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deep silence

toshio hosokawa | gagaku


mayumi miyata, sho
stefan hussong, accordion
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Foto: Rolf W. Stoll
JO

„Die Töne sind Klang und Schweigen zugleich.


Erklingend sind sie von einer tiefen Stille.”
Basho- (Mitte 17. Jhdt.)

„Musik”, sagt Toshio Hosokawa, „ist der Ort, an dem sich Töne und Schweigen
begegnen.” Sein ästhetisches Konzept ist damit als ein genuin japanisches be-
zeichnet. Es findet sich ebenso in japanischer Landschaftsmalerei – dort sind der
leere Raum, die nicht grundierte, nicht bemalte Fläche, und der gestaltete Raum
der bemalten Fläche gleichermaßen wichtig – wie in der Musik etwa der höfi-
schen gagaku, in der der hörbare Klang stets in einer Beziehung zum Nicht-
Klang, zum Schweigen und zu einem zwischen diesen angesiedelten Konzept des
ma steht. Ma – wörtlich übersetzt: „der Raum”, der „Zwischenraum” – bezeich-
net die Zeit, die man abwartet, bevor man einen Ton oder eine zusammenge-
hörige Tongruppe erklingen lässt. Das ma, der „leere” Raum, bildet den Hinter-
grund des Universums. Der tiefen Stille dieses Raums, dem Schweigen, gehören
die tiefen Klänge an. Zusammen bilden sie das Gewebe des Kosmos, das Gewebe
der Natur. Von dieser Textur heben sich die Melodien ab – sie bilden die Muster,
die der Welt des Menschen zugehören. Gewebe und Muster stellen gemeinsam
das kosmologische Beziehungsgefüge dar, in dem sich Mensch und Natur befin-
den und das sich in der Musik reproduziert.
Hosokawas gesamter „ästhetischer Apparat”, ist so geprägt von der Tradi-
tion der japanischen Musik. In ihren rhythmischen Proportionen orientieren sich
seine Kompositionen an der Atemlehre der Zen-Meditation mit ihrem sehr lang-
samen Aus- und dem sehr langsamen Einatmen, die beide jeweils den „toten
Punkt“ berühren sollen: „Jeder Atemzug beinhaltet Leben und Tod, Tod und

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Leben. Im Sinne dieser kreisenden Zeit muss jeder Spieler atmen …” An der Tra-
dition orientieren sich auch die lang anhaltenden Klänge, die kennzeichnend für
Hosokawas Musik sind, etwa an den überlieferten Kompositionen für die Mund-
orgel sho-, deren Akkorde, die aitake – zusammengesetzter Bambus – genannt
werden, keinerlei funktionsharmonischer Entwicklung folgen.
„Wenn die sho- zu spielen anfängt, breitet sich ihr Klang aus und füllt den
ganzen Raum, und man weiß nicht, woher die Töne kommen.” Diese Ungerich-
tetheit des Klangs, die auch ein Freisein von jeglicher intentionaler Vorstellung
meint, ist es, die Hosokawa schätzt. Er komponiert den anhaltenden Klang, der
sich stets entlang der Grenze zur Stille, zum Nicht-Klang bewegt. Seine Melodien
entspringen dem sich in steter, gleichwohl äußerst langsamer Bewegung befind-
lichen Gewebe aus Harmonien, die den Eindruck jener Weite entstehen lassen,
wie sie dem unbegrenzten Raum des Universums, aber auch dem geschichtlichen
Raum der Menschenwelt eigen ist.
Toshio Hosokawa – am 23. Oktober 1955 in Hiroshima geboren und aufge-
wachsen in einer an traditionellen Werten orientierten japanischen Familie (seine
Mutter spielte die japanische Zither koto, sein Großvater war ein Meister der
Blumenkunst ikebana) – erhielt bereits als Vierjähriger Klavierunterricht. Nach dem
Klavier- und Kompositionstudium in Tokio ging er 1976 nach Deutschland, um in
Berlin Unterricht bei lsang Yun (Komposition), Witold Szalonek (Musiktheorie) und
Rolf Kuhnert (Klavier) zu erhalten. Hier begegnete er – ein japanisches Ensemble
war zu Gast in der Stadt – zum ersten Mal dem traditionell-höfischen gagaku und
war sogleich angetan von der Frische und dem Reichtum seiner Klänge. Als er seine
Studien 1983 bis 1986 in Freiburg bei Klaus Huber (Komposition) und Brian Fer-
neyhough (Analyse) fortsetzte, empfahl Huber ihm, sich mit der musikalischen Tra-
dition seines Heimatlandes auseinander zu setzen – ein entscheidender Impuls, die
den Komponisten seine bis zum heutigen Tag anhaltende Orientierung finden ließ.

