
Leben nachgräbt, Wie es in jener Selbsteinschätzung Diltheys hieß, ~n der er
erweiterten Sinn nehmen dürfen, wo er die v9n der apophantischen Logik über-
seine Intention als "AnfangeinerPhilosophle" bezeichnete, "welche den großen
gangene, aufschlußreiche Schicht von Sätzen umfaßt, - solche Sätze, die im
Phänomenen der Dichtung, Religion und Metaphysik wirklich genugtut": daß
Hervorbringen, im "Wirkungszusammenhang" des Lebens aus dem lnne-
~ie das tue, "indem .sie deren. Einheit in ihrem letzten Kern begreift". Dieser
werden des Erwirkten entspringen, sind im Sinne Diltheys (VI, 304) "gänzlich
,,letzte Kern" soll aufgebrochen werden, indem das menschliche Leben als ein
zu unterscheiden" von den rein diskursiven Aussagen über die- zu rein theo·
Strukturzusammenhang bestim~t wird. Aber was sich da auftut~ ist nichts in
retischen Gegenständen festgemachten - Seinsgestalten des Menschlichen. -
sich fest . Bestimmtes, . das als erkenntnismäßiges Wesen oder Seinsweise des
Auch Heidegger bedient sich dieses indirekt-direkten Verfahrens, wie denn
Daseins der Analyse standhielte - . .
der Weg über den Ausdruck die erste Etappe in dem Fortgang von der "em·
wie alles, "was in sich fest bestimmt ist, sich ob1ektiv bestimmen lassen muß d . h
pirischen Psychologie" zur Phänomenologie hin war. Aber wie seine Herme· b' k · b · · • , un was s1c
~. ~e.. t1v estimmen läßt, sich, ideal gesprochen, in festbestimmten Wortbedeutungen ausdrücken
neutik als Konstitutionsanalyse des "Daseins" den dynamischen Zusamm~n­ laßt (Husserl, Log. Unters. li I, 90) - , ·
hang im "Sein des Menschen" auf eine gleichförmige Bewegtheit zurückführt,
sondern ein "bestimmt-unbestimmtes" Gefüge, das der Zergliederung Grenzen
diese aber zwischen dem Sich-selbst-finden und Sich-an·di~- Welt-verlieren,
setzt, weil es zu weiterbringendem Schaffen frei ist .und erst in diesem zu wir·
zwischen Konzentration und Zerstreuung verläuft, haben für ihn auch die Selbst·
kungskräftiger Bestimmtheit sich zusammenzieht; denn es enthält die Dyna-
auslegungen des Lebens diese doppelte, in sich gegensätzliche Bedeutung: daß
mik. des Lebens in sich. .
sie es zugleich aufschließen und verdecken. Damit ist die Entscheidung über den
Dilthey selbst legt ·auf diesen dynamischen Zug alles Schwergewicht: Jene
Aufschluß, den sie zu geben vermögen, der ontologischen Systematik überant·
hochgreifende philosophische Einschätzung seiner Arbeiten als eines neben An-
wortet, im Gegensatz zu der von Dilthey geforderten absoluten Wechselbe-
·fangs kommt von da her. Sie ergibt sich ihm, indem er nach der Stellung seines
ziehung zwischen dem systematischen und dem geschichtlichen Zuge der
Ausgangspunktes im Zusammenhang der "Standpunkte in Geschichte gegen-.
Lebensinterpr~tation, und zu der in dieser Wechselbeziehung sich bewährenden über der Bedeutung de~ Lebens", fragt, bei der zu Beginn erörterten Frage also,
Überzeugung von dem "geschichtlichen Tiefsinn dessen, was ist". Wo aber
Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 4
Die Dynamik des Lebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode Das Wissen vom Unergründlichen verbindlich für die Logik 51
50
was nach dem Wegfall eines "absoluten Punktes" denn im Grunde noch haltbar wirkt: so, daß das Wissen vom Unerforschlichen für die Theorie des Wissens
bleibe vor dem alles auflösenden Relativismus? Und da erklärt er: selber verbindlich wird. Jenes Grundverhältnis soll "erkannt", die Unerkenn·
· der Tiefe der Seele selbst liegt eine Be:jliehung zwischen dem Irrationalen in ihr,ihren harkeit des Lehens "nach ihren Gründen klarg~macht und hiervon die Folgen
"ab er m. . · . ·. · . .· · d d b"ld
Sehnsüchten, der Grenzenlosigkeit derselben, die in unbewußten Ttefen liegen, un. er 1 . en· entwickelt werden": erst damit rechtfertigt sich der Anspruch der Lehens-
den Gewalt in ihr, die Zweckzusammenhänge setzt und sich in ihnen auslebt. - Das 1st nun mc~t
philosophie, ein philosophischer "An:fang" zu sein; D"as heißt aber nichts anderes
ein fester Punkt, sondern ein Strukturzusammenhang,. der Bedeutung setzt und dessen V an·
atiorien in den Weltanschauungen liegen." (V, cx)
als: den Weg zu einer Logik gehen, die den Intentionen der Lehensphilo-
Das, was hier von der "Tiefe der Seele" gesagt ist, betrifft dasselbe Grundver· sophie entspräche. Also nicht mit dem Wissen des Nichtwissens enden in der
hältnis, das· "die Philosophie der Wirklichkeit und des Lehens" in ihrer Aus- Weise der docta ignorantia, sondern von ihm aus aufh~uen, und nicht nur es
breitung über alles Menschliche findet: daß diese Wirklichkeit des Lehens· ge· positiv in dem unverbindlichen Sinne nehmen, daß ohne es, bei restlos er-
dankenmäßig, in ihrer Gedankenmäßigkeit bedeutsam, und doch zugleich ganz reichter Durchsichtigkeit, die Wissenschaft ebenso wie das Lehen selber schal
und öde würde, sondern in der logischen Grundlegung ebenso wie in. der geistes-
unergründlich ist (V, CXVI). - · · ..
Aber was ist nun hiermit für den Aufhau der Philosophie gewonnen ? Ist denn wissenschaftlichen Interpretation die hermeneutische Bewegung· durchführen:
hier etwas anderes ausgesprochen als das, was alle entwickelte Philosophie willst du ins Unendliche schreiten, geh nur im Endlichen nach ·allen Seiten.
Von Logik dürfen wir hier sprechen, ohne dem Worte Gewalt anzutun. Denn das Wort "Logos"
ihrem zwiefachen Zuge entsprechend, dem metaphysischen und dem der Auf-
hat, mit dem vollen Gewicht genommen, wie es von Heraklit zu einem Urwort der abendländischen
klärung, bewegt? Gedankenmäßigkeit und Unendlichkeit - diese beiden Philosophie geprägt worden ist, eine doppelsinnige Bedeutung, die eben jenes Grundverhältnis
Brennpunkte der philosophischen Bahn, deren Nähe oder Ferne zueinander die von Gedankenmäßigkeit, Bedeutsamkeit und Unergründlichkeit betrifft: es bl!zeichnet in seiner
Beziehung auf Maß, Gesetz und Ethos die Gedankenmäßigkeit des Lebens als etwas in seiner all-
Form der Bahn bestimmt (Fihelll4, 274), scheinen hier lediglich nebeneinander, gemeinen Verbindlichkeit Erkennbares und verstattet doch zugieich, in bezug auf die Seele, den
für die "Seele" wie für das "Lehen" gleichermaßen nebeneinander, oder doch Spruch, daß in ihr "der Logos sich selbst mehrt", und über diesen Zug der Produktivität hinaus,
die eben nicht in der puren Lebendigkeit, sondern in dem "besonnenen Feuer" gefunden wird,
nur in einer rätselhaften "Beziehung'' zueinander, hingestellt zu sein. Indes,
die metaphysische Bestimmung, wonach die Unergründlichekit der Seele gerade auf der Tief-
jene Erklärungbesagt doch mehr. Wohl zeigt sich uns hier der Zusammenhang, gründigkeit des Logos in ihr beruht- o!J.rw ßa&1w AOjOY exs~.- Aher wenn wir uns auf dieseEin-
in dem die "Lebensphilosophie" mit dem ewigen philosophischen Bemühen sieht Heraklits berufen, uiil die Frage nach dem Logischen als die ursprüngliche und ulllfatlsende
gegenüber der nach dem Sein zu bewähren, so wird diese Berufung erst rechtskräftig durch die
steht, und wenn Dilthey das Ziel der Philosophie überhaupt dahin bestimmt: Erkenntnis, welche Bedeutung auch hier wieder der Geschichtlichkeit der Philosophie zu-
"Lehen ganz, unverstümmelt gewahren!", so kann er das, ohne die Philosophie kommt. Denn daß das griechische Wort "Logos" die systematische. Tragweite gewimlen konnte,
in der es die gesonderten, rationalen und überrationalen Momente des Lebenszusammenhanges
selber zu verstümmeln, eben deshalb, weil er in ihm allenthalben, an der Wurzel
mit einem Griff zu fassen vermag, das läßt sich nicht schlechtweg aus der sprachlichen Bedeutung
wie in den Zweigen, jene "Beziehung" findet zwischen der "Gedankenmäßig~ desselben herleiten, sondern das führt zurück auf den eigentümlichen geschichtlichen Zusammen·
keit", wie sie sich am reinsten in der Erkenntnis der gesetzlichen Ordnung der hang der Entstehung der Philosophie in Griechenland.
Logos, das im Pluralis brauchbare Wort, bedeutet "Rede", und zwar in ausdrücklicher (dem
Welt ~rschließt, der "Bedeutsamkeit" hzw. dem "Sinn der Wel~", der sich in gegenständlichen griechischen Denken selbstverständlicher) Hinsicht auf die Einheit von Reden
der Anschauung der Individuation und Spezifikation "ain tiefsten öffnet" (V, und etwas Meinen. Heidegger, der die Rede als einen fundamentalen Seinscharakter des Daseins,
als ein "Existential" versteht, bestimmt "den Iogos" als einen "Modus des Sehenlassens". und
271) und dem Unergründlichen, das wir nur im Gleichnis haben können. Aber
geht von jener Bedeutung aus, um sie als das Fundament und die Bedeutung. "Vernuuft" ais
das Entscheidende ist doch erst, wie sich dieser mit der Gesamtphilosophie ver- fundiert zu erweisen. "Weil die Funktion des Iogos im schlichten Sehenlassen von etwas liegt, im
bindende Zusammenhang nunmehr in der philosophischen Grundlegung aus- Vernehmenlassen des Seienden, kann Iogos Vernunft bedeuten" (34). Aber unser deutsches

4*
r
52 Die Dynamik des Lebens und der Zirkel der hermeneutischen Methode Der Weg der Leben~philosophie zur Logik 53

Wort "Rede" stammt doch wiederum von ratio her! Und in dem griechischen Sprachgebrauch, Gedankenmäßige und Unergründliche zugleich, in ihrem fundamentalen philosophischen Belan
aus dem Heraklit das Wort aufgenommen hat, ist die Beziehung aufVemunft; Verstand, ja Be- auf ein Bemühen um die Logik hinauszulaufen scheint. g
rechnung unzweideutig ausgeprägt'). So finden wir uns hier auf den "Zug der Aufklärung"
zurückgewiesen, der vom Lehensverhalten her, dem werktätigen Wissen und der gedanken- Bei Dilthey selbst· isi dieser innerlich notwendige Zug zur Logik am Werke,
bildenden Arbeit des Lehens, sich in die Philosophie hineinerstreckt. Ein Beleg dafür ist es, wenn wenn er unter den "Prädizierungen aus dem Leben" neben Schönheit, Un-
Heraklit .:Jen Unverstand der Menschen nicht durch die Befangenheit in der sinnlichen Wahr-
nehmung, sondern dadurch kennzeichnet, daß ihre Seele "barbarisch" ist, d. h. (wie Snell treffend heiligkeit, Freiheit u. a. aufführt: "innere Logik, innere Dialektik" (VII, 238).
interpretiert) "die Sprache" von Augen und Ohren "nicht versteht". -Andererseits das meta- Und vorwärtsdrängend, gleichsam in die Mitte d~s zu Leistenden vorgreifend,
physische Moment: daß das Wort "Logos", das das Stammwort für die Wissenschaft der Logik
macht er sich geltend in der Konzeption der "Kategorien des Lebens".
{'ta ko&t'~<a) abgehen sollte; vorerst, im Anfang der abendländischen Philosophie, die Stellung ein-
nehmen konnte, in der es, auf den Singularis reduziert, den metaphysischen Urworten des Orients, In den Aufzeichnungen zu diesem Thema~· Entwürfen letzter Hand, die
hrahma und tao, entspricht, - auch das möchte man .auf Grund jener Bedeutung verständlich ~ns durch die jüngste Veröffentlichung zugänglich gew'orden sind, ~ haben
finden im Hinblick auf die Macht der Rede und die anfängliche Ausdeutung ihrer Lehensniacht,
die primitive Überzeugung von der Magie der Worte, die Mythen von der Schöpfung der Welt wir das Verfahren vor uns, wie auf dem Boden der Lebensphilosophie jenes
durch das Wort. Aber dem steht das vorhin Betonte gegenüber: die Atmosphäre der Aufklärung "zu-Ende" Denken" erfolgt, und kö~nen die phänomenologische Ontologie davon
in Griechenland, wo vor der Philosophie Homer dagewesen ist und vor dem Auftreten der Meta-
. abheben. So wird der Gegensatz, der innerhalb der gemeinsamen Aufgabe
physik die verwegenen En~würfe des W elthegreifens aus der Antizipation der Üherschauharkeit
und Durchsichtigkeit der Natur der Dinge hervorgegangen sind. Im Gegensatz gerade zu dem einer systematischen Aufklärung des Lebenszusammenhanges bei dem Problem
vergleichbaren Worte hrahman, das sich auch zunächst auf die menschliche Rede bezieht, aber der Analyse hervortrat, sich tiefer verfolgen lassen. Zugleich aber muß ~
in spezieller Hinsicht auf die Sprüche der Priesterweisheit und deren. geheimnisvolle Macht, ist
Iogos ein Ausdru{:k aus der Umgangssprache wie Wasser und Luft 2 ). Bei dem Worte hrahman darauf deutete der Rückgriff auf Heraklits. Logosbegriff vor ~ bei der diese
läßt sich die Erhebung zu der metaphysischen Würde, in der es auf den Singularis reduziert ist, Aufklärung vollendenden Richt.;mg auf das Logische auch der metaphysische
als ein logischer Vorgang begreifen, der der Loslösung des metaphy~ischen Wissens selbst von den
Zug sich geltend machen und so auch unsere erste Frage sich verschärfen,
religiösen bzw. magischen Lehensbezügen entspricht. Bei I o g o s dagegen kommt die metaphy-
sische Verwendung als etwas Neues hinzu zu der· andern, die für-den Aufklärungszug repräsentativ die sich zunächst gegenüber dem Ziel der "Fundamentalontologie" erhob: wo
war, und führt eben deshalb nicht zu einer Verflüchtigung desselben, soudem zur produktiven "das metaphysische Bewußtsein des Menschen", wie Dilthe~ es nennt, seine
Vereinigung mit ihm. So geht Heraklit, während er als Metaphysiker, eine religiöse Form auf-
nehmend, im Namen des "Allwaltenden" spricht, bei der Verkündung des Logos do<;h darauf aus, Eintrittsstelle in der existenzialen Analy~ik des Daseins hat.
die Erfahrungswirklichkeit auseinanderzulegen, "jegliches nach seinem Wesen erklärend und aus-
sagend, wie es sich verhält". Die Vereinigung heterogener Mächte, der bodenständigen griechischen II.
Vormacht der "Theoria" und des ;,metaphysischen Wissens" vom Unendlichen, das den Anfang
·der Philosophie überhaupt wesentlich bestimmt, ein entscheidendes geschichtliches Ereignis also, Der Begriff "Kategorien des Lebens" muß auf den ersten Blick widerspruchs-
hat sich in der P~ägung des fÜr die abendländische Philosophie k!lnnzeichnenden Urwortes objek- voll erscheinen. Ein terminus, der nicht bloß herkömmlicherweise, sondern
tiviert (Fibel, 56, 82).
Aber wie diese Vereinigung ·selbst, nachdem sie einmal durch geschichtlich-schöpferische Tat seinem eigenen Wortsinn nach auf die Aussagesphäre bezogen ist, wird hier ver-
ins Werk gesetzt ist, dauernd zu dem Werk .der Philosophie als solcher gehört, so ist auch der wendet, um das zugrunde Liegende, Wur~elhafte, die Ursprungssphäre selbst,
Logos-Begriff, nachdem er in der entsprechenden Bedeutung einmal geschichtlich errungen worden
ist, auch verbindlich geworden mit seiner Tiefe, wo er so weitstrahlsinnig ist wie die Philosophie
o~er vi~lmehr nicht Sphäre, sondern Ursprungsbewegung auf die innere Logik
selbst. Und wir gehen keinem Irrlicht nach, wenn uns die Richtung der Lebensphilosophie auf das hm anzusprechen. "Was wir suchen, iE?t die Art des Zusammenhangs, die dem
1)V gl. E. Hoffmann, Die Sprache und die archaische Logik, 1925. Leben selbst eigen ist" (VII, 235). Es scheint nur konsequent, wenn Heidegger
2)Dies gegenüber einer Bemerkung von Fritz Kaufniimn in seiner Besprechung der ,Fibel' den Begriff ,Kategorie' auf den Bereich des "Vorhandenen" einschränkt und
(Kantst. 32, 1926), diebesondere Beachtung verdient, weil sie das gegenwärtige Zusammentreffen
der von Dilthey und von Husserl ausgehenden Bewegungen anzeigte. für die Charaktere des "Daseins" eine neue Bezeichnung: "Existenzialieri."
I

Kategorien des Lebens (Dilthey} und Existenzialien (Heidegger) 55


54 Logik des Lebens und phänomenologische Ontologie
fallendes", mit "innen\reltlich Seiendem" beschäftigt, befindet. - Auch für
erfindet. Diese für sein ganzes Unternehmen kennzeichnende Begriffsbildung
Dilthey sind die Kategorien des Lehens nicht bloß universale · Auffassungs~
führt er dann freilich mit einer gerade aus der scholastischen Logik stammenden
formen, in denen sich da~ V erstehen jedes Lehenszusammenhanges vollzieht,
und in dieser lllaßgehenden Unterschei4ung ein (42), der von dem ontologischen'
"Werkzeuge von Lehenserflis-sung"., sondern "die strukturellen Formen des
Gottesb~weis her berühmten Unterscheidung von Existenz und Essenz, nur
Lehens selbst in seinem zeitlichen Verlauf kommen in ihnen zum Ausdruck".
in umgekehrter Wendung: für das Dasein gilt, daß die Existenz seine "Essenz"
Er erklärt: "das Verhalten, das in. ihnen ~u ~~;hstraktem Ausdruck gelangt,. ist
hzw. ,;Substanz" atls~acht __...,.woraufhin nun wiederum die Existenzialen und
der ausschließliche Angriffspunkt des V erstehe11s von Lehen" (VII, 199, 203,
die Kategorien unter dem ge~einsamen Titel "Seinscharaktere'' ontologisch zu-
232, 2tj,1 u. a. ). Aber dieses menschliche Lehensverhalten, z.u. dem das Ver-
sammengefaßt werden. Während uns fraglich ist, ob hier überhaupt für jene
stehen wesentlich gehört, trägt in sich selbst in der ganz innerlichen Weise
einer produktiven Spannung, die in dem oben (S; 50). angegebenen Gru~d­
Unterscheidung ein Ansatzpunkt ist. -,-. Demgegenübet rechtfertigt sich das
Festhalten an dem überlieferten terniinus "Kategorie"; der von Kant her zu
verhältnis angelegt ist, den Grund der Bewegung, in der. ein Zusammenhang -
einet weiten V erwendmi.g. freigeworden ist, dadurch, daß Dilthey auch für die
nicht eines neutralen "Daseins", sondern des einzelmenschlichen hzw. mensch-
Lehenskategorien selber an der durch diese Bezeichnung gekennzeichneten Be-
lich-gesellschaftlichen Lehens geschichtlich hervorgehracht wird und aus der
ziehung fe~thäk: zwischen der '"""":"" zur Ausdruckswelt en\reiterten ..,---.- Aussage- "l
iI ..... die zusammenhaltenden; Einheit und Ganzheit in der menschlichen Existenz
~phäre und dem, was durch den Ausdruck, von den Worten, Lehenshegriffen,
ermöglichenden· Strukturen herauszuh!>len sind.
;,Sprichwörter~" an bis zu den höchsten Ohjektivationen des Lehens zumAus- J "Das Verstehen", S!> bemerktDilthey, "ist an sich eine deni Wirkungsverlauf
druck gelangt; Wobei dann die Ausdruckswelt, in der wir leben, sich wiederum
verflüssigt, indem .sie aus. der. falschen Gegenständlichkeit eines auf si~h he- l selber" (wie er im "Erleben" aufgeht) ,;inverse Operati~>n" (VII, 214). Diese
Bemerkung bezieht sich auf die "höheren F~>rmen" des Verstehens, U:Di. die es
ruhenden· Bestandes zurückgenommen wird in den dynamischen Zusammen-
sich in der The!>rie der Geisteswissenschaften handelt, sie irifft aber auch ..,-
hang von "Erl~!.mis, Ausdruck und Verstehen". Hiermit ist bereits das ver-
wenn anders das Wort "an sich" ein Gewicht hat- das "elementare Ver~
schiedene Verfahren der Grundlegung angezeigt. .
stehen", das zum Lehensverhalten selbst gehört, und muß.dann darauf führen,
Für .Heidegger ist das zum Dasein gehörige Seinsverständnis ein Cha-
daß diese "inverse Operati~>n" auch unabsichtlich v~>llz~>gen sein kann. D~nn
rakter dieser Seinsart, der mit anderen ExistenziaHen ("Befindlichkeit" und
hier handelt es sich um Ausdrücke, die nicht bloß "~>hne psych~>l~>gische Re-
"vordiskursive Rede") zusammen eine der Grundstrukturen des Daseins aus-
fle:x:ion", s!>ndern !>hne (bewußtes) "Besinnen" sich einstellen, Ausdrücke der
macht, die von der Analyse ontologisch herauszuarbeiten ~;~ind. Es kommen
Sprache, der Dichtung usw., in.denen das Wissen V!>n den "festen strukturellen
da zunächst dieje~gen Strukturen in Betracht, die sich aus dem Ansatz er-
Beziehungen" der Erlebnisse ursprünglich vorliegt: - wie Dilthey hieraufhin
gehen, daß ·das Lehen Praxis sei, ein Zutu.nhahen mit "zuhandenem Zeug."
erklärt: "Das Wissen ist da, es ist ~>hne Besinnen mit dem Erleben verbunden,
innerhalb der Welt, die demgemäß selber, als "Weltlichkeit" des Dasei~~ zu den
und es ist auch kein anderer Ursprung und Grund desselben auffindbar, als eben
ExistenziaHen gehört im Sinne ~ines "Bewandtnis"- oder "Bedeutungszu-
in dem Erleben" (VII, 18). Bewußt v~>ll~~>gen aber, in der ~esinnung, die
sammenhanges". Von hier aus ergibt sich danli. (auf einem noch zu erörternden
sich v!>llendet in der l~>gischen Reflexi!>n über. die Kategorien, die "am Lehen·
Wege) die entscheidende metaphysische Bewegung zur Befreiung des Daseins
· aufgehen", führt diese "Operati~>n" das menschliche Lel:len. in sich selbst
aus der Befangenheit von der Welt, in der es. sich immer s.chon als e!n "ver-
56 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Das gemeinsame philosophische Anliegen hinter den weltansch~ulichen Gegensätzen . 57
!
II
zurück; denn es handelt sich ,nur' darum, jene immanente rückwendig•pro- :II
1
,,
die philosophische "Aktion" dahin bestimmte: das Lehen ins Bewußtsein er-
:I

duktive Bewegung des Wissens begrifflich aufzuklären, durch die der Zu- I
hehenund zu. Ende denken, innerlich die in ihm liegenden Konsequenzen ziehen
G
sammenhang des Lehens in seinen eigenen ,,strukturellen Formen", den Kate- (oben S. 27). Auf die Art dieses Zuendedenkens aber kam es an.· So wollte auch
gorien, zur ausdrücklichen Entfaltung gelangt: zu einer "Explikation, die Dilthey selbst mitjener Erklärung gar nicht seinen Weg bloß angehen, sondern
zugleich Schaffen ist". gerade das ihm. mit einer bestimmten .Gruppe von Denkern Gemeinsame. Von
So ist der Logik in ihrem Zentrum, der Kategorienlehre, der hermeneutische diesem Gemeinsamen muß sich also die Differenz abheben.
Charakter aufgeprägt. Die Kategorie "Bedeutung" aber, die - mit der der Aber hier werden wir nun, wenn wir dem nachgehen und Dilthey hören, wie
"Kraft" zusammen - im Brennpunkt dieser hermeneutischen Logik steht, hat er diese gemeinsame Haltung kennzeichnet, zunächst in V erwunde~ung gesetzt.
d~nn einen anderen und umfassenderen Sinn als in Heideggers Ontologie des Er kennzeichnet· nämlich die Übereinstimmung, in der er sich mit dem Prinzip
"faktischen" Daseins, das durch das verfallende "s~hon Sein in derWeltbei inner- des Ausgehens vom Leben findet, dahin: sie betreffe "alle mystischen, alle ge-
weltlich Seiendem" bestimmt ist: sie will gerade die Möglichkeit eines dauern- schichtlichen und alle heroischen Phil';'sophen". Und diese Zusammenstellung
den Gehaltes sichern, den wir Menschen nach unserer Lage in der Welt in der Ge- muß überraschen, da er selber davon mitbetroffen wird. Ein "geschichtlicher"
staltung unserer Existenz zu erringen vermögen. Das ist nunmehr klarzustellen. Philosoph gewiß, auch den Mystikern verwandt, - aber heroisch? wo doch dies
Wir fragen zunächst, in Verfolg der bisherigen Darlegungen, n~ch dem V er- gerade die Richtung der von Heidegger und seinen Schülern vorwärtsgetragenen
fahren, das. zur Aufstellung von so etwas wie Lehenskategorien führt, und so- Gegenbewegung ist, die aus dem Geist des Grafen Yorcketwas mehr Heroismus
dann nach dem Zusammenhang derselben. Die erste Frage nimmt das Problem indas Diltheysche Werk hineinführen möchte. Wir stoßen hier auf den Punkt
der Analyse auf, dessen Bedeutsamkeit bereits hervorgetreten ist. Es wird zu . '
#
wo sich diese befremdliche Wendung auflösen muß, wo aber zugleich eine letzte
zeigen sein, wie die Art und Begrenzung des analytischen Verfahrens durch die Differenz sich geltend macht, die tiefer liegt als der Gegensatz von Logik und
Einstellung und Haltung des lebensphilosophischen Denkens bestimmt ist (11, 1), Ontologie.
~nd daraus soll sich - in bezug auf den entscheidenden Punkt von Heideggers Es liegt heutzutage nahe, sie in der "weltanschaulichen" Einstellung zu
Dilthey-Kritik - ergehen, welchen positiven Sinn die von ihm bemängelte ~ suchen. Man möchte Dilthey mit dem von ihm selbst bereiteten Werkzeug bei-
"ontologische Indifferenz'' des Begriffs des Lebens hat, der der Aufstellung der kommen und seine Konzeption des Lebenszusammenhanges einem der Typen
Kategorien zugrunde liegt (11, 2). Sodann aber handelt es sich um die Ver- der Weltanschauung zuordnen- dem "objektiven Idealismus". Sein Hervor-.
bindung der Lebenskategorien hzw. der ExistenziaJien untereinander, ·um· den kehren der Unergründlichkeit des Lebens zusammen mit der Gedankenmäßig-
Syndesmos also, und da wird die nächste Frage sein (I11, 1), wie er sich fassen keit und Bedeutsamkeit, das kontemplative Verhalten überhaupt, der Satz
läßt, wo er nicht mehr in rein gedanklichen Beziehungen der Begriffe, als vin- von dem "geschichtlichen Tiefsinn dessen, was ist", weist im Sachlichen darauf
culum rationis, sondern als bewegliches Lehenshand gesucht wird. hin, wie im Persönlichen die Frage, die er sich selbst gerade im Hinblick auf den
Grafen Y orck gestellt hat.:
1.
"Ist mein eigener historischer. Gesichtspunkt nicht unfruchtbare Skeptizismus, wenn ich ihn an
Im methodischen Prinzip fanden wir die existeq.tiale Analytik des Daseins
einem solchen Lehen messe ? Wirmüssen die Welt leiden und besiegen, wir müssen auf sie handeln:
mit der Lebensphilosophie einig. Heidegger selber bezog sich darauf, wie Dilthey wie siegreich tut das mein Freund: w~ ist in meiner Weltanschauung die gleiche ~aft ?"(V, cxn).
58 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens
Das gemeinsame philosophische Anliegen hinter den weltanschaulichen Gegensätzen 59
Ein sprechendes Selbstzeugnis, in dem der kontemplative, der geschichtliche
nicht ein Ergebnis der Analysen ist, sondern die "Voraussetzung" derselben,
Denker sich an dem heroischen Menschen mißt und um die eigene Zulänglichkeit
und Z'far nicht im einzelnen, sondern ihrer ganzen Anlage, dürfte dem Un-
bange zu werden scheint! bis zum Bedenken der Fruchtlosigkeit seines philo-
befangenen von vornherein klar sein. Ebenso, daß dies eine· bestimmte zwar
sophischen Bemühens den Aufgaben des Lehens gegenüber - während ihn ·'
Zentrales treffende, aber einseitige Ansicht des Daseins ist. Und die herrische
doch das Goethe-Wort bewegte: "Was fruchtbar ist allein ist wahr". Und wie
Art, wie Heidegger überkommenes philosophisches Lehrgut verarbeitet, wie er
für die Lebenswahrheit, so scheint auch für die Begrifflichkeit dieser "Lehens•
auch, z. B. bei der Aufnahme von Augustinus oder Kierkegaard, gewisse Lehens-
philosophie" der Mangel an Stoßkraft durch die weltanschauliche Stellung be-
begriffe aus der Literatur sich aneignet, um sie zu Bestandteilen jener Anlage
dingt zu sein. Das von Husserl herausgestellte - und auch schon von .dem
zu machen, das ist nur ein weiterer Beleg hierfür. Wir werden noch darauf zu-
Grafen Yorck empfundene--'- Ungenüge in der Formulierung der Probleme und
rückkommen müssen, auf welchem Wege es ihm denn nun gelingt, die erzielte
in der methodischen Durchführung der Analyse wäre von hier aus zu erklären.
Durchsichtigkeit der Ontol()gie wenigstens scheinbar zu erreichen, also aus der
Aber ein~ solche Erklärung greift doch nicht durch. Sie trifft nicht den Grund
Seinsart des Daseins die zentrale, kurz zu sagen ,ethisch-idealistische' Be~
des Gegensatzes, sondern relativiert ihn nur. Denn das "weltanschauliche"
wegung herzuleiten, die von ihm in allihrer Macht herausgestellt wird, wenn
Moment macht sich auch in Heideggers phänomenologischer Ontologie he-
auch noch so formalisiert, vielmehr durch die Formalisierung besonders stark.
merkbar, deren Konstitutions-Analysen gerade durch die terminologische
Aber eine solche Argumentation trifft, wie schon bemerkt, nicht den Kern
Schärfe der Begriffe und die Durchsichtigkeitder Fundierungsheziehungen aus-
des Unternehmens, weder bei ihm noch bei Dilthey. Sie betrifft nur die per-
gezeichnet sind. Und zwar macht es sich bemerkbar nicht bloß in dem Ansatz
sönliche Lehensverfassung der Denker, die sich in ihrem Werk als Kraft und
der Analysen, der bei dem "vulgären" Dasein in der "durchschnittlichen All-.
zugleich als Grenze geltend machen muß, aber auf dem heutigen, durch die
täglichkeit" genommen wird, sondern auch in ihrem Ergebnis. Als Ergebnis der
Transzendentalphilosophie gewonnenen Niveau nun eben nicht mehr auch zu-
scheinbar vorurteilslosen, exakten Untersuchungen stellt sich das Ergreifen
gleich das sachlich Entscheidende ist. Nicht mehr vermag sie sich wie in den
einer wesentlichen Lehensbewegung heraus, das auf den ersten Blick eine
konstruktiven Systembauten alten Stils in ihrer eigenen selbstverständlichen
typische, die ,ethisch-idealistische' Einstellung zeigt. Man möchte Heidegger
Mächtigkeit zu entfalten und sich der Begriffe nur als der Hilfsmittel zu he-
überhaupt so beikommen: er formalisiere nur eine typische Bewußtseins-
dienen, um von einem antizipatorisch ergriffenen, inhaltlich erfüllten Prinzip
stellung, und man kann dann seine kunstvolle Terminologie in die konkrete
aus in logischer Folgerichtigkeit den königlichen Weg von der Metaphysik zur
Lehenssprache übersetzen: die Möglichkeit einer voll erfüllten menschlichen
Ethik zu durchmessen, sondern sie weiß sich selber als eine Antizipation, als
Existenz wird durch den Akt der Entscheidung zu dem eigenen eigentlichen
einen von den ebenso gefährlichen wie fruchtbaren Vorgriffen der Einstellung
einsamen Selbst hergestellt, derart, daß das Selbst nun nicht, wie der Atman
und Haltung des Denkens, die es gerade zu durchschauen, durch das Durch·
d. er Inder für sich dastehend" als "Zuschauer" bloß, im Durchschauen des
'' ' . schauen unschädlich zu machen und positiv auf ihre Quellen im Lehen, auf die
Lehenstanzes, die Befreiung von der W elthefangenheit erreicht (Fibel 120,
ursprünglichen Erfahrungen zuri: ckzuleiten gilt .. Auf diesem Niveau bewegt
150), sondern aus der Vereinzelung entspringt vielmehr die große "Entschlos-
sich Heidegger ebenso wie Dilthey, der dieWeltanschauungenals "Variationen"
senheit", in voller Verantwortung, ja freudig die "Last" des Daseins auf sich
des Strukturzusammenhangs verstehen lehrte. Seine Lehre von den Typen der
zu nehmen. -Daß dieser Griff in die Mitte der menschlichen Lehensbewegung
Weltanschauungen will nicht ein Schema an die Hand gehen für das billige
60 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Das gemeinsame philosophische Anliegen hinter den weltanschaulichen Gegensätzen 61

Geschäft, jed~ Denker in eine Klasse einzuordnen, sondern läßt in dem Werk ethisch-idealistische Affekt, in dem, oberflächlich gesehen, die Stärke zu liegen
jedes der einzelnen großen Denker gerade die gesamtmenschliche Fülle ~er ver- scheint {wie bei dem als Philosophen mit Dilthey konfrontierten Grafen Y orck),
schiedenen jeweils anders betonten "Seiten" des Lehens sehen, und nur darum will aufgehoben sein in der philosophischen Haltung, die die des Fragenden ist.
handelt es sich: diese Mehrseitigkeit ist nicht innerhalb der gegenständlichen Und soweit er dennoch ungelöst sich geltend macht, beeinträchtigt er vielmehr
begrifflich festgelegten Schicht, sozusagen von den Endpunkten aus durch 'rein die Lehensauslegung derart, daß sie, der Absicht zuwider, zu einem bloßen
logische M;ittel widerspruchslos zu vereinen wie- etwa in dem genialen Unter- Aspekt wird. Unter ihm erscheint die Gewohnheit des Daseins, die ,;durch-
.. nehmen von Leihniz, sondern nur vom Ursprung her, weil sich in ihr der totale schnittliche Alltäglichkeit", mit deren Analyse die Ontologie einsetzt; als etwas
Lehenszusammenhang in mehrere gleich ursprüngliche, also nicht aufeinander Vulgäres, Ungeistiges, "uneigentliche" Existenz - Heidegger sagt geradezu:
reduzierhare Strukturen oder "Kategorien" auseinanderlegt. Hierin bestehtkeine "das Leben ist ein Geschäft" (289) - , und dementsprechend wird das selb-
prinzipielle Differenz; dies folgt ja aus dem methodischen Prinzip, ~it dem das ständige Ergreifen der Lebenslage, zu der· die Gegenbewegung aus der "eigent-
Lehen zum Thema der Philosophie gemacht ist, sei ~s zu ihrem Grundthema, lichen" Existenzweise heraus zurückführt, zu einem Gewaltakt, einer "Ent-
wie beiDilthey, sei es, wie bei Heidegger, zu ihrem Ausgangsthema. schlossenheit", .mit der man schließlich etwas durchführt. Wie sollte es auch
Und ebenso besteht Übereinstimmung in jenem "heroischen" Moment, wenn. anders sein, wenn der ganze· Lehenszusammenhang durchsichtig ist ? wie das
man es nur richtig versteht, nämlich es nicht, wie's in jenem Selbstzeugnis Dil- durch die ethisch-idealistische Einstellung und von ihr her durch die onto-
theys erschien, auf die persönliche Lehensverfassung beschränkt, sondern es in logische (nicht die hermeneutische) Richtung gefordert ist.
seinem philosophischen Sinn nimmt. Dann wirkt sich in ihm in freier Weise Denn nicht unmittelbar macht jener persönliche "Affekt" sich hier geltend,
eben das aus, was in der alten Systematik der Fortgang von der Metaphysik sondern nur unter rein denkerischer Vermittlung; das V ermittelnde aber liegt
durch die Anthropologie hindurch zur Ethik leistete: daß aus der philosophischen wiederum in der ·Ontologie, und zwar in dem form a I e n Charakter derselben.
Besinnung beim vollen Durchhalten der Aufklärung, die unsere menschliche In die "Dimension" der ontologischen Fragestellung erhoben, werden alle
Existenz in ihrer Tatsächlichkeit nach unserer Lage in der Welt zu sehen wagt, fundamentalen.philosophischen Probleme ZU Formproblemen und so auch .die
doch, dank dem gleichmächtigen metaphysischen Zuge, der Mut und die Kraft zur Grundlegu~g herangezogenen Lebensfragen, die uns unmittelbar angehen.
hervorgeht, zu diesem rätselhaften Lehen Ja zu sagen, - die eroici furori der In diesem Sinne ist jene Kennzeichnung des Daseins, daß es "ein Geschäft" sei,
Diesseitigkeit, in der die Abgründe des Menschlichen sich auftun, aber auch die ebenso wie die allgemeinere durch den ,,Lastcharakter" zu verstehen. Es wäre
Macht zu großemV ollbringim, im Gegensatz zu einem "mystischen Pantheismus", ein grobes Mißverständnis, wollte man in dieser Bestimmung ein (negatives)
zu dem ursprünglich die Absage an das Heldentum, das Ideal der "Entwerdung" W ertU:rteil finden, etwa analog dem Fichteschen Satz vom "Material der
gehört. Das so verstandene "Heroische" ist gar nicht eine Sache der sittlichen Pflicht", und solchermaßen u n mit t e I h a r die typische weltanschauliche Ein-
Energie für sich, sondern das Ethos steckt im philosophischen Erkennen selber. Stellung sich darin auswirken sehen. Man braucht nur zur Ahhehung Diltheys
Wie in Goethes Lehensweisheit diese Verhindung ausgesprochen ist: "Wonach beliebte Wendung vom "Haushalt des menschlichen Lehens", die Heidegger
soll man am Ende trachten ? Die Welt erkennen und sie nicht verachten.'' mit Recht angreift, heranzuziehen, um gegenüberdiesem "ontischen" Bild den.
Heidegger erklärte prinzipiell, daß alles philosophische Fragen in die mensch- formalen Sinn des Existenzials "Geschäftlichkeit" oder "Last" oder der ,,Sorge"
liche Existenz, aus der es entspringt, auch wieder ,,zurückschlägt" (38). Der selbst zu erkennen. Aber eben in dieser Formalisierung von Lehensbegriffen
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Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Das gemeinsam() philosophische Anliegen hinter den ·weltanschaulichen Gegensätzen 63
62
scheint u:p.s das Verfängliche zu liegen. Die Formalisierung, die im Bereich ·letztlich aus· dem des Wissens entspringt? - analog wie bei deri. ·Indern der
des rein diskursiv Feststellbaren am Platze ist, scheint uns in der Lehensinter- Wissende, der die Heimat in der Welt verlassen hat, um in der Heimatlosigkeit
pretation abwegig zu sein, wenigstens insofern, als sie nicht als Mittel zum sich selbst zu finden, in diese Welt zurückkehrt· mit der Losung: handeln, ohne
Sehenlassen der Phänomene, sondern zu ihrer systematischen Einordnung in dabei zu sein? (Fibel 123), aber in der christlichen Vertiefung durch die inner-
ein das ganze Dasein umfa~sendes Formgefüge dient~ Im Grunde wird dadurch liche Jenseitigkeit der Person, so daß allunser Wirken in der Welt muß he-
das, was durch den (von Heidegger aufgenommenen) Begriffder "Struktur" ge- gleitet ·sein können von einem. Und dennoch I ·
. wonnen ist, paralysiert: die V erhundenheit von Form und Gehalt, in die die Dilthey, der uns auf die Geschichte verweist, damit wir erfahren, was der
"st~kturelle Analyse" einzudringen sucht. Und für diesen Radikalismus, der Mensch ist und vermag, findet in diesem Erfahren und Verstehen die erkennt-
die gedankliche Üherschauharkeit rein formaler Zusammenhänge auch gegen.:. nismäßige Grundlage für eine Bejahung des Menschentums, die den proble-
über der Totalität des Lehens, dem "Strukturganzen" des Daseins und der matischen Charakter unseres Daseins nicht zu verschleiern braucht, fiir
grenzenlosen, zum Begriff der Struktur als Merkmal gehörigen V ariahilitä~ · das Festhalten an der "höheren Ansicht der Menschennatur" allem Dunkel
durchzusetzen sucht, dies aber auf dem Wege· der Ontologie durch Formali- zum Trotz; so schlägt. auch für ihn die Besinnung ins Lehen zurück, indem
sierung der konkreten Lehensbezüge zu "Seinscharakteren" durchsetzbar sie eine Kraftquelle für es wird. Er spricht geradezu von "der Macht philo-
findet dürfte die ethisch-idealistische Einstellung maßgehend sein. Denn in sophischer Ideen über die· spröde Wirklichkeit"·· (li, 90). Aber er ·erfaßt das
' . .
geschichtliche Lebensgeschehen nun gerade ·nicht unter dem idealistischen
dieser gestaltet sich der wesentlich philosophische Heroismus des in-W ahrheit•
und-Klarheit-Lehens um in die Überzeugung von der restlosen Durchsichtigkeit Aspekt, wo es erscheinen müßte wie in jenem: Goethe-Wort über ·Schiller: "Und
alles dessen, was niclit mein "eigentliches" Selbst angeht, - die Welt "durch• hinter ihm in wesenlosem Scheine, liegt, was uns alle bändigt, das Gemeine".
sichtig machen wie einen großen Kristall",. wie Dilthey die Cartesische In- Sondern illusiorislos, mit absichtlich scharf realistisch gehaltenem Blickfür die
tention formuliert hat, so nun auch das Dasein in der "Alltäglichkeit". Daß bei "Erdhestandteile unserer seelischen Existenz" sieht er in der "irrationalen
diesem Einsatz auch ein inhaltliches Moment mitspielt, nämlich das Übersehen Faktizität" derselben, der naturmächtigen Gefühle wie des Kampfes der Ge-
des "objektiven Geistes", wird uris noch beschäftigen. Aber prinzipiell ermög- walten, "die nie ga:nz zu vergeistigende Grundlage" der Geschichte im Einzel-
licht wird die Stellung mittels der Ontologie, nach der die Daseinheit als ein lehen wie der menschlichen Gesellschaft. Und eben dadu'rch vermag er den
Derivat der "Seinsidee" zu begreifen ist, die "sich muß generisch differenzieren Heroismus freizumachen, der der Gefahrlichkeit des Erkennens zum Trotz in ·
lassen''. In dieser mag dann der Rest des Unergründlichen zurückbleiben. Aber der Wahrheit und Klarheit zu leheri. verlangt. Denn im Gegensatz zu dem
eben, wenn solchermaßen das Geheimnis, in dem wir" wandeln, nur in dem Dualismus eines vulgären und eines (doch irgendwie jenseitigen) geistigen
dunklen Horizont liegt, der unser ·nasein umschließt: woher ? wohin ?, die Lehens öffnet sich nun der Blick für die Dynamik desselben in seiner selbst·
Lehensbewegung selber aber, das "Entwerfen" der existentialen Möglichkeit in mächtigen Gestaltung. Die "Gesetze, welche im Gemüt gelten", werden überall,
dieser "Geworfenheit", eine hisins let,zte durchschauhare, un~hhängig von der auch im Religiösen, "durch die Beziehung der Ideen auf den in Lust und Leid,
. Inhaltlichkeit unserer Exisienz durchanalysierhare feststehende innere Form in Verlangen und Trieb bewegten Mittelpunkt unseres Daseins bestimmt". Und
hat: muß danri. nicht die Selbständigkeit des Daseins, das auf die Welt ange- die "Kombination, welche recht eigentlich das Wesen der .Geschichte auf-
wiesen ist und bleibt, zurücklaufen in einen Heroismus der Entwerdung, der schl~eßt", besteht darin, daß der .~Weg von der Faktizität zum Ideellen, in
Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Diltheys Zergliederungskunst der Wirklichkeit 65
64
Zeit einzigen Einklang gelangten". Aber dieser .,moderne Gehalt ethischer Existenz" ist ebenso
welchem das Geschehen Zusammenhang gewinnt", erblickt wird, nicht bloß
wie die .,moderne Religion", die in ihm lebendig war, nicht zu "entwickeltem wissenschaftlichem
erblickt wird von dem V erstehenden; sondern in der Lebensgeschichte selbst. Be~tsein" ·gekommen: In einem .,höchst dunklen moralischen <Idealismus" nahm er jene

begangen wird (V, CVI, VII, 287, Novalis, 318). Das entspricht aber wiederum ,.hoheren Formen unbedingter Humanität, ganz als ob die Welt der niederen Motive gar nicht
existierte", und .,harmonisierte. sie, insbesondere Philosophie und Theologie" mit dialektischen
nur jenem Grundverhältnis in der "Tiefe der Seele" zwischen dem "Irrationalen Mitt~ln. D~ liegen die Probleme fü~ den Lebensdenker, der mit einerBiographiedie philosophische

in ihr" und der ,,bildenden Gewalt". Arbeit begmnt, und da stellt er JUgendstark die methodische Haltung hin: ,.Wo die Welt des
Geistes in ihrer Bedeutung begriffen und auch nur geahnt werden soll, wo der Mensch sie zum
So stoßen wir, wenn wir hinter den ,weltanschaulichen' Gegensatz auf die
r Leben, nicht zum bloßen Analysieren will, wo er sie mit Größe, nicht bloß mit Scharfsinn
gemeinsame Intention zurückgehen, die als "Hermeneutik der Faktizität" des. I betrachtet: da ist ihre Betrachtung allemal zugleich :intuitiv und reformatorisch. Die Analyse
menschlichen Daseins erkannt ist, nun innerhalb dieser Gemeinsamkeit auf den ~ beruht ~uf diese~ I~ t ui ~i o ~e n." U n~ ebenso nunl>ei jener Erklärung des methodischen Prinzips,
wo es sich um die Uberemstimmimg m dem Ausgehen vomLeben handelt (1897) .. Er findet· das
tiefer liegenden Gegensatz, der wiederum da entspringt, wo der Aufklärungszug
mit dem metaphysischen zum Aufbau der Philosophie zusammenkommt, aber
nunmehr das V erfahren dieser Interpretation in eins mit der Lebenswürdigung
I
ij
~rößte in der Persönlichkeit" Schleiermachers hierin: ,.er wußte, daß das in uns Liegende, de;• auf
em als transzendent in der Syinbolisierung Anzusprechende[s bezogene] Zusammenhangl), von
dem, der.Mensch sein will, erlebt, in seinen größten Gestalten nacherlebt (Hermeneutik) sein will."
,.Den Philosophen macht dann aus ( <ppoY"fjCW;, sokratische Schule), ihn zum Bewußtsein zu erheben
betrifft. Und damit kommen wir auf die Frage nach Diltheys eigenem Vorgehen ~d die i~ ihm li_egenden K?nsequenzen zu Ende zu denken." Aber nun wieder die Schwierigkeit

zurück, das sich von dem "allen mystischen, geschichtlichen, heroischen Philo-
sophen" gemeinsamen methodischen Prinzip abheben sollte. I dieser philosophischen AktiOn. ,.Die Hauptsache bleibt: wenn man vom Lebenszusammenhang
ausgeht, bleibt alles Herausanalysieren des Elementaren, Einzeinen als dessen, aus dem der Zu-
sammenhang verstanden werden kann, zurück". Wie er es später gegenüber der .,psychologischen

I
· Diltheyleitete jene prinzipielle Erklärung mit dem Satz ein: "Man muß vom Scholastik" der Brentano-Schule, deren Operieren mit der Intentionalität des Be·wußtseins for-
mulierte (VII, 237), daß die Zergliederung des Lebenszusammenhanges nur artikulierend sichtbar .
Leben ausgehen, das heißt nicht, daß man es analysieren muß ... ".Was bedeutet machen könne, .,wo Lebendes in ihm wiederkehrt. Analysis in diesem Sinne sucht nur das was in
diese Abwehr, die doch nicht das Analysierenüberhaupt kann verleugnen wollen ? diesem Wiederkehrenden enthalten ist. Sie findet nichts als dies Enthaltensein. Was enthaiten ist
Indem wir demnachgehen, :finden wir, daß er das in der gegenwärtigen Ausein- f ist ein Ausgesondertes, und d~r Begriff desselben hat nur Geltung, wenn das Bewußtsein de:
Lebenszusammenhanges, in welchem es enthalten ist, immer damit verbunden ist". So findet er
andersetzung Klarzustellende vorweggenommen hat. An seiner Auseinander- a:uch bei Schleiermacher das methodische Ungenüge in dem ,.fehlerhaften Ausdruck des Zu-Ende-
setzung mit Schleiermacher, den er jener Gruppe voranstellt, wird das deutlich. Den~ens" durch ~e Lehre v~n den ,.Voraussetzungen oder Postulaten" (An Yorck, 247. V, 79);
also m dem kantisch-platomschen Verfahren der regressiven Analyse, oder vielmehr (da der
Er sah in diesem heutzutage von den modernen Lutheranern oder Calvinisten entthronten
Begriff des Apriori hier nicht einschlägig wird) allgemein gefaßt, in dem reinen Aufklärungsschema
Führer der protestantischen Theologie nicht bloß einen Ausleger des christlichen Glaubens, son-
des Erfahrungsdenkens (FibelllO, 135), mit dem die. Grundlegung auf dem Felde bloßer Probabili-
dern eineil Fortführer, ja Reformator des Christentums, das selber ,.eine geschichtliche Entwick- ·
täten, Denkmöglichkeiten, möglicher Erfassungsweisen verbleibt. Und so wehrt er sich nun auch
lung der ursprünglichen Religiosität" sei. ,.Die moderne Religion war in ihm lebendig." Was ihn gegen den Gedanken einer .,Ontologie des höheren, des geschichtlichen Lebens", den ihm der
da berührte, war dasselbe, was den deutschen Idealismus überhaupt vom Christentum her bewegte;
Freund entgege~warf, um damit den philosophischen Sinn der theologischen Dogmatik heraus-
das, was er selber durch den Anfang einer Philosophie, welche auch der Religion ,. wirklich genug-
zustellen (wie Yorck das tun konnte; da ihQI das geschichtliche Leben mit dem christlichen
. täte", erfüllen wollte: das Lebensmächtige des christlichen Glaubens aus der Festlegung auf die .
zusamme~el): ,.Jede begriffliche Analyse. schafft ein Auseinander. Die Analysis des religiösen
geschichtliche Partikularität der biblischen Offenbarung zu befreien und die Isolierung der
Lebens, weht Dogmatik, muß synergistisch sein- oder: Dogmatik muß überhaupt nicht sein"(154).
Religion ·gegenüber den großen Phänomenen der Metaphysik und der Dichtung aufzuheben,
indem er .,deren Einheit in ihrem letzten Kern" begriff,- auch der Dichtung gegenüber; denn er Diese "synergistische" oder, wie Yorck dann sagt, "lebendige" Analyse (wir
war sich dessen sicher, in der Würdigung derselben als eines Organs des Lebensverständnisses so ziehen den terminus ,Struktur-Analyse' vor) steht im Gegensatz zurisolierenden
etwas wie ,.das Innerste einer wahren Philosophie auszusprechen". So machte sich der junge
Dilthey die Aufgabe klar, die mit der Biographie Schleiermachers vor ihm stand (1865). Er findet
1 ) Der offenbar lückenhafte S~tz dürfte in der Ausgabe des Briefwechsels zwischen Dilthey und
dessen Genialität in einer ,.moralischen Intuition", dergestalt, ,.daß die verschiedenen Formen
GrafYorck (S. 24 7, 270) durch Übersehen der hier ergänzten Lücke irreführend interpretiert sein.
unserer höheren Existenz in ihm zu einer wundervollen Entwicklung und einem in der modernen

Misch, Lebensphilosophie:"2. Aufl. 5


Grenzen der Analyse und Kreisform der Methode 67
66 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens
geisteswissenschaftlichen Hermeneutik gegeben, in dem sieh die Philosophie hier
Abstraktion, ist aber positiv dadurch gekennzeichnet, daß sie alles für sich Fest-
ständig bewegt, von ~em Ausgangspunkt her, der ihr mit den Geisteswissen-
stellbare als UmsetzuJ!g einer schaffenden Macht begreift (V, LXXIII). Sie läßt
schaften gemeinsam ist. Denn "jenes"-:- mit Goethe zu reden~ "Innige, was
nichts isoliert stehen, auch das U nerkennbare · nicht, das in seiner Positivität
in uns lebte, strebte, .suchte, oft. ohne Bewußtein nach langem Tasten und
. festgehalten werden muß: das religiöse Geheimnis des Opfers ist zu verstehen
Irren das Rechte fand, eben jenes unbegreifliche Wir endlich, in seinem Verlauf"
als "Symbol für ein universelles geschichtliches Verhältnis" im Menschenleben
wird von seinen Hervorbringungen aus - seien es persönliche Gestalten des
(An Yotck, 159), die Seinsgestalten der Kultur als ,,Kräftegestaltungen, die
Daseins oder Systeme der Kultur oder Weltanschauungen - in den Bildungs-
ineinander übergehen", und so verhält die Analyse sich auch gegenüber dem
gesetzen des geschichtlich Erwirkten, in den Wirkungs- und Entwicklungs-
Lebenszusammenhang selber, auf den der Philosoph zurückgeht, nachdem der
zusammenhängen objektiv faßbar. In dieser Richtung liegt die Ausbildung einer
Geisteshistoriker ihn als "Organon für die Auffassung der geschiehtliehen
,indirekten' Philosophie des Lebens im Medium der Geschichte. Und auch die
Lebendigkeit" ergriffen hat. "Die höchsten Erscheinungen der· Geschichte· sind
Theorie des Wissens fußt auf diesem Verhältnis, wenn sie die ,,Äußerungen des
in ihrem inneren Verhältnis zu diesem Zusammenhang zu verstehen, und sie
Lebensverkehrs und der Literatur in ihrem ganzen Umfang" ins Auge faßt, um
bilden dann das Verständnismittel". In diese Bewegung, die für die Herme-
die Auffassung der "psychischen Struktur" und die V erbinduJJ.g des ursprüng-
neutik der Geisteswissenschaften bestimmend war, wird die grundlegende
lichen Wissens mit dem Erleben sicherzustellen (VII, 1S). Aber für die uns jetzt
Strukturanalyse hineingezogen..
beschäftigende Frage nach den Grenzen der Analyse - daß die philosophische
"Die Grundlegung der systematischen Philosophie ist Selbstbesinnung, d. h. Analysis des inneren
Lebenszusammenhanges, welcher ... die. Rechtsgründe des Zusammenhanges enthält, in welchem
Grundlegung, der "Beginn der Philosophie", sich auf die Feststellung der
die Menschheit als in ihrer Wirklichkeit lebt. Ausgangspunkt muß sonach Bewußtsein und Ana- Grundzüge zu beschränken habe - ist doch das Entscheidende damit noch
lysis der Struktur dieses Lebenszusammenhanges bilden. Da aber alles weitere Philosophieren nicht gesagt, daß die Aufklärung des "Zusam~enhanges, in welchem die
denselben genauer zum Bewußtsein bringt und analysiert, so kann es sich am Beginn der Philo-
s,ophie nur um die Feststellung der Grundzüge handeln, wie sie in der inneren Erfahrung durch Menschheit als in ihrer Wirklichkeit lebt'', oder, in anaerer Wendung, des
Besinnung alsZusaminenhang aufgefaßt werden können':· (An Y.orck, 220) "empirischen Bewußtseins" (VII, 12, 332) sich auf immer höheren Stufen der
Analyse weiter fortsetzt.
Von hier aus ergibt sieh nun die Grenze, die der Analyse nach rückwärts hin
Zwar entspringt hier ein wesentlicher Zug des Verfahrens, der in Diltheys
gesetzt ist, und zugleich der positive Sinn dessen, was Heidegger nur negativ
letzten Bemühungen um die "Kategorien des Lebens" offensichtlieh hervortritt
nahm, daß bei Dilthey "das Leben" in "ontologischer Indifferenz" verbleibt.
und der auch von der hermeneutischen Methode aus bereits berührt wurde
Der Lebenszusammenhang, von dem die strukturelle Analyse ausgeht ("Leben-
( S. 44 und 54) : daß er in zirkulärer Bewegung einerseits den Wegen nachgeht,
Ganzes"), trägt, wir stellten das voran (S. 55), in sich selbst- wenn anders die
auf denen dieselben im Lebensverständnis vom ,Verhalten', ,Stellungnehmen',
von Dilthey in die Mitte gestellte ,,Beziehung" zwischen dem irrational Fak-
,Darinnensein in den Lebensbezügen' her noch vor der wissenschaftliehen Be-
tischen, Grenzenlosen und der "bildenden Gewalt" die Mitte wirklich trifft -
griffsbildung, z. B. in der Selbstbiographie, der Dichtung, der anthropologischen
eine produktive Spannung, die sich darin offenbart, daß aus ihr etwas hervor-
Reflexion usw. allmählich "gedeihen", und andererseits, in direktem Hin-
geht, oder vielmehr: nicht hervorgeht, sondern hervorgebracht wird: aller
greifen auf ihre Wurzel im Leben, ihren Ursprungsort ini. erlebten Struktur-
Zusammenhang nämlich, den das geschichtliche Geschehen auf dem "Weg von
zusammenhang aufsucht. Es ist ein Aneinanderhalten von Wurzel und Krone,
.der Faktizität zum ideellen'' gewinnt. Damit ist zunächst das Verhältnis zur
5*
68 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Die 'ontologische Indifferenz' des Lebens als berechtigt und gefordert 69
das - ganz allgemein genommen - dem kantisch-kritischen V erfahren ent- Aber bei dieser Bewegung, die an den "Schöpfungen des Subjektes" bzw. den
spricht, sofern .dieses weder von dem menschlichen Intellekt noch von .dem: "Objektivationen des Lebens"- oder, wie es äquivalent heißt, "des Geistes"_
Faktum der Nat~rwissenschaft ausgeht, sondern beides zusammenhält, um entlanggeht, liegt doch immer schon das mit d~n .Begriffen ,Subjekt', ,Leben',
dieses in seinem Sinn, jenes in seiner ,Macht' zu begreifen. So kennzeichnete ,Geist' Bezeichnete zugrunde. Und auf dieses s~ verschiedentlich und lässig, mit
Dilthey selbst sein V erfahren als eine Verbindung der historischen Analysis mit lauter mehrdeutigen Grundbegriffen bezeichnete Ganze, in dem das maßgebende
der transzendentalen Untersuchung, wobei der Unterschied zu Kant und der Ineinander von Erleben und Wissen, Schaffen und Explikation gegründet ist,
psychologischen Erkenntnistheorie "durch den Gegensatz zu einer bloß intel- kommt es letztlich an für unsere Fr~ge nach der kategorialen Zergliederung
lektualistischen Zergliederung bedingt" sei;. er kennzeichnet es so in bezug auf des. Lebenszusammenhanges.
die Aufgabe~ .die er als "das letzte Geschäft aller Transzendentalphilosophie" Um den die analysierende Bewegung vorantragenden "Zusammenhang sui
anspricht: sich dem "metaphysischen Bewußtsein in der Tiefe der Menschheit" geperis" zu kennzeichnen, pflegte Dilthey sich des antiken terminus teleo-
zu nähern, das in den religiösen Dogmen und metaphy~ischen Begriffen "seine logisch' zu bedienen. Er spricht von der "subjektiven immanenten Tele~l~gie",
äußere Gestalt" hat, in der Selbstbesinnung aber "in seinem. Kern. erkannt" und das bestimmt sich dahin, daß der Lebenszusammenhang "auf die auf.
wird (II, 496). So erkannt aber, als das "in der Erfahrung Lebendige, in Vor- w ä rt s Ii e g ende immanente Zweckmäßigkeit des Lebens hindeutet, aus welcher
stellungen Unaussprechliche", wird das "metaphysische Bewußtsein" selber das Elementare als sein Bestandteil,uie als seine erste frühere Grundlage .
zu einem Grundzug dessen, was Dilthey das "empirische Bewußtsein" (mit zu verstehen ist" (An Yorck, 247).- Damit ist fürs erste festgelegt, daß die
Bez~g auf das "entwickelte Seelenleben des historischen Menschen" VII, 10) "synergistische" Analyse sich innerhalb eines vorgängigen Ganzen bewegt, und
oder "das Leben" im Sinne von "das Selbst in seinen Relationenals Lebendig- .I das Ganze nicht aus den ausgesonderten elementaren Grundzügen darf zu-
keit"nennt: eben als "im Leben dauernde und fortwirkende Wurzel" des Zu- sammensetzen wollen. Indes, soweit geht auch Heidegger mit; er hebt aus-
sammenhanges, "in ·welchem die Menschheit als in ihrer Wirklichkeit lebt" I drücklich hervor, daß das Strukturganze des Daseins nicht aus den Grund- I

(Fibel 25). Und allgemein spricht er in wissenstheoretischer Hinsicht das strukturen, die er durchanalysiert, "zusammenstückbar" sei, und der aristo- .I
Prinzip des Verfahrens so aus (im Eingang der Aufzeichnungen zur Kategorien- telische Begriff des telos spielt auch bei ihm, ja bei ihm vollends, eine hervor-

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!
lehre VII, 191): ragende Rolle; er kommt durch die Aufklärung dieses vieldeutigen Begriffs auf
,,Der Zusammenhang der geistigen Welt geht im Subjekt auf, lind es ist die Bewegung des Geistes dem Wege der phänomenologischen Distinktionen weiter. Aber das ist auch
bis zur Bestimmung des Bedeutungszusammenhanges dieser Welt, welches die einzelnen logischen noch nicht das Entscheidende. .
Vorgänge miteinander verbindet. So ist einerseits diese geistige Welt die Schöpfung des auffassen-
den Subjektes, andererseits aber ist die Bewegung des Geistes darauf gerichtet, ein objektives Das Entscheidende dürfte erst darin liegen, daß gesehen wird, wie jenes vor-
Wissen in ihr zu erreichen". gängige Ganze durch die Art, in der es gewußt wird und (in den "aufwärts-
Die Aufgabe einer. "Kritik der historischen Vernunft" stellt sich dann so: die gehenden" Objektivierungendes Erlebten) fungiert, in der es also zum expliziten
einzelnen logischen Leistungen auszusondern, "die zur Schöpfung dieses Zu- Wissen von sich selber kommt, von sich aus eine ontologische W esensbestim-
sammenhanges zusammenwirken"- und zu ziligen, "welchen Anteil eine jede von mung ausschließt. Es schließt sie aber aus wegen der Dynamik des Lehens, der
ihnen an dem Aufbau. des geschichtlichen V ~rlaufs in der geistigen Welt und in der logische Zugriff sich anpassen muß: es geht um eben die "Mitte ·der
der Entdeckung der Systematik in ihr hat". Struktur", wo einerseits die Gefühle, Sehnsüchte, Triebe ins Grenzenlose und
70 Die Aufgabe der kategorialen Analyse des menschlichen Lebens Leben als 'ständiger Untergrund'; Dialektik des· Lebens 71

andererseits jenes Innigliche, Bildende angesetzt ist, das, auf diese bezogen, den Allgemeine im Besonderen, besser das quod aeque in parte atque in toto, ein
Hervorgang von Sinn und Bedeutsamkeit, von "Zweckzusammenhängen" und singulare aeternum, es zielt nicht auf ein "V orfindliches", sondern auf den
Weltanschauungen faßlich machen soll. Von da geht die Bewegung aus, von selber dynamischen Grund des Geschehens wie des Erleheus und Verstehens.
der das zergliedernde Denken, während es prozediert, immer schon getragen ist Und so betont Dilthey, in jener Erklärung fortfahrend, daß das Herausheben
und die ihm verbietet, das in ihr Waltende, das ,Leben' - Leben im Unter- desselben "nicht durch eine Abstraktion" von dem immer schon bestimmten
schied zu den Erlebnissen, in denen das Erleben und das Erlebte sich sondern Geschehen erfolge, sondern "in einer Anschauung, die von diesem Ganzen in
lassen, .:...__ nach seinem , Wie des Seins' bestimmen zu wollen: das unerkennbare seinen immer und überall gleichen Eigenschaften zu den räumlich-zeitlich dif-
Leben, das immer erst von der Ausdruckswelt her, in der wir leben, an seiner ferenzierten hinführt". Und wenn in dieser Ausführung die Red·e von "Eigen-
"Explikation, die zugleich Schaffen ist", sich aufschließt. Die Bestimmung kann schaften" bedenklich ist, so :fixiert er das hier Gemeinte, zu dessen Beschreibung
nicht ontologisch, sondern nur logisch, vom expliziten Wissen aus zurück- .gefordert ist, "hinter die wissenschaftliche Bearbeitung des Lebens zurück-
dringend erfolgen, und sie erfolgt dialektisch in dem Sinne, daß es sich weder zugehen'', genauer, indem er von dem "ständigen Untergrund" spricht, "aus
um ein in sich fest Bestimmtes, noch um ein Unbestimmtes, sondern um ein dem die differenzierten Leistungen sich erheben" (VII, 131);
"Bestimmt-Unbestimmtes" handelt. Aber dann kommt es nun im Positiven darauf an, in diesem bildlich so ge-
Im Negativen ist das leicht deutlich zu machen, nachdem die Abgrenzung nannten "Untergrund" des Lebens, i:r;t dieser "Grundlage für unser Erleben,
uns eben dadurch deutlich geworden ist, daß in Dilthey die Tendenz auf eine V erstehen, Ausdrücken" die Dynamik zu greifen, wie sie nicht bloß in den realen
"Ontologie des Lebens" hineingesehen wurde (S. 32). Heidegger will die Seins- Objektivationen, sondern zugleich im Wissen, in dem expliziten Sichwissen
weise des Daseins zu begrifflicher Bestimmtheit bringen. Bei Dilthey kommt des Geistes hervortritt. Derart, daß das "Leben" in seiner Totalität an die Stelle
"Art und Weise des Lebens" unter die mannigfaltigen "Prädizierungen aus treten kann nicht bloß des griechischen "Seins", sondern auch des Kautischen
dem Leben" zu stehen, zu denen u. a. auch "innere Logik" gehört: sie schließen transzendentalen Subjekts. Es geht im Grunde um den Prozeß, in dem der
sich an die "im ·Leben. enthaltenen Lebensbegriffe" an, in denen als herme- menschliche Geist ,sich findet'. Und hier werden wir schließlich die letzte
neutischen Ausdrücken für ein V erhalten, ein Stellungnehmen, dasjenige zur Differenz z~ischen Lebensphilosophie und Phänomenologie zu suchen haben.
Bestimmtheit kommt, was selber nicht Gegenstand der Erkenntnis werden kann. Aber dies kann sich erst_ergeben, sobald- das aufgeklärt ist, was uns jetzt zum
Von dem "Begriff des Lebens" selber aber erklärt Dilthey (VII, 229), Problem geworden ist: das Verhältnis der Dynamik des Lebens zu dem Wissen
dieser Begriff "der die Grundlage füt alle einzelnen Gestalten und Systeme, die an ihm auftreten, des Menschen von sich selbst, jenem Wissen, von dem Dilthey sagte, daß es,
für unser' Erleben, V erstehen, Ausdrücken und vergleichendes Betrachten derselben enthält"; mit dem Erleben verbunden, "da ist". Die entscheidende Einsicht wurde schon
entstehe, wenn "man das heraushebt, was überall und immer in der. Menschenwelt stattfindet
und als solches das örtlich und zeitlich bestimmte Geschehen möglich macht". ,
"'
im voraus angegeben(S. 55): dieimmanente,rückwendig-produktive Bewegung,
Diese Erklärung dürfte im Sinne Heideggers als eine naiv "ontische" erscheinen, kurz zu sprechen die ,Reflexivität' des im, menschlichen Leben auftretenden
die in philosophischer Haltung durch eine ontologische zu ersetzen wäre. Aber Wissens: daß das V erstehen, das Dilthey als eine dem Wirkungsverlauf des
das "Überall und Immer" meint nicht ein induktiv 1) Allgemeines, sondern das Lebens "inverse Operation" bezeichnete, dies nicht bloß in seinem bewußten
Vollzug als Selbstbesinnung sei, sondern daß es auch in seiner primären Form,
1) DasWort "induktiv" in dem heut (noch) geläufigen empiristischen Sinne genommen. im elementaren V erstehen als Innesein · oder. Inne'Yerden unserer Auseinander-
.
72 Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey) 'Natürliche' Bedeutung des Lebens als 'Macht zu' und 'Wissen um' ineins 73
setzung mit Menschen und Dingen im .Lebensverkehr diesen inversen Verlauf
Mißverständlich ist hier nur die Abgrenzung gegenüber dem Wissen. Sie be-
habe, als ein ln-sich-selbst-Zurückgehen des Lebens. Aber darüber müssen wir
trifft n~r das Wissen in dem engen Sinne der traditionellen Logik ("Begriffe,
uns nun verbreiten.
Urteile, größere Denkgebilde": VII, 205)~ während es sich im eigentlichen Sinn
doch um Wissen handelt, gerade um das primäre Wissen von Bedeutung in
2.
Leben und Welt; So erklä:rt Dilthey selbst (VI, 319):
Dilthey gibt diese Beschreibung, bei der er "das Leben" als "die Wurzel der
"Treten _wir aus der Jagd nach den Zielen heraus, ruhesam1 ), in unser Lehen zurück, so erscheinen
Weltanschauung" im Auge hat (Typen 7): seine Momente usw. bedeutsam. Dieses ist die natürliche Ansicht des Lehens."
"Jedes Denken, jede innere oder äußere Handlung tritt wie eine zusammengefaßte Spitze hervor Dilthey bemerkt dazu: "Wie hätte Goethe anders erfahren können?" Und in
und drängt vorwärts. Ich erlebe aber auch einen inneren Ruhestand; er ist Traum, Spiel, Zer-
streuung, Zuschauen und leichte Regsamkeit- wie ein Untergrund des Lehens. Ich fassein ihm
der Tat: das, was hier als das Natürliche bezeichnet wird, ist das, was der
andere Menschen und Sachen nicht nur auf als Wirklichkeiten, die mit mir und unter sich in Dichter zu sehen und auszusprechen vermag und was man in den philosophi-
ursächlichem Zusammenhang stehen: Lehensbezüge gehen von mir aus nach allen Seiten, ich
schen Reflexionen über die Welt der natürlichen Einstellung, die von einer
verhalte mich zu Menschen und Dingen, nehme ihnen gegenüber Stellung, erfülle ihre Forderungen
an mich und erwarte etwas von ihnen. Die einen beglücken mich, e;rweitern mein Dasein, ver- ~soterischen Höhe aus auf dem Wege bloßer Privation eine Unterschicht der
mehren meine Kraft, die andern üben einen Druck auf mich und schränken mich ein. Und wo die aufgeklärten Bewußtseinslage abgrenzen (Fibel24), oder auch in den Unter-
Bestimmtheit der einzelnen vorwärtsdrängenden; Richtungen dem Menschen Raum dafür läßt,
bemerkt und fühlt er diese Beziehungen."
suchungen über das Weltbild der Primitiven schwerlich finden wird.
Nach Dilthey. gehört das (reflexive) Wissen um die Bedeutung
. der Lebensver-
Das, was hie~ psychologisch beschrieben wird als ein Bemerken und Fühlen, --

hältnissezum ,,natürlichen" menschlichen Verhalten. Das Natürliche steht hier


Zu~chauen lind Regsamkeit, betrifft offensichtlich eben das Zentrale, was in
nicht dem Geistigen gegenüber, sondern meint gerade den vorgängigen, gegen
jenem Goethe-Wort als "das unbegreifliche Wir" bezeichnet wurde. Noch deut-
diesen Gegensatz noch indifferenten Lebenszusammenhang, den die Philosophie
licher aber wird dieses Q~ellen des Wissens (des Sichwissens ineins mit dem
wieder erreichen und in sein Recht einsetzen will. (So braucht er den Ausdruck
Wissen von der Bedeutung des Daseins) im Lebensuntergrund fixiert bei der
"Natur", wenn erz. B. Kants kopernikanische Konzeption des menschlichen
Charakteristik des "Erlebnisausdrucks". Dilthey bestimmt diesen im Unterschied
Geistes als die Einsicht in das "schaffende Vermögen der Menschennatur" be.
zu andern Lebensäußerungen, Denkgebilden und Handlungen, dadurch, daß
zeichnet.) Die natürliche Ansicht ist: "Immanenz der Bedeutung in dem,
. "eine besondere Beziehung besteht zwischen ihm, dem Leben, aus dem er hervorgeht, und dem
dessen Bedeutung es ist". Das ist aber nichts anderes als was er selbst zur Gel-
Verstehen, das er erwirkt ... Er hebt es aus Tiefen, die das Bewußtseinnicht erhellt". ·
tung bringen will mit' der Lebensphilosophie, die einen "absoluten Punkt"
Diese hermeneutische Leistung gewinnt ihre höchste Steig~rung da, wo der
leugnet, von dem aus die Bedeutung diese~ Daseins faBbar wäre. Hinter das
Erlebnisausdruck die praktischen Absichten und Interessen, die "We~sel- ·
Leben kann nicht zurückgegangen werden, wie von seinen Äußerungen zurück-
. wirkungen, in die unser Dasein verfl~chten ist", hinter sich läßt:. in den großen
gegangen wird auf das, was sie, als Ausdruck verstanden, bedeuten, indem sie
Werken, "in denen ein geistiger Gehalt sich loslöst von seinem Schöpfer". Und auf etwas hinweisen, das dem Leben angehört.
nun schließt diese Erklärung (VII, 206):
"S~ e)1tsteht in den Konfinien zwischen Wissen und Tat ein Kreis, in welchem das Lehen in einer 1
) Beim Abdruck dieser Aufzeichnung in der Dilthey-Ausgahe VI 319 ist an dieser Stelle von
Tiefe sich erschließt, wie sie der Bephachtung, der Reflexion und der Theorie nicht zugänglich ist."
mir zu Unrecht eine Lückevermutet und ein Wort (blicken) eingefügt worden.
74 Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey) Immanenz des Verstehens in der musikalischen Produktion 75
"Das Lehen selber bedeutet nicht etwas anderes. Es ist in ihm keine Sonderung, auf der beruhen grenzung gibt er aber auch für die "Triebe und Gefühle" innerhalb des Struktur-
könnte, daß es etwas bedeutet außer ihm selbst" (VII, 234).
zusammenhanges, in welchem - wie das "im empirischen Bewußtsein ent-
Eben dies aber, was hier gefordert ist: das "Natürliche" zur Geltung zubringen, halten ist" - das ·Individuum nach seiner Lage zu den andern und zur Welt
ist von den großen Künstlern im voraus erfüllt. Die immanente Lebensinter- "von dem Milieu, unter welchem es lebt, bestimmt wird, und wieder auf es
pretation, ("das Leben aus ihm selber verstehen"), die als die Aufgabe der zurückwirkt'', _:_wo es sich also gerade um die "Wechselwirkungen" handelt, "in
Philosophie ergriff~n wird, wird bereits von der darstellenden Kunst geleistet, in welche unser Dasein verflochten ist" bis zur "Untertänigkeit unter den harten
unbegrifflicher, unsystematischer, aber durch die philosophische Begrifflichkeit Zweckzusammenhang". "Trieb, Gefühl, Leidenschaften, V olitionen sind das Zen-
a:uch nie voll zu ersetzender Form. Und wenn die Dichtung dergestalt -im trale indem, was wir Leb~n nennen" (V, xc, 279; VII, 12). Sind das nur zwei
Gegensatz zum l'art pour l'art- ein "Organ des Lebensverständnisses" ist, so verschiedene Aspekte, von außen und von innen, der ein~ objektiv-biologisch (ob
tritt im Dichter jene "natürliche Ansicht des Lebens" nur "gesteigert hervor"· wohl Dilthey schließlich die augenscheinliche Ähnlichkeit mit der "biologischen
So koi:mte Dilthey in der Kategorie "Bedeutung", die ihm zunächst am V er- Struktur" als eine nur vage Analogie zurückweist VII, 23), der andere erlebend-
fahren der Kunst, in der Würdigung der Dichter als "Seher der Menschheit','· verstehend? Vielmehr ge~örtbeides im menschlichen Lebensverhalten sowie
aufgegangen war, eine Grundkategorie des Lebens überhaupt finden. Er .eignete im Lebensverständnis zusammen und macht zusammen die Dynamik des Lebens
sich das "verwegene" Wort Schillers: "Der Dichter ist der wahre Mensch'', in aus, die in der unfeststellbaren "Beziehung" zwischen diesen ·beiden gründet.
diesem Sinne an: daß der Kern der menschlichen "Natur" das Totalverhalten Am tiefsten ist Dilthey im Nachweis dieses Grundverhältnisses bei der Ana-
ist, das sich in intuitionen äußert, die "aus dem Darinnensein" im Lebenselbst lyse des "musikalischen Verstehens" vorgedrungen (VII, 220). Er will darlegen,
entstehen, einem Darinnensein, das "sich in dem Stellungnehmen zu ihm, in wie die Instrumentalmusik "in ihren höchsten Formen das Leben selbst zu
den Lebensbezügen vollzieht", derart, daß sich "solchen Stellungnahmen ge- ihrem Gegenstand hat". Er erklärt: in ihr ist- gegenüber der gegenständlichen
wisse Seiten der Welt aufschließen" (Typen 29). Und wenn die Leistung der Festlegung durch das Wort.- "kein bestimmter Gegenstand, sondern ein un-
darstellenden Kunst für das Lebensverständnis dahin bestimmt wird, daß sie endlicher, d. h. unbestimmter. Dieser ist aber nur im Leben selbst gegeben."
den in dunklem und heftigem Innewe~den enthaltenen Zusammenhang des Lehens in die Er findet, daß die Möglichkeit, die verschiedenen "Seiten des Menschenlebens,
~eile leichte Sphäre des Nachhildens erhebt", daß sie das Lehen "in eine Ferne von dem
Zus~mmenhang unseres eigenen Handeins rückt,durch welChe wir ihm gegenüber in einen die als Rhythmus, Melodie, Harmonie sich ausdrücken", zusammen erklingen
freien Zustand geraten" (V, 276): · zu lassen, ihr der Poesie gegenüber den Vorzug gibt, daß in ihr "die Mannig~
so bezieht sich auch dies wiederum; die Befreiung von dem "harten Zweck- faltigkeit derWeltzum Ausdruck kommt". "Darauf beruht der gleichsam meta-
zusammenhang" und die "heitere Tätigkeit der seelischen Struktur", auf die physische Charakter der Musik. 1) " Indem er nun aber dem "Gang von Seele zu
wesentlich menschliche Ganzheit des Verhaltens zurück, auf jenen Untergrund Musik" hin und her nachgeht, in dem der "Sitz des eigentlichen Geheimnisses
des Lebens, von dem gesagt wurde, er sei Traum, Spiel, Zuschauen und leichte der musikalischen Phantasie" zu suchen sei, stellt er fest:
Regsamkeit. "Was· in der Seele zugrunde liegt, braucht gar nicht, ja wird meist dem Künstler für sich nicht
Er grenzt diese Tiefenregion de~ "bildenden Psyche", wie sie durch die erlebbar sein. Unmerklich im Dunkel der Seele bewegt es sich, und in dem Werk erst drückt sich
ganz das dynamische Verhältnis aus, das in diese~ Tiefen bestand."
;eistigen Schöpfungen sich auftut, gegen das intellektuelle und praktische
V erhalten ab; sie liegt "in den Konfinien von Wissen und Tat•:. Dieselbe Ab- 1) V gl. ll. Nohl, Über den metaphysischen Sinn der Kunst, Dtsche. Vierteljahrsschrift I S 359.
-', ·.

lj
76 Die &Jlexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey) 'Erlebnisallsdruck' aus rückwärtiger Immanenz des Verstehens 77

·So besteht die höchste Leistung der Musik darin, daß sie das gegenständlich Auffassung" des Lebens hinzustellen, ob hier nicht vielmehr die Stelle ist, wo
macht, "was als Gemiit im Künstler wirkte'\ "was in einer musikalischen Seele ein Ereignis, nichts weniger als das Ere!gnis der geistigen Menschwerdung an-
dunkel, unbestimmt, ihres Selbst oft nicht merklich vorgeht". Diese Vergegen- erkannt werden muß. Demgemäß wäre di~ses Grundverhältnis nicht erst am
ständlichung, die den Gegenpol zur rein erkenntnismäßigen bildet, wo die Ob- künstlerischen Schaffen, von den. großen Werken aus, sondern schon Un.d recht
jektivie:rung zur Intellektualisierung fuhrt, ist doch in ihrer Ahsichtslosigkeit eigentlich am "Erlebnisausdruck", an der Sprache, aufzuweisen: an der mensch-
kein unbesonnenes Strömenlassen. So wenig wie die Rede, auch wenn sie als -lichen Rede als einer geschichtlich-schöpferischen Vereinigung von Ausdrucks-
Erlebnisausdruck genommen wird, sich auflöst in ein V erlautenlassen, als ob der bewegung und Tat vermöge jenes ~-die-Feme~Riickens, über dem Leben
Gedanke sich "in den durch den Mund sich ergießenden Strom hineinpräge wie Schwebenkönnei:J.s. Insofern ist Diltheys Weg, der von der Poetik zur Herme-
das Bild im Spiegel oder Wasser" (Theätet 206d). Vielmehr, wie der logos, auf neutik des Daseins, von. der ästhetischen Kategorie der Bedeutung zu ihr als der
das "Feuer" des Lebens bezogen, doch im "besonnenen Feuer" zu suchen war, . Grundkategorie des Lebens führte, relativ zufällig, persönlich bedingt. Aber
so ist es auch hier: das, was als "Gemiit" des Künstlers wirkte, dies auf diesem Wege ist doch etwas Wesentliches gewonnen: der Blick fiir das
"Zusammengepackte, in· Qualität, Zeitverlauf, Bewegungsform, Inhalt Zusammengenommene Genialische, das in jenem dialektischen Verhalten liegt,.- Genie nicht der
wird im Musiker analysiert und als ein Verhältnis von Rhythmus, Tonfolge, Harmonie, ein Ver.
· hiiltms von Klangschönheit und. Ausdmck zu distiil.ktem Bewußtsein gebracht". einzelnen großen Meister erst, sondern Genialität in der menschlichen LebEns- ·
Und andererseits ist aus dem. ,.,Beziehungssystem", in welchem das ·von der · macht selber: das den•A'tem-Anhalten, die-Augen-Aufschlagen. Die idealistische
Person sich loslösende Werk mit dem Schaffen des Künstlers und weiter rück- Einsicht, daß hier ein aus den Bedürfnissen des handelnden Lebens Unableit-
wärts mit dem Wirkungsverlauf seines Lebens verbunden ist; nun auch zu be- bares vorliegt, kann festgehalten, ja zu einem "überhaupt unableitbar" ge-
greifen, wie dieser biographische Zusamm~nhang, trotz der Losgelöstheit des· steigert werden, ohne daß wir den Schluß auf ein reines Denken oder reines An-
Werkes, in die helle, lichte Sphäre des Nachbildens hineinscheint. schauen mitzumachen brauchen, der eine Aristokratie· des Geistes begriindeie.
Der kontemplative Zug wird aus dem freien Schweben in de:~; Gedanken los-
"Da ist keine Zwiefachheit von Erlebnis und Musik, keine doppelte Welt, kein Hinübertragen von
der einen in die andere. Das Gerne ist eben das Leben in der Tonsphäre, als wäre sie allein da,_ ein -gebundenen Räumen herabgeholt in. die Mitte der Lebensstruktur hinein.
Vergessen jedes Schicksals und Leidens in der Tonwelt, und doch so, daß alles dieses darin ist." So ist denn auch ÜJ jenen vorsichtigen, so gar nicht übersteigemden oder
'J1 as sich hieraus fiir die Kategorie der Bedeutung und ihre Beziehung zu der ' konstruierenden Darlegungen Diltheys iiber das lnnewerden des ·Lebens doch
der Kraft ergibt, wird noch zu zeigen sein (Teil 111, 2). In dem gegenwärtigen
Zusammenhang kommt es.vor allem darauf an, daß die Möglichkeit der freien
Ferne, wie sie Dilthey an der Kunst aufzeigt, als ein gesamtmenschlicher Zug
erkannt .und nicht als etwas Esoterisches, ein Charisma von Auserwählten, hin-
l
f
so viel klar bezüglich des Wissens, von dem gesagt wurde,_"es ist da. Es ist ohne
Besinnen mit dem Erleben verbunden", und diese Verbindung sei ·"ebenso
sicher wie schwierig feststenhar'' (VII, 18): Wenn auch, wie er ausdrücklich
hervorhebt, die "Beziehung des Verhaltens auf das, was sich verl;tält" keines-
gestell~ wird, wie es die Romantiker nahmen. Darinnensein in dem Leben und I
I'
wegs "in dem Erlebnis in der Regel enthalten" ist, sondern erst auf dem "Re-
doch ruckwendig zuschauen können: darin ist der Dichter "qer wahre Mensch". :ße:xion:sstandpunkt" ,;unvermeidlich wird" (VII, 21): in der Beschreibung der
Man muß dieses GrU.ndverhältnis, von dem Dilthey bald die eine, bald die andere inneren Lebensbewegung tritt, sei es~ daß sie vom Erleben ausgeht, oder vom
Seite hervorkehrt, ineins sehen. Fraglich kann nur sein, ob es genügt, d~ese Verstehen .des Erlebnisausdmcks, das Moment des Zuschauens, ·Abriickens,
innere Dialektik des wesentlich menschlichen Verhaltens als die "natürliche Freiwerdens gerade in. s,einer Verbindung mit dem "Darinnensein im Leben"
"....

