Spanlose Formgebung
Warmformung erfolgt überwiegend bei Werkstoffen mit hohen Um-
formkräften (hoher Verformungswiderstand), hohen Stauchverhältnissen
und Abmessungen > M30 (maschinentechnischer Grenzbereich).
Vorteil: keine Verfestigung wie bei der Kaltverformung metallischer
Werkstoffe.
Bei der Kaltformung werden die Zugfestigkeit und Streckgrenze erhöht,
die Bruchdehnung und Brucheinschnürung reduziert. Daher ist nur eine
begrenzte Verformungsfähigkeit vorhanden. Kaltformung dominiert bei
Großserienfertigung und kleinen bis mittleren Stauchverhältnissen im
Abmessungsbereich bis M30.
Die Schraubenfertigung erfolgt meist in mehreren Stufen auf einer oder
mehreren Maschinen, die Mutternfertigung auf Quertransportpressen.
Das Gewinde wird auf Spezialmaschinen geschnitten oder geformt.
14.1.2 Warmbehandlung
Schrauben der Festigkeitsklassen ab 8.8 müssen nach DIN EN ISO 898-1
vergütet werden, ebenso Muttern der Festigkeitsklassen 05, 8 (> M16),
10 und 12 nach DIN EN 20898 Teil 2. Die Vergütung (Härten und An-
lassen) erfolgt meist auf automatischen, kontinuierlichen Vergütungs-
256 14 Schraubenverbindungen
straßen. Zur Vermeidung unerwünschter Aufkohlung oder Randentkoh-
lung werden diese mit genau gesteuerter Schutzgasatmosphäre betrieben.
Ofentypen: Schwingretorten- und Banddurchlauf-Öfen mit Kapazitäten
von 150 … 1500 kg/h.
14.1.3 Normung
Die mechanischen Eigenschaften der Schrauben sind in der DIN EN
ISO 898-1 genormt (s. Tabelle 14.1), die der Muttern in der DIN EN
ISO 898-2 (Regelgewinde) und DIN EN ISO 898-6 (Feingewinde). Der
Geltungsbereich umfasst normale Anwendungsbedingungen für Schrau-
ben und Muttern aus unlegiertem und niedrig legiertem Stahl bis M39,
an die keine speziellen Anforderungen hinsichtlich Schweißbarkeit,
Korrosionsbeständigkeit, Warmfestigkeit über 300 °C und Kaltzähigkeit
unter –50 °C gestellt werden.
Die Norm sieht für hochfeste Schrauben oberhalb von 800 N/mm2 vier
Festigkeitsklassen vor.
Die Festigkeitsklasse 9.8 findet überwiegend in den angelsächsischen
Ländern Anwendung.
Tabelle 14.1: Mechanische Eigenschaften von Schrauben [nach EN ISO 898-1 (1999)]
Festigkeitsklasse
3.6 4.6 4.8 5.6 5.8 6.8 8.8 10.9 12.9
≥M16 >M16 1)
Zugfestigkeit Rm nom 300 400 400 500 500 600 800 800 1000 1200
(in N/mm2)
min 330 400 420 500 520 600 800 830 1040 1220
Streckgrenze ReL nom 180 240 320 300 400 480 640 640 900 1080
(in N/mm2) bzw.
0,2-%-Dehngrenze min 190 240 340 300 420 480 640 660 940 1100
RP0,2 (in N/mm2)
Bruchdehnung A5 min 25 22 14 20 10 8 12 12 9 8
(%)
Vickershärte min 95 120 130 155 160 190 250 255 320 385
HV 10 2) 2) 2) 2) 2)
max 220 220 220 220 220 250 320 335 380 435
Brinellhärte min 90 114 124 147 152 181 238 242 304 366
HB F = 30D2
max 2092) 2092) 2092) 2092) 2092) 238 304 318 361 414
Kerbschlagarbeit min – – – 25 – – 30 30 20 15
(ISO-U) (in Joule)
1)
Für Stahlbauschrauben ab M12
2)
Ein Härtewert am Ende der Schraube darf höchstens 250 HV betragen bzw. 238 HB
14.1 Schrauben und Muttern 257
Die Bezeichnung der Festigkeitsklassen erfolgt mit zwei durch einen
Punkt getrennten Zahlen, z. B. 8.8, 10.9 oder 12.9.