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1980 nahm Hosokawa erstmals an den Internationalen Ferienkursen für Neue
Musik in Darmstadt teil. Seitdem ist er als Composer-in-residence und Dozent
auf allen wichtigen nationalen und internationalen musikalischen Festivals ver-
treten. Zu den bedeutendsten Interpreten seiner Musik zählen der Cellist Julius
Berger, die Pianistin Kaya Han, der Akkordeonist Stefan Hussong, die sho--Solistin
Mayumi Miyata, das Arditti Quartet, das Klangforum Wien u. v. a. Für viele sei-
ner Werke erhielt er Preise. 1989 gründete Hosokawa gemeinsam mit anderen
jüngeren Komponisten Japans das „International Contemporary Music Seminar
and Festival” Akiyoshidai in Yamaguchi, dessen künstlerischer Leiter er bis 1998
war. Seit 1990 ist er Dozent der Ferienkurse des Internationalen Musikinstituts
Darmstadt. Hosokawa lebt in Tokio und Mainz.
„Meine Musik ist Schriftkunst, gemalt auf dem freien Rand von Zeit und
Raum. Jeder einzelne Ton besitzt eine Form wie eine Linie […], die mit dem
Pinsel gezogen wird. Diese Linien werden auf eine Leinwand des Schweigens
gemalt.” Sen V – Linie V – heißt auch das zentrale (Stefan Hussong gewidmete)
Stück der hier gegebenen Werkfolge, das von zwei weiteren Stücken Hosokawas
umgeben ist, die ihrerseits Grundprinzipien seines Komponierens verkörpern
und zugleich Grundprinzipien der japanischen Tradition sind: Cloudscapes, das
die Weite einer Wolken-(Himmels-)Landschaft „beschreibt” und Wie ein Atmen
im Lichte, das das unaufhörliche Ein- und Ausatmen des Universums auf sho- (das
Instrument des Universums / das Instrument der Tradition) und Akkordeon (das
Instrument des Menschen / das Instrument der Gegenwart) überträgt. Hoso-
kawas Kompositionen sind umgeben von Realisationen der vier cho-shi, Stücken
des traditionellen gagaku-Repertoires. In der doppelten Gegenüberstellung von
Universum/Natur und Menschenwelt sowie von Stücken der gagaku-Tradition
und zeitgenössischen Kompositionen Toshio Hosokawas findet die vorliegende
Einspielung ihren Sinn.

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Japanische Notation
des banshikicho- no cho-shi

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HA

Cho-shi (Vorspiel, Einstimmung) sind anonym überlieferte Stücke. Auch wo sie


komponiert wurden, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden, wenn-
gleich die chinesischen Begrifffe shitsu-cho and sei-cho auf einen chinesischen
Ursprung verweisen. Cho-shi wurden ursprünglich als Einstimmungen zu gagaku-
Darbietungen ausgeführt. Mehrere sho- (Mundorgeln) und hichiriki (Doppel-
rohrblatt-Instrumente) spielten dabei zunächst kanonisch. Sobald eine perfekte
Harmonie des Klangs erreicht war, trat der kristallgleiche Klang der ryu-teki (Flöte)
hinzu.
In gagaku sind sechs cho-shi überliefert. Jedes dieser Stücke, die als Solo-
stücke auf uns gekommen sind, repräsentiert einen der sechs Grundtöne der sie-
ben japanischen Modi. Die Modi tragen die Namen ichikotsucho-, so-jo-, o-shikicho-,
hyojo-, taishikicho- und banshikicho-. Als siebter Modus gilt suijo, der zweite Mo-
dus zu o-shikicho-. Nach chinesischem Vorbild werden die Modi mit Naturzustän-
den, Stimmungen und Farben in Verbindung gebracht. Die Klänge der cho-shi
selbst reflektieren die Natur und die vergehende Zeit. Ein Musiker der Heian-
Periode (Ende 8. bis Ende 12. Jhdt.) schrieb einmal über sie: „Was man wissen
muss: Cho-shi ist die Stimme der Zeit und der Jahreszeiten”. Während die traditio-
nelle Musik für sho- im gagaku-Zusammenhang aus zumeist sechstönigen Akkor-
den besteht, ist ein cho-shi sowohl aus Einzeltönen, als auch aus Akkorden und
schnellen Passagen gebildet.
Gagaku ist die – durch China und Korea angeregte – traditionelle Musik des
japanischen Hofes, die vor allem von höheren Ständen gepflegt wurde. Das Wort
gagaku wird mit den beiden kanji, ya und yueh, für „elegante, verfeinerte Musik”
geschrieben. Zum ersten Mal hatte sich eine eigenständige Musik in Japan
während der Heian-Zeit entwickelt. Mit dem Untergang der Klasse der Edelleute