78 Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey) Die Ich-Rede als Erkbnisausdruck 79
unzweideutig hervor und weist auf den eigentlichen Charakter von Reflexivität des Begriffs von Beziehung" gefordert ist, der zum gegenständlichen Denken als einer "diskursiven
des Wissens, auf ein ln-sich-Zurückgehen-können hin. Wie es an anderer Stelle Tätigkeit~' gehört. (I, 420. VII, 21)

formuliert wurde (Fihel8, 10): Aber soll etwa die Ich-Rede, wie sie in den Sätzen der Sprachen auftritt, erst
Zur menschlichen Weise des Daseins gehört wesentlich das unabsichtliche Zurückgewandtsein zu dem "Standpunkt der Vergegenständlichung des Erlebnisses und der Re-
in sich mitten in der Vorwärtsrichtung unserer Energien, derart, daß wir nicht bloß die Dinge tun
und treiben in elementarischem Dasein, sondern lebendig 'existierend von: diesem unserm Tun und flexion über dasselbe'~ gehören und kein Erlebnisausdruck sein? Auehin jener
Treiben wissen. Ohne dieses nach innen gewandte, .das eigene und frepJ.de Dasein l}.mgreifende Erklärung, die den phänomenologischen Einsatz gleichsam prohierend auf-
Wissen von sich selbst wäre unerfindlich, wie der Mensch sich aus dem Drang des handelnden
Lebens zu lösen vermöchte zur Besinnung über den Sinn seines Tuns. Es ist jener geheimnisvolle
nimmt und vom isolierten Einzelerlebnis in statischer Zergliederung ausgeht,
Ort in uns, wo die ·Wendung zu dem Höchsten, dem Menschen Erreichbaren, die uns aus der macht sich doch der primäre Ausgangspunkt: ,,Leben Ganzes" geltend, den
Befangenheit des Lebens heraushebt, sich selbst als ein lebendiger, absichtlos "unbewußter"
Dilthey alsbald gegen diese ganze Art der Analyse kehrte bis zu der scharfen
Vorgang einstellen kann. In jenem "ständigen Untergrund" kann die Besinnung einkehren: dann
löst sich die BedeutsamkeiLdes Lebensmoments ab von den sie überdeckenden Zielen und Bemerkung, daß Huss.erl "das Äußerste" sei in der "psychologischen Scho-
Zwecken, jedes Lebensverhältnis wird in. den ihm eigenen Bezügen erfahren und sein Zusammen- lastik" der Brentano-Schule. Er erklärt sich nämlichdes näheren so: Das, was
hang mit dem Ganzen unserer Existenz durchgefühlt. Da ist eine Stätte im Leben selbst, wo das
zu entspringen vermöchte, dessen uns zu versichern, das Anliegen des unbefangenen Betrachters "für die Reflexion entsteht", ist das "innere Strukturgefüge" des psychischen
der Menschenwelt war: ·ein Gehalt, um deswillen es sich lohnte zu leben, der im Sinne und in der Zusammenhanges, es entsteht aber, indem auf dem Reflexionsstandpunkt ,,das
Richtung der "natürlichen" Entwicklung unseres Daseins läge, wo aus dem "Bündel von Trieben neue Erlebnis in Verhältnis gesetzt wird zu meiner Kenntnis.. dieses psychischen
und Gefühlen" in uns eine geistige. Macht werden kann, durch die der Mensch zu vollbringen
vermag, was er niemals im gemeinen Lauf des Glückseligkeitsstrebens vollbringen würde. - Zusammenhanges, den ich "mein Ich oder mein Subjekt nenne". Danach ist die
Aber ist diese Rede vom Zurückgewandtsein, von einem reflexiven Be- fragliche "Beziehung" nicht erst ein Ergebnis der Reflexion, sondern die Re-
wegungszug in dem "natürlichen" Wissen des Menschen von der Bedeutung des · flexion expliziert den Lehenszusammenhang. Und das Verfängliche an der an-
Lehens nicht erst etwas Nachträgliches, ein Ergebnis des reflektierenden gegebenen Stelle war, daß diese Explikation in. einer intellektuellen Analyse
Denkens ? wie sie denn auch von Dilthey selbst geflissentlich vermieden wird ? erfolgte, die davon absieht, daß, wie Dilthey anderwärts bemerkt, "das Er~
In einer Studie zur Theorie des Wissens, die unter dem ersten starken Eindruck lehnis zugleich als Realität Strukturzusammenhang des Lehens enthält" (VII,
von Husserls "Logischen Untersuchungen" entstanden ist, scheint er einer 231); Aus dieser Abstraktion aber gilt es gerade sich wieder zurückzufinden,
solchen Skepsis Raum zu gehen (VII, 20). Er hält da zwar gegenüber Husserl, ·wenn anders die philosophische Begründung "nur dasjenige analytisch
der das Wesen des Bewußtseins ausschließlich durch die Intentionalität he- darstellen kann, was in der lebendigen Erfahrung gegeben ist" (V, Lx).
stimmt wissen wollte, daran fest, daß "ein weiterer bedeutsamer Beziehungs- Geht man aber so zurück, wie das eben nur Diltheys eigene Richtung ist,
punkt in dem Erlebnis auftritt". Aber er formuliert das vorsichtig so: so stellt sich das, was auf dem Reflexionsstandpunkt als. ein nachträgliches
"Wie dasselbe Inhaltliches auf Gegenständliches bezieht, so scheint es nach der anderen Seite sich "ln-Beziehung-setzen" erschien, als eine -gewiß nur von ihm aus auffaßhare,
auf ein Ich beziehen zu müssen, das sich verhält." Und er erklärt nun: "Wohl ist in dem Lebens- aber ihm von selbst entgegenkommende- rückwendige Bewegung dar, die in
gefühl, in dem eine Lage zur Umwelt in Lust oder Unlust, in Liebe oder Haß gefühlt wird, diese
Bezie!mng immer gegenwärtig", aber in den angegebenen Erlebnissen kommt sie nicht immer vor, ihrem Produkt, dem irgendwie erwirkten Wissen des Menschen von sich selbst,
ich kann "mich imbuchstäblichen Verstande selbst vergessen", und das "Hinzutreten der Ich- enthalten ist; und es kann sich nur fragen, ob sie das den Menschen auszeich-
vorstellung" kann verschieden psychologisch interpretiert werden. "Tritt manjedoch vom Erleben
auf den Reflexionsstandpunkt, sQ wird die Beziehung des Verhaltens auf dasjenige, welches sich
nende Wissen von Sinn und Bedeutung in Welt und Leben lediglich "müsse he-
verhält, unvermeidlich". Sie wird unvermeidlich auch deshalb, weil sie "durch die Anwendung gleiten können" oder nicht vielmehr mit diesem als Gegenpol zusammengehört.
80 Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey)
r
I Erlebnisausdruck aus produktiv-objektirierendcr Artikulation 81

Auf die Frag~: "Was geschieht, wenn das Erlebnis Gegenstand meiner Reflexion v~n ihrer Darstellung in Worten" (V, LXXXVII, Goethe 236, VII, 328). Aber
wird?", antwortet Dilthey in diesem Zuge mit einer exakten· Beschreibung, die drese Ahhebung des "direkten:" Ausdrucks, der "das Innere in seinen leisen Be-
nunmehr nicht die Reflexion über das Erlebnis, sondern den Vorgang der wegungen und unendlichen Zusammenhängen und zarten Nuancen gibt". aus
Selbstbesinnung betrifft, in der das Denken auf der "Linie der Repräsentationen den Tiefen herausholt", von den Reflexionen über das Erlebte schließt' ~och
vom Erlebnis aus" prozediert (VII, 139). Da wird im Gegensatz zu jener intel· nicht zugleich die immanente, von innen auflichtende Reflexion des Erleheus
lektuellen Vergegenständlichung die Dynamik hervor geholt, und zwar nicht im Verstehen aus. So wurde, was die Direktheit des Ausdruckes anbelangt,
bloß am Lehen als einem "Verlauf", sondern zugleich am Wissen von demsel- schon an dem Beispiel der Instrumentalmusik deutlich, wie das künstlerische
ben: die konkrete Einheit von Denken und Anschauen in der Besinnung he· Schaffen,. das hier ein Unendliches, das unendliche Lehen; in den Ausdruck
stimmt sich als ein "Fortgezogenwerden" rückwärts und vorwärts in dem bannt, als Explikation desselben geradezu ein "Analysieren", "zu distinktem
eigenen inneren Zusammenhang der Erlebnisse, der durch die Bedeutungs· Bewußts~in bringen" enthält. Und für Goethe, an dessen Lyrik Dilthey den
hezüge derselben hestim;m.t ist und sie zu einem aus dem Wirkungsverlauf des unreflektierten "Erlehnisausdruck" vornehmlich exemplifiziert, ~eist er ge-
Lehens sich herausgestaltenden, über ihn hinausgehenden Ganzen gliedert. radezu auf jenes Zurückgewandtsein hin: "Er lauscht den Bewegungen in den
Dies kategorial aufzuklären, wird dann die zentrale Aufgabe der Grundlegung heimlichen Tiefen seiner Seele und versteht aus ihnen Menschendasein"
sein, die den Syndesmos der Kategorien betrifft (Teil III, 2). ~ Ein Hauptsatz (Goethe, 230). So wenig wie die Direktheit eine gedankenlose Unmittelbarkeit
von Diltheys Hermeneutik ist: "Die Besinnung eines Menschen über sich selbst meint (~er Begriff "des "schweigenden Denkens" greift hier ein), so wenig he-
bleibt Richtpunkt und Grundlage" (VII, 204). Doch bei der Selbstbesinnung deutet dw "natürliche" Unreflektiertheit ein Verhalten, das von sich selber nicht
und gar der Selbstbiographie ist ja die Rückwendung, die uns hier angeht, un- weiß. Die "natürliche Auffassung des Lehens" wurde dadurch bestimmt, daß
verkennbar, da sie dort bewußt vollzogen ist, und das Anliegen ist bei ihr nicht, sie im Dichter gesteigert hervortritt. Von Goethes Vermögen, das, was ihn
die Reflexion als solche, sondern vielmehr den nicht bloß gedanklichen bewegt, auszusprechen, sagt Dilthey:

Charakter derselben ans Licht zu stellen. Die geschichtliche Forschung, die dem ,,Lauter und rein, wie die N.atur selber, stellt .er dies alles hin" Aber dieser
W h . . . · •
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es.ens, n~c dem er Natur Ist, Wirksam Wie diese, bald zum Guten, bald zum Schlimmen''
Durchbruch der Persönlichkeit in der Selbstdarstellung nachgeht, vermag b~stlmmt Sie? nun nä~er als eine innere Freiheit des Schaffenden, der einer "moralischen Stärke":
darüber we.iteren Aufschluß zu geben 1). Aber darüber hinaus geht jetzt unsere W:e Goethe Sie an Schil~er bewunderte, "nicht bedurfte": "die Kraft und Freude, Lebensverhält-
ms~e durchzuerfa?r~n, Is~ so mächtig in ihm, daß für ihn kein Bedürfnis nach einer Freiheit des
logische Frage nach jener tiefer liegenden Schicht, der die Erlebnisausdrücke,
Geistes besteht, die Jenseits derselben, über ihnen wäre". Und "die reine Natürlichkeit", dank der
Lehensprozesse, Prädikationen aus d_em Leben angehören und wo nun gerade Goe~he es vermochte, in UnbefangenerAuslegung "das Lehen aus ihm selber zu ver-stehen" ist so
das gedankliche Moment herauszustellen ist .. wemg etwas Unverinitteltes, ein bloßes Geschenk der Produktivität daß vielmehr ei·n· u-;a
d hi htli ' . .....,.. ssen-
er gesc _c eher Zusammenhang ?ahinte~steht, aus dem sie "entspringt": der Zusammenhang
Dilthey beto~t zwar für dies elementare Wissen, das im Aussprechen der d_er EntWicklung des d~uts~hen Geistes, die durch Jahrhunderte hindurchgehende Entstehung
Lehensbezüge "da ist~', daß es "ohne Besinnen" mit dem Erleben verbunden ei~er "neuen weltgeschichtlichen Kraft", die "auf der Vertiefung des Geistes in sich selbst und
semer Gestaltung aus dieserTiefe beruhte" (Goethe in 'Erlebnis und Dichtung', 235; 200. VI, 212).
ist, und ebenso für den Erlebnis ausdruck, daß in ihn "das Innere unWillkürlich,
ungehemmt von Reflexion eingeht". "Keine Reflexionen tren.nen seine Tiefen Wir verweilten etwas länger bei den Fragen, die sich aus der bildliehen Rede
vom 'Untergrund des Lehens' ergaben. Aber wir sind damit an die Stelle heran·
1) Geschichte der Autobiographie, I (1907), S. 53. Dtsche. Vierteljahrsschrift, VI (1928), S. 226. gekommen, die wir im Fortgang unserer Auseinandersetzung suchten: wo

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 6


82 Die R~flexivität des Wissens. Die wesentliche Differenz Sichfinden als Sichwiederfinden im Du oder entschlossene Selbstnahme 83
mitten in der Übereinstimmung die wesentliche Divergenz zu fassen sei. Es ist, fallenheit. Nach Dilthey ist das Sichfinden an das Sichwiederfinden in einer
wie allmählich deutlich geworden sein wird, die Stelle, an der Fichte, der Ur- "Atmosphäre von Gemeinsamkeit" gebunden;
heber der ganzen gegenwärtigen Richtung der Lehensphilosphie von Kant her, "das Verstehen ist ein Wiederfinden des Ich im Du; der Geist findet sich auf immer höheren Stufen
den (hermeneutisch~n) Begriff ,Tathandlung' einsetzte, Fichte, dem Heidegger, vom Zusammenhang wieder, ... im Du, in jedem Subjekt der Gemeinschaft, in jedem SysteiiL
der Kultur, schließlich in der Totalität des Geistes und der Universalgeschichte ... " (VII, 191).
wie schon bemerkt wurde, in der Konzeption der entscheidenden Lehensbe-
wegung nahe steht. Denn aus der "existentialen Analytik" ergibt sich die Mög- Die "radikalste Individuation", die der Anhänger Heideggers bei Dilthey
lichkeit einer U mwendung aus der V erfallenheit und Selbstvergessenheit zum vermißt, die. absolute Individuation, die aus der Vereinzelung des Selbst ent-
"eigentlichen" in der "Selhstheit" gründenden Dasein. Und wennHeidegger den springt, darf von dem Lehensphilosophen, der nirgends, auch im Ethischen nicht,
methodischen Mangel der bisherigen Lehensphilosophie darin findet, daß sie einen "absoluten, festen Punkt" findet, nicht in die Grundlagen der Lehens-
bei ,ontischen' Bestimmungen des Daseins verbleibt, statt zu ontologischen interpretation aufgenommen werden, sondern ist als eine bestimmte Lehens-
vorzudringen, so wird man dar an erinnert, wie Fichte den ,Dogmatismus', der auslegung hzw. Bewußtseinsstellung zu begreifen und muß in dem totalen
der vorkantischen Philosophie mit der natürlichen Einstellung gemeinsam ist, Lehenszusammenhang ihre Stelle finden, an der sie dann als etwas Ent-
durch die Selbstvergessenheit kennzeichnet. sprungenes, geschichtlich Errungenes zu begreifen ist, einer höheren Stufe der
Die Differenz ist- das zeigt sich hier aufs neue- nicht bloß weltanschau- Auslegung dieses Zusammenhanges angehörig, einer Stufe, die bereits die Ent-
lich bedingt und also unauflöslich: sie besteht nicht dai-in, daß Heidegger gegensetzung von Natur und Geist zur Voraussetzung hat. So kann auch
ethisch-idealistisch eingestellt ist, währendbei Dilthey die objektiv-idealistische Dilthey festhalten:
Einstellung sich darin verriete, daß er die innere Position, in der der Bedeu- "Der Natur gegenüber, daß das Individuum nur seine Selbständigkeit durch das Kantische Prinzip
der Gesinnung und das Fichtesche der Selbständigkeit behauptet. Diese Prinzipien", fügt er sofort
tungsgehalt des Lehens frei hervorgehracht wird, zunächst in der ästhetischen hinzu, "sind unabhängig von dem formalen Charakter usw. mit inhaltlicher Moral verträglich."
Sphäre findet. Auch ein so ausgesprochener Dualist wie Bergsou exemplifizierte In der Grundlegung aber kommt es darauf an, das, worauf dieser Zusatz hinaus-
die Intuition der ,duree', des ,moi mobile et fluide, intraduisihle en mots' an dem will, zu begründen: die Verhindung der Selbstmacht der Person mit der Er-
ungeteilten Akt der künstlerischen Konzeption. Die wesentliche Divergenz fahrung des bedeutsamen Gehaltes unserer Existenz.
liegt tiefer; sie betrifft nichts weniger als die Bewegung, in der der menschliche Auf dieser Linie liegt Diltheys Satz vom "erworbenen Zusammenhang des
Geist ,sich findet'. Seelenlebens". Dieser Satz, nach dem der seelische Zusammenhang vorwiegend
Bei Heidegger ist das Zu-sich-selber-kommen ein in die innerliche Jenseitig- durch bewußte Akte erzeugt wird, um dann unmerklich fortzuexistieren, macht
keit der Person führender Akt der einsamen, das Dasein absolut vereinzelnden gegenüber dem absoluten Seihstand des subjektiven. Geistes, der in der theo-
Entscheidung zum "eigentlichen" Selbst; wir werden noch darauf zurück- retischen und ethischen Sphäre aufzuweisen wäre, den. geschichtlichen Werde-
kommen, wie er die Unterscheidung des "eigentlichen" und "uneigentlichen" gang der V erselhständigung der Einzelseele geltend, in welchem der "Aufbau"
Daseins als Konstruktionsmittel benutzt. Fichte sagte hier, daß im Vollzug des der Erlebnisse zur Totalität des Lehens vollzogen wird. Das ist in dem ,Vor-
geistig-sittlichen Grundaktes durch das in sich zurückkehrende Handeln "das bericht' bereits genügend ausgeführt (V, LXXXII}:
Ich erst entstehe". Und der Fichte'schen ,Selbständigkeit um der Selbständigkeit
"Daß ein Werk oder eine Person ein Ganzes werden kann, diese höchste Leistung des geistigen
willen' entspricht bei Heidegger das Sichzurücknehmen des Dasein~ aus der V er- Lebens nach dem Wegfall der Jensei,tigkeit, soll dem realen zeitlichen Verlauf der Gestaltung, in

6*
84 Die Reflexivität des menschlichen Wissens vom Leben (Dilthey) Gemeinschaften als ursprüngliche Träger des Wissens 85
dem etwas erwirkt wird, überantwortet werden. Nicht geprägte Form, die lebend sich entwickelt; fahrungsweisen des Handwerks usf. Dank dem Darinnensein in einer geistigen
nicht ursächlich. wirkender Zweck, der von der vollendeten Gestalt des Gewordenen rückwärts
dringend Sinn und Richtung auf diese Seinsgestalt hin in das empirische Geschehen hineinbringt, Welt also werden die einzelnen Lebensäußerungen "elementar" verstanden. Und
sondern Erblicken der Genesis, die auch Epigenesis sein kann: Zusammenhang des Heterogenen, von hier aus stellt sich das mit dem Erleben verbundene Wissen wieder als
der in der Entwicklung sich bildet; von tausend Keimen trägt einer Frucht; Impulse des Schaffens,
ein reflexives, ein Sich wissen heraus. Nur, daß das Sichwissen hier nicht auf das
die aus der Lage der Zeit entspringen, Antizipationen des Gemüts, die das Leben nur gestalten,
wenn sie das uns tragende wirklich vorwegnehmen; die eigengerichtete Kraft tritt aus der produk- "Ich" des Individuums oder den einzelseelischen Zusammenhang, zurückführt,
tiven Lebendigkeit der ganzen Seele hervor und antwortet aus grenzenloser Weite auf den Ruf sondern auf die menschlichen Gemeinschaften und auf die "durch die Indivi-
des Augenblicks, überall Wachsturn von innen und harte aneignende Arbeit zugleich."
duen hindurchgehenden" Zusammenhänge des geschichtlichen Lebens, in die
Der Satz vom erworbenen seelischen Zusammenhang aber, sowie das ganze "wir selbst verwebt sind" und iri denen sich "der Strukturzusammenhang der
W ech seispiel von natürlicher Reifung und geistiger Arbeit, wonach jene, die Lebenseinheiten fortsetzt". Diesen "ideellen Subjekten", wie Dihhey in wissens-
Reifung, zugleich ein Hineinwachsen in ein Umfassendes, Geistiges, diese zu- theoretischer Hinsicht sie nennt, spricht er doch ein "selbständiges Dasein"
gleich ein Sichselbstgestalten in der Aneignung desselben ist, führt schließlich und damit zugleich ein Wissen zu, und zwar nicht nur ein Wissen um Wirklich-
wiederum auf die Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins zurück. Und hier, keit, Gesichtspunkte der Wertschätzung usf., sondern auch eine "Kenntnis
im Hinblick auf die geschichtliche Verbundenheit der Individuen in der Ge- ihrer selbst", Da ist der Ort für die .~prichwörtlichen' Selbstaussagen, wie wir
meinschaft, vollendet sich erst die Einsicht in die Reflexivität des Wissens, 'es nannten, die vor der rein diskursiven Schicht liegen, auf die sich die tradi-
von der wir erklärten, das sie das Erleben und V erstehen von Grund aus, tionelle apophantische Logik bezieht. Und hierauf, auf die "erlebte Struktur-
also auch das "elementare" V erstehen betreffe, das als etwas "Natürliches" einheit des individuellen u,nd des Gemeinschaftslebens" greift Dilthey in der
hingestellte Auffassen der Bedeutung dessen, was uns im Leben begegnet. Analyse - einer transzendentalphilosophischen Analyse - des elementaren
Die "elementaren Formen" des Verstehens nämlich grenzt Dilthey von V erstehens zurück. Das Verstehen wurde als ein "Wiederfinden des Ich im Du"
den "höheren" dadurch ab, daß sie sich, wie sie "in den Interessen des prak- bestimmt; ich vermag mich aber wiederzufinden "im Du, in jedem Subjekt der
tischen Lebensverkehrs erwachsen", auf die einzelnen Lebensäußerungen Gemeinschaft", weil das V erstehen von seinen elementaren Formen an, wo es
beziehen, zu deren Deutung es keines "Rückganges auf den ganzen Lebens- noch von den Interessen des "praktischen Lebensverkehrs" beherrscht ist, sich
zusammenhang" (des Individuums) bedarf: "Lebensäußerungen" wie Mienen, in einem "Medium von Gemeinsamkeit" vollzieht: dieses Medium ist die Welt
Gebärden, Ausrufe, Handgriffe und leibhafte Bewegungen überhaupt als des "objektiven Geistes".
Teile einer Handlung oder eines Tuns; auch das Verstehen von Sätzen reiht Ausihr empfängt "von der ersten Kindheit ab unser Selbst seine Nahrung ... das Kind ist, ene
er hier ein (VII 207). Da scheint für eine Rückwendigkeit keine Stelle zu es sprechen lernt, schon ganz eingetaucht in das Medium von Gemeinsamkeiten". Aber auch "das
schaffende Individuum zeigt sich zugleich als Repräsentation von Gemeins;1mkeit", - in Kunst,
sein; aber wir werden auf sie hingeführt durch den Begriff der "Objektivation Religion und Philosophie zumal (VII, 208, 191, 135, 141, 150).
des Lebens" bzw. "des Geistes". Denn das Verständnis von dergleichen Lebens- Dem Weg, der von hier aus aufwärts führt, gehen wir nicht nach. Wie in jenem
äußerungen erklärt sich daraus, daß sie "einer Sphäre der Gemeinsamkeit Medium "Sphären" auseinandertreten, die der Auffassung des Typischen und
angehören": aus ihrer "Beziehung zu dem Geistigen, die innerhalb dieser der Strukturanalyse zugänglich sind, dank der "gegliederten Ordnung", die
Gemeinsamkeit besteht" und durch eine geschichtlich-gesellschaftliche "Ord- der objektive Geist ebenso wie der seelische Zusammenhang "in sich enthält".
nung" festgelegt ist, eine Ordnung des Benehmens, gesellschaftliche Sitte, V er- Wie solchermaßen die hermeneutische Logik in die Bewegung hineingezogen
111

I
86 Die Reflexivität des Wissens. Das logische Grundverhältnis Ursprung als Zuwendung zu einem 'Bestimmt-Unbestimmten' 87
wird, in der sich die "Bestimmung des Bedeutungsgehaltes" der"im Subjekt am einfachsten an der Sprache faßlich. Da zeigt sich an der verbalen Grund-
aufgehenden" geistigen Welt ergibt, die "Entdeckung der Systematik in ihr", bedeutung, die sich auch nur fixieren und nicht bestimmen läßt, diese struktu·
wie der "Aufgang der Individuation". Es ist klar, daß auf diesem Wege ein relle Form des Wissens. Wie wir im Gebrauch der Worte der Muttersprache die
Einblick in den Aufhau der menschlich geschichtlichen Welt und damit zu- Grundbedeutung in der Aktion gleichsam als das Organisationszentrum der
sammen eine mutgehende Würdigung des lehenlohnenden Gehaltes mensch· mannigfaltigen und geschichtlich wandelbaren Bedeutungswendungen eines
licher Arbeit gewonnen werden, die bei Heidegger außerhalb des Horizonts der Wortes lebendig besitzen und im V erstehen einer Fremdsprache von den
existenzialen Analyse bleiben, weil er das elementare V erstehen und damit den mannigfaltigen, ja verschieden zu übersetzenden Wendungen aus zu ihr hin·
Begriff des Bedeutungszusammenhangs der Welt aus der Verhindung mit dem . durchdringen: da waltet der Bezug zu einem "Bestimmt-Unbestimmten", der
Gemein-Geist loslöst. Daß anderseits bei Dilthey diese Verhindung "zu früh" uns in die Bewegung zu ihm hin versetzt, damit wir nachbildend
angesetzt sein dürfte, davon wird noch in einem andern Zusammenhang zu in die Bewegung von ihm her hineinkommen. Es geht um die ,über·
spr.echen sein. (111, 2). - weltliche Stätte', in die nach der platonischen Konzeption des Sachverhalts das
Für die Kategorienlehre, die dem hier Gesehenen begrifflich beikommen will, Erschauen der ,Ideen' führt. Nur daß dabei die spezifisch griechische Beziehung
ergibt sich damit die Aufgabe, klarzustellen, daß es -in vollem Gegensatz z. B. von Anschauung und angeschautem Gegenstand, die in der phänomenologischen
zu Bergsous Begriff der ,duree' und der mystischen Flucht in die Intuition des Rede von der , Wesenssphäre' noch unbekümmert festgehalten wird, durch
unaussprechlichen "fließenden Ich" hinter der "Oberfläche" des "sozialen Ich" jenen dynamischen Bezug zu ersetzen ist, der auch dem guten Worte ,Wesen'
- in dem ,Lehensschwung' einen Grund für Aufbau, Gliederung, Gestal- seinen ursprünglichen verbalen Sinn wiederzugehen erlaubt. Der Ursprung
tung gibt. Diese Aufklärung führt über den Begriff der Struktur zu. der Kate· tritt an die Stelle des Urbildes. Damit fällt dann aber grundsätzlich die
gorie der Bedeutung, und zwar so, daß diese nicht erfaßt werden kann, ohne daß fundamentale Stellung der Ontologie, die durch die Richtung auf die usia als
mit ihr zugleich die des "Erwirkens" hzw. der "Kraft" hervorträte. Jenes Grund- ein in sich festbestimmtes und erkenntnismäßig feststellbares Wesen gegeben
verhältnis, das im Blick auf die Universalgeschichte formuliert wurde als der . ist, wiesie denn schließlich auch auf dem griechischen Glauben an die "Schran·
"Weg von der Faktizität zum Ideellen, in welchem das Geschehen Zusammen· kenlosigkeit der objektiven Vernunft" beruht, den Husserl sich aneignete.
hang gewinnt", muß in den Kategorien des Lehens als Verhältnis des Bedeu- Während doch diesem Glauben gegenüber die christliche Erfahrung des
tungszusammenhanges zum Wirkungszusammenhange wiedererscheinen. ,Leben:sbandes', iles vinculum fi.dei et amoris, ihr Recht in der Philosophie zu
Für das Lehen selber aber, "an dem" die Kategorien "aufgehen", das un- erhalten verlangt.
I ergründliche, das "die Grundlage für all unser Erleben, V erstehen und Aus· Es erscheint paradox: Heidegger, der in der begrifflichen Formalisierung des
drücken" bildet, ergibt sich nunmehr der positive Sinn, in dem es als etwas Lebenszusammenhanges gewaltig vordringt, so daß die existentiale Analytik
"Bestimmt-Unbestimmtes" angesprochen wurde. Das, was dem phänomeno· sich wie eine philosophische Radikalisierung der Diltheyschen Intention aus-
logischen Analytiker als ontologische Indifferenz erscheint, läuft vielmehr auf nimmt, behält doch gerade den ,weltanschaulichen' Gehalt des Christentums,
ein grundlegendes logisches Verhältnis hinaus, das im Lehensdenken betätigt den ethischen Dualismus bei. Und Dilthey, der keine vom Gehalt gelöste Form
wird und das es nur als logisches in seiner inneren Form herauszustellen gilt. Es gelten läßt, entbindet gerade aus der christlichen Erfahrung die neue, von
wird - wie die Begriffsform überhaupt, um die es in der Lehenslogik geht - Fichte konzipierte Grundform des Wissens vom Lehen.
II II
88 Das Problem des Syndesmos
Der Zug zur Wissenschaft in der Philosophie des Lebens 89
Hiermit stehen wir, wie das der Begriff des ,Lehenshandes' anzeigte, vor der Die Kontinuität der schaffenden Kraft in der Geschichte, wo das mensch-
anderen Frage, auf die es bei der Auseinandersetzung der Methoden ankam: liche Schaffen, in welchem das unergründliche Lehen sich entfaltet und ge-
der Frage nach dem Zusammenhang der Lehenskategorien untereinander. staltet, gestaltet und umgestaltet, auf seinem Weg "von der Faktizität zum
Ideellen" an die ,,nie zu vergeistigende Grundlage" gebunden bleibt (so ist die
III. mißverständliche Wendung von der "Rechtfertigung" des Furchtbaren im
"Däs Lehen wird frei vom Erkennen durch Begriffe", heißt es in Diltheys Weltzusammenhang zu verstehen) - : das ist, wie Dilthey sogleich selber an-
Schlußgedanken zu dem Werk, für das seine Niederschriften über die Kate- gibt, die "Anschauung des Lehens", die "sich aus Erleben, V erstehen,, Poesie
gorien des Lehens bestimmt waren. Dieser erregende Satz, der mitten in der und Geschichte erhebt", - eben jene ,natürliche' Ansicht also, die durch die
begrifflichen Arbeit den ganzen Sinn derselben im voraus problematisch zu Philosophie des Lehens zur Geltung gehracht werden soll. "Sie ist in und mit
machen scheint, tritt in einer zusammenfassenden Betrachtung auf, in der der diesem immer da. Die Besinnung erhebt sie nur zu analytischer Deutlichkeit
bald Achtzigjährige das Ziel seiner Philosophie des Lehens mit seltener Un- und Klarheit". Um den Gang dieser Aufklärung handelt es sich uns jetzt. Und
mittelbarkeit rückhaltlos aussprach (VII, 291): da ist von vornherein die innere Schwierigkeit des Unternehmens deutlich: das
"Das historische Bewußtsein von der Endlichkeit jeder geschichtlichen Erscheinung, jedes Ziel der Denkarbeit ist, daß "das Lehen frei werde vom Erkennen durch Be-
menschlichen oder geschichtlichen Zustandes, von der Relativität jeder Art von Glauben ist der griffe", und sie selber liegt doch in der Richtung des philosophischen "Strehens
letzte Schritt zur Befreiung des Menschen. Mit ihm erreicht der Mensch die Souveränität, jedem
Erlebnis seinen Gehalt abzugewinnen, sich ihm ganz hinzugeben, unbefangen, als wäre kein nach allgemeingültiger Erkenntnis".
System von Philosophie oder Glauben, das Menschen binden könnte. Das Leben wird frei vom Halten wir unslediglich an das Ideal der Befreiung des menschlichen Geistes,
Erkennen durch Begriffe; der Geist wird frei allen Spinnweben dogmatischen Denkens gegenüber."
das in jenen letzten Gedanken Diltheys mit der ganzen Überzeugungskraft der
Daß der Relativismus den im Absoluten fußenden "Standpunkten gegenüber Altersweisheit ausgesprochen ist, so muß uns die Frage kommen: Ist diese Frei-
der Bedeutung des Lehens" überlegen sei, von dieser Gewißheit ging die Lehens- heit denn eine andere als die, zu der die philosophische Betrachtung überhaupt
philosophie aus; aber ebenso gewiß war doch, daß es nicht das letzte Wort der dem Menschen zu verhelfen vermag, heutzutage wie ehedem ? ein Ideal, das
Philosophie sein könne, mit Heraklit (oder vielmehr dem an Protagoras an- sich jeweils immer neu ergibt, sobald das "metaphysische Bewußtsein" in der
geglichenen, des Logos entledigten Heraklit) zu sagen: "Alles im Prozeß Philosophie durch die Stufe der "Aufklärung" hindurc4.gegangen ist und deren
fließend, nichts bleibend" (V, 9. 'ltaYtiX zoopsr. ·x.al. OOOSY (J.SYSt, Theätet 152). Würdigung der menschlichen Lehenswirklichkeit, dem mystischem Ziel der
"Dagegen erhebt sich das Bedürfnis des Denkens und das Streben der Philo- Entwerdung zum Trotz, in sich aufzunehmen vermocht hat ?
sophie nach einer allgemeingültigen Erkenntnis" (V, cx. 9. 364). Hat Dilthey ,Die Aufnahme des Menschentums in das metaphysisch-ethische Ideal auf Grund der Freiheit zum
etwa diesen Widerstreit, an dessen Auflösung er zeitlebens arbeitete, zuletzt Verständnis jeder Lebensgestalt, die aus der pantheistischen Ehrfurcht vor dem Unerforschlichen
in den Naturformen des Daseins und seinen Wandlungen entspringt' (Fibel 268):
vergessen? In jener Schlußbetrachtung geht es weiter:
dieser Begriff, der das gehen dürfte, was uns in jenem Ausspruch Diltheys be-
"Jede Schönheit, jede Heiligkeit, jedes Opfer, nacherlebt und ausgelegt, eröffnet Perspektiven,
die eine Realität aufschließen. Und ebenso nehmen wir dann das Schlechte, das Furchtbare, das wegt, ist für einen chinesischen Weisen geprägt, der im 4. vorchristlichen Jahr-
Häßliche in uns auf als eine Realität in sich schließend, die im Weltzusammenhang gerechtfertigt hundert erklärte:
sein muß. Etwas, was nicht weggetäuscht werden kann. Und der Relativität gegenüber macht sich "Ein großer Raum ist wohl dazu geeignet, daß etwas Kleines darin geborgen ist, doch bleibt die
die Kontiunität der schaffenden Kraft als die kernhafte historische Tatsache geltend." Möglichkeit, daß es verloren geht. Ist aber der Welt Geist in der Welt verborgen, so kann er nicht
90 Das Problem des Syndesmos Der Zug zur Wissenschaft in der Philosophie des Lebens 91
verloren gehen. Das ist die große Grundbedingung dafür, daß die Dinge dauernd bestehen. Daß Nietzache oder Kierkegaard sich gestellt hatten: ein übergroßes Zutrauen zur
wir gerade in menschlicher Gestalt geboren sind, ist Grund zur Freude. Daß aber diese mensch-
Wissenschaftlichkeit der Philosophie, der die freien Lehensdeuter gerade ent-
liche Gestalt tausend Wandlungen durchmacht, das ist unermeßliche Seligkeit" (Fibel 269).
gegengetreten waren. Und dann wieder schien es, als sei der Enthusiasmus für
Das Ideal der "Souveränität" des Geistes, die Dilthey als den Lehensertrag des die Wissenschaftschnell verrauscht: das Lehen soll frei werden "von der Er-
historischen Bewußtseins" feiert (V, CXIV), soll dadurch nicht relativiert kenntnis durch Begriffe". Aber dieser Anschein löst sich auf nach beiden Seiten
" .
werden; vielmehr springt gerade seine absolute Bedeutung im Ganzen der hin, sobald man dieselben nicht als die zwei Seiten einer Alternative faßt - Er-
perennis philosophia heraus. Und es ist kein Zufall, daß wir hier eher noch als kennen, was das menschliche Dasein im letzten und tiefsten sei, oder "Emanzi-
auf Heraklit oder Goethe auf einen fernöstlichen Denker kommen, - wegen der pation des Erlebnisses von den Fesseln des begrifflichen Denkens" - , sondern
Macht der positiven historischen Vernunft in der chinesischen Philosophie. zwischen diesen Extremen den ,, Weg methodischer Wissenschaft" sich bahnen
Aber wir fragen uns: wozu bedarf es der Aneignung des modernen "historischen sieht. Die Methode des immanenten "Verstehens" des Lehens will die pro-
Bewußtseins" und der ganzen schweren Arbeit, die für eine wirkliche Aneignung duktive Vermittlung zwischen dem Gegensatz von Erkennen und Erleben sein
desselben gefordert ist, wenn wir den philosophischen Lehensertrag so viel (V, LXXXVI). Und sie muß nun ihre Fruchtbarkeit ausweisen, indem sie bis
billiger haben können bei einem Dichterdenker wie Tschuangtse, der die Auf- in das logische Zentrum, die Kategorienlehre, vordringt.
gabe, dem Menschen in einer reflektierten Lage der philosophischen Bildung das Bei dem philosophischen Anspruch auf Objektivität und Allseitigkeit der
metaphysische Wissen zu vermitteln, dadurch löste, daß er die Unangemessen- Interpretation, der den "diktatorischen Lösungen" des Lehensrätsels entgegen-
heit des rein diskursiven Ausdrucks durch symbolische Ausdrucksweise mit tritt, geht es dann darum, den wissenschaftlichen Geist so weit und tief zu
künstlerischen Mitteln überwand ? (Fibel 246). Der Gewinn, der die Arbeit gründen, daß das zergliedernde Eindringen in den "Strukturzusammenhang"
lohnt, kann nur in der Sicherheit der Begründung liegen, in der philo- des Lehens die freie Beweglichkeit desselben zur gehaltvollen Gestaltung unserer
sophischen Grundlegung, die eben nicht die Intuition des Lehens nur ausspricht Existenz nicht einschränkt, sondern in gewaltlosem Bewältigen der Faktizi-
und aussprechend hervorruft, sondern die intuitio in ratio überführt. So be- täten, die unverstanden als dunkle Macht auf uns lasten, die Klarheit schafft,
mächtigt sich der Lehensphilosoph der positiven historischen Vernunft selber; durch die der menschliche Geist "souverän" wird. Und eben dasselbe nach der
statt sich von ihr tragen zu lassen, macht er sie zum Gegenstand der Besinnung, andern Seite hin, gegenüber dem Befangenbleiben in der dichterischen Imagi-
und das nicht bloß, um sie, die ihn trägt und bewegt, zu klarem Bewußtsein zu nation des Lehens oder der genießenden Betrachtung der Fülle der Möglich-
erheben, sondern um durch ihre begriffliche Aufklärung in den Zusammenhang keiten. Daß "das Erlebnis sich eine Zeitlang gleichsam emanzipiert von den
des menschlichen Lebensgeschehens überhaupt zergliedernd einzudringen. Fesseln des begrifflichen Denkens" und demzufolge dann die philosophische
Das besagt nun zunächst nichts anderes als das, was sich uns vom Beginn an Anthropologie in ein "direktes Verhältnis zu Kunst und Dichtung" tritt, ist
als die maßgehende Tendenz herausstellte: die Domäne der Lehensphilosophen nach Dilthey eine Übergangserscheinung, die regelmäßig auftritt,
für den neuen wissenschaftlichen Geist zu erobern. Aber inzwischen, nachdem "wenn eine Kultur sich auflöst UI\d eine neue entstehen soll"; dann"verblaßt die Begriffswelt, die
wir die Art des Bewußtmacheus und zu-Ende-Denkens verfolgt haben, hat das. aus der älteren hervorgegangen ist, und löst sich auf" (li, 437).
Ziel schärfere Umrisse gewonnen. Es erschien als eine seltsame Anm~tung, "auf Er vergleicht unter diesem historischen Gesichtspunkt die philosophische
dem Wege methodischer Wissenschaft" die Aufgabe lösen zu wollen, die ein Situation seiner Zeit mit der der Renaissance. Aber er bemerkt zugleich, daß
r1 1

92 Das Problem des Syndesmos Der Zug zur Wissenschaft in der Philosophie des Lebens 93
durch das Auftreten der genialen Lebensphilosophen in solchen Zeiten "neue Bindung bekommen, die ihm aus der Begriffswelt dieser Kultur, sozusage'D. von
Entwicklungen der systematischen Philosophie vorbereitet" werden (V, 371). außen, ohne sein Zutun zuwächst. Dann würde der heutige (oder gestrige)
Für die Renaissance findet er die Grenze jener Erlebnislage in der "Entwick- Denker diesem Vorgang nur zuschauen, sei es mit überlegenem Lächeln über
lung des naturwissenschaftlichen Geistes in Kepler, Galilei und Descartes". das immer wieder sich erneuernde Schauspiel der Syste~bauerei, sei es mit
Analog möchte man sagen, daß in seiner Gegenwart die V erselhständigung d.er glücklicher Zuversicht auf Grund der Überzeugung, daß nur eine stabile Ge-
.Geisteswissenschaften für den Fortgang zpr Systematik leitend war, wie sich sellschaftsordnung - stabil durch die Vorherrschaft einer allgemein verbind-
ihm denn auch in der Theorie dieser Wissenschaften der Weg zu einer wissen- lichen Begriffswelt - ein voll erfülltes Lehen und Schaffen, einen großen Stil
schaftlichen Philosophie des Lebens gehahnt hat. Aber dann drängt sich die in allem menschlichen Tun möglich mache, wie dies das Dogma des Katholizis-
Frage auf: ist solchermaßen nicht die philosophische Grundlegung von vorn- mus sowohl ~ie der positiven Philosophie von Auguste Comte ist. Oder ist jene
herein, noch während sie erst in der Ausbildung begriffen ist, demselben Schick- endlich errungene Souveränität des menschlichen Geistes etwas Endgültiges,
~al der Zersetzung überantwortet, das die konstruktive Systembildung der ein Ideal, vielmehrdas Ideal philosophischer Haltung, das als solches verbindlich
Cartesischen Epoche traf, die aus der Erkenntnis des göttlichen. Wesens die ist und, wenn es verloren zugehen droht, von neuem hochgehalten werden muß ?
zeitlosen Grundverhältnisse der Erfahrungswirklichkeit herleiten wollte ? Diese Frage wird uns noch einmal beschäftigen; denn sie führt auf das Ver-
Während doch behauptet wurde, es handle sich um den ,,letzten Schritt" zur hältni~ von Erkennen und Leben zurück. Jetzt aber gibt sie uns den Blickpunkt, ·.
Befreiung des Geistes und um den Weg "methodis~her Wissenschaft". - Die- um D1ltheys Bemühungen um die Kategorienlehre zu würdigen. Gibt es Kate-
selbe Frage begegnete uns schon zu Beginn, als wir die Abhängigkeit der im- gorien des Lebens und zielt auf sie das letzte Bemühen des Lehensphilosophen
manenten Lebensinterpretation von der "bürgerlichen Lebensanschauung" in auf seinem Wege zur Logik hin, dann ist damit jedenfalls- mag man nun das
Betracht zogen. Noch einmal droht die kulturhistorische Relativierung, nur ,Verstehen' dein ,Erkennen' gegenüberstellen, indem man dieses in dem engen
daß als das Fundament der Rela~ion jetzt eine andere, unbekannte Größe ein- Sinne einer rein theoretischen Stellung nimmt, für die das zu Begreifende als
tritt: wohl wiederum die "Kultur", aus der, wie Dilthey sagte, "die Begriffswelt 'Gegenstand' von Urteilen auftritt, oder mag man (was wirvorziehen und was auch
hervorgeht", aber nun die neue, die erst "entstehen soll", und vor deren Ent- Dilthey gelegentlich tut)das Wort ,Erkenntnis' in dem weiten Sinne nehmen,
stehung, in der eigentlichen Zeit der Lebensphilosophie, der "systemhildende in dem es das Verstehen unter sich befaßt-, jedenfalls ist zugestanden, daß es
Geist" zur Ohnmacht verdammt ist (II, 437). ein begriffliches Wissen vom Zusammenhang des Lebens gibt, das nicht von
Aber damit zeigt sich nun erst das ganze Problem, das hinter unserer Frage einer 'bestimmten kulturell bedingten "Begriffswelt" abhängig ist, sondern
steht. Soll die unabhängige und unbefangene Stellung gegenüber der Bedeutung gerade die in solcher Abhängigkeit liegende Bindung, die von einer festen Ge-
des Lebens, die von den freien Geistern der nachhegelschen Zeit erobert wurde, stalt des Lehens herkommt, grundsätzlich von sich ausschließt. Dieses Wissen
soll jene "Souveränität" des Geistes, für die es "nichts gibt, was Menschen muß, auf Grund des "Darinnenseins im Leben"; vollzogen werden: so sondert
binden könnte", nur ein vorübergehendes Kulturphänomen sein? die zu einer es sich von einem (rein theoretischen) "Erkennen durch Begriffe" ab. Positiv
Übergangslage gehörige philosophische Haltung, die alsbald abgelöst werden tritt aber damit jene freie philosophische Haltung, die über dem Lehen, in das
wird durch eine andere? In der neu sich bildenden Kultur wird "der system- das zergliedernde Denken sich hineinversetzt, zu schweben vermag, in die
bilde:nde Geist" wieder mächtig werden, aber seine Macht nur durch die neue Arbeit an der logischen Grundlegung ein. Und damit zugleich empfängt"diese von
Der hermeneutische Charakter der Lebensbegriffe Evozierende Aussage und rein-diskursive Feststellung 95
94

jener, die logische Aufgabe von der philosophischen Grundhaltung, ihren lebens· ters der "Begriffe", in denen eine ,.auf dem Untergrund des Lebens hervor·
wichtigen Sinn. Denn in der begrifflichen Arbeit an der Zergliederung des Lebens· tretende" Verhaltungsweise durch den sprachlichen Ausdruck ·phänotypisch
zusammenhangs muß sich nunmehr der Aufklärungszug des Denkens auswirken, abgegrenzt wird, nur die andere Seite des Sachverhaltes (nämlich vom Verstehen
den Dilthey als .,die Grundeigenschaft in allen Funktionen der Philosophie" her gesehen) betont, der uns unter dem Titel: "die Linie d~r Repräsentation
kemizeichnet (V, 415): dem .,Bedürfnis nach einer letzten Festigung der Stellung vom Erlebnis aus" begegnete und den Dilthey exakt formuliert, wenn er sagt:
des Menschen zur Welt" genugzutun und zugleich dem.,Streben, die Bindung ,.Der Begriff spricht einen Typus aus". Diese logischen Bestimmungen shi.d,
des Lebens an seine eingeschränkten Bedingungen zu überwinden". wie sie ja nur dem Verfahren der ,.synergistischen" Analyse entsprechen, ge·
Das letzte Moment, die Festigkeit und Offenheit zugleich, geht wesentlich den ~ rade im Gegensatz zu dem bequemen Irrationalismus .einer angeblichen
Zusammenhang der Kategorien untereinander an; das wird hernach klarzu- ,.Lebensphilosophie" at,Is, der handanlegenden Arbeit an der wissenschaft·
ste1Jen sein. Das andere, der hermeneutische Charakter der Begriffe, betrifft Iichen Forschung heraus entworfen, der historischen Forschung wie der psycho-
auch schon die einzelnen Kategorien je für sich alsTeile dieses Zusammenhanges; logischen, wo Diltheys Verfahren mit dem eines anerkannten Führers bei der
Und davon gehen wir aus. Umbildung dieser Wissenschaft, William James, zusammentraf. An James
konnte denn auch ebenso wie an Dilthey die uns hier angehende logische ·
1. Beobachtung gemacht· werden.
Wie Dilthey in der mehrfach berührten Abwehr der .,psychologischen Scho· "Was auf Grund des Verfahrens von J ames gewonnen wird, ist .eine Art Aufklärung, Aufhellung
des psychischen Geschehens . . . Seine Behauptungen haben einen interpretierenden Charakter.
lastik" der lntentionalitäts·Theorie von dem Prinzip: .,Leben: Ganzes" aus fest~
Der Leser wird so weit geführt, bis ihm unter Anwendung aller Mittel das Gesamtbild typischer
stellt: ., Gefühl und Wille nur Begriffe, weiche eine Anweisung sind, den ent· Vorgänge des seelischen Lebens gegenwärtig ist. Dann handelt es sich darum, den zusammen-
sprechenden Teil des Lebens nachzubilden", so erklärt er prinzipiell: fassenden prägnanten Ausdruck, den· aufklärenden AJisdruck zu finden, der die verschiedenen
einzelnen Erläuterungen zusammenfaßt" (Groethuysen, Zeitschr. f. Psychologie, 59, 1911).
"Die Worte Bedeutung, Verständnis, Sinn des Lebensverlaufes oder der Geschichie sagen uns
nichts als solches Hindeuten, nichts als diese im Verstehen enthaltene Beziehung der Geschehnisse Und so verhält es sich auch mit dem ,.Hindeuten", durch das der eigentüm·
auf einen inneren Zusammenhang, durch den sie verstanden werden" (VII, 238, 235). liche Begriffscharakter der Lebenskategorien: Bedeutung, Wert, Zweck usf. be-
Hier wie dort handelt es sich um dieselbe Art des Wissens, die, als ein logisches stimmt wurde; es handelt sich auch hier um die Ausbildung eines wissenschaft-
Phänomen erfaßt, nach Berücksichtigring in der Lehre vom Begriff verlanitt; lich tragfähigen Y erfahrens, und das wird möglich deshalb, weil die ,.Lebens-
und dieselbe findet, wenn man (wie dl:4d in unseren Darlegungen schon angelegt tiefe", in .die alles Verstehen zurückführt, eben nicht etwas Unrepräsentier·
ist) innerhalb der allgemeinen -'- zum "satz"mäßigen sprachlichen Ausdruck bares, nur der Intuition (und dann vermeintlich an sich selbst; in absoluter
überhaupt gehörigen - diskursiven Form die zwei polar entgegengesetzteil Realität) Zugängliches, Unaussprechliches ist, sondern das sich selbst Aus·
Möglichkeiten unterscheidet 1): die ,evozierende' Aussage für hermeneutische Ge· sprechende, im Ausdruck sich Objektivierende, das im Schaffen zur Explikatio~
staltungen gegenüber der ,rein diskursiven' Feststellung von theoretischen. Ge~ kommt, und also das ursprüngliche Woher, den dynamischen ,Untergrund'
genständlichkeiten. So ist mit jener Bestimmung des hindeutenden Charak· bildet, aus dem Gliederung, Gestaltung, Aufbau herkommt.
In dieser wissenschaftlichen Haltung, die der kategorialen Analyse des Lebens·
1) An diese Unterscheidung schließen sich die bemerkenswerten Ausführungen von H. Jacob
über die "Deutigkeit'' de~ Worte an, im Philosoph. Anzeiger 111,1928 (Knut Hamsun u. Th. Mann). zusanime~hangs ihr Maß gibt, erscheint jene ,.intuitive und reformatorische
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I
I

96 Der hermeneutische Charakter der Lebensbegriffe Wort und terminus 97


Stellung des Ethos", wie sie der junge Dilthey in Abwehr gegen einen "dunklen bekräftigt, bis zuletzt tut - als ein " Zeichen" , das d er T rager
·· · . . B e d eutung·
. . einer
moralischen Idealismus" forderte, gleichsam in Methode umgesetzt: in die un- Sei, hingestellt werden. .
ablässige innere Anspannung des Ganzheitdenkens, das dem Intellekt nicht er- .Indes, .soweit würde auch Heidegger mitgehen. Ein offensichtlicher Vorzug
laubt, aus dem "Darinnensein im Leben", abzusinken zu freiem Lauf über semer Leistung besteht ja in der Prägekraft' d'Ie mit
· d em Intensiven
· ·
. Sehen be-
einen Teil des Mannigfaltigen hin mit nur einmal erarbeiteten und dann stimmter Züge des Lebens zusa. mmengeht. Und das V erfahre P·· d G h
d· · . · n, .tur as ese ene,
fertigen Begriffen, - das den Philosophen stark. macht gegen die ihm gefähr- I~. "EXIstenzialien", aus dem Material der Umgangssprache bezeichnende Aus-
lichste Verführung, die Verführung durch sein begriffliches Handwerk. Die drucke zu prägen · d ih b ß
d . . I ',':Anr vo.n m ewu t und konsequent, geradezu als Technik
ebenso merkwürdige wie schwierige Kunst, die, mit Fichte zu reden, das "Er- er "eXIstenzia en alyse geübt.
leben" mit dem "Machen" verbindet, ist ein geistiges Experimentieren, stän-
I~ einer Abhandlung au~ seinem Schülerkreise (die freilich näher an Diltheyheranrückt), finden
diges Probieren, wo man "die eigene Haut zu Markte tragen" muß, um mit dem
: r dann au~h das, was unshier angeht, scharf ausgesprochen; es wird da geradezu aus der Analyse
Leben des Gegenstandes in Fühlung zu kommen. Statt der Aufstellung von er menschlichen Rede die Art der "begrifflichen Darstellung" hergeleitet die. Wll'. b · d Ge
üb ll • e1 er gen-
termii;ti, die für theoretische (rein diskursiv feststellbare)· Gegenständlichkeiten erste ung der evozierenden Aussage gegen die rein diskursive Feststellung im Auge hatten.
das Angemt;ssene ist, weil Sachverhalte in der Aussage ,aufgehoben' und rein daß der "ursprüngliche" Sinn der Rede sei einen andern mitt 1 d
di · 'h . ' "
· F
e s er eigenen ormulierung auf

aus ihr entnommen werden können, ist für das Aufklären hermeneutischer Be- e m I r me einzubegreifende Sache hinzuweisen". "Der anspruchsvolle g1·nn de W rt. .
d d uf . s o es 1st:
stände ein Verbleiben in der Sphäre der Worte gefordert, in gewaltlosem Aus- ~m. ar: . Anges~rochenen einen "Anstoß", eine "Anregung" zu geben; damit er selbst daran
nntbilde • "Auch Jede philosophische Formulierung,. die mehr als einen möglichst b t'
nutzen der Weisheit der Sprache, wobei das Wort nach einem Gesetz des evo- Hi · b will · d es Immten
nweis. ge en . .'Wir leichtfertig, indem sie sich zu ernst nimmt, und erreicht statt einer
zierenden Ausdrucks seine Ausdruckskraft aber auch sofort einbüßt, sobald es Erkenntms des geistigen Lebens ein Bekanntwerden mit Worten"I).
in terminologischen Gebrauch genommen ist, - z. B. das Wort ,,Erlebnis", so-
bald es zu einem Schlagwort wird, oder gar die "Sorge", im Gegensatz zu einem ~her wie ~iese Stdlung, die ja im Grunde nur die platonische ist (wer denkt
terminus wie ,Potential'. Denn für die hermeneutische Begrifflichkeit trifft all- mcht an die wundervollen, nie zu vergessenden Ausführungen des Ph"d
hi · .
?)
a ros . ,
1
gemein zu, was Dilthey für die Geisteswissenschaften dargelegt hat: daß sie er ge tend gemacht wird, möchte man darin bereits eine. Reaktion sehen
das "Undurchdringliche" nicht als "einen niederen Bodensatz des Lebens zu· gegen das Auswachsen zu einer kunstmäßigen Schulsprache fu"r d ·d h
h· · · , as nun oc
rücklassen", daß vielmehr "die dunklen tiefen Töne" von Erleben und Nach- Ier Wied~r ein ~oden bereitet wird, ähnlich wie einst in der Marburger Kant-
erleben in ihnen, "wenn auch nur leise, alles begriffliche Denken begleiten", O~thodoxie. Heideggers Buch will sicherlich mehr sein als ein "hypomnema",
indem "die Fülle des Lebens auch in den abstraktesten Sätzen dieser Wissen- WI~ Platon sagte, die begriffliche Darstellung soll sicher mehr sein als ein Mittel
schaften nachklingt" (VII, 110,331, IV, 157 u.ö.). Es handelt sich, wie schon ein~ "tiefer zu sehen", wie Dilthey sagt. Wie ergibt sich das? '
Es ergibt sich ' WI'll uns sch emen,
· ·
Wiederum aus der systematischen Richt ·
mal formuliert wurde (Idee der Lebensphilosophie 544), um dielebendige Art von
d Ph" I . . ung
Begriffen, die in· den Geisteswissenschaften auf Grund des Ausdruckscharakters er anomeno ogie auf die Ontologie. Das setzt bereits beim Herausholen der
ihrer unter der Berührung des Wortes erzitternden Gegenstände entspringen,
in freier Tat der Sprache dem eigenen Leben des Gegenstandes hingegeben ent- 1) K. Löwith Das Iridi 'd · d R ll .
• VI uum m er o e des Mitmenschen. Marburger Habilitationsschrift
springen. Allerdings darfdann das Wort nicht- wie Dilthey, durch Husserl 1928, s. 118f. '

Misch, Lebensphilosophie. 2. Auf!.


7
_~·.

Der hermeneutische Charakter der ~ebensbegriffe Abwehr der Konsequenz-Logik 99


98
Ausdruckskraft der Umgangssprache ein, wie wir das auch schon andeutet~n, Für Dilthey faßte sich das Begriffsproblem .der Lebensphilosophie in der
als wir sagten, daß hier.mit dem "Material'' der Worte operiert wer.de. Es zeigt dialektischen Aufgabe zusammen: "Linien zu ziehen in einem Fließenden".
sich an ~ der Gewaltsamkeit vieler Heideggerscher Prägungen, die auch von Hier ist der Gegensatz deutlich: die noch immer relativ starren Bestimmungen
ihm bewußt g~übt wird (ja als notwendig hergeleitet wird, in Konsequenz der der existenzialen Analytik. Und so geht hier der hermeneutische Zug aus der
Scheidung der eigentlichen und der vulgären Auslegung: 311), im Gege~sat~. zu Beweglichkeit der sprachlichen Sphäre, in der die Begriffsprägung immer
der ewaltlos ruhigen Art, sich der Weisheit der Sprache und der "s~nchwort- etwas Läßliches behält - und behalten muß, um ihre Ausdruckskraft nicht
g · · ·· h · E · · rf""hrt wie em expres- .einzubüßen, - über in eine feste Terminologie und ihr fein verzahntes
lichen" Selbstaussagen des Lebens zu bemac t1gen. r ve a
sionistischer Künstler, der die Worte aus der Atmosphäre, in der ~as Le~en Räderwerk.
hwm . gt herauslöst und ihnen eine Lokalfarbe gibt, in der sie ihre eigentliche Damit·aber kommen wir auf deiCanderen wesentlichen· Punkt zurück: den
SC ' . li h
Bedeutung zeigen· sollen, die aber keineswegs immer wirklich die ursprüug c e Zusammenhang der Existenzialleu bzw. der Lebenskategorien untereinander.
· t dern ihnen oft genug nur durch den konstruktiven Zusammenhang der Auch hier besteht zunächst noch Übereinstimmung, dem gemeinsamen her-
IS , son · h
Ontologie des Daseins auferlegt wird. Und im Verfolg dieser ontologisc en meneutischen Zuge entsprechend. Vor allem im Negativen: im Ausschluß der
Richtung, in die er das Lebensdenken hineinheben will, benutzt er ~un auc.h ,,Konsequenz-Logik", wie Heidegger es nennt. Dilthey drückt es anscheinend
geradezu, trotz des grundsätzlichen Vorhabens einer Befreiun.g der Philosophie noch radikaler aus, da er in dem Verfahren, die Lebenskategorien aufzufinden,
von der antiken Tradition, das klassische griechische, von Aristoteles zur Voll- beschlossen findet, daß "ihr Verhältnis D.icht auf eine logische Form gebracht
endung gebrachte morphologische Schema der Begriffskunst: ~ie Umpfählung werden kanil" (VII, 232). Indes ist da von der "logischen Form" nur in dem
des Wesentlichen an den Sachen durch zusammengesetzte Nommalfig~ren. ~· B. herköm~ichen, auf die theoretische Sphäre bzw. die apophantische Logik ein-

die Bestimmung des Daseins: ,,Schon sein in der Welt beiinnerweltlich S~Ie~­ geschränkten Sinne die Rede, also eben im Hinblick auf die Konsequenz-Be-
dem" ist unverkennbar nach dem Schema des tb 'CL ~Y eLYIX~ gebildet. Auch bienn ziehung von Sach:verhalten, die dort erst ihre - dann freilich auch zentrale, ein
ist Konsequenz: nicht bloß. die Hartnäckigkeit des phänomenologischen Denk- neues Zentrum bildende - Stelle hat. Während wir hier den Zusammenhang
' "
technikers, der ~inmal den Entschluß gefaßt hat, so zu reden, sondern. d.er Er- des Lebens selber verstehen sollen, der dem Erke~nen nie ganz zugänglich
kenntniswille des ontologischen Analytikers: durch solche Substanti~erung werden kann" (VII, 235). So stellt er auch gelegentlich seine Strukturlehre
v~n ·Komposita ergibt sich die Möglichkeit, die g~seh~ne . G~samtheit der schlechtweg der "Logik" gegenüber. Aber daß dies eine ungebührliche Ver-
Existenzialleu zusammen mit der erstrebten Durchsichtigkeit ihrer Aufbau- engung.der logischen Sphäre ist, braucht nach dem Dargelegten nicht mehr er-
Elemente terminologisch festzuhalten: durch das anatomische V erfa~ren, ~as läutert zu werden; wie Dilthey selbst ja gar nicht an diesem Sprachgebrauch
die Knochen, Muskeln und Bänder des Lebens reinlich herauspräpanert, smd · festhält, sondern von der "inneren Logik" des Lebens spricht, ja die "philo-
gleichsam konservierbare Musterpräparate für die· verschiedenen Gr~ndstruk- sophische Aktion" als ein "innerlichesZiehen" der im Leben liegenden "Kon-
iuren des Daseins zu gewinnen. sequenzen"' bezeichnet. Soll doch durch den Einsatz beim Verhalten und Ver-
stehen gerade die Erweiterung der Fundamente gewonnen werden, die es er-
Wie z. B. für die zum Dasein gehörige W eltlichkeit sich ergibt: :,Das W ~rin des sich verweise~d~n
Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem m der Semsart der B_ewandtms ISt möglicht, nicht bloß die Formen der "Apodeiktik", der rein diskursi~en Ver-
das Phänomen der Welt".
mittlung von fertig vorhandenem Wissen, sondern die des produktiven Denkens,

7*
Der hermeneutische Charakter der Lebensbegriffe Abwehr der Alternative: geschlossenes System oder Rhapsodie 1Ql
100
Und vollends nun das positive methodische Prinzip, das Dilthey für den Zu-
des erst zu erzeugenden Wissens, in die Logik hineinzubekommen. Soweit be-
sammenhang dieser Kategorien angibt (VII, 235) :
steht Übereinstimmung.
Aber der Gegensatz· zeigt sich schon darin an, daß Dilthey mit dem rein ge- "Diese allgemeinen Begriffe dienen einem Verständnis des Lehens zum Ausdru k S 'ht hi
· f' . c . o gi es er
nur em. reies Verhältnis zwischen Voraussetzung und Fortschreiten von 1·hr zu einem
· • s1c
an s1e · h
danklich durchsichtigen Folgezusammenhang zugleich ausschließt, daß "die
Anschließenden: das Neue ergibt sich nicht formal aus der Voraussetzuna, Vielmehr eht d
Zahl dieser Kategorien abgrenzbar sei". Denn das geht nicht bloß gegen die V t" d . . rf ß o g as
ers an ms. von emem e a ten Zug . weiter zu einem Neuen , das von I'hm aus verst and enwerd en
Kantsche Tafel mit den "zwölf Fächern" der Kategorien, womit ja schon die ~ann.' Das mne~e Verhältnis ist in der Möglichkeit des Nacherzeugens, Nacherleheus gegeben. Dies
Nachfolger Kants von Fichte an aufräumten, sondern es betrifft die ganze Vor- Ist die allgememe Methode, sobald" - er fügt hinzu, was uns noch Bedenken machen wird _
"~ohald das. Verstehen die Sphäre von Worten und den Sinn derselben verläßt und nicht einen ·
aussetzung, die hinter dem statischen Ansatz einer definiten J\:(annigfaltigkeit Smn von Zeichen sucht, sondern den viel tieferen Sinn von Lehensäußerung".
derselben steht, wie er nicht bloß bei Aristoteles und Kant, sondern auch bei den
Er beruft sich hier, wie für die "Energiebegriffe" überhaupt, auf Fichte, der die
altindischen Logikern zu.finden ist und bis zu Husserl in seinem Leibnizschen
Methode "zuerst geahnt" habe. Noch deutlicher bringt er die Sache heraus in
Ideal einer mathesis generalis fortwirkt: die sozusagen naiv rationalistische
I'} einem Einzelfall, der aber das Allgemeine enthält, bei· der zergliedernden Be-
Voraussetzung, daß das kategorial Erfaßbare etwas gedanklich Überschau-
schreibung des musikalischen Verstehens (221):
bares bzw. in sich Geschlossenes sein müsse. Eine Voraussetzung, die wiederum
die ganze Stellung der Philosophie von Grund aus angeht ! Denn es geht um "Überall freie Möglichkeit. Nirgends in diesem Bedingen eine Notwendiakeit Es ist wie e' f •
E' t" d · · h h d . o · In reies
mvers an ms SIC zustre en er und wieder abwendender Gestalten."
das wissenschaftliche Verlangen der "Vollständigkeit", das ein Zubehör der
Soweit ist alles im Reinen. Aber nun kommt die Schwierigkeit der Durch-
lehrhaften Gegenständlichkeit der Philosophie ist, das sich selber aber ent-
fü~ung. Und da scheint uns Dilthey im Stich zu lassen, während die phänomeno-
husiastisch als reinsten Zug ihres systematischen Wesens ausdeuten möchte.
logische Ontologie das zu Leistende zur Vollendung bringt. V ersucht man
Wie Kant (und nicht Platon) es als den "besonderen Reiz" und "unschätzbaren
n~ml~ch. seine verschiedenen Aufzeichnungen über die Kategorien des Lebens,
Vorteil" gepriesen hat,
Wie Sie Jetzt gesammelt vorliegen, zusammenzunehmen, so wird man statt in
,.den "man nur in der reinen Philosophie haben" kann, der "von dieser aber auch das Wesen Klarheit vielmehr in Verwirrung versetzt. Zwar dreht es sich immer um die-
ausmacht": "die Vollständigkeit in der Aufzählung, Klassifizierung und Spezialisierung der
selben Hauptbegriffe, vornehmlich Kraft und ,Bedeutung', Wert und Zweck
Begriffe apriori, mithin nach Prinzipien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles
lauter Rhapsodie, wo man niemals weiß, ob dessen, was man besitzt, genug ist, oder ob und Selbigkeit und ,Wesen', Entwicklung und Gestaltung. Aber ihre Anordnun~
wo noch etwas fehlen möge". wechselt, obwohl sie doch, nach dem angegebenen Prinzip, keineswegs bloß eine
Sache des logischen Arrangements ist. Der Fortgang des Verstehens zu einem
Die Dynamik des Lehens schließt die gedankliche Überschaubarkeit des imma-
sich Anschließenden, Neuen, scheint in bloßes Erzähl_en auszulaufen:
nenten Gefüges aus, von dem her die mannigfaltigen Gestaltungen des Lebens
verstanden werden sollen. Es muß offen bleiben, wenn anders die Individuation "Ein
Ud neuer
' Zug des Lehens. wird nun sichtbar, der durch die Zeit hedino-tist
" ... ".,eeeuung.
di B d t
" n hier entsteht nun Im Zusammenhang mit den Kategorien des Tuns und Erleidens die der
nicht bloß unter ästhetischem Gesichtspunkt als gestalthafte Besonderung des . Kraft" usw. (VII, 232, 202, 196.) .
all-einen Wesens gesehen, eine "Zusammenziehung" desselben ("Kontraktion"
Dilthey geht nicht bloß von verschiedenen Seiten her, s~ndern auf verschiede-
im pantheistischen Sinn), sondern als etwas Erwirktes, von dem Machtbegriff
nen Wegen an ~e Aufgabe heran. Der lebensphilosophische Einsatz bei der
des Lebens aus erfaßt, Explikation und Schaffen zugleich ist.
102 Das Problem des Syndesmos (Dilthey}

"erlebten Zeit", wie ihn damals auch Bergsou und dann Simmel nahmen, kommt
mit dem anthropologisch-historischen zusammen und kreuzt sich zugleich mit
einem abstrakt-logische~ und wissenstheoretischen Fortgang. Die Fäden sind
hier derart verwoben, daß ein V ersuch, sie auseinanderzulegen, geboten er-
scheint. Wir versuchen im folgenden eine solche Klarstellung, obwohl dazu, bei
der Schwierigkeit der Interpretation, ein weiteres Ausgreifen unvermeidlich
2.
wird. Aber es kommt prinzipiell darauf an, ob in der Lebensphilosophie "alles
Die Lebenskategorien und der Begriff der Bedeutung
lauter Rhapsodie" ist.
Kraft und Bedeutung! Seit Platon in einer geschichtlichen Lage, in der die
Philosophie zum erstenmal sich selber zum Problem wurde, auf die Frage nach
dem einigen Wesen der philosophischen "Gattung" mit der nach dem einigen
"Sein" antwortete und so, im-Blick auf das "göttliche" Ziel alles philosophischen
Bemühens die Hee;haufen schied in dem "Gigantenkampf" um die usia, seit-
dem ~>teht wie etwas Elementares der Gegensatz fest zwischen den "Erd-
stämmigen" und den· "Ideenfreunden", und die Begriffe, ihn zu bestimmen: .
"Die einen ziehen alles vom Himmel aus dem Unsichtbaren auf die Erde ... ,Alles was irgendwie
etwas zu tun oder zu leiden vermag, hat wirkliches Sein' ... Die, die im Streit mit ihnen liegen,
suchen sich von irgendwo oben .her aus dem Unsichtbaren Schutz und behaupten, daß gewisse
vom Verstand erlaßbare körperlose Formen (eide) das wahrhafte Sein sind." (Sophistes 246.)
Materialismus oder Positivismus und Idealismus, oder sei es Empirismus und
Rationalismus, oder wie man es auch nehme: der Gegensatz ist doch erschöp-
fend, eine Alternative nur für die Erkenntnistheorie und nicht für die Philo-
sophie als solche. Wie. einst Platon suchte Dilthey die Frage der Philosophie
jenseits der streitenden Parteien, deren Arbeiten er in seiner Zeit "nach
langer, im wesentlichen abgeschiedener Entwicklung beider Ansichten zu-
sammentreffen" sah. Im "Sophistes" ging Platon von jenem Gegensatz auf
die ihn umfassende Frage nach dem Sein und somit auf die Logik der Aussage
zurück: aus der logischen Feststellung, daß die Aussage als eine Verbindung
des Verschiedenen dynamisch ist und daß dies die unbewußte Voraussetzung
aller philosophischen Parteien sei, ging die Stellung der entscheidenden Frage
nach dem Beziehungszusammenhang der Grundbegriffe hervor. Inzwischen
1
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I 04 · Die Lebenskategorien und der Begriff der Bedeutung (Dilthey) Obergang: von den 'formalen' Kategorien zu denen des .Lebens 105 I

einer Bestimmung, die sich in weltanschaulicher Hinsicht ergab: "Zusammenschauen tier Teile
I:
hatte Fichte auf dem Boden von Kant die zwei Seiten der Alternative:· "Dog-
in einem Ganzen, Erhebung von Lebenszusammenhang inW eltzusammenhang". In jenem ,Zugleich'
matismus" und (kritischer) "Idealismus" auf einen (absoluten) Unterschied des steckt das Problem. Dilthey selber formulierte es ehedem, in romantischem Zuge: "Denken =
"Lebensgrades"- "was· für ein Mensch man sei"- zurückgeführt: die "Wahl" Verhältnis von Bestandteilen. Dieses im Gegensatz zu dem Lebensbegriff des Ganzen. Die Tragik
aber, daß wir diesen Lebensbegriff nur in dieser Form haben können." Eine "Tragik" von rein
der "gemeinen Denkart" ist Selbstvergessenheit, die intellektuelle Überlegen-
gedanklichem Belang! Sie äußert sich in einem dialektischen V erfahren, das als eine "philosophi-
heit des Kritizismus ist zugleich Erhebung zum Seihstand des Geistes durch sche Verlegenheit" (was nach Heideggers Urteil die Dialektik überhaupt ist) erscheint: der Weg
das Radikale der sittlichen Entscheidung. Bei Dilthey, dem solch Radikalismus von der logischen Form vorwärts zu den Kategorien des Lebens ist in sich selbst rückläufig.
Von der "formalen" Kategorie wie von etwas Feststehendem ausgehend führt er zu der Frage-
. fernliegt, steht die Konzeption der Dynamik des Lebens, die der logischen stellung: Welches ist die "bestimmte Art von Beziehungen eines Ganzen zu seinen Teilen, die im
Sphäre den Charakter einer Hervorbringung, des Explizierens und Schaffens Wesen des Lebens liegt" und im Erleben und V erstehen "da ist" ? Aber indem so die entscheidende
Stelle, an der die Bedeutung des Lebens sitzt, im Fortgang von den formalen zu den realen Kate-
ineins, gibt, der reinen Methode der Beziehungen der Begriffe entgegen. Und
gorien erreicht wird, erweist sich jener Ausgangspunkt selber als ein bloßes Derivat, abkünftig
wenn nun auch er für die Kategorien des Lebens das grundlegende Problem von der "Bedeutung", die "mit der Totalität des auffassenden Subjekts zusammenhängt", ein
ihres Zusammenhanges erfaßt, so fragen wir, wo er es anfassen möge? Ergebnis ihrer logischen Formalisierlmg, bei der gerade ihr lebensmäßiger Gehalt entschlüpft.
.,Verallgemeinere ich", erklärt Dilthey, "den Ausdruck: ,Bedeutung' so, daß er identisch ist mit
Es scheint zunächst, als fasse er es nur immer wieder an einem Zipfel an, jeder :ßeziehung, die dem Subjekt zwischen Teilen und Ganzem aufgeht, so daß auch der Gegen-
. bald an diesem, bald an jenem, mit jeweils bereitem alten oder neuen Begriffs- stand ·des Denkvorgangs oder vielmehr die Beziehung der Teile im gegenständlichen Denken oder
in der Zwecksetzung darunter begriffen ist, sonach auch die Allgemeinvorstellung, welche die
werkzeug. Wohl laufen die verschiedenen Züge, dem Grundsatz: ,,Lehen
Einzelbilder konstruiert, dann sagt eben Bedeutung nichts als Zugehörigkeit zu einem Ganzen,
Ganzes" entsprechend, alle auf die Kategorie des Ganzen und der Teile hin, und", fährt er fort, "in diesem Ganzen ist das Lebensrätsel, wie ein Ganzes als organisch oder
aber diese Kategorie, die in der platonischen Richtung zum Herd der Begriffs- seelisch Realität haben kann, eliminiert.'' (VII, 230.)
Aber beruht nicht- so muß der Logiker fragen- diese ganze "Tragödie" auf einem Miß-
dialektik wurde, taucht hier wie ein Rätselwort auf an dem Tor zum Geheimnis verständnis der. logischen Form? Der Fortgang führt zum Abbruch seines Ziels, weil die ihn
des Lebens. führende Unterscheidung der formalen und der realen Kategorien selber brüchig ist. Ist denn
etwa Bedeutung etwas "Reales ?" wie ein Tun oder Leiden oder vielleicht ein Gut etwas Reales
Fürs erste handelt es sich um einen Weg, von der überlieferten reinen Logik her an die Lebens-
ist? Weil sie das von sich aus nicht ist, bleibt das "Reale" außerhalb ihres Horizontes, auch wenn
kategorien heranzukommen. Der Begriff des Ganzen und der Teile soll eine solche Möglichkeit
ich sie in ihrem eigenen, einheimischen Sinne allgemein fasse, sei es, von der Zeit her, als ideelles
bieten. Er wird von der "weltanschaulichen" Bezeichnung, in der er als "die Form des Auffassens
Festhalten der Gegenwart, sei es, objektiv gewandt, als Ausdruck1dafür, daß innerhalb des Lebens-
im objektiven Idealismus" bestimmt wurde (li 316, Typen 48) losgelöst und aus der Logik auf-
verhaltens jegliches ,etwas zu besagen' hat. Soll aber "reai" im Gegensatz zu "formal" nur die
genommen als "eine Weise der Aussage über alle Wirklichkeit", die als solche eine "formale
Beziehung der Kategorien auf den Gehalt der Sachen bezeichnen, dann wäre einfach zu erklären:
Kategorie" darstellt gleich ihrem Gegenstück, der Subsumtionsbeziehung des Besonderen und
"sachlich" steht nicht im Gegensatz zu "formal", wie das von phänomenologischer Seite aus-
Allgemeinen: "formal" im Gegensatz zu "real", also im Sinne der kantischen (auch von Windel-
drücklich herausgestellt worden ist (H. Lipps ), aber auch von Kant her an der Richtung auf eine
band damals hervorgeholten) Einte!lung der Kategorien in "reflexive" und "konstitutive"
"Sachlogik" (Lotze) zu sehen ist.
(VII 195 u. a. IV 45). So wird Dilthey von dem lebensphilosophischen Beginn mit der Zeitlichkeit
In der Tat läuft jene Stellung des Lebensproblems: "Wie ein Ganzes Realität haben könne ?",
und dem darin angelegten Fortgang zu der Bedeutung des Lebens, der geradwegs zu diesem
auf mehr und anderes hinaus. Das verrät sich in der Bestimmung dieses fraglichen Realitäts-
"neuen", aber durchjene erste Bestimmung "bedingten" Zug des Lebens hinführen sollte (und
chaniktP.rs als "organisch oder seelisch". Eine solche Bestimmung scheint ganz außerhalb der
auch zu ihm hinführen kann, vermittelt durch den "Schematismus" der Zeit), er wird von da aus
Sphäre der Bedeutung zu liegen, an deren Horizont sie auftritt. Aber es bekundet sich hierin nun
zurückgedrängt, zunächst zu der Kategorie Zusammenhang, die in jenem Beginn wie in diesem
eine weitere Schwierigkeit des Vorgehens von dem Prinzip: "Leben Ganzes" aus. "Das Leben muß",
Fortgang bereits eingeschlossen ist, dann weiter zurück auf die des Ganzen und der Teile, und dies
erklärt Dilthey, "den Ausgangspunkt der Philosophie bilden", weil es "das von innen Bekannte"
in mehrfacher Hinsicht: die Erlebnisse hängen sowohl untereinander wie auch als "Teile eines
ist, weil es "das ist, hinter das nicht zurückgegangen werden kann". Und diesen feststehenden Satz
Selbst" zusammen und schließlich: "Leben ist ein Teil des Lebens überhaupt" (VII, 261. 359).
erläuternd: "Hinter das Leben kann das Erkennen nicht zurückgehen, das heißt: es kann keinen
Aber gleich hier tritt nun die Schwierigkeit zutage. Der unter die "formalen Kategorien"
Zusammenhang machen, der nicht in der eigenen Lebendigkeit gegeben ist." Aber das "Leben"
eingereihte Begriff wird zugleich als ein "Lebensbegriff" gekennzeichnet, und das entspricht nur
·;I'
I ,'I

106 Die Lebenskategorien und der Begriffder Bedeutung (Dilthey) Zwiefacher Sinn der Lebenskategorien 107
in dem biographischen Sinne, in dem es hier genommen ist, ist doch wiederum "ein Teil des und Psychisches zu trennen pflegt. Sie enthält den lebendigen Zusammenhang heider. Wir sind
Lehens überhaupt'' und als solcher ein nicht bloß menschliches, das nur unser wäre. Es "erstreckt selber Natur, und die Natur wirkt in uns, unhewußt, in dunkeln Trieben" (VII, 80, 131). Die Ab-
sich auf den ganzen Umfang des objektiven Geistes" (VII, 359), aber es erstreckt sich auch zurück sonderung der Menschheit von der ihr nächststehenden organischen Natur und weiter abwärts
in das Reich des Organischen. Dilthey hebt ausdrücklich innerhalb des Zusammenhanges dar der anorganischen begreift sich als "eine Trennung vonTeilen am Ganzen der Erde" und gründet
Kategorienlehre hervor, was er auch sonst wiederholt betont, daß "nach dem Charakter der sich sachlich darauf, daß auf der menschlichen Stufe "Begriff, W ertabschätzung, Realisierung
Evolution der in unsere Erfahrung fallenden Wirklichkeit das organische von Zwecken, Bewußtsein der Lebensbedeutung auftreten" (84).
Lehen als ein Zwischenglied zwischen der unorganischen Natur und der ge- Das Ausgehen vom Leben als dem "von innen Bekannten", d. h. Erlebbar-Verständlichen,
schichtlichen Welt, sonach als eine Vorstufe der letzteren anzusehen ist" schließt den Aufbau von unten insofern aus, als dieses "Unten", das innerhalb der menschlichen
(VII, 198). Und diese Erklärung, die gelegentlich auch noch erdstämmiger formuliert wird ("Auf Weltansicht abwärts liegt, in der Naturerkenntnis zu einem Zentrum für eine selbständige Gruppe
dem Boden des Physischen tritt das geistige Lehen auf", 196), bezieht sich gerade auf die pro- von Wissenschaften herausgebildet wird, zu denen die Biologie gehört, wogegen dann mit der Aus-
blematische Stelle des logischen Fortgangs, auf den Übergang von den "formalen" Kategorien, bildung der Geisteswissenschaften ein anderes - gleichfalls "aus dem Gesetz des Tatbestandes
denen als solchen die Universalität eignet, zu den "realen", wo das Verhältnis des Ganzen zu den gebildetes" - Zentrum entsteht .. Mit diesem Gegensatz ist dann aber auch bereits die logische
Teilen in Frage steht. Der Grundsatz: "Lehen Ganzes" könnte wohl eine positivistische Wendung Entwicklung der Kategorie!! belastet, die von den "formalen" zu den "realen" vorwärtsgeht.
vertragen. So hat Comte trotz des gradlinigen Aufstiegs in dem Stufenhau der positiven Wissen- Die realen Kategorien sind nicht alle im eminenten Sinne solche des "Lebens". Wir stehen vor
schaften an der Stelle, wo das Lehen als ein Phänomen an organischen Körpern auftritt, die Not- einer Situation, analog derjenigen, die sich bei Heidegger in der Unterscheidung der "Existen-
wendigkeit einer grande modification logique anerkannt, nicht bloß, wie ~;~.uf jeder neuen Stufe, zialien" von den "Kategorien" auswirkt.
un brusque enrichissement du reel, ·und er bestimmte diese "Modifikation" der Methode eben als Hier greift der theoretische Weg ein, der an den Wissenschaften orientiert ist. Wissenschafts-
das passer du tout aux details. Aber Dilthey lehnt das Unternehmen ab, vom organischen Lehen theoretisch gerichtet, erfolgt der Fortgang am Leitfaden des Problems der Abgrenzung der
aus an das menschliche heranzukommen. Wir stießen· schon darauf: wohl muß man bei dem Geisteswissenschaften von denen der Natur. Da geht die Frage zuerst nach denjenigen Kategorien
"Strukturzusammenhang" des Lehens, wie er im "empirischen Bewußtsein" enthalten ist, an die ·des Lebens, die nur spezifisch von den naturwissenschaftlichen verschieden sind- das be-
biologische Struktur denken, aber ein Verfolgen dieser Ähnlichkeiten führt nur zu "vagen Ana- trifft den Wirkungszusammenhang im Unterschied zu dem Kausalbegriff der klassischen
logien". Und prinzipiell: Wenn Comte formulierte: Le monde d'abord, l'homme ensuite, teile est Ia Physik- und dann nach den ganz anderen, die dem Lehen als menschlich-geschichtlichem
marcl!e positive de notre intelligence, so steht dem die Erklärung Diltheys gegenüber: "Ehedem allein eigen sind, mit ihm erst "entstehen" mögen, wie vor allem die Bedeutung und an sie an-
suchte man, von der Welt aus Lehen zu erfassen. Es gibt aber nur den Weg von schließend Sinn oder Wert und Zweck (VII, 197, 202).
der Deutung des Lehens zur Welt. Und das Lehen ist nur da im Erleben, Ver- Aber dieser wissenschaftstheoretische Fortgang ist nun wiederum bereits durch jenen lebens-
stehen und geschichtlichen Auffassen" (VII, 291). philosophischen Einsatz überholt. Denn wenn die Scheidung der Natur- und Geisteswissen-
Indes: Diese Erklärung betrifft in ihrer grundsätzlichen (und also anderes ausschließenden) schaften von dem Erkenntnistheoretiker hingenommen werden, ja als ein Fortschritt in der
Absicht doch wesentlich nur die eine, mit der "Bedeutung" anhebende Gruppe der Lehenskate- Arbeit der Aufklärung am Durchsichtigmachen der Erfahrungswirklichkeit begrüßt werden mag, so
gorien. "Wir tragen keinen Sinn von der Welt in das Lehen. Wir sind der Mög- kann doch der Philosoph sich nicht dabei beruhigen und mit der Feststellung enden: "Wo noch
lichkeit offen, da:ß Sinn und Bedeutung erst im Menschen und seiner Geschichte heute ein Natur und Geist umspannendes systematisches Lehrgebäude hervortrat, hat es nicht
entstehen." Und eben dies, daß sie im Menschen als einem geschichtlichen Wesen "erst ent- vermocht, auf die Gestaltung des Lebens zu wirken" (Grundriß der Gesch. der Philos.", 149).
stehen" mögen, weist ja hinter sie zurück. So fügt Dilthey auch da, wo er von sich selbst, von Eben dieser praktische Beruf der Philosophie, den die klassischen metaphysischen Systeme dank
seinem philosophischen Impuls, von seinem geschichtlichen Weg in die "erfahrhare Wirklichkeit" ihrem absoluten Anfang auf dem Wege von Gott zu Mensch und Welt zu erfüllen vermochten,
spricht, zu seinem Begriff der "geistigen Welt" wiederum die Bemerkung hinzu: "Sie erschien ist nach dem Wegfall der J enseitigkeiten, der in den Erfahrungswissenschaften selber sich voll-
mir in dem Zusammenhang der Evolution des Universums in einer nicht weiter angehbaren zog, der lebensphilosophischen Grundlegung überantwortet und so muß die Ursprungseinheit der
Weise" (V, 418). Der Verzicht auf einen Aufbau von unten schließt also die Hintergründigkeit geschiedenen "Welten", die bei dem metaphysischen Anfang mit dem Begriff des absolut unend-
des Begriffes "Lehen" nicht aus, sondern ein. Ja, dieser Verzicht hat überhaupt nicht einen pri- lichen Wesens schlechtweg feststand, ihr wesentliches Anliegen bleiben. Dilthey ergreift diese Auf-
mär lehensphilosophischen Belang-wie könnte sonst Goethes Unternehmen, den Menschen gabe von der Theorie der Geisteswissenschaften aus, aber indem er sie als Philosoph ergreift,
"aus den Materialien der Natur zu erbauen", noch vorbildlich sein? - , sondern bezieht sich wird er hinter die im Bereich der Wissenschaften vorgefundene Scheidung zurückgedrängt auf den
bereits auf die theoretische Bearbeitung der Welt des Lebens und Wissens durch die Wissen- Zusammenhang, den wir zu fixieren suchten, indem wir das innerhalb des menschlichen Lebens
schaften, die in isolierender Abstraktion vorwärtsgehen. Vor der wissenschaftlichen Bearbeitung, selber "nach unten" Liegende von den "aufwärts liegenden" Bedeutungsbezügen unterschieden.
in ihrem Rohzustande", zeigt die "große Tatsache: Leben", als ein das Menschengeschlecht, die Er verlangt von "seinem Buch", daß es "ein Resultat für die Gegenwart habe": deshalb
"menscwi'che Welt" umfassender Zusammenhan'g, das "ungesondert, was man als Physisches könne es "auf ein Zusammennehmen der Natur- und Geisteswissenschaften nicht verzichten".
108 Die Lebenskategorien und der Begriff der Bedeutung (Dilthey)
Der anthropologisch-historische Weg zu den Lebenskategorien 109
Denn von einem solchen Zusammennehmen ist die Antwort auf "die Frage der Philosophie"
abhängig: "welches Lehensverhalten aus der so erfaßten Wahrheit des Lehens sich ergibt, das Von hier aus geht es dann weiter auf dem schon angegebenen stufenweisen
r.ealisierbar wäre". Dieser Wille zur Verhindung der Ethik mit der Wissenschaftslehre, der dem Gang der Aufklärung und Erweiterung des Wissens des Menschen von sich
Fichte'schen Angriff gegen die l(antische Trennung beider entspricht, aber durch die Orientierung
selbst an den Objektivationen des Lebens entlang bis zu der Frage nach dem
an den Erfahrungswissenschaften einen positivistischen Zug erhält, ist für den Aufhau der Philo-
sophie von ebenso prinzipiellem Belang wie die - den Positivismus aufhebende - Eiufühiung universalgeschichtlichen Zusammenhang und der Systematik in der geistigen
des Begriffs der· Lehenswahrheit in die Erkenntnistheorie zur Vermittlung jener Verbindung, Welt.
die in den vorkantischen Systemen durch den gradlinigen Fortgang von der Metaphysik zur
Ethik geleistet worden war. Heidegger gegenüber kommt hier vornehmlich das erstere Moment Aber in diesen Fortgang, den Dilthey auch einmal gradwegs nimmt (ohne
in Betracht, die Würdigung der Wissenschaften und insbesondere der Naturwissenschaften, da Rücksicht auf die naturnahen Kategorien des Wirkens und der Kraft: VII, 198,
er hier eine entgegengesetzte Stellung einnimmt (oben S. 23), die Stellung, die Dilthey in der
234), gehört doch noch ein Zwischenglied, das in der Wechselbewegung von Er-
Abwehr gegen Nietzsche kritisierte: unter Üherspringung der Erfahrungswissenschaften heraus-
hekommen wollen, was das Lehen sei. Für die existenziale Analytik des Daseins muß ein Hinein- leben und V ers·tehen durch den "Wissenstheoretischen'' Belang des letzteren
ziehen der Wissenschaftslehre in die Fragen der Grundlegung abwegig erscheinen, da die "Kate- bestimmt ist. Dem Einsatz bei der Selbstbiographie vom Erleben aus korrespon-
gorien" aus den "Existenzialien" herzuleiten sind und die Natur selber als eine Conception des
Daseins zu verstehen ist. Für Dilthey, der von dem geschichtlichen Zusammenhang der Arbeit diert der beim V erstehen anderer Personen, der von den Lebensäußerungen
menschlichen Forschens in den Wissenschaften ausgeht (1, 412), bleibt der Gegensatz der Natur- ausgeht. Und durch diesen Ausgangspunkt wird nun zugleich jener andere,
und Geisteswissenschaften mitbestimmend bei der Aufstellung der tehenskategorien, und das
philosophische Be~ühen um eine Auflösung dieses von ihm selbst herausgearbeiteten Gegen-
der vom Erlebnis zur Selbstbiographie als dem "Ausdruck der Besinnung des
satzes läuft in derselben Bewegung aus, die für die geisteswissenschaftliche Hermeneutik kenn- Individuums über seinen .Lebensverlauf" hinführte, unterbaut.
zeichnend war (oben S.4 7): von den Ohjektivationen des Lehens zurück in das Sich-objektivierende. Zur "Lebensäußerung" gehört nicht notwendig, wie zur Selbstbiographie, die
"Die Naturwissenschaft schafft durch ihre Kategorien eine Welt, die Geisteswissenschaft eine
andere. Unmöglich kann der Geist in ihrer Dualität verharren. Die philosophischen Systeme Absichtlichkeit ihrer Ausdrucksleistung, und das Verstehen ist hier ein "ele-
versuchen sie zu überwinden, vergebens! ... Diese Systeme nützen nichts. Was wir brauchen, mentares" in dem angegebenen Sinne (oben II, 2, S. 84), daß es sich um die
ist, die innere Beziehung dieser beiden Welten in uns zu erfassen. Wie wir wechselnde Ansichten
der Welt durchlaufen, bald als Natur uns fühlen, dunkel, voll von Instinkten, erdenmäßig ge-
"Deutung einer einzelnen Lebensäußerung", von den Mienen und Gebärden, ·
bunden usw." (VII, 276). Bewegungen und Ausrufen an, handelt. So treten nunmehr vor die "höheren
Es bleibt die anthropologisch-historische Richtung. Dilthey geht von einer Formen des Verstehens", in denen ein Zusammenhang des Lebens aus diesem
freien Betrachtung der Menschenwelt aus, blickt auf die Dichter, die Religiösen, selbst hervorgebracht wird und zu denen doch auch bereits die Selbstbesinnung
die Philosophen, die in ihr auftreten, das Leben tiefer durcherfahren und durch- und Selbstdarstellung gehör~, die "elementaren Formen" desselben, die bis in
leiden als die andern, sieht aber überall hindurchgehen das V erstehen, das "an jene von der Sonderung des Psychischen und Physischen noch unberührte
jedem Punkt eine Welt öffnet". Verstehen auf Grund des Erlebens! Vom Er- Schicht zurückreichen und, wie Dilthey erklärt, dem "praktischen Lebensver-
leben ausgehend, setzt Dilthey bei den autobiographischen Zeugnissen ein, kehr" in der menschlichen Gemeinschaft angehören (VII, 80, 207). Das besagt
um an ihnen ..,- entsprechend der Erklärung, daß die Besinnung eines Menschen aber riichts anderes, als daß hier die Stellung eingenommen wird, in der wir die
über sich selbst Richtpunkt und Grundlage bleibt, - die Lebenskategorien an Ausdruckslogik Fuß fassen sahen: daß wir nicht in einer strukturlosen Leben-
der Quelle zu ergreifen: wie hier digkeit, sondern in einer durch Ausdruck und Tat sich gestaltenden Welt
"ein Zusammenhang aufgesucht wird; der nicht in der Relation von Ursachen nnd Wirkungen leben und daß am Ausdruck zu erfassen ist, wie das Wissen "da ist", mit dem
besteht. Will man ihn aussprechen, so hat man nur Worte für ihn wie Wert, Zweck, Sinn, Be- Erleben "ohne Besinnen" verbunden. Dementsprechend fixiert Dilthey als das
deutung".
"Grundverhältnis", auf dem das elementare Verstehen beruht, "das des Aus-
llO Die Lebenskategorien und der Begriff der Bedeutung (Dilthey) Der kritische Punkt: Worte und Sätze als Lebensäußerungen 111

drucks zu dem, was in ihm ausgedrückt ist", im Unterschied wieder- einer Sprachgemeinschaft besteht, so wird die Deutung der Gebärden durch
um zu "dem des Erwirkten zum Wirkenden". Dieses letztere Grund- die in einem bestimmten Kulturkreis festgelegte Ordnung des Benehmens mög-
verhältnis kommt hier, wo nicht vom Erleben, sondern vom Verstehen aus- lich gemacht, so das Verständnis des Zwecks einer Handlung und der "elemen-
gegangen wird, nicht mehr vor der Kategorie der Bedeutung zu stehen, taren Akte, aus denen sie sich zusammensetzt" (das Aufheben eines Gegen- ·
sondern kommt erst zu dem unreflektierten Wissen von der Bedeutung einer standes, das Niederfallenlassen eines Hammers usf.), dadurch, daß "das Hand-
Lehensäußerung hinzu in einem Fortgang der Analyse, die von jenem ele- werk in den verschiedenen Ländern ein bestimmtes V erfahren und bestimmte
mentaren V erstehen zu den "höheren Formen" desselben aufsteigt, aber so Instrumente für die Vollziehung eines Zweckes entwickelt hat". Daraufhin er-
aufsteigend auch nur dem eigenen Gang der Lehensentwicklung nachgeht. Denn klärt er:
das Erwirken schließt sich im V ersteh~n erst auf, sobald oder insofern dieses "Nach der Beziehung zwischen der Lebensäußerung und dem Geistigen, das innerhalb .dieser
Gemeinsamkeit besteht, ist die Ergänzung des der Lebensäußerung zugehörigen Geistigen zu:-
"von den Lehensäußerungen eines Menschen auf den seelischen Zusammenhang,
gleich mit der Einordnung in ein Gemeinsames gegeben". (VII, 209, 207.)
den Charakter, oder von einer geistigen Schöpfung auf den Schaffenden zu-
Aber sind diese Begriffe von ,Ergänzung' (falls ,Ergänzung' nicht wörtlich
rückgeht". Dieser Übergang ist zwar, erklärt Düthey, in dem elementaren Ver-
genommen wird) und ,Einordnung' - und entsprechend für das V erstehen die
stehen innerhalb des Umgangs mit Menschen und Dingen "gleichsam immer
nachträgliche Erklärung durch die Analogie mit einem (nur unhewußt voll-
vor der Tür: aber er braucht nicht einzutreten". Während andererseits auch
zogenen) Schlußverfahren-der Schicht des "Verhaltens" angemessen? die
· im höheren V erstehen das andere Grundverhältnis, das von Ausdruck und
doch nach Diltheys eigener prinzipieller Feststellung für den Eingang in die
Ausgedrücktem, seine "Selbständigkeit" behält; denn das Verständnis geistiger
Kategorienlehre "der ausschließliche Angriffspunkt des Verstehens vom Lehen"
Schöpfungen ist oft nur auf den Zusammenhang gerichtet, in welchem die ein-
ist (VII, 232). Das, worauf es hier, im Interesse der Ausdruckslogik, ankommt,
zelnen Teile eines Werkes ein Ganzes bilden (208, 211).
die seelisch-leihliehe Lehenseinheit- oder genauer, mit Pleßner, der (von
Aber unter den "Lehensäußerungen", die solchermaßen dank dem Aus-
Scheler aus) den Begriff des Leibes klar herausgearbeitet hat: die Neutralität des
drucksverhältnis auf Grund des Darinnenseins in einer geistigen Welt "ele-
Lehensverhaltens gegenüber dem erst ,späteren' Unterschied des Psychischen
mentar" verstanden werden, führt Dilthey nun nebeneinander ·auf nicht nur
und Physischen- hat Dilthey selber denn auch genugsam betont, und nicht bloß
"die Gebärden und Mienen, Bewegungen und Ausrufe", sondern auch "Worte
im allgemeinen (VII,80u.a. ), sondern auchfür den jetzt in Frage stehenden Punkt:
und Sätze". Und da müssen wir fragen: Darf das Verstehen eines Satzes so
"In elementarster Form macht sich hier das Verhältnis zwischen Lebensäußerungen und dem
schlechtweg neben das von Ausdrucksbewegungen und Ausrufen gestellt Geistigen, das in allem V erstehen herrscht, geltend, nach welchem der Zug desselben zum aus-
werden? das doch sicher nicht erst auf der menschlichen Stufe des Lehens- gedrückten Geistigen in dieses das Ziel verlegt und doch die in den Sinnen gegebenen Äußerungen
nicht untergehen im Geistigen. Wie beides, etwa die Gebärde und der Schrecken, nicht ein Neben-
verhaltens auftritt1). Dilthey kommt zu dieser Nebeneinanderstellung durch die einander, sondern eine Einheit sind, ist in diesem Grundverhältnis vom Ausdruck zum Geistigen
ausschließliche Beziehung des elementaren Verstehens auf den ,,objektiven gegründet" (VII, 208).
Geist", die die menschliche Umwelt in ihrem wesentlich geschichtlichen Charakter Aber weiter. Während in jener Nebenordnung das Satzverständnis auf die
angeht: wie ein Satz nur verständlich ist durch die Gemeinsamkeit, die in gleiche Ebene mit der Deutung des mimischen Ausdrucks herabgezogen schien,
1) V gl. die ausgezeichneten Analysen von Pleßner und Bujtendijk, Die Deutung des mimischen
wobei diese aber ins Geistige emporgezogen wurde, erklärt Dilthey nun ander-
. Ausdrucks, im Philosoph. Anzeiger I, 1925. seits, daß das Verstehen eines Satzes "der einfachste Fall" sei, in welchem
112 Die Lebenskategorien und. der Begriff der, Bedeutung ( Dilthey) Ist der Obergang vom Lebensverhalten zur Aussage ein stetiger? 113
Bedeutung auftritt" (VII, 235 ). Und folgerecht geht er dann, um das "Gedeihen" "Gelegentlichkeit" ihres Gebrauchs innerhalb des menschlichen Lehensverkehrs
des Begriffs der Bedeutung als einer Kategorie des Lehens genetisch zu kon- ins Schwanken geraten. Und ehensowenig wollen wir den in jener N eheneinander-
struieren, von dem im zwei- oder mehrgliedrigen Aussagesatz enthaltenen dia- stellungangezeigten Zusammenhang leugnen zwischen den Worten oder Sätzen
lektischen Verhältnis des Ganzen und der Teile aus. und den Mienen, Gebärden, Ausrufen; diese Schicht erstreckt sich ja noch in
"Dasselbe Verhältnis besteht zwischen den Teilen und dem Ganzen eines Lebensverlaufes ..•
unsere gedanklich durchgebildeten Sprachen hinein, wo an der unteren Grenze
Ebenso verhält es sich mit der Geschichte". "Wie die Buchstaben eines Wortes haben Leben und
Geschichte einen Sinn. Wie eine Partikel oder Konjugation gibt es syntaktische Momente im der Rede die Interjektionen stehen. In der "Linie des Geschehens" geht ein Zu-
Leben und Geschehen, und sie haben eine Bedeutung" (VII, 235, 291). sammenhang von dem (nicht bloß menschlichen) Lehensverhalten und der zu-
Der Anklang an die platonische Darlegung des Beziehungszusammenhanges der gehörigen Ausdrucksbewegung und ·verständigung her aufwärts, der von der
Begriffe an der Hand der Grammatik (Sophistes 253) ist unüherhörhar. Und anfänglichen ungegliederten leihgebundenen Einheit von Ausdruck und Aus-
in der Tat: jetzt soll umgekehrt das elementare Wissen von der Bedeutung des gedrücktem (wie bei Gebärde und Schrecken) zu der strukturellen, in gewissen
Lehens wiederum von der formal-logischen, und zwar apophantisch-logischen Grenzen frei beweglichen Beziehung von Ausdruck und Bedeutung hinführt.
Schicht aus erreicht oder doch erhellt, freilich dadurch auch zugleich in seiner Nur daß uns fraglich ist, ob diese Linie stetig sei, ob nicht vielmehr - wie
Eigenart herausgestellt werden: schon einmal hervorgehoben wurde - auf ihr ein entscheidender Schritt an-
"die Beziehung ist von der grammatikalischen wesentlich verschieden. Der Ausdruck des Innern zuerkennen. sei, der schon bei der hinweisenden Gehärdel) zu finden wäre.
in den Teilen des Lebens ist etwas anderes als das Wortzeichen usw.".
Ein Tier kann nicht hinzeigen, und das Zeigen (hzw. Heischen) ist dann für die
Die wissenstheoretische Reflexion, die von oben nach unten blickt, droht hier Sätze der Sprache ebenso wesentlich wie das Verhältnis von Ausdruck und
dem lehensdenkerischen Zug die Richtung zu verkehren; denn von dem "Nach- Bedeutung.
bilden" als einer genetischen Konstruktion gilt, daß es "ein Schaffen in der Die hier zurückbleibenden Schwierigkeiten betreffen letztlich das Problem
Linie des Geschehens ist", während jetzt von dieser Methode wie von etwas des Hervorgehens der Aussage und des Erkennens aus dem Lehensverhalten.
Nachträgliebem gesagt wird, daß sie einzusetzen habe, Daß die Distanzierung (die auch erst das Zeigen ermöglicht) mit jener ,Rück-
"sobald das V erstehen die Sphäre von Worten und den Sinn derselben verläßt und nicht einen wendigkeit' des Wissens verbunden ist, scheint uns hier entscheidend zu sein.
Sinn von Zeichen sucht, sondern den viel tieferen Sinn von Lebensäußerung".
1
) Vgl. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes (1923), S. 20, 17f. Zu der dort gegebenen
Wir wollen, was die Sache selbst anlangt, nicht etwa das, was hier im Blick
Beschreibung der ;,darstellenden Gebärde" muß jedoch bemerkt werden, daß das wesentliche
steht, leugnen: den Zusammenhang zwischen der "Bedeutung" in dem rein Verhältnis von Hinzeigen und Vergegenständlichung nicht scharf genug zergliedert ist. Freyer
logischen Sinn des Wortes, indem geradezu der ,Begriff' als "die ~llgemeine Be- kennzeichnete sie als ein "anschauend Richtungen Auffassen und immanente Beziehungen in
der gegenständlichen Sphäre Auffinden". Da ist die "gegenständliche Sphäre", um deren Ur-
deutung des Wortes" definiert werden konnte ( Sigwart und Busserl), und der Be- sprung es sich handelt, unvermittelt eingeführt. Setzt man aber dafür "Umweltsituation"
deutung als einer "aus dem Leben selbst-gewonnenen" Kategorie. Eine oder "Umfeld" ein, so deckt sich jene Kennzeichnung, die "den innersten Akt psychischer
Menschwerdung" treffen soll, mit den Beschreibungen, durch die man gerade die tierische
Kluft klafft zwischen beiden erst, wenn das Wort, der lebendigen seelisch-leih- Intelligenz positiv zu fassen versucht hat. (V gl. Pleßner, Die Stufen des Organischen und der
liehen Einheit zum Trotz, als bloßes "Zeichen", das der ,,Träger" der Bedeutung Mensch, 1928, S. 267ff.). Indes erklärt Freyer nun auch: "Die Gebärde und das Urteil haben den
sei, hingestellt wird, und wenn des weiteren mit Busserl die Bedeutungen selber Sachverhalt zum gemeinsamen Gegenstand ihrer Intention". Aber da wird die "erste Objektivie-
rung" wiederum zu nahe an das spezifisch "logische" Denken herangerückt, entsprechend der
als ideale, in sich feststehende Einheiten genommen werden, die erst durch die geläufigen Definition des Urteils als der "Behauptung einer gegenständlichen Beziehung".