Die erste Zahl entspricht 1/100 der Nennzugfestigkeit Rm in N/mm2.
Die zweite Zahl gibt das 10fache des Verhältnisses der Nennstreck-
grenze zur Nennzugfestigkeit an (ReL/Rm bzw. Rp0,2/ Rm)
Sonderfestigkeiten und eingeengte Festigkeitstoleranzen sind inner-
halb bestimmter Grenzen möglich und sinnvoll.
Für Muttern ist derselbe Anwendungsbereich festgelegt. Sie werden in
drei Gruppen unterteilt:
a) Muttern für Schraubenverbindungen mit voller Belastbarkeit.
Sechskantmuttern DIN EN 24032 (Typ 1), Regelgewinde oder DIN EN
28673 (Typ 1), Feingewinde für Festigkeitsklassen 6 und 8, oder DIN
EN 28674 (Typ 2), Feingewinde für Festigkeitsklassen 10 und 12.
Nennhöhen der Muttern m ≥ 0,85d.
b) Muttern für Schraubenverbindungen mit eingeschränkter Be-
lastbarkeit. DIN EN 24035 (Regelgewinde) und DIN EN ISO 8675
(Feingewinde). Genormt sind die Festigkeitsklassen 04 und 05.
c) Muttern für Schraubenverbindungen ohne festgelegte Belastbar-
keit werden mit einer Zahlen-Buchstaben-Kombination bezeichnet. Die
Zahl steht für 1/10 der Mindest-Vickershärte, und H steht für Härte.
Genormt sind die Festigkeitsklassen 11H, 14H, 17H und 22H.
Schrauben und Muttern gleicher Festigkeitsklasse (10.9/10) ergeben
Verbindungen, bei denen die Muttern an die Schraubenfestigkeit ange-
passt sind. Muttern der höheren Festigkeit können für Schrauben der
niedrigeren Festigkeit verwendet werden.
14.1.4 Qualität
Bei Schrauben und Muttern ist die Qualität in Maßnormen (Produkt-
normen) geregelt, die durch Grundnormen und Technische Lieferbe-
dingungen ergänzt werden. Neben Toleranzen werden mechanische
Eigenschaften und Fragen hinsichtlich der Abnahmeprüfung geregelt.
Wichtige Technische Lieferbedingungen sind die DIN 267, DIN EN
ISO 898, DIN ISO 4759. Sie enthalten Verweisungen auf andere Grund-
normen nach DIN und ISO, sowohl für genormte Schrauben und Mut-
tern als auch für Zeichnungs- und Sonderteile. Die in Maß-, Grund- und
Gütenormen sowie in Technischen Lieferbedingungen definierten An-
forderungen werden durch ebenfalls genormte Vereinbarungen für die
Abnahmeprüfung ergänzt: DIN ISO 3269. Hier sind die wichtigsten
258 14 Schraubenverbindungen
maßlichen und physikalischen Merkmale sowohl für Werkstoffe als auch
für Überzüge in bestimmten „Annehmbaren Qualitätsgrenzlagen“ (AQL)
festgelegt. Dieses genormte „Mindestqualitätsniveau“ gilt immer dann
als Vereinbarung, wenn in der Zeichnung oder Bestellung nichts Abwei-
chendes vereinbart wird.
Zusätzliche Bearbeitungsverfahren
Riffeln und Rändeln erfüllen die Aufgaben des zylindrischen Presssit-
zes. Gegenüber der Passung ist eine preiswertere spanlose Fertigung –
durch Entfall des Schleifens – mit geringeren Einpresskräften möglich.
Der Riffel verhindert das Herausfallen der Schraube und überträgt das
Drehmoment der Mutter.
Gewindewalzen ist das am weitesten verbreitete zusätzliche Bearbei-
tungsverfahren. Beim Gewindewalzen nach der Vergütung wird die dyna-
mische Haltbarkeit (Dauerhaltbarkeit) des Gewindes wesentlich gesteigert.
