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Seite V2/4 WOCHENENDE REPORT Samstag/Sonntag, 5. /6.

März 2011

Die Grenzen
Europas
Freude über den Untergang der nordafrikanischen Regimes
mischt sich in Europa mit der Angst vor Flüchtlingsströmen.
Wie begründet ist diese Furcht? Was ist Panikmache?
Und sind die bisherigen Strategien überhaupt noch tragbar?

N
ordafrika befreit sich gerade schaftsboom auch seine Anziehungs- onsströmen, die
von seinen Autokraten. In Eu- kraft für Immigranten verloren hat, wie durch strukturel-
ropa ist man offiziell erfreut – unsere Korrespondenten berichten. le, langfristige
und besorgt. Eine halbe Milli- Die wahre Migrantenkatastrophe fin- Krisen ausgelöst
on Menschen, warnen italienische Politi- det derweil nicht an den südlichen Gren- werden – etwa
ker, warteten nur darauf, Libyen in Rich- zen Europas statt, sondern in Afrika. Hin- durch den Klima-
tung Europa zu verlassen – dabei ist die ter den Grenzübergängen Libyens nach wandel, der gan-
Zahl der Flüchtlinge aus den nordafrika- Ägypten und Tunesien warten hundert- zen Großregionen zu-
nischen Staaten bisher verhältnismäßig tausend oder mehr Menschen, Gastarbei- nehmend die Lebens-
klein geblieben. 8000 kamen zwischen ter zumeist, in Übergangslagern darauf, grundlagen wie Wasser
Mitte Januar und Mitte Februar auf der nach Hause reisen zu können. Aber das und Nahrung entzieht. Sol-
italienischen Insel Lampedusa an, jetzt, ist kein strukturelles Problem, sondern che strukturell bedingten Bewe-
da das Wetter besser ist, sind wieder ein eines, das kurzfristig gelöst werden gungen, auch in Richtung Europa,
paar hundert dort gestrandet. Mit dieser kann, auch mit europäischer Hilfe. Den- wird man nicht aufhalten, indem man
Welle kann Europa durchaus noch leben. noch weist es auf zwei langfristige Aspek- Internierungslager errichtet wie Grie-
Dennoch wird an der „Festung Euro- te der globalen Flüchtlingsbewegungen, chenland oder die Abwehr von Flüchtlin-
pa“ weitergebaut: Die Wortschöpfung mit denen sich Europa auseinanderset- gen outsourct wie Italien und Spanien,
der Nationalsozialisten, ursprünglich ge- zen muss. Zum einen waren und sind Mi- stillschweigend gebilligt vom Rest der
gen England gerichtet, wird jedes Mal be- grantenströme vor allem Binnenbewe- Europäischen Union. Stattdessen muss
schworen, wenn wie im Moment Angst- gungen. Flüchtlinge ziehen in die Nach- man die Europäer langsam ohne populis-
visionen von Massen illegaler Migranten barländer, die wenigsten können oder tische Hetze mit der Gewissensfrage kon-
und Flüchtlinge herumgeistern, die den wollen überhaupt nach Europa oder in frontieren, welche letzten und ethisch
Kontinent zu überrollen drohen. Das andere Nationen des reichen Nordens. fragwürdigen Mittel sie noch bereit wä-
empfinden vor allem die Mittelmeer- Zweitens werden temporäre Flücht- ren einzusetzen, um jene, die nicht einge-
anrainer Italien und Griechenland so – lingsbewegungen wie heute in Nordafri- lassen werden sollen, weiter draußen zu
anders als Spanien, das mit seinem Wirt- ka vielleicht bald überlagert von Migrati- halten. Petra Steinberger

1%
aller afrikanischen
„Natürlich können nicht
alle Menschen, die
in Tunesien jetzt nicht
Flüchtlinge kommt nach
Europa. Die anderen sein wollen, jetzt nach
bleiben innerhalb Afrikas Europa kommen.“
Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin