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in der frühen Kamakura Periode (1185-1333) nahm die Popularität von gagaku
stark ab. Gagaku wurde lediglich von einigen wenigen Edelleuten und Innungen
am Leben erhalten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Tradition an
drei Tempeln und Schreinen Japans gepflegt; vieles vom Reichtum dieser Musik
ging dabei aber für immer verloren. Erst die Meiji Restauration im Jahre 1868
mit der Wiederherstellung des kaiserlichen Hofes in Tokio führte die Musik-
gruppen der drei Zentren wieder zusammen und verschaffte ihnen staatliche
Unterstützung. Bis in die heutige Zeit wird die traditionelle Musik des gagaku im
rituellen Kontext und in Konzerten aufgeführt.
Eine gagaku-Komposition ist als einzelne Melodielinie komponiert, die in
einer anspruchsvollen Heterophonie von verschiedenen Instrumenten ausgeführt
wird. Intervalldifferenzen, Tonhöhendifferenzen und Tempodifferenzen lassen in
der Ausführung durch ein Ensemble eine reiche Musik entstehen. Die Mund-
orgel sho-, die die harmonikale Basis des gagaku bildet, spielt dabei die Melodie,
die sie durch Differenztöne, Obertöne und Harmonien anreichert. Sie bildet eine
Art Gewebe aus Klang, zu dem die von hichiriki und der 7-löchrigen Bambusflöte
ryu-teki, der 6-löchrigen Flöte komabue, der Laute biwa, der Zither so- (Vorläufe-
rin der koto) gespielten Melodien hinzutreten, die von Perkussionsinstrumenten
begleitet werden. Vorder- und Hintergrund verschmelzen solcherart in einer voll-
kommenen Harmonie.
Die formalen Prozesse des gagaku sind zugunsten dieser klanglichen Wirk-
einheit weitgehend aufgegeben. Gagaku-Stücke können daher kurz, mittellang
oder lang sein. Ihr standardisierter einfacher formaler Ablauf folgt der Einteilung
in jo (langsame, metrisch freie Einleitung), ha (Entwicklung) und kyu (rasche
Beendigung mit Rückkehr zu freier Metrik). Einige Stücke haben darüber hinaus
einen vierten Formabschnitt: ei, der zwischen ha und kyu eingefügt wird, wäh-
rend kürzere Stücke lediglich aus den Abschnitten ha und kyu bestehen.

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Die Vorstellung, die als Solostücke für sho- angelegten cho-shi verkörperten die
Jahreszeiten, hat ihren Ursprung im China der Han-Zeit. Das Konzept einer
Harmonie von Himmel, Erde und Mensch, das damals entstand, kann als syste-
matischer Versuch begriffen werden, ein Abbild der kosmischen Ordnung zu
schaffen, in dem sich alle Erscheinungen der realen Welt fassen lassen: Elemente,
Töne, Zahlen, Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Tiere und deren Eigenschaften,
Früchte, Körperteile, Gerüche, Gefühle, Tugenden, gesellschaftliche Klassen und
Schöpfungen der Menschen, Materialien u. v. m. Diese Grundelemente des Uni-
versums, der Natur und der Menschenwelt wurden als niemals feststehend, son-
dern fortwährend im Wandel begriffen gedacht. Die Elemente, Jahreszeiten,
Farben und Töne der cho-shi, die auf der vorliegenden Einspielung zu hören sind,
sind die folgenden:

• banshikicho- no cho-shi: Winter – Norden, Wasser, Schwarz


• o-shikicho- no cho-shi: Sommer – Süden, Feuer, Rot
• hyo-jo- no cho-shi: Herbst – Westen, Gold, Weiß
• ichikotsucho- no cho-shi: doyo (vor Herbstbeginn) – Zentrum, Erde, Gelb

Auch die Instrumente des gagaku nehmen Bezug auf diese Vorstellungen: „Hichi-
riki, die die Hauptmelodie spielt, symbolisiert die Stimme des Menschen. Ryu--
teki ist der Wind der Vernunft, der vom Himmel zur Erde weht. Kakko ist wie ein
Augenblick der Ruhe, taiko steht für die große Ordnung in Form des shinto-
Schreins im Altertum, die sho-ko sendet ihre Töne an weit entfernte Sterne. Die
Saiten von biwa und koto, die beständig den Rhythmus wiederholen, spinnen
den Lebensfaden der Menschen. Und im Hintergrund all dieser Instrumente
erklingt die sho-. Sie ist wie der Himmel …” (Mayumi Miyata im Programmheft
zum Konzert in Berlin am 16. Januar 1996, S. 9.)