M l s c h, Lebensphilosophie. 2. ·Aufl.
8
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ll4 Die Lebenskategorien und der Begriff der Eedeutung (Dilthey} Die wesentliche Schwierigkeit des hermeneutischen Verfahrens 115
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Und so können wir uns auch nicht, solange das ,Sein' noch im Dunkel liegt,
Aber gerade für diese entscheidende Frage vermögen wir, wie schon mehrfach
het~nt, auch in Heideggers existentialen Analysen den Aufschluß, den wir überzeugen, daß es der von ihm geforderten Umstellung in die "Ontologie" he-
dürfe, um zu helfen, wenn man auf dem Diltheyschen Wege ins Stocken kommt,
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suchen, nicht zu finden.
Denn Heidegger behält gerade hier die von Dilthey eingenommene Stellung sondern möchten erst zusehen, ob eine energische Zusammennahme und Ord-
bei, wenigstens prinzipiell, nämlich soweit als sie mit dem antiken und speziell nung der verschiedenen, auf diesem hermeneutischen Wege liegenden Beobach-
.· tungen weiterführt
aristotelischen St11fungsprinzip des Fortganges übereinstimmt. Er geht zwar
im Gegensatz zu der erkenntnistheqretischen Tradition und deren Einsatz bei Wenn es das letzte Ziel der Auslegungskunst ist, "den Autor besser zu verstehen, als er sich selber
verstanden hat", dieses Ziel aber, wie Dilthey selbst das entwickelt hat, aus der Lehre vom unbe-
.· der W ahmehmung mit ei:ner Entschiedenheit, die ihm nicht genug zu danken wußten Schaffen hervorgeht (V, 331), so kommt man bei der Anwendung dieses Satzes auf einen
. .

ist,· von ·dem Bedeutungsverständnis aus, das zum menschlichen Lehensver- philosophischen Autor, dessen Schaffen wesentlich ein Bewußtmachen ist, in Verlegenheit. Es
bedarf eines immanenten Richtmaßes für die kritische Interpretation. Und das dürfte in einer
halten gehört, er sieht dasselbe treffend in der Auseinandersetzung mit dem
gewissen Sorglosigkeit von Diltheys Schaffen oder vielmehr seiner Formulierungen zu finden sein.
Begegnenden in der Welt (wenn auch unzulänglich in der Fassung dieser Aus-· Oft genug nämlich, wenn die Analyse ins einzelne geht, konzentriert er sich bei diesem Eingehen
einandersetzung als "Zuturihahen mit zuhandenem Zeug") und er führt so den dermaßen auf das jewcilen im Vordergrund Stehende, daß er das andere, was außerdem auch noch
im Blickfeld da ist, ganz vergessen zu haben scheint, und dann wieder stellt er zuweilen die bereits
Kampf gegen die "intellektualistische" Erkenntnistheorie zum Abschluß, ja zergliederten Momente wie in einer noch ungegliederten Totalanschauung hin. Ist dies vornehmlich
zeigt erst ganz dessen Tragweite für die allgemeine philosophische Logik. Aber eine Sache des Gedächtnisses, so hat es doch auch eine Konsequenz für die Gewichtsverteilung. Es
k~nnen bei Dilthey wesentliche Einsichten, die aufblitzten und ~uch begrifflich festgestellt wurden,
an der stetigen Linie des Fortganges· von diesem lehensphilosophischen Einsatz wxeder durch ihm geläufige oder zeitläufige Formulierungen verdeckt werden (vgl. VorberichtV, xr).
aus hält er fest, so daß der von Aristoteles (Metaphysik I, 1) in intellektueller Hieraufhin wird es nicht aussichtslos sein, seiner Intention in bezug auf den Zusammenhang der
Hinsicht entworfene Stufenaufhau (Wahrnehmung~ Erfahrung-Sachkunde Lebenskategorien noch weiter nachzugehen. Obwohl er diese Aufzeichnungen nicht zur Veröffent-
lichung reif befunden hat, ist doch in ihnen sicher - darauf stößt man bei der Beschäftigung mit
des Werktätigen- des Werkleiters- theoretisches Wissen- Philosophie) im Dilt~ey immer wieder- Wesentliches produktiv gegriffen. Und es fragt sich nur, ob es gelingt,
Grunde unerschüttert bleibt. Z. B. soll in dem Weglegen eines Ilammers - soweit durchzusehen, daß die Intention herausspringt.

einem Tun, das gewiß nicht erst im spezifisch menschlichen Lehensverhalten Im.· Bisherigen verwirrte uns das Hin und Her. Aber das Verwirrende hat
möglich ist - das Moment, auf das es dem Logiker bei der Aussage "der sich doch bereits insofern aufgeklärt, als von den verschiedenen Seiten her die-
Hammer ist schwer" ankommt, derart enthalten sein, daß die prädikative selben Begriffe, Wirken und Bedeutung, zentral wurden, wenn auch in wechseln-
Redeform darauf zurückgreifen und es lediglich in derWeise eines Ausdrucks der Stellung. Es wurden gleichsam die Gesichtspunkte, da heranzukommen,
aufnehmen kann. Doch dies Bedenken wird erst noch weiterhin zu begründen durchpr?hiert. Und auch das Hin und Her selber war nichts Zufälliges, sondern
sein. -Bei Dilthey war uns bedenklich, da~ er das Niederfalleri.lassen des Ham· beruhte auf einer wesentlichen Schwierigkeit des hermeneutischen Verfahrens
mers mit dem mimischen Ausdruck sowohl wie den Sätzen der Rede zusammen- selbst. Dieses soll als Nachbilden des Lehenszusammenhanges ein "Schaffen in
nahm, um das elementare V erstehen schlechtweg an die Sphäre des objektiveil der Linie des Geschehens" sein und muß doch zugleich als philosophische Aktion
Geistes zu binden. Bei Heidegger, der diese Sphäre (oder doch das Geistige des BeWußtmacheus die lebendigen Linien des Zusammenhanges, in denen es
in ihr) übergeht, ist aber nicht ohne weiteres sicher, ob er das aus größerer Unhe- vorwärtsgeht, erst selber gedanklich ziehen; so kann es sich der Rückbeziehung
.fangenheit tut, wenn er, wie zu Beginn ausgeführt wurde, das Zutunhaben mit auf die logische Sphäre der Aussage gar nicht entschlagen, da nur von dieser
Sachen als ein Zu-Sein und Seinsverständnis anspricht. aus das Lehenshand erlaßt werden kann. Dilthey sagt: "Leben erfaßt hier

8*
Das 'Grundverhältnis' 117
ll6 Die Folge der Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus
beständige "Erfüllung mit Realität". Gemeint ist hier vorerst ein Fortrücken
Lehen", d. h. es geht nicht bloß mit mit demselben. Ehen diese Schwierigkeit.
"in der Zeit" (im Unterschied vom "Fortrücken psychischer Tätigkeit selbst"
aber, die durch die strukturelle Analyse (nicht umgangen, sondern) gelöst werden
VII, 231). Und daß wir immer in der Gegenwart leben, bedeutet "das Momen-
soll, betrifft nicht bloß das V erfahren, sondern auch die zu analysierende Sache,
tane, beständig Veränderliche, der Zeit Anheimgegehene" unserer Existenz.
das Lebenshand der Kategorien. Auch hier muß die Aufgabe sein, die Gegen-
Die Anschauung von der "Korruptihilität", die, wie Dilthey immer wieder
ständlichkeit, mit der die Kategorien als begrifflich feststellbare Formen der
emphatisch betont, den gemeinsamen Untergrund aller Lehenserfahrung bildet
Aussage auftreten, zusammenzubringen mit dem dynamischen Charakter, der
(Typen 8 u. a., VII, 325), ist damit an "die erste kategoriale Bestimmung" des
ihnen als "strukturellen Formen des Lehens selbst in seinem zeitlichen Verlauf"
Lehens angeknüpft. In der Zeitgebundenheit ist das Schicksal der Endlichkeit
eignet. Und darauf werden wir denn auch hingeführt, wenn wir den Einsatz der
beschlossen, und dies sich klar zu halten, ist für die menschliche Selbsterkennt-
kategorialen Analyse heim Erlebnis und der Zeitlichkeit, den wir hisher zurück-
nis ebenso wesentlich wie die Erfüllung mit dem platonischen Enthusiasmus:
stellten, nunmehr durchverfolgen.
In einer Niederschrift letzter Hand, in der Dilthey den jetzt zu zergliedernden "Alles große Leben entspringt aus der Begeisterung, die in der höheren Natur des Menschen
gegründet ist". Aber "Jede Art von Begeisterung für menschliches Tun und menschliche Werke
Zusammenhang in einem einzigen Gedankenzug skizziert hat (wir werden sie ist nur gesund, wenn das Bewußtsein der Endlichkeit sie begleitet" (V, 348, CXV).
hernach noch als Ganzes mitteilen), erklärt er sich so: So bestimmt die Zeitlichkeit nicht bloß die Ahlaufform, sondern auch "den Ge-
"Das Grundverhältnis ist, daß yita motus perpetuus, Impuls, Streben, Ablauf, und doch zugleich halt unseres Daseins",und zwar "nach allen Richtungen". Und das hat wieder-
als dieses Durchlaufen, und zwar mit Bewußtsein, ist es zugleich bewußter Besitz und Streben
um nicht bloß "weltanschaulichen" Belang, sondern in dem radikalen Aus-
nach Festigkeit, das eben aus dem Verlauf hervorgeht. Beides zusammen: Gestaltung".
schluß von "Zeitlosigkeiten" jeglicher Art macht sich die prinzipielle Stellung der
An die hier zusammengenommenen Bestimmungen läßt sich das in den zer-
Lehensphilosophie gegen transzendente Setzungen geltend (VII, 334; oben S. 26).
streuten Analysen Gewonnene übersichtlich anschließen, und wir tun das in
Dieser Zug der Abwehr ergreift denn auch die andere Bestimmung, die nach
schrittweiser Vertiefung, die ineinandergewachsenen Schichten scheidend.
jenem "Grundverhältnis" mit dem Ablauf "zugleich" zu erfassen ist: das "mit
Bewußtsein" Durchlaufen. Daß "der ganze Charakter" des Lehens durch die
I. Der ersten von jenen Bestimmungen, bej. der sich der Grundsat~ von
Zeit bestimmt ist, erläutert sich so (VII, 229):
Hohhes einstellte, entspricht Diltheys Einsatz bei der "erlebten Zeit".
"Das Verhältnis der Korruptibilität in ihm und daß es doch zugleich einen Zusammenhang bildet
"In dem Leben ist als erste kategoriale Bestimmung desselben, grundlegend für alle andern, die und darin eine Einheit hat (das Selbst)",
Zeitlichkeit enthalten. Dies tritt schon in dem Ausdruck ,Lebensverlauf' hervor" (VII, 192, 72).
für das Selbst aber - oder wie Dilthey noch lieber sagt: die Selhigkeit - gilt
Zeitlicher Charakter und Ablauf als Wechselhegriffe, das Bild vom Fluß des
I •• .
die Abwehr der Transzendenz erst vollends. Dilthey erklärt:
Lehens zum Hinweis ~uf den ständigen Uhergang als die reale Form des Lehens,
"Ich habe früher die Transzendenz der Gegenstände aufzuheben gehabt, und jetzt habe ich es
"ein ,ist' ist nirgend im kleinsten Teil"; doch der Üherg~ng nicht dialektisch, mit der Aufhebung der Transzendenz der Subjektivität ... zu tun. Wir wissen von keinem erleh-
wie in Heraklits Formel für das am Gegensatz erzeugte Lehen: "wir sind und ?are~ oder erfahrbaren ~räger des Lebens. Dieser wäre zum Leben selbst transzendent. Er gehörte
1n dxe Klasse von Begriffen wie Seele oder Gegenstand jenseits des Bewußtseins ... Ich, Seele
wir sind nicht", sondern mit Augustinus als "das rastlose Vorrücken der Gegen- sind hinzugefügte Zeitlosigkeiten. Wir wissen aber von nichts als Geschehen und haben kein
wart, in welchem das Gegenwärtige immerfort Vergangenheit wird und das Zu- Recht, einen Träger desselben hinzuzufügen, da dies eine Übertragung des Substanzbegriffs auf die
Welt des Erleheus wäre" (334).
künftige Gegenwart". Das, was wir "Gegenwart" nennen, ist fortrückend-
'c>'

118 Die Folge der Lebenskategorien, von der Zeitlichkeit aus (Wissen vom) 'Erwirken' als primärer Zugang zu 'Struktur im Zus.hang' 119

Bloßes Geschehen - aber Lebensgeschehen! das trotz des "Flusses" einen Zu- ergehender Lehensbegriff ist, der' den Natur-Hintergrund des menschlichen Da-
sammenhang bildet. Zusammenhang ist die nächste Kategorie. Diltheyführt sein~ nur offen hält. Aber gegenüber dem Fortgang von der Zeit zur Bedeutung
sie denn auch gelegentlich, in einer schematischen Übersicht (362), unmittelbar istdies die umgekehrte Richtung: eine unter andern in dem ,weitstrahlsinnigen•
nach der des Ganzen und der Teile auf, die von der formalen Logikher an den Ganzen des Lehens.- Aus der Beschreibung der Zeitlichkeit geht hervor, daß es
Beginn der Lebenskategorien zu stehen kam. So wird das Problem, das in dem ,,nichts Seltsameres gibt als die· Art von Zusammensetzung, die wir als ein Stück Lebensverlauf
kennen; nur das bleibt immer ein Festes, daß die Strukturbeziehung seine Form ist" (194).
Fortgang von den "formalen'~ zu den "realen" Kategorien lag, jetzt spruchreif.
"Zusammenhang" ist die mit dem Substanzbegriff konkurrierende geschicht- Für die Struktur im Zusammenhang selbst aber gilt, daß sie primär als
liche und also immanente Kategorie. Erwirken erfahren wird, derart daß "unser Wissen vom Erwirken den eigent·
lichen Lehenszusammenhang uns zugänglich macht'' (328).
"Die Subjekte der Aussagen über die geschichtliche Welt vom individuellen Lebensverlauf bis
zu dem der Menschheit bezeichnen nur einebestimmte Art von Zusammenhang in irgendeiner Auch unser Wort ,Ich' bezeichnet nur "das innere Strukturgefüge" des
Abgrenzung" (197). seelischen Zusammenhanges (22), also eine bestimmte Art von Zusa~menhang,
Sie reicht bis in die Systematik der geistigen Welt, als die Kategorie, unter der der sich realiter abgrenzt, und nicht etwa einen vorgängigen Kraftmitt~lpunkt.
Religionen, Staaten usw. zu begreifen sind als "überall durch die Geschichte Der Rückgriff auf "Kräfte als Erwirker des Geschehens" ist ebenso wie die
hindurchgehende Zusammenhänge", die auszusondern und deren "Leben.. zu Annahme von Substanzen als Trägern desselben ausgeschlossen, hier wie bei
studieren die Aufgabe ist (362, 246). - Aber wie ist das zu fassen, daß das allen Subjekten von Aussagen, die nicht in den Bereich der Naturerkenntnis
Leben einen Zusammenhang bildet? Das ist die Hauptfrage. fallen (197)~ Ja, auch
Die Antwort soll, wie gesagt, schrittweise erfolgen. Zunächst lautet sie: .,das Wirken des Selbst ist uns unbekannt. . • Im Erleben ist uns das eigene Selbst weder. in der
Form seines Ablaufs noch in der Tiefe dessen, was es einschließt, erfaßbar". ·
Wirkungszusammenhang. Diese Antwort ist nun freilich nicht eindeutig.
Denn der Begriff" Wirkungszusammenhang" hat bei Dilthey einen eigenen, vollen, Aber Dilthey sucht doch eine Entscheidung in der Frage, die seit Leihniz die
von der Anschauung der geschichtlichen Wirklichkeit erfüllten Sinn, der es er· Psychologie spaltet, und findet sie auf dem Weg über den Ausdruck in dem
möglicht, selbst die Philosophie - wir kamen darauf gleich zu Beginn (I, 2, positiven Sinne, daß seelisches Geschehen nicht bloßes Passieren, sondern
S. 17) - auf ihr lebendiges Dasein hin als einen Wirkungszusammenhang zu Tätigkeit ist (239, 220, 231) ..
begreifen. Und eine der geläufigsten Prägungen Diltheys ist der Ausdruck: ."Leben heißt tätigsein, fortschreiten". Das Leben "mit seinem der Zukunft sich verlangend,
tätig und frei Entgegenstrecken" (274. 191).
"Erwirken", wiederum in dem eigenen Sinn eines strukturell gesehenen "Hervor-
bringens" aus 9em Leben. Aber eben als ein Lebensbegriff enthält er, der Mehr- So kann er nicht nur an Leibniz, sondern an Fichte sich anschließen für den
seitigk.eit des Lebens selber entsprechend, auch ein Moment in sich, das die inner- "Anfang eines Neuen", der eben in der Auffassung des Ich als "Lehen, Tätig-
halb der menschlich-geschichtlichen Welt gleichsam nach abwärts liegende keit, Energie" und der entsprechenden Prägung von "Energiehegriffen" besteht
Schicht betrifft, und so erfolgt hier ein Anschluß an die alte logische Überlieferung (333, 280). Indes: auch nur dieses, worin er Fichtes Ausgangspunkt mit dem
mitder Kategorie: Tun und Leiden. Er kann erfolgen, weil"TunundLeiden"im der historischen Schule und der Goetheschen Poesie verwandt findet, hält er
Unterschied zu dem - auf Kants Kategorientafel dafür eingesetzten - Begriff fest: "überall in der Reaktionsfähigkeit des Selbst und in der Entwicklung das
d~r Ursache und Wirkung ein vor der wissenschaftlichen Bearbeitung sich Leben sehen". Er erklärt wohl:
120 Die Folge der Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus Reflex des Wissens vom Envirken. im Erlebnisausdruck 121
"Wie der Lebensverlauf durch das'Bewußtsein der Selbigkeit in seiner Abfolge zusammengehalten psychologischen Abhandlungen, v~m der über die Realität der Außenwelt an,
wird, haben alle Momente des Lebens in dieser Kategorie der Selbigkeit ihre Gmndlage" (247).
heruft 1).
Aber über die Einheit des_ Bewußtseins, von der er gleichfalls- von Kant her-
"Die äußeren Objekte, •.. äußeren Vorgänge sind ein Bestandteil von Erlebnissen. Als solche
wohl bemerkt, daß "wir nur vermöge ihrer Zusammenhang auffassen", "nur gehören sie dem Leben selber an. Sie sind ja auch nicht bloß optische Phänomene. Ihre Realität
vermöge ihrer Zeit für uns da ist" (192, 195), erfahren wir nichts. Jedenfalls ist eben die, welche in dem Lebensbezug des Verhältnisses von Impuls und Hemmung, von dem
Dmck eines Unabhängigen, sonach von Wirken auf ein wollendes Subjekt besteht. Diese Erlebnis-
nichts, was über die Feststellung (aus früherer Zeit) hinausreicht:
relationen drückt mein Bewußtsein von Realität 'eines Vorgangs, der mich betraf, aus."
"Dies ist eben seelische Lebendigkeit. Wir vermögen sie zu. erleben, aber nicht durch Begriffe
hinter sie zurückzugehen." "Selbigkeit ist die. intimste Erfahmng des Menschen über sich. Sie
So ist auch das Wissen vom Erwirken etwas Primäres, es gehört dem Erleben
ist nicht Identität. Ichbewußtsein ist ein ande~er Ausdmck dessen, was wir in dieser Selbigkeit an und entsteht nicht erst, wie es vordem (vom elementaren Verstehen her) er-
inne werden. Wenn die Reflexion Konstanz und Einheit des Ich trennt von der Veränderlichkeit schien, durch Rückschluß von den Lehensäußerungen auf den Träger des
und. Mannigfaltigkeit seiner Zustände und Vorgänge, so ist dies schon eine den Lebenszusammen-
hang überschreitende Zerlegung." Handelns. Wieder ist der Erlebnisausdruck der eigentliche Beweis.
An- diesem Punkt wird es noch dringlicher als bisher, die schon erörterte im- "Das Wirken selbst wird erlebt; würde es nicht erlebt, dann fände es nicht einen so direkten und
mächtige.n Ausdmck in der Dichtung und Geschichte", sowie in der Religion: "Die Macht des
manente Rückwendigkeit des Wissens und ihre Korrespondenz zu dem "gegen- Erwirkens, die Unwiderstehlichkeit, mit .der ein Mensch, aller Vernunft zum Trotz, wie bezaubert
ständlichen Auffassen"· zu betonen,. und wir werden von da aus das Anliegen und gezwungen ist, den Gegenstand dieses Gefühls an sich zu reißen; die Abgründe des Mensch-
lichen, die eben in diesem Zwingen und Bannen und in Sklaverei Versetzen sich auftun ••. " (328).
Heideggers würdigen können, das ihn treibt, die" Selhstheit" und Selbständigkeit
des Daseins im Gegenzug zur "Selhigkeit" herauszuarbeiten (317, 375, 434). Dilthey formuliert, obwohl er ausdrücklich hervorhob, daß die "äußeren
Was nun aber das "Wissen vom Erwirken" selber anlangt, so ist auch dieses Gegenstände" ja nicht bloß optische Phänomene sind, von der Psychologie her:
wiederum nach zwei Seiten hin gesehen, sozusagen von außen und von innen. "Bilder, welche die Sinne darbieten, oder Gedanken über sie lösen Gefühle der Befriedigung, der
Erweitemng unserer selbst un:d der Erfüllung unseres Wesens aus, und diese erwirken nun das
Streben und den Willenseritschluß, den Zustand festzuhalten."
a) Einerseits handelt es sich um die Lage des Menschen in der Welt, das Ein-
wirken und Einwirkungen Erfahren unter Lehensumständen, also die Hinsicht, Aber er korrigiert sich selber-, wie es das Ausgehen vom V erhalten, vom Lehens-
in der das "Lehen" bestimmt wurde als "das Selbst in seinen Relationen als hezug fordert. Durch diese Begriffe wird gerade die "Annahme ausgeschaltet",
Lebendigkeit": in Lebensbezügen. daß der "Bezug bloßen Auffassens~' und .entsprechend das bildhaft Gegen-
Den "ursprünglichsten" unter den Zusammenhängen, die durch die Geschichte ständliche - z. B. auch, wenn ich in eine Landschaft blicke - das Primäre sei.
hindurchgehen, "bildet der. Lehenslauf eines Individuums in dem Milieu, von 1
) VII, 334, 332; vgl. V, LVI. An diesen Ausführungen. des Vorberichtes muß gegenüber Hei-
dem es Einwirkungen empfängt und auf das es zurückwirkt". degger festgehalten werden, der sicfl (205 Anm.) in seiner Kritik Diltheys wieder an die an der
Spitze der Realitätsabhandlimg stehende Erklämng halten möchte, in der der Ausgangspunkt
"Leben ist der Zusaminenhang der unter den Bedingungen der äußeren Welt bestehenden Wechsel-
wirkungen zwischen Personen, aufgefaßt in der Unabhängigkeit dieses Zusammenhanges von den des Cartesius als der endgültige angenommen zu sein scheint. Weitere Belege für die Diltheysche
wechselnden Zeiten und Orten" (246, 248). \ Stellung finden sich jetzt in Bd. VII~ (Weltanschauungslehre), z. B.: "Die Alten zergliedern den
Vorgang, in welchem die Welterkenntnis entsteht; dagegen Augustin und Descartes gehen von der
Individuum, Milieu: diese hier auftretenden Begriffe müssen abwegig, ,objek- künstlichen lsoliemng des in der inneren ~rfahrung gegebenen Subjektes aus, sie stellen sich die
tivistisch' oder doch vorgreifend erscheinen; indes: sie sind unverbindlich. Denn unauflösliche Aufgabe, durch den bloßen Denkvorgang eine Brücke zu schlagen von der inneren
Erfallmng des Subjektes zu den anderen Gliedern, die in der Relation des empirischen Bewußt-
hier greift die "Aufhebung der Transzendenz" ein, für die sich Dilthey auf seine seins. unzerstörbar enthalten sind."
[I
122 Die Folge der Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus Impression oder Eindruck als ein Lebensbegriff 123
Daher darf man das so vorhandene Erlebnis des Momentes in bezug auf die Landschaft nicht zurück(Timäus 46, Fihel38). Da ist zwar gewiß das Gesicht auch nicht als etwas
Bild nennen. Ich wähle den Ausdruck ,Impression'. Im Grunde sind mir nur solche Impressionen
gegeben. Kein von ihnen getrenntes Selbst und auch nicht etwas, von dem es Impression wäre. bloß Optisches genommen, und man darf schwerlich bei dem platonischen eidos
Dies Letztere konstruiere ich nUr hinzu" (229). auf "die ,optische' oder ,okulare' Bedeutungskomponente", die in dem grie-
Wozu nur noch zu bemerken ist, daß von den "Impressionen" in dem eigenen, chischen Ausdruck mitschwingt, ein solches Gewicht legen, wie es von Hei-
vollen Sinne, den dieser Rumesche Ausdruck durch die Einstellung auf den degger her geschieht (Busserls Jahrbuch VIII, 622). Aber die griechische An-
Lebensbezug bekommt, auch nicht mit den Empiristen gesagt werden darf, sie tezipation des Vorranges der reinen Theorie ist dadurch unzweideutig ausgea
seien "gegeben", sondern- wiederum nach Dilthey selbst- daß sie "unmittela prägt (Fibel 37, 273). Während für uns die Aufgabe gerade ist, die Linien des
·'.bar als Realität auftr~ten" (VI, 314). Impression oder besser einfach: "Ein- Fortganges zur Gegenständlichkeit h:in zu ziehen, und zwar immanent zu zie-
druck"; denn das schlichte Wort ist hier eher am Platze als der emphatische hen. Diese Aufgabe wird von dem Lehensbegriff des "Eindrucks" aus aufs neue
terminus. Das Gesehene, das Gesichtete ist ursprünglich eben das, was Ein- sichtbar.
druck auf die Sehenden macht. So schließt sich an diesen Begriff der des "Be- Damit setzt sich die bei der ,Reflexivität' des Wissens eingeleitete Er-
rührtwerdens" an, den Dilthey in der Theorie der Geschichte als Grundlage des örterung (oben II, 2, S. 79) fort. Die eigenen Spuren des Diltheyschen Weges
V erstehens angegeben hat: führen dahin. Dennjener Begriff det "Impression", der innerhalb der kate-
Ich finde mich in meinem Lebenszusammenhang ·von einem lebendigen Punkt in einer andem gorialen Analysen nur eininal vorübergehend auftaucht, ist nichts Sporadisches,
~atur innerlich berührt. Ich verbinde von diesem Lebenspunkt aus die dahin konvergierenden ein Einfall, sondern schreibt sich von psychologischen Untersuchungen her, die
Züge." (V, C.) - im Hinblick auf die :dachhildende Phantasie - eben jenen eindruckhaften
Lehenspunkt oder "Eindruckspunkt", Sichberührtfinden durch "etwas Wir- Charakter des ~.Bildes" herausstellten.
kendes in einer and.:rn Natur": so, im Sinne eines Lehensbegriffs verstanden, "Wenn ich mich eines erschütternden Erlebnisses erinnere, .•. vollzieht meine Phantasie diese
umfaßt der Einsatz bei den "Eindrücken" mit dem Moment des "Erwirkens" ihre Arbeit nie direkt, sondern von der Erinnerung des Bildes aus, d. h." - auf diese Erklärung
zugleich dasjenige Moment im Psychischen, das der hermeneutischen Kategorie legen wir den Ton - "des tatsächlichen Lebensmomentes in seinen inhaltlichen Bestand-
teilen ..• ", des "Lebensmoinentes, in welchen der Affekt beschlossen ist." Wie es "der Kunst-
der "Bedeutung" entspricht. Dann aber ist der hier ahgewehrteAusdruck"Bild" griff des Dichters ist, der rich mit ersonnenen Personen oder mit seinem eigenen Selbst leiden
auch gar nicht so abwegig, da er die Beziehung auf die "bildende Psyche" oder jubeln läßt: aus dem Bilde die Leidenschaft hervortreten, aus der Situation das Gefühl her-
vorspringen zu lassen." Und in bezug .auf das Wort Schillers vom Dichter als dem wahren
festhält und also zur Aussprache bringt, daß es sich nicht um ein bloßes Menschen: "Das Bewußtsein erträgt'weder Isolierung noch Subjektivität, sondern strebt nach der
Gegeben-bekommen, sondern um das Wechselspiel von Gehen und Nehmen Wiederherstellung seines natürlichen Zustandes der vom Gegenstand erfüllten Anschauung.
handelt. Die Abwehr richtet sich im Grunde nur gegen die von der griechischen Durch die Funktion der Einbildungskraft, welche ergänzt, haben wir in der
mit dem Auge umfaßten Ab~ndland'schaft die Welt. Dies als dem Dichter eigen zu
Überlieferung bestimmte Fassung des Bild-Verhältnisses als eines reinen An· bezeichnen, ist der Irrtum, welcher dessen Geschäft vom Menschen isoliert. Wir sind alle Dichter,
schauens vorgängiger bildhafter, ja geradezu urbildlicher Gegenstände. Platon wenn ..."

fand den Vorzug des Gesichts darin, daß es uns die Bewegungen, der Ge- Hier ist die Linie des F ortgl:\nges deutlich. Wenn wir vorhin, bei der Einführung
stirne oder vielmehr die, Vernunft in diesen Umläufen ansichtig macht, und des Begriffes "Impression" für diesen "natürlichen" Zusta~d, hörten, das Selbst
führte dementsprechend auf diese göttliche Gabe des Gesichts das Forschen sei "nur hinzukonstruiert", so darf das nicht heim Worte genommen werden.
der Menschen nach dem Wesen des All und also den Ursprung der Philosophie Denn I eh und Selbst p:~.üssen in Diltheys eigenein Sinne zu den Lehens·
124 Die Folge der,Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus Fortgang vom Wirkungszusammenhang zur Bedeutung 125
begriffen, den ,Aussprüchen' gestellt werden; sie sprechen die wesentliche formuliert wurde: ,Der Lehensbezug tritt an die Stelle des Ausgehens von der
Rückwendung auch dann der typischen Form nach aus, wenn der von sich in Intentionalität' (V, LVIII). Und das zeigt sich auch, wenn Dilthey erklärt:
der ersten Person Redende noch über keinen Eigengehalt des Daseins in (sub- "Erleben und Erlebnis sind nicht eins vom andern abgeteilt; es sind Ausdrur.kswendungen für
jektiver) Selbständigkeit verfügt, sondern, ganz eingebettet in die gemeinsame dasselbe". "Was meine Anschauung umfaßt, von dem wird ein Teil durch die Bedeutsamkeit in
den Blickpunkt erhoben, apperzipiert, dieses wird dann unterschieden von den nicht apperzi-
geistige Welt, sich sozusagen nur morphologisch in dem Verbande ahgrenzt1),
pierten geistigen Vorgängen. Dies ist, was wir Ich nennen, und es besteht das doppelte Verhält-
wenn also - was Heidegger als ein Kennzeichen des "uneigentlichen" Daseins nis: ich hin und ich habe" (VII, 230).
angibt- die Ichrede nicht mehr (aber auch nicht weniger!) besagt als "man" Doch hier greift bereits die Kategorie der "Bedeutung" ein, und zwar sowohl
oder genauer: "man-selbst". Das Wort ,Selbst' aber (das homerische autos) ist für die Einheit des Erlebnisses (des Erlebten) wie die des Erlebens, des "I<;h"
ursprünglich auf die leibhaftige Lebenseinheit bezogen, und da setzt Dilthey . des Individuums also, bei dessen Gestaltung dann wiederum die Doppelseitig-
ein, wenn er erklärt: keit zu fassen ist: die Formierung durch die objektiv-geistigen Zusammen-
"Der Lehensverlauf, der sich an einem Körper abspielt, wird als ein Selbst in den V erhältniesen hänge, deren Gefüge das Individuum "an sich zieht", die Richtu~g seines
von Intention und Hemmung, von Dmck der Außenwelt unterschieden von dem Außen- dem Wirkens bestimmend, und die "Besonnenheit, welche mitten im, Leben und
Nichterlehharen, Fremden."
Wirken über ihm steht und es sich gegenständlich macht" (VII, 248). Auf diese
Der Le~ensverlauf aber ist das "nächste Subjekt" der Kategorien (mit Heid- Stelle, wo die "Bedeutung" einsetzt, kommt es uns an, aber wir müssen sie erst
egger: das "Wer" des Daseins),weilerderursprünglichsteunterdenZusammen- noch erreichen von dem Wirkungszusammenhang aus. Und eben d~hin werden
hängen ist, die in verschiedener Abgrenzung zum Ansatzpunkt von Aussagen wir geführt, wenn wir nun von der andern, inneren Seite her diese Kategorie
genommen werden: dem Lehensverlauf gliedern sich die "Impressionen" ein; aufnehmen.
die Aussagen, durch die er bestimmt wird, gehen wiederum auf "Prädikationen
aus dem Lehen" zurück, und so gilt auch von seiner Unterscheidung als eines b) Das wesentliche Phänomen ist hier, daß zeitlich mehr oder minder weit
"Selbst" das, was von den Lehenskategorien insgesamt gilt, daß wir uns mit zurückliegende Erlebnisse in der Gegenwart "fortwirken", im Unterschied
ihr "innerhalb der Erlehnissphäre", also nicht in "bloßen Konstruktionen" V.()n zu solchen, die "ganz vergangen" sind.
Gegenständen bewegen (VII, 203).- Und andrerseits: Dilthey hat wohl unter "Ein Entschluß wirkt Handlung, welche sich über viele Jahre erstreckt; sie sind unterbrochen oft
dem Eindruck von Busserls Erneuerung der Aristotelischen Intentionalitäts- ~uf lange Zeit ~urch Lehensvorgänge ganz anderer Art; aber ohne daß eine neue Entschließung
m derselben Richtung stattfände, wirkt der Entschluß auf die Handlung. . . Ein Lehensplan
theorie verschiedentlich den Einsatz bei der Aussage ausprobiert, der sich an
besteht, ohne daß eine neue Prüfung desselben eintreten müßte, fort, und verbindet Entschlüsse,
. die in dieser ausgeprägten Relationen des An, Über, Auf usw. hält, ja er stellt Handlungen, Widerstand, Wünsche, Hoffnungen der verschiedensten Art miteinander."
in diesem Zuge sogar einmal die "Beziehung" vor das "Verhalten" (VI, 318); An solchen und anderen Beispielen - daß in einem Moment der Vergangenheit
aber das ist einer der vielen Fälle, in denen er sich seine eigene Intention durch eine Bindung für die Zukunft durch die Tat oder durch ein äußeres Ereignis
Angleichung an imponierend Festgelegtes verdecken läßt. Durch die Aus- sich vollzog usw. ~stellt Dilthey fest:
führungen dieser Arbeit wird deutlicher geworden sein, was im V orhericht "Es. gibt Zusammenhänge, die ganz unabhängig von der Aufeinanderfolge in der Zeit, der direkten
1) Von den Gestaltungen der Persönlichkeit (1911), S. 86ff. Wolframs Parzival, Deutsche Beziehungen des Sichhedingens in ihr die Teile des Lehensverlaufs zu einer Einheit verknüpfen."
Viertelj. V, 233. Und hierauf gründet er nun mit gleicher, wo nicht stärkerer Betonung als auf
126 Die Folge der Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus Fortgang vom Wirkungszusammenhang zur Bedeutung 127
jenes Wissen vom Erwirken, das auf die Kategorie: Tun und Leiden zurück- qualitativ bestimmten Einzeldaseins" erklärt Dilthey geradezu, daß sie "in der
führte, die Erfahrung der Einheit des Lebensverlaufes und die Sicherheit der- Biographie entsteht" (252). Diese Formulierung ist zweideutig, wie der Aus-
selben (VII, 71, 228, 233, 257, 325). druck ,Geschichte' überhaupt, nach dem geläufigen (von Heidegger so be-
Dieses Phänomen führt zu der Kategorie der Bedeutung hin. Aber wie ? Das zeichneten) Unterschied von "Objekt-" und "Vollzugs-Geschichte". Der Ort
Wesentliche, das hier hinzukommt, liegt nicht darin, daß jetzt der ganze, durch der "Entstehung" jener Kategorie ist nicht erst in der biographischen V er-
die Zeit hin sich erstreckende Zusammenhang in Betracht kommt, der "die gegenständlichung, sondern in der Sphäre der bioi selber zu suchen. Die Er-
Glieder des Lebensverlaufs von der Geburt bis zum Tode verbindet", während klärung ist in demselben Sinne zu nehmen, wiejene prinzipielle, daß "Sinn und,
es sich vorhin um das (allgemeine) Wissen handelte, das uns "den eigentlichen Bedeutung erst im Menschen und seiner Geschichte entstehen" mögen. Es
Lebenszusammenhang" überhaupt erst "zugänglich. macht'' (71, 328). Viel- handelt sich um die Biographie als den Grundkörper der geschichtlichen
mehr ist auch die jetzt zu betrachtende Art des Zusammenhanges bereits an Wirklichkeit. Und das Problem ist: wie ein solcher, von der organischen Ganz-
den einzelnen Erlebnissen aufweisbar, und nach dem Prinzip: .,Leben heit unterschiedener Zusammenhang sich ursprünglich innerhalb des umfassen-
Ganzes" ist sowohl jenes unmittelbar erlebbare Erwirken wie dieses Fort- den Lebensgeschehens "abgrenzt" (vom Erleben aus gesagt) oder (vom Ver-
wirken nur ein in der Abstraktion isoHerbarer herausanalysierter Teil im stehen aus) "hergestellt" wird. Auf diesen von innen bestimmten Zusammen-
Ganzen. Beide Erlebnisse treffen abe~ nun nicht bloß in der durch di~ Katego:rie: hang des bios als ~Solchen, auf seine Eigenart, seine innere Form, und nicht auf
"Wirkung~zusammenhang" bestimmten Hinsicht zusammen., sondern zugleich die zeitliche Erstreckung desselben von der Geburt .bis zum Tode, ist jene
in bezug.auf die ,Bestimmtheit der Einz;elexistenz'. Und da bahnt sich Kategorie bezogen, derart, daß sie durch den ganzen Aufbau desselben hin-
der Fortgang an, der vom "Wirkungszusamm~nhang" zur ,,Bedeutung" führt. durchgeht. Sie reicht zurück bis in die "kleinsten Einheiten", aus denen er sich
In einer einfach reihenförmigen Anordnung der Lebenskategorien (einer von zusammensetzt -- das Erlebnis ist "eine qualitativ bestimmte Realität" - ,
den verschiedenen Anordnungen; deren. Wechsel den von Diltheyintendierten und vorwärts bis zur Menschheit, bis zu dem "Subjekt aller Ausdrücke" in den
Syndesmos so undurchsichtig macht) wird i,die Bestimmtheit der Einzel- Geisteswissenschaften (VII, 253, 144, VI, 316). Überall, sobald die Analysen
existenz" gleich nach "Zusammenhang" und "Struktur im Zusamme11;hang'' über die (noch neutral faßbare) Form der Zeitlichkeit hinaus fortgehen, kommt
aufgeführt, worauf dann folgt: Einzelexiste"(l,z als Kraft.in der Wechsel- demgemäß sogleich das Problem der Individuation in Betracht. Und wie nun
wirkungderKräfte (362, 244; 253). Das entsprichtoffenbar jener ersten Fest~ für die geisteswissenschaftliche Hermeneutik in der Individuation die Be-
legung des Strukturzusammenhanges auf das Erlebnis des~rwirkens. Und so. deutsamkeit des lebendig Wirklichen (im Unterschied zu der gedanken-
wird man in diesen beiden neu hinzukomm~l:iden Kategorien zunächst. die mäßigen Durchsichtigkeit) sich auftut, so muß auch in der kategorialen Analyse
analytische Formel für jenes mit den Begriffen lndividumn und Milieu nur hin• die Beteiligung der Bedeutung an der Bestimmtheit der Einzelexistenz sich
deutend umschriebene Phänomen des Erwirkeris finden dürfen. Aber zugleich, . zeigen. Das ist das Wesentliche, was mitjenem Phänomen hinzukommt. Aber
ja noch eher wird auch jenes andere, als ,,Fortwirken" bezeichnete Phäno·men wiederum nur allmählich, in schrittweiser Vertiefung, kommt es in Sicht.
davon betroffen, und zwar von Grund aus: auf die Möglichkeit solchen Fort- Der erste Schritt betrifft das "Fortwirken". Dilthey schließt diesen ,;neuen
wirkens hin. Es ist nur möglich, sofern ein Einzelleben als ein von innen Be- . Zug des Lebens", der nach dem Beginn mit der erlebten Zeit "nun sichtbar
stimmtes sich in und für sich abzuschließen vermag. Von der "Kategorie des wird", zwar einreihig-unmittelbar an die Beschreibung der. Zeitlichkeit an im
128 Die Folge der Lebenskategorien von der Zeitlichkeit aus
Das Problem der Individuation 129
Fortgang zur Kategorie der Bedeutung hin. Und er holt dann erst später (nach-
Iösung der usia in den Wirkungszusammenhang, wie sie Platon im. Blick auf
dem er die zentrale Stellung der Bedeutung bereits herausgearbeitet hat, ja
Demokrit als die Stellung der "Erdstämmigen" gegenüber den "Ideenfreunden"
schon bis zur Selbstbiographie vorgedrungen ist) das Übergangene nach mit
in der "Gigantomachie" um die Bestimmung des Seins dargelegt hat, oder, mit
dem zur Ergänzung angehängten Zusatz:
den Begriffen von Trendelenburgs W eltanschauungslehre, die Entscheidung für
"Und hier entstehtnun im Zusammenhang mit den Kategorien des Tuns und des Erleidens die
der Kraft" (202). qie "Kraft" im Gegensatz zum "Gedanken" wäre hierin beschlossen.
Und darüber kommen wir auch noch nicht hinaus, wenn nun an jenes Grund-
Aber wie er jenen "neuen Zug" beschreibt, packt er ihn doch gerade vom Wir-
verhältnis ohne weitere Vermittlung, als immanente Synthese angeknüpft wird:
kungszusammenhang aus an. Das, was zunächst fixiert wird, ist "das Fort-
"Beides zusammen: Gestaltung". Denn die Gestaltung - oder genauer die
wirken der Vergangenheit als Kraft in der Gegenwart": daß neue Lebensteile
Entwicklung, die ihr in der Ordnung der Kategorien vorangeht,- erhält
"als wirkend erlebt werden können rückwärts als mit erinnerten wirkenden Gliedern in einem bei Dilthey in seinen letzten, freiesten Äußerungen, in denen sich die Tendenz
Wirkungszusammenhang" (248).
durchsetzt, "den Charakter des Lebenslaufs ganz unbefangen aufzufassen",
Und dieses Moment läßt sich nun, wenn es für sich genommen wird, ohne
einen Sinn, der auf der Linie jenes Hobhesseheu Satzes vom Leben als be-
Rückgriff auf so etwas wie Bedeutung und Erinnerung fassen, wenigstens ständiger Bewegung verbleibt.
ohne die "Erinnerung'' im eigentlichen Sinne des Wortes, so daß nur die
"Alle Theoreme von einer in Stufen aufwärtsschreitenden Entwicklung müssen wir fahren lassen."
mneme und nicht die zum menschlichen Lehensverhalten gehörige Besinn- "Wohl enthält der Fortgang in sich eine Zunahme der Deutlichkeit, der Differenzierung usw. im
lichkeit in Betracht kommt .. Man kann die Fiktion machen ~ und Dilthey Subjekt. Aber der Lehensverlauf kann ohne die Realisierung einer höheren Bedeutung an die
macht sie-: Naturgrundlage von pflanzenhaftem.Wachstum, Höhe und Niedergang zwischen Gehurt und Tod
gebunden bleiben, wie in den niederen Regionen des Lehens. Er kann früh sich abwärts neigen,
"Man denke sich einen Menschen, der kein Gedächtnis seiner eigenen Vergangenheit hätte, son- aber bis zum Ende auch aufwärts gehen" (VII, 275).
dern stets nur aus dem, was diese Vergangenheit in ihm gewirkt hätte, ohne irgendeines Teiles
derselben bewußt zu sein, dächte und handelte" (VII, 279). Das Hinausdrängen über jeden - immer nur momentanen - Zustand des
Gleichgewichts, diese Ruhelosigkeit, in der "der eigentliche Sitz der Lebendig-
Das entspricht Leibnizens Erklärung des Wesens des Körpers: mens momen-
keit des seelischen Lehens" ist; das, noch einmal mit Hohhes zu reden, ad fines
tanea sive carens recordatione, oder noch näher Bacons Bild von dem "Riesen:
semper ulteriores progredi, begreift sich von der Kategorie: "Bestimmtheit des
ohne Auge", welches der Zustand der Menschheit wäre, wenn sie ohne geschicht-
Einzeldaseins" aus durch das in der individuellen Bestimmtheit enthaltene V er-
liche Besinnung lebte. Es bliebe dann als wesentlich für den Charakter jedes
hältnis von innerer Kraft und innerer Grenze. Denn dies Verhältnis entspricht
Lebenslaufs das Doppelverhältnis zurück des von außen Bedingt- und von
der Doppelseitigkeil des von innen Bedingt- und von außen Bestimmtseins, da
innen Bestimmtseins, aber dieses von innen Bestimmtsein reduzierte sich auf
die Begrenztheit des Einzeldaseins als "innere Grenze" nur auftreten kann,
das (unterhewußte) Fortwirken des durch bewußte Akte erworbenen seelischen
insofern es sich unter dem Druck der Lebenslage als "von außen" bestimmt
Zusammenhanges.
findet, wie umgekehrt ein solches Bestimmtsein nur insofern möglich ist, als
Darauf also würde jenes "Grundverhältnis" hinauslaufen, an das wir an- /I
das Einzeldasein an seine,r Begrenzung leidet und sie von innen her zu überwinden
knüpften, daß das Leben "Ablauf, m.otus perpetuus, und zugleich bewußter Be-
strebt. So erklärt Dilthey, daß "aus der Bedingtheit der Wille zur Macht folgt,
sitz, Streben nach Festigkeit ist, das aus dem Verlauf hervorgeht". Die Auf- ' aus der inneren Grenze der Wille zur inneren Freiheit".

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl.


9
130 Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge Das Problem der Individuation: Unzulänglichkeit der Reihenform 131
"Singular ist ja jedes Gegebene, sei es organisch, anorganisch oder geistig. Auch daß wir denkend kennzeichnen als das der zweckmäßig wirkenden Ursache oder Kraft? Er selber
und reflektierend den psychophysischen Vorgang auffassen, würde demselben ein Merkmal hin-
zufügen, aber bezeichnet doch nicht vollständig, was diesen Zusammenhang charakterisiert. Der hat bei der ersten Auseinandersetzung mit Brentano zur Abwehr von dessen
, psychische Zusammenhang ist hier strukturell. Er ist ein Wirkungszusammenhang, in welchem "paradoxen Ergebnissen" den Begriff ,Entelechie' verwandt, um dadurch die
das Erwirkende als psychischer Tatbestand fortbesteht und auf das Erwirkte bezogen wird" (257).
Einheit und Ganzheit eines "psychischen Lebensaktes" zu bezeichnen; mit
Und in diese dynamischen Verhältnisse löst sich die Kategori~ des "Wesens'' Hilfe dieses antiken Begriffs vermochte er wohl, einen Grundfehler in ßren-
samt der der Entwicklung auf (332, 244). Auch das Sich-der-Zukunft-Entgegen- tanos Ansatz der "Deskriptiven Psychologie" herauszufinden!), aber für die
strecken, bei dem die Herleitung der Kategorie d.er Kraft einsetzt, dieser positive Bestimmung der Ganzheit eines Erlebnisses griff er damit doch auf
"stärkste Zug" des Strukturzusammenhanges, an dem mit der Kategorie der eine nicht-biographische Kategorie zurück. Und wenn er die antike morpho-
Kraft zugleich auch die desZwecke s aufgeht, steht in Beziehung zu dem "Druck logische Betrachtungsweise, die Richtung auf die festen Seinsgestalten und
der Welt auf das Subjekt", worin "die, Begrenzung sich nach außen äußert", die , Gattung' des Lebens, durch die strukturelle Analyse der dynamischen
und fällt dem Wirkungszusammenhang anheim, sofern "auch die Begierden Relationen, wenn er die objektive Teleologie durch eine subjektiv-immanente
Zwecke in sich schließen" (202, 244, 248). ·ersetzt, so hatte doch bereits Leibniz den Begriff der Entelechie auf die Einzel-
seele übertragen:
II. V erbliebe die Grundlegung auf der Ebene dieser Bestimmungen, so wäre
die Monaden "könnte man Enteleebien nennen, denn sie haben in ·sich· eine gewisse Vollendung
prinzipiell nichts Wesentliches für die philosophische Systematik gewonnen. Es · (~xooat 'tO i:YnA.€.;;); es ist da eine Hinlänglichkeit (odJ'tap1teta), welche sie zu Quellen ihrer inneren
ergäbe sich nur wieder die überlieferte einreihige Form derselben in einer neuen, Tätigkeiten macht" (Monadologie) 18.

durch die Aufnahme der positivistischen Lehre von der Diskontinuität, des Nur daß, gegenüber Leibniz, die intellektualistische Schranke fällt, die Ver-
brusque enrichissement du reel bestimmten Fassung. Die Zwecke, sagt Dilthey, dünnung der Zielstrebigkeit, wie sie in der Bestimmung der appetition als ten-
"bilden einen Wirkungszusammenhang, da auch die Begierden Zwecke in sich schließen". Und dance d'une perception a l'autre ausgeprägt ist, ferner das Stufungsprinzip fällt
anderwärts erklärt er: "Die Bedeutung eines Geschehnisses liegt darin, daß seine ursächliche (oder vielmehr erst die Axt daran gelegt wird) und vollends die vorgängige
Verkettung zugleich Erzeugung eines Wertes ist" (VII, 71, 249, VI, 319)~ Oder in einer Ausführung
über die zeitgenössischen Vertreter der Lebensphilosophie (Bd. VIII): "Nenne ich den ursäch·
Umschlossenheit der Einzelseele: aber auch dies doch wieder nur entsprechend I
liehen Zus~mmenhang, in welchem die Lebenswerte erzeugt werden, oder die Beziehungen unseres ·der Ergänzung, die Goethe zu ·Leibniz brachte, indem er zu dem Dämon. die
nach Befriedigung strebenden Selbst zur Außenwelt :6edeutung des Lebens oder Sinn desselben, Tyche fügte:
so wagen diese Schriftsteller diesen Sinn oder diese Bedeutung definitiv aussprechen zu wollen." Die strenge Grenze doch umgeht gefällig,
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt.
Ist hier nicht das zentrale Problem der Metaphysik trotz aller "Lebensphilo- Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig •••
sophie" und ihres geschichtssystematischen Verfahrens noch in der alten Form ge-
1 ) Vorbericht V, LVII. Wenn Brentano bei der "Feststellung der Grundklassen der psy-
stellt, als die Frage nach demVerhältnisvon Wirklichkeit und Zweck oderWert?
chlscl).en Phänomene" die Vorstellungen und die Urteile als zwei solche "Grundklassen" scheidet
und dementsprechend in einer Weise beantwol'tet, die nur dem aristotelischen {wozu dann als dritte und letzte "Klasse" die Gemütsbewegungen kommen), so löst sich diese
Begriff der Entelechie entspricht? Dilthey faßt den. Entelechie-Begriff nicht paradoxe Lehre von hier aus auf. Brentano stellt unter dem Titel "Vorstellung" einen Teil-
voll, er bezeichnet ihn als ,,das Prinzip des ursächlich wirkenden Zwecks" (V, in h a I t, der nur in isolierender Abstraktion aus einem geistigen Lebensakt herausanalysierbar
ist, fälschlich neben einen solchen ganzenLebensakt, wie es das Urteil- ebenso wie das Fühlen
350). Kann man hier nicht einfach umkehren und Diltheys eigenes Prinzip und Wollen - ist.

9*
132 Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge Genesis von 'Struktur im Zusammenhang': der Charakter der 'Präsenz' 133

Aber nirgends ist in diesen Analysen, trotz des Leibnizschen Grundsatzes von .des. Dilthey bestimmt diesen Charakter der "Präsenz" als "das Einbezogen-
der "Bestimmtheit der Einzelexistenz", nun etwa versucht, aus diesem die werden von Vergangenem in unser Erleben" und grenzt das Eigene dieses Ver-
. Indiv:iduation herzuleiten. hältnisses nach zwei Seiten hin ab. Einmal gegenüber dem, was "der Erlebnis-
"Jede Lebenserfalmmg lehrt vielmehr, wie eine bestimmte Richtung in dieser Zielbestrebigkeit lage der Gegenwart fremd gegenübersteht", wie bei allem, was zufällig an uns
erst in der individuellen Entwicklung entsteht" (330). herantritt und durch die Macht des Zufalls in unserem Leben, trotz des bloßen
Und hier:-- anders ausgedrückt, in dem, was über die "Entwicklung" hinaus Zusammengeratens oder Übereinandergeschichtetwerdens, "von außen" eine
als Gestaltung anzusprechen ist-schließt sich nun der Lebenszusammenhang seelische Veränderung bewirkt. Demgegenüber hebt sich die - zu einer "struk-
tiefer auf.. Er schließt sich auf wiederum von der Zeitlichkeit her, aber nun so, turellen" Verbindung überhaupt gehörige- Immanenz heraus, das Enthalten-
daß der von ihr bedingte und zugleich über sie hinausreichende "neue Zug des sein der Verbindung in den aufeinander bezogenen Erlebnissen selbst. Sodann
Lebens" im Ver h a 1t e n und dem zugehörigen V erstehen angelegt erscheint. aber- und das ist das Entscheidende -bedeutet das "Einbezogenwerden"
Das Verhältnis der Vergangenheit zu der Gegenwart, in der wir leben, ist nicht auch mehr und anderes als das "Hineinreichen als Kraft in die Gegenwart" und
bloß das des (unbewußten) Fortwirkens, sondern ist charakterisiert als das in der seelischen Struktur gegründete Erfahren solchen Hineinreichens; das
"Präsenz des Erinnerten". Und das Sicherstrecken in die Zukunft ist nicht Verhältnis ist ein anderes als das, in welchem etwas V ergangenes "durch andere
bloß eine durch den Druck von außen hervorgetriebene Äußerung der Bewegt- Erlebnisse getrennt, doch in seinem Einfluß auf die Gegenwart wirkend von uns
heit; sondern: die "müßige Ausbreitung unseres Daseins" in Träumen von erlebt wird". Das Erlebnis des Erwirkens bleibt zwar die Grundlage für unser
kommendem Glück, im Spiel der Phantasie mit Möglichkeiten, in Bedenklich- Wissen vom Lebenszusammenhang, ja Dilthey erklärt geradezu, daß
keit und Furcht "fassen wir zu einer scharfen Spitze zusammen" (202), jener "der Fortbestand der qualitativ bestimmten Realität, das Fortwirken des V ergangenen in der
"Ausbreitung" aber entspricht anderseits eine Vertiefung, in der die Expli- Gegenwart" dem Erinnerten den eigenen Charakter von Präsenz "mitteilt"·(VII, 73),

kation des Lebens zum geistigen Schaffen wird. - Von dem Charakter der - was freilich einseitig gesagt ist, da dasselbe "Mitteilen" zugleich von der Be-
"Präsenz" ist auszugehen. deutung herkommt (VII, 192), wie es sich eben bei dem Herausanalysieren
nur um eine Sonderung von Momenten im Ganzen handelt. Das Fortwirken
a) Mit dem Ausdruck "Präsenz"- einem zur Abhebung von der "Gegen- bildet die Grundlage insofern, als von dem einmal Gewesenen - z. B. dem
wart" und "Vergegenwärtigung" dienenden Kunstausdruck-soll ein in dem . ersten starken Eindruck von einer Person oder Sache, der bei einer erneuten
Strukturzusammenhang des Lebens - des nur im Verlauf zu bestimmter Ge- Begegnung mit ihr in das gegenwärtige Erlebnis hineinwirkt -nicht bloß das
staltung gelangenden Lebens - begründeter Charakter der Erlebnisse be- damals Apperzipierte (d. h. ein Teilausschnittund auch wohl schon eine Deutung) !
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zeichnet werden, der wiederum schon an dem einzelnen, für sich genommenen in das Erleben ,,einbezogen" wird - das ergäbe eine bloße , Vergegenwärtigung'
Erlebnis in Hinsicht auf dessen qualitative Bestimmtheit aufweisbar ist, es aber im Sinne der Vorstellungspsychologie - ; sondern im Sinne der Tiefenpsycho-
in dieserseiner Bestimmtheit als Teil eines Ganzen kennzeichnet. Als eine quali- logie heißt es, daß das "erinnerte" Erlebnis mit seiner "ganzen Realität", zu
tativ charakterisierte Realität, "hinter der nichts dahinter ist", ist es doch keine der auch seine "Lokalisation", d. h. seine Stellung im Zusammenhang des
für sich bestehende Einheit, sondern ein in innerem, "innigem" Bezug zum vor- Lebens gehört, in die Gegenwart eingeht (VI, 316, VII, 73). In sich selbst
her Gewesenen Sichgestaltendes, aus dem Lebensverlauf sich Herausgestalten- aber wird dieses innige Sichverbinden zeitlich getrennter Erlebnisse dahin
Ideale Einheit durch Bedeutung als Lebenskategorie 135
134 Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge
Dilthey formuliert, anschließend an die Beschreibung des "Präsenz"-Charakters: "Dasjenige,
gekennzeichnet, daß die .früheren Erlebnisf?e eine "Erweiterung" erfahren
. was so im Fluß der Zeit eine Erlebniseinheit bildet, weil es im Lebensverlauf eine einheitliche
und "in eine stärkere Einheit zusammengehen". Bedeutung hat, ist die kleinste Einheit, die wir als Erlebnis bezeichnen können. Darüber hinaus
"In ihnen expliziert sich etwas, und schließlich ist die ganze Fülle des letzten Erlebnisses da, in aber bezeichnet unser Sprachgebrauch als· Erlebnis auch jede umfassendere ideale Einheit von
welcher eine Implikation, eine Zusammennahme sich realisiert und nun das volle Erlebnis kon- Lebensteilen, die eine Bedeutung für den Lebensverlauf hat .•• " "Bedeutungsbezüge konstituieren
stitutiert." "Die Erlebnisse verhalten sich wie in einem Andante einer Symphonie Motive auf· das gegenwärtige Erlebnis und durchdringen dasselbe". So vermerkt er- in bezugauf die Kunst
treten, sie werden entwickelt (Explikation), und das Entwickelte wird zusammengenommen als Organ des Lebensverständnisses - einmal geradezu: "Begriff der Bedeutsamkeit oder der
(Implikation). Die Musik spricht hierin die Form eines reichen Erlebnisses aus." Idealität" (VII, 73f., VI, 309).
Und a;n eine "Idealität" finden wir uns auch zurückgewiesen, wenn nun die "Bedeutung" des
Diese Beschreibung, die dialektisch zum konträren Gegensatz greift, um die . näheren auf ihre logische Leistung hin, von der Kategorie des Ganzen und der Teile aus, be-
Lebensgliederung im Verlauf zu fassen, betrifft nicht mehr den Wirkungs· stimmt wird: "Sie tritt im Lebensverlauf zum Wirkungsverlauf hinzu als ein Verhältnis d.er
Glieder desselben, das weiter greift als das Erlebnis des Erwirkens und die Glieder in einer
verlauf und also die Realität des Erlebnisses, die als solche, im Hinblick vom Erwirken unabhängigen Ordnung verknüpft". Mit dieser Unabhängigkeit ist nicht bloß
auf die Zeitlichkeit, als eine "dynamische" bestimmt war, sondern dessen die Losgelöstheit vom "individuell-augenblicklichen" Denken, Fühlen, Wollen gemeint, auf die
man die "Objektivität" der' Begriffe, Sachverhalte und Werte im Sinne von "psychischen Ge-
Einheit. Und von hier aus öffnet sich nun der Blick für das spezifisch Geistige
bilden" vorsichtig hat einschränken wollen1 ), sondern sie betrifft den seelischen Zusammenhang
in jener immanenten Bew~gung; durch den Vergleich mit der Musik ist es überhaupt; sie stellt sich als echte Zusammengehörigkeit der "Lebensteile" dar, die durch
r angedeutet. eigene innere Bezüge miteinander zu Teilen eines Ganzen verbunden sind. "Es ist nicht, wie wenn
Gegenstände in einem Gemach zusammenstehen und vom Eintretenden aufgefaßt werden; sie
Die Einheitdes Erlebnisses ist keine zuständliche, denn im Seelischen ist alles haben ihre Zusammengehörigkeit nur in dem Bezug zu einer Person, zu einem Leben, dem sie
ein Geschehen, aber sie ist auch nicht faßbar von der gegensUndliehen Seite angehören, sonst können sie herausgetragen werden: kein Verhältnis zueinander bindet sfe. Wie
anders ist das im Verlauf der Geschichte!" (VII, 239, 243).
her durch ·das, was in diesem Geschehen "gemeint" wird; denn anstatt der
"intentionalen Beziehung" der geistigen Akte ist der Lebensbezug als das Pri- Hier stutzen wir zunächst. Es scheint, als werde nunmehr die Front ge-
märe erkannt. Macht man Ernst mit dieser Erkenntnis und legt man dement- wechselt und die entgegengesetzte Stellung als bisher eingenommen - statt
sprechend ein Gewicht auf jene Bemerkung, daß das erste Unterschiedliche der Kraft der Ged.anke! Kommt der Lebensphilosoph etwa doch nicht umhin,
nicht als "Bild" anzusprechen sei, sondern als "Impression", als "Eindruck", das anzuerkennen, was seiner eigensten Intention zuwiderläuft: die Konstitution
dann wird der Weg von hier aus zu Name und Gestalt (nama-rupa, wie die des Erlebnisses aus einer idealen Sphäre heraus ? Nicht um die Anerkennung
indischen Metaphysiker tiefsinnig sagen) zu dem großen Problem, und zwar einer idealen Sphäre hinter dem Wirkungsverlauf des Lebens handelt es sich,
in Hinsicht auf das seelische Leben sowohl wie die ihm gegenüberstehende sondern um die Feststellung des Phänomens, das der Aufrichtung einer .solchen
gegenständliche Sphäre, also für beide Ausdruckswendungen der erlebten Sphäre zugrunde liegt, und um die Bestimmung desselben als einer Struktur-.
Realität. Dilthey setzt hier ein mit der Frage nach der Konstitution der form. des Lebens, im Gegensatz zu einer rein theoretischen Ausdeutung. Als
Einheit des Erlebnisses. Nachdem der dynamische Aufbau desselben auf- eine "Lebenskategorie" in dem eminenten Sinne, der dem Heideggerschen Be-
gewiesen ist, muß sich die Frage erheben, wie diese einwohnend-schaffende, in griff der "Existenzialien" entspricht, soll sichnunmehr die "Bedeutung" heraus-
der Durchdringung von Explikation und Implikation einheitbildende Macht stellen. Aber dazu muß erst jene gefährliche Wendung, die soeben: in ver-
zu fassen sei. Er hält inne vor diesem Phänomen als einem solchen, das das lockender Nähe erschien, ausgeschieden werden.
philosophische Staunen erweckt. Und an dieser Stelle tritt nun, als Antwort
1) Stumpf, Zur Einteilung der Wissenschaften, Abh. Berl. Ak. 1907, S. 7 ff.
auf die Frage, die Kategorie der Bedeutung ein.
136 Konstitution des E;rlebnisses durch Bedeutungsbezüge Abgrenzung gegen Husserls 'ideale Bedeutungseinheiten' 137

b) Als Husse~l in der Zuversicht, denWeg zur "Philosophie als strenger Wissen- Busserl erklärte schlechtweg:-
schaft" zu. besitzen, den Kampf gegen "Historismus und Weltanschauungs- "Jedes Urteil, das zu adäquatem Ausdruck bringt, in festen adäquat gebildeten Begriffen, was in
Wesen liegt, wie Wesen gewisser Gattung oder Besonderung mit gewissen .anderen zusa~en­
philosophie" eröffnete (Logos, I, 1911), begründete er seine Stellungnahme auf hängen ••• auf Grund der und der Wesenskomponenten notwendig,vereinbar' sind oder unverein"
der Selbständigkeit eine;r W esenssphäre, die, als der eigentliche Bereich der bar ... ist eine absolute, generell gültige Erkenntnis und als Wesensurteil von einer Art, die durch
reinen Erkenntnis erfaßt, der erfahrbaren Lehenswirklichkeit logisch voran· Erfahrung begründen, bestätigen oder widerlegen zu wollen ein Widersinn wäre." .

gehe; er argumentierte (S. 316): Hiernach ist der Syndesmos kein Problem inehr: er besteht als Verwandtschaft
der Wesensbestimmungen und ist als solcher in·der rein theoretischen· Erkennt"
wenn auch "die letzten ,Nuancen'. die dem Unbestimmbaren d~s ,Flusses' angehören, ausge·
schlossen bleiben" von der Wesenserfassung in festen Begriffen, so gilt doch für "die beschreib- nis beschlossen, für die das in der "Ideation" Erschaute zum Gegenstand von
bare Typik .des Fließens" wiederum, daß sie "ihre ,Ideen' hat, die, schauend gefaßt und fixiert, ,,Urteilen" wird. Die Kennzeichnung der Bedeutung als einer idealen Einheit
absolute Erkenntnis ermöglichen". hat hier diesen einfachen Sinn, den ausschließlichen Ansatzpunkt für strenge
Dilthey wehrte ab: Wissenschaft in einer rein theoretischen Gegenständlichkeit- sei es von Wesen•·
"Echter Platon, der erst die werdenden fließenden Dinge im Begriff festmacht und dann einen heiten, Relationen oder "Geltungen" ~ festzustellen. Und die auf sich be-
Begriff des Fließens als Ergänzung danebensetzt" (V, cxn). ruhende, nur rein ideell zu fasse~de Theorie, auf welche die "Philosophie als
Man fragt nach dem Recht zu solcher Abwehr, wenn er doch selbst bei der Be- strenge Wissenschaft" hinausläuft; unifaßt auch die Grundlagen des geistigen
schreibung des Lehenszusammenhanges, der im Verlauf sich bildet, auf den Lehens, da "die Typik des Fließens ja auch ihre Ideen hat". Eine Art Mathe-
platonischen Ausdruck zurückgreift und die "Form". des vollen Erlebnisses als matik der Geisteswissenschaften also? sofern Sprache, Religion, Recht usw.
eine "i d e a I e Einheit" von zeitlich getrennten Lehensteilen kennzeichnet, ein Wesen haben, das sich (wenigstens prinzipiell) eindeutig muß bestimmen
"die eine Bedeutung hat". Aber gerade gegenüber Busserl- dem Busserl jener lassen. - Man wird für diesen Standpunkt des großen Analytikers gewiß nicht
Auseinandersetzung, die infolge von Diltheys baldigem Tod einseitig blieb - seine phänomenologische Methode verantwortlich machen wollen, wie denn
kommt das reinlich heraus, da damals der phänomenologische Weg zur Neu- auch Heidegger hier ganz anders steht. Und schwerlich auch seine Nähe an:
begründung der Philosophie auf dem Boden der Logik noch weit ablag von der Platon; denn der Grund der Konstruktion einer intelligiblen Welt ist dem Ver-
Aussicht auf eine Ontologie des Daseins und erst soeben sich zu wenden, von der stande, ist dem rein diskursiven Denken des "Urteils" philosophisch entgegen-
mit Dilthey gemeinsamen hermeneutischen Richtung abzubiegen begann, in- gesetzt und kommt in seinen Bereich nur durch die Art, wie die Transzendenz
dem die anfängliche Anknüpfung an den Ausdruck, an die Sprache, zurücktrat, des Lehens intellektuell vergegenständlicht, schließlich der Syndesmos der Ideen
als von den Wortbedeutungen aus die Region der Ideen sich aufgetan hatte 1 ). nach dem V orhild n:tathematischer Konstruktionen axiomatisiert wird. Es ist
·Die Situation ist von dazumal; die Entscheidung aber geht um ruchts anderes eher Schultradition von Brentano her: das Leihnizsche Logik-Ideal, cum deus
als die Frage, die uns hier leitet: nach dem Syndesmos der Kategorien. calculat, fit m"':ndus, und vor allem das Hinwegsehen über Hegel, das in diesem
Kreise sozusagen eine Sache des wissenschaftlichen Anstands war, nachdem
1) Busserl erklärte zwar gelegentlich jenes Aufsatzes brieflich an Dilthey (1911): "Wir be- Breiitano dem Autor der "Wissenschaft der Logik" mit den "Mystikern" zu-
reiten von verschiedenen Seiten her eine neue Philosophie vor, die au fond dieselbe ist", aber
sammen seine Stelle unter den pathologischen Erscheinungen am äußersten Ende
·dem Aufsatz selbst ist diese Übereinstimmung nicht anzusehen, erst in Busserls "Ideen" (1913)
wird sie bemerkbar. eines regelmäßigen Degenerationsprozesses der wissenschaftlichen Philosophie
'
. Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge Die Nähe zu Regel 139
138
angewiesen hattel). Selbst ein so selbständiger Denker wie Stumpf, der Dilthey griffe zu dem Zusammenhang des Lehens. Das, was (gelegentlich auch von Dil-
nahestand und mit ihm gerade im Aufdecken der Immanenz der Ordnung gegen they selbst) mißverständlich als ,,nachfühlendes Erkennen" bezeichnet wurde,
den logischen Idealismus Hand in Hand ging, berief sich auch noch unter dem stellte sich ihm als ein "Verstehen aus Bedeutung" heraus. So konnte er
Eindruck der "Jugendgeschichte Hegels'' bei der Frage der "Wiedergeburt der seine eigene Formel: "das Lehen aus dem Lehen selber verstehen" zum Schlüssel jL
Philosophie" (Rektoratsrede 1907) auf jenes Urteil seines Lehrers und brachte für Hegels Logik verwenden und deren Tendenz in der Interpretation der Wirk-
die Wendungen von der ,,Mischung von Denken und Dichten, die wir Mystik lichkeit aus den ihr immanenten Zusammenhängen finden (IV, 213, V, XL). Und
... d dem nachfühlenden Erkennen" vor, um die Tendenzen des was die "Mischung von Denken und Dichten" in ihrer Beziehung zur "Mystik"
nennen un . "
deut~chen Idealisten" zu kennzeichnen, gegen die an einer "naturwissen- ari.langt, so zeigte er in seiner "Ju1:2endgeschichte Hegels" die "ungeheu!e Konm
" .
schaftlieh orientierten und fundierten Philosophie" festzuhalten sei. zentration" des historischen Bewußtseins auf, die zur "Verdichtung des Tat-
Und doch war_ und ist noch immer- die Bewältigung von Hegels Logik sächlichen in Begriffe" nötig ist, aber sie auch ermöglicht, und nahm "die der
ein unerläßliches Erfo;rdernis, um das platonische Kategorienproblem in seiner Mystik eigene Verlegung des Gemüts in die Begriffe des Denkens" gerade als
etwas Positives und Produktives, das vorwärtsführt in der Richtung auf Her-
gan~en Tiefe zu erfassen.· Heidegger weiß das: .
leitung der Kategorien voni Zus'ammenhang des "Lehens" aus:
D . Pbilosopbie des lebendigen Geistes, der tatvollen Liebe, • . • f
"le
in Sonderheit eine von ihren
b . . . . ll A
Grundtendenzen geleitete Kategorienlehre steht vor der großen Au ga e .eme~ prmZlple e~ us- "die gegenständliche~, logisch auffaßbaren Verhältnisse der Einheit, Trennung, Entgegensetzung,
einandersetzung mit dem an Fülle wie Tiefe, Erlebnisreichtum und Begn:lfsbildung gewalt1gsten der Vielheitund schließlich der Einigung haben in sich zugleich die Seite des Gefühlslebens in
System einer bistorisehen Welta"':lschauung, .. · mit Regel": Leid und Seligkeit" (IV, 139).

so schloß er seine (Rickert gewidmete) Habilitationsschrift über Duns Scotus In Heideggers Aufstellung der "Existenzialien" ist dieses intensive Begriffsver-
(1916), an die man doch erinnern darf, wenn· er auch inzwischen soviel weiter fahren, das .der Formalisierung mathematischer Art entgegensteht, trotz des
Arheitens mit dem antiken morphologischen Begriffsschema, das ihr Vorschuh
gekommen ist. .
Für Dilthey, dem von früh an als die eigentliche Aufgabe emes Fortsetzers leistet, bis zu technischer Vollendung ausgebildet. Darin zeigt sich vollends, daß
von Kant die Erneuerung des "Fichteschen Unternehmens einer Deduktion der es sich hier nicht bloß um eine typische Eigenheit einer bestimmten Denker-
Kategorien" war, der ~her zugleich in Hegel den "gewaltig realistischen, sac~­ gruppe, "aller mystischen Philosophen" (mit Dilthey zu reden), oder gar (mit
lichen Zug" erkannt. hatte (Ethica 1860), wurde die Auseinandersetzung m1t Rickert) um eine romantische Allüre handelt, sondern um eine aus der Ver·
ihm schließlich so entscheidend, daß einer der besten Kenner bemerkt hat, tiefung in die Sachen hervorgehende Richtung, die die philosophische Grund-
legung angeht. Aber dann bleibt als letzte Aufgabe zurück: diese gleitende Kraft
k"nnte es als die Aufgabe Diltheys bezeichnen, eine Synthese der Anschauungsweise
"man o · L b · 1 · her des "konkreten Begriffs" nicht bloß- wie Dilthey jenen "sachlichen" Zug in
Schleiermachers und Hegels zu :finden, der "Idee" und dem in sich zentnerten e en m g e1c .
Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen"•). Regel des näheren bestimmt- als "Vertiefung in dasWesenjeder Erscheinung
Und zwar betrifft diese Auseinandersetzung eben den Punkt, um den es sich bei für sich" zu betätigen, sondern auch für den Zusammenhang der Begriffe das
der ,,Idealität" der Bedeutung handelt: das Verhältnis der Ordnung der Be-. gleitende Band in dem Lehen selber zu finden.
Auch hier bleibt, für den prinzipiellen Einsatz, Regel noch maßgebend.
1) F. Brentano, Die vier Phasen der Philosophie und ihr gegenwärtiger Stand, 1895.
•) Groethuysen, W. Dilthey, Deutsche akadem. Rundschau, 15. I. 1927. ·
Dilthey bejaht das Unternehmen, "den Fluß des geschichtlichen Lehens durch
Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge Bedeutung als gehaltbesiimmende Strukturform 141
140
Begriffe zu repräsentieren": Werden, Prozeß, Übergang, das "Fortrücken" als nunft" tritt dem von den Nachfolgern Kants gewollten ,Fortgang von der
das Grundthema der "neuen höheren Logik" (IV, 58, 166). Damit aber tut sich Kritik der Vernunft zum System der Vernunft' entgegen, dessen Ziel Regel
das ganze Problem der dialektischen Methode auf. formulierte: "Die Vernünftigkeit des Wirklichen als notwendig zu begreifen."
Dilthey lehnt sie ab. Aber die Dialektik als solche- nicht als Kunstmittel So erfolgt die Abwehr hier an derselben Stelle wie gegenüber Husserl: bei der
des philosophischen Begreifens, sondern als eine in der Ausdruckswelt hervor- Notwendigkeit eiries gedankenmäßigen Zu~ammenhanges. Nicht die wesent·.
tretende Sache - ist einer seiner Hauptbegriffe: die "ruhelose Dialektik" der liehe Möglichkeit eines solchen soll aus der Grundlegung aus.geschaltet werden
philosophischen Standpunkte vor allem, die· mit ihrer Einseitigkeit gesetzt ist. - dann fiele d~e "Dialektik" des Lebens aus und es bliebe bei der Hobhesseben
Aber wo hat sie ihren Ort? Dilthey unterscheidet das hier zu Unterscheidende Erklärung: vita motus perpetuus, während grade die Macht zum Hervorbringen
(IV, 49). Die Dialektik des begrifflichen Denkens, die lediglich in der diskursiv- von Wert und Sinn als das Wesentliche am menschlichen Lebensgeschehen
logischen Sphäre lokalisiert wäre und sich erst aus der Beziehung derselben und dess~n gedankenbildender Arbeit begriffen werden soll - , sondern seine
auf das unergründliche Lehen ergäbe, so daß also - wie er es in hezug auf Vorwegnahme. Und hier, wo eine logisch unbekümmerte Lebensbejahung
Fichtes Wissenschaftslehre formuliert - den "Irrationalismus" gegen den "Intellektualismus" auszuspielen liebt, ist
"der Widerspruch nicht zwischen den Handlungen des Ich besteht, sondern zwischen Sätzen, nun auch, positiv genommen, die Stelle, an der für so etwas wie "ideale
welche sie unvollständig aussprechen und daher ergänzt werden müssen". Einheiten von Lehensteilen" Raum wird, indem die "Bedeutung", durch die sie
Und darüber hinaus "eine in der Entwicklung des Geistes real wirksame Dia- "konstituiert" werden, sich als eine Strukturform des Lebens herausstellt.
lektik". Seine Entscheidung aber muß für. diese letztere, für die Lehensdialektik, So soll sie dazu verhelfen, den lebensphilosophischen Einsatz bis zu Ende
fallen. Das liegt im Sinn der "geschichtlichen Weltansicht" und wird dadurch durchzuführen.
bestätigt, daß er "innere Logik, innere Dialektik" als Prädikationen aus dem Gegenüber jener Vorwegnahme leistet sie die Zurücknahme der Gedanken•
Lehen selbst kennzeichnet. So vermerkt er auch als ,,eigenste Entdeckung mäßigkeit in den Strukturzusammenhang an die Stelle ihres Ursprunges. Das
Hegels" eben dies, erfolgt dadurch, daß sie vor die Kategorien des Wertes und des "Zweckes" (ge-
nauer gefaßt: des "Sinnes") tritt, die bereits der gegenständlich aufgebauten,
daß "das in der ldgischen Idee enthaltene Verhältnis zwischen ihrem Gehalt und der unvoll-
kommenen Darstellung desselben den Fortgang" von einer Stufe zur nächsten verlnitteln müsse g~danklich geordneten Ausdruckswelt angehören, und somit auch vor die
(IV, 223). K~tegorie der Bedeutsamkeit, die auf die immer .schon bestimmten

Aber hier, wo Regel, wiederum von der antiken Tradition her, an der Hand Seinsgestalten des Lehens, wie zunächst die Werke der Dichtung, also auf das
der aristotelischen Metaphysik, die Wendung zum "Panlogismus" nimmt, hört objektiv Geistige bezogen ist und dementsprechend als "Bestimmtheit der
! '·,
zugleich auch seine Führerschaft auf. "Das Lebendige auflösen in das Begriff- Bedeutung" definiert wird (238), während es sich nunmehr um den Ruckgang
"
'!'
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liche"! (VII, 331, 258)- wo doch der Ertrag des historischen Bewußtseins sein · von den Objektivationen auf das Sich-objektivierende handelt oder vielmehr
soll, daß "das Lehen frei werde vom Erkennen durch Begriffe". Wie Leihniz um die Begründung dieses hermeneutischen Verfahrene. Regel gab die prä-
von Descartes sagte, er sei nur bis ins Vorzimmer der Wahrheit gekommen, so gnante Formulierung für das Verfahren, in dem Phänomenologie und Lehens-
erklärtDilthey von Regel, er sei "n:icht ins Freie der wirklichen geschichtlichen philosophie einig sind: "Sich dem Lehen des Gegenstandes übergehen." Aber
Welt gelangt" (280). Diltheys Aufgabe einer "Kritik der historischen Ver- in dieser Formel steckt noch ungelöst die ganze Schwierigkeit; denn ein
Verhältnis von apeiron und peras als dynamische Mitte der Struktur 143 -
142 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende
I
"Gegenstand" hat doch kein "Lehen" mehr. Hier geht Dilthey vorwärts, indem mische Mit:te. gerückt wird: die unüherschauhare Kontinuität ist die der
er die Bedeutung als "die Kategorie für den unzerlegten Lehenszusammen- schaffenden Kraft" im menschlichen Lehen, die Dilthey als "die kernhafte
" ' '

hang" bestimmt und sie an die" Totalität" des a'uffassenden Subjekts anknüpft historische Tatsache" gegen den Relativismus geltend machte, und auf die Be-
(VII, 237, 230).- Damit ermöglicht sie aber zugleich auch das, was durch die ziehung zwischen diesem stetig Wirkenden, Unergründlichen, und dem Un-
ursprüngliche Conception des Logos (oben S. 51) geboten ist: im Verfolgen der stetigen, das als diskreter ,Zug des Lehens" kategorial faßbar ist,. geht die In-
Gedankenmäßigkeit der Lehenswirklichkeit das Wissen vom Unergründlichen tention. In sich einheitlich, legt sie sich nach jenen zwei Seiten auseinander,
festzuhalten. Während der reine Zug der Aufklärung, wie Dilthey bemerkt zum apeiron und zum peras hin, beides in gleichgewichtiger Stellung fassend.
(VII, 331), "jenes Undurchdringliche als niederen Bodensatz des Lehens zurück-
läßt". Hier geht es darum, auch bei der "Zerlegung" des Lehenszusammen- 111. Das erste von jenen beiden Momenten: daß die "Bedeutung" (im Unter-
hanges, die an demselben hestim.mte Züge durch Kategorien fixiert, die Be- schied zu "Bedeutsamkeit") vor Wert und Zweck zu stehen kommt,bezeichnet
ziehungen zwischen dieseil nicht ~ein gedanklich, im diskursiv-logischen Medium einen Wendepunkt im Fortgang von der Theorie der Geisteswissenschaften zur
zu konstruieren, sondern sie ·aus der Lehensbewegung in "synergistischer" lehensphilosophischen Grundlegung.
Analyse zu verstehen. Hier wird die Kategorie der Bedeutung erst recht zum a) In Diltheys Theorie der Geisteswissenschaften (oder auch wo die Richtung
Hebel des· dynamischen Sehens: sie fixiert die Stelle, an der das unergründliche auf sie hin vorherrscht) ist, sofern sie von den wissenschaftlichen Sätzen aus-
Lehen, dessen Grenze du nicht ausfinden kannst, und wenn du jeden Weg ab-· geht, überhaupt kein Ort für die Kategorie der Bedeutung1), vielmehr treten
schrittest, sich zur Bestimmtheit der Gestaltung hinwendet, - biologisch zu hier Wert und Zweck (oder auch "Regel" im Sinne von Norm) direkt neben
reden den Determinationspunkt, der das offene System in ein geschlossenes ver- ·Wirklichkeit. So stellte Dilthey in der "Einleitung" den"Aussagen über Wirk-
wandelt. Das klarzustellen wird unser Hauptanliegen sein (unten S. 158). lichkeit" (Feststellung von Tatsachen und "Theoreme") die "Werturteile und
Und damit kommt dann die Schwierigkeit ~um Austrag, die wir im Anfang Imperative" gegenüber und legte allen Nachdruck darauf, daß dies "zwei pri-
dieses Abschnitts schon allgemein faßten: daß das Lehen frei werden soll vom mär verschiedene, auch in der Wurzel gesonderte Arten von Sätzen" sind. Und
Erkennen durch Begriffe und doch der kategorialen Aualyse, also der auf- indem er zugleich beachtete, daß W ertgehung und Regelung des Handeins nicht
klärenden Erkenntnis unterworfen werden soll. Für den Zusammenhang der bloß Gegenstand der geisteswissenschaftlichen Theorie sind, sondern von ihr
Kategorien ergab sich daraus die Leugnung der Ahgeschlossenheit und rein ge- selber erzielt werden, ergab sich seine geläufige Einteilung, die "alle Klassen
danklichen Durchsichtigkeit einer Deduktion, die, mit Cartesius zu1r~den, er- des Wissens" umfassen soll und die ihm auch zur Bestimmung des Begriffes der
folgen würde per continuum et nullibi interruptum cogitationis motum singula "Weltanschauung" diente: "Wirklichkeitserkenntnis ,- Wertsetzung- Zweck-
perspicue intuentis. Im Negativen ist das inzwischen genugsam deutlich ge- hestimmung und Regelgehung". Das wesentliche Problem des Zusammen-
worden. Aber das Entscheidende ist .nun, daß das, was von dem rationalen Ideal hanges zwischen dem wurzelhaft Gesonderten blieb der philosophischen Grund-
philosophischer Erkenntnis aus als etwas bloß Negatives, ein Mangel erscheint, legung vorbehalten als der
als etwas Positives, ja Produktives ergriffen und zum kernhaften Einsatz der
1) Wo hier das Wort ,Bedeutung' gehraucht wird, geschieht das im Sinne von ,Bedeutsamkeit'
lehensdenkerischen Analyse gemacht wird. Der Griff besteht darin, daß das und gerade in Unter o r dun g unter den Werthegrüf, z. B. "Bedeutung ist der Wert, welchen ein
Verhältnis zwischen dem Grenzenlosen und der Begrenzung in die dyna- Zustand, ein Bestandteil meilier Existenz ini Zusammenhang des Lehens hat". V gl. VII, 279.
I
I
144 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende Sprichwörtliche Aussagen als vortheoretische Schicht der geistigen Welt 145
"Selbstbesinnung über den Zusammenhang zwischen unserer Erkenntnis der Wirklichkeit der Aber Dilthey begnügte sich dann zunächst damit·, die "Entwicklung der
Lebenseinheit und unserem Bewußtsein von den Beziehungen der Werte untereinander, welche
inneren Gesetze des Willens" und "der ·inneren Ordnung des Gefühlslebens''
unser Wille und unser Gefühl im Leben finden" (I, 34).
der Wirklichkeitserkenntnis gegenüberzustellen, indem er dieser eine "logische~',
Jene wissenstheoretische Einteilung hatte doch bereits auch einen allgemein- jenen eine "praktische'" hzw. "affektive Konstitution'" zuschreibt. Und für
logischen Belang. Durch die gleichmäßige Berücksichtigung der verschiedenen diese psychologische Anknüpfung an die verschiedenen (durch die psychische
Arten von Sätzell. wird der traditionelle Vorrang des "Urteils'" aufgehoben, Struktur miteinander verbundenen) V erhaltungsweisen hle1ht jene wissen-
durch die Anerkennung ihrer primären Verschiedenheit wird dem geläufigen schaftstheo~etische, gegenständlich orientierte Einteilung maßgebend, wie
Unternehmen der Logiker, alle andern Sätze auf das Urteil zu reduzieren (durch er selber noch späterhin erklärt:
Umdeutung derselben in eine Kundgabe von psychisch Wirklichem: z. B. ,Du "Handelt es sich um die Begründung der Geisteswissenschaften, so liegt hier fÜr die Sondenmg
sollst nicht ehehrechen'=,ich will, daß du usw.'), der Boden entzogen, und indem der. Typen des gegenständlichen Auffassens, des Fühlens und des W ollens ein Grund darin daß
auf die Denkleistungen reflektiert wird, die in ihnen allen als Sätzen ent- die Trennung von Wirklichkeit, Werten und Zwecken das ganze Reich des Geistes durchz;eht"
(VII, 327). ·
halten sind, ergibt sich die analytische Auflösung des auf der überlieferten
Morphologie des Urteils beruhenden "Logismus'", die Verlegung der "elemen- Dementsprechend bleibt es - was die wesentliche, in d~r "Selhsthesinnung" zu
taren logischen Operationen'" in das ·vordiskursive Denken und ihre Kenn- lösende Frage ~ach dein Zusammenhang des Gesonderten anlangt - h.ei dem
zeichnung als "Weisen des Erfahrens", wie das im V orhericht ausgeführt Vorrang des (auf die Wirklichkeitserkenntnis bezogenen) "gegenständlichen
worden ist (V, LXII). Der Satz: "erst das Denken macht das Erlebnis gegen- Auffassens" sowohl für die "psychische Struktur", wo der Wahrnehmung die
ständlich", kann festgehalten werden, ohne zu einem logischen Idealismus zu Rolle zufällt, die Gefühle hervorzurufen, diein Handlung oder Ausdruck aus-
zwingen, nachdem als dessen Irrtum die Anknüpfung der Vergegenständlichung~ laufen, als auch für das Verhältnis von Wirklichkeit, Wert und Zweck, das als
an das Urteil (das judicium in Descartes' hek~nntem Beispiel mit dem Wachs, ein Fundierungsverhältnis erscheint, sofern der Wert sich auf der Wirklichkeit,
Meditationen II) erkannt ist. Ja von hier aus erstreckt sich auch bereits, weiter der Zweck wiederum auf dem Wert aufhaut. Auch bei dem Begriff der "Welt-
zurückführend, der Zug von der Wissenschaftstheorie zur Hermeneutik des anschauung", der durch Bestimmung ihrer "Struktur" gegeben wird, kehrt
Lehens. Denn das Erblicken der Genesis, an den geisteswissenschaftlichen diese Aufschichtung wieder. Aber der eigentlichen Intention, die sich in Dil-
Sätzen ausgeübt, führt auf den engen Zusammenhang derselben mit dem im theys Analyse der Realitätserfahrung bekundete, ist damit nicht Genüge getan.
Lehen sich ausbildenden werktätigen Wissen 'Das erfolgt erst mit dem Ergreifen des lehensphilosophischen Ausgangs-
wie z. B., nach Ihering, "eine im Rechtsleben selber sich vollbringende bewußte geistige Arbeit punktes: durch den Rückgang hinter die V erhaltungsweisen auf das V erhalten
die Grundbegriffe des römischen Rechts geschaffen hat" (I, 21), selbst, auf den
und so öffnet sich der Blick für die vortheoretische Schicht der Lehensbegriffe "beständigen Untergrund,in dem die differenziertenLeisturigen sich erheben", auf die Stellung-
nahme, den Lebensbezug, "der die Menschen und Gegenstände für mich zu Trägem von Glück
und Aussprüche, der ,sprichwörtlichen Al!ssagen'. Oder vielmehr: diese von
Er_weiterung meines Da~eins" oder _Einsc~änkung, Druck usw. "macht", der~rt, daß es "ga; ·
Schleiermacher in der Theologie aufgedeckte, durch die Unterscheidung der keme Menschen und keme Sache gtbt, die nur Gegenstand für mich wären und nicht Druck
"Aussagen über fromme Gemütszustände'" gegenüber rein theoretischen Sätzen oder Förderung, Ziel eines Strebens oder Bindung des Willens, innere Nähe oder Widerstand" ...

festgestellte Schicht wird in ihrer Bedeutung für die Grundlegung erkannt. Von hier aus erklärt Dilthey in hezug auf das Erleben:

MI s c h, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 10
146 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende Vorrang der Bedeutung vor Bedeutsamkeit, Wert und Zweck 147
"Es ist ein Wirkungszusammenhang, der durch diese Stellung, diese innere Position bedingt ist." Indem nach der Beschreibung des Lebensablaufs das V er h a 1te n berücksichtigt
"Das Erwirken konstituiert ja alles, was im Leben hervortritt. Dieses enthält nur Erwirktes für
den Auffassenden; denn das Wirken des Selbst ist unbekannt. Aber Verhalten, Stellung ist das
wird - daß der Verlauf "mit Bewußtsein durchlaufen" wird - ergibt sich als
Tiefere, welches die Art des Erwirkens durch das Leben setzt" (VII, 131, 239, 231). "in der Natur des Verstehensund in der Natur des Lebens" gelegen, daß
Das, was hier als Bedingtsein des Erlebten durch eine "innere Position" ge- "dasselbe auf den verschiedenen Standpunkten, auf denen sein Zeitverlauf aufgefaßt wird, ganz
kennzeichnet wird, ist, vom Lebensgeschehen aus gesehen, dasselbe Verhältnis, verschiedene Seiten uns zeigt. In der Erinnerung (wenn wir erinnern) tut sich zuerst die Kategorie
der Bedeutung auf. Jede Gegenwart ist von Realität erfüllt. Dieser aber schreiben wir einen
das vom V erstehen aus als Konstitution des Erlebnisses durch Bedeutungsbezüge positiven oder negativen Wert zu. Und wie wir uns der Zukunft entgegenstrecken, entsteht aus
bestimmt wurde. Und so ist denn auch hier der Ort, wo die Kateg!)rie der Be- diesem Verhalten die Kategorie des Zweckes" (VII, 236, 201).
deutung eintritt, mit dem Vorrang vor Wert und Zweck, dem Vorrang der Hiernach wären Bedeutung, Wert zusammen mit Wirklichkeit, und Zweck nicht
Ursprünglichkeit vor diesen zunächst im "Reich des Geistes" gestalthaft fest- nur, wie Dilthey betont, "unvergleichbar" miteinander, derart, daß ein Ver-
stehenden Kategorien. hältnis der Unterordnung zwischen ihnen ausgeschlossen ist, sondern auch
Es handelt sich um etwas Entscheidendes: daß nun wirklich das syste- glllich ursprünglich, sozusagen gleichzeitig. Aber schon, daß hier in bezug auf
. matische "Zu Ende Denken" erfolgt. Indem das erfolgt, setzt sich aber nur das Verhalten, in dem die verschiedenen "Seiten" des Zeitverlaufs ,;sich zeigen",
wieder ein die Theorie der Geisteswissenschaften beherrschender Impuls bis zu vou "Stand:IJunkten der Auffassung" gesprochen wird (statt von Stellung-
Ende durch, so daß von ihm aus die Intention aufgehellt werden kann. In der nahme, innerer Position), das weist auf den Punkt hin, der hier noch nicht im
"Einleitung in die Geisteswissenschaften" schrieb Dilthey: reinen ist. Und nun erklärt Dilthey auch positiv, daß Wert und Zweck von der
"Wer die Erscheinungen der Geschichte und Gesellschaft studiert, dem treten abstrakte Wesen- Bedeutung "abhängig" sind. Wie aber kann, fragen wir, eine von mehrer~n "un-
heiten überall gegenüber, dergleichen Kunst, Staat, Gesellschaft, Religion sind. Sie gleichen
vergleichbaren" Kategorien, in denen allen ein und dasselbe, einzige Phänomen,
zusammengeballten Nebeln, die den Blick hindern, zum Wirklichen zu dringen, und die sich doch
nicht greifen lassen. Wie einst die substantialen Formen, die Gestirngeister und Essenzen zwischen der Lebensahlauf, sich auftut, vor den andern derart ausgezeichnet sein, daß
dem Auge des Forschers und den Gesetzen standen, welche unter den Atomen und Molekülen diese von ihr abhängig sind? Nur wenn sie ihnen gegenüber in eine tiefer
walten, so verschleiern diese W esenheiten die Wirklichkeit des geschichtlich-gesellschaftlichen
Lebens ... Ich möchte diese Wirklichkeit sehen lehren ... und diese Nebel und Phantome ver- liegende Schicht zurückführt, aber nicht im Sinne eines Fundaments, auf dem
scheuchen" (I, 42). die andern sich aufbauten, sondern des Ursprungs, des ursprünglich bildenden,
Das dynamische Sehen, das hier für die Gegenstände der Geisteswissen- eben wegen seiner Dynamik noch nicht in sich bestimmten Ganzen, innerhalb
schaften zum Prinzip gemacht ist, will sich nun auch der Kategorien des Lebens dessen die Artikulation mit den Kategorien Wert und Zweck vorwärts geht.
bemächtigen. So ist es in der Tat, und so muß es auch von Dilthey gemeint sein, weun er,
b) Dies springt heraus, wenn man die nachgelassenenAufzeichnungenüber die Erörterung über den Vorrang der Bedeutung abschließend, erklärt:
Bedeutung, Wert, Zweck durchdenkt. In diesen Analysen, die bei der Zeit- "So werden die kategorialen Verhältnisse von Wert und Zweck als einzelne Seiten des Lebens-
lichkeit als der "ersten Bestimmung" einsetzen, geht Dilthey der Genesis der verständnisses in den Totalzusammenhang des Verständnisses aufgenommen" (VII, 236).