„Zu erwarten ist ein


Exodus in biblischem

„Entweder wir helfen


Afrika im Kampf gegen
die Armut und Verzweiflung,
5000
bis 6000 Asylanträge etwa
Ausmaß, ein Problem, da
kein Italiener unterschätze
kann und darf.“
Franco Frattini, italienischer Außenminister
wurden 2010 in Italien
oder unsere gemeinsame genehmigt. Zwischen 700 000
Zukunft als Ort des und 1 Million illegale Einwander
Fortschritts und des leben im Land.
Wohlstands kann in Frage
gestellt werden.“
José Luis Rodríguez Zapatero,
spanischer Ministerpräsident

Verlierer
Das krisengeschüttelte Spanien hat für Flüchtlinge seine Anziehungskraft verloren
gen) Arbeitskräften und der illegalen Ein- Zahl der Bootsflüchtlinge, die „nur
Von Javier Caceres
wanderung radikaler darstellen? Durch die medial stark wirkende Schaum-
neuere Statistiken, die Innenminister Al- krone“ der Immigration waren, ei-

E
s gab mal eine Zeit, da schauten ei- fredo Pérez Rubalcaba im Januar vorleg- nen mitunter nicht mal zehnpro-
nige Spanier regelrecht beglückt te. Danach kamen im vergangenen Jahr zentigen Anteil der Gesamteinwande-
drein, wenn sich die Nachrichten 3632 Flüchtlinge auf dem Seeweg nach rerzahl ausmachten, erklärt Cohen.
mit Bildern von jungen, aber kräftigen Spanien – so wenige wie nie zuvor im vor- Dass die Zahlen derer zurückge-
Afrikanern füllten, die in einem schwim- angegangenen Jahrzehnt, 80 Prozent we- hen, die ihr Glück in Spanien suchen,
menden Etwas an die Küsten gespült wur- niger als noch anno 2000. Ein Grund für liege erstens daran, dass das Bild des
den. Das war, als in Spanien die Immobi- diesen Rückgang sei die Zusammenarbeit Hungerleiders, der nach Europa
lienblase wuchs, sprich: bis weit in die ver- mit den „Emissionsländern“ in Afrika, de- kommt, verzerrt ist, wie der franzö-
gange Dekade hinein. Als die Erwerbslo- ren Entwicklungshilfe Spanien nicht nur sische Migrationsforscher Michel
senrate bei acht Prozent lag und junge, aus ideologischer Motivation heraus auf- Peraldi sagt. Er interpretiert die
kräftige Spanier ihren Rücken nicht mehr gestockt hat. Sondern auch, weil Länder Einwanderungen aus Afrika vor
für jedes Geld krümmen wollten. wie Senegal, Mali, Marokko oder Algeri- allem als Ausdruck sozialer Mobi-
Ein paar Unternehmer betrachten den en Kooperationsabkommen unterzeich- lität, die afrikanische Staaten in
Überlebenskampf im Meer offenbar wie net haben, die Spaniens „Grenzen gleich- ihren Grenzen nicht gewährleis-
einen spektakulären Personalauslesepro- sam externalisiert“ und frühere „Transit- ten können. Eine 2010 vorgestell-
zess. Anders lässt sich das, was Spaniens länder faktisch in Einwanderungsländer te Studie des Roten Kreuzes be-
Ministerpräsident José Luis Rodríguez Za- verwandelt haben“, wie es Arón Cohen sagt, dass drei Viertel der afri-
patero vor einiger Zeit seinen sozialisti- formuliert, Professor für Humangeo- kanischen Auswanderer eine
schen Parteifreunden berichtete, kaum le- graphie an der Universität Granada. höhere Schulausbildung hat-
sen. Demnach sei Florentino Pérez, der Re- Spanien selbst hat allein 2010 die Zahl ten, 86 Prozent von ihnen sogar
al Madrid und den spanischen Baukon- der Grenzbeamten um 60 Prozent auf vergleichsweise gut bezahlte Arbeits-
zern ACS befehligt, zu Zapatero gekom- rund 16 000 erhöht. Daneben gibt es aber plätze. Zweitens komme es immer wieder
men und habe ihm gesagt, dass man Arbei- einen Grund für den Rückgang der „Cayu- zu kaum steuerbaren „Neukonfigurierun-
ter „in den ‚cayucos‘ suchen“ solle, wie die cos“, der Spaniens Regierung eher betre- gen“ der Flüchtlingsrouten, die innerafri-
schlichten Wasserfahrzeuge in Spanien ten macht: Auch in Afrika ist nicht unbe- kanische Ursachen habe. Und überhaupt
genannt werden. „Denn die, die merkt geblieben, dass in Spanien nun 20 werde vergessen, dass nur ein Prozent al-
(durch)kommen, sind wohl ganz gut.“ Prozent Arbeitslosigkeit herrschen. „Die ler afrikanischen Flüchtlinge es über-
Lässt sich der Zusammenhang zwi- Krise hat den Migrationsdruck vermin- haupt wagen, an Europas Tür zu klopfen.
schen der Nachfrage nach (möglichst billi- dert“, sagt Rubalcaba. Und damit die Der Rest flüchte innerhalb Afrikas.
Süddeutsche Zeitung Nr. 53 Seite V2/5