Auf gleichem Prinzip basiert auch die spanlose Herstellung von Dehn-
schäften durch Dehnwendel oder Dehnrillen (Bild 14.1). Ein- oder
mehrgängige Dehnwendelschrauben kommen bei Zylinderkopfschrau-
ben zum Einsatz. Bei geschickter konstruktiver Anpassung der Walz-,
Kern- und Außendurchmesser sowie der Wendel- oder Rillenprofile
lassen sich die Funktionen „Dehnschaft“ und „Passung/Zentrierung“
miteinander kombinieren.
14.3 Auslegung und Berechnung von Schraubenverbindungen 259
Für die Berechnung sind die fett gedruckten Werte zu berücksichtigen. Wird mit MoS2
geschmiert, ist eine Reibungszahl von µges = 0,10 einzusetzen.
MA/5.6 = (300/640) · 49 N ⋅ m = 23 N ⋅ m
262 14 Schraubenverbindungen
Tabelle 14.4: Vorspannkräfte und Anziehdrehmomente für Schrauben mit Kopfauflagen nach DIN
EN 24014, DIN EN 24015, DIN EN ISO 4762 [TFS]
14.3 Auslegung und Berechnung von Schraubenverbindungen 263
Ebenso ist es möglich, hinreichend genau MA und Fv für Abmessungen
zu berechnen, die nicht in vorhandenen Tabellen aufgeführt sind. Die
Vorspannkraft einer Schraube beträgt bei µges = 0,14 unter der Annahme,
dass die Gesamtbeanspruchung durch Vorspannkraft und Torsion 90 %
der Mindeststreckgrenze beträgt, ungefähr:
Fv = 0,7 · Rp0,2 · As für Schaftschrauben
Fv = 0,7 · Rp0,2 · AT für Dehnschrauben
Die Mindeststreckgrenze ist bekannt aus DIN EN ISO 898/1. Der Span-
nungsquerschnitt errechnet sich aus:
p d + d3 ˆ
2
As = ◊ ÊÁ 2 ˜
4 Ë 2 ¯
d2 Flankendurchmesser, d3 Kerndurchmesser (Nominalwerte nach
DIN 13 Teil 13)
Der Taillenquerschnitt AT kann der Zeichnungsvorgabe entnommen
werden. Das Anziehdrehmoment errechnet sich aus folgender Formel:
MA = Fv[0,16 · P + µges(0,58 · d2 + DKm/2)]
P Steigung in mm, µges Gesamtreibungszahl (= 0,14), d2 Flanken-
durchmesser in mm nach DIN 13 Teil 13, DKm = (dh + dw)/2 mitt-
lerer Reibungsdurchmesser der Kopf- oder Mutternauflage in mm,
dh Bohrungsdurchmesser in mm nach DIN ISO 273, dw Außen-
durchmesser der Kopf- oder Mutternauflage in mm, d3 Kerndurch-
messer in mm nach DIN 13 Teil 13
Beispiel:
Berechnung des Anziehdrehmoments für eine Schraube M10 DIN EN
ISO 4762-10.9
Fv = 0,7 · Rp0,2 · As = 0,7 · 940 · 58 N = 38 200 N
MA = Fv [0,16 · P + µges(0,58 · d2 + DKm/2)]
mit DKm = (dh + dw)/2 = (11 + 16)/2 mm = 13,5 mm
MA = 38 200 [0,16 · 1,5 + 0,14(0,58 · 9,026 + 13,5/2)] N ⋅ mm
= 73 264 N ⋅ mm = 73 N ⋅ m
Der Wert in der Tabelle beträgt 72 N ⋅ m, der Fehler ist vernachlässigbar.
Bei Schmierung mit MoS2-Paste reduziert sich die Reibungszahl auf ca.
µges = 0,10. Das errechnete Anziehdrehmoment sollte um 20 % verringert
werden, da die Schraube ansonsten überzogen würde. Die Vorspannkraft
erhöht sich trotzdem um ca. 10 %.
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