Kategorien nach, im Unterschied zu.der statisch-intentionalen Interpretation Die Erinnerung aber, der die Bedeutung zugeordnet ist, muß dann mit dieser
dessen, was in Worten, Sätzen, Satzverbindungen mit Wirklichkeit, Wert, Gut, zugleich in. dieselben Tiefen zurückgeführt werden. Sie darf nicht, wie es bei
Zweck gemeint sei. Da stellt er nun zunächst ein recht einfaches, durchsichtiges jener Koordination von Bedeutung (genauer: Bedeutsamkeit) und Wert und·
Verhältnis heraus, das dem von uns angegebenen Zuge zuwider zu sein scheint. Zweck nahe lag, in einem verdünnten, von der Vorstellungspsychologie her

10*
·Vorrang der Bedeutung vor Bedeutsamkeit, Wert und Zweck 149
148 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende
236). Mit ihrer Verwendung zu transzenden.ten Ordnungsprinzipien aber
geläufigen Sinne gefaßt werden, sondern ist in einem vollen wörtlichen Verstande kann sich der Lehe:Q.sphilosoph erst recht nicht zufrieden gehen.
(wie Hegel die Geschichte als Er-innerung bezeichnet) zu nehmen, als die Macht Für den Zweck-;,Gesichtspunkt"ist das ohne weiteres klar; die Einseitigkeit solcher Auffassung
der Besinnung, die in jenen "beständigen Untergrund" des Daseins einkehrt. des Lebensganges (wie z. B. in'Augustins Confessionen) und vollends die Unhaltbarkeit der teleo-
logischen Geschichtsbetrachtung ist ja ein Hauptsatz des historischen Bewußtseins. Aber dieses
Wir müssen hier nur, wie schon angedeutet wurde, schärfer als Dilthey tut,
erschüttert auch die grundlegende Stellung der Kategorie des Wertes, und zwar gerade durch die ·
scheiden zwischen den "Standpunkten der Auffassung" und den "in der mensch- Einsicht von dein Eigenwert jeder Epoche und die Kehrseite dieser Einsicht, die Ablehnung einer
lichen Lebendigkeit hefi~dlichen lebendigen Mächten". Das Wissen um Be- zeitlosen· Rangordnung der Werte. Dem historischen Relativismus, für den sich die Wertewelt
in ein ·Chaos von Relativitäten zersplittert, entspricht die skeptische Konsequenz, die sich aus
deutung darf überhaupt nicht als ein "Standpunkt" oder "Gesichtspunkt" der zeitlichen ADknüpfung der Kategorie des Wertes an das Leben in der Gegenwart ergibt: "Die
der Lehensauffassung angesprochen werden, der als solcher immer schon andere Eigenwerte der erlebten Gegenwart stehen gesondert nebeneinander . . . Das· Leben erscheint
unter diesem Wertgesichtspunkt als eine unendliche Fülle vonDaseinswert, negativem, positivem,
mögliche neben sich hat. Und bei Wert und Zweck ist dies .nur insofern ange-
von Eigenwerten. Es ist ein Chaos voll Harmonien, Dissonanzen - aber die .Dissonanzen lösen
bracht, als sie in der gegenständlichen Sphäre, wo sie in gedanklich ausge- sich nicht auf in Harmonien" (VIl, 236, 201).
bildeter Gestalt auftreten, aufgesucht werden und nicht an der Ursprungsstätte, ·· Und doch soll der Relativismus nicht das letzte Wort sein! und ist es auch nicht.
wo mit diesen Ausdrücken vielmehr ein V erhalten,. "ein von der gegenständ- Er verliert aber seine skeptische Spitze dadurch, daß die Richtung des philo-
lichen Auffassung unabhängiges Verhalten" ausgesprochen wird. Die ganze sophischen Fragens umgekehrt wird: vor die rein theoretische Erörterung der ·
·genetische Analyse, die Dilthey für die Wert- und Zweck-Kategorie unternimmt, ,logischen Grundlagen' der gegenständlichen Ordnung in dem "weiten Reich
beruht auf dieser Unterscheidung. Denn in ihr soll die "Entwicklung", das "Ge- der Werte, das sich als Tatsache unseres geistigen Lehens auslireitet", tritt die
. deihen" dieser Kategorien von ihrem Ursprung im Lehensver'4alten her zu hermeneutische Frage nach der "in die Tiefen des Lehens reichenden" QtJelle
ihrer begrifflichen Feststellung hin aufgezeigt werden. Und erst durch diese Be- für die (immer wieder neu sich bestimmende) "Herstellung" 'eines Lehenszu-
tonung des ahkünftigen:, des ergebnishaften Charakters des Wert- und Zweck- sammenhanges überhaupt.
hegriffes zeigt sich, daß die "Bedeutung" des Leh~ns ~hen deshalb ihnen voran- Die Kategorienlehre übernimmt damit nur eine Aufgabe, die ihr durch die
geht, weil sie gegenüber der gegenständlichen gedankenmäßigen Ordnung der Theorie der Geschichte überantwortet ist. Dort ergab sich bei der Frage nach
/ .
menschlichen Lehenswirklichkeit und den in dieser immer schon auf etwas Be- dem Sinn der Geschichte die Unhaltbarkeit der Ansicht, die ihn in dem "Fort-
stimmtes festgelegten Kategorien das Produktive, W erterzeugende, Be- gang von relativen Werten, Bindungen, Normen, Gütern zu. unbedingten"
stimmungsmächtige in den "Tiefen des Lehens" herausstellt. finden inöchte. Gegen den kantianisierenden Rückgriff auf ein Apriori der theo-
Bei der Begründung dieses Vorranges geht Dilthey dementsprechend vor. retischen oder der praktischen Vernunft wurde der Standpunkt der geschicht-
Die Kategorien von Wert und Zweck machen zwar, wie das zum Begriff der· lichen Erfahrung gelt~nd gemacht:
Lehenskategorie gehört, jede unter ihrem Gesichtspunkt "das Ganze des Lehens "Indem sie dem Verlauf de~: Ausbildung solch~r unbedingten Werte, Güter oder N ormen.nachgeht,
dem Verständnis zugänglich", aber, so erklärt er, "von ihnen aus kann der Zu- bemerkt sie von verschiedenen unter ihnen,· wie das Leben sie hervorbra.chte, die unbedingte
Setzung selbst aber nur durch die Einschränkung des Horizontes der Zeit möglich WU:rde~ Sie
sammenhang des Lehens nicht hergestellt w~rden". Und zwar sind sie deshalb blickt von da aus auf die Ganzheit des Lebens in.der Fülle seiner historischen Manifestationen."
unzulänglich hierzu, weil sie von sich aus entwed~r überhaupt nicht zu einer So blieb die· Unterordnung unter ein Unbedingtes, in ihrer geschichtlichen
immanenten Ordnung oder nur zu einer solchen durch rationale Verhältnisse, Tatsächlichkeit genommen, als ein wesentliches, aus den Lehensbezügen zu
wie das der Über- und Unterordnung oder der kausalen Erklärung führen (202,
..
150 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende Vorrang der Bedeutung vor Bedeutsamkeit, Wert und Ztveck 151
verstehendes Problem zurück, das die religiöse oder metaphysische" Unte:dage" Diese Analysen können gewiß mit phänomenologischen Mitteln besser und
des Aufbaus der geschichtlichen Welt, die wissenschaftliche Erkenntnis ein- genauer gemacht werden~ und Heidegger hat hier mit starkem Griffeingesetzt
geschlossen, betrifft (VII, l73, 289. V, CXI, LXV). Und eben hierauf hält die . und die inzwischen von Scheler gewonne;ne Erneuerung der Lehre von den .·
kategoriale Analyse den Blick gerichtet. Affekten systematisch in die Grundlegung des Wissens hineingeleitet. Freilich
,"Nun ist das Geheimnis des Lebens, daß ein oberster Zweck in ihm realisiert wird, dem alle macht sich dann auch hier der prinzipielle Gegensatz .gelte;nd, der durch die
Einzelzwecke sich untet~rdnen. Es verwirklicht ein höchstes Gut; es soll von Idealen bestimmt
phänomenologische Richtung auf eine Ontologie des Daseins hereinkommt, ja
sein. Es realisiert eine Gestaltung" (VII, 236).
der Unterschied. der ontologischen Systematik zu Diltheys "ontischen" Be-
Und diesem "Geheimnis" gegenüber__:_ das nicht etwa auf die Zwe~k-Einheit . schreibungen tritt hier vollends hervor. Der Begriff der ;, Stimmung", der bei
reduziert werden soll: in jenem Ausspruch sind vielmehr die verschiedenen, beiden eine grundlegende Stellung bekommt, erhält in Heideggers Analytik
nacheinander aufgeführten Möglichkeiten wie in einer musikalischen Folge als des Daseins eine ßestimmung, die kaum noch vergleichbar ist mit dem, ;was
fortgehend sich erweiternd zu dem umfassenden Begriff des "Sinnes" hin zu Dilthey bei dem Rückgang auf die "universalen Lebensstimmungen" in der
verstehen - versagt nicht bloß der Begriff des Wertes, sondern auch der an ihn Weltanschauungslehre im Auge hat. Heidegger erklärt geradezu: "Wir müssen
sich anschließende des Zwecks, der herkömmlichermaßen als die eigentliche · ••. ontologisch grandsätzlieh die primäre Entdeckung der Welt der ,bloßen ·
Kategorie zur Erklärung der Möglichkeit einheidicher Gestaltung des Lebens Stimmung' überlassen". Aber diese entscheidende These steht jetzt nicht zur
galt, wie ja auch Dilthey selbst den überlieferten terminus ,,teleologisch" be- Diskussion;. denn das würde nur auf'die Frage nach dem Verhältnis des Wissens
nutzte, um einen wesentliche;n, ja den "stärksten Zug" des Strukturzusammcm· zu der· "aus dem In-der· Welt"sein aufsteigenden" Stimmung führen und da-
hanges ·(VII, 330) damit zu bezeichnen. mit wiederum auf den fraglichen Punkt des Übergangs von dem Darinnen-
Die Wendung aber, die hier weiterführt, rückwendig zur Kategorie der Be· sein im Leben zu dem Sichfinden des menschlichen Geistes. Jetzt komint es
deutung hin, besteht, wie schon im voraus angegeben wurde, nicht etwa (posi· nur auf den im Bereich der Affekte selber zu suc.henden Ursprung der Kategorie
tivistisch) in der W eg:räumung von Wert und Z~eck aus der fundamentalen des Wertes und auf ihr Verhältnis zu der Bedeutung des Lebens an. Und da
Dynamik des Lebens, sondern darin, daß diese Kategorien zurückgenommen ergibt sich bei Diltey aus jener genetischen Analyse der entscheidende Satz:
werden in das Verhalten, das in ihnen zu gedanklich durchgebildeter, begrifflich "Wert ist. gegenständliche Bezeichnung dur.ch den Begriff. In ih:o;~. ist_ Leben aus-
verfestigter Bestimmtheit gelangt. So g~ht die genetische Analyse auf dem in- gelösc'ht."
direkten ~eg über die sprachlichen Ausdrücke, in denen die Werthaltung in Damit ist dann das Unerläßliche begründet: den Begriff wieder ins Leben
ihrer Mannigfaltigkeit ausgeprägt ist, auf die "Affektionen des Gemüts" zurück, zu setzen und so mit der Starrheit zugleich den bloß- teilhaften Charakter, den
auf die "Beziehungen zwischen den Möglichkeiten, zu affizieren, und dem Selbstgefühl des Sub- der nach1;rägliche Begriff, der "Gesichtspunkt". von Wert und Zweck- als eine
jekts, das in diesen Möglichkeiten lebt",
gedankliche Erfassungsweise hat, zu überwinden. durch die Rückwendung in
und verfolgt nun die Linie ihrer Vergegenständlichung im Ineinandergreifen die Bewegung vom Ursprung her.
des ErIebens und Verstehens und ihrer stufenweisen Aufklärung: wie Eben da aber_ hat die Kategorie der Bede.utung ihre Stelle. Denn nunmehr
"der Wert immer selbständiger sich loslöst von allem Aufblitzen und Verschwinden der Affek· macht sich jenes Grundverhältnis geltend, das Dilthey kennzeichnete als die
tion", und wie "das dunlde Streben sich aufklärt im Zweck" (VII, 241, 324, 257.)
"in der Tiefe der Seele liegende Beziehung" zwischen den Trieben und Gefühlen,
152 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende
Der Weg vom Faktischen zum Ideellen: Bedeutung als Werden zum Sein 153
den grenzenlosen Sehnsüchten und der "bildenden Gewalt in ihr, die Zweck-
Konzeption .. Nicht etwa soll nur wieder einmal gegen das selbstgenügsame
zusammenhänge setzt und in ihnen sich auslebt". Diese Beziehung- und nicht
Insichstehen . des Intellekts die "Reaktion des starken Lebens" eingeleitet
die Affekte für sich- waltet in der Mitte des "Strukturzusammenhanges, der
werden, das, wie Dilthey selber formuliert, ,;in unfaßlicher Unmittelbarkeit
Bedeutung setzt".
seine Kraft fühlt" '(VII, 330). Vielmehr bleibt dem begrifflichen Denken seine
Ebenso für die "Weltanschauungen" das Hervorgehen aus d.erit Leben in
Rolle der Vermittlung in der Aufklärung der "in der menschlichen Lebendig-
. der Besinnung über es; Sie ·
keit befindlichen Mächte". Auf die F.rage nach einem ,;Kriterium der Wert-
"sind niilht Erzeugnisse des Denkens. Sie entstehen ni~ht aus dem bloßen Willen des Erkennens.
bestimmung", wie sie sich bei der Anknüpfung an die Affekte stellt, bekommen
Die Auffassung der Wirklichkeitist ein wichtiges Moment in ihrer Gestaltung, aber doch nur eines".
wir die Antwort:
Die .,untere Schicht" für ihre Ausbildung bilden die universalen "Lebens-
"Es bildet sich im Lehen selber, im Lehen der Menschheit wie in dem des Einzelnen." U~d das
stimmungen, die zahllosen Nuancen der Stellung zur Welt", die selber wieder wird dahin erläutert: "die großen Lehrmeister des Menschen sind auch hier Erfahrung, Versuch
auf "großen Eindrücken" beruhen, indem diese sich im menschlichen Verhalten und Festhalten der Ergehnisse in verstandesmäßigen Regeln" (li, 481).
. zur Lebenserfahrurig verdichten: Aber dieser Aufklärungszug, der vom werktätigen Wissen her sich bis in die
"aus den wechselnden Lehenserfahrungen tritt dem auf das Ganze gerichteten Auffassen das Philosophie hineinstreckt, dieser herrscherliehe Zug des Denkens,
Antlitz des Lehens hervor, widerspruchsvoll", das vom "Einzelnen, Zufälligen, Subjektiven, Relativen und darum mit Irrtümern Versetzten"
fortgeht zum "Allgemeinen und Ganzen, zum Festen und. Notwendigen",
und die "StrUktur" der Weltanschauung, die durch das "konstante Verhältnis''
von Wirklichkeitserkenntnis, Lebenswürdigung und Zwecks~tzung bestimmt ist als ein "dem Strukturzusammenhang eingeordnetes Beziehungssystem"
ist, entsteht erst, indem in der "langsamen und schweren Arbeit" der Ge- (VII, 9, 329) hineingestellt in jenes dynamische Grundverhältnis, ·aus dem
schichte das Leben zu gegenständlichem Bewußtsein. erhoben wird. erst zu verstehen ist, daß das menschliche Denken dergleichen zu leisten
"Was im Lehensrätselverworren, als ein Bündel von AufgaheJ?. enthalten ist, wird hier in einen vermag. So Diltheys prägnante Formel (136): "Die gedankenbildende Arbeit
bewußten und notwendigen Zusammenhang von Problemen und Lösungen erhoben." des Lebens". Und so erhält nunauch jener entscheidende Satz, daß im Begriff
Dieser Fortgang selber aber, von den Lebensstimmungen zu der gedanklichen des Wertes "Leben ausgelöscht ist", sofort· die Ergänzung:
Durchbildung, in der die Weltanschauung "Dauer, Festigkeit und Macht emp· "Aber er hat damit doch seine Beziehung auf das Lehen nicht verloren. - Sobald nun aber der
Begriff des Wertes gebildet ist, wird er vermöge des Bezuges zum Lehen zu einer Kraft, da er
fängt", erfolgt inner hidb des Lebensverhaltens durch die schöpferische Expli- zusammenfaßt, was im Lehen zerteilt, dunkel und verfließend ist" (VII, 243.)
kation des in Jhm Enthaltenen. "Jede echte Weltanschauung ist eine Intuition,
· Aber eben dies, daß der Begriff zu einer Kraft zu werden vermag, wird .:._ im
die aus dem Darinnensein im Leben selbst entsteht"; das V erfahren der Auf-
. Gegensatz zu der platonischen Konzeptionder Wirkungsmacht der "Idee", die
lösung des Lebensrätsels ist das der "Auslegung der Welt", analog dem Fortgang
den schauenden Geist i'u der Erkenntnis zu sich emporzieht - dem "Lebens·
vom "elementaren Verstehen" zu den höheren Formen desselben, und geht so
. . . bezug" gedankt. Demzufolge darf die Analyse, die nach dem Grund der "Her-
auf derselben Linie vorwärts, die mit der Sprache beginnt (Typen 9, 11, 15, 24).
stellung des Lebenszusammenhanges" fahndet, nicht in der gegenständlichen
Sphäre Halt machen, als ob die Lebensbewegung in ihr terminierte, sondern
Die "Bedeutung" gehört an eine. ganz bestimmte Stelle im Zusammenhang
muß sich wie~er zu~ückweiiden, UIIJ. in das Werden zum Sein einzudringen. Und
der Kategorien des Lebens, es handelt sich um etwas durchaus Positives, eine
so fährt Dilthey auch in jenem Gedankenzug dann fort:
154 Rückgang von den Objektivationen auf das Sichobjektivierende Logischer Ort der Geisteswissenschaften mitsamt der .Kunst 155
"Werden· Werte nun in .der Geschichte, Wertanschauungen als Ausdrücke des ·Lebens in den kenntnis aus dem Lehensverhalten oder auch dem" Seinsverständnis"-kommt
Dokumenten aufgefunden, so erhalten sie hier durch das Nacherleben ihrer Beziehung zum Leben
zurück, was in ihnen enthalten war."
es jetzt nicht an, wo .es sich nur allgemein um das Auftreten der Geisteswissen-
Das ist aber nichts anderes als das, was die Geisteswissens.chaften überhaupt schaften innerhalb der Lebensbesinnung und um die Stelle dieses Auftretens
handelt und nicht speziell um ihre Wissenschaftlichkeit. W ~s diese anlangt, so
"zu allererst und hauptsächlich" leisten: sie
betont Dilthey denn auch gerade, daß, der "Richtung auf Allgemeingültigkeit"
"übersetzen die sich unermeßlich ausbreitende. menschlich-geschichtlich-gesellschaftliche Wirk-
lichkeit zurück in die geistige Lebendigkeit, aus der sie hervorgegangen ist". · zufolge, in ihnen "der unmittelbare Bezug des Lebens, seiner Werte und Zwecke
Diese Leistung, die in dem "Aufbau" zur Abgrenzung der Geisteswissenschaften zu dem geschichtlichen Gegenstand allmählich ersetzt wird" durch 'einen Be-.
von den Naturwissenschaften dient, aber auch dortvon vornherein als eine "in ziehungszusammenbang der Lebenskategorien, der freilich - jenen neukan-
de~ Leben selber begründete Betrach:t;ungsweise" gekennzeichnet wird (VII,
tischen Werttheoretikern gegenüber --,-- immer .ein dem menschlichen Leben
i~maneuter bleibt (VII, 155).
82, 120), ist hiermit an ihren systematischen Ort innerhalb· des Zusammen-
Die Stelle selber aber, an der di~ Geisteswissenschaften in die (von de~ Philo- ·
hanges der philosophischen Grundlegung gestellt.
Die Stelle hebt sich deU.tlich ab beim Vergleich mit Windelbands und sophie systematisch aufzuklärende) Lebensbewegung eintreten, ist gar nicht
von ihnen allein besetzt, s,pndern mit ihnen zusammen - oder vielmehr, in iHn-
Rickert~ Systematik.
blick auf die Lebensnähe, vor ihnen,- erscheint hier die Kunst, die Kunst in
Von Windelband wird der Philosophie, die als "die kritische Wissenschaft von den allgemei.D.-
gültigen Werten" bestimmtist, die Aufgabe.zugeschrieben, das "normativ Gültige" auch in dem der dauernden Funk~on, die ihr im Zusammenhang der m~nschJichen Weisheit
ganzen Inhalt der Kultur aufzuweisen, und dementsprechend enthält die Geschichte (oder zukommt. Und in bezugauf die Kunst spricht 'Dilthey die Entscheidung, die in.
GeschichtSwissenschaft?). zwar auch eine Stelle im Zusammenhang der philosophischen Grund-
legung, aber so, daß sie nur als Erkenntnismaterial dient für die teleologisch-kritische Besinnung jenem Satz über dlls Verhältnis des Lebens zur Wert- und Zweckordnung lag,
auf die ,,Normen". Die Geschichte macht das Hervortreten der "überempirischen Vernunft- noch rückhaltloser aus. Die Dichtung ist ein Organ des Lebensverständnisses,
inhalte" erkennbar, indem sie "den Prozeß zeigt, d-iu-ch den in allen Kultursystemen Vernunft- T weil-sie in der Gestaltung eines Geschehnisses "dessen,Teile zur Bedeutsam-
werte zur An~rkennung gelangt sind". Ode:t Rickerts Prinzip der "Wertbeziehung", wonach die
Möglichkeit, das Bedeutsa~e in der unermeßlichen Mannigfaltigkeit der Individuation objektiv k ei t erhebt"; aber indem der Dichter das vollbringt,
zu bestimmen, auf der Voraussetzung allgemeingültiger'Werte wie Staat, Religion usw. ·- also
"stellt er durch sein Nacherleben den Bezug zum Leben wieder her, der im V~rlauf der intellek-
eben der von Dilthey zum Gegenstand der Analyse gemachten "abstrakten Wesenheiten"-
tuellen Entwicklung und des praktischen Interesses zurückgetreten ist" (VIi~ 240; VI, 319).
beruht, die den Halt darbieten sollen, an den angebunden die wesentlichen, jeweils in der Rück-
sicht ~uf den Wert wesentlich werdenden Züge eines Indi~duums zur Ei:Dheit, "zu teleologischer Das Verstehen in der Kunst ~urd~ von Dilthey als die ,,natürliche" Auf-
Einheit sich zusammenschließen".- Hier ist die rein theoretische Einstellling musterhaft aus-
gebildet und ist das, weil die logische Frage von vornherein auf die Wissenschaft bezogen ist, '
fassung des Lebens gekennzeichnet - alles, was darüber ausgeführt worden ist,
in Übertragung der Kautischen Frage nach· den Bedingungen der Möglichkeit aUgemeingültiger (S. 74) greift hier ein. Auch die Philosophie selber als die "Aktion", die das
Erkenntnis von den Wissenschaften der Natur auf die der Kultur. Leben ins Bewußtsein erhebt, wurde dahin bestimmt, da.ß sie "es in seinen
Bei Dilthey ergibt sich diese Fra~e erst in Verfolg des lebensphilosophischen Formen nachleben und die in ihm liegenden Konsequenzen ziehen muß": diese
Einsatzes. Es wird noch zu erörtern sein, ob und wie sich die - von ihm fest- Erklärung kehrt ihre negative Spitze wiederum gegen die "falsche Gegenständ-
gehaltene- "Richtung der Wissenschaftaut Allgemeingültigkeit" von diesem lichkeit", zu der die Metaphysik, als·"der empirische Inbegriffvon soundso viel
Einsatz aus erreichen läßt; jedoch auf diesen problematischen Punkt - das philosophischen Systemen" genommen, verfestigt wird, verfestigt zu einer
schon mehrfach berührte Problem der Herleitung der wissenschaftlichen Er- "toten Begriffswissenschaft" und damit zugleich verflüchtigt zu einem bloßen
......

156 Rückgang von den Obj~ktivationen auf das Sichobjektivierende Die Folge für den Begriff der Weltanschauung 157
I-
. Schatten der lebendigen Macht, Iri.it der sie als "unverwüstliche Wirklichkeit" und mit ihne~ zugleich auch die Kunst umfaßt; wie Dilthey für die Lebens-
durch die Geschichte schreitet. So ist die Aktion der Lebensphilosophie' auch II philosophie das Vermögen in Anspruch nahm, daß sie
den metaphysischen Systemen-- und ebenso den_ theologischen Dogmen -
"den großen Phänomenen der Dichtung, Religion gnd Metaphysik wirklich genugtue, ind(\JD. sie
gegenüber darauf gerichtet, die V erselbständigung zu Seinsgestalt~n von rein deren Einheit in ihrem letzte~ Kern begreüt".
theor~tischer OJ>jektivität aufzulösen: die philosophische Besinnung "nimmt sie Wird dieser einigende Kern in der "Weltanschauung" gesucht- und da
zurück in den Bezug zur Lebendigkeit des Selbst, in welcher sie begründet ist" . sucht ilm Dilthey, indem er die religiösen, dichterischen und philosophischen
(V, CXIII. LXV). Welta~schauungen zusammennimmt, um ihrer .~Wurzel fm Leben" nachzu-
Ein einheitlicher Zug geht solchermaßen von derselben Stelle aus, an der - . graben - , so muß: der Begriff der Weltanschauung in dieselbe Bewegung ge-
die Dichtung mit der werdenden Geisteswissenschaft zusammen als eine Steige- raten wie die Kategorien Wirklichkeit, Wert, Zweck, durchderen Verbindung
rung des "natürlichen" Lebensverständnisses auftrat. -'-.Aber wenn die philo- er zunächst bestimmt· war. Es ist· daher nur konsequent und liegt im Sinne
sophische Aktion mit ihrer hermeneutischen Richtung nur in diesem seihen von Diltheys geschichtlicher Denkweise, wenn dieser Begriff so ~rweitert Wird,
Zuge vorwärts geht und also nur die Tendenz, die in ihm enthalten ist, sich be- daß er hinter die' Schicht der Refle~on über die Welt in die des Lebensver-
wußt zum Prinzip des Forschens macht ("das Leben ·aus dem Leben selber ver- haltens und der Lebensgestaltung selber zurückieicht, als
stehen''), so ~rd nunmehr beim Durchbruch zur logischen Reflexion in der Be-
"eine über die einzelnen in sich abgegrenzten gnd di:fferenzierten Gebiete geistigen Schaffens
sinnung über dies~s Tun durch die kategoriale Analyse dieses methodische Prin-~ übergreüende und von ihnen unabhängige GruiJ.dtatsache geistigen Lebens"1).
zip selber an den Ort seines Ursprungs gestellt~ Das Lebensverständnis, das von Auf die Konsequenzen für die Stellung von Diltheys Lehre von den Typen der
seinen elementaren Formen an auf dem Verhältnis von Ausdruck und Be~ Weltanschauung ka:D.n hier nicht eingegangen werden. Es sei nur vermerkt, daß
deutung beruht, begreift sich selber phllosophisch, indem die Stelle, wo diese die überhistorische Stellung, in der man sie zunehmen pflegt- als ein ständig -
"dem Wirkungsvex:lauf inverse Operation" entspringt, durch die Kategorie der sich wiederholendes Gegeneinander bestimmter WeltanschauUilgen, d,a:s durch
Bedeutung fixiert wird. - die Einseitigkeit ihrer Prinzipien bedingt ist, so daß der WideJ:'streit nur die Aus-
-Bedeutung,· so verstande1:1, ist kein bloßer Subsumtionsbegriff, d_er die be- · drucksweit anginge und nicht "im Leben selbst gegründet" (Typen 28) wäre-,
sti111mtenKategorien: Bedeutsamkeit, ~ert, Zweck, Ideal nur unter einem an daß eine solche Stellung von Dilihey im voraus abgewehrt worden ist. Denn in
sich nichts besagend~n Na~en sammelte, son~em ein gehaltbestimmender, auf seiner Ausei~anderset~ung mit Schleiermacher..::_und auf diesen würde eine solche _
den einheitlichen Ursprung von dem allen hinweisender Ausdruck. · Intention zurückführen- wehrte er dessen plato~sierendes V erfahren ab als
"Die Bedeutung des Lebens", sagt Dilthey, "setzt Poesie, Religion, Philosophie in innere Bezie- · "Verwandlung des fortschreitenden Geschehens in ein Nebeneinander der zugleich wirksamen
hung" (VI, 320). Er erläutert: "In !liesem allen entstehen {Zusammenhänge), ·aus den Erfahrungen Mächte des menschlichen Daseins": statt des geschichtlichen Werdens der menschlichen Kultur
des Lebens selber gebildet, die über dieses hinausreichen. Und jedesmal ist im Leben selbst das "das Bild ruhender und zeitloser Formen'' (V, XV).-
Moment angelegt, das über es hinausführt" (VII, 266).
Uns geht jetzt der kategoriale Zusammenhang an, durch den eben dieses
Dieser Ausspruch antwortetaber auf die Frage nach ~er Einheit, die hinter den ·"fortschreitende Geschehe~" gefaßt werd~~ soll. Und damit kommen wir nun
miteinander kämpfenden (wenigstens. in der abendländischen Kultur bis zur - . .
1)H. Nohl,Die Weltanschauungen der Malerei, 1908, S. 6ff. Groethuysen, Die Entstehung
Todfeindschaft sich bekämpfenden) Mächten der Religion und Philosophie steh~ der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich, I, 1927, Vorwort.
158 Bedeutung als Grundkategorie des geschichtlichen Lebens Das Lebensband von 'Kraft' und· •Bedeutung' 159
auf das andere Moment dessen, was die Kategorie der Bedeutung leisten sollte·: sophische Einstellung sich durchsetzt, die, auf das Ganze gerichtet, beides
nach ihrem Vorrang vor Wert u~~:d Zweck ihre Stellung an dem ,,Determinations· im Blick hält; das Feste. bewegend, so tritt· doch dabei zunächst nichts weiter
punkt", der das· gr~nzenlose Lebensgeschehen in ein geschlossenes System über· heraus als die nackte Zusammenstellung des Gegensätzlichen in Formulierungen,
führt (oben S. 142). Das aber betrifft nichts anderes. als ihr Verhältnis zu dem l die nicht einmaldie Polarität zum Ausdruck bringen, sondern sich mit einer Und-
Wirkungsverlauf des Lebens~
j verbindung begnügen, wo gerade in dem ,Und' das Problem steckt.
,;überall, wo geistiges Lehen ist, kommt ihm Wirkungszusaminenhang, Kraft, Wert usw, zu...

I
IV. Alle Linien, die wir verfolgten, drängten auf diesen Punkt hin. Aber wie "Das Fortwirken des V ergangenen als Kraft in der Gegenwart, .
die Bedeutung derselben für sie,
~

teilt dem Erinnerten einen eigenen Charakter von Präsenz mit. ~ ~ . •• In der Biographie muß der
wir nun vor ihm stehen, wollen sie sich nicht harmonisch verbinden, sondern
. . J
dargestellte Mensch "iin Mittelpuiikt für einen Wirkungs· und Bedeutungszusammenhang..
verwirren uns erst noch einmal durch eine schrille Dissonanz. bleiben. "Der objektive Geist und die Kraft des Individuums bestimmen zusammen die geistige
"Unser Wissen vom E~irken macht den eigentiiche'n Lebenszusammenhang uni! zugänglich.•• Welt. Auf dem Verhältnis dieser beiden beruht die. Geschichte. ••
,,Erst unter der Kategorie der Bedeutung kann der LebensZusammenhang hergestellt werden... - Aber darf die Analyse an diesem entscheidenden Punkt bei der Feststellung·
."Das Erwirken konstituiert alles, was im Leben hervortritt:• "Bedeutungshezüge konstituieren
eines· "Verhältnisses" stehen bleiben? Die Sachlage ist dieselbe wie bei jener
das Erlebnis und durchdringen es:•- "Verhalten, Stellung ist d~s Tiefere, welches die Art des
Erwirkens durch das Leben setzt. •• "Das Verstehen ist an sich eine dem Wirkungsverlauf inverse Gru~danschauung von der Lebenswirklichkeit, wo die Gedankenmäßigkeit,
.Operation.. , "die Bedeutung verknüpft die Glieder der Wirknngszusammenhanges zu einer vom Bedeutsamkeit und die Unergründlichkeit gleichgewichtig auftraten, was dann
Erwirken unabhängigen Ordnung. ••
zurückführte auf eine "Beziehung" zwischen dem lrrational~n, Grenzenlosen in
St~llt man diese gegeneinander stehenden Aussprüche aus den. verschiedenen den unbewußten Tiefen der Seele und der bildenden Gewalt in ihr. Jetzt aber
Fragmenten zusammen, dann muß es scheinen, als schwanke die Entscheidung muß sich zeigen, wie weit hier eine Analyse vorzudringen vermag, die sich einer
hin und her zwischen den Extremen, die in der rationalen Systematik durch die rein logischen Beziehung der Begriffe mit Grundgegensätzen wie Kraft und Ge·
entgegengesetzten Begriffe besetzt sind: Kraft und Gedanke. Der elementare danke, Realität und Idealität entschlagen hat und den Zusammenhang der
Gegensatz der philosophischen Standp~nkte, der seit Platons Auseinander· Kategorien in dem Lebensbande sucht, wobei im voraus gewiß ist, daß Ideales
setzung mit Demokrit durch die- Geschichte geht,-wiederholt sich, scheint's, wie ohne Reales eine Chimäre ist, Reales ohne Ideales einem welken Blatte gleicht.
er einst aus der Metaphysik in die Grundlegung der N atuhvissenschaft überging Das Band aber kann mir wieder in. der Dynamik des Lebens liegen: d~ese um·
(Fibel'386), nunmehr auch in der Lebensphilosophie. Eine Entscheidung müßte greift das Gegensätzliche, nachdem sich herausgestellt hat, daß nicht bloß der
fallen: handelt es sich doch um einen Kampf, den "Gigantenkampf" um-die \J Wirkungsverlauf, sondern auch die Bedeutung einen dynamischen Charakter
usia. Aber eine solche Entscheidung wäre weltanschaulich bedingt, und der ! hat, so daß dies Wort im verbalen Sinne zu nehmen ist.
l
geschichtlich orientierte Denker, der überall die Grenze sieht, die Ein- '
;)
So stellt sich die Aufgabe, diesen dynamischen Zug, der bei der Unter·.
1
seitigkeit jedes Standpunktes, kann nicht mehr innerhalb einer bestimmten scheidung der Bedeutung von· der Bedeutsamkeit und bei ihrem Vorzug vor
Richtung modulierend weitermachen. So das Hin und Her: der realistische
Lebensinterpret und Historiker gesellt sich unter die "Erdstämmigen", der·
philosophierende Dichter winkt den "ldeenfreunden" zu. Und wenn . nun
über solches naives Mitgehen mit dem jeweils Gegenwärtigen hinaus die philo·
I
i.--
1
. Wert und Zweck leitend war, nun positiv zu erfassen, und wir suchen nach den
Beschreibungen, in denen Dilthey ihn herausarbeitet.
Es handelt sich um die exakie Beschr~ibung dessen, was er als "immanente
Teleologie" bezeichnete___.:_ so bezeichnete mit einer "begrifflichen Abbreviatur"
160 Bedeutung als Grundkategorie des geschichtlichen Lebens . Der Begriff der •zentrierUJig zu einem Mittelpunkt' . 161

die di~ Sache ,;nicht voll ausdrückt" (V, 213, LXXXVII). Der "Wirkungs- Die "Art des Erwirkens durch das Leben'' war, wenn dasselbe durch das·
zusa:JD.menhang der ~eistigen Welt hat einen teleologischen Charakter" :das sollte Wert- und Zwecksetzen bestimmt wurde, nur von dem aus fixiert, was hervor-·
besagen, daß er ;,Werte erzeugt und Zwecke realisiert" (VII, 153), Dadurch, tritt, vom Ergebnis her also. An diesem aber treten die KategorieJ;l, um deren
durch ein determinierendes Attribut also, wurde dieser Begriff in U ntersche~dung ~Vermittlung es sich handelt, gerade in unmittelbarer Verbindung auf. .
vom ,;Kausalzusammenhang der Natur" rein diskursiv bestimmt. Aber er sollte . "Der Wirkungszusammenhimg wird in·erster Linie"- das ist auf das hin, was "im Vordergrund
des Bewußtseins steht", gesagt- "als Realisierung von Zwecken erlebt". Er "tritt nicht für sich
doch eine spezifisch geschichtliche L~benskategorie e;ein, die als hermeneutischer
als ein System von Wirkungen auf, sondern in jedem Wirken von der. Gegenwart aus ist das Be- ·
Au.Wruck dafür diente~ daß "das geschichtliche Leben schafft. Es ist bestän• wußtsein vom Sich-Entgegenstrecken-zu Zwecken" (VII, 248).
dig tätig-in der Erzeugung von Gütern und Werten". Nachdem nun Wert · So erscheint ein und dasselbe Phänomen, das durch die Zeitlichkeit des Lebens
und Zweck als abhängig. von der Bedeutung erkannt sind, kann jene Deter- bedingte "unablässige in die Zukunft Drängen", als Ursprung so:wohl der Kate~
mini~rung, die der wissenstheoretischen Zusamn:tenstellung "Wirklichkeit, gorie des Zweckes wie der der Kraft und wird bei der gesonderten Herleitung
Wert, Zweck" ·und deren Funciierungsordnung entspricht, nicht ~ehr genügen: beider Kategorien in gleichsinniger Weise beschrieben(VII, 201, 194, 202). Ja, ·
die Bestimmung ist keine unmittelbar anschließende, Ziel zu Kraft, Festes an im Hinblick darauf, daß "auch die Begierden"- also jenes Irrationale, Grenzen·
Festes fügend, sondern durch die Bedeutung vermittelt. lose in der Mitte der seelischen Struktur- Ziele "in sich schließen", wurde von
. Aber wie vermittelt? Bisher blieb· die Analyse bei dem Gegensatz von Er- den Zwecken selber erklärt (oben S. ~30), daß sie .
. wirken (Tun und Leiden, Kraft) und Bedeutung (Wert, Zweck, Sinn) stehen, ,;einen Wirkungszusa~enhang bilden". "Die Geschichte, rein als Kraftmannigfaltigkeit ge-
die eine Kat_egorie (bzw. Kategoriengruppe) "trat" zu der an dem "hinzu", sei es
dies.e zu, jener, wie beim Ausgang vom Erleben, sei es jene zu dieser, vom V er-
stehen aus gesehen. Es hat sich doch schon gezeigt; daß dies nicht bloß zwei ver-
I nommen, ist eine von Zwecken erfüllte Welt." (VII; 256.)
In der Tat kommt dem Z~eckbegri~ eine Zwischenstellung zu, da er nicht bloß
-wie Wert, Bedeutsamkeit, Sinn- eine Kategorie des'menschlich.geschicht-
schiedene A~pekte oder auch Regionen sind, sondern d~ß hier eine r~ale Be- lichen Lebens ist, sondern auch· zur Interpretation der organischen Ganzheit ·
wegung ZU fassen ist, wie ja auch Erleben und Verstehen sich wechselweise er-. dienen kann, wie Ka:nt da:s. festgehalten hat. Aber diese unmittelbare V erbin-
gänzen. Der Bezug zuni. Lebe~, der den beständig gegenwärtigen Untergrund ~ung löst sich nun auf, indem jenes Grundverhältnis zwischen dem Irrationalen
des Verhaltens bildet, "tritt", so hieß es, "im Verlauf der intellektuellen Ent- und der bildenden Gewalt zur Geltung kommt. Von Zweck und Lebensplan auf
wicklung und des praktischen Interesses zurück", aber durch das ,,Nacherleben" das fundierende ."Wertbewußtsein".zurückgehend, fährt Dilthey fort:
-~so durch das Verstehen auf Grund von Bedeutuug- wird er "wieder herge· "So kommt dieser kategorialen Auffassung die an. der VergangeDheit gebildete der Bedeutung
entgegen. In ihr liegt die Beziehung eines äußeren einzelnen Ereignisses auf ein Inneres, und zwar
stellt". Aus dieser Schicht -in den "Konfinien zwischen [diskursivem] Wissen
liegt dies Innere im Zusammenhang der Ereignisse untereinander, der nicht von dem letzten·
und Tat" - kommen die schöpferischen Ausdrücke, die das Leben in seiner Glied .aus gebildet ist, sondern zentriert zu einem Mittelpunkt, zu dem illes Äußere als zu
Tiefe aufschließen. _So war der Vollzug jener Bewegung an den Rückgang hinter einem lnne.rn sich verhält. Jenes ist die unendliche Linie vo~ Wirkungen, die eiri_en Sinn
die gegenständliche Sphäre gebunden. enthält. Erst dieses •.• "

Das, was im Leben ,,hervortritt", enthält "nur Erwirktes für den Auffassenden ..• Aber V erhalten, Erst dieses bringt Einheit in unser Leben. Mit dem Begriff der Zentrierung
St!lliung ist das Tiefere, welches die Art des Erwirkens d~ch das Leben setzt" (VII, 230, 269). zu einem Mittelpunkt ist die in11ere Form der im "Fluß des Lebens", im ·
Hier setzt die weiterführende Zergliederung ein. "Fortrücken" sich vollziehenden geistigen Einheitsbildung bestimmt, also da~

Misch, :Lebensphilosophie. 2. Auf!. 11


162 Bedeutung als Gru:",dkategorie des geschichtlichen Lebens Explikation und Schaffen 163

dynamisch· bestimmt, was zunächst bei der Feststellung des Begriffs :,Erlebnis" Rückwendigkeit des Wissens zogen. Heidegger möchte das .Gewahren dis- .
als eine ;,ideale Einheit von Lebensteilen, die eine Bedeutung für den Lebens- kreditieren: es sei ein "Angaffen". Ab~r in:
ihm ist gerade der Zug des Bildens.
verlauf hat", bezeichnet wurde. Es dürfte offenbar sein: hier ist dasselbe gesehen, Wie die "Weltanschauung"· (das Wort in dem angegebenen elementaren
was wir bei der Erörterung der ,Idee' im Sinne des Ursprungs· gegenüber dem Sinn) zugleich Weltformung ist.
Urbilde als grundlegendes logisches Verhältnis herausstellten (S. 87). Die Ein-
"Inhalt nicht von der Forni z~ trennen, in welcher die barmoDische StruktUJ; ihren HÖhepunkt
heitsbildun,g ist nicht aus dem ,Zweckbegriff des Geistes' (Trendelenburg) be- erreicht. Die Lebensbegriffe ••• enthalten alle eine Formung der Lebensinhalte." "Es ist überall
greifbar_; iD der Geschichte schon Formung .••'' (VII, 269, 290).
"die Kategorien, die das Leben unter dem Gesichtspunkt in die Zukunft auffassen, fallen aus- .Was Spinoza von der contemplatio Dei sagt, gilt allgemein: cum·contemplamur,
einander in die Möglichkeiten, iD, die Zukunft vorzudringen" (236, 330),
I· interius agimus .
ihre ,zweckrationale' Auswahl und Ordnung in einem Lebensplan aber ist etwas .I
Und so ist denn auch hier, bei der Bestimmung der Tätigkeit, def Ort zu finden,
Ahkünftiges .gegenüber dem primären, durch Bedeutungsbezüge hergestellten .wo die Analyse am tiefsten dringt. Noch dichter fügt sich das Lebensband
·Zusammenhang.- Andererseits ~her läßt sich die "aufwärts liegende immanente zwischen Kraft und Bedeutung. Die .~Art des Erwirktms''; die im Lehens-
Zweckmäßigkeit" auch nicht auflösen in ein organisches Bilden aus triebhafter verhalten gründet und in der bed~tungsmäßigen "Zentrierung'~ ausläuft, soll
Mitte, wie Goethe es ansah, wenn· er. den Vorgang, wie der Mensch sich natür- in der Bewegung selbst ergriffen werden. Nun ist der ,~Verlauf" als solcher, "der
lichermaßen seine Welt bildet, so beschrieb: Fluß des Lebens selbst, wie das Ufer hineinscheint" -Leben im Unterschied
"Die gütige Vorsehung hat jedem einen gewissen Trieb gegeben, so oder anders zu handeln, der zum Erlebten,.--- unfaßlich. Gerade hier, wo Heidegger die Konstitut~ons-Ana­
dann auCh jedem durch die Welt hilft•..• Also wie der Mensch ißt und trinkt und verdaut, ohne lyse bis zum Äußersten vortreibt, indem er die "Zeitigung" der Zeitlichkeit zu
zu denken, daß er einen Magen hat, also sieht er, v;ernimmt er; handelt und verbindet seine Er-
ergründen sucht, statuiert Dilthey das Unergründliche, .das ·im Blick· bleiben
fahrungen, ohne sich dessen eigentlich bewußt zu sein." (Fibel, 2, 8.)
muß, wenn die Kategorien, die "am Lebe'u. aufgehen", i~ ihrem eigenen Zu-
Solche Anschauung vom Walten des Unbewußten geht an dem geistigen Ge- sammenhang erfaßt werden sollen. ;,Was der Jüngiing von Sais entschleiert, ist
wehe der "Naturfor.men" des menschlichen Daseii1s vorbei, wie sie denn auch- Gestalt und nicht Leben" (VII, 195). Aber wieder führt der indirekteWeg über
die indische Philosophie zeigt das (Fibel, 122) - mit der Auflösung des Lehens- den Ausdruck in die Bewegung hinein, die von dem an sich Unfaßlichen aus-
geschehens überhaupt in ein bloßes Passieren verträglich ist. Dilthey geht, um · geht, und wiederum vermag der m u s i k a Ii s c h e Ausdruck, der bereits für die
faßlich zu machen, wie "das Lehen von jedem Individuum aus sich seine eigene Einheitsform des Erlebnisses, für die Durchdringung von Explikation und Im-
Welt bildet", auf den "inneren Ruhestand" zurück, in dem - gegenüber "der :~
!
plikation, das Musterbeispiel gab, auch hier Aufschluß zu geben, und zwar ver-
Bestimmtheit der einzelnen vorwärts drängenden Richtung" des Denkensund mag die Musik das· eben insofern, als ihre Auslegung des Lebens sich diesseits
Handeins ~die Lebenshezüge."hemerkt und gefühlt werden" (Typen, 7) - auf • (oder jenseits) der "Einschränkung durch die Bestimmtheit" des sprachlichen:
die Besinnung, Er-innerung also. Und wenn dieser "Ruhestand", in dem das Ausdrucks oder Bildes bewegt, von der Bindung an "ein durch das Wort ge-
Verstehen Freiheit hat, sich auszudehnen, als ein - mit der "inneren Regsam- ge:!lständlich Festgelegtes" frei ist (224, 342) •.
keit" verbundenes - Zuschauen "gekennzeichnet wird, so treffen wir hier "Ich muß einen Ausdruck aufsuchen, der in der Zeit verlaufen kam~, der nicht von außen gestört
wieder auf die Scheidelinie gegenüber Heidegger, die wir bei der Betonung der wird. Ein solcher ist die Instrumentalmusik. Wie sie auch entstanden sei, es gibt einen Verlauf,

11*
164 Bedeutung als Grundkategorie de~ geschichtlichen Lebens

in welchem der Schöpfer ihren Zusammenhang in der Zeit überblickt von ein~m Gebilde zum
andern. :Oa ist eine Richtung, ein sich hinstreckendes Tun zu einer Realisation, ein Fortrücken
. Bedeutung als produktive Mitte zwischen Geschichte und System
'*" .
in. sich. selbst zurückzliwenden vermag, in der dem Menschen gegebenen Macht
165

psychischer Tätigkeit selbst, ein Bedingtsein durch Vergangenheit und doch Insichenthalten ver- · der Besinnung. Nur so kann Dilthey. sagen (mit Bezug auf das musikalische
. schiedener Möglichkeiten, Efplikation, die zugleich Schaffen ist" (VII, 231). Kunstwerk), daß "die Erinnerung das Bedeutung Wirkende ist", und ~as dahin
Explikation und Schaffen zugleich: hier fällt diese treffende Formel~ die wir von erläutern, daß das Nachklingen des V ergangenen, das Träumen von ihm. die
vornherein aufgenommen haben (li, 1, S. 70), um damit allgemein das "Hervor- "luftig.e Materie". sind, aus der die Gestalten der Musik "hervorgehen". Nur so,
bringen" ~u kennzeichnen, auf das der lebensphilosophische Ursprungsbegriff in Beziehung auf die durch die "innere Position", Verhalten und B.esinnlichkeit
ausgeht.·Die Formel durfte so allgemein verwendet werden: .denn das, was hier ineins, bestimmte "Ar.t des Erwirkens durch das Leben", zeigen die. tief-
beschrieben wird~ ist im Grunde dasselbe Phänomen wie bei der Kategorie der sinnigen Ausführungen Diltheys. über das musikaiische· V erstehen (220 ff.) die
Kraft, deren Herleitung wiederum mit der des Zwecks zusammentraf (202). systematische Tragweite, die ihnen zukommt, weil sie den logischen (in der
Nur daß die v.orwärtsdrängelide Richtung, die dort in ihrer vereinzelnden B~­ Logik von Lotze ·auch bereits angedeuteten) Belang einer musikalischen Be-
stimmtheit erschien, hier nicht, wie bei der \V ahrnehmung und Handlung "wie
I
I deutungslehre sichtbar machen1 ) und dabei dieser die Stellung eines Zwischen-
ein~.zusammengefaßte Spitze" hervortritt, sondern nach innen zurückgebogen gliedes zwischen den rein theoretischen· und. den biographisch-historischen
erscheint, indemsie aufgefangen wird von dem Bedeutungszusammenhang der Teilen der Musikwissenschaft. geben. Allgemein gefaßt: die Bedeutung· ver-
geistigen Hervorbringung~ der "nicht von einem' letzten Glied gebildet ist, mittelt zwischen. Geschichte und System; zwischen Leben und Gestalt.
sondern zentriert zu einem Mittelpunkt". Und so ist· auch das "Fortrücken" Wir trafen schon auf diese wesentliche Einsicht, als. wir das dynamische·
hier nicht bloß wie bei der Gegenwart, an der die Kategorien von Wirklichkeit Grundverhältnis erörterten (S. 75):
und Wert aufgehen, ein solches "in der Zeit", sondern ein "Fortrücken psy- Der Lebensverlauf mit sei~en Schicksalen, mit Leid und Seligkeit, was in der Seele zugrunde liegt,
chischer Tätigkeit selbst" wi~d faßbar~ ,unmerklich· im Dwikel der Seele bewegt es sich", und anderseits die Sphäre der Töne, in der der
Schaffende lebt und in der dies alles, "vergessen", darin ist: "da ist keine doppelte Welt, keine
Dieser Begriff des Fortrückens · e;ntspricht dann dem des "Fortgezogen-
Zwiefachheit von Erlebnis und Musik". Dem ist aber so, weil gerade an d,em _"Herüber und Hin-
werdens", der den Rückgriff der Logik auf ein "abstraktes Wissenwollen" er- über der Sitz alles Schöpferischen ist und zugleich das nie ganz zu entschleiernde Geheimnis,
setzen soll: Fortgezogenwerden von dem eigenen inneren Nexus der Bedeutungs- wie Tonfolg!')n, Rhythmen etwas bedeuten, was nicht sie selbst sind".

bezüge des Erlebten (V, Lxxxu). Beides, Fortrücken u~d Fortgezogen werden~ Aber auch für den Begriff des Wirkungszusammenhanges klärt sich von
gehört dem Wirkungsverlauf des Lebensgesch~hens an, aber beides empfängt hier aus die Definition desselben· auf, von der Dilthey im "Aufbau" ausgeht:
Richtung und Maß nicht aus diesem für sich in sozusagen ,organischer' (aber in "ein Zusammenhang, der in dessen dauernden Produkten enthal~en ist".
Wahrheit den Entwicklungsverlauf auch der Organismen gar nicht treffender) Dilthey hat diesen Begriff in dem noch von ihm selbst veröffentlichten Teil des "Aufbau" gerade•
Artikulation der in ihm liegenden Möglichkeiten, sondern durch die unauflös- zu als di.e Grundkategorie hingestellt: "Die geistige Welt als Wirkungszusammenhang" ist der
Titel eines Kapitels in dem Buche (152); das Wort "Bedeutung" ist dort fast durchweg im Sinne
licheUmwandlungdesselben zu einer Lokalisation mit eigener Mitte, in der sich
von "Bedeutsamkeit'l gebraucht wid dementsprechend neben Wert und Zweck gestellt, ja zu-
die Lebenskette schließt, sei es i~ Werk,· sei es in der festen Gestalt des Selbst
oder auch. nur in der kleinsten, "Erlebnis" genannten Einheit. Diese Umwand- 1 ) Hier hat Nohl.stark eingesetzt: Typische .Kunststile in Dichtung und Musik (1915), aber

diese Richtung seiner•.Produktion leider inzwischen nicht mehr verfolgt. Eine neue Möglichkeit,
lung aber ist, indem sie als "Bedeutung" gekennzeichnet wird und als solche an
hier Fuß zu fassen, zeigte Pleßner, Die Einheit d.er Sinne. Grundlinien einer Ästhesiologie des
die Erinnerung gebunden ist, darin gegründet, daß das menschliche Leben sich Geistes, 1923. . .
166 Bedeutung als Grundk~tegorie des geschichtlichen .Lebens
. '
~
' .
umgekehrt in den nachgelassenen Aufzeichnungen zur Kategorienlehre die Bedeutung derart im
'

weilen an diese nur angehängt (Wie in einer Korrektur, die auf ein Ungenüge hinweist). Während ·
Wirkungszusammenhang als Verivandlung des Zuftilligen

.Wird der Satz von der Konstitution der. Erlebnisse durch Bedeutttngshez~ge
167

Vordergrund steht, daß der Herausgeber sie als dem Grundbegriff aller Hermeneutik kennzeichnen isoliert geno~men, ohne Rücksicht auf die Stellung der "Bedeutung" im Zu-
konnte '(VII; vn. 362). Diese Unstimmigkeit, die jeden verWirren muß, läßt sich nicht wegdeuten
oder durch Hypothesen ·über die zeitliche Folge der Niederschriften erklären, zumai auch in
sammenhang der Kategorien des Lebens, so ergibt sich eine Übersteigerung der
diesen "Bedeutung" und "Bedeutsamkeit" trotz der ausdrücklichen Scheidung (238) keineswegs idealen Grundlagen unserer geistigen· Existenz, die die "geschichtliche Welt·
durchweg auseinandergehalten werden und es auch weiterhin Wie im "Aufbau" .heißt: "Alle ansieht" in ihrem Kern auflöst. Dilthey selbst. weist darauf hin, wenn er den
Geschichte hat Wirküngszusammenhang zu erfassen" (246). Aber sie läßt sich doch- in Anbe-
tracht von Diltheys Sorglosigkeit im Punkte_ der Terminologie ~ sachlich auflösen. Ausdruck "K~lturwissenschaften", derbis vor wenigen Jahren noch gegenüber
Der in der kategorialen Analyse als "Bedeut~ng" herausgearbeitete Grund- der unverhmdlicheren Bezeichnung "Geistes~ssenschaften" (moral sciences)
zug des Lehens tritt im "Aufbau" ohne solche Zergliederung und namentliche sich durchzusetzen schien, abwehrt mit der Begründung, daß darin
Abgrenzung. als determinieren~es Merkmal des Begriffes "Wirkungszusammen· "eine unbeweisbare, ja einseitige Bestimmung über einen Sin11 und ei11 Ziel der Geschichte" ent-
hang" selber auf. So gibt Dilthey dort das methodische "Prinzip" an: halte11 sei. "Dies ist eine allzu freundliche und wohlwollende Auffassung des meliSchliehen W ese:O:s,
i11 welchem die dunklen Instinkte gegenseitiger UnterdrückuDg und Zerstörung eine sehr er-
das "Verständirls der geschichtlichen Welt als eines Wirkungszusammenhanges, der in sich selbst
hebliche Rolle spielen" (VII, 323).
zentriert ist, indem jeder in ihm enthaltene Wirkungszusammenhang durch die Setzung von
Werten und die Realisierung von Zwecken einen Mittelpunkt in sich selber hat, alle aber strukturell Aber man kann heute noch mehr sagen, nämlich in Hinblick auf den Betrie~
zu einem Ganzen verbunden sind.•.• " (138).
der geisteswissenschaftlichen Forschung sel!>st. Nachdem durch das Vordringen
Di~ Ühereinstim1Pung bestätigt sich nur, wenn 'man dies Verfahren am Werke von Husserls Phänomenologie das Sichbewegen in der neuentdeckten Wesens·
beobachtet, in den Beispiel gehenden Analysen der geschichtlichen Einheits-
sphäre nicht bloß für die "reine" Philosophie, .sondern. auch für die Geistes·
bildung einer Nation oder eines Zeitalters oder eh1er geistigen Bewegung wie
wissenschaften geläufig geworden ist, gilt es - und zwar gerade bei den vor-
Reformation oder Revolution. Denn da kommt, in d~r Betätigung des Prinzips,
wärtsgehenden Forschern auf diesem Gebiet- als methodischer. Grundsaiz, die
nun auch jenes dynamische Grundverhältnis zwischen dem grenzenlosen Wir-
kungsverlauf und der Zentrierung aus Bedeutung, das zu ihrer kategorialen " Einflüsse"
' ' mit. denen der sog. Historismus über Gebühr arbeitete, überhaupt
zu verachten, da ein Mensch, eine Generation, ein Volk doch nur einen Einfluß
Sonderung nötigt,. z11r Geltung. Wie· der "Wirkungszusammenhang. der großen
,empfangen könne, der seinem eigensten geistigen Trachten gemäß ist. "Dem·
Welthegehenheiten" sich aufklärt als die ...Bildung einer Totalkraft", in welcher
gegenÜber muß mit aller Energie die Beziehung· der Bedeutung zu dem Wir·
Spannungen, nicht erfüllte Bedürfnisse, Sehnsüchte aller Art zusammenwirken
kungsverlauf betont werden; wie die Vereinigung gerade des }Jeterogenen, das
mit den vorwärtsdrängenden, schöpferischen En~rgien, die "Ideale in sich
Hineinbilden fremder Mächte in die eigene Innerlichkeit eine entscheidende
·schließen und deren Form der Enthusiasmus ist", aber der "im Lehen begrün-
Rolle in der geschichtlichen Gestaltung spielt und auch das zufällige Zusammen-
dete Sinn der Geschichte" sich nicht etwa bloß in der Richtung auf Kultur-
treffe~ zu einer produktiven Begegnung werden kann.
güter äußert, sondern auch in dem Willen zur Macht (165, 170). Oder wie die
Einheit, ·die zwischen den verschiedenen Wirkungszusammenhängen in einem
Die Aufstellung jenes methodischen Prinzips ist nun aber keine bloß methodo·
.
Zeit!"lter hergestellt wird, sich dynamisch bestimmt:
logische Angelegenheit, sondern eine Sache der Logik des Lehens. Es soll n_!cbts
"nicht eine Ei;meit, die durch einen GrundgedaUken ausdrückbar wäre, sondern vielmehr ein Zu-
weniger leisten als .den Widerstreit auflösen zwischen der Lehensverhunden·
sammenhang zWischen den Tendenzen des Lebens selbst, der im: Verlauf sich ausbildet" (VII, 185).
heit des Wissens, zu der die praktische Auskehr gehört, und der theo~etischen
r
------ ---- ----------- - - - - - - - - - · ·

.
.
.
. .

·. ·r

168 Bedeutung als Grundkategorie des geschichtlichen Lebens Die Grundeinsicht in die Geschichtlichkeit 169

"Richtung auf Allgemeingültigkeit". Einen Widerstreit, der zunächst in den Ganzen Bestimmtheit der Bedeutung (~,Bedeutsamkeit") in einer Wertordnung
Geisteswissenschaften angelegt ist - durch das "unmittelbare Verhältnis", gewinnen, das immanente, nie starre, sondern zu weiterführendem Schaffen
in welch:em sie und die jeweiligen Tendenzen des Lebens zueinander stehen ·freie G-efüge sich in der lndivid~atimi aus der grenzenlosen Reihe ·der Wir~
(137)-, der aber auch die Lebensphilosophie selber betrifft, sofern sie solche Un- kungen zu wirkungsmächtiger Einheit zusammenzieht.
mittelbarkeit wiederherstellen, das Leben ~om Erkennen durch Begriffe frei-. Steigerung, Emporentwicklung, Fort!!chritt: Die;e nicht bloß rationalen, sondern auch ethisch·
machen und doch, als Philosophie, das "Streben· nach allgemeingültiger Er- idealistisch gegründeten Momente, die.in den Theorien vom Stufengang der Geschichte und der
. repräsentativen Rolle der ·Lebensalter und Zeitalter für diese Stufe~ in intellektue~ler V er-
kenntnis" nicht aufgeben will. V()n hier aus gesehen ist die Kategorie der Bedeu· dünnung vol1\'eggeno:m:men werden, sind in der dämonischen Dynaunk des Lebens ~cht auf-
tung, die die in jenem Prinzip aufgestellte Zentrierung des Leben~ als eigene Ver- gezehrt, sondern behalten Freiheit, sich sachlich, Punkt für Punkt, festzustellen. Denn_ Jene Auf-
laufsform desselben und Form seiner objektiven Auffassung zugleich bestimmt, . lösung des geläufigen EntWiclclungsgedankens, der von ihm nichts zurückläßt als emen "von
innen bestimmten Zusammenhang im Lebensverlauf, der den rastlosen Fortgang zu Verände-
nur die analytische Formel für die in dem geschichtssystematischen Verfahren. rungen b~stimmt" (24S), betrifft den Menschen nur als für sich genommen~s Einzelwesen ~ter
des "Verstehens des Lebens aus ihm selbs.t" und des "Schaffens in der Liniedes Abstraktion von seinem geschichtlichen Charakter, der sich aber a~ch da.un Grunde gar rocht
uingehen liißt. Denn daß der Zusammenhang als ein "von innen hestimmter" und· des näheren
.Geschehens" sich bahnende .Kurve. Die Frage nach ihrem Vermögen, das Be- als ein ,,~rworbener", ja ein "zunehmender erworbener Zusammenhang" (253) bezeichnet wird,
änspruchte zu leisten, den Widerstreit wirklich zu lösen, führt auf das Problem . weist auf das Fichtesche "Schema seelischer Dynamik" hin: "Tätigkeiten, die im Geiste auf-
zurück, das sich imlller wieder stell~e, sobald die Herleitung .der Erkenntnis aus . treten, stehen in Beziehung zu früheren und im Gegensatz zu gleichzeitigen, und so entsteht e~n
Fortschreiten ..•. " (280). Ein Versuch, dieses "Schema" zu· erfüllen, führt aber sofort auf die
dem Lebe:q in Betracht kam: welcher Weg von der dem Leben immanenten Verbindung der anthropologischen. Form mit der geschichtlichen lnhaltlichkeit des ~eistes.
Bedeutung und der ihr nächststehendeil musikalischen zu der Bedeutung im ··Eben dies ist Diltheys Argument gegen Rousseau wie gegen Nietzsche. Rousseaus Stellung
"mußte in leere Leidenschaft zerfließen oder in praktischer Verneinung der Gesellschaft zer•
rein logischen, . die wissenschaftliche Theorie betreffenden Sinn des Wortes störend wirk~n, wenn· sie nicht die Inhaltlichkeit der geschichtlichen Manifestationen des ganzen
führt;· Aber gewonnen ist die Grundeinsicht: daß auf die Frage nach Zu· Menschen in sich aufnalun". Und gegen Nietzsche: Durch die LQslösung der Bestiminung des
Menschen von der Entwicklung der. Kultur ist das Individuum "inhaltlich entleert, formal ver·
sammenhang und Sinn des ~ebensgeschehens ·nicht, wenigstens nicht p.rimär,
liert es das Verhältnis zu einem Fortschr.citenden und Festen". Wenn Sinn und Bedeutung
zu· antwor~en ist mit dem Suchen nach einem Stufenbau in den geschichtlichen erst im Menschen und seiner Geschichte entstehen", so ist die notwendige Ergänzung: "Aber
Produkten - sei es als überhistorische Rangordnung der Werte oder in der. ;riebt im Einzelmenschen, sondern im geschichtlichen Milnschen. Denn der Mensch ist ein ge- ·
schichtliebes Wes~n" (291). DementsJ;>rechend führt Dilthey bei der Frage nach dem, "was
Weise des Fortschrittgedankens auf ein die Bewegung beendendes Ziel hin-, ~inen Teil der Geschichte 'mit dem andern verbindet", neben "Endlichkeit, Schmerz, Kraft"
aber auch nicht auf dem immer au<;h noch transhistorischen Wege der - auf: "Gegensatz, Ansammlung" (290). Wie z. B. jeder, der in die Philosophie eintritt, bediugt
ist von dem was vor ihm war und was neben ihm gedacht wird. Doch bleibt hier ein ungelöster
wesentlich kontemplativen- Ausbreitung "von der Jtelativität zur Totalität"
Rest zurück, der sich in. Diltheys Ringen mit dem Entwicklungsgedanken bekundet (Band VII
(Troeltschs Formel für Dilthey), wo die Geschichte nur das Mittel wäre, um das und VIII. V, cvn).
im Grunde in sich ruhende Leben in seiner Mehrseitigkeit zu erkennen, s~ndern Ebenso wird die unleugbare Wiederkehr ·typischer Bewußtseinsstellungen und Abläufe der
Entwicklung, die einer rationalen Systematik da~t Glück der gedanklichen Überschaubarkeit der
mit der Feststellung der Geschichtlichkeit als solcher: in der Aufklärung des
Geschichte bringen würde, hier vielmehr zu einem Herd der Unruhe. Sie in den anthropologischen
.die geschichtliche Wirklichkeit selbst betreffenden, weil ständig und immer neu Grund der Geschichte zu verlegen, wie Nietzsche die "eingeborene Systematik undYerwandt-
. sie in Bewegung haltenden dynamischen Grundverhältnisses, von de~ aus be- schaft. der philosophischen Begriffe" ·au~ dem "Bann physiologischer Werturteile und Rasse·
bedingung~n" erklärte (Jenseits von Gut und Böse, 20), ist ebenso ausgeschlossen wie in Schl~ier·
stimtnte Entwicklungsabläufe in Gang kommen, irrationale Faktizitätim und machers platonisierender Weise auf ein Idealsystem dieser Begriffe zurückzugreifen, das emer
geistige Mächte vers~hiedener Herkunft durch Bindung. an ihren Ort in einem logischen Systematik im Universum entspräche: "in· dieser Ge~chichte ist der Begriff der
170 Bedeutung als Grundkategorie des geschichtlichen Lebens Die Grundeinsicht in die Geschichtlichkeit 171

Entwicklung beinahe geschwunden". Demgegenüber das "Erarbeiten" von Entwicklung; der Jedoch, wie dies sich ergibt, das führt wieder auf das Verhältnis der Erkennt-
Streit der Systeme als die Form, in der sich die Entwicklung vollzieht; "ein Ringen von Gegnern,
nis zum Leben zurück. Jetzt ist nur noch abschließend jener einheitliche Zug
die nicht sterblich sind und mit der Person nichtuntergehn, sondern von Person zu Perso'n sich
fortsetzen". "Leben ist Mehrseitigkeit, Übergang in realen Gegensätzen, Streit der Kräfte."- herauszustellen, der sich uns bereits ergehen hat.
Auch hier bleibt ein ungelöster Rest. Aber bei aller Problematik, die in Dilthey nicht ausruhen Der "ganze Charakter" des Lebens, hieß es, sein Ablaufund sein Gehalt, ist
läßt, steht doch die pdsitive Richtung im grdßen fest. .
durch die Zeit bestimmt; und das bedeutete: "Das Verhältnis . der Korrup-
Einheitsbildung, das Wort-in dem doppelten Verstande des realen Bezugs tihilität in ihm, und daß es doch zugleich einen Zusammenhang hlldet und
und idealen Erfassens; wie das Grenzenlose umgrenzt wn:d, das Offene sich d~rin eine Einh~it hat (das Selbst)" (229). Dieser gegensätzliche Einsatz der
schließt: - es ist schließlich hier nicht anders als immer im ursprünglichen Kategorienlehre sucht aber nur an der W~zel_ das auf, was im entwickelten
Philosophieren, daß die Konzeption der Einheit die eine einzige Mitte ist. Und
I Lehen als ein offenbares Geheimnis waltet. Denn immer neu stellt sich das eine
das ist bei Dilthey so, obwohl hier das Gedankenganze kein Kosmos ist, sondern Grundproblem: in der Anthrovologie die Einheit des Lebensverlaufs als des
I
(darin Leibniz vergleichbar) eine Dynamik sich gegenseitig in der Schwebe "vollständigen und in sich .abgeschlossenen, klar abgegrenzten Geschehens, das
haltender Tendenzen. Das Sichgestalten aus dem Grenzenlosen soll als die
I. in jedem Teil der Geschichte wie in jedem geisteswissenschaftlicheil Begriff
große Leistung des Lebens faßlich gemacht werden- "der Weg vom Faktischen enthalten ist" (71); in der deskriptiven Psychologie die Abgrenzung von Er-
zum Ideellen"-~ und dah~i doch das Apeiron nicht in die Nacht des Negati~en lehniseinheiten im "Fluß des Lehensverlaufs"; in der Biographie die Konzen-
verstoßen werden - als negativer Gegenbegriff zu "Kosmos" oder als "hyle- . tration auf ein Individuum als Selbstwert, und zugleich der universale histo-
tisches" Element, als ein Unerschöpfliches von der Art eines Urgrundes, der in rische Horizont, unter dem dieser
sich ruhen muß, ,;damit das Werden nicht aufhöre" (Fibel, 54, 280) - , sondern "einzige Selbstwert, den wir zweifellos feststellen können", sich als ,,ein F~ d~s Allg~mein· ·
das Grenzenlose selbst soll in seinem positiven lehensmächtigen Charakter fest- menschlichen" darstellt, "ein Fall gleichsam unter den grenzenlosen Möglichke1ten, die der
historische Verlauf hervorbringt"1 ) - "immer muß das Bewußtsein der Grenzenlosigkeit vor-
gehalten werden. Gegenüber ~der Begrenzung, aus der das (menschliche) Glück handen sein die nach allen Seiten sich breitet, und dennoch muß der Beziehungspunkt in diesem
der Gestaltung und zeitlicher. Sicherung. des Daseins, aber auch die (den Individuum' festgehalten werden" (21Z, 250, 25.4, 258).
Menschen überholende) Tragik der Endlichkeit entspringt, ist in dem Grenzen- Dann in der Universalgeschichte, wo wir ·den "Fluß des Lebens verlassen und
losen nicht bloß das .Dunkel, vor dem der Mensch, "v:on lauter Unsicherheiten das unendliche Meer ·uns aufnimmt", die "Zentrierung'' der Zeitalter in sich
umgehen", Schutz sucht, sondern auch der unermeßliche Horizo~t, der uns das selbst (166, 257). In der Analyse der Zeitlichkeit selber aber kommt es dem-
"Glück" öffnet," vorwärtszugehen lind neue Möglichkeiten des eigenen Daseins gemäß darauf an, zu zeigen:, daß sie nicht bloß das ständig~ Werden., sondern
zu realisieren''; ihn offen zu halten, ist ein wesentliches Anliegen gerade der auch ein Ständigwerden des Lehens mit sich führt: "die Zeit mit der bilden-
Philosophie: der philosophische Geist "hat die tiefste Art von Grenzenlosigkeit, den Kraft, die ihr innewohnt" (263). Und dasselbe nun letztlich im Logischen
von endloser Mög.lichkeit menschlichen Daseins aufzusuchen" (VII 203 244 253 als die Aufgabe,
. ' ' ' ' "historische Begriff~" zu bilden, .Energiebegriffe, deren "Inhalt Geschehen, Verlauf irgendeiner
347; V, CXVI). Dann mu~ aber auch noch der letzte Rest von transzendenter
Art ist". Das ,;eigentliche Problem der geschichtlichen Methode" ist, in der "grenzenlosen Wechsel-
Stellung zur Bedeutung des Lehens, der :in der Beziehung der Zeitlichkeit auf die wirkung von EinZ-eldasein feste Abgrenzungen zu finden. Es ist., als sollten in _einem-·-!j.tändig
"Korruptihilität" sich versteckte, aufgelöst werd~n und dem dynamischen strömenden Fluß Linien gezogen werden, Figuren, _die standhalten" (280).
Ergreifen der "inneren Dialektik" Platz. machen. · 1) Landgrebe, Diltheys Theorie der Geistesw., Busserls Jilhrb. IX, 364, sieht nur diese eine Seite.
172 Bedeutung als Grundkategorie des geschichtlichen Lebens . Die Grundeinsicht 'in die Geschichtlichkeif · 173

So gefaßt, geht 'es hier nicht bloß um ein "wissenstheoretisches" 'Problem . . • h ~ ~d Sitte von. vomhe;ein hergestellt. Wo es nicht
. Dies V erhältnie wir!~ durch die Erz~e uEgl b . . eiche J. eden einmal in die Lage bringen,
(wenn auch Dilthey das "sagt": VII, 205). Vielmehr: wie das Verstehen . · de sind es geWisse r e msse, w
war oder zernssen wur ' . E' kl mit dem objektiven Geist zu ge1imgen.
des menschlich-geschichtlichen Lebens überhaupt die Kraft entbi11den soll, das bei guter Gemütsart ~d ~~bst~es~n~gdm ~n k~::n Welt dauernde Zwecke hat, befreit den
Hauptsatz: Nur die Tatlgkett, .. e m .er o . ~.
Menschliche ,heroisch' zu ertragen, so ist es auch bei diesem durch die Zeitli~h­
.
· p 'kul 't"t und Vergänglichkelt • . d
Menschen von arti ari a . . ßik " di durch den ZusammeDJ!toß der Perio en
Er blickt von hie~ aus (5) auf die "Kon,, d~U.:..(6} ~uf die Stellung "der Natur gegenüber",
keit bestimmten Verhältnis.· Daß unser menschliches Leben mitten in der Ver- .
gänglichkeit "einen Zusammenhang bildet und darin eine Einheit hat'', dies und Gegensätze in emer solchen ent~thehen ' . h"ttert bleib~ als dualleinige Prinzip, durch das
al . .. n Kant und Fic te unersc u b S 83).
soll uns einen für uns Menschen. gangbaren Weg zeigen, uns von der Vergäng- wo das Mor pnnZip vo . . ' ,; ( . führten den Satz schon an, o en ' '
das Individuum seine Selbständigkeit behauptet Wir . .

lichkeit zu befreien. Und diese Möglichkeit muß in der Kategorienlehre ihre :nd nun faßt er noch einmal-zusammen: . k . d . sich ergibt als die Bestimmung des
Begründung finden (325, 329). Diese Begründung erfolgt, indem der Zusammen- 7. Da Leben Fortrücken, und da Tätl~ e~t.. daraVus . . (Anp' assung}mit dem Ganzen
" d di . I- Tätigkat nur m er ere!mgung .
-Zicls im Fortrücken, a e emze ne . .. Ii .hk.- 't ·.hoben. ist und sonach das Gemüt befreit,
hang der Kategorien des Lebens, von welchem Punkt aus er auch immer auf- . .. p 'kul 'tät nd Vergang c ei er
harmomsch, uber arti an u . . A b..
.
d Intensität der Gememsamkeit un
• d
entsteht eine Gemeinschaft, wclche die :us. ~eitung un . " . .
getan werden mag, auf die Bedeutung als den Grund von. "Entwicklung" oder
;~rer Zwecke steigert:__ das ist Kultur, Forti!chreitung, EntWicklung .. • .
, , Gestaltung" hinführtund damit aufden geschichtlichen Prozeß,in welchem eben
die Vereinigung verschiedener gleichursprünglicher Lebenszüge vollzogen wird.
So können wir nun mit jener Aufzeichnung letzter Hand, an die wir an-
knüpften, die Darlegungen auch wieder zusammenschließen, .indein "'ir die
ganze Skizze mitteilenI):

- "1. Die objektiv geistige Welt ist a~s Produkt des Geistes in der Natur diesem verwandt-, aber
sie tritt ibm fremd gegenüber. So .entsteht die Tatsache, daß die Individualität, als welche llas
Gemeinsam-Menschliche in sich trägt, und deren Eigenart doch zugleich den Differenzierungen
der objektiven Welt entspricht, in der Hingabe an die Objektivität der Gesellschaft sich selbe·r
wiederfindet.

2. Das Grundverhältnis ist, daß vita motus perpetuus, Impuls, Streben, Ablauf, und doch zu-
gleich als-- dieses Durchlaufen, und zwar mit Bewußtsein, ist es zugleich bewußter Besitz und
Streben nach Festigkeit, das eben aus dem Verlauf hervorgeht. Beides zusammen:,Gestaltting'.
3. Diest:. Gestaltung im Großen ist Sittlichkeit, Recht usw., die feindliche Stellung·· dazu ist
sc:ttiefe Stellung. · ·
4. Nur im Handeln und Versuchen (das als Versuchen mit Anschauen verbunden ·1st) erlangt
der Einzelne das Verhältnis; in welchem Individuum, Gemeinsamkeit, Systeme ineinandergreifen.

1
) Die fliegend hingeworfene Skizze ist entnommen aus einem Notizbuch, das sich bei dem
V erstorbenen fand. Obwohl sie nicht zu dem systematischen Plan der "Kritik der historischen
Vernunft" gehört (sie gehört zu den Entwürfen für. eine neue Einleitung zu dem "Leben Schleier-
machers" und läuft auf. das Problem der Religion hin), stiinmt' sie doch in dem ganzen Umriß,
vom ersten Satz an, mit den zu jenem Plan gehörigen Aufzeichnungen zur Kategorienlehre über-
ein (VII, 191, 268), die das hier Umrissene genauer ausführen.
IV.
Unsere Auseinändersetzung ging aus dem Grundgefühl einer gemeinsamen
Sache hervor, die durch Heidegger in mächtige Bewegung gekommen, ja
durch das von ihm gewagte Werk erst zur vollen Klarheit ihrer Bedeutung
gebracht worden ist. Aber es fiel uns schwer, uns mit der Art seines syste·
matischen Vorgehens zu befreunden. Über einen uns vertrauten Boden, auf
dem wir uns nur tastend zu bewegen wagten, um nur ja nicht die Fühlung
zu verlieren, schritt er mit überlegener Sicherheit hin., dem Ziel entgegen.
Diese Sicherheit schien uns gefährlich. Es war da nicht bloß die neue direkte
sozusagen kunstfreie Nähe zum Leben, die die junge Generation av.szeichnet,
sondern zugleich eine konstruktive Geschlossenheit der Lebensauslegung in
selbstverständlicher, gleichsam handwerklich geübter Erfüllung der alten An·
sprüche an Strenge der philosophischen Form. Die Begriffe, in deren Welt
der Denker schafft, waren geladen mit der neuen explosiven Lebensfülle und
sollten sich doch wieder durch sich selbst in ihrem eigenen Medium zusammen·
fügen zu einem in sich geschlossenen Gang der Lebensinterpretation in kon·
zentrischen Bahnen immer dichter an den innersten Kern· heran, in dem das
Wesen des Daseins verborgen liegt:. gelingt es, ihn aufzubrechen, dann wird
sich eben damit zugleich der Blick in die ewige Mitte der Philosophie auftun;
die Vorbereitung wäre ·zu Ende ~nd der Aufbau kann beginnen.
Aber noch blieb im unklaren, wie die "existentiale Analytik des Daseins"
das ihr gesetzte Ziel, die "Fundamentalontologie" erreichen mochte. Wie sie
176
Versuch einer objektiven Entscheidung
Die Konfrontation Heideggers mit Dilthey 177
den durch ihr Thema - "das Dasein im Mensch~n" - mitgegebenen Erlebnis-
ergreifen und so statt der Diskussion über festgelegte Ziele - wer hat recht ?
gehalt und die, in ihrer Problemstellung - der E~neuerung von Pl~tons Frage:
_ eine Begegnung der vorwärtsdringenden Tendenzen herbeizuführen, aus
was heißt ,Sein'? - liegende theoretische Absicht vereinen mochte. Wie,
der eine objektive Entscheidung hervorgehen kann.
mit Heideggers eigenen Worten zu reden, eine Hermeneutik de~ Existenz,
So wurden wir bei dem Versuch, an Heideggers Vorhaben heranzukommen,
in der. alles philosophische Fragen das Dasein, das, je meines ist, angeht _
durch den Zwang der Sache selbst dazu gedrängt, uns über die Diltheysche
aus ihm "entspringend" und wieder "zurückschlagend" in es -den Weg bah-
Grundrichtung Rechenschaft zu gehen, damit klar werde, ob sie nicht gerade
nen möchte zu der "Philosophie selbst": der Philosophie, deren eigener Be~
dann, wenn 'man sie in ihrer eigenen Ebene verfolgt, die Philosophie selbst -'-
stand uns nahe gelegt wird durch die Erinnerung an ihre "wenigen, seit der
Antike unbewältigten Grundprohleme''. und zugleich auch deren ,,Not" - sichtbar werden läßt. .Hierüber dürfte
Klarheit geschaffen sein. Der Überschuß von Lebenswahrheit, der jenem stän-
An diesem noch offenen, aber für die systematische Anlage entscheidenden
digen, .immer neu angestrengten Fühlungnehmen mit dem Boden des Lehens
Punkte setzten wir ein, Wir durften· in "Sein und Zeit", wo der erste unbe-
gedankt wird, ist kaum noch verkennhar, die geschichtliche Konzeption der
fangene Eindruck uns. versichert~, daß hier ein Metaphysiker zu uns sprach;
"Bedeutung" hat in ihrem Zusammenhang mit der Kategorie der Kraft eine
auch dessen sicher sein, daß trotzjener Vorwegnahme des Ziels mit· dem schwer
noch gar nicht ausgeschöpfte philosophische Tragweite gewonnen, und wenn
· helasteten Begriff der "Ontologie" die produktive Bewegung des philosophi-'
dem gegenüber die phänomenologische Methode, die zu genauer Analyse ver.,
sehen Denkens am Werk war, die erst in ihrem· Verlauf sich zu ihrem. Ziel~
. hilft, sich fähig zeigt, die Lehensbegriffe aus ihrem hermeneutischen Hindeuten
hindurchfindet, so daß die theoretische Bestimmung desselbe~ nur als etwas
heraus in einenin sich ·geschlossenen Zusammenhang zu erheben, Schuld und
VorläUfiges zu gelten hatte. Und da nun eine solche Bewegung nicht in dem
Schicksal und den Tod selbst als Momente eines Ganzen an ihren bestimmten
Kopf des einzelnen Denkers entspringt,. 'vielmehr gerade an H~ideggers W~rk
Ort innerhalb der. Grundbewegtheit des Daseins einzustellen, so liegt da wohl
die geschichtliche. Notwendigkeit der von dem einsamen Ei~zelnen ergriffenen
eine zweifellos philosophische Tendenz und eine dem geschichtlichen Lehens-
Aufgabe sichtbar wurde, ja eben ·dies unser Thema war, wie hier die lang vor-
denker. fremde Kraft, das Schwebende zu befestigen, aber dieser im Begriff-
bereitete Vereinigung der Phänomenologie und der "Philosophie des Lehens'.'~ ·
lichen liegende Vorzug bedeutet noch nicht Überlegenheit in dem Sinne, daß
dieser beiden nach Herkunft und Art so verschiedenen Bestrebungen ins. Werk.
der eine den anderen zu umfassen vermag, doch der. ihn nicht.· So sprangen
gesetzt werde: so war unserer Auseinandersetzung der Weg vorgeschrieben.
die Gegensätze heraus, während wir auf Einverständnis ausgingen. Aber sie
Die neue Wendung der Phänomenologie hedeutt(t mehr als eine genial-zu-
sollten uns nur dazu dienen, eben dieses zu gewinnen, das nicht kampflos zu-
fällige Erscheinung einer neuen Möglichkeit in einer an Möglichkeiten reichen
fallen kann. Und darauf besteht Aussicht, solange die B.ewegung im Flußist
philosophischen Schule, sie ist auch nicht als ~in immanenter Prozeß der Ver-
- wie Heidegger von seinem Werk sagte, daß es noch "unterwegs" sei; wie
tiefung oder Ausbreitung der phänomenologischen Methode zu verstehen, sie
Dilthey selbst es erträglich fand, "auf der Wanderschaft zu sterben".
bedeutet aber .auch etwas anderes als die "Aneignung der Diltheyschen For-
Aristoteles lehrt: "Die Entelechie trennt". Hätte die Philosophie ein in ·
schungen" durch. eine jüngere Generation dieser Schule: die Vereinigung des
sich selbst bestimmtes Ziel und läge in diesem der umgrenzende Grund ihrer
Heterogenen kann nur als geschichtlicher Vorgang geschehen. In diesen galt
Einheit, so wäre mit der. gedanklichen Feststellung desselben die Not ihres
es einzudringen, um das; was im Werden begriffen ·ist, auch im Werden zu
,Werdens zum Sein' zu beheben, die wesentliche Arbeit bestünde in der Rich-

Mi s c h, Lebensphilosophie. 2. Auf!. 12
178 Versuch einer objektiven Entscheidung .· Verstehen aus Bedeutung gegen Stufen-Ansicht 179

tigstellung der Begriff~ mit Hilfe des Maßes, das durch die geprägte. Form, an den Vorgang der Em~uerung der Philosophie heranzukommen. Wer die
die ,Gattung' Philosophie, ein· für alle Mal gegeben ist, und das Scheidende der Dinge ~eschichtlich sieht, weiß: in dem immer neuen Hervortreten eigengerich·
Entelechie bedeutete Ausscheidung alles Unphilosophischen aus ihrem Be· teten Schaffens, das mit der Sicherheit echten Besitzes seinen Weg findet und
reich - nach dem Grundsatz der Theokraten: "Ia verite reunit, l'erreu:r se· das Ganze weiterbringt, liegt das eigentliche Ge'lleimnis beschlossen und die
pare". Auf eine solche Vorstellung von der Philosophie und ihres Werde· Quelle der Kraftl). Auch die Philosophie, wo das Schaffen ein Herstellen
ganges finden wir uns tatsächlich zurückgeführt, wenn wir nach dem Gesichis· der Klarheit im Medium der Begriffe ist, ist dem Werdegesetz nicht entnom·
punkt fragen, unter dem innerhalb des Kreises der Phänomenologen die Situa· men, das selbstfür die Kunst der Politik, wo der Fortschritt "gemacht'~ wird,
tion beurteilt und eine "Aneignung" der heterogenen Tendenz gefordert wurde. · .• von einem großen Staatsmann ausgesprochen ist: daß "niemand so hoch steigt
So bei Scheler, der zuerst (1913) die "Versuche einer Philosophie des Lehens" wie der, der nichtweiß wohin es geht". Reflexion und Aktion halten sich hier,
(Nietzsche, D:ilthey, Bergson) von der Phänomenologie her ins Auge faßte: , heide gleich produktionskräftig ·die Waage; die methodische Herstelltmg der
als "leise Anfänge" und "große Antriebe", deren ,;volle Nutzung erst von ihr Klarheit und die immanente Selbstaufhellung. einer. dunkel betätigten Inten·
und auf ihrem Boden zu erhoffen" sei dank der durch sie erreichten Höhe tion fordern gleiches Recht. Wenn aber wiein·unserm F~U, bei Dilthey und
des philosophischen Niveaus. Da stellt sich das Verhältnis der heterogenen Husserl' dieses·
.
Verhältnis zwischen besinnlichem
..
Vorwärtsgehen und bahn·
Richtungen so dar, wie es nach dein Grundverhältnis der Erkenntnis zur Er• brechender Besinnung, das zur philosophischen Bewegung als solcher gehört,
zielung der Wahrheit geboten ist: als Intention und Erfüllung. Noch deut· gleichsam personal verteilt als gegensätzlicheSpannung zwischen zwei ver·
lieber bei Husserl selbst in seiner (von Heidegger mitgeteilten) Kritik an Dil- schiedenen philosophischen Richtungen auftritt, die zunächst jede für sich vor·
they. Da wird dessen produktives Vorgehen - er "faßte die zielgehenden wartsgingen, um sich dann zusammenzufinden, so muß diese Vereinigung zm
Probleme, die Richtungen der zu .leistenden Arbeit" - als eine Vorstufe für · Gehurt der Philosophie aus dem Logos des Werdens begriffen werden: wie am
das Endgültige genommen, zu dem er "noch nicht" durchdrang: "die ent· . Gegensatz sich das Leb~n erzeugt~· Und. da weist uns die Diltheysche Kategorie
scheidenden Problemformulierungen und methodisch richtigen Lösungen". der "Bedeutung'' den Weg, Sie untergräbt jene erkenntnismäßige Vorstellung
Aber auch bei Heidegger ist diese Vorstellung noch im Spiel, wenn er für das von dem stufenmäßigen Fortgang der Entwick;lung, indem sie die Art von
Herankommen an die "Sachen selbst" den vorgängigen Besitz einer "ausge· Zusammenhang, welche als ,Konzentration deiheterogenen Kräft~'. zu fassen
arbeiteten Fragestellung" verlangt und das Unzulängliche der Forschungen ist,· gerade von ei~eni. solchen Zusammenhang unterscheidet, der .~vom letzten
seiner Vorgänger dahin bestimmt, daß sie nicht in "die Dimension der onto· Glied aus gebildet" ist. Dann beruht das Trennende der Entelechie nicht· auf
logischen Fragestellung" gekommen seien. Von diesem Urteil wurde nun einem wesenhaften Sei~ der Philosophie, das, in sich selbst bestimmt und he·
freilich nicht bloß Dilthey, sondern auch Busserlund Scheler betroffen (32), grenzt, ihrer immer neuen "Herstellung" zugrunde liegt, sondern auf der ah·
so daß auch sie, die die "Niveauhöhe" für sich in Anspruch· nahmen, in die schließenden Bestimmung desselben durch die ideelle Zielsetzung, die der Ge·
niedere Dimension
.
ahsanken und also die vermeintlich. absolute Ebene der staJtung voraneilt. Gerade die Zielsetzung ist das Wandelbare, das immer neu
Philosophie sich innerhalb der Phänomenologie selbst als relativ und verschieh- sich feststellt, das Einend~, aber, das in der "Philosophie selbst" liegt; muß
bar herausstellte je nach dem Fortgang der Produktion.
Diese ganze hierarchische Stufenansicht müssen wir beiseite schieben, um 1) Von den Gestaltungen der PersÖDlichkeit; a. a. O. · S. 121.

12*
180 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Busserl Philosophie als Wissenschaft gegen Weltanschauung 181

tun war. So kennzeichnete er die Phänomenologie der Erkenntnis als "eine neue philosophische
in dem gemeinsamen geistigen Trachten gesucht werden, das sich selbst erst Disziplin'', durch die die Vorbedingung für einen strengen Aufbau der Theorie des Wissens er-
in der Produktion und der produktiven Berührung der Kräfte zur Klarheit füllt werde. Er selber hatte dann die Abhandlung über "die Typen der Weltanschauung" heraus-
lil der Bedeutung durchringt. gegeben, die anscheinend aus einem ganz anderen Zusammenhang als jene "Studien" kam.
II Da legte Husserl nun in jenem Aufsatz seine Entscheidung vor; sie nahm
,I
1..'

sich - unbeabsichtigt - wie eine Kampfansage aus:


I'[
1.
1.
Die systematische Phänomenologie ist dazu berufen, die wahre, die platonische Bestimmung
I Wie schwer ist es doch in der Philosophie, wo schon die Aufnahme des Über- der Philosophie zu erfüllen und endlich ihrem immer wieder erhobenen, aber noch nie erfüllten
tragbaren an die einsame selbständige Entscheidung gebunden ist, zu. einem Anspruch auf strenge Wissenschaftlichkeit genugzutun; zu dem Unphilosophischen aber, das
I
1.!11

,,.
dadurch ausgeschieden wird, gehört auch Diltheys Vorhaben. Denn der universale Herrschafts•
gründlichen Einverständnis zu gelangen selbst da, wo das Bewußtsein der Ge- hereich der "Philosophie als strenger Wissenschaft", die absolute Begründung des Wissens um-
meinsamkeit wirktl Die Auseinandersetzung zwischen Lehensphilosophie und

iI
1
faßt auch das "reine und absolute Werten und Wollen" und erhebt sich so über das, was
Phänomenologie geht nun schon seit einem Vierteljahrhundert von statten. als "Weltanschauung" in der Zeit umgeht. Zwar "auch ,Weltanschauung' ist eine Idee, aber
die eines im Endlichen liegenden Zieles", während die Idee der Wissenschaft eine "überzeit-
Es war ein seltener Glücksfall (nicht Zufall, sondern bereits Lohn des histo- liche" ist. Sie ist ein persönliches Anliegen, bedeutet "Weisheit" oder "Bildung", dem
. h " jeweiligen Tugend-Ideal gemäß: eine Komponente einer "Abschattung der Idee der Huma-
rxsc en Bewußtseins"), daß zwei Denker von so verschiedener Herkunft und
nität". Eine feste Grenze scheidet somit echte Philosophie und geschichtlich gerichtete
Einstellung wie Dilthey und Husserl, die heide von einzelwissenschaftlichen "Weltanschauungsphilosophie". Die geisteswissenschaftliche Richtung 'ist, sofern sie sich zur
Einsätzen aus unhewußt schaffend zur Philosophie emporstiegen (auch Hus- Philosophie erheben und als "Weltanschauungslehre" sich in sich selbst systematisch organi-
sieren will, durch sich selbst gerichtet, durch den inneren Widerspruch eines solchen Unterneh-
serl: die reine formale Logik von der Mathematik her suchend fand er das
mens. Diltheys Standpunkt ist ein historischer Relativismus und ist als solcher prinzipiell durch
Königreich der Phänomenologie): daß diese beiden für die weitere Entwick- Platons Argument gegen die Sophisten, die Perltrope erledigt; seine legitime Konsequenz ist der
hing der Philosophie maßgehenden Denker sich nicht bloß feindlich mitein- Skeptizismus.
ander massen wie Hohhes und Descartes, sondern sich· in der Gemeinschaft des So schien die Auseinandersetzung mit einer schrillen Dissonanz zu enden.
philosophischen Bemühens zusammenfanden. Di~ nachhaltige Wirkung die- Und in der Tat hat der Urteilsspruch im "Logos" (mit der entsprechenden
ser Begegnung ist bekannt, sie wirkt sich bis in die gegenwärtige Lage hinein Stellungnahme Rickerts zusammen: wir deuteten das schon an, S. 32) die ge-
aus, auch im Fortgang von Husserls eigenen Arbeiten. Aber wie verlief nun läufige Anschauung v'?n dem antilogischen Wesen der "Philosophie des Le-
die standpunktliehe Auseinandersetzung, die den Fortgang der Produktion he" hens" bestimmt. Indes, die Aussprache ging weiter in einem Briefwechsel, der
gleitete ? Wir vermögen das jetzt zu übersehen und verfolgen den Verlauf in uns jetzt vorliegtl). Da kam es zu einer Verständigung. Sie möchte restlos
der Aussicht, ihm immanente Richtlinien der Kritik entnehmen zu können. erscheinen, gerade auf Seiten des Angreifers, da Husserl seine Überzeugung
Das Hauptzeugnis ist bekannt: Husserls Logos~ Abhandlung von 1911, die dahin zusammenfaßte, daß es "au fond dieselbe" Philosophie sei, die sie heide
wir schon streiften (136) und auf die auch Heidegger für die "grundsätzliche von verschiedenen Seiten aus vorbereiteten. Und doch kam der Gegensatz zu
Orientierung der Problematik" verweist. ·keinem entscheidenden Austrag, obwohl sich die Diskussion um zentrale Fra-
Sie erschien et~iche ~ahre, nachdem Dilthey- im Zusammenhang seiner "Studien zur Grund-
legung der GeistesWissenscha~ten" - Husserls logisches Grundwerk öffentlich begrüßt hatte,
1) Dilthey an Husserl 29. VI. 1911. H. an D. 5j6. VII. D. an H. 10. VII. Husserl hat
auf dessen "_epochemac~ende Bedeutung hinweisend (1905. VII, 10. 14). Er fand dieselbe in
diese drei Briefe mir inzwischen mitgeteilt, eine Freundlichkeit, für die ihm auch an dieser Stelle
der- nur emem "Gewe der philo~ophischen Analyse" zu dankenden- Ausbildung einer Me-
thode zur "streng deskriptiven Fundierung" der. Theorie des Wissens, um die es auch ihm zu Dank gesagt sei.
..