Wächter
Die EU-Einsatztruppe Frontex soll Europas Grenzen sichern – sie hat wenig Macht
meinsame Prinzipien zum Umgang mit Regierungen seien dafür hofiert und be-
von Cerstin Gammelin
Flüchtlingen erlassen und obendrein die zahlt worden, dass sie Flüchtlinge abfan-
Agentur Frontex gegründet, deren Name gen und diejenigen, die über die Grenze

D
as EU-Grenzschutzboot kreuzt von den französischen „frontières exté- entwischen, zurücknehmen. Italien habe
auf dem Mittelmeer. Ein Italiener rieures“ stammt. Sie soll die operative Zu- mit Libyen vor Jahren einen entsprechen-
führt das Kommando. Soeben ha- sammenarbeit der 27 europäischen Län- den bilateralen „Freundschaftsvertrag“
ben die Grenzschützer einen Kahn voller der beim Schutz der gemeinsamen Gren- geschlossen. Offensichtlich funktioniert
Flüchtlinge gestoppt. Auf der Brücke zen koordinieren, die insgesamt deutlich der Beistand so gut, dass die europäi-
kommt es zum Streit. „Wir schicken sie länger sind als der Äquator. Aber alle Vor- schen Regierungen 2008 beschlossen, die-
zurück“, befiehlt der Kapitän. Der Beam- schriften nutzten nichts, wenn sie von ei- sen auf alle Länder auszudehnen.
te der europäischen Grenzschutzagentur nigen Regierungen nicht beachtet wür- Europa unterläuft nicht nur die eige-
Frontex widerspricht. Die Flüchtlinge den, sagt Weber. Oder wenn sie, wie im nen Standards, sondern verliert auch an
müssen über ihre Rechte aufgeklärt und Falle von Europas obersten Grenzschüt- Glaubwürdigkeit, sagt Brantner. „Men-
jeder Einzelfall geprüft werden, pocht er zern, zu schlaff gefasst sind. Frontex be- schen abzufangen oder von vornherein ih-
auf europäische Vorschriften. sitzt weder Schiffe noch Helikopter noch re Abschiebung in Diktaturen zu verein-
Der Kapitän winkt ab. Zurückschi- Entscheidungsgewalt. Die Agentur ist baren, lässt sich schwer mit demokrati-
cken, so lautet der klare Auftrag seines In- darauf beschränkt, Mitgliedsstaaten, die schen Prinzipien und Menschenrechten
nenministers Roberto Maroni, der kürz- das wollen, bei der Grenzsicherung zu hel- vereinbaren.“ Gleiches gelte für die vor
lich sogar vorschlug, bewaffnete Carabi- fen. Sie muss passiv bleiben, weil die Mit- den Unruhen in der Heimat geflüchteten
nieri nach Tunesien zu senden, um den in gliedsstaaten am Ende doch lieber selbst Tunesier. Oder für Finanzhilfe an Tripo-
Rom befürchteten „Massenexodus bibli- entscheiden, was zu tun ist. Weber for- lis. Erst im Januar waren EU-Kommissi-
schen Ausmaßes“ zu verhindern. Zwar dert, dies zu ändern: „Wenn Rom die Fron- onsbeamte nach Libyen gereist, um zu er- auch andere Politik
scheiterte er mit diesem Ansinnen an euro- tex-Leute um Hilfe bittet, müssen die kunden, wie die als „Unterstützung zur machten. Auch inner-