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Toshio Hosokawa: Sen V for accordion
© 1993 Schott Japan Company Ltd.

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KYU

Toshio Hosokawa, der die japanische traditionelle Musik des gagaku und die
Techniken des buddhistischen Mönchsgesangs sho-myo- ebenso studiert hat wie
die zeitgenössische europäische Musik, der gleichermaßen durch Isang Yun und
den japanischen Komponisten Toru Takemitsu wie durch seine europäischen
Lehrer Klaus Huber und Bryan Ferneyhough angeregt wurde und heute zeitweise
in Europa und in Japan lebt und arbeitet, ist ein Grenzgänger zwischen Zeiten und
Kulturen: „Ich sehne mich stark nach Europa […], aber gleichzeitig empfinde ich
mich der japanischen Tradition zugehörig und schaffe meine Musik auf der
Grundlage der langen kulturellen Tradition Japans. Hier liegen meine geistigen
und psychischen Wurzeln”.
Zwischen den Zeiten und Kulturen bewegt sich auch die vorliegende Ein-
spielung. Sie vereint zeitgenössische Kompositionen Toshio Hosokawas und die
traditionelle japanische Musik des gagaku, den Klang des europäischen Akkor-
deons – einst Instrument niederer Schichten – und der japanischen Mundorgel
sho-, die der höfischen und rituellen Sphäre entstammt, im Spiel der sho--Virtuosin
Mayumi Miyata und des Akkordeonisten Stefan Hussong, die beide sowohl in
Europa als auch in Japan zuhause sind.
Am 23. Mai 1829 erhielt der Wiener Klavier- und Orgelbauer Zyrill Demian
ein Patent „auf die Erfindung eines neuen Instrumentes, Accordion genannt”.
Das Prinzip der Klangerzeugung, das der Erfindung Demians zueigen ist, ist aller-
dings eines, dessen Gebrauch zuvor schon in ganz Südostasien und namentlich in
China, verbreitet war, wo sie seit den Zeiten der ersten Kaiser erklungen sein soll.
Die Mundorgel sho-, die die chinesische sheng zum Vorbild hat, ist seit dem
9. Jahrhundert in Japan nachweisbar. Ihr Klang – so die überlieferte japanische
Anschauung – imitiert den Schrei des Phönix, dessen Gestalt sie auch nachgebil-

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det sein soll. Sie ist eines der Instrumente des gagaku-Ensembles und wurde
ursprünglich nur in diesem Zusammenhang verwendet. Die sho- besteht aus 17
Bambusrohren in einer Windkapsel, von denen lediglich 15 klingen. An ihrer
Innenseite sind die Rohre aufgeschnitten, so dass ihre Länge (die Länge der
Luftsäule also, die durch das Anblasen in Schwingung gerät) unabhängig von
ihrer Stellung unter den 17 symmetrisch angeordneten Rohren bestimmt werden
kann. Die frei schwingenden Zungen, die die Luft in Schwingung versetzen, kön-
nen durch Wachs gestimmt werden. Grundlegend beim Spiel der sho- ist das Ein-
und Ausatmen – beim Akkordeon erfolgt es durch das Aufziehen und Zusam-
mendrücken des Balgs. Hinzu kommen muss das Schließen der Grifflöcher auf
der Vorderseite der Rohre durch die Finger – beim Akkordeon geschieht dies
mittels einer Mechanik im Innern des Instruments, die durch das Niederdrücken
der Tasten bzw. Knöpfe betätigt wird. Das beständige Ein- und Ausatmen
erlaubt beiden Instrumenten das Hervorbringen von Tönen beliebiger Dauer.
Hält man gleichzeitig mehrere Grifflöcher geschlossen, kann man neben den Haupt-
tönen auch Mischungen von Tönen erzeugen. In der klassischen gagaku-Musik
spielt die sho- Akkorde – so genannte aitake – aus fünf, zumeist aber sechs Tönen.
Die Klänge von sho- und Akkordeon, die in der vorliegenden Einspielung auf
einzigartige Weise verschmelzen (dies erreicht der Ausgleich der Lagendisposi-
tion zwischen beiden: die Klänge des Akkordeons wurden um eine Oktave nach
oben transponiert), und ihre Bewegungsform versetzen den Hörer in einen Zu-
stand, den Toshio Hosokawa als den idealen benennt, wenn er sagt, die Klänge
seiner Musik sollten „in einem würdevollen Zustand des Nichts” gehört werden.
Dieser Zustand entspricht dem Sitzen im zazen. Er zielt auf die Überwindung des
Wollens, den Verzicht auf jegliches Handeln und das Erfahren der Unbegrenzt-
heit des Universums, seiner Leere – des Nichts.
Rolf W. Stoll

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