182 Die Auseinandersetzung ztoischen Dilthey und Husserl Der Gegensatz im Begriffder Wissenschaft 183

gen (Jrehte: die Wissenschaftlichkeit. der Philosophie und · die St~llung zur menden ,Lebensformen'! • . . • Wenn Sie hier von geist~s~ssenschaftlicher Analyse sprechen
(durch welche Sie den Beweis emer Unmöglichkeit der Metaphysik fiihrte:AA so deckt sich das
Metaphysik. .. · . vielfach mit dem, .was ich, nur nach gewissen methodischen Gesichtspu:Dkten begrenzt und ge-
Dilthey nimmt, durch das ihin zuwidre Gespenst. des SkeptiZismus zurückgeschreckt, den i~ • staltet, als phänomenologische Analyse ansehe •.•• Was wir, von verschiedenen Seiten her•
entgeg~~ehaltenen Begriff _der. ~issenschaftlichkeit der Philosophie auf, um seine eigene Stel- kommend, durch verschiedene historische Motive bestimmt, durch verschiedene Entwicklungen
l~g ~t.~m zu decken: Hmweise~d auf die "ursprüngliche Konzeption seiner Lebensaufgabe", hindurchgegangen erstreben und erforschen, stimmt zusammen und gehört zusammen" •••
die~ Begrundung d~r Geisteswissenschaften, erklärt er: "Wir siiid einig darin, daß es, ganz allge~ Er versichert das, obwohl er sich von seiner platonischen Grundstellung durch nichts ahhririgen
mein angesehen, eine allgem~ngültige ·Theorie des Wissens gibt. Wir sind.weiter darin einver- läßt, auch durch Diltheys zirkuläre Bewegung von ,Erlebnis, Ausdruck und Verstehen' nicht!
st~den, daß der Zugang zu ihr erst durch Untersuchungen eröffnet wird, die den Sinn der Be- "Aus dem Nacherleben und Verstehen schöpfen wir' Religion al~ ideale Einheit .... Das Histo-
zeichnungen aufklären, deren zunächst eine solche Theorie hed~rf und die. weiterhin allen Teilen risch-Faktische dient dabei als Exempel, wenn wir auf das rein Ideale gerichtet sind." Wie er
der Philos~phie notwendig sind." So unterstreicht er, angesichts des nellen Anspruchs der Phä~ es m dem Logos-Aufsatz formuliert hatte (S. 325): "Historie, empirische Geisteswissenschaft
nomenologie, seine Erklärung von·. ehedem. ,;Wir sind in sehr umsirittenen Hauptpunkten · überhaupt kann vori sich aus gar nichts darüber ausmachen, ••• ob zwischen Religion als Kultur-
~~desgenossen." Doch nun die Differenz. "I~ dem weiteren Aufhau der Philosophie trennen gestaltmi.g und Religion als Idee· d. i. als gÜltiger Religion .•. und schließlich auch zWischen
Sich dann unsere Wege. Mir erscheint eine Metaphysik unmöglich, welche den W eltzusammen~ historischer und gültiger Philosophie zu unterscheiden sei; ob oder ob nicht zwischen dem Einen
h~g durch einen ·Zusammenhang von Begriffen in gültiger Weise aus~usprechen unterniiumt · und dein Andern, platonisch gesprochen, das· Verhältnis bestehe der Idee und ihrer getrübten ·
• • · Ich schließe mich eben an die Bewegung an, welche seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts Erscheinungsform."
~ur Leugnung der Metaphysik, das Wort im oben angegebenen Sinne genommen, fortgegangen Dilthey begnügt sich hieraufhin, den Punkt des Einvernehmens zu bekräftigen. "Daß Sie es•
Ist · • • Ic~ or~ne sol~e S~steme, die eine Weltanschauung als Religion oder Metaphysik ent- :(Uhlen, wie wir .heide, und ich m einer Zeit, wo einiger Mut dazu gehörte, von verschie-
~alten, unt~r die geschichtlichen "Lebensformen", Wie Verfassungen und Reiigionen solche sind; denen Seiten her gemeinsam. gegen die Herrschaft der N!iturwissenschaften über die Philoso-
Sie haben ein besonderes ·Verhältnis zum Lehen, unterschieden von allgemeingültigen Wissen- . phie kämpfen, daß wir in der Bemühung um eine allgemeingültige Grundlegung der realen
schaften •..• " . Wissenschaften im Gegensatz gegen konstruktive :Metaphysik, gegen jede Annahme eines An-
.Husse~l seinerseits aber hmnüht sich nunmehr, auch diesen Gegensatz zu bereinigen. "Es will Sich hinter der uns gegebenen Wirklichkeit einig sind. Urisere Differenz mag dabei in Geltung
nur schei~en, daß das, was Sie als Metaphysik bekämpfen, etwas anderes ist. wi~ das, was ich als bleiben •.• " - wie mit einer ~;~~üden Handhewe~g läßt er davon ab, "in eine so ganz andere
Metaphysik zugestehe und treibe"~ Auszuschließen ist "jede an Kant anle~ende Ding-an-sich- · Gedankenwelt einzudringen".
,Metaphysik' ebenso wie jede ontc:~Iogistische, aus einem System reiner Begriffe Daseinswissen-
schaft. heraush~lende Metaphysik a Ia Spinoza". Aber die phänomenologische Fundierring der· Ist es zuviel gesagt, daß in dieser Diskussion im Grunde die umgekehrte Lage
T;JJ,eone des Wissens selbst läuft, da sie die objektive Gültigkeit der Erkenntnis begründen soll,
als die, die in ihr festgestellt wird, zum Vorschein kommt ? Die Opereinstim-
notwendig aus in "Metaphysik": in die absolute Wissenschaft, die reine Philo.sophie. Das he-
trifft·die ·Grllndlegung der Geisteswissenschaften ebenso wie die d~ Naturerkenntnis. Und von mung in der Anerkenn~ng ehier "all~emeingültigen Theorie des Wissens" kann
da aqs löst sich der vermeintliche Gegensatz auf. Denn der Weg, auf dem die Phänomenoloaie nicht ausschlaggebend sein, solange im Begriff des Wissens selber der Gegen-
sich V(ln einer Methode der deskriptiven Klärung der Grundbegriffe, von. einer unerläßlichen v:r-
' Wissenschaft also, zur philosophischen Grundwissenschaft erhebt, besteht in der Erforschung der
. satz zurückbleibt: dort der Zug der absoluten Erkenntnis, der dem Diathema-
"Konstitution" der 'Gegenstände, deren ,,Idee" (die Idee der Natur oder die der Religion, Kunst tisierenden Logiker ansteht, das plat~nische Ideal der reinen Wissenschaft,
usw.) das Gebiet der einzelnen Wissenschaften umgrenzt; Konstitutionsforschung aber bedeutet
die primär Philosophie ist, hier die Einstellurig auf die "realen Wiss~nschaften",
- d~s i_st mit den "Wesen:shezieh~gen zwischen Sein und Bewußtsein" gegeben- Analyse des
konstitUierenden (Natur oder Religion usw. konstituierenden) Bewußtseins. Und auf diesem wie sie einem universalen Forscher entspricht, der als "den herrschenden Im-
~an~'schen.Boden ~in~et si.~ die Phänomenologie,' die nach dem "Wesen" eines Gegenstandes puls in seinem philosophischen D.enken" angab, "sich im 'Geist der großen Auf-
Im S1nne semer ,_,Moglichkeit fragt (nach "möglicher Religion überhaupt" im Sinne von Kants
Frage: "wie ist Natur möglich?"), mit Diltheys auf den "Aufbau" der geistigen Welt gerichteten
klärung an die erfahrbare Wirklichkeit als die Eine Welt unseres Wissens zu
Forschung zusammen. halten" (1911, V. 418). Und anderseits, was die Differenz anlangt, die Dilthey
So versichert Husserl: "Phänomenologische Theorie der Religion fordert also hzw. ist einem
scheinbar resigniert auf sich beruhen ließ, ohne auf Busserls V ers~ch einer
Hauptteile nach genau das, was Sie immer wieder fordern, Rückgang auf das innere Lehen
auf die im .Nacherlehen der innerlichen Motivationen allererst zu wirklichem Verständnis kom: Ausgleichung ein~u~ehen: ist hier nicht gerade die Stelle, ~o Dilthey produk·
184 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Husserl Husserls mathematisch-platonische Stellung 185
tiv. zur Überwindung des Gegensatzes vorwärbging, in der angestrengten des "Wirkungszusammenhanges", der- gegenüber dem Kausalzusammenhang der· Natur-
I'! dadurch bes.timmt war, daß er "Werte erzeugt und Zwecke realisiert", Denn jene "Mischung"
Denkarbeit, die wir bei der Erörterung cfer "Kategorien des Lebens" verfolgt
wird von Plato auf ihre Leistung hin eben dadurch gekennzeichnet, daß aus ihr "alles Gute
haben? Die Konzeption. der "Bedeutung" des Lebens führte ja hinter die stammt".
herkömmliche Parteiung der ,ldeenfreunde' und der ,Erdstämmigen' zurück, Aber wenn diese Darleglll!.gen im Philebos (25 ff) dazu dienen können, das gemeinsame Feld
zu beleuchten, so zeigt sich anderseits hier auch der entscheidende Punkt der Divergenz. Er
i:ndem sie den konkreten Übergang zwischen den isolierbaren Seiten der Alter-
zeigt sich in dem Fortgang, den Plato nahm, um das klar gesehene Phänomen des Lehensge-
native; , Gedanke' oder ,Kraft' als das eigentliche Lebensgeschehen heraus- schehens mit den logischen Mitteln der Mathe:rpatik (der griechischen Proportionenlehre) wissen-
stellte, so den "Weg von der Faktizität zum Ideellen" gangbar machte, der schaftlich zu bewältigen. Durch Vermittlung der Maßverhältnisse, die sich an dem Produkt des
Geschehens, der "gewordenen usia" herausanalysieren lassen, wird die bindende Gewalt der Be-
nach Husserl ein verbotener Weg ist. Hierdurch muß aber auch der Begriff grenzung auf das Walten einer objektiven Ve;rnunft, des Nus, der das All lenkt, zurückgeführt;
der Wissenschaft, der als etwas Festes, für sich Vereinbares genommen ·-' so tritt die Grenze als etwas Göttliches von oben her in den grenzenlosen, an sich nur Gegensätze
zeitigenden Prozeß hinein- "Werden zum Sein dank der mithilfe des·peras hergestellten Maß-
wurde, obwohl er so Verschiedenes deckte, in Bewegung geraten. Wohl treffen verhältnisse".
hier beide Richtungen zusammen, aber nicht im Ergebnis, sondern in dem Da zeigt sich klar, welchen prinzipiell philosophischen Belang es hat, wenn nunmehr das wert-
Punkt, von dem das gemeinsame Anliegen d.er Wissenschaft ausgeht. Die erzeugende Geschehen in seiner Eigenart als ges.chichtliches erfaßt wird. Die ganze Richtung,
in der. die Beziehung von peras und apeiron ~ erblicken ist, kehrt sich um. Und das nicht etwa
Grundlegung der Geisteswissenschaften rührt, indem sie sich zur Logik des bl~ß deshalb, weil die objektiv-kosmische Einstellung der Griechen durch die nachchristlich-
geistigen Lebens vertieft, an eben den Punkt, von dem aus Husserls ideali- subjektive abgelöst wäre, sondern weil durch diese Erlebnisstellung die Möglichkeit gewonnen.
I.
ist, das Lebensgeschehen aus ihm selbst, aus der dem Leben immanenten Bedeutung zu ver-
stischer Begriff der strengen Wissenschaft entworfen ist, aber sie lockert den tI stehen. Die Antizipation seiner gedanklicheri. Überschaubarkeit kann nunmehr aufgelöst werden,
Boden des logischen Phänomens selber auf, auf das sich dieser Begriff bezog. sie i$t durch eine angemessen~ logische Konzeption zu ersetzen,· nun wo nicht mehr selbstver-
Ist die Einheit der "Bed~utung" nicht - wenigstens nicht primär - eine rein ständlich ist, daß jedes Verhältnis, das die Gegensätze bindet, rein als Verhältnis - Verhältnis
heißt auf Griechis~h: Iogos - ein gedanklich durchschaubares, harmonisch nach vorgezeich-
theoretische Form, von sich aus in sich stehend wie alles, was in der "naiv- neten Maßen gestaltetes Formgefüge sein müsse. Wo aber auch das nicht mehr selbstverständ-
geradeaus" gerichteten Einstellung der Erkenntnis als "Gegenstand" der In- lich ist, was über diese griechische Antizipation hinaus (Fibel 274), die logische Tradition bis zum
Einbruch der LebensphilQsophie beherrscht hat: daß die Sphäre deslogos, in der, wie Platon er-
tention auftritt, ist sie vielmehr eine "Objektivation des Lebens", die als solche kannt hat, jederzeit die Vereinigwig des Verschiedenen erfolgt (Philebos 15 D), primär durch die
den {erlebend-verstehenden) Vollzug dessen erfordert, was in einem rein theo- rein theoretische Erkenntnisstellung umgrenzt sei und also das objektivierende Denken von
retischen Erkennen .nur als Gegenstand auftreten kann: dann ist auch die Grund aus mit dem rein diskursiven, im "lJrteil" abschließenden zusammenfalle.- Doch das
ist zur Genüge ausgeführt worden. Hier kommt es nur darauf an, festzustellen, daß diese -
objektive Idealität kein ursprünglich eigener Wesenszug der Bedeutungsein- nicht bloß durch bestimmte Voraussetzungen; sondern durch einen Mangel der Analyse (diese
heiten mehr. Sie aber war das logische Phänomen, an dessen Anblick sich Paradoxie wird sich alsbald aufklären) bedingte - platonische Wendung. in Busserls Apologie
der "absoluten, d. i. wissenschaftlichen Metaphysik" grundlegend bleibt.
Husserls Enthusiasmus der absoluten Wissenschaft entzündete. t' .
Das von Platon - auf den sich .Busserl immer wieder beruft - Gesehene wird dadurch nicht Er benutzt den aus der rein theoretischen Erkenntnissphäre entnommenen
berührt, es wird mir aus der hes!)nderen antiken, ästhetisch-mathematischen Prägung gelöst.
"Unterschied zwischen fließendem Gelten und objektiver Giltigkeit", um
Denn die Lebensbedeutung- in deni dargelegten Sinne der "Zentrierung"- ist ein ,Werden
zu weserihaftem Sein' (genesis eis usian), wie Platon das konkrete, hervorbringende Lebensge· im gesamten Bereich des geistig-geschich:tlichen Lebens für die Philosophie
schehen (im Unterschied zu deni abstrakten, vom Logos entblößten Werden) bestimmt hat. Pla- wie für Kunst und Religion die Scheidung zwischen "objektiven Geltungsein•
ton kennzeichnet es als Einigung der ins Grenzenlose g·ehenden, feindlich ringenden Gegensätze
vermöge der Bindung, die durch die Begrenzung kommt. Und auch wenn er es als "Mischung" heiten" und den "Kulturgestaltungen, die im Strom der Menschheitsentwick-
von peras und apeiron bestimmt, so entspricht diese Bestimmung dem ,geschichtlichen Begriff lung "werden und verschwinden" anzusetzen und jene, dem peras gleich, diesen
186 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Husserl ' D~r Weg der Wissenschaft in der Philosophie des Lebens 187
vorauszustellen. So wird ihm die "gültige Philosophie" zu etwas rein ideell · noch dringender als bef Busserl macht sich hier die Schwierigkeit im Begriff
Darstellhai'em, sie fällt mit der absoluten Wissenschaft zusammen, und die der Wissenschaft - und demzufolge der Philosophie selbst _;_ geltend. Denn
"Weltanschauungsphilosophie" erscheint als ein bloßes-Provisorium, das durch
auf wissenschaftlichen Rang macht doch auch Diltheys "Philosophie des Le·
die Scheidung: zeitliche Weisheit, zeitlose Metaphysik beseitigt wird.
bens" Anspruch: in ihr soll das "besondere Verhältnis zum Leben", das Welt-,
Soviel ist klar: die Einrede des "his:torischen Bewußtseins" gegen die "Me- anschauungen oder Religionen vor "allgemeingültigen Wissenschaften" vor-
taphysik" wird zu leicht genommen, wenn man sie zwar in gewisser Beziehung
aushaben, mit der Objektivität der Erkenntnis verbunden sein. So gab er in
als sachlich berechtigt anerkennt (sofern sie gegen die "ontologistische" Aus- der Grundlegung der Geisteswissenschaften eben dies als das zentrale Problem
schreitung oder ,in Diltheys Fassung, die "konstruktiven Systeme" gerichtet
an: den Widerstreit zwischen ihrem "unmittelbaren Verhältnis zum Leben"
ist), prinzipiell aber sie als haltlos abtut mit dem Argument: "Aus Tatsachen und ihrem wissenschaftlichen Ziel der Allgemeingültigkeit aufzulösen (VII,
Ideen, sei es begründen oder widerlegen zu wollen, ist Widersinn." Gerade im
137), Und als es noch darauf ankam nachzuweisen, daß in seinen fragmenta-
Prinzipiellen· liegt ihr Belang. Die Einrede besagt, daß das, was als "Meta~ rischen Schriften ein einheitlicher Zug ist, war dies der maßgebende Gesichts-
physik" durch die Geschichte geht, sich selber nicht richtig versteht, wenn es punkt: daß sie nicht als ;,Bearbeitungen verschiedener Probleme in fachwissen-
mit dem Anspruch auftritt, die Grundwissenschaft zu seip.. Es zielt ursprüng- schaftlicher Orientierung" zu nehmen seien, sondern als "Durchbrüche einer
. lieh überhaupt nicht auf Wissenschaft, sondern will etwas ganz anderes, was
philosophischen Intention, die in dem untersuchenden Gange von Einzel-
durch die "allgemeingültige" Wissenschaft gar nicht erreicht werden kann: forschungen sich als Wissenschaft festzustellen sucht" (1923. V, XII). In dem
"Weltanschauung" .. Diese ist eine "Lebensform" und hat als solche ihre eigene . zweifellos wissenschaftliehen Charakter der philosophischen Aktion lag die .
Art von Wahrheit, die fundamental verschieden ist von der ~,Allgemeingültig­ Stärke der. eigengerichteten Kraft, in der Ungeklärtheit der Bedeutung der·
keit" wissenschaftlicher Wahrheit. Die Wissenschaft, notiert Dilthey,
seihen eine Schwäche, die nur so lange verborgen bleiben konnte, ~ls der ak-
"ist allgemeingültig, weil Wahrheiten übertragbar sind; das Wissen, das in Weltanschauungen tuelle Gesichtspunkt im Vordergrund stand, unter dem Dilthey seine Gemein~
auftritt, Wertsetzung usw. ist es nicht",
schaftmit Busserl begriff: der Kampf gegen die "Herrschaft der Naturwissen·_
sondern muß - fügen wir hinzu - nachvollzogen werden im Erleben und schaft über die Philosophie". Diese gemeinsame Front bedeutete gewiß da-
Verstehen. Um diesen Unterschied zu erkennen, muß man das Phänomen der .m~:tls nicht wenig. Man braucht nur an Franz Brentanos Losung zurückzu·
"Metaphysik" geschichtlich-systematisch analysieren: dann ergibt sich der denken: vera methodus philosophiae nulla alia est nisi scientiae naturalis.
Unterschied zwischen dem "Gelten" dort und hier. So erklärt Dilthey gegen Aber hier hat doch, was die Abwehr verlangt, schon Lotze Klarheit gebracht 1 ).
Busserls Schlußfolgerung, daß "die Historie gegen die Möglichkeit einer abso- Und nachdem jener Kampf vor'!iber ist (wenigstens prinzipiell vorüber, denn
luten Metaphysik nichts Relevantes vorbringen"· könne:
die Scharmützel gehen auch noch h.eute weiter 2) ), fragen wir positiv nach
"sie kann es nur durch Analyse des in ihr enthaltenen W ahrheitsbegriffes, wie er durch ihre Ge- dem eigenen wissenschaftli()hen Charakter jener Intention.
nesis bedingt ist". -
Auf diese Frage liefen unsere früheren Darlegungen heraus (43 f. 90). Sie
Soweit diese Erklärungen den als "Welta:ris~~auung" bez~ichnetcm Kern der
Metaphysik vor der Auflösung in eine als absolut gesetzte Wissenschaft 1) Einleitung zu Lotzes Logik. Philosoph. Bibliothek Bd. 141, S. XVII f. . . •
2) Vgl. die Abwehr bei M. Geiger, Die Wirklichkeit der Wissenschaften und dte Metaphysik
schützen wollen, bedürfen sie heutzutage keiner weiteren Erläuterung. Aber.
(1930).
II

188 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Busserl Der Weg der Wissenschaft in der Philosophie des Lebens 189
wurde durch den Hinweis auf das V erfahren beantwortet, in dem die Lösung anging. - Aber es geht ja um den "Anfang einer Philosophie", die nicht bloß
enthalten wä:a:e, das hermeneutische V erfahren, das sich von der geistesge~ den Wissenschaften, sondern dem "großen Phänomen" der Metaphysik (in
schichtliehen Analyse her bis in die Logik zurückerstreckte. Sie stellt sich eins mit der Religion und Dichtung) "wirklich genugtun" soll, die also diese
aber nun noch einmal, nachdem in der Diskussion über die Standpunkte ein mitzuumfassen vermöchte. Die Wissenschaft ist nicht bloß ein Sektor im
Gegensatz zwischen Wissenschaft und "Metaphysik" aufgetan ist, den wir in Kreise des Wissens, der n~hen ihr die als "Lebensformen" zu verstehenden
dem V erfahren selber nicht fanden.· Nimmt man diesen Gegensatz an: auf Gestaltungen der "Weltansicht" in Metaphysik, Religion und Dichtung ent·
welche Seite desselben fällt dann die Philosophie des Lehens ? Sie gehört einer- hält, sondern dieser Sektor vermag sich über den ganzen Kreis hin zu bewegen, I
seits mit der "Theorie des Wissens" .zusamm6n, deren "Allgemeingültigkeit" sodaßdie Wissenschaft nun doch irgendwie mit der Philosophie zur Deckung
den wesentlichen Punkt des Einvernehmens mit Busserl ausmachte, und teilt kommt, wie Husserl das wollte, - nuf. in allderer Weise. Denn der wissen·
doch mit der Gegenseite das "besondere Verhältnis zum Lehen". Wie kann schaftliehe (und auchphilosophische) Geist selber macht dabei eine Metamor·,
das auch anders herauskommen, wo "das Lehen" den gemeinsamen Ausgangs- phose durch, notwendig: denn der klassische Boden, auf dem er zuerst gedieh,
punkt der Geisteswissenschaften und der Philosophie abgehen soll? und auf dem fußend die Phänomenologie· von vornherein ihrer Wissenschaft-
Ginge es bei dem universalen Anspruch der Theorie des Wissens nur (wie in lichkeit sicher sein konnte, der Beziehungszusammenhang idealer Bedeutungs-
der neukantischen Schule) um eine Erweiterung der Erkenntnistheorie über einheiten, ist nicht mehr ausreichend, um. ihn zu tragen, sondern auf einen he-
das Gebiet der Naturwissenschaften, so wäre der Sinn jenes Gegensatzes stimmten Bezirk eingegrenzt, der Boden erweitert sich durch jenes her~eneu·
durchsichtig: es handelte sich dann nur um die antimetaphysische Stellung tische Vorgehen, das ein ständiges Sichexponieren fordert: der Weg des Wis·
der Wissenschaftstheorie, die den Positivismus kennzeichnet, die aber auch sens, bei dem es um ein Verständnis alles Menschlichen geht, führt durch die
bei Kant zu finden ist, um eine Etappe in der Bewegung von Voltaire, D'Alem- Abgründe dieser menschlichen Welt, in die kein Licht von oben fällt, sondern
hert, Hume und Kant her, in die sich Dilthey selbst mit seiner Leugnung der wo in Eruptionen aus der Tiefe das Dunkel hell wird und auch nur dem hell
"Metaphysik" einstellte - der Historiker unterwirft sich dem vermeintlichen wird, der die Gefahren auf sich nahm, aus deren Dureherlehen Überzeugungen
"Gesetz des Fortschritts" der Philosophie: von der Metaphysik zur Erkennt· fürs Lehen hervorgehen.
nistheorie. Dann liefe die Scheidung zwischen "Weltanschauung" und Wissen· J
Diese Metamorphose betrifft - wie bei dem dialektischen Verhältnis von
schaft auf den "Doppelhegriff" der Philosophie hinaus, den ein Neukantianer Teil und Ganzem nicht anders zu erwarten ist - sowohl den von den Wissen·
wie Riehl (im Anschluß an Dühring) propagiert hat: das System der positiven schaften gebildeten Teil, von dem die erneute Bewegung zur Philosophie hin
Wissenschaften einerseits, persongebundenes Ideal der Lehensführung ander- ausging, bei Dilthey also die Geisteswiss~nschaften, als auch die zum systema·
seits, eine Bestimmung, die die Abhängigkeit von einer vorübergehenden Lage, tischen Ganzen sich neu organisierende Philosophie. Für das erste von diesen
die dadurch in Permanenz erklärt wird, an der Stirn trägtl) -im Grunde die beiden Momenten ist die Sachlage nach allem, was bereits ausgeführt wurde,
Kantsche Trennung der Grundlagen der Erkenntnis von den Grundlagen. der klar:- daß die Geisteswissenschaften (\vie früher einmal formuliert wurde) ein-
Moral, die Zerteilung der Philosophie, gegen die die Deutsche Bewegung gerade
eindringen wollen
1
) Der Zusammenhang der philosophischen Bewegungen im XIX. Jahrh. Logos VI (1916) · die er reifende geschichtliche Wirklichkeit des menschlichen Lehens, dessen. eigene meta-
164. -Vorbericht V, XXII. Idee der Lehensphilosophie a. a. 0. S. 365 (Kantst. 31, 541). "m
physische gTiefe ·sich in transzendenten Setzungen veräußerlich t un d aus d'1eser V era"ußerIichung
190 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Busserl. Das Problem der Metaphysik. Ihr geschichtlicher Anblick (Dilthey) 191
immer wieder neu zurückgewonnen wird in die unendliche Agilität des von sich wissenden, fra" fende Grundtatsache des geistigen Lebens gemeint ist, die sowohl der Religion
genden, suchenden,· bildenden Geistes". (Idee der Lebensphil. 369).
und Dichtung als der Philosophie vorausliegt und in ihnen gleichermaßen,
Dilthey bezeichnet es einmal als seine "Entdeckung", daß "die Geschichte wenn auch in verschiedener Weise, einen gegenständlichen Ausdruck findet.
Wissenschaft ist" -was kann das anderes besagen, aJs daß sich ihm hier Und weiter, ob dieses Spezifische nicht auch den eigentümlichen Charakter
eine neue Möglichkeit von Wissenschaft auftat ? - Aber nun dasseihe auch einer geschichtlichen Hervorbringung hat, so daß nicht schlechtweg von dem
für die Philosophie. Sie steht nicht mehr als "Metaphysik" im Sinne der metaphysischen Bewußtsein "des Menschen" gesprochen werden darf, wie Dil-
Grundwissenschaft fest in seihstverständlicher Identität mit der scientia uni- they das tut, im Anklang an Schopenhauer, der über das "metaphysische Be-
versalis oder gar primär der mathesis universalis, sondern nimmt sich. seihst, dürfnis des Menschen'~ handelte und daraufhin den Menschen statt als animal
frei geworden, als: ein geschichtliches Phänomen. Aber wie kommt sie zu rationale als animal metaphysicum kennzeichnete.- Vorerst stellen wir zweier- II
I'
dieser ,freien Selhstnahme' ihres Daseins ? Doch wiederum nur auf dem Wege lei fest. Einmal, daß die "metaphysischen Begriffe" nach Dilthey eine analoge
der Wissenschaft;, durch allseitig-objektive Zergliederung ihrer seihst. Meta- Funktion haben wie Kants "Ideen" der Vernunft: sie leiten das Hinausgreifen
physik kann nicht Wissenschaft werden, aber Wissenschaft zeigt ihr das und des menschlichen Lehens über sich selbst.
tut an ihr dabei nicht bloß die negative Arbeit, jenen Anspruch aufzulösen,
Durch sie "finden wir uns über das Begrenzte und Endliche von Leben und Welt hinausgezogen,
sondern klärt sie positiv über ihren eigensten Willen und Wahrheitsgehalt auf, in eine reinere Ferne". Oder, um eine in seinen Papieren verstreute Formulierung zu geben:
um dessen Kraft zur Freiheit zu entbinden. Sie tut das, indem sie hinter das "Metaphysik ist das Ringen über die Schranken des in der Wahrnehmung Gegebenen hinaus
durch Aufhebung dieser Schranken mit der Kraft des Denkens. Metaphysik ist der Schrei des.
gegenständliche Phänomen der Metaphysik zurückgeht auf die "Grundmo- Willens nach Freiheit und Unabhängigkeit und Festigkeit in einem unbedingten Gut. Meta-
tive des metaphysischen Bewußtseins", aus denen ihre Macht zu verstehen physik wehrt sich,dagegen, das Schöne im bloßen Spiel von Farben und Tönen zu genießen, sie
sucht darin den wesenhaften Ausdruck einer Bedeutsamkeit der Dinge und des Lebens."
ist. Ja es ist nach Dilthey "das letzte Geschäft" der geschichtlichen Analyse,
das metaphysische Bewußtsein "neu zu rechtfertigen", indem .sie zeigt, Sodann aber: das Attribut "metaphysisch" dient bei Dilthey nicht hloß zur
daß "alles Große, was in der Geschichte geschaffen wurde, ganz vorwiegend auf Grund solcher Bezeichnung einer gesamtmenschlichen Weise des "Bewußtseins" im Sinne der
Positivität des Menschen geschaffen worden ist" (II, 498). W eltansicht, sondern auch geradezu als Ausdruck für die philosophische Ge-
Sie trifft sich auf diesem Wege mit Kants transzendentaler Analyse der Meta- samthaltung eines Denkers, wie er. z. B. ·von· Kant sagte: "er war eine meta-
physik: heide "graben derseihen Tiefe entgegen". Solche Aufklärung ist dann physische Natur". Er spricht vom "metaphysischen Erlebnis", von "meta-
aber - das· betont Dithey in jener Aussprache gegenüber Husserl - "nicht physischer Erfahrung" und gibt hier dem Genie des einzelnen seine Stelle -
historische Empirie, sondern Ausbildung des his~orischen Bewußtseins, eine eine Stelle, die ihm zukommen muß, wenn anders die Hervorbringung der
von geisteswissenschaftlicher Analyse ausgehende systematische Unter- Philosophie nicht ein Finden der geprägten Form, ein Inslebensetzen der Idee
suchung". ist, sondern ein Explizieren der Genialität des Lehens, das zugleich ein bedeu-
Wir werden noch fragen müssen, ob das "metaphysische Bewußtsein", wie tungsbestimmendes Schaffen ist.
hier das der Aufklärung Standhaltende genannt wird, sich schlechtweg mit der "Jedes metaphysische Genie drückt eine Seite der Wirklichkeit, die so noch nicht erblickt
"Weltanschauung" deckt; oh nicht diese Benennung auf etwas spezifisch worden war, in Begriffen aus. Ihm geht diese Seite auf im metaphysischen Erlebnis . . . Die
Energie des Erlebens, verbunden mit der eigenen Fähigkeit, im unpersönlichen V erhalten den
"Metaphysisches" hinweist, während mit "Weltanschauung" eine übergrei- allgemeinen Sachverhalt im Erlebnis zu gewahren, macht das Genie des Metaphysikers aus. Und
192 Die Auseinandersetzung Z'tvischen Dilthey und Busserl Busserls Enthusiasmus der 'absoluten Wissenschaft' Metaphysik '193
a~s der Abfolge solc?~r Erle~nisse erhebt sich die metaphysische Erfahrung, deren Gegenstand
em von dem der poSitiven Wissenschaften ganz unterschiedenes Erfahrbares ist" (1905. IV, 55).
Macht im Zeitlichen gab. Dilthey, der in ihre Domäne "auf dem Wege metho-
discher Wissenschaft" eindringen will, muß beides zu· verhinden suchen und
So urteilt derselbe Del).ker, der als Geisteshistoriker mit dem Spott über "die
macht eben dies, was ihn bewegt, zur philosophischen Aufgabe. Ob ihm 'die
philosophische Eitelkeit" begann, "die von einer Suprematie über die ,Einzel-
. Verhindung faktisch gelungen sei, wird man. bezweifeln: dürfen. Die gefähr-
wissenschaften' träumt. Als wäre .nicht die Philosophie auch eine ,Einzel-
liche Existenz des Philosophen, der, um sich den Dingen "vis-a-vis zu stellen",
wissenschaft' ". (1859. Ethica, 39).
Erlebnismöglichkeiten und nicht bloße Denkmöglichkeiteil zu durchdringen,
Es gibt sonach ein spezifisch philosophisches, als "metaphysisch" gekenn- seine eigene Haut zu Markte tragen JJIUß, hat er wohl in der geschichtlichen
zeichnetes Verhalten. Es mag dem des religiösen Genies oder des Küns:tlers Selbstbesinnung erprobt und durchgehalten, aber gerade nicht in der Un-
nächstverwandt sein - darauf blicken wir; Plato fragte na~h dem Verhältnis mittelbarkeit der aktuellen Verantwortung, mit der Nietzache oder Kierke-
des Philosophen zum Staatsmann - , jedenfalls aber ist es ein Organ des Wis- gaard die "neue Philosophie" dargelebt haben. Indes, die Aufgabe selber
sens, und das was in ihm gewußt wird, gehört, mag es auch nicht direkt bleibt - es müßte denn die ganze Richtung auf eine "wissenschaftliche'~
"übertragbar" sein, zu 4er "erfahrharen Wirklichkeit", von der erklärt wurde, Grundlegung der Philosophie. des Lehens ein großes Mißverständnis sein. Das
daß sie "die Eine Welt unseres Wissens" ausmache. Darf dann aber die Theo- müßte man zugehen, wenn der Begriff der Wissenschaft endgültig vollkommen
rie des Wissens um der "Allgemeingültigkeit" willen dieses wesentliche Wisse~ feststünde, nachdem er ursprünglich für die prima philosophia aufgestellt und
von sich ausscheiden ? Führt sie nicht vielmehr von sich aus, indem sie ihren dann von .den secundae philosophiae okkupiert worden ist. Das wird aber
Ausgangspunkt hinter die rein theoretische Schicht (der rein diskursiv fest• gerade der nicht annehmen, der in den freien schriftstellerischen Formen eine
stellbaren Ergehnisse von Erkenntnissen, und also des Übertragbaren) in das unversiegbare Ausdrucksmöglichkeit derselben Tendenz anerkerint, die als
Lehen selbst verlegt- das Lehen in seinem "Rohzustande", "vor der wissen- "Philosophie" des Lehens zu eine~ allseitig objektiven Betrachtung gelangen
schaftlichen Bearbeitung" - , führt sie nicht als "Philosophie des Lehen~'' in möchte. Damit ist dann aber eine Art von Objektivität gefordert, wie sie im
einen Zusammenhang hinein, innerhalb dessen erst. sich beides scheidet ? und Blick auf das metaphysische Genie als ein "unpersönliches V erhalten" mitten
wohl nie Wurzelhaft und endgültig. sich scheiden kann, wenn anders ·in der in der Ergriffenheit gekennzeichnet wurde.
ursprünglichen Konzeption des Logos, von der wir ausgingen (51), diesbeides So . geht aus Diltheys eigener Richtung die Frage nach der selbständigen
angelegt ist: das metaphysische Wissen vom Unergründlichen und die aUge,. Stellung der Philosophie gegenüber Weltansicht und .positiver Wissenschaft
meingültige Feststellung von Relationen des Endlichen, ,Vernunft' sowohl ~e hervor. Was sich da für die "Metaphysik" ergibt, werden wir erst zum Schluß
,Verstand'.- Ein "Lehensphilosoph" ist gewiß eine andere Figur als de~ Meta~ erörtern, nachdem der Zusammenhang, in dem diese Frage jetzt auftritt, bis
physiker. Aberdie freien Geister und großen Schriftsteller, an die sich Dilthey zu Heidegger hingeführt sein wird. - Auf die hier zurückbleibende Frage hatte
mit dieser Selbstbezeichnung anschloß, standen gerade in Opposition .. zur Husserl eine feste Antwort in dem Begriff der strengen Wissenschaft.- da-
Wissenschaft, sei es aus Verzweiflung an ihr, sei es in Bezweiflung des. Wertes· hinter stand eine Überzeugung, auf der die faszinierende Wirkung seiner "Lo-
der Objektivität der Erkenntnis üher~aupt. Sie besaßen dafür aus persön- gischen Untersuchungen" (im Unterschied zu der übertragbaren wissenschaft-
lichster Verantwortung heraus das "unmittelbare Verhältnis zum Lehen", das lichen Leistung, der Ausbildung der phänomenologischen Methode) beruhte:
ihren (ethischen:, religiösen oder politischen) Zielsetz~ngen die zwingende es. gibt absolute Erkenntnis, über die formale Logik und Mathematik hinaus

Misch, Lebensphilosophie. 2, Aufl. 13


, I
'I 194 Die Auseinandersetzung zwischen Dilthey und Husserl Der Fortgang in der Entwicklung der Phänomenologie 195
Ii '.I
ins Unermeßliche und dazugehörig eine bestimmte Einstellung, in der sie ge- hervorgetreten ist ~ ,,Formale und transzendentale Logik" (1929) -zeigt
wonnen wird. Die Einkehr des Blicks von den Dingen fort in der Gedanken ihn bei der ÜherprüfuJ:lg seines Standpunkts.
eigene Räume, in denen alles was Name und Gestalt hat, befreit von seiner Dieses Werk möchte uns schon durch seinen Titel verwandt berühren -
Wirklichkeitsschwere rein auf das hin zur Klarheit der "Anschauung" kommt, hatten wir doch eben dahin unsere Differenz mit Heidegger bestimmt, daß
'was diesem Namen und dieser Gestalt die unverrückbar feste Bedeutung
er "die Aufgabe der Philosophie nicht der Logik, der von innen heraus sich
und Umgrenzung gibt: diese alles Anthropologische ausstoßende Entwirk- erweiternden transzendentalen Logik" anheimgah (35). Auch Husserl erklärt
lichung, in der die vermeintlichen empirischen Tatsachen sich als "Wesens- (161): "Die Logik ist zur Führung berufen." Indes: auf diese wörtliche· Über-
gesetze der Empirie" enthüllen, das ist die spezifisch philosophische Haltung. einstimmung. ist noch wenig zu hauen, so wenig wie das bei jener Dilthey und
·Kann es einen größeren Gegensatz gehen als zwischen diesem metaphysi- Husserl gemeinsamen Anerkennung einer "allgem,eingültigen Theorie des Wis-
schen Anspruch des reinen schauenden Denkens und Diltheys "Hunger nach sens" der Fall war. Als "transzendentale Logik" bezeichnet Husserl, wie er
Wirklichkeit", der nach Befriedigung durch positive Wissenschaft verlangt ? selbst hervorhebt (238), "etwas total Anderes" als Kant, von dem wir die le-
Es mußte schon,· um hier zu einer Einigung zu kommen, auf beiden Seiten bensphilosophische Richtung mit ihrem Problem des Syndesmos der Kate-
etwas nachgelassen werden: dort der Absolutismus der W esenssphäre, an den gorien herkommen: sahen. Und die anscheinende Übereinstimmung (mit Hus-
Husserls philosophische Konzeption der entwirklichenden Realisierung von serl gegen Heidegger) kommt auch nur so verführerisch heraus, weil wir die
Sinn und Bedeutung (die "phänomenologische Reduktion") sich anknüpfte, Negation unterschlugen, die jener Bestimmung voranging: die Abwehr der
. hier der Lehenspositivismus des "verhärteten Empirikers". Das letztere liegt, "O~tologie". Dieser Gegensatz zur "Ontologie", der sich aus dem hermeneu-
wir haben das verfolgt, auf Diltheys eigenem Wege. Für das andere gibt eben tischen Charakter der im Sinne der Lehensphilosophie liegenden Logik er-
die durch Heidegger repräsentierte Wendung der Phänomenologie (ganz abge- gibt, liegt Husserl.fern, da er das Urteil- und zwar in der "theoretischen Be-
sehen noch von: seinem eigenen Einsatz) Zeugnis; ausdrücklich wird von einem deutung einer Funktion"l), wie es in der reinen Logik genommen wird:
. seiner Schüler Stellung genommen gegen "Husserls Tendenz auf eine Begrü~­ "Urteilen heißt': etwas in Seinsgeltung setzen" - als logisches Urphänomen
dung absolut wahrer Erkenntnis" 1 ), ja deren Ausgangshasis, die platonische nimmt, sich also an den den Lehensaussprüchen entgegengesetzten Pol der
Theorie der Mathematik, wird ahgehaut 2). Aber auch Husserl selbst ist nicht logischen Sphäre hält: die rein diskursiven Bestimmungen, in denen das Ge-
stehen geblieben .. Ein neues, nunmehr wieder seinem eigentlichen Herrschafts- meinte aufgehoben ist, so daß man es aus der Aussage voll entnehmen kann.
bereich, der Logik gewidmetes Werk, mit dem er nach langem Schweigen jetzt "Die Urteilsgestalt", so formuliert er dies erkenntnistheoretische Prinzip (105), hat zwar die
"Erfahrungsgestalt" unter sich, "aber das Unter-sich ist zugleich ein In"sich".
Für ihn ist also mit der Logik, die "zur Führung" berufen ist, von vornherein
1) Löwith, a. a. 0., 1928. Dazu Groethuysens Anzeige in der D. L. Z. 1929, Heft 46, (Zu
dem Punkt, an dem Löwith mit seiner Kritik einsetzt: daß für Husserl "die Sprache von sekun- die Ontologie gepaart und geht mit ihr gleichen Schritt, als ihr notwendiges
därer Bedeutung ist", vgl. die Göttinger Dissertation von P. Matthes, Sprachform, Wert- und Korrelat: "Ontologie" im Sinne von Gegenstandstheorie, "apriorische Wissen·
Bedeutungskategorie u. Begriff, 1926). Ferner H. Lipps, der in seinen Untersuchungen zur
schaft von den Gegenständen überhaupt" (128), wobei der Begriff ,Gegen·
I Phänomenologie der Erkenntnis 1927 zunächst unabhängig von Heidegger die Wendung voll-
zog. Dazu die Anzeige von J. König, D. L. Z. 1929 Nr. 19. stand' wiederum in dem urteilsmäßigen Sinne genommen ist als "Substrat
I 2) 0. Becker, Mathematische Existenz, Husserls Jahrbuch VIII (1927). Dazu M. Geigers Be-

sprechung in den Göttinger Gel. Anz. 1928 Nr. 9 u. Beckers Replik, diese Zeitschrift III (1929). 1) H. Lipps, Das Urteil. Festschrift für Husserl (1929) S. 283.
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196 Husserls Kritik der logischen Vernunft Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 197

möglicher Prädikationen" (150). Beides zusammen erst macht die "einheit- absoluten Ich ist - liegt nun der Fortgang über ~ie "formale" Logik oder
liche Sphäre" der Logik aus. Diese legt sich nur nach zwei Seiten hin ausein. vielmehr der Rückgang hinter sie, der uns wesentlich berührt. Wie Husserl
ander durch eine "thematische Umstellung", die immer möglich sein muß. diesen Gang nimmt und die Notwendigkeit desselben begründet, kommen
"Die formale Logik ist formal ontologisch, wenn sie die möglichen kategorialen Gegenständlich- dank der echt denkerischen Ehrlichkeit, mit der er von jedem Schritt Rechen··
keiten bewußt zum Endthema macht." schaft gibt, die (dem Außenstehenden bisher verborgenen) Motive zur Aus·
Dem ist so, weil diese ganze Sphäre von der Intentionalität des Bewußtseins sprache, die den Begründer der phänomenologischen Forschung zur Revision
durchherrscht ist, in der Meinung' und , Gemeintes' zusammengehören. Von seines Standpunktes gedrängt haben. Und so ermöglicht uns dieses Werk,
dieser - dank der zentralen Stellung des Urteils - gleich in der formalen die gegenwärtige Bewegung, an die wir bisher vornehmlich von Ditlhey aus
Logik angelegten Zweiseitigkeit her erstreckt sich die Logik-Ontologie durch herankamen, auch von der Gegenseite aus zu würdigen.
die ganze Theorie des Wissens hin ins Schrankenlose der objektiven Vernunft.
Die "kategorial geformte Gegenständlichkeit" (z. B. Natur, So~ietät, Kul- 2.
tur usw.) ist "nichts anderes als erfülltes Urteil entsprechender Sinnesform". Husserl kennzeichnet sein Werk als den "Versuch einer Kritik der logischen
So bleibt hier der Begriff der prima philosophia bestehen, den Husserl Dil- Vernunft"---'- also mit dem Kant'schen, von Dilthey für seine "Kritik der histo·
theys geschichtlichem Anblick der "Metaphysik" e11tg~genhielt. Von seiner rischen Vernunft" aufgenommenen Titel. Diese Kritik betrifft die überlieferte
Grundhaltung. gibt er nichts auf, er gräbt sich vielmehr nur noch tiefer in sie formale Logik, um deren Bewältigung es auch uns zu tun ist. Hier liegt eine
ein. Er geht auch jetzt wieder von dem "rein theoretischen Interesse" aus, gemeinsame Aufgabe.
das sich in den (exakten) Wissenschaften und "zuhöchst in der Logik aus- Sie ergab sich auf dem Ditheyschen Wege von der Theorie der Geisteswissenschaften aus,
ohne eine zureichende Lösung zu finden; denn Diltheys Auflösung des "Logismus" durch die
wirkt". Sein nächstes Anliegen ist, "die Einheit der formalen Logik und for- Lehre von den ,,elementaren logischen Operationen" kann den Logiker nicht befriedige~).. Die
malen Mathem.;ttik" festzustellen, und sein Ziel bleibt, einen "absoluten Bo- ungelösten Schwierigkeiten, die· in den Formproblemen zurückblieben, zeigten sich bei seiner
Herleitung der."Kategorien des Lehens" (105). Anderseits konnte da, wo im Anschl~ an Kaut
den" zu gewinnen, auf dem "die natürlich erwachsene Logik"- einschließlich die Theorie der Geschichte von vornherein als "logische Einleitung in die historischen Wissen·
der "formah;n Ontologie", und in ihrem Gefolge die anderen, "sachlichen" schaften" (der Untertitel von Rickerts Hauptwerk) unternommen wurde, die richtige und weiter-
Wissenschaften - erst zu "echter Wissenschaftlichkeit" gehracht werden führende Intention, die in diesem Unternehmen lag, deshalb nicht durchschlagen, weil hier so
l\ie bei Kant der überlieferte Formenbestand der reinen Logik unanalysiert stehen gelassen wurde.
kann. (239 f) Ein Beweis hierfür ist Windelbands berühmte Erklärung: "In der Sprache der formalen Logik
"Es ist. nur Eine Philosophie, Eine wirkliche und echte Wissenschaft, und in ihr sind die echten ausgedrückt, ist das Ziel der Naturwissenschaften das generelle apodiktische Urteil, das der an-
Sonderwissenschaften eben nur unselbständige Glieder." (239 f.) dem Wissenschaften der singuläre assertorische Satz." Da werden die auf der "Urteilstafel"
stehenden Unterschiede der Quantität und Modalität benutzt, um eine bestimmte Aus·
Und er findet diesen absoluten Boden - den voraussetzungslOS4;)ll Anfang der deutung des Unterschiedes von Naturwissenschaft und Geschichte ( Gesetzeserkenntnis ·gegen
Philosophie - an der Hand von Descartes und Hume in der "transzenden· Tatsachendarstellung) logisch zu sanktionieren durchAnknüpfung an "das wichtigste und ent-
scheidende Verhältnis im menschlichen Verstande", das des Allgemeinen zum Besonderen. Wäh-
talen Subjektivität" des isolierten erkennenden Subjekts, ja des als "abso- . rend für die Geisteswissenschaften (nach Diltheys Einsicht) gerade die "Verbindung. des Gene·
lutes Ich" angesprochenen allein-einsam philosophierenden Geistes. rellen mit dem Individuellen" wesentlich ist. Dieser Widerspruch, daß eine sachlich unzuläng•
liehe Theorie ihr Fundament in der formalen Logik finden und so sich ein für allemal sichern kann,
Aber auf dem Wege zu diesem Ziel- der "ahs~luten und letzten Universal- kommt dadurch zustande, daß die sichemde logische Formenlehre selbst in ihrer Kraft über•
wissenschaft" Philosophie, welches die "transzendentale Phänomenologie" des schätzt ist, so daß beim Anschluß der WissenschaftSlehre an sie Kurzschluß eintritt. Werden da· .
198 Husserls Kritik der logischen Vernunft Reflexi~nsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 199
gegen die iiherlieferten Formen der logischen "Elemente" einer Analyse auf ihre StrUktur. hin · logischen Reichs - dieser aber spiegelt den eigenen philosophischen Entwick-
unterzogen, so erweitert sich das Fundament der reinen Logik derart, daß gerade jenes Grul;ld-
lungsgang des großen Logikers. Das, was ihn selbst in seinen Anfängen be-
verhältnis, auf das llilthey in der Theorie der Geisteswissenschaften: stieß, sich als in der Logik
angelegt erweist. (ldee der Lehensphilosophie 369). wegte- ·
Erst durch die Ausbildung der phänomenologischen Methode ist clie Aufgabe Man wollte wirklich nur eine ,formale Logik'; wirklich nur ein wenig über die pure mathema-
"
. tische Analyse hinaus" (239), ·
lösbar geworden. Hier· können wir an einem bestimmten Punkt das Einver-
· - das macht er zum Anfang der Sache selbst: die "Einheit von formaler Lo_·
nehmen iD. der. wissenschaftlichen Arbeit feststellen. - Aber Busserl selbst
gik und formaler Mathematik". Die Kritik erfolgt dann aber nicht immanent,
geht nun jetzt· nicht in der Richtung vorwärts, die uns als das Produktive,
sondern kommt als etwas Nachträgliches hinzu,als Überprüfung der Fun·
Befreiende in seinen "Logischen Untersuchungen" erscheint. Er verwendet
dame~te. eines feststehenden, in sich abgeschlossenen Baues.
die von ihm ausgebildete Methode der Klärung der Begriffe nicht zu dem dri:ng-
Es ist nicht das aitersgraue Gebäude der formalen Logik,. sondern ein neu
lichen Geschäft einer ins einzeb;te gehenden Zergliederung des Formenbestandes
· hergestellter systematischer Aufriß derselben, der zugleich .die moderne Ent·
der überlieferte~,_am Urteil und Subsum:ptionsbegriff haftenden Logik. Eine
Wicklung der Mathematik zur Logik ins Reine bringen und die für unsere lo-
solche Zergliederung würde Punkt für Punkt für eine jede von den gleichna-
gische Tradition maßgebende aristotelische Schöpfung· konsequent . durch·
migen Formeri, die auf der "Urteilstafel" gleich einem Lageplan des Logismus
gliedern will auf. Grund einer ,Idee' der Logik, deren ,getrübte Erschemungs·
ausgebreitet vorliegen, die in ihr steckenden, durch das gestalthafte Typen·
form' durch die Geschichte geht. Dies beides vereinend, treibt Busserl gerade
sehen verdeckten wesentlichen Bedeutungsunterschiede herausstellen, würde
die isolierende Betrachtung der logischen Form in der Richtung· auf Reinheit
~ben dadurch, das Starre auflockernd, für die unterschiedlichen Bedeutungs·
. ~\ :·. derselben bis zum äußer~ten vor. Er scheidet aus dem Un:terbau der formalen
formen selbstjeweils im einzelUen die Gebundenheit an die sachlichen Unter-
_Logik nicht bloß den aristotelischen Bezug auf eine (wirkliche oder mögliche)
lagen des Gedankens nachweisen und so die antike Morphologie des Urteils
Welt sondern folgerecht auch die Idee der Wahrheit aus samt ihrem subjek·
von innen auflösen. Sie würde dann, um die in den vermeintlich "leeren"
tiven' Korrelat, der Idee der Erkenntnis ("in ihrein. Eigenwesen haben Urteile
Formen steckende .Vernunft der Sachen zu begreifen, d~zu gedrängt werden-'-
nichts von einem Anspruch auf Wahrheit und Falschheit'' 174.) Dadurch
wiederum rein im~anent durch die beweglich. werdenden Unterschiede der
wird ein schichtenweiser (dreisehichtiger) Aufhau der ganzen logischen Sphäre
logischen Formen dazu gedrängt werden - , hinter die rein diskursive Schicht
von unten her ermöglicht, der in seinem linearen Stil an die von Hobbes an-
der ergebnishaften Erkenntnisbestände zurückzugehen auf die Linien eines ge-
gegebene positivistische Hierarchie der Wissenschaften erinnert, aber seine
netischen Zusammenhanges von den im Lebensverhalten auftretenden Aus-
·wunderbare Geschlossenheit dein Uinstande dankt, daß die Basis auf das ober~
sagen her. -
ste Stockwerk hin (die "syste~atischen Theorieforme~.:', insbesondere die deduk·
Busserl geht bei ~einem Rückgang hinter .die überlieferte formale Logik
tive Systematik als reinste Form einer Theorie überhaupt) ausgerichtet. is~.
nicht so vor; ihm ist es überhaupt nicht u;m eine i:nriere Auflösung derselben
I, An die schon ehedem entworfene ,;ideale Grammatik", i1i der die Syntax der Aussage h~e1ts m ::_,
zu tun, sondern vielmehr um ihre endgültige Begründung; und seine "Kritik die· reine
· D"sk · "t''t
1 ursiVI a urteilsm. äß'1"ger " loa1sch_er
e- · Operationen" aufgelöst ist,
- schließt
. Sich,
• " ehe
der logischen Vernunft" dient diesem Zweck. ·_Er betreibt die phänomenolo- · die "Wahrheitslogik" kommt, als wesentliche Zwischenschicht eine "pur~ Konsequ~nzlogik. oder
,;reine Analytik" an, die den Beziehungszusammenhang des gjlda~~en Medi~ rem aus
gische Einzelanalyse nur noch zWischendurch: was er vornehmlich in seinem diesem selbst heraus entfaltet, "radikal" in der Beschränkung auf dieJemgen Relationen, w~lche
neuen Werke gibt, ist ein Übe~schlag im Gr~ßen über die Organisation des "durch dlls Eigenwesentliche des Urteils fundiert sind" (Beschlossensein, Inkonsequenz, Unver-
200 Busserls Kritik der logischen Vernunft . Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 201
trägli~e~t). Durch die Verselbständigung dieses isoliert faßbaren Beziehungszusammenhanges
fahrungswisse nschaften aufzurichten. Nur daß jetzt nicht mehr bloß wie der·
und die Hinlagerung desselben zur Unterschicht, die das ganze Gebäude der Logik trägt, ist das
erste Anliegen erfüllt, die Bestimmung des logischen Orts der formalen Mathematik. Denn diese maleinst an den Einzelwissenschaften (des näheren: den mathematischen
ist eben, als Mathematik der ,Widerspruchslosigkeit' dadurch gekennzeichnet, daß sie sich der Naturwissenschaften) das kritische Geschäft vollbracht wird, die in ihnen ent·
Fragen nach Wahrheit und Wirklichkeit entschlagen mag und es für sie "keine anderen Er~
kenntnissorgen gehen kann als die unmittelbarer oder mittelbarer Konsequenz und Inkonse- haltenen Voraussetzungen begrifflich herauszustellen und das Recht ihrer ob·
quenz" (124). Damit verlegt sich also die ganze Problematik der formalen Logik, die schließlich jektiven Geltung zu begründen, sondern an der formalen Logik selbst. Diese
~och ~en "eigentlich logischen Sinn" erst als Wissenschaftstheorie erhält (123), in die Mög-. kommt nunmehr neben jene zu stehen als eine bloß "objektive" oder "positive"
Iiehkelt des Überganges von der "puren Konsequenz" des Gedankens (im Sinne der axiomatisch
bestimmbaren "mathematischen Existenz") zu der "Wahrheit", Wahrheit in dem durch die Logik", da sie gleich ihnen sich nicht auf ihre Voraussetzungen besinnt, son·
Intentionalitätstheorie bestimmten Sinn der Ädaquation an "die Sachen selbst" ("sachliche dern "in dogmatischer Naivität", auf dem Boden der "natürlichen Einstel-
Wahrheit" oder "Richtigkeit") - sie verlegt sich naturgemäß an diese Stelle, wo das Hetero-
gene, das Husserl au fondvereinen will: die moderne (Hilbertsche) Mathematik und die schola- lung" verbleibt.
stische (Brentanosche) Tradition, zusammentrifft. So ähnlich erschien es uns nun freilich auch, als wir - im Blick auf die an·
Auf diese kritische Stelle in dem von ihm selbst hergestellten Bauplan der tike Logik-Ontologie -von einer "vorkritischen, sozusagen natürlichen Ein·
formalen Logik bezieht sich dann die Kritik. Ihr Resultat ist das Eingeständ- stellungder logischen Reflexion" sprachen (30 u. a.), Aber innerhalb des Zu·
nis: ])ie reine (analytische) Logik ist keine "eigenständige Wissenschaft". sammenhanges von Husserls philosophischen· Gedanken bekommt diese Be-
"Eine eigenständig ausgebildete Logik der idealen Bedeutungsgebilde stimmung ein ganz anderes Schwergewicht, das sich gedoppelt auswirkt. Zu·
i_st eben so unphilosophisch wie die positiven Wissenschaften" (12. 154). nächst bedeutet sie, daß die "objektive" Logik - mitsamt der gleichfalls ob-
·In Verfolg dieser Einsicht wird dann das, was anfänglich in die Ferne ge- jektiv eingestellten "naiven Phänomenologie" der "Logischen Untersuchun-
schlagen war, die "Sachhezüglichkeit" der gedanklichen Formen, hinterher gen", die doch in ihrer Positivität gerade die produktiv fortschreitende For-
wieder herbeigeholt, wenn auch nur in prinzipieller .,Allge,meinheit: die Mög- schung repräsentieren - unter die "unechten" Wissenschaften verstoßen wird.
lichkeit, ein Urteil aus verworrener Meinung zur "Deutlichkeit" zu erheben, Zugleich aber bedeutet dieser Parmenideische Bannspruch eine Revolution im
-diese Möglichkeit des "eigentlichen Vollzuges eines Urteils (als Meinung)", eigenen Hause des Lichts, wo die Göttin der Wahrheit thront. Denn die "Vor·
auf der die reine, von den sachgehundenen Wahrheits- und Klarheitsfragen aussetzungen", die HÜsserl im Fund.<~ment der formalen Logik aufdeckt, um-
noch unbehelligte Kon~equenzlogik beruht, - diese für die Abgrenzung der fassen eben jene philosophische Überzeugung, die in dem phänomenologischen
reinen "Mathematik der Urteile" entscheidende Möglichkeit wurzelt "nicht Analytiker den Enthusiasmus der Metaphysik entzündete: die Identität der
. nur in den syniaktischen Formen, sondern auch in den syntaktischen ideal~n Bedeutungseinheiteii, die Stufenordnung der Evidenz (die Möglichkeit,
Stoffen'' (194). jedes Urteil aus der Verworrenheit in die Deutlichkeit der Meinung und schließ-
Wie aber kommt nun die Selbstkritik zu diesem Resultat ? Sie kommt dazu lich in die Klarheit der erfüllenden Anschauung üherzuiühren), den Anspruch
durch die F~age nach den "Voraussetzungen", die dem in sich geschlosse- auf Wahrheit, der den Urteilen, obwohl er ihnen nicht eigenwesentlich ist, nun
nen Aufhau der formalen Logik zugrunde liegen, -also prinzipiell auf dem- doch zukommt: womit vorausgesetzt ist, "daß jedes Urteil an sich entschieden
selben (axiomatischen) Wege, der in den klassischen Systemen der neuzeit· sei'·'. Diese "idealisierenden" Voraussetzungen (es gibt noch andere Arten)
. liehen Metaphysik von Descartes an beschritten wurde, um diephilosophische sind "naive Grundüherzeugungen": das Sichverlassen auf ihre Evidenz ist
•. Grundwissenschaft in ihr~r Überlegenheit gegenüber den aufbegehrenden Er- selber eine Naivität. -
202 Busserls Kritik der logischen Vernunft Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 203
Hiermit ist der , Gigantenkampf' u~ die usia, in dem die ,ldeenfreunde' den hafte, was in diesem freischwebenden Rau:m sich der phänomenologischen
,Erdstä;mmigen' gegenüberstanden, in das Reich der Ideen selbst zurückver- Sinn-Analyse darbietet, als etwas Gestaltetes, "Konstituiertes" genommen
legt: um die Bestimmung von deren usia- de_s Seins der "irrealen (,idealen') wird, um von seinem "Ursprung" her als ein sich Konstituierendes erblickt
Objekte"- geht der Kampf, und in ihm kehrt die alteParieiung wieder, so daß und verfolgt zu werden. Erst hierdurch bekommt die "phänomenologische
sich nun innerhalb der phänomenologischen Richtung der Gegensatz auftut, Reduktion" jenen wesentlich philosophischen Zug, den wir als "entwirk-
an den wir bei unserer Darlegung des Begriffs «l:er Bedeutung ank~üpften lichende Realisierung" bezeichneten. Und eben dies ist nun die Bestim-
(103): Positivismus oder Dogmatismus- Idealismus oder Kritizismus. Bus- mung. der nicht bloß positiven, der "transzendentalen" Phänomenologie und
serl kennzeichnet die "erste", die "positive" Logik und die zu ihr gehörige Logik: sie ist "konstitutive Ursprungsforschung", ihr ,,Universalproblem" ist
Phänomenologie dahin, daß sie "naiv· geradehin auf eine objektiv-ideale Sphäre das 'der ,.,transzen'dentalen Konstitution aller Transzendenzen, ja aller Gegen-
gerichtet" ist, und diese ihre "Weise, naiv geradehin evidente Wahrheiten zu ständlicb:keiten überhaupt" (223). Die intentionale Analyse, die zusieht, wie
schöpfen", erklärt er für "eine Art philosophischer Kinderei" (12, 131, 197). ;,irgend ·eine Art von Gegenständlichkeifen .... · ihren Seinssinn in der Sub-
Demgegenüber ist dann das Ernstmachen. mit der Philosophie durch die um- jektivität und für sie aufbav.e~" (151), ergänzt sich und vertieft sich zugleich
gekehrte, inverse Richtung .des Blicks gekennzeichnet: "Reflexionsthematik" zur genetischen. "Sinnesgenesis des Urteils" ist die Aufgabe.
im Gegensatz zur "geraden Thematik".
Die genetische Wendung ergibt sich hier durch konsequente Durchführung
Es ist aber eine Reflexion sozusagen in doppelter Pote~z: die erste Rück~ der kritischen Reflexion auf die "Voraussetzungen" der formalen Logik. Hus-
wendungdes Blicks führte von den Dingen in der "Welt der natürlichen Ein- .serl fragt nach ihnen nichtbloß in dem vorhin angegebenen Sinne, axiomatisch,
stellung" fort auf das "Vermeinte als solches'' (cogitatum qua cogitatum) und sondern zugleich auch im kantischen Sinne der Frage nach den ,Bedingungen,
legte damit, wie vorhin angegeben wurde, durch "Einklammerung" der Wirk- der Mögli~hkeit'. Er fragt: wie ist Logik möglich ? Er stellt also Kants Frage,
l~chkeit den eigenen Raum der Gedanken bloß, in dem nun der phänomeno- wie Natur möglich sei, die Frage, die er selbst für die Gegenständlichkeit über-
logische Analytiker mit den Leitfaden der Intentionalität, der Beziehung von haupt stellte, konsequent nun auch für die zum Gegenstand der Reflexion, ge-
Meinung und Gemeintem (noesis und noema) in der Hand sich frei bewegen machte foru;_ale Logik. Und da ergibt sich: in den logischen Prinzipien -
konnte. Nunmehr_ greift auch dieser Bewegung gegenüber die Rückwendung auf deren L~slösung von der Weltbezogenheit die "in .sich geschlossene Form·
ein, eine Reflexion neuer Art. Sie betrifft den noch unverdampften Rest von . gesetzlich~eit" der reinen, mit der formalen Mathematik ~inigen Widerspruchs-
Festigkeit: die intentionale Richtung· auf Gegenständliches hin, die auch bei logik beruhte - ist die "Grundvoraussetzung" verborgen, daß die Urteils-
jener Einklammerung der Wirklichkeit des Gemeinten noch von der natür- glieder (die ~,syntaktischen Stoffe", die in der Einheit eines formalen Zusam-
lichen Einstellung her erhalten blieb. Sie mußte erhalten bleiben, da die "irre- menhanges auftreten), "sachlich ,miteinander zu tun' haben"- oder, anders
alen" (idealen) Objekte nach Husseri uns "genau so ursprünglich" wie reale ausgedrüc::kt: daß "der Urteilsinhalt überhaupt einen ,Sinn' hat" (195).
Gegenstände durch "Erfahrung" oder "Wahrnehmung" gegeben sind, wenn
Das ist nuri wohl, allgemein angesehen, die klassische Überlegung Kants, an
au~h in eigener (kategorialer) Evidenz (150 u. a.). Nun aber wird durch die
die Lotz'e· die Aufgabe der Sachlogik anknüpfte:
gesteigerte Reflexion die Eigenständigkeif des losgebundenen Raumes d(fr Ge-
"Wäre unter den Erscheinungen, die sich uns darbieten, eine so große Verschiedenheit dem In-
danken selber aufgehoben lind zwar dadu:rch, daß alles Nennbare und Gestalt- halte, d. i. der M~nnigfaltigkeit existierender Wesen nach, daß auch der allerschärfste mensch·
204 Husserls Kritik der logischen Vernunft Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 205
li~he Verstand .durch Vergleichung .... nicht die mindeste Ähnlichkeit ausfindig machen könnte hat in seinem Inhalt Zusammenhang durch den Zusammenhang der Sachen in der synthetischen
(~m Fall, d~r siCh wohl denken läßt), so würde das logische Gesetz der Gattungen ganz und gar- Einheit der Erfahrung, auf deren Boden es steht .... Vor allen Urteilen liegt ein universaler
mcht stattfmden und es würde kein allgemeiner Begriff, ja sogar kein Verstand stattfinden." Boden der Erfahrung. Er ist als einstimmige Einheit der Erfahrung vorausgesetzt." -Das,
Es ist die Schluß- Überlegung, die im kantischen Lager die typische rückläufige was in dieser "einheitlich erfahrbaren Sachlichkeit" enthalten ist, wird nur expliziert durch die
Form des logischen Ganges erzwingt, von dem subjektiv-idealistischen Ein- "besinnliche Fragestellung", die auf den angegebenen Stufen der Reduktion und Blickumstel-
lung "immer weiter" zurückgeht, um das, was sich in der fraglosen Selbstverständlichkeit des
satz der reinen formalen Logik aus nachträglich zurück zu einem objektiven Evidenten darbot, in seiner wesenhaften Notwendigkeit "ursprünglich" zu begreifen und so
Idealismus. Wo dann unschwer sich zeigen läßt, daß dieses Letzte, worin der zur "Urstiftung seines Rechts" zu gelangen (184. 189. 246).
logische Gang "weltanschaulich" ausläuft, im Grunde das Erste war, oder So gelangt Husserl durch eine potenzierte Reflexion - man möchte es mit
vielmehr - da es "kein Erstes und Letztes gibt" ( Goethe) - der Mittelpunkt einem Hauptbegriff seiner mathematisierenden Logik als eine "Iteration"
ist. Und nur ein Schritt noch, und jenes Letzte wird auch als Mittelpunkt ge- der Reflexion bezeichnen - an derselben Stelle an, die uns als die Mitte der
nommen, ein Schritt freilich, der eine Umkehrung der ganzen Einstellung be- lebensphilosophischen Logik erschienen ist. Es wäre leicht, die Wendungen
deutet: die Rückkehr zum Ursprung in der übergreifenden Einheit, aus der zu häufen, in denen sich dies schon rein terminologisch ausprägt, sowohl die
gleichermaßen die Sachhaltigkeit unserer intentionalen Energien und der Sach- wesentliche Nähe wie die Ferne, die durch die reflexionsmäßige Doppelung
gehalt des Erlebnisses entspringen 1). Aber Husserl vermeidet diesen berühm- (zusammen mit der - hier von uns ausgeschalteten - Substantiierung des
ten gefährlichen Paß über die Höbe der "Kritik der Urteilskraft". Er zwingt "Ursprungs") bedingt ist. Er spricht von dem "intentionalen Leben", kenn,
durch die Kraft seiner Analyse den Übergang in die reine Logik ~elber hinein. zeichnet dieses "Leben" als "leistendes", "aufbauendes" und die konstituie-
Durch die "Enthüllung" jener Grundvoraussetzung wird die naive Sicherheit rende Leistung der Intention als "teleologische Funktion" - zumal in bezug
erschüttert, mit der die "positive" Logik auf der "Evidenz" ihrer Grundsätze auf die Wissenschaft: "Gebiet und Theorie konstituierendes Leben". Er
fußt, als ob es genüge, daß man sich an irgend einem als Beispiel genommenen spricht von der "bildenden Aktivität", die zum Thema der logischen Reflexion
Urteil die Prinzipien der Logik in fragloser Klarheit unmittelbar einsichtig gemacht werden müsse; er betont den eigenen Charakter der "Konstitutions-
machen kann. Die Möglichkeit dieser "Evidenzmachung" selbst trägt verbor- Analyse" gegenüber der statisch-intentionalen der Bentano-Schule, die wir
gen in sich jene Bedingung, daß das als Beispiel gewählte Urteil nicht sinnlos, (oben 29, 66) kritisierten. Er findet diesen Charakter "schöpferisch" in Hin-
sondern inhaltlich ein Ganzes sei, dessen Teile sachlich etwas "miteinander zu sicht auf die Grundbegriffe der Theorie des Wissens, die auf solchem Wege ge-
tun" haben. Und um diesem Tatbestand gerecht zu werden, müssen wir hinter klärt werden, so daß er von einem "schöpferischen Erwerben" dieser Begriffe
die Urteile, die wir als "fertige Produkte" aufgreifen, wenn wir sie als beispiel- und von ihnen selbst als ,,schöpferisch erworbenen konstitutiven Einheiten"
gebende Anhaltspunkte zur Illustrierung der idealen logischen Formen ver- sprechen kann. Er faßt das Thema der Phänomenologie zusammen als
wenden, wir müssen hinter diese fertigen Produkte zurückgehen und. ihrer Ge- "aufhellende Untersuchung" der Einheit des "Bewußtseinslehens" und der "zur Einheit eines
Lehensapriori gehörigen Strukturformen", als eine Forschung, die "immerfort den reinen Mög-
nesis nachforschen "aus den Ursprüngen ihrer Sinnbildung heraus". Dann
lichkeiten eines erkel).nenden Lehens überhaupt und in ihm erzielter Erkenntnisgebilde überhaupt
ergibt sich : nachgeht" und so im "strukturellen Verständnis der logischen Idee" weiterschreitet.
"Die einheitliche Vollziehharkeit des Urteilsinhalts liegt vor der Vollziehharkeit des Urteils Auslegung des "Bewußtseinslebens" als "Geltungsleben", "strömendes Kon·
selbst." "Naives Erfahren und Urteilen geht in Wesensnotwendigkeit voraus." "Jedes Urteil
stituieren", "mein transzendentales Leben" - solche Prägungen sind jetzt
1) Einleitung zu Lotzes Logik (1911) S. LXXIV. Goethe, Platon, Kaut (1914), Logos V, 285. möglich, wo sogar den Äquivokationen, deren: Auflösung ein Hauptbetätigungs-
206 Husserls Kritik der logischen Vernunft Reflexionsgang von der formalen zur transzendentalen Logik 207.

feld für den phänomenologischen Analytiker ist, eine "Wesensnotwendigkeit" schema: ~erworren- deutlich- klar, das bei Leihniz, dem "Intellektuierer der Sinnlichkeit"
leitend war, sondern so, daß innerhalb der einen Gattung "Erfahrung" die verschiedenen
zuerkannt wird. Sie sind notwendig, sofern in ihnen für den "geradehin"
Strukturformen der Evidenz unterschieden und ihre Abwandlung aus der W echselheziehung
gerichteten Blick eben das zusammengeht, was vom Ursprung her als sich zwischen der Bewußtseinsweise und dem zugehörigen Gegenstandsgebiet begriffen wird. "Evi-
scheidend und verwebend zu erblicken ist (159). Ja Husserl kommt in seiner denz und Intentionalität sind zusammengehörige korrelative termini".
Schließlich 3. gegenüber der statischen Fassung des einleuchtenden Lichts: Evidenz ist nichts
Abwehr des "logischen Absolutismus'' und einer "von den idealen Ideen der
Starres, weil sie, in den Zusammenhang der Erlebnisse eingestellt, nur in der Spannung von
,exakten' Wissenschaften .verblendeten" Philosophie und Logik zu einer Ver- Intention und Erfüllung, "abzielender und • verwirklichender Intentionalität" ihre Funktion
herrlichung seiner Errungenschaft des transzendentalen Verfahrens, die un- ausübt. Auch hier schwingt mit dem intellektuellen Grundton der Lehre von der Intentiona-
lität -ich intendiere etwas =ich ziele auf etwas hin als Gegenstand, Gegenstand wiederum
mittelbar an Fichte anklingt (246):
als suhiectum von Prädikationen- der erlebnismäßige Unterton des Wortes mit, wo das "Ab-
.,So verfahrend hat man stets von Iieuem lebendige Wahrheit aus dem lebendigen Quell des sehen auf ... " den weiten Sinn dll.~ Gerichtetseins auf "Verwirklichung" des "Erstrebten
absoluten Lehens .... " und Erzielten" hat (157).
Stärker noch berührt uns das, was aus dem eigenen produktiven Zuge der
phänomenologischen Methode hervorgeht: die Analyse der Evidenz, die seit So schafft Husserl~ Analyse der Evidenz freie Bahn an der schwierigen Stelle,
den "Logischen Untersuchungen" stetig forgeführte Durchforschung dieses wo das philosophische Fragen zu enden und ·der Absprung ins Absolute zu
entscheidenden Phänom~ns, von der Husserl selbst hervorhebt, daß durch sie kommen pflegt, an der Stelle, wo gerade Bentano mit seiner Schule sich hinge-
erst ,,eine ernstlich wissenschaftliche Transzendentalphilosophie ("Vernunft- baut hatte, um durch die Lehre von den "als richtig charakterisierten" Akten
kritik") möglich geworden" sei. "Die Berufung auf Evidenz hört auf, sozu- der E~kenntnis und gar der Liebe den Fortsetzern Kants den Weg zu verlegen.
sagen ein Trick der erkenntnistheoretischen Argumentation zu sein" (140 f.). Und trotzdem kommt auch er auf "absolutem Boden" zur Ruhe. Die Rück-
Evidenz ist nichts Isoliertes, nichts absolut Sicheres, Zweifelloses und nichts kehr zum Ursprung - aus dem "Quell des absoluten Lebens" schöpfen - be-
Starres, sondern eine eigentümliche Weise der Erfahrung, eine unter anderen, dt:"Utet, sobald es sich um den systematischen Aufbau der Philosophie - dieser
ausgezeichnet durch die "Selbsthabe" (oder subjektiv gewandt: "Selbstge- alleinigen und allumfassepden Wissenschaft - handelt, zuletzt nichts mehr
bung") der Sache, aber dit\se Auszeichnung kommt ihr nur zu durch ihre Funk- weiter als das geläufige Anliegen der konstruktiven Systematiker: einen ,vor-
tion innerhalb des· Zusammenhangs der Erlebnisse. aussetzungslosen' Anfang gewinnen als Ausgangspunkt für Deduktionen, die
Sie ist 1. nichts Isolie~tes; denn sie fordert andere Erlebnisse zur .,Vervollständigung ihrer ob-
in ununterbrochenem folgerechtem Gange vorwärts führen mögen bis zu der
jektivierenden Leistung" - 2. gegenüber ihrer angehliehen Apodiktizität: das Haben der
"Sache selbst" kann mehr oder minder vollkommen sein, und dabei braucht die Unvoll- Erscheinungswel~ hin, so daß diese mit ihren zeitlosen Grundverhältnissen sich
kommenheit kein Mangel zu sein, den man beheben möchte, sondern kann wesentlich zu einer einfügt in den in sich geschlossenen denkerischen Aufbau. Das "absolute Ich",
bestimmten Weise des Erfahrens gehören, wie das z. B. bei der Evidenz der "äußeren Erfahrung"
der Fall ist. das je mein eigenes ist, ist zu dieser Rolle als arche bestimmt, weil "dessen ·
Die phänomenologische Analyse dieser "sinnlichen" Erfahrung, die den eigenen Sinn der- Sein dem Sinn der Welt erkenntnismäßig vorangeht" (202). An diesen "Pol"
selben als der legitimen, zu Naturgegenständen zugehörigen Weise der Erfahrung klarstellte, und
angebunden soll das phänomenologische "Sicheinleben in den Gang der Welt-
die objektivistische Richtung der Brentano-Schule, in der Husserl von einer "Wahrnehmung"
der idealen, irrealen Gegenstände gleich det von realen sprach (wie Stumpf von d~r "Sachverhalts· erfahrung", dieses reduktiv-analvtische V erfahren, das durch Infragestellen
wahmehmung"), schließen sich durch diese Relativierung der Evidenz erst in philosophischer der Wirklichkeit den Sinn des Wirklichen jeweils im einzelnen aufweist, über-
Absicht zusammen. Die platonische Scheidung zwischen aisthesis und noesis, horata und noeta,
wird dadurch von innen überwunden: nicht durch das (dabei mitspielende) aufklärerische Stufen- geführt werden in eine ,,systematische Aufwicklung der kon·stitutiven Proble-
208 Husserls Kritik der logischen Vernunft Die Cartesische Tradition 2Q9,

matik". Und von diesem in "systematischer Stufenfolge fortschreitenden'' um dann wieder zurückgenommen zu werden, und wir brauchten nur auf das
Gang heißt es : zu verweisen, was schon genugsam ·ausgeführt worden ist: daß eben hier das
,.Dadurch allein ist jenes letzte Weltverständnis zu schaffen,, hinter das, als letztes, es sinnvoll lebensphilösophische Prinzip einsetzt, das Dilthey vor Husserl voraus hatte
nichts mehr zu erfragen und zu verstehen gibt" (214). , und das durch Heideggers Bestimmung des Daseins als "In-der· Welt-sein"
So setzt sich auf dem Boden der "transzendentalen Subjektivität" das Ideal endgültig gesichert sein dürfte. Durch das "Ausgehen von Leben und Totali-
der absoluten Erkenntnis noch einmal durch, das Platon objektiv-kosmisch tät" sollte ja, um an die Diltheyschen Formulierungen zu erinnern, die "künst-
konzipierte: wie Gott blicken ... , das Ideal, da~ Regel durch die "Wissen- _liche Isolierung" des Subjekts aufgehoben werden, die die Lehensbe:J:üge des
schaft der Logik" erfüllen wollte: "Die- Darstellung Gottes, wie er in seinem "empirischen Bewußtseins" zerreißt (67, 128), die "Annahme einer Bewußt-
ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist". seinseinrichtung,
.
in welcher das Verhältnis von Subjekt und Objekt als psycho-.
Nur daß jetzt die lchheit des einzelnen Geistes, der sich "als transzendentales logisch ursprünglich gesetzt wäre". So wollte Dilthey (1, 418) den "Satz des
Ego von außen bedingt findet" (243), als "intentionaler Urgrund" den "Ur- Bewußtseins" durch den "Erlebnissatz" als den umfassenderen ersetzt wissen.
logos" ausmachen soll, "aus dem alles Logische entspringt". Das "von außen (VII, 230) - er umfaßt auch das "metaphysische Erlebnis".
Bedingtsein" ist eine "von mit, dem Denkenden, konstituierte" Idee, und Wenn hier noch ein Zweifel zurückbleiben mochte, da Heidegger das Festhalten an dem Carte·
sischen Prinzip als eine Dilthey und Busserl gemeinsame Rückständigkeit behandelt und be-
dieses "subjektive Apriori" umgreift auch die Idee Gottes, denn "auch Gott ist kämpft, so ist auch die~ Bedenken jetzt leicht zu beheben und· zwar dank der positiven Aufklä-
für mich, was er ist, aus meiner eigenen Bewußtseinsleistung" (222). . rungsarbeit .der vorwärtsgehenden Phänomenologie selbst. Denn das Verwirrende dürfte in dem
Wir verfolgen die ingeniösen Konstruktionen nicht, m,it denen diese "ego- gebräuchlichen, auch. von den maßgebenden Phänomenologen bislang unbedenklich gebrauchten
Ausdmck ,;Bewußtseinserlebnisse" liegen, der das vereint, was gerade zu scheiden ist: (inten·
logische", "solipsistische" transzendentale Logik sich an der ihr gestellten Auf- tionales) "Bewußtsein von .•. ~· und "Erlebnis". Und diese Verwirmng wird durch schlichte ·
gabe abarbeitet: in der "Sphäre primordialer Eigenheit" des isolierten Sub- ("positive"!) phänomenologische Analyse beseitigt, sie ist von H. Lipps durchgeführt, der fest-
stellt: "Es gibt überhaupt keine ,;Bewußtseins"-erlebnisse... "Erlebnis" meint das, wo
jekts die "Motivationsbasis" aufzuweisen für die Konstitution der sie über- man dabei ist. Nur in der Welt kaimetwas erlebt werden 1 )."
schreitenden Transzendenzen, durch "Wesenswahrheiten", die wohl "ein für Heidegger vermeidet überhaupt den ternrlnus: "Bewußtsein", er sagt statt dessen: "In der
allemal", aber "ausschließlich für mich" gelten, stufenweisefortzuschreiten zum Welt sein'', aber bei dieser anscheinenden Antithese steht zwischen inne der Begriff: "Er-
) lebnis". Und wenn man der Ausbildung seiner Terminologie nachgehen wollte; so würde sich
gedanklichen Aufbau "aller möglichen Welten". diese Vermittlung auch positiv herausstellen (in den Schriften seiner Schüler, die vor der Ver-
Es will uns aber scheinen, daß das Verfängliche hier nicht eigentlich Husserls . öffentlichung von "Sein und Zeit" verfaßt sind, wird das deutlich). . _
Festhalten an dem Cartesischen Prinzip des Bewußtseins ist, sondern sein Ver· Aber dies ist nun nicht die en;i:scheidende Frage, auf die uns Husserls logisches
bleiben in der rein theoretischen Einstellung, ja die Behauptung von deren Werk hindrängt. Es geht vielmehr um die Bedeutung des "rein theoretischen
Primat, die in jenem Prinzip mitenthalten ist. Interesses", das uns hier in seiner ganzen Stärke, freilich auch .mit der Selbst·
Wäre das erstere der Fall, so hätten wir leichtes Spiel. Denn wenn. es sich sicherheit des in der "strengen Wiissenschaft" lebenden Logikers en~gegentritt.
hier nur um das Ausgehen vom Ich des isolierten Einzelwesens handelte, dem Daß Husserl sich nrit seiner ,,transzendentalen Logik" als Fortsetzer nicht
1) H. Lipps, Zur Frage der psychologiscllen Eigenart der sog. Naturvölker, die&. Zs. IV, (!0 ~
das Du (sei es als ,Alter-Ego', s.ei es als Gott) gegenübersteht, von dem neu·
Diese Bemerkungen ergänzen in willkommener Weise die von M. Geiger angegebene Unterschei-
tralen "Es" zu schweigen, so hätten wir hier eine isolierende Abstraktion von dung zwischen psychischer Realität und Erlebnis, Fragment über.den Begrlff des Unbewußten,
der gleichen Art, wie sie in Husserls Aufriß der formalen Logik angesetzt wurde, Busserls Jahrb. IV (1921).

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aun, 14


210 Busserls Kritik der logischen Vernunft Die Cartesische Tradition 2U

eigentlich von Kant, sondern von Descartes (zusammen mit Hume) begreift, Erklärung" durch ein vollständiges Axiomensystem gibt (82)- beunruhigt
das weist auf diesen Punkt hin: auf den eigentlichen Zusammenhang des Abso- nicht das Rätsel der Existenz des Endlichen, das den Metaphysiker quält.
lutismus der 'Subjektivität mit der rationalistischen Tradition der abendlän- Heidegger wird das heraufholen. Husserl glaubt rein analytisch aus dem
dischen Philosophie.
Wesen des "Bewußtseinslebens". erweisen zu können, daß dieses "absolute"
Bei Descartes selber ist freilich- das betonten wir bei der ersten Erörterung . Lehen "auf Vernunft angelegt" ist. Die ,Vernünftigkeit des Wirklichen' ver·
der systematischen Aufgabe (25) - das Selbstbewußtsein des Einzelwesens gar dünnt sich ihm zu der "beständig vorgezeichneten Präsumption, daß die Er-
nicht der absolute "Anfang" der Philosophie, sondern nur der vorurteilslose fahrung im gleichen konstitutiven Stil beständig fortlaufen werde" (222, 196).
"Beginn" des denkerischen Weges, der zu dem eigentlichen Anfang hinführt. Der Begriff des "einheitlichen Erfahrungsbodens", auf den die formale
Denn so unbedingt, absolut gewiß auch das Wissen ist, das mich meiner Exi- Logik rekurrierte, entäußert sich der in ihm enthaltenen Antizipation der To-
stenz versichert: in eben diesem Wissen von mir selbst finde ich mich als be- talität (des Überschritts über "das Seiende im Ganzen", wie Heidegger es fas·
dingt und endlich und werde durch mein Wissen vom Unendlichen notwendig sen wird} und entschlägt sich vollends des (wie wir meinen) hier einschlägigen
hinausgewiesen über mich selbst und die Gedankenwelt, ditj nur mir gehörte. ,metaphysischen Wissens'. Aber wenn er solchermaßen bei seinem Vorhaben,
So ist auch bei dem berühmten "Brückenschlagen" des Descartes die tra- die Intention des Descartes ganz rein und konsequent zu verwirklichen, den
gende Überzeugung: daß es einen Weg vom Ich zur Welt, sowie von der den Hintergrund versinken läßt und nur eine Fläche greift, so ist das doch die
Gedanken selbst immanenten" Wahrheit" zur Wirklichkeit nur über Gott gehe, zentrale Fläche, nämlich die, wo die heterogenen cartesischen Tendenzen sich
Gott als das absolut unendliche Wesen, von dem ich und die Welt bedingt zur Einheit der Bedeutung wenden. Denn bei Descartes konzentriert sich
bin. Aber sein Ziel war doch eben, die Gedankenmäßigkeit dieser Wirklich- nun das Problem des Aufhaus der Philosophie in der Aufgabe, den (christlich
keit zu begründen, also den griechischen Glauben an den ,absoluten', d. h. bedingten) Einsatz bei der inhaltli,ch bestimmten Subjektivität- wo cogita·
vollkommenen Vernunftzusammenhang der Welt, den Platon als die einmütige tiones soviel besagt wie "Bewußtseinserlebnisse"- mit der antiken Vormacht
Überzeugung "aller Weisen" ausgesprochen hat ("Nus ist König des Himmels der reinen Theorie zu vereinen. Und da setzt das Cogito sich in einem spezi·
und der Erde"), erneut in sein Recht einzusetzen, nachdem er seine Selbstver- fisch logischen Sinn durch: in dem Sinn, den die Descartes-Interpretation der
ständlichkeit verloren hatte durch den christlichen Glauben an die absolut un· Marburger Neukantianer herausgearbeitet hat und der im Hinblick auf die
endliche Willensmacht des Schöpfergottes. Er stellte ihn her, indem er die objektivierende Leistung des "Denkens" bestimmt ist: daß das "Denken" aus
Selbstgewißheit des V erstand es, der in der Klarh~it die Wahrheit besitzt, als eigener Kraft die (angeblich rein subjektiven} Erlebnisse erst gegenständlich
eine sittlich-religiöse Gewißheit und die Gedankenmäßigkeit der Welt in ihrer macht und so über die Begrenztheit eines Sektors hinaus über den ganzen Kreis
mathematischen Ordnung als eine göttliche Legislatidn begriff. der Cogitationes sich er~treckt. Von da aus wird d~r Beginn mit dem Cogito
nun doch zum Anfang; dem Anfang der Philosophie mit dem intellectus ipse.
Dieser "weltanschauliche" Untergrund einer ethisch-idealistischen "Lebens-
"Wer sich einmal das Problem stellt,. alle Erkenntnisse, zu denen der menschliche V erstand
form" fällt bei Husserl aus der Anlage der. Systematik aus. Den Logiker, dessen
zureicht, zu untersuchen, der wird finden, daß nichts früher erkannt werden kann als der Intel-
Erkenntnisideal die Idee einer "definiten" Mannigfaltigkeit ist - die Idee lekt, da von ihm die Erkenntnis alles übrigen abhängt."
"eines unendlichen Gegenstandsgebietes, für das es Einheit einer theoretischen
Ist es prinzipiell etwas anderes, wenn Husserl das "absolute Leben" als inten·

14*
212 Husserls Kritik der logischen Vernunft Die Vormacht der reinen Theorie 213

gemeinsamen Gegenstand: die ."offen endlose Mannigfaltigkeit möglicher Be-


tionales kennzeichnet und dementsprechend den "konstitutiven" Charakter
wußtseinsweisen" ist verknüpfbar in der "Einheitsform der Zusammengeltung
der Phänomenologie durch die "Wesenskorrelationen von Bewußtsein und
(con-positio)", als Bewußtsein von "d:emse1hen", wie anderseits der Gegen-
Sein" bestimmt? Der Phänomenologe, der durch seine Lehre vbn der Evidenz
stand selbst sich nur in einer Mannigfaltigkeit einander fordernder i,iltentio-
die platonisch-eartesische Trennung des Denkens vo~·der Wahrnehmung end-
naler Akte, als deren "Identitätspol" aufhaut. In diesem Sinne ist Intentio~
gültig aufgehoben hat, läßt doch. den Vorrang der rein theoretischen Erkennt-
nalität eine "synthetische Einheit der Einzelimpulse psychischen Lehens" (143,
nis selber unangetastet. Es bleibt dabei, daß bei allem Wissen, auch dem, das
218, 232). Die Evidenz aber gehört in diesen Zusammenhang hinein, weil ihre
vollzogen sein will und im Vollzuge sich verwirklicht, das ·Gewußte unge-
"objektivierende Leistung", das - vermeintliche oder wirkliche - Haben der
brochen in der Stellung eines Gegenstandes der Erkenntnis, als suhiectum
"Sache selbst", die Erfüllung, "Verwirklichung" dessen ist, wonach die Inten-
von Prädicationen muß auftreten können. Ja Busserls Werk ist geradezu ein
tion hinlangt.- Damit ist bereits der andere Grundz"ug des Zusammenhanges
Musterbeispiel, an dem das, was unter einer solchen erkenntnismäßigen Ein-
angezeigt. Busserl bezeichnet ihn mit Dilthey als "teleologische Struktur".
stellung zu verstehen ist, studiert werden kann.
Aber dieser Begriff, dessen Aufhellung bei Dilthey so schwierig ~ar, weil er
Denn das betrifft nicht bloß die Anlage der formalen Logik, die, wie zu Be-
ein hinweisender Ausdruck für das "aufwärts Liegende" der Lehensrichtung
ginn angegeben wurde, vom Urteil aus entworfen ist, sondern alle entscheiden-
war, ist hier durchsichtig, weil er auf die rein diskursive Ebene gestellt und
den Aufstellungen sind davon durchherrscht; "Ich, der Denkende", für den
dadurch eingeschränkt ist.
aus je eigener "Bewußtseinsleistung" Natur und Leih und Seele, Menschenge-
Die Evidenz wird ganz universal zum immanenten Ziel des (ins Tierische zu-
meinschaft und Kultur, und Gott und Welten sich konstituieren- dieses ab- ,
. " rückreichende~) "Bewußtseinslehens" gemacht in Konsequenz des primären
solut~ Ich" Busserls ist (das wurde schon angedeutet) nach dem Bilde des für
Ansatzes der Intentionalität. Da diese als das "Eigenwesen" (nicht bloß des
sich allein reflektierenden Denkers geformt, der entschlossen ist, sich nur dem
"Bewußtseins von .••. '', sondern schlechtweg) der "Bewußtseins-Erlebnisse"
zu unterwerfen, was er "einsehend durchdenkt'' (205), und der bei solcher Be-
angesetzt ist, kann. die Evidenz, in der die intentionale Richtung auf den Ge-
sinnung z. B. auch darauf stößt, daß die Phänomenologie mit zu dem "in ihm"
genstand durch das Gewahrwerden der Sache selbst zu ihrem Ziel kommt, als
Konsiituierten gehört (234). Ja der Nerv des "lebendigen Wissens", die Lehre
.Ziel alles Erlehens, alles "leistenden Tuns" hingestellt werden. Zwar macht
·von der Evidenz, wird davon tangiert. Busserl stellte die Evidenz in den Zu-
sich auch bei HU:sserl die ,Deutigkeit' des Wortes: "Intention" geltend, dessen
sammenhang der Erlebnisse ein - kein "Bewußts~inslehen", auch ein tie-
weitreichender Sinn die Richtung auf Lehenserfüllung sowie auf optimale Aus-
risches nicht, kann ohne Evidenz (im Sinne von "Selbstgehung") sein (255) - ,
geprägtheit der Gestalten im Lehensraume umfaßt, aber· diese Verwendung -
und er fand dementsprechend. das Unzulängliche. in der geläufigen Lehre von
"in jedem leistenden Tun liegt Intention und Verwirklichung" (157) ~wird
der Intentionalität des Bewußtseins darin, daß in ihr nicht "ein Zusammen-.
sofort verengt, indem das zu verwirklichende Ziel· dahin bestimmt wird, den
hang von Leistungen" gesehen wird (217). Aber worin besteht nun diese "mein
Gegenstand zu erfassen, zu "richtigen Meinungen" zu gelangeO:! Damit zu-
ganzes Bewußtseinlehen .in seiner Ganzheit" umfassende "Einheit leistenden
. gleich löst sich die Dynamik des Lehens, die in der Spannung von Intention
Lehens'' ? Zweierlei macht sich hier geltend und wird auch von Busserl aus-
(Streben) und Erfüllung liegt, in den intellektuellen Stufengang der Aufklärung
drücklich herausgestellt.
auf~ da~; Sichhindurchfinden des geistigen· Trachtens zur Klarheit über seine
Zunächst die Verhindung verschiedener Akte durch die Richtung a11f einen
214 Husserls Kritik der logischen Vernunft Die Grenzen des Einvernehmens mit Dilthey 215

Ziele, ja zu diesen Zielen selbst wird, der maßgehenden Richtung auf Richtig- zeption der "Bedeutung" in dem wesentlich geschichtlichen Sinn einer Kate·
keifen entsprechend, zum ständigen Fortgang auf den Stufen: verworren, deut- gorie des Lehens. Die philosophische Rückwendung des Blickes aber traf, in-
lich, klar. dem sie einer Objektivierung, die nicht Intellektualisierung ist, nachging, mit
Wir begegneten dieser Auffassungsweise schon in ihrer Konsequenz, wie sie der rückwendigen Bewegung im Untergrund des Lebensverhaltens selber zu-
sich bei der Beurteilung des Verhältnisses der Lehensphilosophie zur Phäno- sammen, ohne die das geschichtliche Geschehen, der "Weg vom Faktischen
menologie 9eltend machte und wehrten sie ab (177) --hier treffen wir auf zum Ideellen" ein unauflösliches Rätsel wäre. - Auch Husserl macht jetzt,
ihre Grundlagen. So kann Husserl erklären: durch die Evidenz hat nach dem Übergang von der "naiven" Phänomenologie zur transzendentalen
"das gesamte Bewußtseinsleben eine universale teleologische Struktur ein Angelegtsein auf Analyse, von der Geschichtlichkeif des "Bewußtseinslebens" Gebrauch.
" Vernunft " und sogar eine durchgehende Tendenz dahin" (143). ' Ja er bestimmt daraufhin den "völlig eigenartigen Charakter", der die trans-
Und historisch angesehe~ ergibt sich die Paradoxie, daß die Ermöglichung zendentale Konstitutions-Analyse als "genetische" gegenüber der "statisch-"
einer "wissenschaftlichen Transzendentalphilosophie" dem Verächter Kants, intentio11alen auszeichnet. Während die "statische Konstitution von Gegen-
Franz Bentano zugeschrieben wird wegen seiner "Entdeckung" der Intentio- ~tänden auf eine schon ,entwickelte' Subjektivität bezogen" ist, "enthüllt"
nalität (die übrigens bei Kant in ihrem heimischen Bereich, der "Vorstellung", die genetische den Zusammenhang von Leistungen, die "in der jeweils konsti-
klar genug herausgearbeitet ist). tuierten intentionalen Einheit und ihrer jeweiligen Gegebenheitsweise he-
Aber gerade für die Intentionalität des Bewußtseins muß die Ursprungsfrage schlossen" sind als "intentionale Implikationen" oder, wie er sich terminolo·
gestellt werden. Husserls Schüler Heidegger stellt sie. Auf dem Diltheyschen gisch ausdrückt, als "eine sedimentierte Geschichte" (217, 221, 255). Aber die-
Wege ergab sich der Fortgang genau an dem Punkte, wo. Husserls Analyse in ser terminus allein schon verrät alles. Das reale geschichtliche Lehensgesche-
die [ntentionalitätslehre einmündete, bei jener ersten Bestimmung des see- hen fällt aus der intentionalen Analyse heraus, zu einer Ablagerung erstarrend;
lischen Zusammenhanges durch die "compositive" Einheitsform des Bewußt· statt jener Verbindung von Explikation und Schaffen, die in die kreisende Be-
seinsvon "demselben". Da bekamen wir von Dilthey die Erklärung, daß die wegung der hermeneutischen Analyse hineinzwang, bleibt es bei der Explika-
Einheit des Gegenstandes "zwar eine Bedingung für die Einheit des Erleb- tion des im Produkt implicite Enthaltenen und bei der entsprechenden ein-
nisses" ist, aber zur Abgrenzung der Einheit des Erlebnisses nicht ausreicht seitig rückläufigen Bewegung der Analyse in einem Stufengang durch schichten-
(VI, 316; oben S. 134). So ging gerade hier, beim Problem der geistigen Ein- mäßige "Verweisungen" vom Oberen, Zusammengesetzten zum Unteren, Ein-
heitshildung, die Analyse weiter. Sie führte auf die "Konstitution des Erleb- fachen. Und die untergründige, rückwendige Erinnerung selbst, an die die
nisses" durch Bedeutungshezüge, auf die in ihr enthaltene Verbindung von Ex- "Bedeutung" des Lebens gebunden ist, versinkt in der mneme als "Sedimen·
plikation und Schaffen, auf die "Objektivation des Lebens" als eine ursprüng- tierung von Retentionen in die Gestalt ,schlafenden' Bewußtseins". Wie sollte
liche, vortheoretische Art der Vergegenständlichung, die nicht durch den In- auch der Vollzug der genetischen Bewegung mit ihrer aus dem Unergründ-
tellekt, wenn auch nicht ohne ihn erfolgt, dank der Konzentration der Kräfte lichen kommenden Macht der Gliederung in die Wissenschaft der Logik ein-
in der "gedankenbildenden Arbeit des Lehens" zu einem Zusammenhang, der gehen können, wo die ganze Leidenschaft der "Wissenschaft" in der axioma-
seinen Mittelpunkt in sich selbst hat und nicht - wie bei der intentionalen Be- tischen Bewältigung von Unendlichkeifen liegt? also da das Leiden liegt,
ziehung- "vom letzten Glied aus" gehildetist. So ergab sich hier die Kon- wo den Griechen die Kraft erwuchs, den Weg der Philosophie zur Wissen-
schaft das erstemal zu bahnen (Fibel 275 f.).
'216 Heideggers Bestimmung der Philosophie als Metaphysik des Daseins . Das Bild der geg~nwärtigen Situation im Streit der Thesen 217
Die eigene Macht der Theorie verlangt ihr Recht, Husserl mahnt u~s daran sophie" (220) -,_bestätigt nur jene Vermutung. Aber nunmehr hat auch Hei-
und bekräftigt uns so in dem Desiderat, daß wir gegen die Herleitung. der Er- degger selbst das, was ihn bewegt, erneut zur Darstellung gebracht.
kenntnis aus dem Lebensverhalten bei Heidegger wie hei Dilthey geltend mach- Wie einer, der das erste, mühseli~ste Stück eines gefährlichen Weges hinter
ten. Aber wem die Griechen nahe sind, wer Platon liebt und nichts Göttlicheres sich hat, Ausschau hält, des Schweigegebots für den Wandernden sich ent-
kennt in der Philosophie als Platons Werk, der wird zu scheiden wissen zwi- schlagend, hat er nach der Veröffentlichung des ersten ~ lediglich als Einlei-
schen der eigentümlich griechischen Gestalt der Wissenschaft und dem in ihr · tung zu dem Werk konzipierten - Bandes von "Sein und Zeit" in schneller
sich darstellenden philosophischen Totalverhalten, in dem das Unendliche Folge eine ganze Reihe von Abhandlungen herausgebracht ~darunter eine
immer neu gegenwärtig wird. Durchleuchtung von Kants kritischem Hauptwerk auf die "Metaphysik" hin-,
die in wachsender Klarheit die der Philosophie gestellte Aufgabe zeigen 1).
In ilui~n gibt er auch eine authentische Interpretation des Vorhabens von
3.
"Sein und Zeit", so daß wir darüber des Nachfragens überhoben sind und uns
An Heidegger, dem die Griechen nahe sind, so· daß er imstande ist, :m:it ihnen auf die. uns leitende Frage nach der Bestimmung der "Philosophie selbst"
zu kämpfen~ hatte uns befremdet, daß er sich uber den uns beunruhigenden konzentrieren können.
Gegensatz zwisch~n dem antiken Begriff des "Seienden" und der Konzeption Aber da. tritt uns nun, ehe wir das Positive ergr~ifen könne~, erst noch ein-
des "Lebens" hinwegsetzte. So wehrten wir uns gegen die prinzipielle Rich- mal und gesteigert jene Schwierigkeit der Verständigung entgegen, die wir in
tung auf eine "Ontologie": und zwar sowohl speziell die "Ontologie des Da~ der AuseinandersetZung zwischen Dilthey und Husserl verfolgten. Es ist, als
seins", die er als die gemeinsame, ihn mit der Diltheyschen Richtung verbin- sollte ein Exempel statuiert werden für den hermeneutischen Charakter der
dende Tendenz hinstellte- sie schien uns durch die Artunseres Wissens vom philosophischen Vor~ulierungen, den wir einmütig mit Heidegger betonen (5.
"Leben" geradezu ausgeschlossen - , als auch die "Fundamentalontologie", die 96); den wir aber noch immer nicht genügend beachteten, so daß er sich gegen
er als das eigentliche Ziel hinstellte, als Ziel des Weges zur Philosophie, den uns kehren möchte, um uns ad absurdum zu führen wie durch einen indirek-
der Interpret des Daseins bahnt: sie erschien uns als eine zwar noch undurch- ten Beweis seiner selbst. Denn wenn wir uns an die Formulierungen' halten,
.sichtige, aber .Y:on vornherein recht bedenkliche Bestimmung angesichts der in denen die Entscheidung auf eine Alternative gebracht wird, sei es von Hei-
antiken Tradition, an die sie ausdrücklich angeknüpft war, auf die sie aber degger, sei es von uns, und solchermaßen Stellung und Gegenstellung konfron-
.doch sicherlich nicht einfach zurückkommen wollte trotz jener Bemerkung, tieren, kommt ein geradezu groteskes Bild der gegenwärtigen Situation her-
daß die "wenigen elementaren Grundprobleme" der Philosophie "seit der An- aus.
tike" unbewältigt seien. Wir .vermuteten hinter diesen Festsetzungen einen Es handelt sich noch einmal um Ontologie und Logik. Daß Heidegger die
bestimmten vorgefaßten, zu dem fortreißenden Vorgehen Heideggers . nicht Aufgabe der Philosophie einer "Fundamentalontologie" zudiktiert und sie nicht
recht stimmenden Begriff der Philosqphie. Und der inzwischen gewonnene einer Logik "im transzendentalen Verstande" überließ, erklärten wir für ent-
Einblick in die Denkarbeit seines philosophischen Lehrers, in die Art, wie Hus-
1 ) Vom Wesen des Grundes, in der Festschrift für Husserl (zit.: "G.")- Kant und das fro-
serl die "philosophische Bedeutung" seiner eigenen Leistungen versteht - "sie
hlem der Metaphysik (zit.: "K.") - Was ist Metaphysik? Antrittsvorlesung (zit.: "M."),
schaffen einen wesentlich neuen und streng wissenschaftlichen Stil der Philo- sämtlich 1929.
218 Heideggers Bestimmung der Philosophie als Metaphysik des Daseins Da$ Bild dergegen·wärtigen.Situation im Streit der Thesen 219
scheidend. Diese Erklärung bezog sich auf den wiederholt betonten geschieht·
benwir zu Beginn hervor und fanden uns hierin einstimmig mit Heidegger (37).
liehen Zusammenhang der Lebensphilosophie über Fichte zurück zu Kant hin,
Aber sie sollte ihre philosophische Zulänglichkeit nun gerade dari~ zeigen, daß
war also einfach ein Bekenntnis zu Kant, nur mit dem - heute kaum noch zu
sie die Kraft zur Erneuerung der Logik besitzt, ja die Kraft, der ursprüng·
betonenden - Vorbehalt, daß die kantische Verbindung der neuen "trans·
liehen Konzeption des "Logos" gerecht zu werden, in der die gegensätzlichen
zendentalen" mit der alten "allgemeinen und reinen" Logik für uns nichts Ver~ Wesenszüge der Philosophie vereint sind: die Aufklärung der Gedankenmäßig·
bindliebes hat, im Gege;:._teil der Punkt des Anstoßes ist, da die "von innen", keit und Bedeutsamkeit und das metaphysische Wissen vom Unergründlichen
aus den sachlichen Anforderungen der Theorie des Wissens kommende "Er· (51). So war uns in Diltheys Bemühungen um die Grundlegung. der Theorie
weiterungderlogischen Fundamente" die Auflösung der überlieferten Morpho· des ·Wissens dies das philosophisch Entscheidende; daß er mit seiner Darle-
logie des "Urteils" mit sich bringt. Und nun werden wir du~ch die Aufklärung, .
gung der "Kategorien des Lebens" in das logische Zentrum vorstieß, daß er
die Heidegger über seinen ehedem noch unbestimm..t gebliebenen Begriff der die Aufgabe in Angriff nahm und nicht bei einer bloß negativen Stellung ver-
Ontologie jetzt gibt, gleichfalls auf Kant zurückgewiesen. "Fundamentalonto· blieh wie z. B. Bergson mit seiner Zuordnung der reinen Logik zum V erstand
logie" meint nichts anderes als Transzendentalphilosophie. Heidegger ge· und der
braucht jetzt "ontologisch" gleichbedeutend mit "transzendental'', seine
" toten Materie". Und eben durch diese Konzentration auf das Lo-
.

gisehe kam, so mochten wir meinen, die Diltheysche Richtung, vom "Leben"
Schrift über "Kant und das Problem der Metaphysik" ist mit dazu bestimmt, ausgehend der phänomenologischen Bewegung entgegen, die umgekehrt von
als eine elementare Einführung in das Problem von "Sein und Zeit", zu dienen, der formalen Logik ausgegangen war, aber durch Vertiefung in deren Grund•
das dort in Anknüpfung an Platon und Aristoteles exponiert; worden war. Up.d lagen in die Mitte der Transzendentalphilosophie gedrängt wurde. Diese ver·
auch für das Recht, den scholastischen Grundbegrifftrotz der Abkehr von der einende Mitte öffnete sich uns auch bereits greifbar, als wir Diltheys Lebens·
antiken Ontologie weiterhin zu verwenden, beruft er sich auf Kant selber, auf kategorieder "Bedeutung" Illit Heideggers "Existenzialien" zusammentreffen
dessen Einteilung des "Systems der Metaphysik" in der "Architektonik der sahen. - Von der Gegenseite her betrachtet: an Heideggers erstem Auftreten
rein.en Vernunft". Das ist nun wohl an sich für uns eine Bestätigung der Ge- war das Auffälligste gewesen, daß in ihm, dem Schüler Husserls, aus dem La-.
meinsamkeit und auch historisch angesehen nichts Befremdliches: der Bruch ger der reinen Logiker und Kämpfer für die strenge Wissenschaftl~chkeit der
mit der antikantisehen Tradition der Brentano-Schule, den Husserl vollzog und Philosophie ein mit dem ganzen Rüstzeug dieser "wissenschaftlichen" Schul-
den vorher schon Höfler offiziell verkündete, hat sich vollendet. Aber die Un· tradition ausgestatteter Denker kam. der sich für das Recht der dort bekämpf-
Stimmigkeit, die hier zurücktritt, kehrt nur um so härter bei dem Gegenbegriff ten lebensphilosophischen Tendenzen einsetzte. Nunmehr erklärt er aus·
1

zur Ontologie, der Logik wiedm;. Heidegger negi~rt die transzendentale Logik. drücklich: "Der ,Logik' ist ihr von alters her ausgebildeter Vorrang in der
Und wenn wir das ins Auge fassen:, kommt das groteske Bild eines Kampfes. Metaphysik genommen. Ihre Idee wird fraglich". Er sieht, daß dies in
heraus, in dem die Situation sich derart versehohen hat, daß Spieler und Ge- der Konsequenz von Kant liegt. Und, als wollte er die reinen Theoretiker
genspieler ihre Rollen miteinander vertauscht zu haben scheinen. parodieren, die im Namen Kants (wie Rickert) oder Platons (wie Husserl) die
Die Lebensphilosophie hat - wiederum nach dem Kaut-Fichteschen Vor· Logik gegen die Philosophie des Lebens stellten, sagt er von der Kritik d. r.
gang - mit dem. aus der Antike überkommenen Primat der Logik. gebrochen, th. V.: "Diese selbs~ erschüttert die Herrschaft der Vernunft und des V er-
wie sie überhaupt einen absoluten "Anfang" der Philosophie. leugnet; das ho· standes". Aber indem er nun seine eigene Bestimmut•g der "Metaphysik" aus
220 Heideggers Bestimmung der Philosophie als Metaphysik des Daseins Geschichtlicher Anblick der Gegensätze 221

Kant heraus ·.entfaltet, ergibt sich ihm eine Absage an die Logik, die er eher Befangenheit des Drinnenstehenden sollte uns die geschichtliche ~etrach­
.
zuspitzt bis zu dem Verdikt: "Die Idee der ,transzendentalen Logik' ist ein
.