päischen Kollegen, aber auf dem Grenz- auch das Kommando übernehmen dür- Bearbeitung des Flüchtlingsproblems“ halb der eigenen Gren-
schutzboot sprechen die Fakten für ihn: fen.“ Auch Frontex-Chef Ilkka Laitinen zugesagten Millionen Euro am besten an- zen muss sich Europa be-
Rom hat das Boot gestellt. Rom führt das will mehr Kompetenzen und künftig gelegt werden könnten: unter anderem wegen, um den grassieren-
Kommando. Frontex hilft lediglich da- nicht um jedes Schiff und jeden Euro in für Späh-Technik und schnelle Kranken- den Asyl-Tourismus zu stop-
bei, die Grenzen zu schützen, ohne Ent- den Hauptstädten betteln müssen. wagen, hieß es später. Mitte Februar noch pen. Weil nämlich Länder wie Schweden,
scheidungen treffen zu dürfen. Der Beam- Für die grüne Außenpolitikerin im Eu- schickte Gaddafi einen Minister nach die Niederlande oder Belgien leichter An-
te muss klein beigeben. Das Boot wird zu- ropaparlament Franziska Brantner ist Brüssel, um den Deal festzuzurren. träge genehmigen als Italien oder Grie-
rückgeschickt, und zwar sofort. der Streit um die Kompetenzen der Grenz- Bisher hat sich die Angst der Europäer chenland, haben sich Schlepper darauf
Diese Szene sei zwar fiktiv, so oder ähn-
lich wiederhole sie sich aber ständig,
wenn europäische Grenztruppen zur See,
truppen nur einer von vielen. Insgesamt
könne von einer menschenwürdigen
Flüchtlingspolitik „keine Rede“ sein.
vor einer spürbaren Völkerwanderung
aus Nordafrika auf den alten Kontinent
als unbegründet erwiesen. Unabhängig
spezialisiert, ihre Klientel quer durch Eu-
ropa zu schmuggeln. Dass Tausende Men-
schen dafür ihr Leben aufs Spiel setzen,
Aufseher
in der Luft oder auf dem Land eingesetzt Brantner stellt den verantwortlichen Poli- davon, ob sich das ändert, ist Brantner kann nur verhindert werden, wenn Asyl- Griechenland ist mit den Flüchtlingen überfordert
seien, erzählt der CSU-Europa- tikern ein vernichtendes Zeugnis aus. überzeugt, dass die Europäer ihren Um- anträge in allen Ländern nach den glei-
abgeordnete und Vizefraktionschef Man- Das Konzept der Europäischen Union gang mit illegalen Flüchtlingen, aber chen Kriterien bearbeitet und anerkann-
fred Weber seufzend. Sie offenbare das basiere darauf, „dass sie mit Despoten auch mit Asylanten ändern müssen. Ab- te Flüchtlinge fair auf alle EU-Länder manchen Tagen waren es mehr als 300, die
von Kai Strittmatter
große Manko europäischer Flüchtlingspo- kooperiert, um zu verhindern, dass über- sehbar sei, dass die kooperativen Despo- verteilt werden. Auch das hält Brantner auf der griechischen Seite aufgegriffen
litik. Zwar haben die Europäer einige ge- haupt Flüchtlinge ankommen“. Korrupte ten abdankten und neue Regierungen für eine Frage der Menschenrechte. wurden. „Das ist, als ob wir jeden Tag