Unbegriff" (Kant 233). Dieser Bannspruch ergeht in demselben Moment, in


tu:ilg durch die Distanz, zu der sie verhilft, befreien, indem wir uns in die Be-
wegung des Ganzen hineinstellen, das durch den Streit, den Streit von Nächst-
dem dieser ,,Unbegriff", mit dem wir die von der Lebensphilosophie her ge- verwandten hindurch sich zum Ziele hinfi~det. Da kommt es darauf an, die
stellte Aufgabe zu formulieren suchten, zugleich bei Husserl als Titel seines Auseinandersetzung : von allgemeinen Festsetzungen fort auf sachlich ent-
neuen Entwurfs der philosophischen Grundlegung auftritt und der Begründer scheidbare Fragen, die an einer bestimmten Stelle in dieser Bewegung auftre-
der Phänomenologie seine Überzeugung zusammenfaßt: ;;Die Logik zur Füh- ten, zu konzentrieren.
rung berufen". Es ergibt sich so etwas wie eine gemeinsame F.ront von Dilthey So machten wir den Versuch, .die immanente Entwicklung der Arbeit an der
und Husserl, gegen die Heidegger steht, dessen Umwendung der phänomeno- philosophischen Grundlegung bei dem Begründer der Phänomenologie in
logischen Richtung uns zunächst als eine Radikalisierung der Diltheyschen ihrem jetzt vorliegenden Ergebnis, in Husserls Entwurf einer "transzenden-
Tendenzen erschien. Während Husserl seinerseits von seiner eigenen Stellung talen Logik" zu verfolgen. Da stießen wir auf bestimmte, wie uns scheinen
aus sowohl Heidegger wie Dilthey, den aufständigen Schüler und den ruhe- will objektiv entscheidbare Probleme, bei denen wir uns mit Husserls Lösung
losen Bundesgenossen gleichermaßen hinter sich zurückbleiben sieht: wegen nicht zufrieden geben konnten; die von ihm selber betmite, ja überbetonte
der Bindung an Mensch und Welt, von der ßie nicht loskommen, so daß ihnen "Radikalität" der Analysen schien uns geschmälert zu werden durch gewisse
das Wesentlichste der "konstitutiven Phänomenologie" entgeht - eben die Vorgriffe, die freilich die Kehrseite einer noch unüberwundenen Stärke - der
Kraft der Entweltlichung, die Methode der "Reduktion", die die Grundlage Macht der reinen Theorie - waren, wo uns aber Dilthey unbefangener zu blik-
für die Möglichkeit von Theorie überhaupt und also der einzig mögliche Boden ken und tiefer vorzudringen schien. Und an eben diese~ Punkten, wo u:ps ein
der Philosophie in eins mit der Wissenschaft ist. - Ungenüge blieb, ergab sich wie ~on selbst der Vorblick auf Heideggers Werk.
Soll der Iegendarische Streit der Philosophen, der die Metaphysik verdächtig Er hat hier die Schranken durchbrochen: bei der Lehre von der Intentionalität
machte, an dem die Erkenntnistheorie, die von ihm erlösen wollte, entzwei- des Bewußtseins, dem Vorzug des rein theoretischen Interesses, der Gleich-
ging, a~f der hohen Ebene der "phänomenologischen Forschung" wiederkeh- . setzung der Metaphysik mit der absoluten Wissenschaft. Aus diesen Lossa-
ren? Ein Schauspiel zur Belustigung für den Skeptiker, den Husserl ad ab- gungen dürfte sich die Leidenschaftlichkeit der Absage an die· "Logik"erklä-
surdum führen wollte! Aber wir' haben ja den Zwischenakt nur deshalb einge- ren. Sie muß uns verwundern bei einem Denker, ·dessen ganze Art, die Philo-
legt, um zu zeigen, daß diese ganze Form der Diskussion, wo der eine bejaht,· sophie zum Gegenstand zu machen, von der Macht der Logik über ihn zeugt.
was der andere verneint, den Weg zu einer objektiven Entscheidung verlegt, Aber sie hat doch ein tieferes Motiv: in der Konzeption der "exist~ntialen Ana-
weil dabei der Kampf zu einem Rechtsstreit gemacht und so das gemeinsa~ lytik", mit der er uns beschenkt hat. Sie kommt a11;s einer Region jenseits
Gesuchte, das nicht rein diskursiv faßbare Ganze, innerhalb dessen die Aus- des schulmäßigen Fortgangs, aus jener befreienden Weite: -in der sich Dilthey.
einandersetzung sich thesenhaft bewegt, willkürlich ausgeschaltet wird. Die mit seiner "elementaren Un~he" zum "Leben" bewegte. -Da handelt sichs
Komik der Situation, die dann herauskommt, liegt darin, daß der Einzehie, nicht mehr um eille rein immaliente Entwicklung in bestimmter Richtung,
in seiner Rolle befangen, nicht sieht, wie "die Philosophie selbst" in dem Ge- eine Entschränkung des anfänglichen logischen Horizontes der phänomeno-
geneinander ·der Thesen sich versteckt und ihr Spiel mit uns treibt. Von sol- logischen Untersuchungen, wie sie in anderer Weise schon von Scheler voll-
222 Heideggers Bestimmung der Philosophie als Metaphysik des Daseins Metaphysik und Wissenschaft 223

zogen w:ar, - aber ist es nun etwa ein stetiger Übergang in die von Dilthey ..,- Von Husserl her zu H~idegger hin aber macht sich jener Zug der Bewegung
gezogenen Kreise ? eine "Aneignung" der Lehensphilosophie von seiten der darin geltend, daß hier nunmehr gerade dies beides auseinandertritt, was dem
Phänom~nologie ? Aueh das kann nicht der Fall sein, wenn anders es sich, Logiker zusammenfiel: Metaphysik und Wissenschaft. In striktem Gegensatz
wie wir zu zeigen suchten, um einen geschichtlichen. Vorgang der Vereinigung zu Busserls logischem Ideal erkliirt sein Schüler: "Die Metaphysik darf nicht
des Heterogf'nen handelt. Sie k~mn nicht kampflos kommen. Und auch der an der Idee der Wissenschaft gemessen werden" (M. 27). Das entspricht nun
Herd des Kampfes ist schon zutage getreten. Er liegt an derselben Stelle, wo wohl dem lehensphilosophischen Angriff gegen die Universalität des Szienti-
die allgemeinste Übereinstimmung zu finden war, die Übereinstimmurig im fischen, der von Dilthey unter dem Zeichen der "Weltanschauung" vorwärts·
methodischen Prinzip, von der wir ausgingen: "Sich an die Sachen selbst hal- getragen wurde. Bei ihm hing das mit der gesunden Skepsis zusammen, in der
ten" (Husserl) -"Sich den Dingen selbst ohne Etikette vis:a-vis setzen" (Dil- seit alters "ein überlegenes weltfi!.ännisches Bewußtsein· von der irrationalen
they). Als wir zu Beginn (36) diese analogen Formulierungen zusammenstell- vieh1rligen, nie auf festen Grund führenden Leidenschaftsnatur" unseres Le-
ten, sahen wir über den Gegensatz hinweg, der sich uns inzwischen in die Mitte hens ist 1). Auch Heidegger nimmt den Skeptizismus ernst, begnügt sich nicht
gedrängt hat. Das phänomenologische Prinzip des Zurückgehens auf die wie Husserl mit der platonischen Peritrope. Und wir werden sehen, wie tief
"Sachen" selbst ist - vermittelst des Begriffs des "Phänomens" als des sich hier, trotz seiner ontologischen Richtung auf restloses Durchsichtigmachen
selbst von sich aus Zeigenden- an die Methode der "Reduktion" gebunden, der "Grundhewegtheit" des Daseins, die Übereinstimmung ist: es geht um die
die wir bei Busserl bis in ihre transzendentale Vertiefung zur ,entwirklichen· Einsicht, daß die Philosophie nicht auf festem Grunde darf hauen wollen.
den Realisierung' verfolgen konnten. Dilthey dagegen will gerade "die Dinge Aber auch da wirkt nun wieder jener Gegensatz herein, der im Begriff der
selbst und die Welt selbst" außerhalb aller "bereits existierenden Ideen" über Wissenschaft lokalisiert ist, wo Busserl die phänomenologische Reduktion als
sie zu Gesicht bekommen, und kennzeichnet die "Zergliederungskunst der Grundlage der Möglichkeit von Theorie überhaupt nahm gegenüber dem "nai-
Wirklichkeit, die den Philosophen ausmacht" so: es ist ein "Sich immer tiefer ven" Diltheyschen Eindringen in die Wirklichkeit.
Einbohren in die geschichtliche Wirklichkeit, ein immer mehr aus ihr Heraus- Dieser Gegensatz reicht tiefer als die verschiedene Stellung zur "Metaphy·
holen, immer weiter sich über sie Verbreiten" (VII, 118; VIII, 218). Um die- sikf'. Denn die war bei Dilthey und Busserl gleichermaßen durch den Hinblick
sen Gegensatz zieht sich die Entscheidung zusammen. auf die Wissenschaft bestimmt: um ihretwillen behauptete der eine, was
Sie soll aber wiederum keine bloße Streitsache sein wie bei der alten stand· der andere leugnete, die Möglichkeit einer "allgemeingültigen" Metaphysik.
punktliehen Schul-Alternative: Apriorismus - Empirismus, sondern der Ge- N ac4dem nun Heidegger damit gehrochen hat, die Metaphysik primär an der
gensatz kommt in Bewegung, weil er das bewegende Moment der Entwickll:lng Wissenschaft zu orientieren, ist auch hier die Bahn frei geworden für ein grund-
auf beiden Linien ist. Bei Dilthey zeigte sich das in der Problematik des Be- sätzliches Einvernehmen. So erklärt er:
griffs der Wissenschaft, den er, der Antimetaphysiker, mit Husserl zu .teilen ,,Nur wenn die Wissenschaft aus der Metaphysik existiert, vermag sie ihre wesenhafte Aufgabe
stets neu zu gewinnen" (M. 27). .
glaubte, während es doch kaum faßlich ist, wie zwei Denker, die eine entgegen-
Um dieses ursprüngliche Verhältnis ist es auch uns zu tun; es anzuerkennen,
gesetzte Stellung zur Metaphysik einnehmen, "au fond dieselbe" philoso·
dahin muß man, das soll sich uns noch zeigen, auch von Dilthey her notwendig
phisehe Wissenschaft im Sinn haben mögen. Auf das Verhältnis von Meta-
physik und Erfahrungswissenschaft, die Dilthey trennen wollte, kam es da an. 1) Von den Gestaltungen der Persönlichkeit (1911) a. a. 0., S. 122.
224 Heideggers Bestimmung der Philosophie als Metaphysik des Daseins Metaphysik und Wissenschaft 225

kommen und kann dahin kommen, da, wie schon einmal betont wurde, in sei~ zusammen auf dem verfehlten Wege zu einer transzendentalen Logik hin, von
ner lebens})hilosophischen und geisteswissenschaftlichen Aktion der von ihm Husserls Vormachtstellung der reinen Theorie aus gesehen Heidegger mit Dil-
vorgetragene Gegensatz zur "Metaphyeik" gar nicht liegt. Es· geht dabei nicht they zusammen auf der abschüssigen Bahn einer Anthropologie, weil er den
um das Wort "Metaphysik", sondern um die für Philosophie und Wissenschaft echten philosophischen Halt der phänomenologischen Reduktion aufgegeben
entscheidende Sache. Das aus der Antike überkommene Wort ist wegen des habe. Und nun will uns scheinen, daß diese Verwirrung sich löst und zugleich
Mangels an eigener Bedeutungssubstanz infolge seiner konventionellen, alexan- unsere Stellung gegen die Fundamentalontologie gestärkt wird, wenn wir die
drinisch zeichenhaften Bildung dazu angetan, sich widerstandslos den ver- noch. übrige Möglichkeit hinzutun und, dem geschichtlichen Gang entspre-
schiedensten Bedeutungen zu fügen, und die Verwirrung, die da im Sprach~ chend, von Dilthey aus Heidegger mit Husserl zusammensehen. Dann stellt
gebrauch herrscht, nicht bloß in der literarischen Mode, sondern auch in der sich nämlich heraus: seine Ausrichtung der Philosophie auf die Fundamental-
stilbildenden Werkstättenarbeit, zeigte sich uns darin, daß Husserl zu Dilthey . ontologie, die er jetzt des näheren bestimmt hat durch Unterordnung unter den
sagen konnie: Begriff: "Metaphysik des Daseins" - einen zweideutigen Oberbegriff, da er
"Was Sie als Metaphysik bekämpfen, ist etwas anderes wie das, was iCh als Metaphysik zuge- nicht bloß die "Metaphysik üb er das Dasein'' meint, sondern "das verborgene
stehe U:nd treibe." Geschehen der Metaphysik im Dasein selbst", mit dem jene verbunden bleibt
Umso entscheidender ist es, wenn nun aufbeiden Linien sich die Sache selbst, (K. 221) - steht gar nicht im Gegensatz zu Husserls Reduktionsmethode, son-
die sog. "Metaphysik" als etwas Eindeutiges, Unverwechselbares herausstellt.· dern behält sie vielmehr bei und führt sie niit sich, um sie aus ihrem heimischen
Das betrifft dann die Grundsiruktur der Philosophie überhaupt, und wenn Bereich, dem der reinen Theorie, fort in den Boden des Daseins zu versenken ..
wir .darin mit Heidegger zusammenkommen, dann hat unsere Auseinander- .Demzufolge verliert dann die reine Theorie, der gleichsam die Seele entführt
setzung ihr Ziel erreicht. Hierüber zur Klarheit kommen, das bedeutet nun ist,. ihren eigenen Stand, und die ganze umfassende Sphäre der Kontemplation
aber zugleich,jenen Gegensatz zurechtstellen, der uns von Dilthey und Hussei'l entfällt aus der "Metaphysik des Daseins". Dies aber: die Theorie und die
her verfolgte zwischen der "Philosophie der Wirklichkeit" und der entwirk- Kontemplation überhaupt sind gerade die Mächte, denen wir auf dem ge- .
Jichenden W esenserkenntn:is. schichtssystematischen Weg vom Leben her zur Metaphysik hin gerecht werden
Er ist bereits in Bewegung gekommen, da das Ideal der absoluten, mit der wollten. Und wenn sich nun zeigen läßt, daß die Abwehrstellung, in der wir
Metaphysik einigen Wissenschaft, auf das die "phänomenologische.Reduktion" uns hier gegen Heidegger befinden, gerade darin gründet, daß er den Husserl-
. bezogen war; im Fortgang der Phänome;nologie zur existentialen Analytik hin- schen philosophischen Kerngedanken, den wir in seiner eigenen, theoretischen
fällig ge~orden ist, und ~nderseits der metaphysische Zug in Dilthe~s For- Ebene belassen wollen, ins Existentielle verschiebt, daß also da ein Vorgriff
schung uns vor die Frage gestellt hat, welche Bewandtnis es mit seinem "Le- im Spiele ist, den es zu durchschauen gilt: dann ist Hoffnung, daß unser kri-
benspositivismus" habe. Beweglich geworden, konnte dieser Gegensatz sich tisches Geschäft seinen Zweck erfüllt und ein Hindernis hinwegräumt auf dem
vor uns verstecken: er steckte hinter jenem Zwischenspiel der Thesen und Anti- von Heidegger geöffneten Weg zu der einenden Philosophie. Diese ganze Ver-
thesen, in dein das einmütige Anliegen der Philosophie uns zu entschwinden knotung müssen wir jetzt langsam aufzudröseln versuchen.
drohte, so daß das Vexierbild der Situation herauskam: von Heideggers Onto-
logie des Daseins aus gesehen Husserl mit den Vertretern der Lebensphilosophie
Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 15
226 Die gemeinsame Intention hinter den strittigen Zielsetzungen Die Kampfstellung gegen die überlieferte Logik-Ontologie 227
I. Über den toten Punkt, bei dem die Diskussion durch den Widerstreit der zendentalphilosophische Einstellung hin, mit der er sich von dem Transzen-
Thesen: hie Logik, hie Ontologie! stehenblieb, kommen wir unschwer hinweg. dentalien-Begriff der scholastischen Ontologie fortbewegt. Er selbst weist jetzt
V ersetzen wir diese Bestimmungen, statt sie isoliert gegeneinander auszuspielen, ausdrücklich - in bezlig auf die Kautische Grundlegullg, an die er nunmehr
in ihren Kontext zurück, so springt aus dem Streit vielmehr die gemeinsame sein eigenef! Werk unmittelbar anknüpft - auf das Verfehlte hin; das der Ein-
Intention heraus. Zunächst in bezug a~f das, was durch diese Zielsetzungen satz bei der Ontologie hat, sofern diese
verneint werden soll. Heidegger mit seiner Richtung auf eine "Fundamen- · "bereits die z~ einer Disziplin verfestigte Form dessen ist, was in derAntike als ein Problein
talontologie" erklärt (M. 22); "Die Idee der "Logik" selbst 1ö s t sich auf im der prote philosophia, des. eigentlichen Philosophierens, stehen blieb" (K .. 211).
Wirbel eines ursprünglicheren Fragens", während wir meinten, daß die "On- Eben dies aber war unser erstes Argumepi, als wir uns gegen die Anknüpfung
tologie" c;J.iesem Schicksal verfalle und gerade der Logos dem Wirbelstand~ d~r philosophi!ichen Aufgabe an die antike Lehrsubstanz wandten (14). Nur
halte, ja ihn vielleicht überhaupt erst recht erzeuge. · Aber unter den gleichen glaubten wir, noch weiter gehen zu müssen: daß auch die aristotelische Stel-
Titeln ist da beiderseits jeweilen Verschiedenes gemeint: in der Abwehrstel- lung der Grundfrage mit dem Satz: "Was ist· das Seiende ?" bereits die zu
lung das Herkömmliche, bei der Bejahung aber eine neue Ontologie oder Lo- einem Problem verfestigte Form dessen sei, was in der ursprÜnglichen Be-
gik. Was uns bei.der von "innen sich erweiternden Logik im transzendentalen wegung des Fragens 1edig1,ich im Vollzuge zu ergreifen ist, eine diskursive V er-
Verstande" vor Augen liegt, die Aufgabe einer umfassenden, auch die Meta- festigung des ,,metaphysischen Wissens" zum Gegenstand der Erkenntnis, die .
physik und ,. Weltanschauung" mit umfassenden Theorie des Wissens, die den von Parmenides. her für die abendländische Tradition des Idealismus maßge-
wissenschaftlich unbekümmerten "Lebensphilosophen" gegenüber das Ziel der bend geblieben ist, bis Kant und Fichte sie aufzulösen begannen.
Objektivität festzuhalten vermöchte, braucht nicht noch einmal gesagt zu Heidegger fügt zu dem aristotelischen Begriff für das gewöhnlich "Meta-
werden; die Aufnahme des überlieferten Titels rechtfertigte sich damit, daß physik" Genannte, zu dem terminus: prote philosophia schlechtweg verdeut-
der Begriff des Logos in seiner ursprünglichen philosophischen Bedeutung "so schend hinzu: "das eigentliche Philosophieren" (K. 211, 213). Diese Über-
weitstrahlsinnig ist wie die Philosophie selbst" (52). Heidegger dagegen ordnet setzung muß uns als solche recht bedenklich sein. Denn sie verdeckt den lo-
die Logik schlechtweg dem "Verstande" zu, dem V erstand oder dem "Denken", gisch wesentlichen Unterschied zwischen der aristotelischen Form, der ,apo-
das "wesenhaft denken von etwas" ist (M. 11 f.), beschränkt sie also, Husserl retisch.en Kunst' der Problemdiskussion, und der mit dem "eigentlichen Philo-
folgend, auf den Bereich der intentionalen Beziehung auf Gegenständliches sophieren" gemeinten ursprünglichen metaphysischen Bewegung des Fragens.
und stößt von da aus nun gegen "die Herrschaft der Logik in der Metaphysik" Diese Art,. das vorschwebende Ziel in den aus der Tradition aufgenommenen
mit dem Argument vor, daß das, was in der ursprünglichen philosophischen Anknüpfungspunkt zurückzuverlegen,. ist ein durchgängiges Bestandstück der
Bewegung "offenba~•· wird, "weder ein Gegenstand noch ein Seiendes ist" Heideggerschen lnterpretationstechnik. Es verrät sich hier an einem durch-
(M. 20). Das trifft uns nicht. Anderseits wird auch Heidegger nicht getroffen, sichtigen Beispiel sein Verfahren, das uns bei unserm Hauptproblem, der exi-
wenn man die "Ontologie", auf die er hinauswill, seiner eigenen Exposition stentialen Wendurig der Ontologie, wiederbegegnen wird: das Ineinander·
des philosophischen Grundproblems in "Sein und Zeit" folgend, bei der An- schieben der verschiedenen Ebenen. Aber rein auf die systematische Absicht
knüpfung an die aristotelische Traditi~n angreift; denn dann muß man, wie hin angesehen, kommt uns jene angleichende Übersetzung nur zupaß: es soll
wir's schrittweise versuchten, diese Verbindung wieder abbauen auf die trans- dadurch eben das von der prima philosophia abgetan werden, wogegen auch

15*
228 Die gemeinsame Intention hinter den strittigen Zielsetzungen Die ursprüngliche Bewegung de'C Philosophie 229

wir uns wandten. In bezug auf das, was verneint wird, besteht kein Gegensatz. ausdrücklich zu stellen: dieses den Menschen auszeichnende "Seinsverständ-
Es kann aber unter den zwei gegensätzlichen Titeln verneint werden, weil es nis ist das Endliebste im Endlichen", die ,,innerste Bedürftigkeit'' des
selber dies beides, Logik und Ontologie, in eins ist. Ist die vorkantische Tra· Menschen, und anderseits. wiederum "der innerste Grund seiner Endlichkeit",
dition de~ Grundwissenschaft "Metaphysik" als Logik-Ontologie zu kenn- sofern es "dergleichen wie Sein nur gibt, aber auch geben muß, wo Endlichkeit
zeichnen - wie das im Hinblick auf die maßgebende Parme:.:tideische Konzep· existent geworden ist" (K. 219).
tion der Seins.-Kugel geschah und inzwischen durch das neue logische Werk Da könnte man irre werden, ob Scheler nicht doch recht hatte, als er no·
Husserls nur bestätigt wurde - , dann verschlägt es nichts, ~b man dies tierte, Heideggers Unternehmen sei überhaupt nicht mehr Philosophie, sondern
einheitliche Ganze bei der ei:O.en oder der anderen Seite. angreift, um es auf- Theologie. Aber - ganz abgesehen von der Frage, ob dies ein "ra~kaler''
zulöseli. Einwand ist, ob wirklich die Zeiten unwiederbringlich vorbei sind, wo der Philo~
soph sich als del' wahre "Theologe" finden konnte-: daß hier wahre Philosophie
Aber nun das Positive, das "ursprüngliche Fragen" selbst! H~er bedarf es im G~ng ist und nicht ein geniales Gespinst von Metaphysiko-Theologie an uns
einer künstlichen Abstraktion, um uns der "au fond identischen". Philosophie vorübergeht, das war uns von vornherein sicher und ist uns inzwischen nur
zu versichern. Denn wenn wir uns an die konkreten für Heidegger charakte· noch sicherer geworden. Die allgemeine Versicherung fanden wir in der ge·
ris~ischen Begriffe halten wollten, die gleich Scheinwerfern den Blick der im schichtliehen Betrachtung, die zeigt, daß Heideggers originaler Wille zugleich
Dunkeln Wandelnden auf das stürmische Gefährt hinziehen, das da mit selbst- das Ganze der philosophischen Bewegung vorwärtsbringt. Dieses Fortrücken
sicherer Kraft seinen Weg nimmt, so bliebe uns nur übrig, zu konstatieren, daß der Philosophie aber bedeutet, wie alles schaffende V orwärtsgeheri zugleich
mit dem Fortgang der Fahrt die schon in "Sein und Zeit" deutliche Entfernung als Explikation ein Zurückgehen zum Ursprung.
VQn d~n Wegen, auf denen wir uns bewegen, sich nur noch vergrößert hat. Das "ursprüngliche Fragen" soll gegenüber der scholastischen Logik-Onto-
Jene dichten;. komplexen Lebensausdrücke, die unstrotzihrer Formalisierung logie, ja auch gegenüber Kants noch immer mit dem überlieferten Formen·
mit dem Gehalt einer bestimmten, immer einseitigen Lebensdeutung beschwert glauben behafteter Konzeption der transzendentalen Logik wiedererrungen
schienen: die "Last" des Daseins, die Geworfenheit, die Sorge, die Angst usw ., werden, wie es denn immer wieder neu errungen werden muß. Der heutige Weg
haben jetzt ein dünneres, aber umso festeres Gewebe von einfachenElementar- dazu ist die Analyse des menschlichen Daseins: in diesem muß, wenn anders
begriffen aus sich entlassen, mit denen die "phänomenologische Konstruktion'~ das Philosophieren nicht ein bloßer Luxus oder eine unverbindliche Betäti·
des Daseins - und in eins damit die Konstruktion der Metaphysik -:-:- bewerk- gungsweise bestimmter, eben dazu begabter Völker und Individuen ist, der
stelligt wird. Als ein solcher Konstruktionsbegriff dient vor allem die End- Grund zu finden sein, warum so etwas wie Philosophie innerlich notwendig
lichkeit des Daseins, J.ie aus der herkömmlichen Verbindung, mit ihrem Ge- ist. Heidegger glaubt diesen Grund begrifflich feststellen, ja von einer arche
genbegriff;, dem Unendlichen, losgelöst wird: in dem Innersten Wesen der End- au& konstruiere~ zu können: die "Endlichkeit" des Daseins führt weiter zu·
lichkeit ist die Wurzel unserer menschlichen Existenz zu finden, in ihm hängen rück auf die Zeitlichkeit, während sie selber der menschlichen Lebenswirklich-
Leben und Philosophie ursprünglich zusammen; es ist der Ursprung der Philo- keit vorangeht; denn sie ist das, "was ursprünglicherlistals der Mensch" (K.
sophie und ihr Grundthema zugleich. Die menschliche Möglichkeit, so et~as 219). Er denkt hier nocli härter "ontologisch'~ als bei der Feststellung des ur-
wie "Sein" zu verstehen und daraufhin dann philosophisch das Seinsproblem sprünglichen Fragens in dem· Seinsproblem; denn dem wird die. Spitze abge·
230 Die gemeinsame Intention hinter den strittigen Zielsetzungf!n Die ursprüngliche Bewegung der Philosophie 231

hrochen durch die Erklärung, daß der Begriff "Sein" lediglich ein "Problem· er sich hier der totalen historischen Reflexion entschlägt, trotz seiner Aufnahme der Dilthey-
Yorckschen These von der Einheit der systematischen und historischen Philosophie (402): das
begriff" ist. Er rechnet es sich geradezu als Vorzug an, daß seine Analyse des
ist gerade der uns problematische Punkt, wo die ontologische Umstellung einsetzt, der wir bei-
Daseins ·keine unbefangene, möglichst allseitige 'Interpretation der mensch~ kommen möchten. So stoßen wir immer wieder, wenn wir das beiderseits Gemeinte zu identi-
liehen Existenz gibt, sondern von vornherein auf das Seinsproblem ausgerich- fizieren .versuchen, mitten in der Gemeinsamkeit auf die sachliche Differenz, die schon genugsam
erörtert wurde (69).
tet ist; ohne dem wäre sie "richtungslos". Ja, während er sie anfänglich als
Isoliert vermögen wir den gemeinsamen Zug, den die philosophische Grund·
"Vorbereitung" zur Fundamentalontologie (Metaphysik) faßte, also doch noch,
legung nach der Auflösung der Logik-Ontologie erhält, nur in der Weise einer
wie es uns im Sinne liegt, den Weg vom Lehen her zur Philosophie hin zu
Analogie, als formale Entsprechung der heiderseits, in der "Metaphysik des
suchen schien, bestimmt er jetzt die Fundamentalontologie als "die erste Stufe
Daseins" und der "Lebensphilosophie" maßgehenden Dynamik zu erfassen.
der Metaphysik des Daseins" (K. 222). Beides kommt zur Deckung in dem
Das aber reicht dann, will uns scheinen, so tief, daß auch die Sache der "Philo-
einen beweglichen Punkt, auf den er das Verhältnis von Anthropologie u:nd
sophie selbst" dadurch gefördert wird, wenn man versucht, es durch eine Ab-
Philosophie ausrichtet: der Endlichkeit, Zeitlichkeit. Aber von dieser kon-
straktion herauszustellen.
struktiven Tendenz und der mit ihr verbundenen eigentümlichen Lehe~sdeu·
Das Entscheidende, worum es geht, wurde schon im voraus angegeben: die
. 1
tung, die durch ihre gewaltige Einseitigkeit unmittelbar ergreift, berückt oder
Philosophie darf nicht auf festen Grund hauen wollen, der Rückgang zum Ur·
abstößt, müssen wir zunächst absehen, wenn wir mit ihr ins Reine kommen
sprung bedeutet Realisierung, Vollzug des Wissens. Dies klar und gena11 zu
und das uns Fremde als einen innerhalb einer tieferen Gemeinsamkeit liegen-
sehen, ihm den "mystischen" (am rei'n diskursiven Denken orientierten) An-
den Gegensatz verstehen möchten.
schein des Unausdrücklichen, Überschwänglichen zu nehmen, Ist das gemein·
Das bedeutet, sofern es nm die "Philosophie selbst" geht,' eine künstliche
same Anliegen. Die Vorbereitung dazu liegt in dem Fortgang von den stati·
Abstraktion, die "!J.DS nur zu Zwecken der Verständigung zulässig scheint. Wir
sehen Bestimmungen der überlieferten Logik zu den dynamischen der Lehens·
müssen die "ursprüngliche" philosophische Bewegung des Fragens, die Heidegger
Iogik, an den wir uns von Beginn an (41) hielten. Die da angelegte Üherein·
vollzieht und ans Licht stellt, rein auf ihre dynamische Form hin ansehen, los·
stimmung ist inzwischen durch die weiteren Erklärungen Heideggers noch viel
gelöst vo·u dem besonderen gedanklichen Medium, in dem sie verläuft, sozu-
deutlicher geworden.
sagen rein auf die innere Bewegungsform hin.
Z. B., was die Abwehr der "falschen Gegenständlichkeit" der Philosophie-betrifft: er beginnt
. Das ist eine verstandesmäßige logische Operation, die wir nur als etwas Künstliches, der Sache seine Rede, die das Wesen der Metaphysik darlegen will, damit, daß nicht "über dil_l Metaphysik
selbst nic1:J.t Angemessenes gelten lassen können, sofern jenes radikale Fragen - daran halten geredet", sondern ein Weg begangen werden soll, auf dem "wir uns unmittelbar in sie versetzen
wir fest - sich, indem es ausdrücklich wird, notwendig konkretisiert (18), Um adäquat zu lassen" (M. 7. Vgl. Fibel III. 28). Und wenn er die philosophische Grundlegung als "Metaphysik
verfahren, müßte man intuitiv, "synergistisch" verfahren, d. h. die verschiedenen, immer schon über das Dasein" bestimmt, so erläutert er das: "sie kann nie Metaphysik "über" das Dasein
zur Bestimmtheit der Bedeutung gelangten, an konkreten Lebensbezügen oder Lebensdeutungen werden, so wie etwa die Zoologie über die Tiere handelt. Die Metaphysik des Daseins ist über-
haftenden Ausdrücke desselben zusammenhalten, damit durch die Verschiedenheit der Bedeu· haupt kein fest- und bereitliegendes "Organon". Sie muß sich jederzeit unterVerwandlung ihrer
tungen hindurch dank ihrer Konvergenz das Eine Selbige sich als ihr gliedernder Grund auf- Idee in der Ausarbeitung der Möglichkeit der Metaphysik erneut ausbilden" (K. 22. Also be-
schließe, dessen Ergreifen uns in die von ihm herkommende Bewegung hineinversetzt, - wie sagt "Lebensphilosophie" denn doch nicht so viel wie Botanik der Pflanzen!).
das durch den Vergleich mit der verbalen Grundbedeutung veranschaulicht wurde, nur daß im Oder dieselbe Stellung in bezug auf das Werk der großen Denker, wo jenes in der Logik des
Unterschied-zu dieser, bei der das Bestimmt-Unbestimmte ein Endliches ist, das Gehen in den produktiven Denkens gegründete Ideal in Betracht kommt, einen Autor besser zu verstehen,
ursprÜnglichen Gliederungsgrund ins Unergründliche führt (87. Fibel 29). Daß Heidegger als er sich selber verstand (115). Heidegger macht sich diese gefährliche Möglichkeit sehr zu
hier- zur Beantwortung der Frage: "Was ist ~Ietaphysik ?"-prinzipiell anders verfährt, daß nutze, besonders in seiner Kaut-Interpretation, aber das verschlägt nichts für die Bestimmung
232 Die gemeinsame Intention hinterden strittigen Zielsetzungen Die ursprüngliche Bewegung der Philosophie 233
der hermeneutischen Aufgabe selbst: ,.dasjenige eigens sichtbar zu machen, was Kant über die gab sich, was die Diltheysche Richtung anlangt, für die Einheit von Metaphy-
ausdrückliche Formulierung hinaus in seiner Grundlegung ans Licht gebracht hat" (K. 193);
Und daraufhin erklärt er prinzipiell: ,.in jeder philosophischen Erkenntnis muß nicht das ent- sik, Religion und Dichtung, die "in ihrem letzten Kern" begriffen werden sollte,
scheidend werden, was sie in den ·ausgesprochenen Sätzen sagt, sondern was sie als noch Unge- daß di~ser "Kern" ein "bestimmt-unbestimmtes" Gefüge ist, auf dem· man
sagtes durch das Gesagte vor Augen legt". Das entspricht unserm Versuch, den ,.sprichwört-
nicht bauen kann, sondern das uns in die zirkulare Bewegung des schaffen-
lichen Aussagen" und der Form der ,.Evokation" ihr l!Jgisches Recht zuteil werden zu lassen (94).
Er fragt in seinem Kant-Buch nach dem ,.eigentlichen Ergebnis'' der KrthV und glaubt den Entfaltens hineinbringt. So wurde von dem Wissen, das in den "Unter-
dasselbe in einem .einzelnen Satz zusammenfassen z.u können, abe~ dieser Satz will nicht einen grund" des Lebens, in den der Mensch einzukehren vermag, hineinleuchten
bestimmten von Kant erkannten Sachverhalt als das Entscheidende festlegen, sondern auf die
Frage antworten: ,,Was geschieht in der Kantischen G~ndlegung?" (K.195). Analog stellte möchte, gesagt, daß es "vollzogen" werden müsse und in seinem Vollzug zu-
sich uns die Frage vom ersten Auftreten der Philosophie an bei jeder Begegnung mit ihr: ,.was gleich "praktisch", für das Leben verbindlich und in es eingreifend sei: es
hat sich hier ereignet ?"
"verwirklicht das, was in einem rein theoretischen Erkenn:en nur als Gegenstand auftreten
Der ganze allgemeine Anblick der LebensWirklichk~it der Philosophie ist kon· kann".
form: daß sie, wie Wir es zu formulieren suchten, weder etwas rein ideell Dar- Und das, was da verWirklicht Wird, ist wiederum eine Bewegung: zu dem hin,
stellbares noch rein anthropologisch herleitbar ist (17). Denn nicht bloß jene ,.was gerade deshalb der Erkenntnis jenseitig, dem gegenständlichen Erfassen verschlossen ist,
weil das Wissen von ihm derart ist, daß der von ihm Ergriffene dies Wissen nicht darf besitzen
falsche Gegenständlichkeit lehnt er ab, bei der ihre Selbständigkeit in den wollen, sondern es tun und treibend ins Leben setzen soll" (Fibel 116. 118).
Zusammenhang ihrer rein theoretischen Probleme verlegt Wird als etwas aus Daß diese "metaphysische" Bewegung des Wissens, die von jedem, auch dem
diesen Zusammengewirktes und in deren Diskussion sich aus sich selbst Fort- "aufgeklärten" Menschen realisierbar sein muß, das Ursprüngliche in· der
bewegendes, sondern er geht auch gegen die umgekehrte (ihm von Husserl im· Philosophie ist gegenüber dem Anfang mit einem absoluten Satz - laute
putierte) Tendenz an, die philosophische Grundlegung einer Anthropologie er: "Es ist" parmenideisch oder: "Ich denke" cartesisch oder in diskursiver
zu überantworten. Gerade in der Beziehung zWischen beiden, "zWischen der Frageform als Diskussionsthema festgestellt aristotelisch: "Was ist das Sei-
Frage nach dem Wesen des Menschen und der Begründung der Metaphysik" end·e ?" - das ließ sich auf dem geschichtsystematisch~n Wege objektiv er-
liegt das Problem (K. 206), und dieser Zusammenhang führt zurück auf etwas weisen (Fibel29, 104). Sie an das "natürliche" Wissen von der Bedeutsamkeit
im Menschen, auf grund dessen nur er Mensch ist (K. 220). -Das ist nach der Di~ge anzuknüpfen, das ln der gesamtmenschlichen Tatsache der Lebens-
Heidegger "das Dasein" in ihm, das durch die Endlichkeit bestimmt und in und Weltansicht gegeben ist, erschien uns als. die Aufgabe einer Grundlegung,
seiner zeitlosen, in sich geschlossenen Grundbewegtheit von der Zeitlichkeit die vom menschlichen Leben ausgehend auf dessen eigenen .Wegen die Her-
aus konstruiert werden soll, während uns das "von dem Menschen gelebte Le- vorbringung der Philosophie begreifen möchte. Die Möglichkeit dazu bot der
ben" in dem unergründlichen Woher verschwebt, das erst zur Bestimmtheit reflexive, unreflektiert-besinnliche Charakter jenes primären in den "Erlebnis-
der Bedeutung kommt, wenn ihm sein eigenes Jenseits, die in sich geschlossene ausdrücken" faßbaren Wissens um Si~n und Bedeutung, w~hrend ·anderseits
Gestalt einer geistigen Welt, durch die immer geschichtlich bestimmte Kon· der Ausschluß transzendenter Setzungen, der die Lebensphil~sophie kenn-
zentration der Kräfte abgerungen Wird.
zeichn~t, dadurch den positivistischen Charakter verlor, daß das Wissen von
Aber in der Art, wie dieser Rückgang zum Ursprung.genommen Wird, ist der Unergründlichkeit des Lebens als verbindlich für die Theorie des Wissens
nun trotzdem eine analoge Form, und darauf, auf das Eintreten in die Sphäre selber erkannt ist (51, 78).
der Realisi~rung, sollte das soeben. Zusammengestellte nur vorbereiten. So er- Die Frage blieb, in welchem Verhältnis die von Dilthey- im Blick auf den
234 Die gemeinsame Intention hinter den strittigen Zielsetzungen Transzendenz des Daseins und Reflexivität des Wissens 235

Dichter im Menschen - als "die natürlic;:he Auffassung" bezeichnete Bedeu- die an die Unterscheidung zwischen eigentlicher und uneigentlicher Existenz
tung des Lehens zu der in der philosophischen Besinnung realisierten Ur- gebunden ist, die ewige Geschichte des Adam, der sich immer frei macht und
sprungshewegung stehe. Ist es so, wie Fichte von der "intellektuellen Anschau- nie frei wird (43, 54), sondern es betrifft das für die Existenz überhaupt kc:msti-
ung", in der ich mich selber finde, erklärt: daß der Philosoph nur in anderer tutive "Seinsverständnis", ohne das nach Heideggers wesentlicher Einsicht das
Weise, nämlich "willkürlich und mit Freiheit", denselben geistigen Grundakt selbstbewußte Sichfinden in Lehensbezügen nicht möglich wäre: die W eltan-
vollzieht, der in jeglichem menschlichen Lehensverhalten unmittelbar "vor- sieht, die zugleich Weltbildung ist. Auch da liegt ein "Geschehen" - oder
kommt"? Oder hat der ausdrückliche Vollzug eben als freie und befreiende eine "geschehende. Grundverfass~ng" ( G. 40) - zugrunde, und die ganze lo-
denkerische Tat den echten geschichtlichen Charakter einer Hervorbringung, gisch~ Energie seiner phänomenologischen Zergliederungskunst konzentriert
die nicht bloß expliziert (ein vorgängiges Geschehnis durch Reflexion heraus- sich darauf, dieses metaphysische "Urgeschehen" ans Licht zu bringen: "die
hebt), sondern in der Explikation zugleich schaffend ist, so daß durch das "Be- als Das ein notwendig geschehende Metaphysik" (K. 221). Er nennt dies
wußtmachen" wirklich etwas mit dem Lehensverhalten geschieht? Dann Geschehen ,;die c Transzendenz des Daseins" (den "Überstieg" des Daseins
würde der Begriff das Begriffene nicht bloß abgrenzen, sondern zugleich neu zur Welt)-
ins Lehen setzen. Im ersteren Falle wäre eine "Ontologie" möglich, sofern die mit einer Verwendung des Ausdrucks "Transzendenz", die sich nicht an den geläufigen, sozu-
philosophische Bewegung auf die des Daseins selber geradwegs zurückgreifen sagen naiv-metaphysischen Sinn desselben hält, in dem ihn z. B. Simmel nahm, als er "die Tran-
szendenz des Lebens" als "eine ganz primäre Kategorie" aufstellte: das Hinausschreiten über sich
könnte. In dem andern Falle, wo die philosophische Besinnung eine entschei- selbst, das uns der Endlichkeit und Beschränktheit zu entheben vermag. Sondem die Verwendung
dende Wendung im Lehen bedeutet, liegt in dieser Wendung das Problem ist, wie uns scheinen will, eine reaktive, nämlich bereits von der Intentionalitätstheorie he:rc
(Husserls Lehre von der Transzendenz des intentionalen Gegenstandes) bestimmt oder doch auf
der Metaphysik beschlossen. Und gerade wenn die Philosophie sich als Ausle- sie hin entworfen. Die "Transzendenz des Daseins" dient zur Lösung der Aufgabe, die sich von
gung des Lehens versteht, wird sie durch ihren Anspruch auf Objektivität der Husserl aus stellte, die Intentionalität herzuleiten. Auch nach Heidegger ist "alles Verhalten
Auslegung dazu gedrängt, das immer geschichtlich bestimmte Bedeutungsge- zu Seiendem", also das menschliche Lebensverhalten schlechtweg als ein intentionales zu kenn-
zeichnen, und die Transzendenz des Daseins soll den Grund für die Möglichkeit der Transzen-
füge, in dem sich jede Interpretation bewegt, von vornherein in Rechnung zu denz des intentionalen Gegenstandes beistellen (G. 8). Da solchermaßen bei dieser existentialen
ziehen, also sich "logisch" dessen bewußt zu werden, daß wir heim Begehen Bestimmung das erkenntnistheoretische Problem des Gebundenseins des Denkens an Objekte
iin Blick steht, führt sie - gerade umgekehrt wie die Simmelsche Kategorie - auf die
des Weges, der vom Lehen her zur Philosophie führt, .bereits innerhalb der "transzendentale Endlichkeit" zurück und damit auf den zentralen Konstruktionsbegriff der
Philosophie stehen (25). "Metaphysik des Daseins" ..
Und nun die analoge innere Form der Bewegung bei Heidegger, der die Frage 1 Diese Verwehung wird uns noch prinzipiell ·wichtig werden. Aber wir können
zugunsten der Ontologie entschieden hat. Er kennzeichnet die Metaphysik vorerst davon absehen. Tun wir das, h,ftlten wir uns rein an das, was er unter
geradezu als ein "Geschehen", und zwar nicht bloß, sofern sie Metaphysik dem herkömmlichen Titel "Transzendenz" beschreibend aufweist- insbe-
"über das Dasein" ist, also entsprechend jener Frage an das Werk eines Philo- sondere in dem Kanthuch, in dem Kernstück desselben, der Auslegung des
sophen: "was geschieht in ihm?", sondern auch in hezug auf die "Metaphysik Schematismus-Kapitels - , dann springt für die beiden zusammengehörigen
des Daseins" selbst: sie "geschieht im Grunde des Daseins". Und das wieder- Grundprohleme, die Welt- und die Selhstwerdung, aus dem ontologischen
um betrifft nicht mehr bloß jene - uns ethisch- idealistisch anmutende - Medium der Analyse das logische Phänomen des ursprünglichen Wissens mit
Bewegung der Befreiung aus der W elthefangenheit oder Selhstverlorenheit, einer Klarheit heraus, die für den, der die Schwierigkeit, diese Dinge zu fassen,
236 Die gemeinsame Intention hinter den strittigen Zielsetzungen Der Hinfall des absoluten Bodens der Grundlegung 237
kennt, geradezu etwas Beglückendes hat. Für Selbst und Welt wird das nur aber, weil sie ein Fundamentinder Geschichte hat: es wird da unmittelbar
im Voll:~~uge zu ergreifende , Werden zum Sein' dermaßen herausanalysiert, daß der Kraftquelle des "neuen" Philosophierens, die in Kants Kritik der Vernunft
die Bewegung in dem geheimenungegenständlichen Vorwissen, das Bilden und strömt, das zuerteilt, was sich uns als ein geschichtlicher J?rozeß des Sichaus·
mit dem Bilden zugleich Offenharmachen, handgreiflich wird. Und diese mit wirkens dieser Kraft in den Bemühungen um eine- dem Fortgang "von der
genialer Kraft zergliederte Bewegung ist nun - das glauben wir sagen zu dür· Kritik der Vernunft zum System der Vernunft'" gegenübertretende - Philo-
fen - dem konform; was wir als die Reflexivität des Wissens im ausdrück- sophie des Lehens darstellt. Und so kommt schließlich auch der Grundpunkt
lichen Verstehen der Bedeutung zu fassen suchten. Er macht klar, daß in der der Übereinstimmung heraus. An Kants Ausspruch von der "unbekannten
Weise "ursprünglich bildender Gebung" der "Horizont" hervorgebracht wird, Wurzel", aus der die beiden "Stämme der menschlichen Erkenntnis", Sinnlich·
innerhalb dessen uns die Bedeutsamkeit dessen, womit wir umgehen, "offen- keit und V erstand, entspringen mögen, stellt Heidegger das Entscheidende
bar" zu werden vermag, sei es der Horizont einer "Welt" für das Sichhinwen- fest: "Das eine Wesentliche", was die Kautische Grundlegung der Philosophie·
den zu Gegenständen überhaupt, sei es der der sittlichen Welt, in deren "Me- zu einer "p h il 0 s 0 p hierenden Grundlegung'' macht, ist: "sie führt nicht
dium" ich, mit Fichte zu reden, mich allererst "als Person erblicke". Er selbst auf die sonnenklare absolute Evidenz eines ersten Satzes und Prinzips, sondern
bringt diese in ihrer Polarität einheitliche Bewegungsform der "Transzendenz" geht und zeigt bewußt ins Unbekannte" (K, 34).- Man muß, um diese
auf die abstrakte Formel:
Wendung der phänomenologischen Richtung zu würdigen, sich daran erinnern,
"Von-sich-aus-hin-zu-auf ..•• dergestalt, daß das so sich bildende Worauf-zu zurück- und wie noch Scheler die "Ordnung der fundamentalsten Evidenzen" als den
hereinblickt in das vorgenannte Hin-zu .... " (K. 181).
notwendigen Beginn jeder Erörterung des Wesens der Philosophie hinstellte
Transzendenz des Daseins und Reflexivität des Wissens, Über sich wie über
·\I
und sie folgerecht auffü~ute von dem parmenideischen Anfang an : 1)
alles Seiende Hinausgehen und In sich Zurückgehen, das "Weltenlassen" von Die erste und unmittelbarste Evidenz" ist: "daß überhaupt Etwas sei oder noch schärfer
Welt im Seinsverständn1s, in dem die Möglichkeit gründet, daß uns Seiendes ;esagt, daß ,nichts Nichts sei' ". Dann "die zweite eviden_te Einsicht", '?daß ein a_bsolut Se~endes
ist''. die dritte, "daß alles mögliche Seiende ein Wesensem oder Wasse~n (essentia) und em Da-
als Seiendes offenbar wird, und der Vollzug der Besinnung im Besitz der Welt:
sein (existentia) notwendig besitzt" ....
in diesen entgegengesetzten Richtungen ist die innere Form der Bewegung Aber nachdem wir soweit sind, muß nun die Krisis kommen.
analog, und durch beide hindurchblickend gewahrt man die Kautische dyna·
mische Konzeption der "vorgängigen Grundlagen des Begreifens" (Humboldt) 11. Der Widerstreit der Thesen, Fundamentalontologie oder Logik, hat sich
in ihrer von der Verquickung mit der überlieferten formalen Logik freige· durch das gemeinsame Begehen der Ursprungssphäre nicht aufgelöst, sondern
machten Bedeutung. nur noch in diese Sphäre der Realisierung selbst hinein vertieft. Da, wo sich
Heidegger hat es mit einer erstaunlichen Kunst der Interpretation z~wege uns das Unergründliche des Lebens auftut, dessen schaffende Explikation
gebracht, seine Bestimmung des "metaphysischen Urgeschehens" der Tran· der logische Interpret durch die geschichtliche Schicksalsgemeinschaft des
szendenz aus Kants kritischem Grund werk herauszuholen. Bei allem Gewalt- menschlichen Philosophierens zu verfolgen hätte, schließt sich für. Heidegger
samen, ja vielfach Quälenden, das dieses Verfahren der Projektion des Frem- die "Bewegung des Philosophierens"', um die Endlichkeit des Daseins kreisend,
den auf die eigene Ebene hat, ist es doch eine zentrale Projektion, die einen wieder in sich selbst zusammen: sie offenbart "das Einbrechen des Bo-
wesentHchen, von Kant aus möglichen Weg ans Licht bringt. Sie vermag das
l) Scheler, Vom Ewigen im Menschen, I (1921) S. 112 ff.
' (

238 Die Krisis im Verhältnis von· Metaphysik und Existenz Heideggers Konstruktion der Transzendenz des Daseins 239
densunddamit den Abgrund der Metaphysik" (K. 205). Durch den Hin.- sie an sich selbst ist, phänomenologisch zu erfassen. Wir wiesen schon, als wir
fall des absoluten Bodens d~r V erimnft und der vermeintlichen Wissenschaft die "Transzendenz des Daseins" mit der Reflexivität des Wissens zusammen-
aus rein.er V emunft sollte, so meinten wir, der metaphysische Raum frei wer- ~tellten, darauf hin, daß dieser Begriff a~ dem der Transzendenz des intentio-
den, damit in ihm das Eindringen in die Erfahrungswirklichkeit sich unbe- nalen Gegenstandes, also an einer wissenschaftlichen, erkenntnistheoretisch-
fangen mit allen Organen der wissenschaftlichen Aufklärung vollziehen könne psychologischen Lehre 'orientiert ist. Aber diese Antizipation reicht noch tie-
und also die ,~Autonomie der Vernunft" als das "Prinzip der Philosophie" fer.. Die Grundbewegtheit de~ Transzendierens, die Heidegger dem "verbor-
festgehalten werde in dem Diltheyschen Sinne, den wir früher einmal zu for~ genen Geschehen der Metaphysik im Dasein selbst" zuschreibt, im Dasein,
roulieren suchten: von dem es heißt: "der Mensch ist Mensch nur auf dem Grunde des Daseins
·, in ihm'', diese al~ existentiell angesprochene Dynamik hat dieselbe in sich ge-
Freiheit zur Realisierung der Einheit des geistigen Lebens in der Totalität seiner Gestaltungen
mitten in der nüchternen Klarheit über das in der menschlichen Natur begründete Schicksal, bei schlossene logische Form wie der parmenid~ische Sphairos: ~us der absoluten
dieser Realisierung auf Grenzen stoßen. (Vorbericht V, CXV). Sphäre, inderaasreine schauende Denken in sich und bei seinem Gegenstande·
So mußte uns die Wendung, die aus dem Darinnensein in den Lebensbezügen steht, i!lt sie in die unständige, ihrer selbst nicht mächtige Region der mensch-
und Sichverstehen auf sie zu solcher Freiheit führt, das wesentliche Problem sein, lichen Existenz· übertragen.
und zu seiner Lösung vermögen wir noch keinen anderen Weg zu sehen als So zergliedert er die Transzendenz, indem er zeigt: der Überstieg des Da-
den durch die reale, die Vollzugsgeschichte. Nach Heidegger dagegen bleibt seins über "das Seiende im Ganzen", ohne den uns Seiendes nicht als Seiendes 'i
nach dem "Einbrechen des Bodens", auf dem die Vernunft in sich zu stehen offenbar_ sein könnte, ist daran gebunden, daß das Dasein "vor das Nichts ge-
wähnte, jenes "metaphysische Urgeschehen" der Transzendenz zurück, das die bracht ist" - wie Scheler in bezug auf "die erste Evidenz" der philosophischen
abstrakte Form, die wir nur als eine Abstraktion gelten lassen konnten, nun Metaphysik erklärte:
wirklich hat als etwas in sich Abgeschlossenes, und das daher ontologisch kon- "wer gleichsam nicht in den Abg;und des absoluten Nicl).ts geschaut hat, der Wird die e~­
struierbar ist von einer dynamischen arche aus: es bleibt eine Ontologie der nente Positivität des Inhalts der Einsicht, daß überhaupt Etwas ist und nicht lieber Nichts,
übersehen".
Geschichtlichkeit, deren ganze Paradoxie durch die 'Begriffe: "die geschehende
Grundverfassung" des Daseins, "die als Das ein notwendig geschehende Me- Heidegger, der Husserl zu Dank, den Anfang mit einer absoluten Evidenz eines
taphysik" angezeigt ist. Wir sollen wir da entscheiden, ohne das uns Fremde, Grundsatzes aufgegeben hat, der die "als Dasein geschehende" Metaphysik
das sich mit solcher Sicherheit in dem "Abgrund" bewegt, leichtsinnig abzu- sucht, will das Dasein im Menschen. konstruieren. Diese Konstruktion e#olgt
stoßen? Wenn wir nicht irren, ist es möglich, dem immanent und also objek- am laufenden Band des Möglichkeitsbegriffs, · der die ganze Systematik im
tiv beizukommen. Zuge hält. Das Dasein als "Schon-sein-in-einer-Welt bei innerweltlich Seien-
Denn durch die Konstruktion, ja schon durch die zergliedernde Beschrei-- dem" setzt ein vorgängiges Seinsverständnis voraus, dieses den Überstieg über
bung, die Heidegger dem "metaphysischen Urgeschehen" der Transzendenz das Seiende im Ganzen, dieser eine Offenbarung des "Seins", das weder ein
zuteil werden läßt, glauben wir die logisch-ontologische Denkform hindurch- Seiendes noch ein Gegenstand ist, und dies wiederum ist nicht möglich ohne
scheinen zu sehen, hinter die gerade zurückgegangen werden sollte, um di!-' ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts: "Im Sein des Seienden geschieht das
. . .
Grundbewegtheit des menschlichen Daseins in ihrer ursprünglichen Form, wie Nichten des Nichts" (M. 20). Damit ist der Punkt erreicht, auf den es jetzt
240 . Die Krisis im Verhältnis von Metaphysik und Existenz Heideggers Konstruktion der Trap,szendenz des Daseins 241
ankommt. Das "Geschehen", das das Dasein "vor das Nichts" und in eins als Metaphysik im Infragestellen der Bedeutung und damit der Realität der
damit "allererst vor das Seiende als ein solches bringt", ist das metaphysische Welt beginnt, daß "Sein und Nichtsein einander gebären"? (Fihel105). Das
Urgeschehen schlechthin: in ihm gründet nicht bloß die Möglichkeit der Philo- Verfängliche scheint uns zu sein, daß die gedankliche Form, in der de:r Begriff
sophie, sondern des Menschseins überhaupt: "Da-sein heißt: Hineingehalten- sich selbst und seinen Widerpart offenbart, nicht als dialektisches Mittel -
heii in das Nichts" (M. 18). In diesem "Urgeschehen" aber dürfte die Parmeni- eines unter anderen möglichen, etwa der reflexiven Beziehung wie z. B. der
deische DenkbewegU.ng greifbar sein, die das ursprüngliche metaphysische Wis- causa sui -genommen wird, mit dem der Denker, der selber in der Philoso-
sen dadurch diskursiv feststellte, daß sie die absolute Setzung des Seins durch phie lebt, die metaphysische Bewegung des radikalen Fragens den nicht in der
die doppelte Negation vermittelte. . Philosophie Stehenden mitzuteilen sucht (was doch auch bei Heidegger der
Jene "erste metaphysische Evidenz", daß nicht Nichts ist, springt, der Satz- Fall ist, wenn er, um der Pflicht einer akademischen Antrittsrede zu genügen,
form entledigt und aus der diskursiven Ebene losgelÖst, über in eine Realisie- das Thema: "Was ist Metaphysik?" wählte). Statt dessen wird die dialektische
rung des Nichts," die als ein von diesem selbst ausgehendes Geschehen ("Nich- Beziehung der Begriffe: Sein und Nichtsein in das metaphysische Irrealitäts-
tung") eben die Bedeutung wie die Parmenideische Vermittlung hat: in ihr erlebnis, zu dessen Ausdruck sie dient, zurückverlegt, und damit wird dann
und durch sie wird das Seiende als solches ursprünglich offenbar. Auf ihren dieses selber aus einer .~pezifisch philosophischen, von der logischen Ene,gie
logischen Charakter hin angesehen, ist die Bewegungsform, die für das D-as ein des Frage~s unzertrennlichen Bewegung zu der fundierenden Grundbewegt-
"ontologisch" konstruiert wird, vielmehr die Denkform der antiken Ontologie, heit des Daseins gemacht.
also aus der philosophischen Theorie entlehnt. Eine in der Geschichte cJer Philo- "Das Nichts zieht IJ.icht·auf sich, sondern ist wesenhaft abweisend. Die .Abweisung von sich
sophie an einem bestimmten Wendepunkt ihrer Entwicklung hervorgebrachte, _ ist aber als solche das entgleitenlassende Verweisen auf das versinkende Seiende im Ganzen".
entscheidende logische Form wird zur Beschreibung des Urgeschehens .der Und nachdem solchermaßen der philosophierende Geist, der besinnlich fragend
Transzendenz benutzt und so in den Lebensuntergrund verlegt, eine nachträg- über dem Lehen verweilt, seine eigene Form an das "Dasein" abgegeben hat,
liche Reflexionsform zur vorgängigen Lebensform gemacht. So· schieben sich kann nunmehr die philosophische (und Philosophie ermöglichende) Besinnung
die beiden Ebenen, die des Daseins und die der Philosophie, von der doch wie- aus der Konstitution des "metaphysischen Geschehens" schlechtweg fortge-
derum gesagt wird, daß sie "eine entscheidende Möglichkeit des Daseins" ist, dacht werden. Das Geschehen der Sein-offenbarenden Nichtung kommt auf
ineinander, und da, wo uns die Frage nach dem Weg vom Lehensverhalten her ulis zu in einem begnadeten Augenblick, auf den wir harren müssen - nicht
zur Philosophie und Theorie hin entspringt, ist die Frage von vornherein 'schon

wie die 'Erleuchtung in der Kontemplation über uns kommt, als Lohn der den-_
beantwortet dadurch, daß Leben und Philosophieren zusammenfallen. Das keris~hen Arbeit, wie Platon das "Ausstrahlen von Verstand und Vernunft
aber ist wiederum nur deshalb möglich, weil die Urzelle des theoretischen Ver- . über jegliches Einzelne" dem Dialektiker als Lohn seiner schier übermensch-
halttms, die Husserl in der phänomenologischen Reduktion fand, in verwan- lichen Anstrengung verhieß, sondern ein unreflektiertes Erlebnis, eine "Stim-
delter Form in jenes metaphysische Urgeschehen aufgenommen ist. mung", die sich mit N a.rn:en angeben läßt, ist das, was uns vor das Nichts lind
"Das Nichts", erklärt Heidegger, "gibt nicht erst den Gegenbegriff zum damit vor das Sein bringt: die "Angst"! die Angst, die "uns das Wort ver•
Seienden her, sondern gehört ursprünglich zum Wesen des Seins selbst" schlägt". Man müßte die erregenden Beschreibungen, die Heidegger gibt, ge-
(M. 20). Aber besagt das etwas anderes als die Einsicht, mit der die Philosophie nau durchanalysieren, um zu zeigen, wie kompliziert und sublim diese als ele-

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. l(i


242 Die Krisis im Verhältnis von Metaphysik und Existenz Heideggers Konstruktion der Transzendenz des Daseins 243

mentar angesetzte "Stimmung" ist, die er unter dem Eindruck von Kierke- Schmerz antun und die mir Freude bereiten, gegen alle hin ich gleich". Doch
gaard die Angst nennt: die primitive Lebensangst und Todesfurcht, deren Be- hierbei verweilen wir nicht. Umso weniger, als auch bei Heidegger selbst dies
deutung für das Weltverständnis gemeinschaftlich gebunden bleibt; das den andere auftaucht, wenn auch nur für einen Moment und bislang noch wie ein
Einzelnen angehende Versagen der "heilig-heilenden" Ordnung des Glaubens, fremder Ton: er stellt der Langeweile - im Unterschied zu der Angst, die
das nicht zur Besinnung zu führen braucht, sondern den heldischen Menschen etwas Allein-Einziges ist - noch eine andere Stimmung zur Seite, die das
zum Kampf aufruft, einem Kampf, der innerhalb der bodenständigen Lebens- Seiende im Ganzen zu offenbaren vermöchte: "die Freude aus der Gegen-
und Wel!ansicht verbleibt 1 ); die SJ>ezifisch religiöse Vertiefung der Angst der wart des Daseins- nicht der bloßen Person- eines geliebten Menschen".
Kreatur in dem alttestamentlichen Gottesglauben, die· ganz moderne S~kula· Uns kommt es hier nur auf das Verhältnis an, in dem das als "metaphysisch"
risierung dieser. unheimlichen Lebensstimmung, wie sie ein Dichter unserer angesprochene "Grundgeschehen unseres Da-seins" zu der Philosophie steht,
Tage zu gestalten vermochte, und wohl noch anderes mehr erscheint hier zu- die uns noch immer in das freie Reich des Geistes zu gehören scheint, der Phi-
sammengenommen mit der "Stille" und "Leere", jenen ständigen Symbolen losophie, von der Platon sagte, daß diese "Gattung das höchste Gut sei, das
der Unendlichkeitsmystik für die göttliche Mitte, die jenseits der Affekte, vor je dem menschlichen Geschlecht zuteil ward oder werden wird als Geschenk
ihrem Hervortreten waltete, mit dem Schaudern, von dem es in Faustens Gang von den Göttern".
zu den Müttern heißt: Und da dürfte für das lrrealitätserlehnis, um das es bei dem Affekt der
Doch im Erstarren such' ich nicht mein Heil, / Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil. Angst wie bei der Dialektik von Sein und Nichts geht, deutlich sein, daß es
Und dies Zusammengepackte, uns heutigen spätgeborenen Menschen zusam- aus der philosophischen Ebene in die Unmittelbarkeit der Existenz verlagert
men Faßbare wird als die ursprüngliche Bewegung im Grunde des Daseins auf- ist. In der Philosophie gehört es zweifellos an den Anfang. Da bedeutet es
gestellt mit dem Erfolge, daß das zur Kontemplation gehörige Schwebenkön- die große Umwandlung, welche die Welt, in der wir leben, (sei es die kosmische,
nen, seines freien Zuges verlustig, in der affektiven Bewegung aufgeht: "die sei es die moralisch-politische oder religiös-kultische) erfährt, wenn durch das
Angst läßt uns schweben, weil sie das Seiende im Ganzen zum Entgleiten radikale Fragen im Durchbrechen der welthaften Lebensbezüge die freie Ferne
bringt" (M. 17). Ebenso aber auch schon für das ursprüngliche Aufgehen des errungen wird, in der die Welt als Ganzes überhaupt erst erblickt werden kann.
"Seiendem im Ganzen", das in der Fundierungsordnung vorangeht: eine Stim- Indem sie erblickt wird, verliert sie ihre absolute Bedeutung, an dem Dasein
mung, die Stimmung der Langeweile, der "eigentlichen", der ,,tiefen" Lange- selbst stellt sich die Gegensätzlichkeit des "Wir sind und sind nicht" als das
weile, die Kennzeichen alles Endlichen logisch heraus, während zugleich die Entfernung,
"in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin und herziehend alle Dinge,
von der aus diese Entwertung und Relativierung erfolgt, sich auf ein nie voll
Menschen und einen selbst mit ihnen in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammenrückt".
Ein Kulturmenschen-Mfekt Schopenhauerscher Prägung an der Stelle des un- zu realisierendes Jenseits hinbewegt, das mit dem absoluten Nichts der docta

persönlichen Verhaltens der Kontemplation, des Liebesgleichmuts einer über- ignorantia getroffen wird. Als eine Vergegenwärtigung dieser dialektischen

weltlichen Gesinnung, die dem Erleuchteten zu sagen erlaubt: "die mir Bewegung im metaphysischen Wissen (FibellOO ff.) vermögen wir Heideggers
Konzeption des "Abgrundes" des Daseins und der offenbarenden ,,NichtU.ng"
1) Ein besonders aufschlußreichesBeispielist die persönliche Dichtung des Skalden Egil, vgl.
Deutsche Vierteljahrsschrift VI (1928), 232. Egils Gedicht "Der Söhne Verlust" ist geradezu zu verstehen. Und so auf die Metaphysik in ihrer geistig-geschichtlichen Wirk-
ein Beleg für das in der Fibel S. 26 Dargelegte. lichkeit bezogen, fügen sich seine phänomenologischen Beschreibungen in den

16*
Heideggers Konstruktion der Transzendenz des Daseins 245
244 Die Krisis im Verhältnis von Metaphysik und Existenz
Unternehmen einer "Wiederholung" der Metaphysik liegt dann auf der Linie
großen Zusammenklang der Aussprüche des metaphysischen Wissens aus allen
der transzendentalen Logik. Der metaphysische Überschwang, der ,naiv-ge·
philosophischen Zeitaltern und Kulturen ein. Das, was wir als den ersten Ge-
radezu' gerichtet, in der transzendenten Setzung des absoluten Nichts oder
samteindruck von "Sein und Zeit" konstatierten, daß trotz der festen problem-
des - damit identischen - ~;thsoluten Seins auslief, begreift sich kritisch als
haften Fassung der philosophischen Grundfrage mittels des Begriffes "Sein"
die im menschlichen Lehen selbst entspringende Richtung in die Transzendenz.
hier doch die Philosophie in Person uns anspricht, so daß wir uns in die Rich-
Zu fragen bliebe uns hier nur noch, wie diese Richtung existential .zu ver-
tung gewiesen finden, in die noch jeder Metaphysiker weist (11), das wird jetzt
stehen sei, oh es genüge, hier eine "Stimmung", die aus der Welt auf-
geradezu wörtlich bestätigt. Durch Heideggers rein theoretische Exposition
steigt und uns "überfällt", anzusetzen, oh man über die besondere Anstren·
des Seins als des "transzendens schlechthin" glaubten wir die Immanenz des
gung hinwegsehen dürfe, die uns erst dazu reif macht, das Überfallende zu
Transzendenten hindurchzuhören wie z. B. in dem· Heraklitwort:
empfangen, und ohne die die Stimmung auch nur "ausschwingen" (G. 38) und
"Von ihm, mit dem sie allernächst in Einem fort verkehren, dem Allwaltenden Logos, kehren sie
sich fort, und was ihnen täglich begegnet, ist ihnen fremd". nicht gestaltungskräftig sein würde.
Für das Problem, das uns jetzt beschäftigt, ist die andere V ergleichshinsicht,
Und jetzt heißt es von dem Nichts:
für die wir die mystische Theologie heranzogen, aufschlußreich. Denn sie läßt
"Das Nichts nichtet unausgesetzt, ohne daß wir mit dem Wissen, darin ·wir uns alltäglich be-
wegen, um dieses Geschehen eigentlich v.issen" (M. 21). gerade die spezifisch philosophische, die logische Bedeutung der Beziehung von
Sein und Nichts hervortreten. Das Nichts, das als Name - oder vielmehr
Ja, man kann schlechtweg in Heideggers Metaphysik-Vortrag da, wo er
nicht eigentlich Name, sondern hinweisender Ausdruck - für Gott auftritt,
"Nichts'' sagt, dafür "Gottheit" einsetzen, ohne den Sätzen ihren Sinn zu
kann so fungieren, weil es dasselbe meint wie das absolute Sein, weil in der
nehmen, z. B. "Das Nichts ist die Ermöglichung der Offenharkeit des Seienden
transzendenten Setzung Bejahung und V erneinung zusammenfallen. Insofern
als eines solchen für das Dienschliche Dasein" (M. 18). Und eine solche V er-
(auf das Erlebnis, die "Stimmung" hin angesehen, die sich nur. scholastisch-
tauschung ist auch nichts weit Hergeholtes, wenn man an die alte Formel der
logisch ausformt) steht neben dem kugligen: "Es ist" der metaphysischen Vi-
mystischen Theologie denkt: "deus propter eminentiam non immerito nihil
sion ebenbürtig das "Ich hin" oder vielmehr das gedoppelte "Ich hin, der ich
vocatur". Daß aber eine solche Verwechslung der zwei Worte: Nichts und Gott
hin", das die alttestamentarischen Theologen aus deni Gottesnamen Jahve
nun doch den Sinn des Ganzen verkehren würde, das läßt gerade an dem Wi-
herausdeuteten. In diesem Sinne konnte Meister Eckhart zur Auslegung jenes
derstand, den man dabei spürt, die neue philosophische Grundstellung scharf
Bibelwortes erklären 1):
hervortreten. In zwiefacher Hinsicht,. nämlich in hezug auf die. beiden alter-
Et notandum, quod bis ait: ,Sum qui sum', puritatem affirmationis exclusa omni negatione ab
tümlichen Denkformen, die wir zum Vergleich heranzogen. ipso Deo indicat. Rursus quondam ipsius esse in seipsum et supra seipsum reflexivam coriversio•
Einmal - in hezug auf die anfängliche Form der metaphysischen Dialektik, nem et in seipso mansionem sive fixionem.
für die Heraklit ein Beispiel gab - tritt der kritische Zug der Grundstellung Dagegen wird in der logisch-philosophischen Bewegung das "Es ist" gerade
hervor, demzufolge die "Immanenz des Transzendenten" in die "Transzendenz durch dieN egation des Nichts vermittelt. Wie Heidegger treffend bemerkt: der
des Daseins" zurückgenommen wird; wie das schon zu Beginn als Punkt der Zusatz "nicht Nichts" ist "keine nachgetragene Erklärung, sondern die vor-
Übereinstimmung festgestellt und auf das Sichdurchsetzen der zur Philosophie
1) Die Eckhart-Stelle in Denifles Archiv f. Lit. u. Kirchengesch. d. M. A. U (1886) 560.
wesentlich zugehörigen Aufklärungsricht~ng zurückgeführt wurde (27). Das
246 Die Krisis im Verhältnis von N~etaphysik.undExistenz Heideggers Konstruktion der Transzendenz des Daseins 247

gängige Ermöglichung der Offenbarkeit vom Seienden überhaupt" (M. 19). in dem sie ihre bestimmte und beschränkte Bedeutung haben, loszulösen, um· die generalisierten
Sätze in ein dogmatisches System zu bringen. Hier macht sich in der neuen Ontologie nun doch
Sein und Nichts meinen hier nicht dasselbe, weil sie nicht· mehr evozierende die verleugnete Herkunft aus der antiken geltend.
Ausdrücke, sondern diskursive Bestimmungen sind; das Sein springt nicht -
wie er ebenso treffend gegen de11 Anfang von Hegels "Wissenschaft der Logik~' Der scholastische Hintergrund der Phänomenologie hatte sich uns ehedem, als
bemerkt - in das Nichts um, sondern das Denken vermittelt sich selbst und es sich um die Auseinandersetzung ~wischen Dilthey und Husserl handelte, in
seinen eigenen Gegenstand, das Seiende, auf dem diskursiven Wegeder Nega· der Trennung der Wesenssphäre von der Wirklichkeit dargestellt, gegen die
tion und behauptet sqlchermaßen seine Souveränität (Fibell04) - die denke- die Konzeption des geschichtlichen Lebensgeschehens sich kehrte, Struktur
rische Haltung des :l>hilosophen bedeutet die Handaufhebung gegen Gott. gegen Form, Lebensbedeutung gegen urbildliehe Idealität. Durch die existen·
tiale Umstellung der Phänomenologie schien dieser Gegensatz behoben. Aber
Aber während wir hier die eigene Ebene der philosophischen Anfangsbewe-
er kehrt nun in umgekehrter Richtung wieder, indem die Wesenssphäre die
gung glauben greifen zu können und dementsprechend nach der Wendung for-
Wirklichkeit in sich aufsaugt; das geschichtliche Geschehen, in dem die Philo-
schen müssen, die vom menschlichen V erhalten in den Lebensbezügen bis hier
sophie zuwege gebracht wird, geht in einer "geschehenden Grundverfassung"
heranführen: mag, verlagert Heidegger das "metaphysische Urgeschehen'', das
des Daseins unter, so daß die paradoxe Verwendung des Ausdrucks: "Meta-
er durch eine Verbindung der Begriffe:. Sein. und Nichts beschreibt, in den
physik" zur Bezeichnung eines zeitlosen "verborgenen Geschehens im Dasei~
Grund des Daseins .selbst. Die "Metaphysik über das Dasein", zu der die
selbst" .gewagt werden kann.
Fundamentalontologie gehört,- ist nur eine Explikation der "Metaphysik des
Daseins". Er will zei~en, daß das als "Transzendenz" bezeichnete Geschehen, Diese Übertragung hat ihre Unterlage in der geistigen Grundtatsache der
in welchem das Seiende im Ganzen überstiegen wird, zum Dasein als sol- Weltansicht~ Weltansicht gleich Weltbildung: nach Heidegger dank' dem

chem, unabhängig von der philosophischen Besinnung gehört. Und wenn er transzendierenden "Seinsverständnis", das Welt "weiten" läßt, nach Dilthey
einen an sich unbesinnlichen Affekt, die Angst, zum Quell der Offenbarung dank dem inversen V erstehen, durch das "das Leben von jedem Individuum
von Sein und Nichts macht, so ist es darauf abgesehen, mit einem Schlage so- aus sich seine eigene Welt schafft". Bei Dilthey fanden wir das Verfängliche
wohl der Vernunft, dem Iogos, den Primat in der Philosophie als auch der Philo- darin, daß er die Metaphysik als eine "Lebensform" der Weltanschauung un-
sophie den Charakter einer geistig-geschichtlichen Hervorbringung zu nehlllen. terordnete, so daß ihre eigene, in der Erkenntnissphäre liegende Problematik
Er macht sich Kants Äußerungen über die "zur Natur des Menschen gehörige" zu etwas Sekundärem wird, während der Gehalt, auf den es ankommt, die gro-
Metaphysik zu eigen, in denen ~ns das Zeitalter der Aufklärung durch Kant ßen Grunderfahrungen, durch die die Bedeutung unseres Daseins bestimmt
zu sprechen scheint, ja er ruft Platon selber zum Zeugen auf für seine These: wird, nichts ihr Eigenes, sondern ihr mit der Religion und Dichtung gemeinsam
"Sofern der Mensch existiert, geschieht das Philosophieren''. sind. Bei Heidegger, der in jener Problematik von der scholastischen Tradition
her zu Hause ist, wird umgekehrt die Weltansicht auf die reine Form des Trans-
So übersetzt er (M. 28) Platons Mahnwort an den jungeri Isokrates, daß er- "der Mann"-
s~ner 'gei.stigen Verarilagung nach nicht zum bloßen Rhetor, sondern zur Philosophie geboren
zendierens zurückgebracht, das immer nur Horizonte bildet, die völlig leer
sei! (Phmdros 279 a) In dieser Übersetzung verrät sich uns noch deutliehet das, was in der bleiben, und diese ,stationäre Strömung' wird zum spezifisch-metaphysischen
schon angemerkten Projektionskunst der Schriftauslegung zu spüren war. Denn dieses Ver-
Urgeschehen gemacht, auf dem die Menschwerdung beruht. Sie ist gleich dem.
fahren, das einen demonstrativischen Artikel zum generellen macht, ist doch wohl die aus der
antiken Jurisprudenz bekannteTechnik, die Rechtssprüche aus dem besonderen Zusmnmenhang, metaphysischen Wissen an die "Nichtung" gebunden. .
248 ·Die Krisis im Verhältnis von Metaphysik und Existenz . -249
Die logische Form dieser Konstruktion, herkiinftig von Busserl
-
Hier ist uns zweierlei bedenklich. Zunächst fragt sich auch hier wieder im . rige Sache, die wir nicht·so wie der Phänomenologe h~tstande sind, in ~hstrakt
allgemeinen: mit welchem Recht ~rd die Weltbildung überhaupt als· "Meta· · _logischer Weise metaphysisch zu denken. Wir suchen nach einer Vermittlung,
physik" bezeichnet und dann - gegenüber den von Menschen hervorgehrach- die uns den Sinn der Sac~e verständlich mache. Und die glauben wir nun wie,
ten Gedankenmassen - als die ursprüngliche Metaphysik angesehen? so derum in dem geschichtlichen Wirkungszusammenhang. zu finden, aus dem
daß die ganze Philosophie, dieses weitstrahlsinnige Ganze, nichts anderes ist . Heideggers Metaphysik des Daseins als Fundamentalontologie hervorgegangen·
als eine Ausformung jener isolierten Daseinheits-Dynamik. ist: in der maßgehenden Rolle, die die phänomenologische Reduktion,,
Aber wesentlicher ist die andere Frage, die den verlagerten Kern betrifft, ' die entwirklichende Realisierung, bei allen, die von Busserl gelernt haben,
auf sie drängte unsere Erörterung hin: mit welchem Recht wird das Irrealitäts· spielt. Sie kommt ihr mit Recht in d~r Region der rein theoretischen Erkennt·
erlehnis, das am Anfang der Metaphysik steht, als Bedingung für die Möglich· nis zu, deren Macht uns ja noch unbewältigt (sowohl bei Heidegger wie bei
keit von Weltansicht (Seinsverständnis) überhaupt angesetzt und also dem Dilthey unbewältigt) zurückblieb. Aber ein Unrecht wird daraus, wenn sie,
Menschen als solchem eine. metaphysische Wesensverfassung zugeschrieben ? die als Ermöglichung einer mit der absoluten Wissenschaft einigen Philosophie
Hier glauben wir nunmehr die Stelle fassen zu können, wo der Einsatz der konzipiert worden war, in das. Erdreich der menschlichen Existenz umgesetzt
Fundamentalontologie, der die Logik verdrängen möchte, sich vielmehr von und in solcher Übersetzung als Bedingung der Möglichkeit für das reine Mensch·
ihr abhängig erweist und zwar abhängig gerade von ihrer rein theoretischen, sein hingestellt wird, dessen defizienter Modus das alltägliche weltbefangene
in Busserl verkörperten Richtung. , und selbstverlorene Dasein wäre.
Es zeigte sich schon, wie die Parmenideische Tradition (in der ja Busserl Das, was wir hier zu sehen glauben, ist nichts Ersonnenes. Es ist auch ander·
mit seinem Platonismus steht) durch die logische Form von Heideggers exi· wärts im Umkreis der Phänomenologen zu find~n, bei Scheler; der ja
stentialer Nichtung hindurchscheint. · Aber unklar blieb uns noch, wie das bei deren Hinwendung zur Lehensphilosophie führend war. Scheler, der an
möglich sei: Wie die in der reinen Erkenntnissphäre einheimische Evidenz, "daß der antiken Lehre festhielt, daß der (personale) "Geist" das ist, "was den Men·
nicht Nichts ist", bei ihrem Absprung in das Meer des Lehens in diesem fremden schen zum Menschen macht", verlegte bereits die für die phänomenologische
Element eine sie tragende Fläche gewinnen könne, statt darin zu versinken. Methode charakteristische, aber uns gerade problematische ideale Geistigkeit
Wie die dialektische Bewegungsform des Begriffs, der sich selbst "(das Nichts) in das Wesen des Menschentums. Er bestimmte- oder, da man bei ihm nicht
und seinen Widerpart (das Seiende) offenbart, als wesenhafte Form der Grund- gut im Durativum sprechen kann, bestimmte zuletzt 1) - als das Grundmerk:
bewegtheit des Daseins erscheinen könne und demzufolge das Wissen von Sinn mal des menschlichen Geistes die Fähigkeit, "den Akt der Ideierung zu voll-
und Bedeutung, das in diesem menschlichen Dasein gedeiht, (die "Offenhar- ziehen" (Dasein mid Wesen zu trennen),. und erläuterte das so!
keit" von Seiendem, wie Heidegger sagt), an die "Nichtung" gebunden sei, an
"Bewußt oderunbewußt vollzieht der Mensch eine Technik, die man als versuchsweise Aufhe-
eine Entweltlichung also, ohne die in der Tat der für -die Weltansicht in An- bung des Wirklichkeitscharakters bezeichnen kann ... der Mensch ist der ,N einsagen-
spruch genommene Überstieg des Daseins über "das Seiende im G·anzen" nicht könner', der ,Asket des Lehens', der ewige Protestant geg_en die bloße Wirklichkeit".

möglich wäre. Diese. Anhindung der Lehensbedeutung z~sammen mit der. Diese Thesen gehören nun freilich einem Zusammenhang an, der Heidegger
Offenharkeit von Seiendem an den metaphysischen Pfeiler der Realisierung des fern liegt. Es wird nach dem "Wesensunterschied" zwischen Mensch und Tier
Nichts - nicht Anhindung bloß, sondern Einschlii::tgung - ist uns eine schwie· 1) Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928). S. 62 f., S. 65.
250 Die Krisis im Verhältnis von Metaphysikund Existenz Heidegger und SeheZer 251

gefragt, wobei die antike (durch Schelling vermittelte) Stufengliederung der ,,eine strenge W esensnotwendigkeit" zu erfassen, wenn er den "Zusammenhang
Seinsformen das maßgebende Prinzip bleibt, und die wurzelhafte Trennung des zwischen dem Welt- und Selbstbewußtsein und dem formalen Gottesbewußt-
Geistes vom seelischeil Leben verleugnet denn auch ihre alte theologische Ab· sein" konstruiert. Er err~icht auf diesem Wege den schnellsten Anschluß an
sicht nicht. Aber. das Belehrende für uns ist gerade, wie in einem solchen Zu· den evidenten Anfang der Metaphysik. Denn das· "formale Gottesbewußt-
sammenhang jener Grundstein der "konstitutiven Phänomenologie", die Ite· sein'\ das zum Menschsein gehört; besteht in der "Idee eines absoluten Seins
duktion, in die "philosophische Anthropologie" eingebaut wird. Scheler nimmt überhaupt'', also der zweiten metaphysischen EVidenz, die auf die erste, daß
Husserl mit .Platon und beide mit Buddha .zusammen. Das "große Scheiden" nicht Nichts ist, folgt .
des Erleuchteten, die Blickumkehr auf Platons Weg .zur. Erkenninis und die . ,Hat sich der Mensch-und das gehört ja zu seinem Wesen, ist der Akt der Menschwerdung
selbst- einmal aus der gesamten Natur herausgestellt und sie zu sehiem Gegenstande gemacht,
_ Methode der "Einklammerung" der existentia um der reinen essentia willen:
so wendet er sich gleichsam erschauernd um undfragt: ;,Wo stehe ich denn selbst? Was ist
sie alle meinen dasselbe, den "imgrunde asketischen Akt derEntwirklichung". denn mein Standort?" Er kann nicht eigentlich melir sagen: ·"Ich bin ein Teil der W el~, bin
Und die .Konsequenz? Dieser geistige Grundakt, der, gleichviel wie er inter· von ihr umschlossen", denn das aktuale Sein seines Geistes :und seiner Person ist sogar den
Formen des Seins dieser "Welt" in Raum und Zeit überlegen. Und so schaut er gleichsam bei
pretiert werden mag, jedenfalls auf den Ursprung der philosophischen Meta· dieser Umwendung ins Nichts. Er entdeckt in diesem Blick gleichsam die Möglichkeit des
physik hindeutet'":"""'" auch Buddhas "religiöse" Schau ist eine Umsetzung des absoluten Nichts- und. dies treibt ihnweiter zu der Frage: ,;Warum ist ·überhaupt eine Welt,
·warum und wieso bin ich überhaupt?" .... (a. a; 0., 105 ff. V gl. Schopenhauer, Fibel 90.)
metaphysischen Wissens in ein mystisches Erlebnis (Fibel 171) - , wird zum
Heidegger ist von der theologischen Anwandlung, die ihm Scheler imputierte,
Grundakt der Menschwerdung gemacht. Der Mensch ist das animal metaphy·
frei. Wir sahen, daß gerade wenn man für sein "Nichts" die Gottheit des My-
sicum, .wie Schopenhauer definierte. Und zwangsläufig ergibt . sich dieselbe
stikers einsetzt, der reine denkerische Sinn seiner Darlegungen herausspringt.
Achsendrehung wie bei Schopenhauer, der den Ausspruch Platons: "das Stau·
Ebenso fern liegt es ihm, das platonische Staunen seiner theoretischen Bedeu-
nen ist der Anfang der Philosophie" existential umdeutete; indem er das Stau·
tung zuwider mit dem Schaudern zu vermengen, das den Prinzen Gautama
nen mit dem Schaudern verwechselte. Das Staunen, das der Anfang der
überkam, als die Götter ihm die Krankheit, das Alter und den Tod in den Weg
Wissenschaft ist und das .durch die Wissenschaft aufgehoben sein will -
stellten. Er weiß, worauf es hier ankommt, wenn er erklärt (M; 27):
so ist der Ausspruch bei den griechischen Denkern gemeint (Fibel 37, 39, 314)
"Nur wenn die Befremdlichkeit des Seienden uns bedrängt, weckt es und zieht es auf sich die
- und das Schaudern vor dem Rätsel des Lebens, das der Philosoph gerade Verwunderung. Nur auf dllm Grunde .der Verwunderung .... entspringt das ,Warum?'"
nicht soll aufheben wollen und. das er nur um den Preis der Vernichtung von Zu bedenke:n wäre dabei nur, daß er Iiun doch das Staunen, das einen meta-
Leben und Welt aufheben kann. Durch diese Vermischung des Verschiedenen physischen Untergrund hat, in anthitheoretischer Absicht existential-onto-
wird die wesentliche Frage ausgeschaltet, wie das eine zum anderri, das Schau~ logisch fundiert, indem er es der Neugierde gegenüberstellt, die uns zu
dern zum Staunen (der Zwiespalt zum Zweifel) führen mag, und statt dessen dem natürlichen Aufklärungszug in der Lebenstechnik zu gehören scheint
wird ein einaktiger Ursprung von Metaphysik und Religion in jenem Grundakt (Fibel 109), wie s:ie denn etwas Menschen und Tieren Gemeinsames ist.
behauptet, der nach Scheler "den menschlichen Geist recht eigentlich defi· "Pie Neugier", erklärt er (S. u. Z. 170) "hat nichts zu tun mit dem bewundernden Betrachten
niert". Nur daß gegenüber Schopenhauer, der bei jener Umdeutung des Plato· des Seienden; dem {}'avftri6ew, ihr liegt nicht daran, durch Verwunderung in das Nichtver-
stehen gebracht zu werden". Aber er nimmt sie nun - auf Grund der Erklärung des Erken-
Wortes die indische, aus der religiösen Praxis sich erhebende Metaphysik im
nens als eines defizienten Modus des "besorgenden Zu-tun-habens mit der Welt", wo das
Blick hatte, der moderne Phänomenologe sich zu der Behauptung versteigt, Seiende "nur noch in seinem puren Aussehen (ei8os) begegnet" (S. u. Z.. 61) - mit der
252 Die Krisis im Verhältnis von Metaphysil~ und Existenz · Die existenziale Verschiebung-der 'phänomenologischen Reduktion' 253
denkenden Anschauung zusammen, auf der die antike Grundstellung der Metaphysik als rei- steigenden Bau herausgehrochen und in unmittelbaren Bezug sei es zu Gott,
ner Vernunftwissenschaft beruht. Das Verbindende ist das Moment des "Vernehmens" (nus):
es bestimmt die •Parmenideische Stellung, da die These von der Identität von Denken und sei es zum "inneren Wesender Natur" (Schopenhauer) gesetzt zu werden, ver-
Sein bedeutet: "Sein ist;: was im anschauenden Vernehmen sich zeigt"; und es kennzeichnet· liert ihre Tragkraft, wenn die Lage des Menschen in der Welt in dem existen-
die Neugier, da sie die "Tendenz. zu einem eigentümlichen vernehmenden Begegnenlassen der
tialen Sinne genommen wird, auf den es in der "Metaphysik des Daseins"
Welt" ist, die zwar ."ein Wissen besorgt, aber lediglich um gewußt zu haben". So möchte
jene großartige frühgriechische Erscheinung der historia, die :im Werdeprozeß der Wissen- ebenso wie in der Philosophie des· Lehens ankommt: daß es unerläßlich ist, die
schaft .anfanglich mit der theoria zusammenging und gewiß auch ein gut Teil kindhafter Relativität alles menschlichen Bemühens in Rechnung zu zi~heil., wenn man.
Neubegier enthielt, als eine Art "Konkupiscenz" (Augenlust) erscheinen, und zugleich lallt
der wesentliche Gegensatz aus, in dem sich die metaphysische Kontemplation zu jener Auf- - heute noch und mit gutem Gewissen soll philosophieren können'. Da kommt
klärungsrichtung befindet, wie er aus den Aussprüchen Heraklits (Vielwissen lehrt nicht nus primär nicht die Stellung des Menschen in der Rangordnung der Wesen in Be.
haben) bekannt ist, aber von Parmenides auch gerade g_egen das Staunen als ein eitles Sich-
tracht, sondern die eigenste innerste einzigartige Lage unseres Daseins (Not-
umtreiben in der Welt (unten S. 326) g.ekehrt wird.
Diese Verwirrung der Verhältnisse entspricht dem Versuch, die Wissenschaft statt uber lage oder Heilslage), aus der die Philosophie mit Notwendigkeit, als etwas, was
dem Umweg über die Metaphysik gradwegs aus dem zivilisatorischen "Dasein in der Alltäg- im Sinne des menschlichen Lehens liegt und als freie Tat zugleich hervorgeht.
lichkeit" herzuleiten, sie ergibt sich aber auchleicht, wenn die Befremdung, in der das Staunen
Aber eben deshalb, weil wir hier letztlich mit Heidegger zusammenstehen,
fundiert ist, einem unbesinnlichen Affekt, der Angst, gedankt wird. Während uns gerade hier
das kontemplative Moment, das zur Stimmung gehört, seine entscheidende Bedeutung zu zeigen ist es uns so wesentlich, Klarheit darüber ZU bekommen, wie diese Notwendig-
scheint, da nur von ihm aus verständlich wird, wie die "uns bedrängende Befrelndlichkeit des keit zu verstehen sei {"nd wie es zugeht, daß der Phänomenologe sie nun so
Seienden" zum Staunen führen kann '(nicht führen muß: denn schwerlich ist von einem
andern Volk als dem der Griechen mit ihrer Vormacht der Theorie dieser Schriti getan worden). anders, 11.ngeschichtlich auslegt~ derart, daß er die Metaphysik in eins mit dem
Dasein des Menschen für etwas "ontologisch" Konstruierhares halten kann.
Hier dürfte Schopenhauer- und ihm folgend Dilthey (VIII, 80 u. a.) :- rich- Und da will uns scheinen, d,aß die eigentümliche, kompakt-einseitige ~ehens­
tiger gesehen haben, wenn er das Schaudern, das der Menschheit bestes Teil auslegung, die hier eingreift und die dazu bestimmt ist, die an sich "richt~ngs­
ist, das Erschauern vor dem Rätsel der Welt und des Lehens; dem Lebens- lose" objektiv forschende Anthropologie zu verdrängen, um die· Frage nach
rät~el des Todes vor allem, an die "Besinnung" knüpft, die mit dem "Eintritt dem Wesen des Menschen in eine philosophische Richtung zu bringen - die
der Vernunft" zusammenfällt. Aber gegenüber Schopenhauer und Scheler, Auslegung mit dem Konstruktionsbegriff der "Endlichkeit" und seinem Ge-
die auf der Vernunft als dem Vorzug des Menschen in der Tierreihe metaphy- folge, der "Geworfenheit" des Daseins, der "innersten Bedürftigkeit" des Seins-
sisch fußen zu können glaubten, tritt nun anderseits wiederum das Wesentliche verständnisses - nur die unvermeidliche Ergänzung des ontologischen Ein-
hervor, was den Metaphysiker des Daseins vollends von ihnen scheidet. Wenn satzes der Metaphysik des Daseins ist: eine dem aktiven Denker linerläßliche
Heidegger ~ach dem Wesen des Menschen fragt, das uns zum_ Staunen und Auffüllung der mit leeren Horizonten kreisenden Bewegungsform, auf die der
zur Frage nach dem Warum ermächtigt, und dann dafür das "metaphysische Ontologe das "metaphysische Geschehen im Grunde des Daseins" zurück-
Geschehen" der Transzendenz, der seinsbildenden Nichtung. als das Urge- bringt. Ist dem so, dann wird der Zusammenhang, dem wir jetzt nachgehen,
schehen des Daseins ansetzt, so liegt diese Konstruktion des Menschenwesens für die immanente Kritik entscheidend: Denn in diesem ontologischen Begriff
auf einer ganz anderen Ebene als der, wo so etwas wie ein animal metaphysi- der urständigen Geschehensform der menschlichen Existenz, der auf seinen
cum angetroffen werden kann. Denn die ganze antike Stufenordnung der rein formalen Charakter stolz ist - so stolz wie die kantische Ethik auf ihren
Seinsformen, in die der Mensch eingereiht wird, um aus dem von unten her auf- Formalismus ist, dessen weltanschauliche Bedingtheit der Geisteshistoriker er-
Die Krisis im Verhältnis von Metaphysik und Existenz Die existP.nziale Verschiebung der. 'phänomenologischen· Reduktion' 255
kennt, -'erweist 'sich nun selber als historisch belastet, und die Voraussetzung; sucht, welcher unser Wissen nie genugtut" (Dilthey V, 348) -bleibt die Pro-
die er mit sich führt, ist ihm mit der v~rpönten Anthropologie, ja mit dem duktivität der Angst jenseits der Freiheit des Geistes. Denn:
Begriff des animal metaphysicum gemeinsam: die exstentiale Verschiebung der
"So endlich sind wir, daß wir gerade nicht durch eigenen Beschluß und Willen uns ursprüng-
Busserlsehen Basis der "phänomenologischen Reduktion". lich vor das Nichts zu bringen vermögen" (M. 24).
An Schelers Kaleidoskop wurde durchsichtig, wie ein~ zum absoluten· Er" Ein begnadetes Erlebnis ist die "eigentliche" Angst - und doch kann sie als
kennen gehörige Wissensform, die ideierende Abstraktion, die dem lebensden· Gnade ~nd ni~ht Fluch nur dann angesehen werden, wenn das, wozu sie dem
kerischen "Skeptiker" so problematisch ist wie jenes absolute Erkennen selbst, Menschen verhelfen soll-- das metaphysische Urgeschehen nachzuvollziehen
in das Wesen der Menschwerdung zurückverlegt wurde, und der goldene Bo- und so die Beantwortung der philosophischen Frage: "was ist Sein?" oder
gen des absoluten Seins wölbte sich über uns Erdgeborenen. In Heideggers auch: "was ist Metaphysik?" zu erreichen: ein Anliegen der Erkenntnis also-
strenger Begriffskonstruktion scheint durch das reine Formbild der Mensch.- produktive Bedeutung für das menschliche Leben und Wissen, ja für die Wis-
und Weltwerdung doch das gleiche ontologische Band hindurch. Der geschieht· senschaft hat und die "Urgeschichte" sich nicht in ihrem eigenen horizontalen
liehe Lebensgrund des Philosophierens wird zur Deckung gebracht mit der Kreise dreht. Wie sollte auch einem Denker, der wie Heidegger in der Philo-
geschehenden usia des menschlichen Daseins. So wird dem Menschen auf das
sophie lebt, ihr Lebensgrund ohne den Enthusi~smus der Erkenntnis ansichtig
Konto der "Existenz" das zugeschrieben, was das Soll und Haben der Philo- sein können? Da rächt sich nun die Macht der Theoria für ihre V erstoßung
sophie ist. Nur daß jetzt, dem Fortgang zur existentialen Analyti~ ent- mit einem Gewaltstreich. Die e~kenntnismäßige Form, in der der Existential-
sprechend, in vollem Gegensatz zu Schelers Einsatz bei dem menschlichen
philosoph sich des Lebensproduktes: "Weltansicht" bemächtigt (mittels der
Geist" und der ihn auszeichne'nden ideierenden Abstraktion, das theoretische,
" Dialektik von Sein und Nichtsein) und in der der phänomenologische Logiker
das kontemplative Moment überhaupt, ausgeschaltet ist und der Stimmung
sich seine heimische Burg der reinen Theorie sicherte (die naive Beziehung des
der "Angst'' das auferlegt wird, was die denkerische Anstrengung im meta-
Denkens auf die Welt "einklammernd") muß ins Spiel gesetzt werden, damit
~hysischen Wisse~ erringt. Die Angst b~ingt uns in das ewige Geschehen hin- die unmittelbare unreflektierte Stimmung der Angst, die den Lebensgrund der
ein, in dem die Menschwerdung gründet, die Weltbildung und Weltansicht
Philosophie ausmachen soll, ihre metaphysische Würde. offenbare: - emp·
im Horizont des "Seins"; im Sein des Seienden aber nichtet das Nichts. Und
, fängt sie diese Würde dann. nicht doch von der Philosophie zu Lehen?
wenn wir fragen möchten, ob denn. die Angst, die "uns das Wort verschlägt",
ileidegger will die Möglichkeit und Notwendigkeit der Philosophie vom
nicht von sich aus gerade zum Glauben hin:tendiert, ob sie in der Erschütte·
menschlichen Leben her begreifen. Das wollen auch wir. Aber als Ontologe
rung,der Grundlagen unserer Existenz nicht aus dem ,Starren ins Leere' gerade
gibt er nun nicht bloß die bestimmt-unbestimmte Macht, so etwas wie die
zur Beruhigung bei den vorher vorhandenen, gemeinschaftlich-menschlichen
Philosophie hervorzubringen, dem Leben anheim - wo dann die Stätte der
Lösungen des Lebensrätsels 'zurückverlange, so bekommen wir eine Antwort,
Besinnm~.g in der Mitte der Lebensstruktur sich auftun müßte, das Zuschauen·
die wieder die Schneide der Begriffe "eigentlich" und "uneigentlich" herbei-
können mitten in der Bedrän~is, der Dichter im Menschen - sondern er ver·
zieht: es gibt eine eigentliche, ei~e "verwegene Angst", die "im geheimen
legt in da 11 Dasein, das "ursprünglicher ist als der Mensch", die eigene Form
Bunde mit der Heiterkeit und Milde der schaffenden Sehnsucht steht''. Aber
desHervorgebrachten zurück: die logische Form, in der der Metaphysiker, über
auch in dieser Verbindung mit dem platonischen Motiv - "der großen Sehn·
das Darinnensein im Leben sich erhebend, den Menschen und seine Welt er·
256 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Das Konstruktionsprinzip der Transzendenz: die 'ontologische Differenz' 251

blickt. Dasein ist "Schon-sein-in-der Welt". Aber der Interpret des Daseins· uns rein mit dieser Fragestellung schon in der Erkenntnissphäre bewegen u"nd
steht dazu auch bereits in der Philosophie. Dieses Schon-sein-in der Philoso- immer nur zu Erkenntnisgründen und nicht zu Realgründen kommen könnten,
phie macht sich naturgemäß in dem Begriffsapparat geltend, mit .dem er ope~ sondern vielmehr die Gewißheit, daß diese Sphäre nur die vorletzte ist und
riert. Aber statt ih:t;J. in freier Weise· zu benutzen - wozu eben die Logik ver- nicht das. Letzte, was eine realisierende Begriffsbildung durchhalten muß und
helfen sopte- kommt er in seinen Bann und nimmt ihn als adäquaten Aus~ kann. So sucht auch Heidegger das, was "ursprünglicher ist als der Mensch"
druck, ja als eigene Form der Grundbewegtheit des Daseins und der Phil~• (die physis), nicht in einer inhaltlich bestimmten Wesensnatur, einem stati-
sophie zumal. tischen "Was" des Menschen, sondern in dem "Wie" des Seins, der beweg-
lichen Grundstruktur des Daseins. Und wenn er es liebt, eine als wesentlich
111. N:icht daran nehmen wir Anstoß, daß eine "philosophierende" Grund- erkannte Bewegungslinie zu ~iner Aussage übe-r das Wesen auszuforinen -
legung der :Philosophie, von der es heißt: "sie geht und zeigt bewußt ins Un- z. B. das Gesehene, daß "der Mensch als existierende Transzendenz über-
bekannte", sich überhaupt um die möglichst genaue begriffliche Feststellu~g schwingt in Möglichkeiten" zu der These ausformt: "Der Mensch ist ein Wesen
dieses Unbekannte:n - oder richtiger: der Bewegung auf es hin und von ihm· der Ferne" (G. 40) - , so mag man das als eine emphatische Ausdrucksweise
her - bemüht. Der hindeutende ("evozierende'') Charakter der diese Bewe- . hinnehmen, die offen läßt, ob "der Mensch" nicht auch noch anderes sei. Aber
gung fixierenden Ausdrücke, auf den wir den Schwerpunkt legten, schließt er will das nun nicht offen lassen, und da liegt das, was uns anstößig ist •.
keineswegs Eindeutigkeit und Genauigkeit aus - weshalb bedürften wir denn Jene untergründige Dynamikdes "Wesens" s~ll mit dessen begrifflicher Fas-
sonst der phänomenologischen Methode ? -:• und es ist ein gröbliches Mißver- sung zugleich in die reine Ebene der Begrifflichkeit gehoben werden, die ihre
ständnis, wenn man meint, daß der Gegensatz gegen die ,rein diskursiven' eigene Fläche besitzt, so daß innerhalb dieser konstruktiv vorwärtsgegangen
termini "das Ende der wissenschaftlichen Geisteshaltung" bedeute, wo es sich . werden kann. Dadurch wird, obwohl die Konstruktion über einem Abgrund ·
vielmehr um eine eigene logische Form han:delt, deren wissenschaftliche Trag- schwebt, die antike gedankensichere Verbindung der physis mit der arche
fähigkeit es zu bewähren gilt. Gerade diese logische Form, die die Dinge selbst· wiederhergestellt in der Weise, daß die arche nicht bloß (metaphysischer) Ur-
zum Sprechen bringen will statt über sie reden, die die dichterische Macht des sprung, sondern (ontologisches) Prinzip ist.
;
Wortes, das von ihm Berührte zum Erzittern zu b!ingen, philosophisch frukti- So scheint uns der theoretische Vorgriff der Fundamentalontologie gleich.
fizieren will, soll e~ ermöglichen, die unerläßliche Richtung auf die cognitio bei der ersten fundamentalen Unterscheidung einzugreifen, der von Sein und
rei gegenüber der erkenntnistheoretischen Beschränkung auf die cognitio circa Seiendem (onta, entia): bei der "ontologischen Differenz", wie Heidegger.
rem festzuha:lten, und uns zu Wesensbegriffen verhelfen, die, weil sie die· Li- das nennt. Von ihr aus erfolgt die Konstruktion der "als Dasein geschehen-
nien im Fließenden ziehen, sich selber beweglich zu halten vermögen.. Die Ab-
wehr von Aussagen darüber, was das Leben (das Universum, der Mensch) im
den Metaphysik" durch einen Rückgang hinter die distinctio rationis auf eine
.

verborgene, aber ihr konforme Entscheidung des Lebensgeschehens, in dem


. .

letzten Grunde seines Wesens sei, entspricht nur der platonischen Einsicht, · dieser Unterschied "aufbricht".
daß der unbekannte Ursprung, zu dem sich das philosophische Denken hin~
"Wenn anders .das Auszeichnende des Daseins darin liegt, daß es Sein-verstehend zu Seiendem
wagt,. über usia und aletheia hinausliegt. Sie bedeutet also nicht ein Stehen- sich verhält, dann muß das Unterscheidenkönnen, in dem die ontologische Differenz faktisch
bleiben bei dem kritischen Argument, daß wir, nach dem "Wesen" forschend, wird, die Wurzel seiner eigenen :Möglichkeit im Grunde des Wesens des Daseins geschlagen

Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 17


258 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Das Konstruktionsprinzip_der Tra~szendenz: die 'ontologisc;he Differenz' 259

liehe Durcl~leuchtung des Vollzugs, zu dem jeder von uns gebracht werden
haben. Diesen. Gmnd der ontologischen Differenz nennen wir .... die Transzendenz des·
Daseins.'' (G. 8.).
kann, und das ist das spezifisch Philosophische, wenn anders die Philosophie -
Wir fragen uns: was für ein Verhältnis ist das, dieses "Faktischwerden" einer
wiederum mit Fichte zu reden - "Klarheit des Auges" ist.
begrifflich festgestellten "Differenz" ? Die Differenz zwischen Sein und Seien.
Da steht für den hermeneutischen Logiker. an erster Stelle das Problem des
dem, die der Philosoph als einen fundamentalen Unterschied erfaßt, soll ge-
"getreuen Ausdrucks" (Vorbericht V, LXXXIV), das mit der "Erhebung zu
wiß nicht mehr platonisch in das Reich der Geltungseinheiten verlegt werden;
kritischer Erkenntnis" zusammenfällt und durch die Bindung an die Sprache
so daß hier das Verhältnis zwischen Idee qnd getrübter Erscheinungsform an-
gegeben ist. Wenn allgemein für die Lebenslinien gilt: "Schon ihr Ausdruck
nehmbar wäre, das Husserl noch für angängig hielt. Sondern die Meinung ist
in Begriffen ist eine Interpretation", muß dann nicht für die ."ontologische
die Fichtesche: wenn der Philosoph diesen Unterschied feststellt, so expliziert
Differenz" - ebenso wie für das "Ich" ~ gefragt werden, ob und inwiefern
er nur vollziehend (in dem ursprünglichen Sinne des Worts: daß eh:i.e vorge-
sie eine Interpretation sei ? Ist sie das, dann wird aber auch ihre Univers ali•
zeichnete Unterschrift vollgezogen und dadur~h rechtskräftig wird) den gei-
tät problematisch. Und so suchten wir zu zeigen, daß gerade in der Struktur-
stigen Grundakt, der im Lebensverhalten betätigt wird, also implicite darin
form des "Lebens" (ebenso wie in dem. mit dem Ausdruck "Ich" Bezeich-
enthalten ist. Jeder von uns "kann" Sein und Seiendes unterscheiden, so wie
neten) .kein Ansatzpunkt für sie zu finden sei - so wenig wie für die Unter-
er "Ich" sagen kann. Der Philosoph, der unsauffordert, dieses Können "be-
scheidung von Existenz und Essenz, die Ueidegger hier heranbringt, um sie
wußt", das heißt hier: absichtlich, mit offenen Augen zu realisieren, bringt
dann umzudrehen (54)-, daß hier vielmehr die von ihm gerügte "ontologische
uns riur. dazu, .es im Vollzuge zu ergreifen und das Ergriffene auszusagen, es
Indifferenz" am Platz sei. Und ist nicht aus der Geschichte der Philosophie
so durch "bewußte" d. h. jetzt: gedanklich durchleuchtete Vergegenwärtigung
bekannt, wie.die Scheidung von Sein und Seiendem in ihrer Verwendung auf
wahr zu machen. An dieser Bewährung ist dann aber zweierlei auseinander-
d~s Ich zu der unerträglichen wurzelhaften Trennung von Geist und seelischem
zuhalten.
Leben führt, die eben durch eine bestimmte einseitige Interpretation von Welt
Einmal im allgemeinen die neue Stellung des Wissens, die als die ,realisie-
und Leben bedingt ist (Fibel 120) ?
rende Vergegenwärtigung' bezeichnet werden mag und in ihrer Bedeutung für
Heidegger dagegen setzt die ontologische Differenz umgekehrt als das an,
die Methode der philosophischen Grundlegung schon genugsam herausgear-
wodurch eine jegliche Interpretation, ja das interpretiere.nde - durch Ver-
beitet wurde (96), ~nschließend an jene Fichtesche Erklärung:
stehen und Rede gekennzeichnete - Dasein überhaupt erst möglich werde.
"Nur erlebt werden kann die Philosophie, nur gemacht werden im menschlichen Innern selbst Für das menschliche Vermögen, das Seiende von seinem Sein (und weiter dann:
wie das sittliche Bewußtsein",
Daß- und Was- und So-s~in) zu unterscheiden, für dieses (existentielle) "Kön-
und einstimmig mit Fichte auch in dem W ahrheitserweis, den er den Skep- nen", das keine Kunst (techne) ist, sondern etwas wozu der Mensch mächtig
tikern entgegenhielt, die nach einer Bezeugung dieses Wissens verlangen :"Sie ist, wird (ontologisch) nach der Möglichkeit gefragt: sie muß im Grunde des
sind weitergekommen; es liat sich Verstandeskraft in ihnen entwickelt". Auf Daseins selber verwurzelt sein. Aber muß dann nicht der, der dieser Verwur-
diese allgemeine Grundstellung lief die Gemeinsamkeit hinaus; die wir abstrakt zelung nachforscht, nun auch beides, Macht und Möglichkeit, reinlich ausein-
festzustellen suchten, als wir die "Transzendenz des Daseins" mit der "Reflexi- anderhalten ? die "Macht", die im Lebens- und Weltverständnis sich äußert,
vität des Wissens" verglichen. -'- Sodann aber handelt es sich um die gedank- als etwas nur im Vollzuge zu Ergreifendes, das durch einheimische Lebensbe-

17*
260 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Der Ansatz der I ntentionalitätstheorie 261
griffe ausgedrückt sein will, und die "Möglichkeit" als ein logisches Bedingungs- · der wir uns befinden; daß das Lebensverhalten und die Welt, innerhalb de-
verhältnis, bei dem man auf der Hut davor sein muß, daß die Kunst-Begriffe, ren allein wir uns zu dem oder jenem irgendwie verhalten können, zu unter.
deren die systematische Interpretation des Lebensgeschehens bedarf, sich nicht scheiden sind - , sondern fraglich ist uns umgekehrt, mit welchem Recht
diesem unterschieben. Es wurde im vorhinein bemerkt, daß der Begriff .der das Unterschiedene in die unmittelbare Beziehung gesetzt wird, die durch die
"Möglichkeit" gerade insofern gefährlich ist, als er verstattet, Macht und. Bestimmung des Verhaltens als eines solchen zu "Seiendem" oder auch als
Kunst und denkerische Bedingung unter der Vorherrschaft der rein diskur- eines "Zu-Seins zu Seiendem" und der Weltansicht als eines Seinsverständ-
siven Kategorie zu vereinen, um dadurch einen Übergang von der Lehensinter- nisses gegeben ist. Auf das Wort "Sein" kommt es uns dabei nicht an, sondern
pretation zur Ontologie des Daseins zu bewerkstelligen '(46). Dieses Bedenken lediglich auf die Einheit der V ergleichshinsicht, die das (pluralisch gemeinte)
finden wir jetzt bestätigt. Die existentielle Macht des Weltverständnisses - Neutrum "Seiendes" an das Verbum "Sein" in künst1icher Nominalisierung
das "Unterscheidenkönnen'' von Sein und Seiendem -soll in ihrer "Mög- knüpft. Von der rein theoretischen Einstellung aus, in der Husse rl s Be-
lichkeit" begriffen werden: unplatonisch, aus der Dynamik des Lebens be- schreib~ng der "Welt der natürlichen Einstellung" verblieb, ist diese unmittel-
griffen werden als ein selbstmächtiges Geschehen, dessen Produkt - das bare Beziehung durchsichtig; da ist die Einheit der Ver.gleichbarkeit des Unte~­
"Faktischwerden" der Differenz - nicht durch ein ihm jenseitiges peras be- schiedenen gar kein Problem; denn das Lebensverhalten ist von Grund aus
stimmt ist, sondern die "Wurzel seiner eigenen Möglichkeit" im Dasein "ge- als ein intentionales "Bewußtsein von" Gegenständen bestimmt und die Welt
schlagen" hat. Aber die Bewegung wird nun nicht, wie wir es für das "Können" bestimmt sich von da aus privativ als der selber nicht gegenständliche "Hori-
erwarten möchten, im Grunde des Daseins, sondern dem Bedingungsverhält-. zont" der intentionalen Beziehung. Aber Heidegger hat ja gerade die Inten-
nis, dem denkerischen Möglichsein entsprechend im "Grunde desWesensdes tion.alität des Bewußtseins als etwas Abkünftiges erkannt; er will sie herlei-
Daseins" angelegt, als(} bereits von der philosophischen Reflexion über das ten. Er nimmt sie nun aber wie Husserl als Kennzeichen für "alles Verhalten
Leben her. Und diese Wendung vermögen wir nur dahin zu verstehen, daß zu" Seiendem (G. 8) und leitet sie dann geradwegs aus der "Transzendenz des
die theoretische Richtung auf das erkenntnismäßig faßbare "Wesen" der Ge- Daseins" als der metaphysischen "Urgeschichte" her, springt also von den am
genstände die SP,häre der Realisierung durchschneidet, um eine Projektions- Tage liegenden, der Analyse zugängliche:r;t Phänomenen des Lebensverhaltens,
fläche für die denk~rische Aufklärungsbewegung zu schaffen, statt daß diese innerhalb dessen die intentionale Beziehung auftritt, unmittelbar in das "ver-
ihr Licht in jene hineinwerfe. borgene Geschehen" hinein, das nur durch ein "innerliches Machen" (Kon-
Aber auch schon die phänomenologische Kennzeichnung des Daseins, die struieren) greifbar ist. Das in jenem Bedingungssatz zwischen "Seiendem" und
in dem Be'dingungssatz steht, daß es "Sein-verstehend zu Seiendem sich ver- "Sein" geschlungene Seil sichert die&eu Sprung •

hält", scheint uns mit dem theoretischen Vorgriff belastet zu sein und, wenn Da fragt sich nun zunächst, ob es richtig ist, das menschliche Lebensverhal-
man dem nachgeht, in Schwierigkeiten zu führen, die den Antinomien der alten ten schlechtweg durch die Intentionalität zu kennzeichnen, und selbst wenn .
Metaphysik und Erkenntnistheorie nur zu sehr ähneln. Hier steht nicht der das richtig wäre, ob es angängig ist, diese das spezifisch menschliche V erhalten
Unterschied in Frage, zu dessen Aufklärung der Begriff der ontolQgischen auszeichnende Intentionalität isoliert aufzugreifen, statt. sie von vorn herein
Differenz dienen soll - das ist vielmehr ein gesichertes Ergebnis der phäno- (nachträglich nämlich kommt Heidegger auch dazu, wie wir noch sehen wer-
menologischen Analyse: daß wir uns nicht einfach zu der "Welt" verhalten in den) in den von unten her andrängenden Zusammenhang einzustellen der in
262 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins 'Sein inmitten von' gegen 'Sein bei' (I ntentionalitäl} 263

dem Wort: "Intention" -im Unterschied zu dem terminus - dumpf mit;, nen", dann reißt doch wohl das logische Band entzwei, das das Verhalten als
tönt, wie wir das schon bei Husserl selbst konstatierten. Die Sprache in ihrer ein "Zu-sein-zu Seiendem" an das in der "Nichtung" gegründete Seinsver-
Weisheit gibt uns die:Anweisung, so zu fragen. ·D~nn unser Wort: meinen, das ständnis knüpft. Diese beiden Ansatzpunkte der phänomenologischen Cha-
als deutscher Ausdruck für den Kern der ausgebildeten Intentionalitätslehre . ~akteristik des ·Daseins erweisen sich als heterogen.
dient, stammt von minnen und weist solchermaßen auf den Untergrund hin, Aber die verschiedenen Schichten unter der tr;mszendental-ontologischen
den das griechische Wort doxa, an dem diese Lehre orientiert ist, eben nicht Hochebene können doch dem Existenzialphilosophen nicht entgehen, und in-
hat und zwar deshalb nicht hat, weil es direkt auf das diskursive Denken (und dem er sie anschneidet, unterminiert er, will uns scheinen, seinen Bau. Die
Handeln) bezogen ist, zu dem die griechische Entdeckung der Inte'utionalität erste hermeneutische Zeichnung der Strukturform des Daseins war: "Schon·
auch primär gehört. Von da aus ist sie durch bloße gebietsmäßige Erweiterung sein-in einer Welt bei innerweltlich Seiendem". Hiervon gab das "ln-der· Welt-
auf die Gefühlssphäre übertragen worden (Philebos 37), zum Ersatz füt da~ Sein" einen Ansatzpunkt für die Durchführung der Kantischen Kopernikani-
selbst einem Platon verschlossene Fühlen und immanente Bedeuten. Histo- schen Drehung, der tragfähig ist, da Weltansicht W elthildung bedeutet. Frag·
risch angesehen ist die Sachlag~ also durchsichtig: der universale Anspruch de~ lieh hlieh'uns nur, ob die Richtung, die dieser transzendentalen Analyse gege-
intentionalen Beziehung hängt an einem antiken Vorurteil, gegen das sich die· ben wird __: auf die "Transzendenz d.es Daseins" hin-, nicht zu einer einsei-
Lehensphilosophie wendet; Dilthey hat hier als "Schranke griechischen Den- tigen Konstruktion führe. Die lntentionalitäts-Theorie schien uns da nachzu·
kens" konstatiert, daß es "die lebendige Kraft usw. nicht erfassen konnte" wirken; sie soll abgebaut werden, aber bleibt insofern maßgebend, als von ihr
(VIII, 47). Und systematisch kommt hier alles zusammen, was über die Kon- her die W elthildung zur nackten Horizo~thildung wird. Indes, es muß weiter·
zeption des "natürlichen" Verhaltens und die Aufgabe, es unbefangen zu er- gehn; denn eine Hermeneutik der Exist~nz kann unmöglich mit dieser Lehre
fassen, im Gegensatz zu dem von esoterischer philosophischer Höhe aus ent- auskommen:. Die Analyse jener Strukturformel des "In-der-Welt•seins" führt
worfenen Begriff der "Welt der natürlichen Einstellung" oder auch der "durch· hier weiter, von dem· andern Ansatzpunkt aus, dem "Sein bei Seiendem''.
schniitlichen Alltäglichkeit" gesagt wurde; auch diese ist ein bloßer Gegen· Heidegger setzt da zwar die Verhindung von V erstehen und Redenkönnen als
begriff, den ein gegen die moderne technische Zivilisation, die communis opinio eine ursprüngliche an - während uns gerade der Fortgang vom leibhaftigen
der Gelehrten, die unbekümmerte Bürgerlichkeit aufgehrachter Denker ent· V erstehen, Zeugen, Kraftübertragen zu den Sprachen und dann zur mensch-
wirft, und kein eidos, das eine Grundart des bios trifft. Die "richtungslose" lichen Rede interessiert - , aber es bleibt noch ein drittes wesentliches Moment
Anthropologie kommt solchen systematischen Festsetzungen gegenüh~~ nun im Strukturganzen des Daseins: die "Befindlichkeit". Auch sie muß, wenn
doch zu ihrem Recht, da sich hier, wo es sich um das Lehen die ontologische Konstruktion haltbar sein soll, von dem fundamentalen Un-
. . . " in seinem . Rohzu·
stande, vor der wissenschaftlichen Bearbeitung" handelt, ein fruchtbares Feld terschied: Sein - Seiendes betroffen werden. Sie wird bestimmt als ein Sein
für die handanlegende analytische Arbeit eröff~et. Ist aber der Begriff des "inmitten von Seiendem". Und diese Bestimmung nun hat eine eigene ex-
Lehensverhaltens umfassender als der der Intentionalität und dem· entspre· pansive Kraft. Sie verlangt Raum für sich. So ist sie im Fortgang von Hei·
chend das elementare leihgebundene Verstehen (das ,,Minnen" als ein Erken· deggers Arbeiten selbständig neben das Sein "bei innerweltlich Seiendem" ge-
nen, wie Wissen und Zeugen ursprünglich zusammengehört im Sinne des bib- treten, das in jener ersten Zeichnung allein erschien. Beide Begriffe sind zwar
lischen: "er erkannte sie") umfassender als das an die Rede gebundene "Mei- als Seinscharaktere des Daseins "Existenzialien" im Unterschied zur bloßen
264 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins 'Gestimmtes Sichbefinden' und Transzendenz des Daseins 265
Vorhandenheit, aber im Unterschied zu dem "Sein bei", das sich aufinner~ · hens, die erst die echte Antizipation, das Vorwegnehmen ausmacht. Man
weltlich Seiende~ bezieht, bezieht sJch das "Sein in mitten von . ~ ." auf kann nichts gegeben bekommen, ohne es genommen zu haben, aber auch nichts
Seiendes schlechtweg und ist somit gerade von der Intentionalität ·entblößt. nehmen, was nicht gegeben gewesen wäre. Um die klassisehe Formulierung
",Inmitten von, .... 'besagt weder Vorkommen unter anderen Seienden noch auch: sich eigens eines nicht fachmäßigen Philosophen, Wilhelms von Humholdt herzusetzen, '
auf dieses Seinde, zu.ihm sich verhaltend, richten" (G. 33).
die sich zwar speziell auf die vom Historiker betätigte Erkenntnis bezieht,
Und da sind wir nun gespannt, wie die Unterschicht, die sich hier auftut aber von prinzipiellem Belang ist:
in der "ontologischen Differenz" selber sich auftut, da das Seiende ~unmehr
"Was er tun kann, um zu der Betrachtung der labyrinthisch verschlungenen Begebenheiten der
nicht bloß als "inner-weltliches" (aber doch schwerlich als außer- oder vor- Weltgeschichte, in seinem Gemüte eingeprägt, die Form mitzubringen, unter der allein ihr
weltliches) in Betracht kommt, - sich mit ·dem konstruktiven Bau der wahrer Zusammenhang erscheint, ist: diese Form von ihnen selbst abzuziehen. Der Wider-
. spruch, der hierin zu liegen scheint, verschwindet bei näherer Betrachtung. J ed~s Begreifen setzt
tranzendentalen Ontologie vertrage. als Bedingung seiner Möglichkeit, in dem Begreifenden schon ein Analogon des nachher wirklich
Sie soll sich nicht bloß mit ihm vertragen, sondern ihm eine Tragfläche dar- Begriffenen voraus, eine vorhergängige ursprüngliche Übereinstimmung zwischen deni Subjekt
und dem Objekt. Das Begreifen ist keineswegs ein bloßes Entwickeln aus dem ersteren, aber
bieten. Denn der transzendentale Bogen der Ontologie des Daseins ist nun- ·auch kein bloßes Entnehmen aus dem letzteren, sondern beides zugleich . . . . Wo zwei Wesen
mehr so stark in Kantischer Richtung gespannt, daß die bekannten Schwierig- durch gänzliche Kluft getrennt sind, führt keine Brücke der Verständigung von einem zum
keiten, ·die durch Kants einseitigen Ausgangspunkt vom erkennenden Subjekt andern, und um sich zu verstehen, muß man sich in einem andern Sinne schon verstanden haben."

bedingt sind, wiederkehren. Die W elthildung, die von der lntentionalitäts- Aber diese Lösung ist weltanschaulich helastet: ein Bekenntnis zum "objek-
theorie her zur reinen Horizontbildung wurde, wird von Ka:nt (Kants Ein-· tiven Idealismus" im Vorzug vor dem "suhje\.:tiven", von dem Kant ausging,
sieht in den antizipatorischen Charakter des Denken~) aus zu einem "Welt- um dannfreilich auch wieder, zum Abschluß des in den drei Kritiken fortgehen-
entwurf", ja einem vorgängigen "Überwurf der entworfenen Welt über den Dramas der Vernunft zu jener alten metaphysischen Grundstellung zurück-
das Seiende" (G. 27). Und der Phänomenologe kann sich doch nicht dem Spott zukehren, indem er den objektiven Idealismus als eine mögliche Betrachtungs-
ausliefern, mit dem sich Goethe gegen Fichte kehrte: "Die Welt ist ihm nur weise gelten ließ. Die Lehensphilosophie .stimmt mit der existentialen Analy-
ein Ball, den das Ich geworfen hat und wieder auffängt". Da greift die "Befind- tik darin üherein, daß sie für die philosophische Grundlegung, die "beWußt
lichkeit" ein. Der Ball, der "das Seiende im Ganzen" überflogen haben muß, ins Unbekannte zeigen" soll (sei es nun das Unergründliche ode.r der Abgrund),
damit "das Seiende als Seiendes" offenbar werde, ist nicht fre( in die Luft prinzipiell keine w,-eltanschauliche Belastung duldet. Wenn si'e innerhalb der
geworfen, sondern das Ich, das ihn warf, befindet sich als Dasein inmitten des philosophischen Grundlegung das Recht des objektiven Idealismus anerkennen
'
Seienden, das durch den Weltüberwurf offenbar wird; das Dasein wirft nicht muß, so kann sie das nur, weil und soweit es sachlich hegründetist: nicht als
bloß, sondern geht mit mit dem Wurf, steigt über und eignet sich im . eine Möglichkeit der Lehens- und W elthetrachtung, der man in freien Stunden
Überstieg das Überstiegene, inmitten dessen es sich befindet, an. nachhängen mag, sondern als den menschenmöglichen, die Philosophie an des
Nun kennt man wohl aus der Deutschen Bewegung, der die geschichtliche Gesamtmenschliche knüpfenden Zug, sich betrachtend frei dem Lehen und der
Aufgabe gestellt war, Kant mit Goethe' (und den Griechen) zu vereinen, die Welt gegenüber zu verhalten. Und in diesem kontemplativen Verhalten geht
erkenntnistheoretische Lösung, die über jene Einseitigkeit hinausführte: statt · dann dem, der das Lehen aus ihin selbst verstehen will, nicht bloß die heimische
der einseitigen Bewegung des N ehmens die gegenseitige des N ehmens und Ge- Stimmung der Vertrautheit und V erhundenheit auf, in der der Denker wie ein
266 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins 267
Befindlichkeit als Lebensbegriff und als Konstruktionselement
Dichter von den Menschen, die in den großen Naturformen des Daseins Uni·
ist klar: sie macht es begreiflich, daß der Überwurf keine bloße Maskerade ist;
friedet blieben, sagen kann: "ils sont dans le vrai" (Flaubert ), sondern zu- sie liefert gleichsam die Innenarchitektur für den im Vor-Entwurf nur als leere
gleich das Dämonische in uns, um uns, über uns, das konzentriert, ohne Augen- Form entwerfbaren Weltenbau. Aber sie soll- und das ist nicht mehr Kau-
schließen angesehen sein will, damit wir es zu ergreifen, ins Geistige emporzu- tisch, sondern lebensphilosophisch gedacht -noch mehr und anderes leisten;
heben wagen, wenn wir auch wissen, daß das nie restlos gelingen kann. So sie läßt sehen, sie macht es überhaupt erst möglich, daß uns in der Welt das
werden wir auf die zentrale Konzeption der Lebensbedeutung zurückgeführt~ Seiende, unser Dasein selbst sowohl wie das was uns begegnet, als Seiendes
die unsere Darlegungen ans Licht zu stellen versuchten. - Aber wie geht nun
offenbar wird.
Heidegger hier voran, der Ontologe, der sich nicht damit begnügen kann, sich Im Weltentwurf ist das Seiende in ihm selbst noch nicht offenbar. Ja es müßte verborgen
in dieser konkreten geschichtlichen Bewegung schwebend zu halten und das ~leiben,
wenn nicht das entwerfende Dasein als entwerfendes auch schon inmitten von
jenem Seiendem wäre" (G. 33).
an sich Unfaßliche in sie hereinzuziehen, sondern nach Durchsichtigkeit der
So hieß es schon in der anfänglichen phänomenologischen Analyse des "Da-
entscheidenden Lebensbewegung verlangt, damit wenigstens deren innere
seins als Befindlichkeit" (S. u. Z. § 29), daß "ontologisch grundsätzlich die
Form gedanklich überschaubar sei, wenn auch dem endlichen Menschenwe-
primäre Entdeckung der Welt der ,bloßen Stimmung' müsse überlassen" wer-
sen der Gehalt, der in dieser horizontalen Form jeweilen zeitlich erarbeitet
den. Aber dort war das gestimmte Befindlichsein als ein (mit dem Verstehen
wird, in seiner G~heimnisfülle undurchsichtig bleiben muß ? Vermag der Be-
und der "Rede" zusammengehöriger) Grundzug des "Ins eins" m der Welt
griff der Transzendenz des Daseins die Schwierigkeit zu lösen, die auf der er-
beschrieben worden, so daß von der Stimmung gesagt werden konnte:
kenntnistheoretischen Ebene d~s Philosophierens sich in der Notwendigkeit
"Sie überfällt. Sie kommt weder von ,Außen' noch von ,Innen', sondern steigt als Weise des
einer dialektischen Formulierung der Lösung- Mitbringen und Abziehen,
In-der-Welt-seins aus diesem selbst auf."
Entwickeln und Entnehmen - bekundete?
Da war uns nur fraglich, ob man wirklich den Finger auf die Stelle legen könne,
Wir sahen, wie die Konstruktion der Transzendenz des Daseins von der her-
wo innerhalb des mehrgliedrigen Ganzen, das die Stimmung mit dem vordis-
meneutischen Zeichnung der Struktur desselben ausging: sie erhob sich da1·über
kursiven Denken und V erstehen verbunden zeigt; das eigentliche entdeckungs-
auf dem Gerüst der "ontologischen Differenz.". Nun war aber jene Zeichnung
kräftige Moment sitze, ob diese Zuversicht nicht die der Analyse gesetzten
- daß das Dasein "Sein-verstehend sich zu Seiendem verhält" - unvoll-
Grenzen (29, 65) überschreite. Aber die Bedeutung des zergliederten Gesamt-
ständig; denn das Sichbefinden inmitten von Seiendem ist kein V erhalten.
phänomens wurdedadurch nicht geschmälert. Von dieser Daseins-immanenten
Es ist ein Gestimmtsein. "Gestimmtes Sichbefinden": das ist ein einheimi-
Bestimmung aus konnte die Intentionalität des Verhaltens an die untergrün-
scher Lebensbegriff von treffender Ausdruckskraft; er trifft das genau, was
dige Verbundenheit undVertrautheitgeknüpft werden, wie auch wir es suchen.
als Vertrautheit oder Verbundenheit nur umschreibend angegeben wurde. Aber
"Die Stimmung hat je schon das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen und macht ein Sich-
wie fügt sich, fragen wir, das hier Gesehene und Getroffene in die Konstruktion richten-auf ... allererst möglich."
der Transzendenz ein, die mittels der distinctio rationis zwischen Sein und Jetzt dagegen, wo es um die ontologische Konstruktion dieses Phänomens zu
Seiendem vom intentionalen V erhalten aus erreicht wurde und zur Bestimmung tun ist, muß das Seiende, "inmitten dessen" wir uns befinden, in isolierender
der Weltbildung als eines vorgängigen Überwurfs über das Seiende führte ? Abstraktion gerade daraufhin angesehen werden, daß es erst mit dem Über-
Die Rolle, die der Befindlichkeit des Daseins von Kant her zuzudenken wäre, wurf eines Horizontes in eine Welt eingeht, und die Intentionalität wird dem-
268 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Ethisch-idealistische Deutung der Befindlichkeit 269
entsprechend geradwegs durch die "ontologische Differenz" hindurch auf das mitten dessen es sich befindet, verliert die Bedeutung, eine Kraftquelle für
metaphysische Urgeschehen, aus dem dieser Welthorizont entspringt, zurÜck- Leben und Erke:nnen zu sein, und erhält statt dessen die Endlichkeitssignatur
geführt. Wie fügt sich das gestimmte Befindlichsein dahinein? Heidegger e~­ eines Mangels aufgeprägt. Darin aber verrät sich, will uns scheinen, ein ethisch-
klärt über das ,Inmitten von .... ': es "besagt nicht, daß das Dasein unter idealistisches Interesse, und zwar das Ethos des reinen· Theoretikers, dem das ·
anderem Seienden vorkomme", sondern es "gehört vielmehr zurTranszendenz" .. Ideal eines' absoluten gottgleichen Erkennens vom alten Monotheismus her im
;,Das Übersteigende und so sich· Erhöhende muß als solches im Seienden sich befinden. Das Blute steckt. Ihn bewegt, daß wir das Seiende, inmitten dessen wir uns be-
Dase~n wird als bef!ndliches vom Seienden eingenommen so, daß es dein Seienden zugehörig finden, nicht selber hervorbringen können, daß wir, dahinein geworfen, ange-
von Ihm durchstimmt ist. Transzendenz heißt Weltentwurf, so zwar, daß das
Entwerfende vom Seienden, das es übersteigt, auch schon gestimmt durch- wiesen sind auf es, - daß das Dasein den Weltball nur werfen und nicht auch
waltet· ist" (G. 33). von sieh aus füllen kan~, oder daß es überhaupt eines solchen Wurfes bedarf,
Durchwaltet~, durchstimmt-, ja "durchschwungensein": wie sollten wir die damit so etwas wie Existenz möglich sei. In seiner Kaut-Interpretation, die
Saclie leugnen wollen, auf die diese beweglichen Worte bildgebend hindeuten! die Kritik der reinen theoretischen Vernunft als Metaphysik der Menschlich-
Und wir möchten uns auch nicht dabei aufhalten, daß dieses uns Einnehmende, keit, d. h. Endlichkeit der Erkenntnis begreifen möchte, ist dies Motiv ganz
Durchwaltende usw., das uns also doch wohl rührt, als "Seiendes" bezeichnet durchsichtig. Da steht ständig als Maß für die "J;ledürftigkeit", die in dem
wird; in laxer Weise m~g so gesprochen werden, obwohl Seiendes und Sein Aneinander-Gebundensein von Denken und Anschauung liegt, das ld((al des
als "wesenhaft zusammengehörige" Begriffe in der "ontologischen Differenz" intuitus originarius im Blick, und zwa:r nicht etwa in dem Sinne der intellek-
bestimmt sind, hier aber das Seiende zu dem das Dasein "zugehört", wenn wir tuellen Anschauung, in dem Goethe das Abenteuer der Vernunft "mutig be-
recht verstehen, zunächst für sich in Betracht kommt. Aber über zweierlei stehen" zu können glaubte- "daß wir uns durch das Anschauen einer immer
· kommen wir nicht hinweg. Weist nicht dieser Zug des Daseins, daß es "im schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig
Seienden", von ihm durchschwungen, sich befindet, auf eine ganz andere machen" - , sondern: als der imaginäre göttliche Verstand, der in der reinen
Schicht hin als die der transzendierenden Sein-bildenden und Seiendes offen- Einbildungskraft als bildender Gebung das Angeschaute schaffen würde.
barenden Nichtung? auf die Schicht, in der der objektive Idealismus sein Ihn, den geborenen Metaphysiker, quält das Rätsel der Endlichkeit, so wie es
fundamenturn in re hat und wo es den Unterschied von "eigentlich" und "un- sich für denjungen ~pinoza in der Form stellie: es gibt Dinge, die den Grund
eigentlich" nicht gibt? Und meint dieser Zug wirklich etwa~ so gänzlich an- ihrer Exist~nz nicht in sich selber haben 1), das aber noch jeden Metaphysiker
deres als das .~Vorkommen" des Daseins unter anderem Seienden in dem quälte, der an dem antiken Erkenntnisideal, so zu blicken wie Gott, ja durch
Sinne, in dem man naiv-objektiv sagen mag, daß der Mensch trotz seiner die reine Theorie vergottet zu werden, festhielt oder vielmehr überhaupt noch
,Exzentrizität' kein. Monstrum in der Natur ist? Auf beide Fragen wird Hei- das: ,,eritis sicut deus" als ein menschenwürdiges Lebensideal im Hintergrunde
degger, ·das ist uns klar, abwehrend antworten. Aber die Abwehr scheint uns stehen ließ.
nur von seiner speziellen Lebensdeutung aus. möglich zu sein. Und in dieser Richtung liegt nun auch die Antwort auf die andere, Frage:
Was die erste Frage anlangt, so kommt hier die spezielle Bestimmung der warum die Bestimmung, daß das Dasein sich inmitten von Seiendem befindet,
Befindlichkeit .als "Gewo~fenheit" in Betfacht. Durch sie wird jener objektiv·
idealistische Keim sterilisiert. Das Durchwaltetsein des Daseins. von dem,. in- 1) Vgl. den Nachweis bei Dunin-Borkowski, Der junge Spinoza 1910.
270 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Die zurückbleibenden Antinomien 271

so radikal von dem VorkomJD,en unter anderem Seienden unterschieden wird oder, von der anderen Seite aus gesehen, den "Einbruch" des Daseins in das
wie der modus originarius von dem modus deficiens, derverfalle11.en Vorhan· Seiende. Das dialektische Verhältnis aber, wonach das Ei:nhrechende schon in-
, denheit. Heidegger erklärt in hezug auf die Tra11szendenz, daß mitten des Seienden ist, in das der Einbruch erfolgt. und auf das durch den
,,das "Übersteigende sich erhöht", daß das Dasein itls Existierendes "die Natur überstiegen hat", zum Einbruch nötigen Überstieg Licht fällt, diese dram~tische Dialektik stellt
daß "in der Allheit von Seiendem das Seiende seiender wird in der Weise von Zeitigung von
Dasein" (G. 33. 12. 28). · sich nun in der ontologischen Fundierungsordnung so dar:
"Das Dasein könnte nicht als Seiendes von Seiendem durchstimmt und demzufolge z. B. von
Das mutet uns wieder objektiv-idealistisch an, so daß uns Goethes Lehensbe- ihin umfangen, durch es ·benommen. und von .ihm durchschwungen sein, es entbehrte hierfür
griff der "Steigerung" in den Sinn kommt. Aber solche objektive Betrach- überhaupt des Spielraums, wenn nicht niit dieser Eingenomnienheit von Seiendem ein Aufbruch
von Welt und sei es auch nur ein Weltdämmer mitginge" (G. 34).
tungsweise ist wegen ihrer ontologischen Naivität verboten. Wenn der Begriff:
Da wiederholt sich die Frage: geht diese Dämmerung, die die Stimmung he·
"die Allheit von Seiendem" eingeführt wird und nun· inmitten dieser Allheit
gleitet, auch mit dem Geschehen der Transzendenz mit ? oder läuft sie anti~
unsere menschliche Existenz als eine Steigerung im Sein des Universums er-
nomisch daneben her?· Weltdämmer und ontologische Differenz! gehören diese
scheint, so ist gefordert; diese Begriffe als kritisch gedacht zu nehmen und
beiden Begriffe, der bildhaft evozierende Ausdruck und die distinctio rationis
die Subjektivität in Rechnung zu stellen. Denn die Seizung von außerwelt-
nicht an zwei konträre logische Pole ? Solange vom Entwerfen des Horizontes,
lichen Dingen, die als solche unabhängig vom Daseinvorhanden wären,ist .
W eltüherwurf, Welteingang des Seienden, Einbruch des_ Daseins in das Seiende
nur innerhalb des Wissens m-öglich, ergibt sich erst von dem reflektierenden
die Rede ist, vermögen wir die Bestimmungen, die alle auf das Momentane des
oder "Sein-verstehenden" Dasein aus.
geistigen Aktes hinweisen, noch mit der Konstruktion der Transzendenz zu
"Wenn Dasein nicht existiert, dann ,ist' auch nicht ,Unabhängigkeit' und ,ist' auch nicht ,An-
sich' .... Es kann jetzt wohl, solange Seinsverständnis ist und damit Verständnis vonVor- vereinen. Aber Dämmerung?
handenheit, gesagt werden, daß dann Seiendes noch weiterhin sein wird" (S. u. Z. 212, vgl. 40). Auch hier soll das Phänomen selber nicht geleugnet werden, so wenig .wie
Von dieser kritischen Stellung aus wäre der Begriff einer Gradation des Seins, jenes "Durchstimmtsein". Im Gegenteil: die Weltbildung zeigt da, wo so et·
eines "Seiender-werdens" des Universums mit dem Auftreten des Menschen was sich der Erforschung und Analyse darbietet (bei der Bildung der geistigen
als ein ontologisch-theoretischer Ausdruck für den uns wesentlichen Tatbe- Welt eines Menschen oder eines Zeitalters) diese entwicklungs- und bedeutungs-
stand zu fassen, daß wir, das vom Menschen gelebte Lehen verstehend, auch mäßige Art der Einswerdung, wo "Zusammenhang im V erlauf sich bildet"
das unter uns Liegende in und um uns finden. Aber dieser Tatbestand, der (171). Aber diese eigene Art von Einheitshildung, die durch die gescJticht-
uns (107) einen entscheidenden Ansatzpunkt für den Übergang der Lehens- lichen "Lehenskategorien": Bedeutung, Entwicklung, Gestaltung gefaßt wer-
philosophie in die wissenschaftliche Naturerkenntnis hinein bedeutet (also den sollte, kommt hier eben nicht in ihrer Posivität zur begrifflichen Geltung,
nicht, wie nach Heidegger, ein Sichverlaufen jener in diese), wird nun wieder das Gesehene büßt vielmehr seinen positiven Charakter ein, indem es in den
von der selbstmächtigen ontologischen Theorie überwältigt, die im Begriff der Begriffszusammenhang eingeordnet wird, eingeordnet durch eine· immer noch,
"ontologischen Differenz" ihr eigenes Konstruktionsmittel besitzt. Wir he- trotz ihrer Mehrgliedrigkeit linearen, per continuum mentis motum fortschrei-
kommen eine Art unmythischer Kosmogonie. Der Überstieg auf eine Welt hin, tenden Systematik. Es kennzeichnet die ganze Art des systematischen Auf-
durch den das Seiende sich zuni Dasein "erhöht" und der das Urgeschehen des haus, daß in Heideggers reicher Begriffswelt der Begriff der Entwicklung über·
Daseins im Menschen ist, bedeutet den "Eingang" des Seienden in eine Welt haupt nicht vorkommt. Wir sehen von der Frage nach deni Ethos, das hier
272 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Produktiver Sinn des 'gestimmten Sichbefindens' 27~

hereinspielt, ab: ob nicht die Entwicklungsfreudigkeit des 19. Jahrhunderts chaulichen Bedingtheit· von Fichte her bekannt ist, aber noch. ursprünglicher-
hier nur durch eine ebenso zeitläufige Gegentendenz abgelöst werde. Uns geht es sbei den Indern hervortritt, weil in deren Metaphysik die Entdeckung der "Sub
·um die Begriffsordnung, durch die der Enwickluhgsgedanke aus der "Metaphy- jektivität des Subjekts" erstmalig erfolgt ist. Da ist die große Antizipation der
sik des Daseins" ausgeschaltet wird. Sie gehört der scholastischen Fundierungs- Weltanschauung oder wie man auch sagen kann, des Glaubens dies: daß der
theorie an, auf deren Boden der Grundsatz gilt: "Alles ,Entspringen' im onto- ganze Weltlauf nur den einen Sinn hat, m,ich zur Freiheit zu führen (Fibell47).
logischen Felde ist Degeneration" (9). Dieser Theorie gegenüber wiil sich der Beläßt man dem gegenüber dem "gestimmten Befindlichsein" die positive,
analytische Bestand des Phänomens geltend machen, das von einem Sich-Er- ja produktive Bedeutung, auf die das Bild vom "Weltdämm er", ja "Aufbruch
höhen, einer Steigerung des Seins zu reden nötigt, ja auch wohl dem defizien- von Welt" hindeutet, so wird es, meinen wir, unerläßlich, auch dem Seienden
' '
ten modus der V erfallenheit eine positive Bedeutung gibt, wenn anders ein inmitten dessen sich das Dasein befindet, seinen Anteil an der Weltbildung
"Weltdämmer" im Unterschied zum Welt-Entwurf und -Überwurf an die ~u geben. Ist die Festsetzung, daß die Bedeutung des Lebens lediglich durch
Selbstverlorenheit des vom Seienden "eingenommenen" Daseins gebunden ist. die vorgängige Weltform bestimmt sei, nicht ebenso einseitig wie jene ästhe-
Aber es bleibt dann doch bei einem ins Spiel Setzen der Dialektik, die der Meta- tische Theorie, die die Bildgestaltung aus einer durch das "Kunstwollen" be-
physiker in den Fingern hat. Denn nur dialektisch können die Bestimmungen stimmten Form erklärte? Die Auseinandersetzung mit den Dingen in Kampf
gemeint sein, die uns wie eine Kosmogonie anmuteten. Das "dem Seienden zu- und handanlegender Arbeit, der "gedankenbildenden Arbeit des Lebens" ver-
gehörige" und so von ihm durchschwingbare Dasein, das durch den Entwurf langt gleiches Recht. Und wer willim allgemeinen sagen, was da das Primäre
eines Welthorizontes diesem Seienden "Gelegenheit" gibt, in eine Welt einzu- sei? wo gerade in dem Hinüber und Herüber das Geheimnis des Lehens, die
gehen, ist doch "nur als In-der-Welt-sein vom Seie:p,den eingenommen" (G. schaffende Entfaltung, liegt und das Übergewicht des einen oder des anderen
25. 38). Ist die philosophische Verlegenheit - was nach Heidegger die Dialek- sofort in die Individuation hineinführt.
tik ist - hier überwunden ? Heidegger sieht die Dinge so an: das Dasein, das nach dem ontologischen
Und auf die Sache selbst hin angesehen: muß nun nicht auch in der Weltan- Axiom alles, was hervorgeht, "vorgängig an Mächtigkeit überragt", ist einer
sicht und Weltbildung eine gegenstrebige Bewegung anerkannt werden? überschwänglichen Fülle von Möglichkeiten des Weltentwurfs mächtig; die
eine Lebensdialektik .statt der leer-horizontalen Form, die den Gehalt, der jeweilige geschichtliche Gestaltung dieser oder jener Welt bedeutet eine Pri-
jeweil~n in ihr aufgehen mag, völlig offen läßt ? - Heidegger setzt fest: vation, den "Entzug" von anderen Möglichkeiten, in der Welt sein zu können,
"Welt als Ganzheit ,ist' kein Seiendes, sondern das, aus dem her das Dasein sich zu bedeuten
und daß dem so sein muß, dao ist in der Befindlichkeit fundiert: weil das Da-
gibt, zu welchem Seienden und wie es sich dazu verhalten kann" (G. 26). sein als entwerfendes sich inmitten von Seiendem befindet, eignet ihm ein
Daraus leitet er her, daß die Welt "wesenhaft daseinsbezogen" ist. Er leitet "schon ruhender Besitz", damit sind ihm bereits bestimmte andere Möglich-
das her auf einem eigenen teleologischen Wege: die Welt ist "das, worumwillen keitenentzogen- "und zwar lediglich durch seine Faktizität" (G. 34), nam-
Dasein existiert" - in der Selbstverlorenheit nämlich, aus der die Entschei- lich du:,:ch die "Geworfenheit", die der eigentliche Sinn der Befindlichkeit
dung zur Selbständigkeit herausführt. Rein auf die Denkform hin angesehen, ist. So knüpft er das Schicksalhafte der geschichtlichen Situation an den Kon-
ist das doch dieselbe Teleologie, die- im Unterschied zu ihrer sachlichen Kau- struktionsbegriff der Endlichkeit an und das Sich-finden des Geistes in einer
tischen Orientierung am Organismus und dem Kunstwerk ~in ihrer weltan- Gemeinschaft, die nicht bloß bindet, sondern zugleich trägt, ja den Schaffen·

Misch, Lebensphilosophie. 2. Auil. 18


274 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Notwendige Mannigfaltigkeit der Vorgriffe der Weltansicht 275
den trägt, an die Verlorenheit im "Man", die mit jeder "öffentlichen Ausgelegt- hat, im Goetheschen- un~ schließlieh Platonischen 1) - Sinne dem Lehen selbst
heit" des Daseins gegeben ist. Daß uns geboten ist, das Ererbte zu erwerben, zuerkennt und so das "Sichvorwegsein" als einen wesentlichen Zug des Da-
damit wir es besitzen, ja die ganze Aufgabe der geschichtlichen Besinnung wird seins bestimmt, wird ihre Wirkungsweise in den hodenständigen Lehens- u11d
zur "Übernahme" einer Art von Wiedergeburt, deren einziger Sinn ist, daß Weltansichten - und von ihnen her in der Philosophie .;;___ der geschichtssyste-
"die Existenz nur die Geworfenheit des· eigenen Da illusionsfreier hinnehme" matischen Analyse zugänglich. Es stellt sich dann die notwendige Konkre-
(S. u. Z. 391). -Aber ist nicht bei jener Ausgangshestimmung, die den ge- tion ihrer gehaltbestimmenden Bedeutung heraus: in analoger Weise wie bei
meinschaftlichen Besitz lediglich als "Entzug" von anderen Möglichkeiten gel- dem metaphysiechen Fragen, wo uns das gegenüber der Konzentration der
ten läßt, der alte metaphysische Grundsatz maßgehend: omnis determinatio Philosophie auf das Seinsproblem wesentlich war (14). Aber während die an-
est negatio? Und steht dieser Satz für eine "ins Unbekannte zeigende" Grund- hebende metaphysische Bewegung des denkenden Geistes im Grunde eine ein-
.legung so felsenhaft fest ? Widerstreitet ihm nicht gerade das "geschichtliche zige, überall gleichsinnige ist und nur nach dem jeweiligen Einsatz bei dem
Bewußtsein", dem in der Individuation die Bedeutung des vom Menschen ge- . oder jenem vorherrschenden Lehensbezug und entsprechend im Ausdruck sich
lebten Lehens aufgeht ? und widerstreitet es ihm nicht vielleicht deshalb, weil abwandelt, gehört zu den Vorgriffen der Weltansicht gerade die Spezifika-
er das Unendliche zu jenseitiger Vollendung verabsolutiert? so daß auch hier tion als wesentliches Merkmal. So ist.auch ihre Wirkungsweise bei dem Fort-
wieder das eritis sicut deus das Maß für die abgründige Endlichkeit wäre. gang von der. Weltansicht zum Welthilde 2) verschieden. Und in dieser Ver-
Hat aber de~ Besitz nicht bloß Entzugscharakter, geht vielmehr von dem schiedenheit liegt die Möglichkeit des Überganges, den wir suchen,·. zum Be-
gemeinschaftlichen Verhundensein mit dem "Seienden", in dem wir uns he- greifen der Welt. Wie wir es schon einmal :~tU fassen suchten (Fihelll3):
Die Antizipationen haben in ihrer bodenständigen Natur eine verschiedene Leuchtkraft, je
finden, auch ein Zug zur Weltbildung hin, der sich mit dem durch die "Subjekt-·
nachdem in der das menschliche Leben umlagernden geistigen Atmosphäre, aus der sie ihre Kraft
tivität des Subjekts" bestimmten kreuzt, dann verliert dieses subjektive Mo- ziehen, das erhellende Licht des Denkens an der Berührung mit der Wirklichkeit s~lbst ent-
ment der "bildenden Gehung" auch den formalen Horizontcharakter, den_ es zündet ist oder nur in der Weise der Reflexion über dieser Wirklichkeit.des menschlichen Le-
bens schwebt •... Und darauf kommt es an: ob das Licht, das jene Antizipationen gehen,
als "entwerfender W eltüherwurf" in der von einer isolierenden Abstraktion gleichsam von selbst aus der den Tag anzeigenden Dämmerung hervorkommt, in der der Mensch
ausgehenden Konstruktion der "Transzendenz des Daseins'' gewann. Und da- in-einer inneren Verbundenheit mit den Dingen seiner Umwelt lebt. Dann können die Vorgriffe
mit öffnet sich dann doch die Möglichkeit, über die "wesenhafte Bezogenheit d,es Denkens zu wirklichen Vorwegnahmen der ,Erfahrung werden. Dann können sie auch wie
bei dem Wunder der griechischen Schöpfung der Wissenschaft, dem Denken den Mut geben
von Welt" auf das Dasein, das Welt "weiten" läßt, hinaus einen tragfähigen genau auf die Natur der Dinge hinzusehen und vertragen solches vertiefendes Hinsehen.
Übergang zu der philosophischen Vorstellung von der Welt zu begründen. Durch ihre V erwurzelung im Lehen scheiden sich die weltanschaulichen· Anti-
Es handelt sich auch hier um eine der Analyse zugängliche Sache: welche· Be- zipationen von einer in der reinen Vemunft gegründeten schicksallosen Denk-
deutung kommt in dem Totalvorgang, in dem, mit Dilthey zu reden, "das Le- form. Aber Heidegger, der dje "Vorweg-Struktur" des Daseins eindringlich
hen von jedem Individuum aus sich seine eigene Welt schafft", den Antizi- herausgestellt hat, verlegt das Schicksalsmäßige der Philosophie in eine andere
pationen der Einstellung und Haltung des subjektiven Geistes zu? Gerade 1) Dies ist aus früherenArbeiten vorläufig dargelegt in dein Aufsatz von M. Hendel, Die pla-
wenn man, wie Heidegger mit Recht tut, diese antizipatorische Energie, die tonische Anamnesis und Goethes Antizipationen, Kautstudien XXV (1920).
Kant auf das rein diskursive, in Kategorien "urteilende" Denken beschränkt ') Vgl. die Unterscheidungen von H. Lipps, Das Problem der primitiven Denkformen, im
Philosoph. Anzeiger IV (1930) s~ 66.

18*
276 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Metaphysik als seiendes Schicksal oder als geschichtliche Macht?

Ebene gemäß seinem Begriff der Transzendenz. Während es uns in dem Ver· nehmen und ausdrücklich ans Licht zu bringen. Für die VernuD;ft selber
hältnis der Philosophie zu ih~en zu liegen scheint, in einem Verhältnis, durch .;,.,-- die "Vernunft", die Kant als das metaphysische Organ von dem auf die
das sich der tatsächliche Gehalt einer bodenständigen Weltansicht in das Reich Beziehungen von Endlichem beschränkten "Verstande" schied, - gilt: ihr _
des Gedankens hineingestaltet, so daß die vermeintlich vorurteilslose Aufklä- "innerstes Interesse geht auf die Endlichkeit". Und das ist auch das eigent·
rungsarbeit des Verstandes den Mächten des Lebens verhaftet bleibt (davon liehe Interesse des Das eins, der ,,Sorge": "Die Sorge um das Endlich-sein-
hernach mehr, 327), verlegt er es in das Dasein selbst rein für sich, in die "ge- können'~ (K. 206). Sie äußert sich in den Fragen, die Kant formuliert hat:
schehende Grundverfassung", die zugleich "die Grundverfassung der Geschicht- "Was kann.ich wissen? Was _soll ich tun? Was darf ich hoffen?". Denn in
lichkeit" des Daseins ist, ontologische Bewegtheitsform und sittliche' Forde- diesen Fragen, mit denen tatsächlich die Philosophie anhob (Fibel32), bekun·
rung zugleich. Das Dasein hat die "faktischen",. durch die jeweilige geschicht- det sich nichts anderes als die menschliche "Bedürftigkeit" - sei es gegenüber
liche Lage bestimmten und beschränkten Möglichkeiten, in der Welt zu exi- der Instinktsicherheit elementansehen Daseins, an das gehalten der Mensch
stieren, dem Horizont von Welt, dessen Überwurf aus der "Nichtung'~ ent· nicht das kluge, sondern das ,kranke Tier' ist, sei es gegenüber einem allmäch·
springt, zu "entreißen". Sie werden ihm entrissen durch einen. Akt der Ent· tigen Gott. Und "dieser Endlichkeit gewiß zu werden, um in ihr sich
schlossenheit, den de~ Einzelne jefür sich zu vollziehen hat: daß er entschlossen zu halten", das ist das Interesse der Vernunft; das' den ;Weltbegriff4 der
I"
die Lage, in die er hineingeboren ist, auf sich nehme und so die pure Faktizität Philosophie im Unterschied zu dem bloßen ,Schulbegriff' bestimmt.
der Befindlichkeit, Geworfenheit, Gebundenheit an einen ererbten "ruhenden So schließt sich d~r Kreis, den die Ontologie zieht. Er schließt sich aber
Besitz" in eine frei gewählte Mqglichkeit umschaffe, - wie der Stoiker sich nicht bloß sozusagen realiter, indem die Bahn der Philosophie in die Kurve
frei macht, indem er das Unabänderliche in seinen Willen aufnimmt, nur mit des Lebens zurückläuft, sondern auch rein ideell, sozusagen durch eine gemein·
dem entscheidenden Unterschied, daß das Sichfreimachen des Christenmen· same Grundgleiehung. Die Philosophie gibt die algebraische Formel für die geo· ·
sehen in der "eigentlichen Übernahme" unserer Endlichkeit besteht. "Die metrische Kurve, in der das Leben ,stationär strömt'. Dieses durch die ana-
ergriffene Endlichkeit der Existenz bringt das Dasein in die Einfachheit !:':eines lytische Geometrie entdeckte Verhältnis, durch das sich Spinoza die intentio·
Schicksals" (S. u. Z. 384). Und dieses als das "Schicksal" bezeichnete, ,in nale Beziehung von idea und res durchsichtig machte, liegt hier keineswegs so
der eigentlichen Entschlossenheit liegende ursprüngliche Geschehen des Da· fern. Ist denn das, was mit dem Menschen in das Seiende "einbricht", so daß
seins" gibt auch der Philosophie den schicksalhaften Charakter, es spiegelt die Endlichkeit "existent wird" und die.~ Grundbedürftigkeit, so etwas wie Sein
·si~h·nur in ihr wider. Nicht die zeitliche Geschichte der Philosophie hat einen _verstehen zu müssen" entspringt, etwas anderes als das·, was man gemeinhin
schicksalsmäßigen Gang, sondern ."das verborgene Geschehen im Dasein das "Bewuß'tsein" nennt, die idea also? Und ist nicht der "ausdrückliche"
selbst", das in einem übertragenen Sinne "Meiaphysik" genannt wird. ,:, Vollzug dieser metaphysischen "Urgeschichte" durch die Philosophie wieder·
j ;::

"Die ,Metaphysik' ist das Grundgeschehen beim Einbruch in das Seiende, der mit der faktischen
um ein "Bewußtmachen"?- Uns lag in dieser "philosophischen Aktion",
Existenz von so etwas wie Mensch überhaupt geschieht" (K. 232). Also gilt: "Sofern der Mensch die "das Leben". ins deutliche Bewußtsein- erhebt und zu Ende denkt, die ent· .
existiert, geschieht das Philosophieren" (M. 28). .. .
scheidende Wendung beschlossen, die durch die Metaphysik ins menschliche
Der "Metaphysik über das Dasein" aber fällt dann die Bestimmung zu, dieses Leben kommt, und wir glaubten, die ganze Geschichte der Philosophie be-
Geschehen,. d. h. das Schicksal der Menschwerdung entschlossen auf sich zu mühen zu müssen, um uns der Bedeutung dieser Wendung objektiv zu ver·
278 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des Daseins Die Folgen fiir die Geschichte der Philosophie 279

sichern. Auch nach Heidegger handelt es sich um etwas ·Entscheidendes, Philo- Antwort ergeht nun auch auf die Frage nach dem, was in der Geschichte der
sophie ist eine "entscheidende Möglichkeit des Daseins" - aber eine ontolo- Philosophie, in der Denkarbeit der großen Metaphysiker eigentlich' geschieht.
gische "Möglichkeit" eben, die sich konstruieren läßt, weil in ihr beides zu- Das "innerste Geschehen im Seinsverständnis der antiken und nachkommen-
sammenfällt: die entscheidende Macht, als welche uns die logische Energie des . den Metaphysik" ist: "der verborgene Entwurf des Seins auf die Zeit".
Metaphysikers zu sein scheint, und die Ent-scheidungskraft, die mit · d~m Hier zeigt noch eim:nal der H~eneutiker dem Ontologen den Weg. Dieser "verborgene Ent-
menschlichen ;,Bewußtsein" in das zur Welt werdende Seiende kommt. Und wurf" (K. 232) wird direkt nachweisbar an dem temporalen Moment in Grundbegriffen wie usia,
to ti en einai, apriori usw., an der philosophischen Sprache also - wenigstens der uns aus der
wenn es nun gelingt, jenes schicksalhafte GescheJ:ten, dem die philosophische griechischen Antike überkommenen Sprache, deren Form Heidegger ins Deutsche und Kräftige
Metaphysik "in ihrem Schicksal verbunden bleibt" (K. 221), als eine in sich übersetzt. Denn ob die hier aufgewiesene Antizipation der philosophischen Begriffsblldung wirk-
lich überall durchgreifend ist, ist uns fraglich. Z. B. an der Terminologie der indischen Meta-
selbst bewegte For~ zu erfassen und sie bis in den Grund zu du~chschauen, so physik fiel uns gerade die Freiheit von den temporalen Bestimmungen, die in die anologen grie-
daß das Licht des Begriffs in diesem Abgrund eine ganz primäre, in sich ge- chischen Grundbegriffe eingehen, auf (Fibel 119. ,,Seinsheit" (satja), "Das eben Das" (tad
·vai tat) für den atman (das Selbst) und demgegenüber "Name-Gestalt" (nama-rupa) als Be-
schlossene Kategorie, ein "Grundexistential" zum Vorschein bringt - und
stimmung für das Empirisch-Wirkliche). Und ,selbst wenn sie durchgriffe, wäre in ihr doch
das verspricht Heide~ger durch die "temporale" Auslegung der Transzendenz schwerlich das Organisationszentrum der ganzen philosophischen Begriffswelt, sondern wohl
zu leisten --'-,dann muß sich von diesem einen Punkte, von der "zeitlichen" nur ein Pol der Logik der Philosophie zu finden. - Doch lassen wir das. Es kommt uns ja nicht
darauf an, die zahlreichen logischen Ep.tdeckungen einzuheimsen, von denen Heideggers Schrif-
Grundbewegtheit des Daseins aus, auch die ganze ·Geschichte der Philosophie ten voll sind, sondern den einen einfö~migen Weg herauszustellen, auf dem ihre systematische
durchsichtig machen lassen. Das wird sogar mi.t einem Schlage geschehen kön- Ausnutzung erfolgt. Und da dürfte die Uniformierung der Geschichte der Philosophie die Kon-
sequenz der Grundstellung zeigen.
nen; sobald zu der Grundgleichung, durch die das· mehrgliedrige Struktur-
ganze des Daseins, der ,,,Sorge", auf die Dreieinigkeit der Zeit zurückgeführt Wir freuten uns der Übereinstimmung in dem geschichtlichen Anblick der
ist, noch die Randbedingung hinzukommt, daß auch die Bemühungen der gro- philosophischen Wirklichkeit, in die wir uns hinein versetzen müßten, damit
ßen Denker sich allzumal auf einen Punkt konzentrieren, und diese Bedingung wir ihre gewordene Idee auch wieder durch freies geistiges Tun ins Lehen
ist ja nach Heidegger e:ffüllt, da das Seinsproblem das philosophische Problem setzten. Die Freude war vorschnell, Heidegger nimmt jene Erklärung über
· schlechtweg ist. Mit diesem Durchblick schließen sich Philosophie· und Leben den Zugang zur Metaphysik wieder zurück.
erst vollständig zusammen. ,,Wir haben uns nicht erst in sie ,versetzt'. Wir können uns gar nicht in sie verseizen, well wir
- sofern wir existieren - schon immer in ihr stehn" (M. 28).
Das philosophische (platonische) Problem: was ist Sein ? führte hinter die
theoretische Ebene, in der es zunächst exponiert wurde, in die existenziale zu- Die "geschehende Grundverfassung" des Daseins, auf die Heidegger zurück-
rück, da, um es stellen zu können, so etwas wie ,Sein' schon vorverstanden geht, mutete uns wie die ewige Geschichte des Adam an und wir nahmen den
sein muß, das V erstehen aber "nicht nur eine Art des Erkennens, sondern pri- (uns von einem Schüler angebotenen) physikaiischen Vergleich mit einer "sta-
mär ein Gmndmoment des Existierens überhaupt ist" (K. 223). An dies ele- tionären Strömung" auf. Nur eine Anwendung dieser im Grunde doch an-
mentare Seinsverständnis erging die Frage: wora~n ist es entworfen ? Die tiken Interpretation des , Werdens zum Sein' ist die Entwirklichung der Ge-
Antwort war: auf eine W~lt hin im "Urgeschehen" der Transzendenz, das schichte der Philosophie. Was kann der tatsächliche geschichtliche, der "inner~
' letztlich aus der Zeitlichkeit als der "Urstruktur" des Daseins hervorgeht. Weil zeitliche" Zusammenhang der Entwicklung der Philosophie noch bedeuten~
das Dasein zeitlich ist, wird das Sein auf die Zeit hin entworfen. Und dieselbe wo das Entwicklungsproblem selber aus der Lebensinterpretation ausfiel ? Das
•-r_.,.,.....,".,.......~-.-

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280 Der theoretische Vorgriff der Metaphysik des .Daseins

kritische Geschäft, das darin besteht, sie zu durchschauen, macht uns nicht 4.
überlegen frei dazu, ihre fruchtbare Kraft zu entbinden, sondernführt uns nur ;J?hilosophie und Lehen: wir müssen sie heide scheiden, um zu erfahren, daß
immer tiefer in die Subjektivität des Subjekts, in die Endlichkeit hinein. Um sie, nachdem sie sich einmal gefunden haben, nicht ohne einander auskommen
r
diesen Abgrund kreist alle Philosophie gleichmäßig, sie wagt sich dann und können. Leicht war klargemacht, daß man die· Philosophie nicht haben kann,
wann, selten genug, in dem oder jenem entscheidenden Denker nahe an das ohne vom Lehen zu wissen, und nach dem Lehen nicht fragen kann, ohne schon
Du~kel heran, am nächsten noch in Kant, aber auch nur für einen Augenblick, in der Philosophie zu sein; Aber diese Dialektik der "Vorstellung" interessiert
der ungenutzt verging; denn das "eigentliche Geschehen" in der KrthV ist, uns jetzt nicht mehr. Wir fragen nach dem realen geschichtlichen Verhältnis:
daß "Kant bei der Enthüllung der Subjektivität des Subjekts vor dem von nach der Notwendigkeit der Hervorbringung der Philosophie. Und da .wer·
ihm selbst gelegten Grunde zurückwich" (K. 205). Der heutige Denker aber, den wir am Ende zu einer Auseinandersetzung mit Dilthey gedrängt.
der Kants Unternehmen "wiederholen" will, darf nicht mehr zurückweichen Mit Dilthey droht es uns ähnlich zu ergehen wie es Heidegger mit Husserl
und braucht. es auch nicht. Denn durch Kant ist ja der Primat der reinen ging, obwohl wir nur seinem Werk dienen wollen und ihm nicht ein eigenes
theoretischen Vernunft e~schüttert, so ist freier Raum geschaffen für eine Um- entgegenzusetzen haben. In seiner Welt bewegten wir uns durch diesen gan·
wandlung oder Rückverwandlung der "Idee der Metaphysik" ins Existentielle, zen Streitgang hin, vielleicht zu selbstverständlich, wo es um das Anliegen
die dadurch zustande kommt,, daß das Unzulängliche des menschlichen Ver- einerneuen Zeit geht, während er, als ein Gegenwärtiger vorgestellt, nun bald
standes, das ehedem schreckte und lastete, grade, zum Prinzip erhoben wird. hundert Jahr alt wäre. Die "Lehensstimmung", die ihm, wie er sagte, "aus
Im Dunkel zu wandeln am Abgrund, ist menschliches Schicksal, und über dem dem Sinnen über. die. Konsequenzen des historischen Bewußtseins erwachsen
Abgrund zu kreisen, damit der Mensch in "verwegener Angst" seine Lage ist", umfing uns. Von ihr ging der Widerstand aus, den wir gegen die "exi-
durchschaue und die Last des Daseins auf sich nehme, ist die lehenswahre Be- stential-ontologische" Paradoxie hatten, Existieren bedeute soviel wie Philo-
stimmung der Philosophie. So bestimmt sich die philosophisch begriffene End- sophieren und die Metaphysik geschehe ursprünglich als Dasein. Mit seinen
lichkeit, die im Menschen "existent geworden" ist, in der "hellen Nacht der Waffen kämpften wir, wenn wir gegen die "geschehende Grundverfassung"
Angst'' offenbar werdend als das "ständige, o_hzwar meist verborgene Erzit- das geschichtliche Geschehen ins Feld führten. Und nun droht auch uns die
tern alles Existierenden" (K. 229). Während wir, dem platonischen Sursum anscheinend zwangsläufige Entwicklung, die an die Gefolgschaft Gegnerschaft
corda aller Kreatur wohl näher bleibend glaubten, daß in der ursprünglichen, knüpft. Dilthey bekämpfte doch die Metaphysik! seine lehe~sphilosophische
immer wieder zu erneuernden Bewegu~g des philosophischen Fragens "das Richtung führte, auf erfahrungswissenschaftlichem Boden, in der Arbeit an
Eine Selhige erzittert", das man, um es zu fixieren, das "Unendliche" nennen der Begründung der Geisteswissenschaften aus der "Kritik der historischen
mag - unzulänglich genug, da es eben .nicht zu sicherem Besitz gedanklich Vernunft" hervorgehend, die antimetaphysische Stellung der Aufklärungs-
fixiert werden darf, aber doch mit dem Erfolg, daß dann auch gleich der Be- Epoche mit sich. Für sein ·Hauptwerk wählte er als Motto einen Ausspruch
griff des "Endlichen" nicht bloß sich selbst, sondern auch seinen Widerpart von Helmholtz, der wie eine Paraphrase. von Comtes Dreistadiengesetz an-
offenbart. Heidegger selbst fragt zum Schluß, wie wir ihn fragen wollten : mutet. Wir aber suchten gleichsam hinter seinem Rücken die Verhindung mit
"Läßt sich die Endlichkeit im Dasein auch nur als Problem entwickeln dem anderen Heerlager gerade an der Stelle, wo er .verletzlich war. Wir fan·
ohne eine ;vorausgesetzte' - Unendlichkeit?" (K. 236). den uns mit Heidegger darin einig, daß es eine ursp1·üngliche "metaphysische"
282 Diltheys historische Kritik der Metaphysik Notwendigkeit einer Metakritik auf Diltheys eigenem Wege 283

Bewegung in der Philosophie gibt. Als Platon die alte metaphysische Ange· sophie", die er in der Form der "W eltanschauungslehre" konzipierte (wie die
legenheit von Sein und Nichtsein zur objektiven Entscheidung in die Sphäre Idee der Lehensphilosophie in der Theorie der Geistesw.), übersichtlich vor~
der reinen Logik erhob und der Parmenideischen Evidenz, d~ß Nichts nicht liegen. .A,ber dieses Wesentliche, das er gesehen hat, ist durch Konstruktionen
sein kann, den Garaus machen mußte, nannte er sich einen "Vatermörder". verstellt, die ihm ein anderes Ansehen geben, als wir darin suchen .. Sie müssen
Schreckt uns dieses Wort nur auf als ein Bekenntnis ? ist es nicht vielmehr wir abbauen, und wir können das, ohne ihm Gewalt anzutun, weil sie seiner
philosophisch vorbildlich durch die Unerbittlichkeit, die den Dingen klar ins eigenen Methode zuwiderlaufen, der "Zergliederungskunst der Wirklichkeit",
Gesicht sieht ? in der er das sah, was "den Philosophen ausmacht". Weil sie ihr zuwiderlau-
Aber wir würden uns selbst verleugnen, würden die produktive Kraft, die fen, bleiben in seinen letzten Gedanken über Philosophie und Leben, Meta·
in der Objektivität der historisch-kritischen Betrachtung liegt, lähmen, wenn physikund Wissenschaft die quälenden Unstimmigkeiten zurück, für die wir
wir zum Schluß das aufgeben wollten, was uns bei unserer ganzen Auseinander- nach einer Lösung verlangen.
setzung bewegte: das Gegenwärtige, was auf uns andrängt und uns hinnehmen Wir brauchen uns nun nicht im allgemeinen über Diltheys Stellung zur "Me~
möchte, über die Vereinzelung und die Aktualität zu erheben, die uns noch taphysik" zu verbreiten, sondern konzentrieren die Auseinandersetzung auf
immer, an ,Vernunft und Wissenschaft' gehalten, etwas Kindermenschenhaftes das Problem, zu dem sie sich ohnehin schon zusammenzog: das Hervorgehen
zu sein scheint. Dem V erdacht einer Angleichung post festurn glauben wir der Philosophie aus dem Leben und die Wendung, die mit der Metaphysik ins
überhoben zu sein. Denn nicht erst unter der neuen Situation, die durch Hei- Leben kommt. Bei Heidegger war uns anstößig, daß er die metaphysische Be-
deggers Werk hergestellt ist, ist uns die a:J;ttimetaphysische Stellung des "Le- wegung geradezu in das Dasehi verlegte, in das "Wesen des Daseins", in den
hensphilosophen" zum Problem geworden, sondern das Bemühen, uns der "Grund" dieses Wesens. Gegen seinen adamitischen Geschehensbegriff woll-
philosophischen Bedeutung der Diltheyschen Richtung zu versichern, führte ten wir den geschichtlichen zur Geltung bringen. Dilthey, dem wir diesen
uns durch sich selbst auf den "metaphysischen Zug", der bei ihm in seiner Begriff des geschichtlichen Geschehens danken, suchte umgekehrt auf dem
Vertiefung in die Lebenswirklichkeit ebenso zu spüren war wie bei dem Anti- Wege einer wissenschaftlich durchdringenden Zergliederung der realen Ge-
metaphysiker Kantl), Die "elementare Unruhe" zum "Lehen", die Heidegger schichte der Philosophie Aufschluß über das Wesen der Metaphysik als einer
als das Treibende in Diltheys Forschungen spürte, war zugleich Unruhe zu dem "menschlich-geschichtlichen Tatsache"
Metaphysischen, dessen philosophische Positur seinem wissenschaftlichen Ge- "In einem breiten menschliche)! Zusammenhang entsteht jede schöpferische geniale Philosophie:
wissen verdächtig war. Und es ist nicht ein eifersüchtiges Wachen über seinem in diesem muß sie erfaßt werden" (VIII, 13).

Erbe, sondern vielmehr ein Gebot der Selbstkritik, wenn wir uns fragen, wie Den Einwand einer erkenntnistheoretischen "Verirrung", den ihm Husserl
das heute Mögliche von ihm her zu verstehen sei. entgegenhielt, wies er damit zurück, daß dieser Weg
Man braucht nicht erst auf Diltheys Wege weitergehend zu dem W esent· "nicht historische Empirie" sei, sondern "Ausbildung des historischen Bewußtseins, eine von
liehen der Philosophie zu kommen, sondern kann es ausgesprochen bei ihm fin- geisteswissenschaftlicher Analyse ausgehende systematische Untersuchung''.

den. Das zeigt sich jetzt, wo seine Bemühungen um die "Philosophie der Philo- Es ist das Erfassen des Wesens im Werden und Wirken, der physis gegenüber
der usia, mit deren gedanklicher Feststellung überhaupt erst die logische Form:
1) Vorbericht (1923) V, cxv. - Goethe, Plato, Kant (1915), Logos V, 282. "Werden zum Sein" zustandekommt. Und wenn wir auf diesem geschichts-
284 Diltheys historische Kritik der Metaphysik Das fragliche Verhältnis von Leben, Metaphysik und Wissenschaft 285

systematischen Wege der Entstehung der Metaphysik nachgingen, um ihrer Das rührt dann aber wieder an die noch offen gebliebene Stelle, über die
ursprünglichen Bedeutung objektiv beizukommen, so finden wir das uns lei- uns auch Heidegger nicht hinweghalf, da es uns schien, daß er wie Dilthey,
tende Prinzip jetzt ausdrücklich bei ihm angegeben: .heide vom Lehen ausgehend, das unhewältigt.im Rücken behielt, worauf Hus-
"Gerade von der Entstehung der Metaphysik im Menschengeschlecht •... ·ist am ehesten Auf- serl fußte: die in de~ Wissenschaft verkörperte Macht der Theorie. Das Unge.,.
schluß zu gewinnen" (VIII, 14).
nüge stellt sich bei ihnen beiden aber von entgegengesetzten Seiten aus dar.
Es ist das in der Deutschen Bewegung entdeckte Forschungsprinzip,
Bei Heidegger schien uns durch die ontologische Verlagerung der Metaphysik
Wie es Schleiermacher in den "Reden über Religion" formuliert hat: "In allen Dingen mht der
Geist ·der Sache nur auf den Erfindern und zu ihnen mußt du gehen . . . . Während ihrer Bil- in den Grund des Daseins die Bedeutung der Theorie, ja der Kontemplation
dung und ·Blüte, zu der Zeit also, wo ihre eigentümliche Lehenskraft am jugendlichsten und üherhaupt.herahgemindert, das ursprüngliche Band zwischen Metaphysik und
frischesten wirkt? können sie am sichersten erkannt werden."
Logik zerschnitten zu sein: die einsame denkerische Anstrengung, ohne die
Aber während sich uns auf diesem Wege gerade das Eigene und Verhindliche ,,'
Philosophie nicht gedeihen kann, kam nicht zu ihrem Recht vor dem Üherge·
der ursprünglichen metaphysischen Bewegung aus ihrem Nachvollzug, aus der
wicht des Ethos, das den "eigentlichen Einsatz der eigenen Existenz" fordert,.
,realisierenden V erge~enwärtigung' ergab und wir so mit Heidegger trotz des
damit die Philosophie "in Gang gebracht" werde (M. 28). Und dementspre-
verschiedenen. Weges im Wesentlichen zusammentrafen, löste sich für Dilthey
chend sollte die Wissenschaft geradwegs aus dem zivilisatorischen Umgang
dies Eigene a:uf, und damit zugleich auch die Verhindlichkeit der Metaphysik;
des Menschen mit allerhand "Zeug", den pragmata, und dem zugehörigen
sie Istnur etwas V orühergehendes, etwas "Vergängli~hes". Durch diesen Ge-
werktätigen Wissen, aus dem elementaren "Aufklärungszuge", wie wir's kurz
gensatz im Ergebnis scheint die ganze Methode gerichtet zu sein. Ihr Anspruch,
nennen, hergeleitet werden. Beides entspricht einander. Denn wenn die Logik
der wissenschaftliche Weg zur Objektivität zu sein -
aus der ursprünglichen metaphysischen BewegU:ng ausgeschaltet ist, bleibt von
wie Dilthey es einmal ausd~ückt: "Was Philosophie sei, das ist eine Frage, die nicht nach
dem Geschmack des Einzelnen beantwortet werden kann" (VIII, 189) -
ihr nur das übrig, was sie mit dem Aufklärungszuge im Lehensverhalten ver·
bindet, und dort muß dann der Ursprung der Wissenschaften gesucht werden,
droht hinfällig zu werden. Da wird es nun von entscheidendem Belang, wenn
zu denen die Logik ja zweifellos ein nahes Verhältnis hat. - Bei dem Antime-
sich nachweiseil läßt, was wir behaupteten: daß das Ergebnis, zu de~ Dilthey
taphysiker Dilthey hat der V ersuch einer direkten Herleitung der Wissenschaf-
kam, nicht eine Konsequenz seiner Methode ist, sondern vielmehr durch einen
ten aus dem Lehensverhalten (statt der Vermittlung durch die Philosophie),
Mangel in ihrer Durchführung bedingt ist: daß da konstruktive psychologische
in dem er und Heidegger, wie gesagt (19), in gewisser Weise einmütig sind,
Vorgriffe sich einmischen, die ihn hinderten, d~s, was in seinem Blickfeld lag,
eine andere, ja entgegengesetzte Bedeutm;tg in hezug auf das Ganze der Philo-
zu ergreifen. Er selbst kannte diese Gefahr:
sophie. ·Er dient ihm gerade dazu, das eigene einheitliche Phänomen der Meta-
"Auch diese psychologische und geschichtssystematische Auslegung ist den Fehlern des kon-
struktiven Denkens ausgesetzt, das ein einfaches Verhältnis in jedem Gebiet der Anordnung zu· physik aufzulösen. Und das geschieht, weil er - umgekehrt wie Heidegger,
grundelegen möchte" (VIII, 15). hier vielmehr mit Husseri einig -im Interesse der Wissenschaft an die
Allzu einfach genommen scheint uns bei ihm - nicht in seiner universalhisto- Metaphysik herangeht. Indem er nämlich den Weg jener Herleitung, der me~
rischen Anschauung und Darstellung der Dinge, ~ohl aber in der begrifflichen taphysikfreien Herleitung der Wissenschaft aus dem Aufklärungszuge des Le-
Durchgliederung derselben - das V erhältni~:; von Lehen, Metaphysik und hens konsequent durchverfolgt, .erreicht er auf diesem einseitigen Wege nicht
Wissenschaft und das notwendige Hervorgehen dieser aus jen~m. nur die Wissenschaften, sondern über sie hinaus die Philosophie: wenigstens in-
Diltheys historische Kritik der Metaphysik Die von Dilthey gesehene Eigenständigkeif des philosophischen Denkens 287
286

soweit, als diese selber Wissenschaft, "allgemeingültige Theorie des Wissens" vom .Lehen herausstellten (72). Und in seiner unbefangenen geschichtlichen
ist. Philosophie bedeutet ihm nun freilich noch anderes und mehr: eben das, Anschauung des Phänomens der Metaphysik hat er nun auch ineins mit diesem
was in der Metaphysik mit dem· falschen Anspruch auf Allgemeingültigkeit kontemplativen Grundzug der Theorie (das Wort im allgemeinsten Verstande,
auftritt: Lebensform, Ausdruck einer Weltanschauung. So stellte er der "to- wo es lateinisch mit "speculatio" übersetzt wird) die den Philosophen aus-
ten Begriffswissenschaft der Metaphysik", diesem von Kant verfolgten "Schat- zeichnende "logische Energie" gesehen: das also, worauf es uns ankommt und
worauf es uns gegenüber Heidegger ankam: die ursprüngliche Verhindun~ des
ten" gegenüber
"die lebendige, aus allen Kräften ihres mütterlichen Bodens, welcher die Totalität der Menschen- metaphysischen Ethos mit der Kraft des begrifflichen Denkens. Er hat es
natur, das Menschenherz selber ist, Nahrung und Blut empfangende und so als eine unverwüst- nicht bloß gesehen, sondern treffend formuliert; er sagt prägnant: "Die in
liche Wirklichkeit durch die Geschichte schreitende Macht der. metaphysischen Weltansicht".
die Wurzel der Dinge dringende logische Energie". Und dieses ein-
Aber wie er dieses andere, Lehensmächtige, das in der Philosophie da ist und
heitliche Phänomen erhält auch die Stellung, die ihm zukommt: im Zentrum
wirkt, systematisch erfaßt - eben so, daß er es auf die begriffliche "Darstel-
der Philosophie überhaupt.
lung~· einer "Weltanschauung" reduziert - , das ist nun gleichfalls durch jene
"Philosophie", erklärt er, "ist eine persönliche Eigenschaft, eine Art von Charakter"; "es gibt
Herleitung .der Wissenschaft aus dem Aufklärungszuge mitbestimmt, wenn
ein philosophisches V erhalten, welches nichts von der Profession eines Fachphilosophen enthält",
auch nur indirekt, auf einem Umwege. und dies spezifisch Philosophische ist nichts anderes als eben jene Bewegung, die von uns als die
Dilthey hat erkannt, daß das, was die Metaphysik eigentlich will, nicht an ursprünglich metaphysische angesprochen wurde. "Der Philosoph dringt, zunächst in Kraft
seiner ursprünglichen Intention, indem seine logische Energie das W elthild, die Ideale und die
dem Maßstab der "allgemeingiltigen Wissenschaft" gemessen werden darf, Zwecke; die seine Zeit erfüllen, in deutliches Bewußtsein und in Zusammenhang zu erheben strebt,
in der, weil "Vorstellungen, Begriffe, Sätze einfach übertragbar sind", ein rein sachliches, dem der gemeinsamen Wurzel des Lehens entgegen. In diese Wurzeln von Lehen und von Wirklich-
Menschentum der Völker und Individuen gegenüber neutrales Zusammenarbeiten möglich ist, keit wirft er das J:icht des logischen Denkens. Durch dieses primäre Verhältnis ist die
demzufolge "eine so stätige Fortentwicklung als auf keinem anderen Felde menschlichen Tuns" Struktur jedes philosophischen Systems bedingt, wie die Verwicklungen des Denkens
und schließlich eine erkenntnistheoretische Begründung, in 'der "das Denken seinen Gegenstand den Philosophen auch weiterführen mögen. Immer ist diese logische Energie, die den Zusammen-
durchschaut" (I, 128, VII, 330). hang und die Wurzeln von Lehen und Wirklichkeit aufspürt, das in ihm Wirksame. Wo sie nicht
Es hat seinen Maßstab in sich selber, in der "Lebenswahrheit", die von der ist, da ist keine philosophische Anlage . . . . . So skeptisch sein Ergebnis sei, nur kraft dieser an
die Wurzeln der Dinge dringenden logischen Energie ist er Philosoph" (VIII, 32).
Richtigkeit der direkt übertragbaren wissenschaftlichen Sachwahrheiten we-
sentlich verschieden ist. Das war sein schlagendes Argument gegen Husserl, So bekommen wir hier von ihm das, was wir suchten: die Anerkennung
der das Sichumtreiben der Philosophie in der zeitlichen Sphäre der "Welt- einer eigenen philosophischen Bewegung, die der Struktur "jedes philosophi-
anschauungen" als ein Provisorium ansah, das durch die Phänomenologie schen Systems" - auch der in der Lehensphilosophie dank dem "historischen
beseitigt werde, da sie in dem für die Weltanschauung d. h. die "Weisheit•' Bewußtsein" sich vorbereitenden neuen Systematik -zugrunde liegt. "Die
charakteristischen "Tiefsinn" ein "Anzeichen des Chaos" erkennt, "das echte Identität der Struktur des philosophischen Geistes in seinen verschiedenen
Wissenschaft in einen Kosmos verwandeln will". Er hat für dies Andersartige Epochen": darum war es ihm in der Universalgeschichte der Philosophie ebenso
auch die andere Herkunft erkannt. Die "Wurzel der Weltanschauung' 4 im zu tun wie um die Kontinuität der Entwicklung (IV, 530). Aber dies klar Ge-
Lehen suchend, fand er den kontemplativen Zug in der Mitte der Struktur, sehene entgleitet ihm nun bei der genetischen Zergliederung, die psychologisch-
jene rückwendige Besinnlichkeit im V erstehen von Sinn und Bedeutung, die historisch verfährt. Sie führt, während sie die Notwendigkeit des Hervorge-
wir bei der Erörterung der untergründigen Dynamik des Lehens und Wissens heus der Philosophie aus dem Lehen nachweisen will, zu einem problematischen
288 Die systematischen Vorgriffe bei der historisch-kritischen Analyse Auflösung des Eigenständigen in eine unitas compositionis 289
Resultat: nicht bloß die "Metaphysik" fällt dahin, sondern das einheitliche Hinsicht nicht mehr eine Verhindung des Heterogenen, sondern nur dessen
Ganze der Philosophie droht sich aufzulösen. Und da macht sich nun die reinliche Trennung in Frage kommen kann.
Konsequenz jener einseitigen Herleitung der Wissenschaft geltend. Die Konse-
Die als Grundzug des philosophischen "Charakters" gesehene "logische Energie" wird außerhalb
quenz ist hier viel einschneidender als bei Heidegger, weil Dilthey (wie wir . der metaphysischen Bewegung, in der sie doch ursprünglich auftritt und in der sie auch zuerst
meinen, mit Recht) an der Wissenschaftlichkeit der Philosophie festhält und ihrer selbst bewußt wird (denn der Ursprung der Logik, sowohl der dialektischen wie der ontolo-
gischen, fällt mit dem der Metaphysik hi Heraklit und Parmenides zusammen, und der entgegen-
diese ihm ebenso wesentlich ist wie das andere in ihr, das er "Weltanschau- gesetzte, aufklärungsmäßige Einsatz der logischen Reflexion bei den "Sophisten" ist erst spä-
ung" nennt. Da opfert er nun dem Kontinuitätsprinzip des Hervorgeheus der teren Datums) in der Wissenschaft angelegt, zu der !!ie Linie der Aufklärung vom Lehens-
verhalten her geradwegs hinführt. Hier besteht volle Kontinuität. Denn vom "Denken" gilt
Philosophie aus dem Lehen nicht bloß ihre eigene Bedeutung auf - daß sie
allgemein: es "kann nur die Energie des Bewußtwerdens steigern in hezug auf die Realitäten
eine entscheidend ins Lehen eingreifende Wendung bedeutet - , sondern er ·des Lehens". Und von der Philosophie gilt: "sie ist nur die höchste Energie, bewußt zu machen:
zerfällt sie in Verfolg des zweiseitigen Ansatzes dieser Kontinuität, dem Unter- als Bewußtsein über jedes Bewußtsein und Wissen von allem Wissen" (VII, 7). Wie dieser An-
schein der Kontinuität zustande kommt; wird hernach (312) dargelegt werden.
schied v:on Wissenschaft und Weltanschauung entsprechend, in zwei Teile: Das weitere Moment, das Radikale der Philosophie, bestimmt sich, für sich genommen, als
Theorie des Wissens, die auf die Erfahrungswissenschaften bezogen ist, und "der Wille entgegen den Wurzeln der Dinge", der etwas der Philosophie mit der Religion Ge-
meinsames ist. Dies Gemeinsame schließt sich an den kontemplativen Zug in der Mitte der
Weltanschauungslehre. - Wir sehen zunächst genauer zu, wie dieses Resultat
Lehensstruktur, in dem sie mit der Dichtung zusammen als Ausdrucksformen der Weltan-
auf dem Wege der geschichtssystematischen Analyse zustande kommt, und schauung wurzeln; aber zugleich erfährt hier die Denkenergie ihre höchste Steigerung, da das
versuchen dann, die konstruktiven Voraussetzungen festzustellen, durch die "natürliche" Verstehen von Sinn und Bedeutung jene radikale Wendung nicht von sich aus her-
gibt. Ja, der "Lehenspositivist" Dilthey rührt hier sogar an das, was Fichte unumwunden aus-
der (wie wir meinen richtige) Weg zu einem solchen (wie uns scheinen will ab- sprach, wenn er die Philosophie als einen "widernatürlichen Gemütszustand" bezeichnete, Er
wegigen) Ende kommt. bemerkt bei der Beschreibung des philosophischen Charakters: "In dieser Selbstbesinnung liegt
eine auf die Voraussetzungen des Bewußtseins negativ und positiv gerichtete, mächtig bohrende
Da es sich uns jetzt um eine Grenze handelt, an der die Gedanken schwanken und gerade die- in die Tiefe dringende Arheitsamkeit: eine Art von Arbeiten unter der Erde, ein unheimliches,
ses Schwanken herausgestellt werden soll, dürfen wir uns hier nicht an die Regel der Interpreta- den meisten Menschen verdächtiges Geschäft" (VIII, 39).
tion halten, die wir, wo es um das Positive ging, dem Heideggerschen Prinzip der Gewaltsamkeit Was aber treibt nun zu solchem unheimlichen Tun? Der Historiker, dessen erster Lehens-
entgegensetzten (llS). Wir werden vielmehr, um klar zu sehen, die Linien scheiden müssen, die plan die "Ausbildung einer religiös-philosophischen W eltansicht" gewesen war, stößt innerhalb
in der produktiven Mitte der Diltheyschen Stellung verbunden sind. Das betrifft insbeson- der Entwicklung der "religiösen W eltansicht" auf eine Stufe, wo "Religion im engeren Sinne"
dere den Begriff der "Allgemeingültigkeit", dem wir der Deutlichkeit halber den umfassenderen aus der Magie und Medizinmänner-Technik entspringt. Da hat der Durchbruch durch den "na-
der "Objektivität" gegenüberstellen. türlichen" Lehenszusammenhang seinen Ort, und da ist er an der Quelle zu erfassen als ein "welt-
geschichtlicher Vorgang", der innerhalb der PriesterschafteD und Mönchsgenossenschaften sich
regelmäßig vollzieht: es handelt sich um die Erfahrung einer "neuen weltlosen Seligkeit", von
I. Dilthey verfährt bei der systematischen Zergliederung seiner Totalan- der "bevorzugte Gemüter ergriffen werden": um den "Vollzug der inneren Transzendenz hin-
durch durch die Ahnegation zur transzendenten Seligkeit".
schauung vorwiegend so. Er faßt die beiden Momente, die das einheitlich ge- So sieht er hier wohl etwas Neues (Sichanschließendes, aber nicht Ableitbares) auftreten, wie
sehene Phänomen der philosophischen Grundbewegung bestimmten - die "lo- das seinem methodischen Prinzip entspricht, das wir (101) in der logischen Grundlegung, bei
der Erörterung des Syndesmos der Lehenskategorien feststellten. Und das ist ein ~~sentlicher
gische Energie" und deren radikale Richtung- je für sich ins Auge undver-
Gewinn seiner geschichtlichen Anschauung der Dinge ..:... wir brauchen nur an die Konstruktion
folgt sie gesondert auf ihre Herkunft hin; für sich genommen, schließt sich der Metaphysik bei Scheler zurückzudenken, der den Menschen als solchen zum Asketen machen
jedes von ihnen unmittelbar an eine der beiden im Lehen angelegten Linien d~s wollte. Aber er sieht nun dieses Neue, geschichtlich Errungene, die "transzendente Lebensver-
fassung", als etwas spezifisch Religiöses an. Und das, was er h i e r als "Religion im engeren
Fortganges zur Philosophie hin an und zwar so restlos, daß in systematischer Sinne" im Blick hat, ist im Grunde nur die Mystik; auf sie hin spricht er von "dem süßen, feinen

M ls c h, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 19
290 Die systematischen Vorgriffe bei der historisch-kritischen Analyse
Die Voraussetzung eines stetigen Ganges vom Leben her zur Philosophie 291
Kern" der Religion, der in der Schale der Magie erstarkt. Für die Metaphysik aber fragt sich,
was von ihr noch Eigenes zurückbleibt, wenn ihr sowohl der logische wie der radikale Zug W eltansicht. Und wir gehen dabei, dem Ziel unserer Auseinandersetzung ent-
genetisch entzogen ist. Ist es etwas anderes als das, was ihr mit den sonstigen in der "natür- sprechend, wieder rein immanent vor. Wenn, wie wir deutlich zu machen
lichen Auffassung" gründenden Formen, die Bedeutung des Lebens auszusprechen, gemeinsam
ist: "Weltanschauung"? suchten, Diltheys antimetaphysischer Abschluß nicht eine Konsequenz seines I j

Sie ist vo~ diesen anderen Formen, von Religion oder Dichtung, durch den Anspruch auf "All- lehenshermeneutischen Verfahrens, sondern vielmehr durch eine unzureichende
gemeingültigkeit" unterschieden. Aber das ist von jenem Standpunkt aus gerade ein ihrem
Durchführung desselben bedingt ist, so bleibt nur noch übrig, die Biegungen
eigentlichen Gehalt fremder Anspruch, der zu erklären wäre aus einem Sich-Richten nach
fremdem Maß, aus der Übernahme eines der Weltanschauung heterogenen Ideals, des Erkennt- aufzufinden, durch die die geschichtssystematische Analyse ihrer eigenen Ab-
niaideals der allgemeingültigen Wissenschaft. sicht zuwider in eine konstruktive Richtung gehracht wird. Dadurch machen
So wäre denn in der Metaphysik das Heterogene verbunden, das gerade auseinandergehalten
werden muß, Wissenschaft und Weltanschauung. Es kann in der historischen Selbstbesinnung' wir uns den Weg frei, der der von: Dilthey selbst gehahnte ist. Es handelt sich
reinlich auseinandergelegt werden, weil die Verbindung von beidem keine integrierende V er- · auch hier, also bis zuletzt, um sachlich zu entscheidende Probleme.
einigung in Statu nascendi bedeutet, sondern eine Übertragung des in sich zentrierten Einen
aufs Andere, der in den Wissenschaften gültigen Norm auf die in ihrem Gehalt ruhenden
li. Das erste hiervon: das genetische Verhältnis zur "allgemeingültigen"
Weltansichten. Es handelt sich um zwei verschiedene "Gedankenmassen", die sich dahin
kennzeichnen, daß "die eine kritisch auf Allgemeingültigkeit gerichtet, auf Erfahrung gegründet Wissenschaft, ist nicht bloß, wie schon gesagt wurde, für Diltheys Angriff ge-
ist, die andere unter der unwiderstehlichen Macht des Bedürfnisses von Weltkonzeption und gen die Metaphysik richtunggebend, sondern bestimmt bereits den Begriff, den
Lebensideal steht" (VIII, 215).
er von ihr entwirft. In der Aussprache mit Husserl gab er ihn an:
Ihre Verbindung ist einmal, unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen hergestellt wor-
den - in Griechenland - und blieb dann für die metaphysischen V ersuche der Neuzeit maß- "eine Metaphysik, welche den Weltzusammenhang durch einen Zusammenhang von Begriffen
in gültiger Weise auszusprechen unternimmt".
gebend. Diese "alte unheilvolle Verbindung" gilt es aufzulösen. Die ersten Schritte dazu sind
schon getan: durch die moderne Naturwissenschaft, die sich "allmählich von der Verhindung Dürften wir uns an diese Bestimmung halten, die nur eine gegen den Rationa-
mit metaphysischen Voraussetzungen löste", durch Kant, der (lie beiden Gedankenmassen schied. lismus gekehrte Angabe von Schopenhauer ("den Weltzusammenhang in einen
Der nächste, entscheidende Schritt wird durch das "historische Bewußtsein" vollzogen, das
innerhalb der Erfahrungswissenschaften herangewachsen ist, aber sich zugleich als eine neue Begriffszusammenhang auflösen") aufnimmt, so müßten wir die antimetaphy-
Stufe der Philosophie versteht, auf die Transzendentalphilosophie folgend, wie diese auf die so- sische Stellung freilich als unangreifbar stehen lassen. Denn sie ist dann in dem
kratisch-platonische Grundgestalt der Philosophie folgte. Jetzt erst wird die Scheidung von-
sehen der WeIt an s c hau u n g vollzogen: diese gelangt zum Bewußtsein ihres eigenen
methodischen Prinzip der Lehensphilosophie selber gegründet und wird dem~
Wesens und ihrer eigenen Wahrheit durch die Erkenntnis ihres geschichtlichen Bildungs- entsprechend auch von Dilthey begründet.
prozesses.
Die Lebens- und Weltansichten sind nach dem" Grundgesetz der Lage" des Menschen an den "Be-
"Wie die naturwissenschaftliche Erkenntnis den letzten großen Fortschritt in der Philosophie
zug seiner Lebendigkeit zu den Eigenschaften der Welt, welche er nicht zu ändern vermag" ge-
bedingte, wie sie die innere Seele dieses Fortschritts gewesen ist, überallhin wirksam, so tritt aus
bunden: "seine Welt ist ebensowenig ein Prodnkt seiner Lebendigkeit als sie ein objektiver Tat-
dem geschichtlichen Bewußtsein unaufhaltsam, unwidersprechlich die Einsicht hervor, daß die
bestand ist". Diese Relation wird "im wissenschaftlichen Bewußtsein" aufgelöst, so daß die Welt-
Weltanschauungen nach einem inneren Gesetz, das im Verhältnis unseres Geistes zur Wirklich-
ansichten "zu objektiven Weltbildern verselhständigt" werden. Und "diese Verselhständigung
keit der Dinge gegründet ist, sich entwickeln: sie drücken nur verschiedene Seiten dieser Welt
ist es, was ein System zur Metaphysik macht". So definiert er: "Wir verstehen unter Metaphy-
aus . • . K:eine Weltanschauung kann durch Metaphysik zu allgemeingültiger Wissenschaft er-·
sik die Form der Philosophie, welche den in der Relation zur Lebendigkeit konzipierten Weltzu-
hoben werden. Ebensowenig können sie zerstört werden durch irgend eine Art von Kritik. Sie
sammenhang wissenschaftlich behandelt, als ob er eine von dieser Lebendigkeit unabhängige
haben ihre Wurzel in einem Verhältnis, das weder dem Beweis noch der Widerlegung zugänglich Objektivität wäre" (VIII, 51).
ist. Sie sind unvergänglich, vergänglich ist allein die Metaphysik" (VIII, 216). -
Aber wir dürfen uns an diese Bestimmung nicht halten; denn sie_ will keine
Wir konzentrieren die Kritik auf die beiden Punkte, die sich uns als kritisch
synthetische Definition sein, die mit ihrer Form: "ich verstehe unter ...... "
herausgestellt haben: das Verhältnis der Metaphysik zur Wissenschaft und zur
eine bloße Angelegenheit der Terminologie wäre, sondern eine analytische Fest-

19*
292 Die aufklärungsmäßige Herleitung über die .Wissenschaften Der metaphysische Anfang der Phila~ophie als Gegeninstanz 293
stellung dessen, was in der ganzen abendländischen Tradition der Philosophie hierzu ausdrücklich und weist uns damit selbst auf den kritischen Punkt hin.
von den Griechen her als Metaphysik umgeht. So gehört zu dieser systema- Ist das V erfahren der ursprünglichen Metaphysik, bei der wir an Heraklit und
tischen Bestimmung ihres Wesens eine historische Erklärung, die erst Parmenides denken, als eine Übertragung "scientifischer Operationen" auf
ganz zeigt, was hier gemeint ist. Gemeint ist nichts anderes als jene "unheil- das Weltbild zu erklären, so daß die Existenz von "Wissenschaft" seine
volle Verbindung" der zwei heterogenen "Gedankenmassen". "Voraussetzung" wäre?
Die Metaphysik ist von den Griechen hervorgehracht worden, indem sie "das W elthild rein Wir müssen hier ständig an Diltheys geschichtliche Darstellung der Entwicklung der Wissen-
scientifischen Operationen unterwarfen". Sie vollbrachten damit wohl etwas, was geschehen schaften aus der Philosophie denken, wie er die Bedeutung der eleatischen Dialektik für die
mußte; denn die 1\fetaphysik ist, wenn auch nur etwas Vorühergehendes, .so doch ebenso notwen· jonische Naturwissenschaft heraushob, wie er Heraklits "metaphysische Besonnenheit" zu
dig einmal entstanden, wie sie jetzt vergangen ist. Aber diese Notwendigkeit ist lediglich die würdigen wußte und auch allgemein diese Beziehungen als die zwischen "der werdenden
eines "Stadiums der Entwicklung der menschlichen Intelligenz", wie Kant und Comte es nah-· Philosophie und den entstehenden Wissenschaften" kennzeichnete. Aber der Begru:f der
men; in dem "Zweckzusammenhang der Geschichte der Wissenschaften" tritt sie "an einem he- natürlichen W eltauffassung" greift hier ein. Er dient, auf das Künstlervolk der Gnechen
stimmten Punkte, im 5. Jahrhundert v. Chr." hervor, um dann "den .wissenschaftlichen Geist bezogen, dazu, die theoretische, die unexistenzielle Form ihrer Philosophie aus der einseitigen
Europas zu beherrschen" (I; 127). Und durch diese Ausrichtung der metaphysischen Produktion ästhetisch-wissenschaftlichen Einstellung zu erklären, als wäre diese nur ein großes ,Okular'.
auf die Entwicklung derWissenschaften wird die eigentümliche durch "Naturell und Kllma" Wir erinnern uns aber daran, wie Dilthey in seiner Grundlegung der Lehensphilosophie
bedingte Inteflektnalität des Volkes, das zu einer solchen Hervorbringung fähig gewesen ist, aus~ gerade das elementare Deuten und Verstehen als ,,die natürliche Auffassung" bezeichnete, rl!e
schlaggehend. Die Metaphysik der Griechen ist ein Ausdruck ihres geistigen Lehens, wie ihre im Dichter als dem "wahren Menschen" nur gesteigert hervortritt. Und so hat er auch m
große Kunst oder ihr Götterglauhe. seiner Würdigung des Deutschen Idealismus, an dem ihm das Phänomen der Metaphysik am
Nun.ist freilich die Erkenntnis der Relativität prinzipiell nur die eine Seite des "historischen dringlichsten entgegentrat, sein anfängliches Urteil, es handle sich da Um einen "ästhetischen
Bewußtseins", dessen andere Seite die Bedeutung des Relativen im Zusammenhang des Ganzen Standpunkt", Wieder zurückgenommen, um die "Auslegung der Welt aus ihr selber, unter Aus-
ist, an dem es seine Stelle hat. Ahet hier handelt es sich um die Entstehung eines Zusammen- schluß der transzendenten Vorstellungen", das lebensphilosophische Prinzip also, als den
hanges, dessen ganze Bedeutul!g in Frage steht: ob er überhaupt ein Zentrum in sich selber, und eigentlichen Sinn dieser Metaphysik herauszustellen (V, XXXIX). W ~nn irgendwer, so hat
nicht vielmehr in den Einzelwissenschaften (und anderseits in der Weltanschauung) hat. Wie die Dilthey gewußt, welche Bedeutung der künstlerischen Phantasie im Zusammenhang der mensch-
Metaphysik, sachlich angesehen, eine unzulängliche Verfestigung ist, so erklärt sie. sich histo- lichen Weisheit und auch der Wissenschaft zukommt. Ihm lag es fern, sich d11rch die
risch aus der Beschränkung des Menschenvolkes; dem die Ausbildung diesl)r Stufe der wissen- existenziale oder vielmehr eigentlich religiöse Achtung des .Ästhetischen schrecken zu lassen.
schaftlichen InteÜigenz zufiel. Die "Schranke der Griechen" fand der Lebensphilosoph darin, Er kennt vielmehr das Befreiende, das in dem zwecklosen festlichen Spiel der Kräfte liegt. Von
daß sie die "lebendige Kraft usw."- d. h. das durch Druck und Widerstand bestimmte Lehens- ihm aus muß man zu der Erkenntnis kommen, daß sogar die spezifisch griechische Agonistik,
verhältnis von Mensch und Welt- "nicht zu erfassen vermochten", in dem rein ästhetischen in der dieses festliche Spielenkönnen so unzweideutig, in ,göttlicher Kindhaftigkeit' als ein Grund-
Verhalten also. Diese Einstellung setzte sie instand, in ihrer Wissenschaft das "natürliche" Welt- .zug der künstlerischen Lehensform ausgeprägt ist, ihren Anteil an der Hervorbringung der 'abend-
hild auszubilden; denn "das Auftreten der Gestalt innerhalb des Gesichtshildes, die in diesem ländischen Philosophie und des. sie auszeichnenden wissenschaftlichen Charakters hat. Denn
liegende Kontinuität, innerhalb derer die Objekte sich sondern: dies ist die natürliche Weltauf- das· zwecklose, aber im zwecklos.en Tun die persönliche Leistungskraft. erprobende V erhalten in
fassung, dies Wort im weitesten Sinne genommen". Aber diese "natürliche Auffassung" erstreckt der festlichen Pause des Lehens verhilft dazu, in freier aktiver Weise die gelöste Stimmung zu
sich nun durch die Wissenschaften, durch Geometrie und Astronomie hindurch in die Philosophie gewinnen, zu deren Herstellung andere Völker der religiösen Praktiken, des Rausches und der
hinein und bedeutet nun Loslösung desWeltbildesvon seiner Wurzel im Lehen. Der Grundzug des- Rauschgifte bedürfen. Gewiß weist der ästhetische Zug in der theoretischen Geisteshaltung
selben, das "Auftreten der Gestalt" usw. kehrt auf dem Höhepunkt der griechischen Philosophie, der Griechen auf eine Grenze ihrer Philosophie hin. Aber nicht wegen seiner Ausartung zu einer
bei Platon sowohl wie bei Demokrit, im Idealismus wie in der "Metaphysik der Naturerkenntnis" ästhetisch-mathematischen "Metaphysik", sondern gerade wegen seines von Haus aus unmeta-
als die gemeinsame "Grundvoraussetzung" wieder. Und da liegt der Schlüssel zur Metaphysik physisclien Ch,arakters, dem erst die ursprüngliche philosophische Bewegun,g, neu anhebend,
überhaupt. "Die Metaphysik entsteht, indem dieses Weltbild als Selbständigkeit, unab- begegnen mußte, um ihn auf die Ebene der .Wissenschaft· zu erheben· (Fibel 56, 275).
hängig vom Subjekt, Gegenstand der von der Geometrie getragenen wissenschaftlichen Inter- Da, wo Dilthey, der Metaphysik die Wissenschaft voranstellend, ein vom
pretation wird" (VIII, 52).