I
stanbul. Hier kommen sie alle durch. zwei neue Dörfer bekämen“, sagte der
Hier will keiner bleiben. Es drängt sie Bürgerschutzminister im Januar. Er nann-
weiter. Richard zum Beispiel, 26, aus te die Migration eine „Bombe“ für die grie-
Nigeria. „Zurück nach Hause? Nie im Le- chische Gesellschaft.
ben.“ Die Türkei ist die Brücke, Griechen- Griechenland ist hoffnungslos überfor-

260 000
land ist das Tor, Europa ist das Ziel. „Und dert. „Katastrophal“, „unmenschlich“
wenn ich es fünf Mal versuchen muss.“ und „erniedrigend“ – Worte aus dem
Manche kommen zu Fuß in die Türkei, aus Mund des UN-Sonderberichterstatters
Syrien, aus Iran. Manche im Laderaum ei- für Menschenrechte, Manfred Nowak,
nes Lasters, aus dem Irak, aus Afghanis- nachdem er im vergangenen Oktober grie-
tan. Manche mit dem Flugzeug, aus Gha- chische Lager besucht hatte. Das Lager
Asylanträge wurden 2009 na, aus Ägypten. Einige landen auf Istan- Pagani auf der Insel Lesbos musste 2009
in der EU eingereicht. buls Atatürk-Flughafen und denken, sie geschlossen werden, nachdem ein heim-
seien schon in Europa: Ihr Schleuser hat lich gedrehtes Video für einen internatio-
Jährlich kommen zwischen 500 000 sie reingelegt. In Istanbul suchen sie sich nalen Aufschrei sorgte. Anderswo sieht es
und 1 Million illegale Einwanderer dann einen neuen. Weiter, nach Westen. kaum besser aus: Zellen mit mehr als 40 In-
„Wir erzählen ihnen von den Ertrunke- sassen, kaputte Toiletten, verdreckte Ma-
nen, von den Gefängnissen und Lagern, tratzen. Inhaftierte Kinder, denen nicht
von den grauenvollen Zuständen, die sie einmal der Hofgang gestattet wird, weil
in Griechenland erwarten“, sagt die Ame- nicht genügend Aufsichtspersonal zur Ver-
rikanerin Sarah, die seit zehn Jahren in fügung steht. „Bilder, für die sich ganz Eu-
Istanbul Flüchtlinge betreut und die ihren ropa schämen muss“, befand im Januar
richtigen Namen nicht nennen möchte, die Bild, die einen Reporter zu den
m weil ihre Organisation von den türkischen „Elends-Baracken“ geschickt hatte. Dazu
Behörden zwar geduldet, aber nicht offizi- kommt eine Bürokratie, bei der sich
das ell registriert ist. „Ich versuche, sie zurück- 50 000 unbearbeitete Asylanträge stapeln
ätzen zuhalten. Aber es ist mir bei kaum einem
gelungen.“ Die meisten wollen im Boot
– und die von den wenigen bearbeiteten ge-
rade 0,3 Prozent positiv beschieden hat
„So mancher will vielleicht, über die Ägäis, andere schwimmen über (EU-Durchschnitt sind 30 Prozent).
den Grenzfluss, den die Türken Meric und Für viele Missstände war die 2009 abge-