"Dies V erfahren setzt die Existenz von Wissenschaft voraus", bemerkt er " wissenschaftlichen Bewußtsein" ·ausgehendes "Verfahren" ansetzt, den Welt-
zusammenhang szientifischen Opetationen zu unterwerfen, müssen wir viel-
294 Die aufklämngsmäßige Herleitung über die Wissenschaften Die Vorstellung einer Naturgeschichte der Philosophie 29~

mehr eine in der bodenständigen "Weltansicht" gegründete Antizipation der handelt, das Individuum isoliert nehmen möchte, hat freilich seinen guten
Einstellung und Haltung des Denkens anerkennen, die (wie solche weltan- Grund; denn sie läßt sich nicht, wie die "Weltansicht" als eine Schöpfung des
schauliche Antizipationen überhaupt) nicht die metaphysische Bewegung sel- Gemeingeistes begreifen, sondern weist auf denkerische Tat des persönlichen
ber, sondern nur ihre geschichtliche Konkretion bedingt und gerade den spe- . Geistes zurück. Aber das ist hier gerade nicht gemeint, sondern eine in _der
zifisch griechischen Übergang von der Metaphysik zur Naturwissenschaft be- Natur des Menschen angelegte Teleologie, die ihn (wenn dieser Zug aus
greiflich macht. Diese weltanschauliche Antizipation müssen wir prüfen und Di1theys Begriff der "immanenten Teleologie" isoliert herausgehoben wird)
nicht die Metaphysik als solche angreifen, um die Bedeutung der grie- mit der Notwendigkeit einer organischen Entwicklung zum Philosophieren
chischen Tradition, mit der die Lebensphilosophie ringt, zu würdigen. - führt-
Und so fragen wir nun auch bei Dilthey, um seine Erklärung der Genesis einem Philosophieren, das nicht im Vollzug, sondern im rein gedanklichen Durchsetzen der Ein-
heit des Lebens innerhalb der Sphäre der gegenständlichen Erkenntnis besteht und somit ein
der "Metaphysik'' zu begreifen, nach dem systematischen Vorgriff, der da-
Zusammennehmen und Zu-Ende-führen des selbst schon auf Allgemeingültigkeit hintendierenden,
bei im Spiele ist. von sich aus bereits wissenschaftlich werdenden Wissens von den "Realitäten des Lebens" (Wirk·
1. Er betrifft den wesentlichen Punkt, wo uns bei, ihm wie bei Heidegger ein lichkeiten, Werten, Zwecken und Regeln des Handelns) ist.

Ungenüge zurückblieb, die einseitige Herleitung der Wissenschaft aus dem Diese Vorstellung einer Naturgeschichte der Philosophie wird dadurch ver-
handelnden Leben~ Sie wurde von ihm im positivistischen Sinne bis zur Philo- mittelt, daß die zur "Natur" des menschlichen Lebens gehörige "Besinnung"
sephie hin erstreckt. Und wie er da vorgeht, um die "innere Notwendigkeit" als ihren Grundzug die Richtung auf Allgemeingültigkeit des Wissens auf·
des Hervorgehens der Philosophie zu erweisen, kommt die Voraussetzung zum geprägt erhält, "Allgemeingültigkeit" in jenem bestimmten Sinne, der an den
Vorschein, die den Weg verlegt. Er macht eine Fiktion von Hobhesseher Art : exakten Wissenschaften mit ihrer lebensfremden Objektivität und stetig fort-
"Stellt man sich ein Individuum vor, das ganz isoliert wäre und dazu frei von den Zeitschranken schreitenden Entwicklung orientiert ist. Und das ist die entscheidende, uns
des Einzellebens, so wird in diesem Auffassung von Wirklichkeit, Erleben der Werte, Verwirk- durchaus problematische Voraussetzung.
lichung der Güter nach Regeln des Lebens stattfinden: eine Besonnenheit über sein Tun muß in
Sie zeigt sich noch deutlicher, mitsamt dem Hintergrund auf dem sie steht.
ihm entstehen, und sie wird sich erst vollenden in einem allgemeingültigen Wissen über dasselbe:
und wie in ~en Tie~e.n der Struktur Auffassen von Wirklichkeit, innere Gefühlserfahrung der Dilthey gibt die Regel an, nach der der Fortgang zur Philosophie erfolgt -
Werte und die Realisierung von Lebenszwecken miteinander verbunden sind, so wird es diesem nunmehr vom Gemeinschaftsleben aus mit seinem Weltbild, seinen Werten,
Zusammenhang in allgemeingültigem Wissen zu erfassen streben. Was in den Tiefen der Struktur
zusammenhängt, W elterkellntnis, Lebenserfahrung, Prinzipien des Handelns, das muß auch zu den Bindungen in Sitte, Recht, Religion:
irgend einer Vereinigung im.dellkenden Bewußtsein gebracht werden. So entsteht in diesem In- "Überall führt das Leben zu Reflexionen über das, was in ihm gesetzt ist, die Reflexi~n zum
dividuum die Philosophie. Philosophie ist in der Struktur des Menschen angelegt, jeder, an wel- Zweifel, und soll sich diesem gegenüber das Leben behaupten, so kann das Denken erst enden
cher Stelle er stehe, ist in irgend einer Annäherung an sie begriffen, und jede menschliche Lei- in gültigem Wi~sen" (VII, 6). · .
stung tendiert, zur philosophischen Besinnung zu gelangen" (V, 374). Daist die Notwendigkeit des Fortganges von der "Reflexion" zur Wissenschaft
Entspricht diese psychologische Konstruktion dem "historischen Bewußtsein" w~hl als eine vitale Notwendigkeit gefaßt, wie das des näheren ausgeführt
und nicht vielmehr dem "natürlichen System" der Geisteswissenschaften vom wird:
XVII. Jahrhundert her? Daß Dilthey, dessen Grundsatz war, die Entstehung Der "siegreich sich durchsetzende Einfluß" des Dellkens in allen V erhaltungsweisen des Lebens
"entspringt aus der inneren Notwendigkeit, in dem unsteten Wechsel der Sinneswahrnehmungen,
von Sinn und Bedeutung "nicht im Einzelmenschen, sondern im geschichtlicheil
Begierden und Gefühle ein Festes zu stabilieren, das eine stetige und einheitliche Lebensfüh-
Menschen" zu suchen, hier, wo es sich um die Entstehung der Philosophie rung möglich macht".
296 Die aufklärungsmäßige Herleitung über die Wissenschaften Diltheys Festlegung der Metaphysik auf das Ziel der Allgemeingültigkeit 297

Aber der maßgehende Begriff der gr~dlinigen Regelhaftigkeit, die entspre- es entspricht nur der Einsicht des ·"historischen Bewußtseins", daß das Fest-
chende Annahme, daß der eigentliche Wendepunkt in dem Fortgang ~on halten an der Kontinuität der Entwicklung eine Grundbedingung für den
der Reflexion zur Philosophie mit dem Zweifel gegeben sei: das erscheint dauernden Erfolg des in die Zukunft gehenden Schaffens ist. Insoweit ist die
wie ein Zurückgreifen auf die anthropologischen Konstruktionen des "natür- historische Rechtfertigung der eigenen Stellung gerade ein kritisches V erfah-
lichen Systems" im Hinblick auf das "einfach übertragbare" Wissen, in dem ren der Selbstobjektivierung, das er sowohl mit Hegel wie mit Comte teilte,
"der Intellektualismus die Wurzeln seiner Kraft hat". Damit stellt sich die und wir hören auf seine Mahnung, wenn er scharf erklärt :
von uns verfolgte historisch-psychologische Erklärung der Metaphysik in den "Nur Phantasten träumen von neuen Grundlegungen der philosophischen Wissenschaft. Sie
wächst langsam, allmählich, vertieft sich durch viele eigene Leistungen, das Ziel selbst ist ein
geschichtlichen Horizont ein, der sie begrenzt. unendliches" (VIII, 205).
2. Aber ist es nicht paradox, dem Kritiker der historischen Vernunfteinen Aber wenn das Verfängliche dieses Verfahrens in der Regel daran liegt, daß
Mangel an. historischer Kritik zuzumuten? Es handelt sich hier um eins der Systematiker "die eigene Leistung als die Vollendung der Entwicklung
der wesentlichen Probleme in Diltheys Deutung der Philosophie: daß sie historisch zu erweisen sucht" 1 ), so scheint es bei Dilthey umgekehrt zu sein:
ihm einmal als etwas. Natürlich-Menschliches, aus dem einzelnen Individuum daß er die eigene Leistung nicht hinreichend in ihrer systematisch~n Bedeu-
Ableitbares, zum andern als etwas geschichtlich Gewordenes erschien. So tung für die "Vertiefung der philosophischen Wissenschaft" gewürdigt hat.
hat er durch das Festhalten an der "Aufklärung" gerade die Einseitigkeit Denn wie er sich hier in die Kontinuität der von der Aufklärungsepoche aus-
d~r "historischen Schule" zu überwinden gesucht. Indes: es dürfte hier noch gehenden Bewegung einstellt, hält er zugleich den vorwiegend naturwissen-
etwas anderes im Spiele sein, was die Freiheit dieser Stellung beeinträchtigt. schaftlich bestimmten Wissenschaftsbegriff dieser Epoche fest, über den
Zunächst eine ans Persönliche rührende Vorliebe. er doch bereits produktiv, mit seiner "historischen Forschung in philosophischer
Dilthey hat das Zeitalter der Aufklärung nicht nur in sein geschichtliches Recht eingesetzt, son- Absicht" hinausgekommen ist, und greift von da aus die ,;Metaphysik" bei
dern er gab ihm auch darin recht, daß es sich "das philosophische Jahrhundert" nennen durfte. ihrem vermeintlichen Ziel an, es den Wissenschaften in dem Punkt der "All-
Er fand das berechtigt wegen der unmittelbaren Einwirkung des "philosophischen Geistes" auf
gemeingültigkeit" gleichzutun, der eben deshalb irreführend ist, .weil die
das gesellschaftliche Leben, durch die jene Epoche der erlahmenden metaphysischen Produktion
ausgezeichnet ist, - während doch die Gedanken, die damals zu so großer Wirkung in der bürger- Vorstellung der "Allgemeingültigkeit" im vorhinein von jenem Wissenschafts-
lichen Welt gelangten, aus den metaphysischen Systemen des 17. Jahrhunderts stammten, wie begriff aus concipiert ist. So wird das "logische Bewußtsein", das "sich frei
das Dilthey selbst dargelegt und gegen den Positivismus geltend gemacht hat. Ein V erlangen
nach Aktivität trieb ihn dazu, die Lebensmacht der ·Philosophie in ihren direkten Kultur- überallhin zu wenden ·vermag" aus seiner ursprünglichen metaphysischen
wirkungen aufzusuchen, und dafür war ihm der in die Breite wirkende "philosophische Geist" Funktion gelöst, in der es als "die in die Wurzeln der Dinge dringende logische
des 18. Jahrhunderts vorbildlich.
Energie" gesehen war, und als Steigerung des Aufklärungszuges begriffen.
Sodann aber dürfte hier auch eine sachliche Hemmung im Spiel sein, Dilthey 3. Nur eine Konsequenz hiervon ist die von uns angegriffene Theseüber das
hat sich bewußt in den Zusammenhang mit der Aufklärung· eingestellt genetische Verhältnis von Lebensaufklärung, Wissenschaft und Metaphysik.
und seine Ablehnung ·der Metaphysik damit gerechtfertigt, daß er seine Daß sie für die griechische Schöpfung der Naturwissenschaft nicht zutrifft, sondern durch die
Stellung aus der Kontinuität der antimetaphysischen Bewegung begriff, die Tatsachen widerlegt wird, schien uns aus Diltheys eigenen Forschungen hervorzugehen. Für
die Geisteswissenschaften hat er systematisch die lineare Herleitung aus der gedankenbilden-
von dieser "Epoche der Verselbständigung der Erfahrungswissenschaften"
ausgeht. Im Prinzipiellen gehört dies V erfahren auch durchaus hierher: 1) Nohl, Die Deutsche Bewegung und die idealistischen Systeme, Logos II (1911), 359.
298 Die Zurückführung der Metaphysik auf die Weltanschauungen Einheit der Philosophie gegen die Mehrheit der Weltanschauungen 299
den Arbeit des werktätigen Lebens durchzuführen gesucht (VII, 136), ohne doch diese Linie
"Totalität der Menschennatur" - , ist der Diltheysche Bestimmungsgrund für
da zu Ende zu führen, wo dem "unmittelbaren Verhältnis zum Leben", das diese Wissen-
schaften auszeichnet, die "Forderung. der Allgemeingültigkeit" als etwas "in jeder Wissenschaft die Weltanschauungen überhaupt, wie er das als den "Hauptsatz der Welt-
·als solcher Enthaltenes" gegenübertritt. Die wesentlich theoretische Richtung auf Objektivi- anschauungslebre" angegeben hat:
tät des Wissens von den Werten und Zielen des Lehens läßt sich aus dem Begrüf der "Objekti-
vation des Lebens" allein nicht herausholen.· Und in seinen Forschungen zur Geschichte die- ,.Die Weltanschauungen sind nicht Erzeugnisse des Denkens. Sie entstehen nicht aus dem blo-
ser Wissenschaftsgruppe, die zur logischen Aufklärung des ihr eigenen Begriffs von Objektivität ßen Willen des Erkennens. Die Auffassung der Wirklichkeit ist ein wichtiges Moment ihrer Ge-
und Strenge verhelfen sollten, hat ja Dilthey selber den "tatsächlich stattfindenden" Zusammen- staltung, aber doch nur eines. Aus dem Lebensverhalten, der Lebenserfahrung, der Struktur
hang mit der vorgängigen philosophischen Bewegung ans Licht gestellt. unserer psychischen Totalität gehen sie hervor. Die Erhebung des Lebens zum Bewußtsein in
Wirklichkeitserkenntnis, Lebenswürdigung und Willensleitung ist die langsame und . schwere Ar-
Erst durch jene Voraussetzung aber und durch die unter ihr erfolgende Be- beit, welche die Menschheit in der Entwicklung der Lebensanschauungen geleistet hat" (VIII, 86).
stimmung der "Metaphysik" von dem Ziel der "Allgemeingültigkeit" aus tritt Und da nun die Weltansicht ein Grundphänomen des menschlich-geistigen Le-
nun auch der Geltungsanspruch der Metaphysik selbst in den Gegensatz zu hens ist- in dem Sinne, daß "das Lehen sich von jedem Individuum aus seine
der "Lebenswahrheit", den Dilthey gegen Husserl ins Feld führte - mit Recht eigene Welt schafft" und wir nicht bloß in dieser Welt leben, sondern ihrer an-
ins Feld führte, sofern Husserl an jener Zielsetzung in dem eindeutigen Sinne sichtig werden, so daß sie für uns ein "Antlitz" hat (facies mundi) - , so fällt
der "strengen Wissenschaft" Metaphysik festhielt, zu Unrecht aber, wenn ihr von hier aus das Prädikat "metaphysisch" auch dem Menschen und dem von
dadurch der ihr wesentliche Wahrheitssinn entzogen und der "Weltanschau- ihm gelebten Lehen zu.
ung" gegeben werden sollte. Damit stehen wir vor dem anderen Punkt, auf Dilthey spricht von dem "metaphysischen Bewußtsein des Menschen", das "den Kern auch der
den sich uns die Auseinandersetzung konzentrierte: das Verhältnis der Meta- Religion bildet" (li, 418), dem "metaphysischen Trieb" oder "Bedürfnis", der "unwidersteh-
lichen Macht des Bedürfnisses von Weltkonzeption und Lebensideal" und korrelativ von dem
physik zur Weltanschauung. "Zug einer religiös-metaphysischen Tiefe" des Lebens. So kennzeichnet erz. B. den "germanischen
Geist" dahin, daß "das in ihm liegende metaphysische Bewußtsein viel tiefer in die Natur des
Willens und den metaphysischen Charakter des Kampfes,· der Aufopferung und Hingabe zu-
III. Der "toten Begriffswissenschaft der Metaphysik" stellte Dilthey die
rückgeht" (VII, 8~, VII, 345, 171 ). - Der Begrüf des "metaphysischen Bedürfnisses" meint
lebendige Macht der "metaphysischen Weltansicht" gegenüber, die "aus der "eigentlich" -das wird für den entsprechenden, ja in dieser Hinsicht mit ihm identischen Be-
Totalität der Menschennatur, dem Menschenherz Nahrung und Blut emp- grüf des "religiösen Bedürfnisses" angegeben (VII, 267) -:das Bedürfnis, das in der Metaphysik
Befriedigung findet.
fängt". Für unsere Frage nach dem Verhältnis der ursprünglichen Metaphysik,
So handeltsich's bei jener Entgegensetzung der toten Begriffswissenschaft und
die uns ihrem Sinne nach eins zu sein scheint, zu den Weltanschauungen, die
der lebendigen "durch die Geschichte schreitenden" Macht im Grunde um das
gleich den Wissenschaften eine Mehrheit sind, ist dieser spontan sich einstel-
Verhältnis von Lehen und Begriff überhaupt, wie es bei der Erörterung· der
lende Begriff der "metaphysischen W eltansicht" richtungweisend. Er weist
Kategorie der Bedeutung prinzipiell gefaßt wurde (151 ff.):
auf eine im "Metaphysischen" gelegene Einheit der Weltanschauungen hin.
im Begrüf "ist Leben ausgelöscht", aber er wird "vermöge des Bezuges zum Leben zu einer
Denn das Attribut: "metaphysisch" ist hier nicht determinierend gemeint - Kraft, da er zusammenfaßt, was im Leben zerteilt, dunkel und verfließend ist".
als ob es eine spezifisch metaphysische Weltansicht im Unterschied zu einer Und wir erwarten, daß nach jener Entgegensetzung auch hier das hermeneu-
religiösen, ästhetischen, politischen usw. gäbe- sondern prädikativ; die Weh- tische V erfahren eintrete, daß die Seinsgestalten in das Lehen zurückversetzt,
ansieht als solche ist ein metaphysisches Gebilde. Der genetische Gesichts- das in ihnen schaffend entfaltet wird. Dies V erfahren müßte dann, meinen
punkt aber, unter dem sie so gekennzeichnet wird - die Entstehung aus der wir, wenn es, nachschaffend auf den Linien des Geschehens, vorwärtsgeht -
300 Die Zurückführung der Metaphysik auf die Weltanschauungen Das 'metaphysische· Bewußtsein', bezogen auf die weltanschaulichen Gehalte 301

hier also von der elementaren Weltansicht zu der Metaphysik hin vorwärts sein bestimmte, so daß er sagen konnte: "Sofern der Mensch existiert, geschieht
geht - , auf die Stelle stoßen, wo die "natürliche" Bedeutung des Lehens nicht das Philosophieren". Analog scheint es bei Dilthey zu sein, wenn er, die Meta-
mehr hinreicht, sondern_ eine entscheidende, ins Lehen eingreifende Wendung physik als Wissenschaft leugnend, "die menschliche Metaphysik" in den Welt-
anzuerkennen ist, die dem freien denkerischen Vollzug der "metaphysischen" anschauungen sich "auswachsen" siehtunddie "Aktion", als welches die Philo-
Grundbewegung der Philosophie gedankt wird. Aber hier, wo es sich für 'die sophie ist, mit der Geschichte der Weltanschauungen, deren Held das Menschen-
. Würdigung der philosophischen Denkarheit, allgemein gefaßt um das Verhält- geschlecht ist, zur Deckung bringt. Aber dieser uns problematische Einsatz
nis des Geschichtlichen zum "Natürlichen" handelt, tritt nun für Dilthey das ist bei ihnen beiden wiederum- so wie es bei der existentialen Herleitung der
Moment des Schaffens vor dem des Explizierens zurück. Wissenschaft war- in entgegengesetztem Sinne genommen. Bei Heidegger war
Das Beispiel, an dem e~ den Begriff des "metaphysischen Bewußtseins" darlegt, ist die Lehens· mit der "als Dasein geschehenden" Metaphysik eine ontologische Form ge·
form des europäischen Mittelalters. In ihr findet er die dauernden, von der griechischen Philo- meint, eine dem Formalismus der Kautischen Ethik analoge formale Durch·
sophie, der römischen Jurisprudenz, der jüdisch-christlichen Religion hervorgebrachten "Motive
sichtigkeit der "geschehenden Grundverfassung" des Daseins. Bei Dilthey
aller menschlichen Metaphysik" zu einem System verwoben, das, wie es "das Ganze der Menschen-
natur umspannt", auch die "Menschenatur voll zu befriedigen vermochte". Diese Lebensform, handelt es sich um den "metaphysischen" Charakter der inhaltvollen Be-
die er als "Metaphysik" anspricht, stellt er den späteren "Einzelsystemen" gegenüber: "diese züge unseres Daseins, der Bezüge u~serer "Selhigkeit" zu dem was in und mit
sind gar nicht Wesen derselben Art". Denn in jener "Metaphysik-Theologie" ist, obwohl ihre
zusammengesetzte geschichtliche Herkunft vor Augeri liegt, "die menschliche Metaphysik über- uns, um uns, unter und über uns ist, und um die entsprechenden Grunderfah-
haupt nur ausgewachsen" (II, 496). rungen, die unserem Dasein eine Bedeutmig gehen,
Dieser Begriff einer allgemein-menschlichen, sozusagen natürlichen Me~aphy· um die "Posivität de~Menschen", aufgrundderen "ganz vorwiegend alles Große, das in der Ge-
sik besagt dasselbe wie die Ke~nzeichnung der elementaren, zum menschlichen schichte geschaffen wurde, geschaffen worden ist".

Lehen überhaupt gehörigen "Weltansicht" als eines "metaphysischen" Gebil- Mit dem "metaphysischen Bewußtsein" ist hier nicht wie bei Schopenhauer
des. Ist die "Metaph~sik" als die vorübergehende "äußere Gestalt" des meta. oder Scheler ein geistiger Grundakt gemeint, der, mit der "Vernunft" griechi-
physischen Bewußtseins in der Sphäre der "Vorstellung" bestimmt, so sind schen Andenkens rivalisierend, den Menschen als das animal metaphysicum
die Weltanschauungen, die ihren dauernden Gehalt ausmachen, selber etwas auszeichnen sollte, sondern der Diltheysche Begriff geht auf den gehaltvollen
existenziell Metaphysisches. Und wenn wir vorhin hörten: "die Erhebung des Bezug. Das zeigt sich besonders deutlich an seinem Vorgehen in seinem
Lehens zum Bewußtsein" sei die "Arbeit", welche die Menschheit in der Ent· heimischen Reich, der Universalgeschichte der Philosophie, wo es sich auch
wicklung der Lehens· und Weltanschauungen geleistet hat, so springt nunmehr ihm um "die Identität der Struktur des philosophischen Geistes" handelt. Da
die ganze Problematik heraus. Dann besagt das etwas anderes als das, was geht er, um den geschichtlichen Zusammenhang der Entstehung der Meta·
, uns von Beginn an (27) als die Aufgabe der philosophischen Grundlegung ent- physik "möglichst tief rückwärts .zu gründen", von den "primitiven Konzep·
gegentrat ? : · tionen der Menschheit" aus und fordert prinzipiell einen solchen Beginn mit
,Die Philosophie ist eine Aktion, welche das Leben, d. h. das Subjekt in seinen Relationen als den primitiven "Völkergedanken", wie es der zeitgenössische Ethnologe Ba-
Lebendigkeit, zum Bewußtsein erhebt und zu Ende denkt". stian nannte (IV, 529. VIII, 167):
Wir finden uns hier vor eine analoge Situation gestellt wie bei Heidegger. "Die universalgeschichtliche Betrachtung kann ihre Ziele nur erreichen, wenn sie sich ein-
Bei ihm befremdete es uns, daß er die Metaphysik als das Urgeschehen im Da- gräbt in die primitiven Tatsachen; sie muß die ersten Bildungen von Mythologie, religiösen oder
302 Die Zurückführung der Metaphysik auf die Weltanschauungen Das Problem der Einheit in der Mannigfaltigkeit des Gehalts 303

metaphysischen Ideen, künstlerischen Formen, wie sie vielartig die Erde bedeckt haben, als zeichnet, der Anspruch auf Allgemeingültigkeit, ist gerade das Hinfällige an
Untergrund alles geschichtlichen Lehens auch ganz ernstlich zu seiner Grundlage machen". ihr. _ Es ist nicht die skeptisch-ironische Haltung Taine's, der erklärte:
Von da aus geht er zu den "religiösen Weltanschauungen" der Völker des Partout l'art est une sorte de philosophie devenue sensible, la religion une sorte de poeme tenu
Ostens als der "ersten Generation der Kulturvölker" über, um ihnen die we- ;our vrai, Ia philosophie une sorte d'art et de religion dessechee et reduite aux idees pures" 1 ).

sentliche Leistung zuzusprechen., daß sie "die metaphysischen Grundsysteme Keineswegs ist für Dilthey Metaphysik "eine Dichtung in Begriffen", wie
gestaltet haben". Aus der Einwirkung dieser ,,monistischen Bewegung" er- der Kantianer Lange den positivistischen Gedanken formulierte, sondern
klärt sich dann die Entstehung der Philosophie in Griechenland, soweit si~
"der Ausdruck des metaphysischen Bewußtseins in den begrifflichen Symbolen, der Lage der
mehr ist als eine Anwendung "szientifis~her Operationen" auf das "natürliche" Wissenschaft in einer gegebenen Zeit entsprechend" (II, 497). . .
Weltbild. Dieses "bedarf" der Vorstellungen, damit es überhaupt "sein Dasein habe";
Wer wollte die Bedeutung von Diltheys universalgeschichtlicher Darstellung sie sind das, was "in einer ungeheuren· geschichtlichen Arbeit hervorgetriehen"
leugnen, die die Einheit des geistigen Lehens in der unermeßlichen Fülle seiner ist, von ihnen ist durch· Analyse zu zeigen, daß sie im Wechsel der intellek-
Gestaltungen zu realisieren vermag, indem sie den dauernden Gehalt in. der tuellen Lage konstant bleiben, daß sie sich dieser Lage entsprechend gesetz-
Metamorphose seiner Formen erblickt? Aber es will uns nun doch scheinen mäßig wandeln, und dieses Sichhinüberwandeln durch die Zeiten beruht eben
daß die geistesgeschichtliche Analyse, die als "synergistische" auf das Wechsel- · darauf, daß sie Gewand und Hülle des "unsterblichen" metaphysischen Be-
verhältnis mit der systematischen Interpretation angelegt ist, hier, wo es .sich wußtseins sind.
um das metaphysische Phänomen handelt, statt des Gleichgewichtes mit ihr, Aber wenn solchermaßen der mannigfache, bis in die "primitiven Konzep-
ein Übergewicht über sie erlangt habe. Die historische und die psychologische tionen" zurückreichende Gehalt, die "Gnmdmotive" des metaphysischen Be-
Zergliederung unterstützen sich gegenseitig zur Auflösung des Ursprünglichen wußtseins, ·durch die wissenschaftliche Zergliederung nicht aufgelöst, sondern
in der metaphysischen Bewegung. Der Historiker, der auf denWirkungszu- vielmehr in ihrer dauernden, lehenswahren Bedeutung aufgeklärt werden, so
sammenhang zurückgeht, erkennt, daß die Systeme der Kultur "nicht abge- erhebt sich die Frage nach der Einhei~ dieses Manni~faltigen, auf die der
schnittene Formen, sondern Kraftgestaltungen sind, die ineinander über gehen". Ausdruck: metaphysisches "Bewußtsei~" hindeutet. Und die Beantwortung
Er kann sich nicht bei der platonischen Anschauung der Philosophie als einer dieser Frage ist entscheidend für die Hinwendung zu dem praktischen Beruf
"Gattung" begnügen, die "dem sterblichen Geschlecht als Geschenk von den der Philosophie: für die Möglichkeit, ihnen, die in der "Positivität des Men-
Göttern zuteil ward". Aber mit ihrer festen gattungsmäßigen Umgrenzung schen" beschlossen, als die vornehmliehe Grundlag~ alles ins Große gehen-
droht nun auch ihre dynamische Einheit und Selbständigkeit, die Dilthey doch den 'geschichtlichen Schaffens erkannt sind, diese ihre produktive Macht auch
festhalten will, ihm unter den Händen zu schwinden. Der "allgemeingültigen in der freien, der "souveränen" Gestaltung des Daseins abzugewinnen, zu der
Theorie des Wissen" steht die Weltanschauung als "Lebensform" gegenüber die Philosophie verhelfen will. Dilthey will, wie er in seiner Jugend he-
Unter diesem existentialen Aspekt erscheint die Metaphysik als eine Kraftge- kannte, "die geistige Welt nicht zu:.:n Analysieren, sondern· zum Lehen". Er
staltung unter anderen, die fließend ineinander übergehen, Religion und Dich- fand eine ~er Hauptschranken der antimetaphysischen Stellung, die zum Po-
tung, ja auch z. B. Verfassung~ Und das, was sie vor jenen anderen, mit ihr
zusammen auf Ausdrucksformen der Weltansicht reduzierten Gebilden aus- 1) Taine, Histoire de la Litteratw;e Anglaise, lntroduciion, 1 XXXVI.
304 Die Konstruktion des Fortgangs von den Weltansichten zur Metaphysik
Das Streben nach Festigung des Daseins und Befreiw1-g des Geistes 305
sitivismus gehört, - trotz der ihm gegenwärtigen politischen und sozialen "die das Lehensverständnis fördernden, zu brauchbaren Lehenszielen führenden W eltanschau-
Wirkungskraft desselben - darin, daß diese positive Philosophie ungen erhalten sich und verdrängen die geringeren. So findet eine Auslese statt zwischen ihnen".
"außerstande ist, Ideale zu begründen, die ein auf Umgestaltung der Gesellsch~ft gerichtetes Diese notwendige Entwicklung setzt sich kontinuierlich zur Philosophie hin
Zeitalter leiten könnten" (V, 361). fort.
Die Stellung als ganze ist im Sinne des deutschen Idealismus, der nicht ab. "Der ganze Vorgang der Entstehung und Festigung der Weltanschauungen drängt zu der Forde-
rung, sie zu allgemeingültigem Wissen zu erheben" (VIII, 94).
strakte Begriffe wie liberte, humanite, justice auf eine kümmerliche Wirklich-
Aus dieser Forderung der "Vernunft" erklärt er, indem er die Vernunft in den
keit pfropft, sondern im konkreten Dasein selber die geistigen Antriebe walten
Verstand hinüberspielen läßt, das Besondere der Metaphysik: daß in ihr die
sieht, die, mit dem Bewußtsein ihres Gehaltes erfüllt, ihrer Macht über das
der Weltanschauung als solcher eigene Struktur, die Gliederung in Weltbild,
Leben sicher werden. Aber jenes progmatisch-idealistische Motiv als ge-
W ertordnung, Lebensideal, nach dem Vorbild der Wissenschaft umgeformt
nügend zu erachten für eine Rechtfertigung der Metaphysik, das wäre
wird.
gänzlich gegen Diltheys philosophische Grundhaltung. So bleibt denn das
Das ursprüngliche Gefüge, "zu dem jedes Lebensverhältnis sich entwickelt" - "eine Situation,
Problem der Metaphysik bestehen, und wir werden auf seinen V ersuch einer eine Folge von Gefühlen und daraus hervortretend ein Verlangen, Streben, Handeln"- geht
genetischen Konstruktion derselben zurückgeführt. Die von uns bereits ver- durch Verlagerung auf die wissenschaftliche Ebene in einen systematischen Aufbau über, der
das Lebensideal auf der Erkenntnis des Weltzusammenhanges zu begründen sucht, als oh dieser
folgte Herleitung der Philosophie aus dem Aufklärungszuge des Lebens ein "objektiver", aus dem Lebensgefüge loslösbarer "Tatbestand" wäre.
durch die Wissenschaften hindurch erhält ihr Gegenstück in einer Kon-
So ist auch hier mit der genetischen Zergliederung der Metaphysik ihre sach-
struktion des Fortganges von der in dem kontemplativ-metaphysischen
liche Auflösung gegeben. Der philosophische Raum wird frei für die Ausbil-
Zuge gegründeten Weltansicht zur Metaphysik hin.
dung einer "aus Erleben, V erstehen, Poesie und Geschichte" sich e~:hebenden
1. Der Gesichtspunkt, unter dem er diesen Fortgang begreift, ist durch je-
Anschauung des Lebens, die "in und mit diesem immer da ist" und nun von
nes praktische Interesse, die Aufgabe der Lebensgestaltung, bestimmt. Wie
ihm aus, im Zu-Ende-Denken seiner Möglichkeiten "ins Bewußtsein erhoben"
die Weltanschauungen "miteinander um die Macht über die Seele ringen", werden kann.
macht sich "ein gesetzliches Verhältnis" geltend:
"Ehedem suchte man, von der Welt aus Leben zu verstehen. Es gibt aber nur den Weg von der
"die Seele, bedrängt von dem ruhelosen Wechsel der Eindrücke und der Schicksale und von der Deutung des Lehens zur Welt .... " (VII, 291).
Macht der äußeren Welt, muß nach innerer Festigkeit streben, um sich dem allen entgegenzu-
setzen: so wird sie vom Wechsel, von der Unbeständigkeit, dem Gleiten und Fließen ihrer Ver-
Und über das Wesentliche, den Weg, der sich nun öffnet, besteht kein Streit.
fassung, ihrer Lebensanschauungen fortgeführt zu dauernden Würdigungen des Lehens und fe- Aber ob dieser lebensphilosophische Weg sich der metaphysischen Bewegung
sten Zielen" (VIII, 30).
zu entäußern vermöge, ist die Frage. Sie ist schon durch die von uns verfolgte
Das ist nun wieder derselbe vitale Gesichtspunkt, unter dem der Hervorgang Konstruktion der "Metaphysik" nahe gelegt. Sie verschärft sich aber, wenn
der Wissenschaft begriffen wurde: daß "das Leben", um sich der Reflexion die Folgen dieser Entäußerung gesehen werden, von der wir zu zeigen suchten,
gegenüber zu behaupten, das "in ihm Gesetzte" zu gültigem Wissen erheben daß sie nur in Diltheys Reflexion über die Philosophie, aber nicht in seiner
muß. Und wie dort, so ergibt sich auch hier aus de~ "gesetzlichen Verhältnis" philosophischen Aktion gegründet ist: An ihren Folgen tritt das Problema-
das in der Vernünftigkeit des Menschen gründet, ein Fortgang von der Not- tische der Lösung zutage. Es betrifft die beiden für die Lebensmacht der Philo-
wendigkeit einer organischen Entwicklung, ja von pragmatischer Art: sophie maßgebenden Momente: die Festigung des Daseins und die Befreiung

· Mls eh, Lebensphilosophie. 2. Auf!. 20


306 Die Konstruktion des Fortgangs von den Weltansichten zur Metaphysik Die Zweideutigkeit der leitenden Begriffe von Festigung und Freiheit 307

des Geistes. Aufihr Verhältnis, auf das Fest· und Freiwerden zugleich, historische Bewußtsein gerade eine positive, befreiende Bedeutung bekommen,
kommt es an- so wie es bei der logischen Grundlegung, bei dem Zusammen· uns für eine neue Möglichkeit offen machen, die "Möglichkeit, daß Sinn und
hang der Lehenskategorien, auf die "Festigkeit und Offenheit" ankam (99). Bedeutung erst im Menschen und seiner Geschichte entstehen". Es gründet
Schließlich wird das Problematische in einer Ungeklärtheit des Begriffs zu sich darauf "die Hoffnung auf Erneuerung einer energischen Betätigung der
suchen sein, durch den Dilthey die Aktion der Philosophie und die von der eigentlichen Funktionen der Philosophie" (VII, 291. VIII, 183). Diese Zuver·
Menschheit in der Entwicklung der Weltanschauungen geleistete Arbeit mit sieht muß, um lehenswahr zu sein und nicht in einen flachen Optimismus zu
einander zur Deckung hr'achte: in dem Begriff der "Erhebung" des Lehens verfallen, sich mit dem Bewußtsein der Endlichkeit alles menschlichen Be-
"zum Bewußtsein". - mühens durchdringen. Aber dieses "tragische" Moment gehört nicht erst zu
2. Wie die Philosophie ihrem Wesen nach dazu bestimmt ist, dem "Bedürf- dem Denken, das in allseinen Formen "nach einer durch die Natur des Gegen·
nis nach einer letzten Festigung der Stellung des Menschen zur Welt" genug· standes bestimmten Festigkeit strebt", sondern zur menschlichen Lage über·
zutun (V, 415), so erscheint sie genetisch, aus der Entwicklung der W eltan· haupt, die klar zu sehen und bei der Grundlegung in Rechnung zu ziehen, die
schauungen begriffen, als das natürliche Ziel dieser Entwicklung, in der "der .,. Kraft der Lehensphilosophie ausmacht.
Zug nach Festigung" über Religion und Dichtung "hinausführt''. Aber der Zwiespalt reicht tiefer: der leitende Begriff der Festigung und mit
"Indem das Streben nach Festigkeit, das in uns beständig mit der Zufälligkeit unseres Daseins ihm zusammen notwendig auch der der Freiheit ist zwiefach orientiert,
ringt, in den religiösen und dichterischen Formen der Weltanschauung keine dauernde Befrie-
digung findet, entsteht der V ersuch, die Weltanschauung zu allgemeingültigem Wissen zu er- an dein modernen "wissenschaftlichen Bewußtsein" und an dem
heben" (VII, 169, VIII, 24). ewigen "metaphysischen". Eine Zwiespältigkeit, in der sich die ganze
In der Metaphysik liegt also nicht etwa bloß eine ein~alige, "unheilvolle" Härte der geschichtlichen Situation ausspricht, die für die Philosophie durch
Verhindung heterogener Gedankenmassen vor, sondern ein innerlich notwen- die V erselhständigung der Erfahrungswissenschaften entstanden ist.
diger Versuch, - der aber ebenso vergehlich wie lehensnotwendig ist. Wir Da wo das Festwerden, von den metaphysischen Bezügen gelöst, der "all·
finden uns auf die Kant'sche Vorstellung des Dramas der Vernunft in der Me- gemeingültigen'' Wissenschaft gedankt wird, die der Selbstbehauptung und
taphysik, der Tragödie der menschlichen Endlichkeit und Beschränktheit zu- Sicherung des Daseins, sei es gegen die dunklen Gewalten, sei es gegen
rückgeworfen, daß wir einem unerreichbaren Ziel nachgehen müssen - und Reflexion und Zweifel dient (von der "positivistischen Allgemeingültigkeit"
sollten doch über diese Vorstellung schon hinaus sein, da das Ideal selbst, auf spricht Dilthey selber gelegentlich), da erscheint es als eine Verfestigung,
dem sie beruht, wie Kant es mit der Lehre von den "Ideen" der Vernunft he- die beschränkt, - i n dem Sinne, wie in der "Welt der natürlichen Ein·
gründete,· seine V erhindlichkeit verloren hat. Dilthey erklärt: stellung" die Sicherheit des Daseins an die Beschränkung gebunden ist, nur
"Aus dem Lebenszusammenhang selber entspringt das Bedürfnis, das Denken desselben zum Zu- nicht mehr in der naiven Weise des Wurzeins in der bodenständigen Welt·
sammenhang der Welt, ja alles Wirklichen zu erweitern. Dann würde in dieser umfassenden Er-
kenntnis des Wirklichen die des Lebens enthalten und als ihr Teil mitgegeben sein. Dies erweist
ansicht, sondern als reflektierte Bindung, die durch Sich-unterwerfen unter
sich nun als nnmöglich. So enthält die Arbeit des Denkens einen Widerspruch in sich, also etwas die erkannten Notwendigkeiten der Sachen hergestellt wird.
Tragisches. Die kritische Philosophie hat das zuerst erkannt" (VIII, 182, 198). Oder ist es anders zu verstehen, wenn Dilthey abschließend - in einer Skizze über "geschicht-
Und doch sollte die kritische Einsicht, daß die alte metaphysische Richtung, liche Entwicklung" (VII, 346) - erklärt:
Während die Freiheit der Subjektivität und ihre individuelle Gestaltung im Verlauf der Ge-
"von der Welt aus Lehen zu erfassen", ein ungangbarer Weg ist, durch das
:·chichte zunimmt, wächst zugleich in ihr die Gründlichkeit in der Fundierung des Wissens, wie

20*
·.\1_,

308 Die Konstruktion des Fortgangs von den Weltansichten zur Metaphysik Di-e Z~eideutigkeit der .leitenden Begriffe von Festigung und Fr~iheit .309
·.. V
die Philos9phie sie vollzieht, und hierdurch steigert sich die Sicherheit beständig, mit welcher die Selbstbefreiung des Menschen durch das Wissen zugleich die menschen-
der Mensch in philosophischer Selbstbe~innung sich orientiert. Der Zug des Menschen, der von
mögliche Fe~tigkeit bedeutet, daß er in dem Leben über ihm zu stehen
lau-.;er Unsicherheiten umgeben ist, in sich· selbst Festigkeit zu erlangen, wird irotz der wachsen•
den Freiheit des Subjekts doch zugleich immer stärker befriedigt .. Inmitten der wechselnden vermag.
JalJ.reszeiten und des wechselnden Wetters um uns suchen wir feste Mauem, die uns schützen, Aus der ·Problematik, die durch die historische Reflexion in das Lehen ge~
wenn sie uns auch beschränken. Und die zunehmende Begründung, welche die Philosophie. der
Selbstbesinnung gibt, ist eine unaufhaltsame, in der Natur unseres Wesens selbst auftretende kommen ist, fand sich Dilthey heraus durch die Vertiefung in die "Kontinuität
Tendenz des menschlichen. Geschlechts". der schaffenden Kraft"; sie "macht sich der Relativität gegenüber als die kern-
So als beschränkende Sicherung des Daseins ins Zeitliche hinein verstanden, hafte historische Tatsache geltend" • Für sein eigenstes Lehensprohlem,
ist die FestigU:ng zwar auf das philosophische Ideal der Autonomie bezogen, d~n "Widerspruch zwischen den schaffenden Geistern und dem geschichtlichen
sofern diese al~ "ein weltfreudiges, in der Kraft des Gedankens selbständiges Dasein und Bewußtsein yon der Relativität" - diesem "tiefsten, wahrhaft tragischen
Wirken" bestimmt ist (VIII, 180),
Punkt in der Lehensarbeit des Individuums, das Ewige zu besitzen" - fand
aber einer solchen freien Tätigkeit steht dann gegenüber eine Freiheit, zu
er von hier aus die Lösung:
der die Philosophie rein durch die Kontemplation verhilft.
Das kontemplative Totalverhalten, das sich von der Lebensbesinnung her über die religiöse Welt-
anschauung hinaus zur Philosophie hin erstreckte, erhält eine Rolle zurück, in der .die Philo-
.. -
8 A;n Schaffen muß sich wissen als .ein Glied in dem historischen Zusammenhang, in welchem er
mit Bewußtsein ein Bedingtes erwirkt".
'

sophie nun nicht mehr als Rivalin der Religion, sondern im Bunde mit ihr und der Dichtung Das ist wohl die große Resignation, mit der Goethe im Faust bder Euripides
auftritt: den Menschen "von der Beschränktheit zu erlösen", in die er durch die "Einspannung
des Willens in begrenzte Zwecke" versetzt ist, - eine Erlösung je des Einzelnen für sich in im Herakles. endete und für die offen zu sei!l, auch ein. Freigewordensein he·.
der Einsamkeit des Geistes: "über alle geschichtlichen Relationen hinaus zu dem zeitlosen deutet. Aber es ist doch noch mehr, dank der geschichtlichen Besonnenheit:
Umgang mit dem, was immer und überall Leben erwirkt" (V, 377). So erhält das Pathos der
denn sie macht den denkenden Menschen nicht bloß· frei zur Beschränkung,
Diesseitigkeii · - das bei ihm nicht eigentlich philosophische Lebensstimmung ist,· sondern. aus
der wissenschaftlichen Atmosphäre der Philosophie kommt - seine Ergänzung in einem sondern verleiht ihm die Kraft, seine "Tätigkeit über die Grenzen des Momen-
stimmungsmäßigen "Gemütsverhalten" zur Welt, wo dann schließlich auch die Religion eine tes und des Ortes zu erheben". -
Stelle haben kann: die Religion oder vielmehr die Geistesverfassungder eigenartigen "ganz un-
künstlerischen" religiösen Naturen, die das. menschliche Leben in der ganz.en Hätte seiner Aber es will uns nun scheinen, daß wir den letzten Schwankungen, die wir,
Zweideutigkeit durchleiden: um· die Grenze zu fixieren, unterstreichen mußten, auch rein gedanklich bei-
"Das Entscheidende ist immer, daß es im religiösen Genie kein Ausweichen in die Flachneit des
kommen können und müssen, um abschließend zu zeigen, daß das Proble-
Dahinlebens, in das alltägliche Vergessen des Erinnerten und Zukünftigen gibt lind in die Flucht I;.
·der Phantasie. Und kein Genügen in weltlicher Kraftbetätigung, welche doch auch ein Vergessen matisch~ nicht in der Grundstellung selber liegt. Es handelt sich um die
des Todes und d.es Heils der Seele einschließt" (VII, 266). Verwendung des Begriffs: "Bewußtsein", der bei ihm wie bei Husserl, seiner
Das ist aber nicht der Sinn, in dem das historische Bewußtsein "der letzte Rolle in der neuzeitlichen Philosophie entsprechend, maßgf;lhend ist.
Schritt ~ur Befreiung des Menschen" sein will. Auch hier wird durch die -
reflexionsmäßige - Ausscheidung der metaphysischen Bewegung aus .der IV. Historisches, metaphysisches, wissenschaftliches, logisches usw. "Be·
Mitte der Philosophie deren eigene, als philosophischer ,,Charakter" bezeich- wußtsein", "Bewußtseinsstellungen": diese für Dilthey charakteristische, aber
nete Form zerstört, in der, im Gegensatz zur Unendlichkeitsmystik, der zunächst behelfsmäßig anmutende Verwendung. des erkenntnistheoretischen
negative Sinn der Freiheit - frei von ...• - mit ihrem positiven Sinn ~ Grundbegriffs zeigt an, worauf es· hier. ankommt: dem· wissenschaftlichen ter-
.r
frei zur Realisierung der Einheit des geistigen Lehens - verbunden ist und minus gegenüber das. volle Phänomen zur Geltung zu bringen, für das das Wort
310 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie Der erkenntnistheoretische und der existenzielle Begriff des 'Bewußtseins' 311

ein hermeneutischer Ausdruck ist oder geworden ist. Das liegt prinzipiell in .Besonnenheit bezogenen, ja aus der theoretischen Wendung erst hervorgehen-
der logischen Richtung der Lebensphilosophie. Der Begriff, der als ein ge- den ·Begriff bestehen bleibt. Hier zeigt sich, was den sachlichen Sinn unseres
schichtliches Produkt einen mannigfachen Bedeutungsgehalt birgt, soll in sei· ganzen Themas anlangt, besonders deutlich, wie das Totalitätsdenken des Le-
nen ursprünglichen Zusammenhang zurückgenommen werden, und so bedient bensphilosophen der phänomenologischen Methode bedurfte, die er als ein
sich Dilthey, der verbalen Grundbedeutung des Ausdrucks: "hewU.ßt" fol- Geschenk begrüßt hat.
gend, der verschiedenen, passivischen und aktivischen Wendungen, deren die- 1. Wir fragten nach der Einheit der Philosophie, .an der Dilthey selber doch
ser Ausdruck in seiner Verhindung mit Hilfswörtern fähig ist: bewußt-sein, festhält, trotzjener Scheidung der "zwei Gedankenmassen", der "kritischen"
-werden, -haben, ·machen, zum Bewußtsein kommen, mit Bewußtsein tun, und weltanschaulich-metaphysischen, und der entsprechenden Scheidung zwi-
ins Be~ßtsein erheben; diese Wendungen wiederum wechseln ah mit den Be- schen der allgemeingültigen Theorie des Wissens als der Grundlage und der
griffen: "Besinnung" und "Besonnenheit", mit denen der Rückgang. hinter "Weltanschauungslehre" als dem Abschluß des "Systems". Die Antwort gibt
den theoretischen Einsatz bei einem "Wissenwollen" auf das pur phronimon, die verschiedentlich abgewandelte Formel: das Lehen zum Bewußtsein erhe-
das "Fortgezogenwerden" und "Fortrücken" angezeigt ist. Wie er das "Grund- ben - zu "klarem, wohlhegründetem", in ein "gesteigertes, zusammenhän·
verhältnis", das Gestaltung ermöglicht, dahin angab : "daß vita motus per- gendes, reflektierendes Bewußtsein", es "bewußt machen", Besonnenheit.
petuus, Impuls, Streben, Ablauf, und doch zugleich als dieses Durchlaufen, Die Philosophie, als ein Wirkungszusammenhang aufgefaßt, "stellt sich zunächst als eine Mannig·
u. zw. mit Bewußtsein, ist es zugleich bewußter Besitz und Streben nach Festig- faltigkeit von Leistungen dar: Erhebung der Weltanschauungen zur Allgemeingültigkeit, Be-
sinnung des Wissens über sich selbst, Beziehung unseres zwecktätigen Tuns und praktischen Wis-
keit, das aus dem Verlauf hervorgeht". Wir werden nicht verkennen, daß sich sens auf den Zusammenhang der Erkenntnis, Geist der Kritik, der in der ganzen Kultur gegen-
in diesem Sprachgehrauch ein produktiver Vorstoß vollzieht, sofern dadurch wärtig ist, Zusammenfassen und Begründen. Doch die historische Forschung erweist, daß wir "s
hier überall mit Funktionen zu tun haben, die unter geschichtlichen Bedingungen auftreten, die
die schulmäßige, erkenntnistheoretische oder psychologische Verdünnung des aber letztlich in einer einheitlichen Leistung gegründet sind. Sie ist universale Besinnung, die zu
Begriffs überwunden wird und seine ursprüngliche, total-dialektische Bedeu- höchsten Generalisationen und letzten Begründungen beständig fortschreitet. Souach ist die
Struktur der Philosophie in dem Verhältnis dieses ihres Grundzuges zu den einzelnen Funktionen
tung in Sicht kommt, die das Insichgehen und das Sich-und-die-Weh-Besitzen,
nach Maßgabe der Zeitbedingungen gelegen" (VII, 169 u. a.).
die Klarheit des Auges und das Gewissen (das Wort im weiten Sinne genom-
Ebenso einheitlich - in hezug auf die Weltanschauungen wie auf die Wissen·
men, in dem Goethe sagt: "Es hat niemand Gewissen, als der Betrach·
schaften, von denen er erklärt, daß sie "an das mannigfache Tun des Menschen
tende"), die immanente Auflichtung und die Ahsichtlichkeit umschließt. Aber
sich anschließen" --' ist das "Grundverhältnis zwischen Lehen und Wissen":
diese hermeneutische Aktion gelangt nun nicht dazu, sich selber logisch zu ver·
"in der Steigerung der Bewußtheit, in der Erhebung unseres Tuns zu gültigem, wohlbegründeten
stehen. Jene verschiedenen Bedeutungswendungen werden,· ~e sie in der ·le-
Wissen liegt eine wesentliche Bedingung für die feste Gestalt unseres Innem". So ist die Philo·
bendigen Rede ineinanderspielen, auch in diesem Wechselspiel belassen; so sophie "das Mittel eines weltfreudigen, in der Kraft des Gedankens selbständigen Daseins und
Wirkens" (V, 374. VIII, 180). .
bleibt ihr V erhäl~nis zueinander ungeklärt, und ein kontinuierlicher Übergang
kann da eintreten, wo uns gerade im Hinblick auf die Aufgabe, die Möglichkeit Und schließlich: wenn die Weltanschauungen daraufhin als metaphysische Ge-
und Notwendigkeit der Philosophie vom Leben her zu begreifen, der Unter· bilde gekennzeichnet wurden, daß in ihnen das Lehen in seiner Totalität zum
schied wesentlich wird, der doch zwischen dem vieldeutigen, je nach den Be- Bewußtsein von sich selber kommt: ist das nicht wiederum derselbe Gesichts·
zügen wandelbaren Lehensausdruck: "bewußt" und dem auf die philosophische punkt, der für das "Bewußtsein über jedes Bewußtsein" in derphilosophischen
------~---------------- ...........
312 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie
Die notwendigen Scheidu~gen: Bewußtwerden und Bewußtmachen 313
Theorie des Wissens leitend ist, wie Dilthey in der "Einleitung in die Geistes- sind als ein Bewußtseinssystem, das nach Gesetzen Erfahrungen formt und das Lehen nach ihnen
wissenschaften" die Aufgabe formulierte: "den ganzen Menschen ..... auch einrichtet" (VIII, 215). .

der Erklärung der Erkenntnis und ihrer Begriffe zugrunde zu legen"? Für das andere, die Zweifelsreflexion, die das,. was "im Lehen gesetzt" ist -
Aber diese einheitliche Bestimmung ist nun in sich zwiespältig. Sie will jene und eben durch die "Lebenserfahrung" gesetzt ist, in Sitte, Regel des Rechts
beiden Gedankenmassen, deren. "alte unheilvolle Verbindung'' durch Kants oder Glaubens (VIII, 80) - der Kritik unterwirft, dürfte der Begriff des "Be-
Kritik aufgelöst ist, umfassen, und Dilthey ist sich klar darüber, daß die nach- wußtmachens" am Platz sein. Beides, das Bewußtwerden und Bewußtma·
kantische Situation dadurch gekennzeichnet ist, daß "das Dunkel nunmehr eben, ist in der philosophischen Besinnung eingeschlossen und muß in ihr ein·
auf dem Verhältnis" zwischen ihnen "lagerte" (VIII, 215). Aber sie umfaßt geschlossen sein, wenn anders sie keine bloße intellektuelle Angelegenheit, son·
sie nur von oben her; denn der Zusammenhang, aus dem die "Leistung" der dern zugleich eine innere Auseinandersetzung, Erleben-V erstehen und denke-
Philosophie genetisch begriffen wird, ist, wie wir darzulegen suchten, seiner risches "Machen" zugleich ist (96). Auch für die "Weltanschauungslehre" gilt
Grundkonzeption der "Bedeutung" zuwider, vom letzten Glied aus gebildet, das; denn sie ist nicht eigentlich Lehre, sondern "Auseinandersetzung mit den
nämlich von der ausgebildeten, nach Wissenschaftstheorie und Weltanschau- Weltanschauungen", und dabei wiederum ist die philosophische Absicht, der
ungslehre gegliederten Systematik aus, und die Steigerungsreihe der "Bewußt; ~ie Typenlehre dienen soll, "das Tiefersehen vom Lehen aus". Aber in jenem

heit", als deren letztes Glied die philosophische "Besonnenheit" erscheint, "Zugleich" liegt nun das ganze Problem der philosophischen Bewegung des·
trägt in ihrer Wurzel den zwiefachen Ansatz: bei jenem rückwendigen Insich- Wissens, der realisierenden Vergegenwärtigung. Und dies Problem kann nicht
gehen, das die Weltbildung und Weltansicht ermöglicht, und bei dem "Stand- ergriffen werden, solange der Gegensatz zwischen heidem, dem Bewußtwerden
punkt der Reflexion und des Zweifels", von dem es heißt, daß "durch ihn das und ·machen, nicht als der Gegensatz genommen wird, an dem die Bewegung
Bewußtsein zu gültigem Wissen zu gelangen strebt" (VII, 6). sich erzeugt, sondern zwischen beidem ein Übergang angesetzt wird, der wie
von selbst vom einen zum ande'rn hinführt, wie das der kontinuierlichen Her-
Für die gedankliche Bewegung in jenem unreflektierten Totalverhalten, des-
leitung der Philosophie entspricht. Wie leicht der Übergang vonstatten geht,
sen immanente Aufklärung und Artikulation durch die "Lebenserfahrung", das
zeigt die grundsätzliche Erklärung, die wir schon einmal anführten, in der wir
in ,sprich~örtlichen' (Aussage und Heischung umschließenden) Ausdrücken sich
jetzt aber die maßgehenden Begriffe unterstreichen:
objektivierende Lehensverständnis, die von einem großen Eindruck ausstrah-
"Das Denken kann nur die Energie des Bewußtwerdens steigern in hezug auf die Realitäten
lenden "Stimmungen" bestimmt wird, möchten wir den Begriff des "Bewußt- des Lehens ..... Und Philosophie ist nur diehöchste Energie, bewußt zu machen als Bewußt-
werdens" reklamieren, ohne ihn aber auf den Fortgang von dem "Weltant· sein über jedes Bewußtsein und Wissen von allem Wissen".

litz" zum "Welträtsel" und der dieses "lösenden" Weltanschauung zu he- Ermöglicht wird ein solcher Übergang von dem lehensphilosophischen Prinzip
schränken; denn er trifft auch die gedankenbildende Arbeit des werktätigen her·durch die früher-dargelegte systematische Einordnung des "Denkens",das
Wissens, die innerhalb der Weltanschauung, an sie gebunden, vorwärtsgeht. den "Fortgang des Geistes zum Festen und Notwendigen vollzieht", in den
Strukturzusammenhang des Lehens, der "Bedeutung setzt". Daraufhin kann
So führt auch Dilthey, um den "unahleitharen Grundzug in uns" zu kennzeichnen, aus dem die
Weltansicht und das Lehensideal ineins hervorgehen, nebeneinander auf: "unser Streben, uns erklärt werden:
denkend in der Welt einzurichten, unser Lehen ins Bewußtsein zu erheben" (VIII, 17). Aber er "die Stufen des Bewußtseins sind gleichsam die Technik der Struktur, durch verschiedene Ge-
erklärt dann inhezug auf das "metaphysische Bedürfnis": es "gründet sich darauf, daß wir mehr bilde hindurch zur Herrschaft des Geistes über sich und die Welt zu gelangen" (VII, 331, 324).
314 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie
Die notwendigen Scheidungen: Weltansicht und Welterkenntnis 315
Aber diese Einverleibung des Denkens ist, wie von Beginn .an betont wurde Iungen ~nd Ideale bestimmten die Seelenverfassung jedes Individuums. So sind nun die Volks-
(24), nur der Anfang des lebensphilosophischen Weges und nicht zugleich das gemeinschaften von einem Gesamtwillen erfüllt ..... : man könnte sie mächtigen Organismen
· vergleichen, die aus einem dunkeln, doch einheitlichen Willen heraus handeln" (VII, 345).
Ende, wenn anders aufdiesem Wege die Philosophie erreit~ht werden soJl, ja
wir uns schon beim Begehen desselben in der Philosophie befinden. Von hier aus müßte sich, will uns scheinen, zunächst einmal eine Kluft auf-
2. Um jenen uns problematischen Übergang handelt es sich nun aber auch tun zwischen Weltanschauung und Metaphysik. Religion und Mythos, alich
bei dem Verhältnis von Metaphysik und Weltanschauung, wenn das, was als die Kunst mögen als Schöpfungen des Gemeingeistes entstehen, aber die Phi- , ,
die Aufgabe der Philosophie ergriffen werden soll, und das, was von der Menschr losophie ? So gewiß sie aus dem mütterlichen Boden der Volksgemeinschaft
heit in. der Entwicklung der Welt~nschauungen geleistet worden ist, gleicher- "Nahrung und Blut empfängt": sie ist doch, auch wenn man sie als eine "Le-
maßen als die. "Erhebung des Lebens zum Bewußtsein" bezeichnet wurde. bensform" versteht, die Form des Lebens in der Erkenntnis und also nicht
Durch diese gleiche Bezeichnung wird Verschiedenes betroffen. Geht man mit ohne Selbständigkeit der Person möglich. Dilthey füllt die Kluft auf dem an-
Dilthey vo.n der Weltbildung und Weltansicht als einem gesamimenschlichen gegebenen psychologischen Wege aus. Die zur Lebenstechnik gehörige Ord-
Phänomen aus, so kann man wohl sagen, daß in ihr das Leben (einer Gemein- nung von "Stufen des Bewußtseins", auf denen "die Herrschaft des Geistes
schaft oder eines Einzelnen) ZU}ll "Bewußtsein" von sich selber kommt, aber über sich und die Welt" erzielt whd, soll in allen V erhaltungsweisen gleich-
das Wort hat dann einen existentiellen Sinn, wo mäßig mit teleologischer Notwendigkeit in den Setzungen eines Unbedingten
"das, dessen man sich bewußt ist, etwas isi, worüber man sich insofern klar ist, als man sich
daraufhin ausrichtet" (Lipps).
gipfeln, um deren Begründung es dann der Metaphysik zu tun ist (VIII, 83).
Hier stellt sich das ein, was Dilthey in bezug auf die großen Denker (für die Aber was gegen die existenziale Herleitung der Richtung auf Allgemeingültig-
es auch gilt) ausgesprochen hat (VIII, 91): keit in der Erkenntnis geltend gemacht wurde, gilt vollends für die Setzung
"Jede echte Weltanschauung ist eine Intuition, die aus dem Darinnensein im Lehen selbst ent-. eines unbedingten Wertes oder höchsten Gutes. Wohl gipfelt jede Rangord-
steht . . . Dieses Darinnensein im Lehen vollzieht sich in den Stellungnahmen zu ihm, in den nung der Werte naturgemäß in einem höchsten Wert, oder vielmehr gipfelt
Lehensbezügen .... So schließen sich solchen Stellungnahmen gewisse Seiten der Welt auf".
Dies Darinnensein führt eiri Aus-sich-heraus-stellen in Ausdruck oder Tat mit
~ich, schließt aber nicht das Darüberstehen ein, wenn anders die Bedenken zu
.. nicht in ihm, sondern stuft sich von ihm aus, von oben nach unten also, ab,
aber diese V erabsolutierung desjeweils höchsten Wertes ist von derselben Art
wie der für die natürliche Einstellung charakteristische Zug, daß (wie Scheler
Recht bestehen, die wir gegen Heideggers Konstruktion der Weltbildung aus
formuliert hat) die jeweilige Umwelt als die Welt schlechthin angesehen wird.
der "Transzendenz" des. Daseins geltend machten. In diesem elementaren
Sie erscheint als eine Verabsolutierung überhaupt erst nachträglich unter einem
Sinne wird die Weltanschauung mit Recht als eine "Lebensform" bezeichnet
philosophischen Aspekt - so wie es von der entwickelten Philosophie aus ge-
und mit der (politischen) "Verfassung" zusammengestellt.
. sehen ist, wenn Dilthey die von ihm erkannte dreigUedrige Struktur der Welt-
In diesem Sinne, in dem das Bewußthaben im Gegensatz zum Bewußtmachen (Reflexion) steht,
beschreibt auch Dilthey das elementare Phänomen, wo er in seinen historischen Studien darauf
anschauungen des näheren durch die ,Aufschichtung' auf der Wirklichkeits-
stößt, z. B. für die altgermanische W eltansicht"( er nennt es nicht so, sondern spricht von "Lebens- erkenntnis bestimmt. In sich selbst ist sie vielmehr ein Pmschränktsein von
verfassung", aber das von ihm angegebene Merkmal der Weltanschauung," die dreigliedrige dem Werthorizont, der, weil er abschließt, ein "Suchen nach einem unbeding-
Struktur, tritt in der Beschreibung selbst hervor): "Keine Besinnung über das Lehen und s.ein·e
. Ziele führte den Einzelnen über das durch Gewöhnung, Sitte und. Gemeingeist Geregelte hinaus. ten Maßstab" gerade:ausschließt. Auch hier ist entscheidend das Darinnensein
Der Einzelne ging in seiner Volksgemeinschaft auf . . . . Ihre Gewohnheit, Sitte, Lebensvors tel- in der gemeinschaftlichen Welt, das zu dem elementaren weltanschaulichen
316 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie
Die notwendigen Scheidungen: Kontemplation und Reflexion 317
"Bewußtsein" unserer Lage in ihr gehört. Und wir vermögen nicht abzusehen,
einander steht in Frage und die Eröffnung des Ra~mes für ihre produktive
wie durch einen immanenten Fortgang der Lehensaufk.lärung, die sich inner-. Verbindung.
halb des festliegenden Horizontes punktuell und werktätig, im Augenblick er-
Was die Kontemplation anlangt, so ist die Möglichkeit ZU ihr gewiß in
schütterungsfähig und nach Agentien spähend bewegt, diese existentielle
der rückwendigen Besinnlichkeit gegründet, auf deren Herausstellung wir ·bei
Form des Bewußtseins überschritten werden könne, solange in den tiefsten
der Analyse der Bedeutung des Lehens allen Fleiß verwandten; ohne diesen
Bezügen von Mensch und Welt die Beruhigung herrscht, die die W eltanschau~
"unahleitharen Grundzug" des Bewußtwerdens wäre unerfindlich, wie der
ung gibt, weil in ihr die Frage nach dem Zusammenhang der Dinge schon he-
Mensch sich aus dem Drang des handelnden Lehens zu lösen vermöchte, derart,
antwortet ist, noch ehe sie als Frage gestellt ist. Wie früher formuliert wurde:
daß die Lehensverhältnisse in ihrer Bedeutsamkeit erfahren und ihr Zusam·
Stände dieses Gerüst der Lehensbezüge unverrückbar fest als das wahrhaft Elementare unserer menhang mit dem Ganzen unserer Existenz durchgefühlt und verdichtet wird.
Existenz, so wäre nicht abzusehen, wie der Mensch es vermöchte, den ihn umfriedenden Horizont
zu durchbrechen und sich aus den Bindungen zu lösen, auf eigenen Grund sich.stellend, autonom.
Und wir werden die Diltheysche Grundintention nicht aufgehen, die auf die
.Wie die denkenden, handelnden Energien sich aus ihrer vorwärtsdrängenden Richtung zürück- Einheit dringt, die hinter den mit einander kämpfenden Mächten der Philoso-
zuwenden vermöchten in die dunkelsinnende Tiefe in uns zu rastloser innerer Bewegung, derge- phie und Religion steht. Ehensowenig die damit verbundene Einsicht, daß
stalt, daß der Mensch - und der europäische Mensch zumal - nicht ausruht auf einer Stufe,
auf der sich's geistig Iehen läßt, sondern jede festgewordene Form des. Daseins einmal verlebt das betrachtende V erhalten, das die-Augen-Aufschlagen kein. Charisma von
und ihren Zauber abschüttelt. Wie auch immer die Besinnung, die in unserm Tun angelegt ist, Auserwählten, sondern eine gesamtmenschliche Möglichkeit ist, auf die hin
einträte, sie würde doch nie aufs Ganze gehen, sondern nur innerhalb eines festliegenden Ganzen
vom Einzelnen zum Einzelnen schreiten. Geistiges Schaffen wäre dann nur ein Objektivieren und
der Dichter als der wahre Mensch bezeichnet w~rden darf. Aber wie Dilthey
Offenbarmachen unseres höchsten menschlichen Trachtens, nur Ausdruck einer geprägten von hier aus den Fortgang zur Philosophie erklärt, tritt uns dasselbe Prinzip
Form, die lebend sich entwickelt, nicht Erkenntnis, die befreit. Kein Zugang würde sich öff-
der "Stufen des Bewußtseins" entgegen wie heim intellektuellen Verhalten.
nen zu dem radikalen Fragen, mit dem die Philosophie beginnt (Fibel 12, 109).
Der Fortgang wird vermittelt durch den Begriff der "Lebenserfahrung", der als die "wachsende
3. So suchen wir bei Dilthey Auskunft darüber, wie es zu begreifen sei, daß.
Besinnung und ReflexioU: über das Lehen" bestimmt ist. Sie "muß sich steigern zu einer metho-
in diese weltanschauliche Einheit der "metaphysischen", gemeinschaftlich tra- dischen Besinnung, welche den subjektiven Charakter der Wertbestimmungen zu überwinden
genden Bezüge unserer Existenz die freie Bewegung kommt, durch die der strebt. So geht sie in Philosophie über" (V, 409). Dem entsprechend läuft die Einsicht, daß die
Metaphysik ebenso wie Religion und Dichtung "sich in dem inn,eren Zusammenhang von Lehen,
Einzelne zu der Welt, in der er lebt, Distanz gewinnt, so daß er nicht bloß von Lehenserfahrung 1lnd Weltanschauung entwickelt", wiederum auf die Stufenordnung hinaus,
ihrem "Antlitz" ergriffen wird und auf diesen Eindruck mit Stimmungen und die von den "religiösen und dichterischen Formen der Weltanschauung" hinaufleitet zu dem
"Versuch, die Weltanschauung zu allgemeingültigem Wissen zu erheben" (VII, 169). Den Le-
Gebilden antwortet, sondern sie als Ganzes zu erblicken und sich selber samt
benserfahrungen als solchen aber, die wir an uns und als Zuschauer des Mfektgetriehes machen,
dem Weltganzen objektiv anzusehen vermag. Er setzt hier, wo wir eine ein- wird der Erfolg zugesprochen: "Alles wirkt zusammen, damit der Mensch freier werde .... ".
zige, gegen Lehen und Welt gekehrte Wendung zu finden glauben, zweierlei·· Da 'kommen wir nicht über den Unterschied hinweg, der uns hier, bei der Le·
ein, das sich ihm, wie wir sahen, je für sich aus der immanenten stufenmä- hens- und Menschenkenntnis, ebenso wie gegenüber der mannigfaltigen Kunst
ßigen Entwicklung des Lehensbewußtseins ergibt: die Kontemplat~on, die als und Kunde des werktätigen Wissens im Sinne liegt: ob ich das Zuschauen
eine dem Philosophen mit dem Künstler und Religiö<:len gemeinsame "Gemüts- mitten im Lehensverkehr betätige, die Dinge hin- und herwendend, deren Na-
verfassung" bestimmt ist, und die Reflexion, die zum Zweifel führt. Aber bei- men ich kenne, und aus dem Ablauf der Leidenschaften Lehren ziehend, so daß
des für sich genommen, langt nicht bis zur ~hilosophie hin: ihr Verhältnis zu- ich für ein andermal klug werde, oder ob die Distanzhaltung in die Grundstel-
318 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie Ungenüge der Stufenform: Die l.trsprünglich-eingreifende philos. Bewegung 319
;=I
lung des Wissens aufgenommen wird, so daß Name und Gestalt wesenlos wer· Die Weisheit der Upanischaden, die er so hoch einschätzt wie Schoperihauer, ordnet er unter die
Religion ein - aber dann muß man auch konsequent sein und darf auch Heraklit nicht mehr zu
den können und die Verpflichtung zu der Objektivität entspringt, auf die der
den eige.ntlichen Philosophen zählen, wenn Jaiijavalkya nicht zu ihnen gehört.
Philosoph aus ist, "jegliches auseinanderlegend nach seinem Wesen und sagend,
So bliebe für die "Metaphysik" als .das ihr Eigene nur der "bloße Wille des
was es sei" (Heraklit). Das ist dann keine Stufe mehr in dem Steigerungsvor~
Erkennens" übrig. Doch damit ist das "metaphysische Bewußtsein" nicht
gang des Bewußtwerdens, die sich aus dem "praktischen Wert des philosophi·
schen Verhaltens" erklärte (VIII, 31) : erschöpft.
j ~
"je mehr wir" uns betrachtend an die ObjektiVität hingeben, desto leichter überwinden wir die Schon die "formalen" (logi11chen) Züge der Philosophie, die in der einheitlichen Funktion des Be- I)
in unserer partikularen Lage enthaltenen Hemmungen, desto breiter wird unser Lebensgefühl", wußtmachims gründen, offenbaren einen .,geheimen Bezug zu der innersten Richtung auf Festi-
gung und Gestaltung der Persönlichkeit, auf Durchsetzen der Souveränität des Geistes" (V, 366).
sondern ein Wendepunkt: an ihm suchen wir die in dem Begriff der conscientia
enthaltene Verhindung von Sichwissen und Gewissen, von Klarheit des Auges Und in der persönlichen Auseinandersetzung mit der "transzendenten Lehens-
und Wille zum Durchhalten in der gefährlichen Freiheit der Erkenntnis, durch verfassung" des Religiösen, die ihm in seinem Freunde Yorck so machtvoll
die der Mensch sich ethisch in Besitz nimmt, auch wenn er auf keinen festen und geschlossen entgegentrat, versicherte er sich der Kraft seiner "historischen
Grund hauen kann. Nur so vermögen wir es zu verstehen, daß die Philosophie Weltanschauung" und bekannte: "Da aber er~oh sich in mir mein Wille,
zu einer "verantwortlichen Besinnung über das Lehen" wird,· wie Dilthey auch nicht in die Seligkeit durch einen Glauben kommen zu wollen, der vor
selber sagt. dem Denken nicht standhielte". -
Er sagt das in hezug auf sie und die Religion zugleich: sie stehen in diesem Zu demselben Resultat kommen wir von dem andern Motiv aus, das. auf Stu·
"furchtbaren Ernst'' zusammen und der Dichtung gegenüber (V, 378). Für fenderBewußtheit vom Lehen her zur Philosophie führen sollte: der Refle·
die religiöse "Weltanschauung", in deren Entwicklung er die entscheidende xion und dem Zweifel. Es konkurriert schon von sich aus, nach den he·
We:Q.dung aufsuchte, hat er denn auch die Zusammenge:hörigkeit von Lehens· kannten Selbstaussagen der Denker, die die Wahrheit der. Philosophie in die
gestaltung und Kontemplation, Erschauen des Ganzen und Auswirkung in Wissenschaftlichkeit setzten, mit anderen, umfasssenderen Motiven: dem
Staunen und dem Wissenwollen. Doch scheint es zunächst, als wollten sie sich
die konkrete Existenz erkannt: er zergliedert beides als die "moralische"
auch von selbst auf der Ebene der Reflexion, in der sie entworfen sind, zusam·
und die "intellektuelle Seite" des weltgeschichtlichen'Vorganges, in dem "der
menfügen, a1s Seiten oder Stadien einer einheitlichen intellektuellen Bewegung.
Mensch sich ein inneres Schicksal schafft". Der "Vollzug der inneren
So hat sie Aristoteles zusammengenommen, als er Platons Ausspruch vom
Transzendenz . . • • zu transzendenter Seligkeit'' ist nicht bloß eine Ange·
legenheit der mystischen Kontemplation des Asketen, in der Nietzsche die Staunen als dem Anfang der Philosophie auslegte:
"düstere Raupenform" des noch immer unhefreiten philosophischen Geistes "Wer zweifelt und staunt, der findet sich unwissend .... Also: wenn die Menschen, um derUn-
wisllenheit zu entgehen, zur Philosophie kamen, so ist offenbar, daß sie auf das Wissen um des
sah, sondern Wiss.ens willen aus waren .... ".
"das transz.endente Bewußtsein eines Geistigen ist selbst nur die Projektion des größten reli·
Aber wir haben uns ja schon, als wir Heideggers existentiale Erklärung der
giösen Erlebnisses, in dem der Mensch die Independenz seines Willens vom ganzen Naturzusam-
merihang erfaßt" (VIII, 49. V, 390). Verwunderung verfolgten und hinter dem animal rationale das animal meta·
Aber diese unmittelbare Verhindung scheint sich in der Philosophie auf- physcium auftau.chen sahen, den Vorgriff in jener antiken Theorie klargemacht:
zulösen. daß in .ihr das mit tiefsinniger Prägnanz als "Staunen" bezeichnete Phänomen,
Die vorgreifend-vermittelnde Rolle der Weltanschauungen . 321
320 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als MotLv und Aufgabe der Philosophie

das Staunen, das für Parmenides zu den Kennzeichen clnes unkritischen Weltbegreifens gehörte Daß die Weltanschauungen, wie Dilthey erkannt· hat, mit ihrem in der Le-
(6, 7 Diels), während Platon es als den Anfang der Philosophie herausstellte, benserfahrung gegründeten Gehalt von Konzeptionen, die bis in den Mythos
auf die Wissenschaft hin ausgelegt wird, die das Ergebnis der Entwicklung der zurückreichen, in die Metaphysik eingehen, daß dieser lebensmächtige Gehalt,
Philosophie bei den Griechen gewesen ist. Geht man dahinter zurück, so bie- der ihr mit der Religion und Dichtung gemeins~m ist, in ihr zu "begrifflicher
ten sich für jene intellektuellen Motive die entsprechenden existenziellen dar, Darstellung" kommt, brauchen wir deshalb nicht zu leugnen. Aber das beein•
wieder in den bekannten Selhstaussagen, aber nun von lehensphilosophisch trächtigt die Einheit jener ursprünglichen metaphysischen Bewegung nicht:
gerichteten Denkern: das Schaudern, das Schopenhauer unvermerkt dem in sie greifen die W eltans()hauungen nicht Spezifizierend, sondern nur modi- ·
griechischen· Wort unterlegte; Zwiespalt, Zerfallenheit (was unser Wort: zwtvel fizierend ein, den Einsatz des Fragens und den Ausdruck des Wissens ahwan·
auch ursprünglich bedeutet), Verzweiflung; und dann jene von Dilthey be- delnd (Fibelll3). Die Bewegung selbst ist nicht begriffliche Darstellung eines
tonte Notwendigkeit, sich zurechtzufinden in der Welt, die Sorge um das vorgängigen Be~itzes, sondern vorgängige Grundlage des auf ihn sich richten·
rechte Handeln. Aber dann stellt sich eben dies als das Problem heraus: wie den Begreifens. Dagegen greifen sie gerade in die Aufklärungsarbeit, in der
das Schaudem zum Staunen, die Verzweiflung, die je m,jch oder die Gemein- dieses Begreifen zuwege gebracht wird, richtungweisend, mit der einheitge·
schaft in meiner Nähe angeht, zum universalen Zweifel, das Sich-zurecht-fin- benden, gehaltbestimmenden Kraft der Bedeutung ein. Dieser Funktion der
den-müssen zum Erkennenwollen werden könne. Und da scheint uns kein immer schon vom Boden der Erde her spezifisch verschiedenen Weltanschau·
Stufengang der Bewußtheit, der, der ,"natürlichen" Weltansicht eingeordnet, ungen, der Lebensverfassungen in ·der Philosophie, die den geschichtlichen
auf diesen verschiedenen Linien parallel verliefe, die Lösung zu geben, sondern Wirkungszusammenhang, die Stellung in der Kultur betrifft, glauben wir ge·
nur eine einzige, einheitliche Bewegung in der diese "Technik der Struktur" recht werden zu können, indem wir sie als Antizipationen der Einstellung und
umfassenden "Bewußtseinsstellung" selber, ein Sich aus dem Leben fragend Haltung des Denkens begreifen, die sowohl tragen als binden, vereinheitlichen
heben - eben jene von uns als Anfang der Philosophie angesprochene Bewe- und beschränken, als Organe des Gewahrens sowohl wie als Scheuklappen
gung des radikalen Fragens und der antwortenden Aussprache des "metaphy- wirken. So· tritt die Philosophie gerade mit ihrem Aufklärungszuge in den
sischen Wissens". -· Machthereich von Geschichte und Schicksal. Wie das früher formuliert
Von ihr läßt sich denn auch zeigen, daß sie tatsächlich, in dem geschichtlichen Vorgang der Ent- wurde:
stehung der Philosophie, jene wesentlichen, ihrer Lebensherkunft nach heterogenen Motive - Indem das metaphysische Wissen in das Kraftfeld des kritischen Verstandes kommt, macht es
das weltaufgeschlossene Staunen, den religiösen Zweifel und das ums rechte Handeln besorgte ein geschichtliches Schicksal durch, weil dieser prüfende, alles auf sein Recht untersuchende V er-
Wissenwollen - einheitlich umfaßt (Fibel 32). stand selber gar kein freier selbständiger Richter ist, sondern den Mächten des Lebens verhaftet
bleibt . . • • • . • Das Erf~hrungsdenken bleibt, so unbefangen und vorurteilslos es auch bei seinem
Es handelt sich dann nicht bloß, wie Dilthey im Hinblick lediglich auf die
prüfenden ,Abwägen zu schalten vermeint, mit der Erbmasse seiner Herkunft belastet und bringt
Griechen sagt, darum, daß sich "eine von den religiösen Grundlagen losgelöste diese p~sitiven, dem Gedanken fremden, von der nationalen Eigenart der Kultur des Volkes oder I
Metaphysik" bildet (VIII, 51), sondern aufgelöst; radikal iri. Frage gestellt wer- der Gesamtverfassung des Einzelnen bestimmten Lebensunterlagen zusammen. mit dem Zuge
der Aufklärung in den Gang der Entwicklung hinein. Das gedankliche Durchbilden der Il!.eta-
den die in der Weltanschauung festliegenden Lehensbezüge überhaupt, je nach- physischen Einsätze und das verstandesmäßige Durchsichtigmachen des Zusammenhanges der
dem welche in ihr, die i~mer bodenständig hesondert ist, im Vordergrund _ Erfahrungen ist zugleich ein Hineingestalten eines tatsächlich vorhandenen, dieser oder jener
Kultur oder Persönlichkeit eigenen Lebensgehaltes in die Welt des Gedankens (Fibel, ~!2).
stehen, der religiöse oder der moralisch-politische oder ·der leihhaft-umwelt-
Und wenn wir nun, wie das durch die Feststellung der typischen Grundfor-
liche - durchbrochen wird das Darinnensein im Leben. . .
Misch, Lebensphilosophie. 2. Aufl. 21
322 Erhebung d. Lebens zum Bewußtsein als Motiv und Aufgabe der Philosophie Die mögliche Lösung des Gegensatzes von Metaphysik und Wissenschaft 323

men der W elta,nschauung und der. Gesetzlichkeit ihrer Entwicklung ermöglicht Dieser Goethesche "Mut, sich im Ganzen zu fühlen", führt aber in seiner
wird, auch diese Antizipationen zu durchschauen, ja zu überschauen vermö- Betätigung . durch das historisehe Bewußtsein zugleich den metaphysischen
gen, so ist dieses Überschauen, zu dem die geschichtssystematische Methode Zug der Philosophie in die wissenschaftliche Methode und Lebe~sform hinein.
verhilft, wohl eine Vollendung des Aufklärungszuges der Philosophie, der alles, Denn das Ganze, in dem wir uns finden, verliert durch den Überblick ü,ber die
was Menschen bindet, der Kritik unterwirft, aber diese Kritik, die auf höchste Permanenz und Begrenztheit der menschlichen Erlebnismöglichkeiten nicht
Steigerung des Bewußtmachens, illusionsloses Wachsein zielt, ist durch den seine Undurchdringlichkeit, sondern wird durch ihn gerade in seiner Uner-
eigenen Charakter ihres wissenschaftlichen Verfahrens, der wiederum durch gründlichkeit offenbar, so daß das Durchhalten diese~ Wissens vom Uner-
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den Charakter ihres Objektes, des Verhältnisses von Leben und Erkennen, be- fo:.;schlichen in der zergliedernden, der Erfahrungswirklichkeit zugewandten
stimmt ist, mit ~der metaphysischen Grundbewegung des Philosophierens ver- Denkarbeit zum wesentlichsten Anliegen des wissenschaftlichen Gewissens
bunden, die bewußt ins Unergründliche geht. Denn das Alles-V erstehen, das wird. Nur hieraufhin vermögen wir Diltheys Wort an seine Schüler zu ver-
die philosophischen Systeme umgreift und in ihren zwingenwollenden Be• stehen, daß die "Zergliederungskunst der Wirklichkeit", die er ihnen mitteilte,
griffsketten eine typische Lebensanschauung um theoretische Begründung rin- "den Philosophen ausmache:'. Wenn also die Möglichkeit dahinfällt, den Zu-
gen sieht, ist nicht das unbeteiligte Zuschauen des klug darüberstehenden V er· sammenhang der Dinge in einem allgemeingültigen System zu besitzen, wenn
standes, das auf das nil admirari hinausliefe, solch gedankliches ln-Besitz-nehmen-wollen als dem "Grundgesetz unserer
wie Nietzsche formuliert hat, daß "die einzelnen philosophischen Begriffe . . . . so ·gut einem Lage" widerstreitend und damit die Art von wissenschaftlicher Festigkeit, die
System angehören als die sämtlichen Glieder der Fauna eines Erdteiles", die Metaphysik über Religion und Dichtung hinaus in die Stellung des Men-
sondern das "Tiefersehen vom Leben aus'", das zur Auseinandersetzung mit schen zur Welt bringen sollte, als ein falsches Ziel erkannt ist, so hat diese
Lebensüberzeugungen zwingt. Daß es menschenmöglich, philosophisch-denke- Leugnung der Metaphysik den positiven Sinn: das Innige in uns, das uns des
risch möglich ist, in solchem V erstehen, das im Mitgehen und Sich-fortziehen- "metaphysischen" Gehaltes in den Lebensbezügen bewußt werden, aber auch
lassen ein Sichselber-Exponieren fordert, seine geistige Überlegenheit zu wah- die Grundbegriffe der Erkenntnis nur aus dem "ganzen Menschen" heraus auf-
ren und sich nicht hinnehmen zu lassen: diese prinzipielle Ungläubigkeit des klärbar sein läßt, soll frei gemacht, aus der Verfestigung in den metaphysischen
historischen Kritikers betrifft doch nur das Negative, das Ausschließende, das Systemen oder religiösen Dogmen gelöst und als Kraftquelle selbständigen
in dem Anspruch auf "Allgemeingültigkeit" liegt, und nicht das Positive, das Menschendaseins bewußt ·gemacht werden. Da es nun aber doch "nur in der
uns, sei es fremd oder verwandt, berührt: das schließt sich gerade in seiner ob- Vorstellung sein Dasein hat", ja der Begriff, in dem "Lehen ausgelöscht"
jektiven Bedeutsamkeit auf, indem es in der befreienden Distanz, die der Über- ist, in den Bezug zum Lehen zurückversetzt, selber zu einer Kraft wird, kon-
blick gibt, als Fall von Möglichkeiten begriffen wird. Wie Dilthey formulierte: zentriert sich die Aufgabe darauf: negativ, dem eigenen Nexus der Begriffe
"Die Seele wird, ganz allgemein genommen, frei, die Schranken ihrer Lebens- zu mißtrauen, und positiv, sie so auszubilden, daß das Lehensband in der V er·
bestimmtheit werden aufgehoben". Wie Goethe die ethische Produktivität bindung von Gedankenmäßigkeit und Unergrün~lichkeit zum Vorschein
dieser objektiven Haltung ausgesprochen hat: "Die Seele wird immer tiefer kommt. Das aber zwingt die logische Energie, die in die Wurzeln von Lehen
in sich zurückgeführt, je mehr man die Menschen nach ihrer und nicht nach und ·welt eindringen möchte, in die wissenschaftliche Bewegung hinein, die in
seiner Art behandelt". der handanlegenden Arbeit a~ Stoff dessen sicher wird, daß das Leben sich

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324 Erhebung d. Lebens zum Bewußtseinals Motiv und Aufgabe der Philosophie

zwar nicht von oben her bezwingen läßt, aber dem, der mit ihm, die harten
Faktizitäten anpackend, ringt, seine Tiefe ~ffnet. /Dann aber kann auch .
die "Allgemeingültigkeit" - im Sinne der direkten, rein sachlichen Übertrag-
barkeit von Ergebnissen und Methoden der Erkenntnis . - nicht mehr so ge·
meinhin als Merkmal des Begriffs der Wissenschaft gelten, nachdem das V er~
stehen des Lebens zu einem wissenschaftlichen, der Philosophie und den Gei-
steswissenschaften gemeinsamen Anliegen gemacht ist. Die "Lebenserfah-
rung", die Dilthey der allgemeingültigen Wissenschaft als Quelle des weltan-
schaulichen Wissens gegenüberstellt, will das ihr zuerkannte Vermögen, einen
Ausdruck von "immer größerer Genauigkeit und Sicherheit" zu erlangen, zur
Auswirkung bringen. Und es dürfte wohl nicht genug sein, wenn von ihr ge·
sagt wird,
daß ihre "dunklen, tiefen Töne, wenn auch' nur leise, alles begriffliche Denken in den Geistes·
wissenschaften begleiten";
angemessener erscheint die Formulierung, daß in ihnen
.,Lehen und Nacherleben Grundlage und beständigen Untergrund der logischen Operationen
bilden", daß in ihrer Methode "die beständige Wechselwirkung des Erlebnisses und des Begriffs
liegt", und daß dies eine eigene, durch anhaltende Übung zu steigemde "Kraft des Sehens und
Darstellens" der "geheimen Gänge der Seele" und der "Möglichkeiten der Lebenswege" ist,
die den Denker der Lehenserfahrung ebenso auszeichnet .wie den scholastischen "die Fähigkeit,
lange Ketten von Schlüssen zu überblicken" oder den induktiven "die Kraft, viele Fälle neben
einander zu sehen" (VII, 330, V, 341, VIII, 201),

Daß dies ein wissenschaftlich gangbarer Weg ist, der dem Ziel der Objektivi-
tät entgegenführt, hat uns Diltheys Werk gezeigt. Daß auf diesem Wege die
. Gegensätze, die .wir nicht übergehen durften, zu einer objektiven Entschei·
dung gebracht werden können, ist unsere Hoffnung. Aber vielleicht ist die
Möglichkeit· einer· solchen Diskussion: zu der wir heute wieder fähig sind,. auch
ein Symptom für den "Stil" des Philosophierens, der sich neu bilden will.
Vielleicht ist die geschichtlich-systematische Betrachtung eine uns gemäße
Form, in der wir das wiedergewinnen können, was wiederholen zu wollen, ein
eitles Bemühen wäre: das Leben der Philosophie. im Dialog Platons.

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