90 %
ster dass Griechenland ein die Griechen Evros nennen. Dutzende er- löste konservative Regierung verantwort-
trinken. Und mehr und mehr lassen sich lich, die regierenden Sozialisten haben
Langzeit-Gefangenenlager über jenen Landstrich schleusen, wo der Besserung versprochen und im Februar ei-
für Migranten wird, die in der Evros einen Schlenker hinein in die Tür- ne neue Asylbehörde geschaffen. Das än-
kei macht, wo auf einer Länge von 12,5 Ki- dert aber nichts an dem stärker werden-
Hoffnung kommen, andere lometern trockenes Land die Grenze bil- den Gefühl der Griechen: Wir werden
der Flüchtlinge, die nach det zwischen der Türkei und Griechen- überrannt. Und Europa lässt uns im Stich.
EU-Staaten zu erreichen. Europa wollen, kommen land. Kein anderer Landstrich steht so für Die EU hat im November 175 Frontex-
Aber die griechische über Griechenland das Bild von der „Festung Europa“, seit Beamte an den Evros geschickt. Seither
die griechische Regierung angekündigt ist die Zahl der Grenzübertritte zurückge-
Gesellschaft kann diese hat, hier einen unüberwindbaren Grenz- gangen. Aber noch immer gibt das Dublin-
Last nicht länger ertragen.“ zaun bauen zu wollen: mit Stacheldraht, II-Abkommen allen EU-Staaten das
Radar und Wärmesensoren. „Wenn wir Recht, Asylbewerber in jenes EU-Land zu-
Christos Papoutsis, griechischer Minister ihn morgen schon aufstellen könnten“, rückzuschicken, das sie als erstes betreten
für Bürgerschutz sagt Christos Papoutsis, der Minister für haben – also nach Griechenland. Ange-
Bürgerschutz, „wir würden es tun.“ sichts der offenkundigen Menschenrechts-
Griechenland hat Angst vor dem Kol- verletzungen beschlossen im Januar sechs
laps. Es ist noch nicht lange her, da waren EU-Länder, darunter auch Deutschland,
Spanien, Frankreich und Italien beliebte keine Asylbewerber mehr nach Griechen-
Ziele der Menschenschmuggler. Das ist – land zu deportieren. Aber nicht nur die

Verkäufer bei allen Klagen der Italiener – vorbei:


Noch 2008 registrierte die EU die Hälfte
aller Festnahmen von illegalen
Griechen fordern mehr: „Es muss endlich
eine Verteilung der Lasten erfolgen“, for-
derte der Vorsitzende des Ausschusses für
Italien hat das Flüchtlingsproblem mit lukrativen Verträgen nach Libyen ausgelagert: Jetzt kommt die Angst Immigranten in Griechenland. Heute sind Menschenrechte im Bundestag, Grünen-
es 90 Prozent: Neun von zehn Flüchtlin- Abgeordnete Tom Koenigs, nachdem er
gen, die nach Europa wollen, kommen im November Lager in der Nähe des Evros
Europas waren es rund 65 000. Und für Schon 2009 kamen nur noch 9500 Men- beschossen. Allerdings handelte es sich über Griechenland. Athen schätzt, dass besucht und „Erschütterndes“ gesehen
von Andrea Bachstein
mindestens 600 bis 700 endete der Ver- schen auf Schleuserbooten an, 2010 waren um sizilianische Fischer. Zur großen Bla- im vorigen Jahr 128 000 Illegale die Gren- hatte. Europa, so Koenigs, dürfe sich ange-
such tödlich. es sogar unter 4000. Innenminister Maroni mage von Italiens Regierung waren auch ze überquert haben. Und die Zahl derer, sichts der „humanitären Katastrophe“

8
0 000 könnten noch kommen, sagte Die Lage wurde unhaltbar. Angesichts von der Lega Nord lobte den Vertrag als italienische Beamte an Bord des libyschen die es über die Landgrenze am Evros ver- nicht länger vor seiner Verantwortung
Italiens Innenminister Roberto Ma- der Schiffsunglücke aus humanitären Musterabkommen für Europa. Das Auf- Schiffes, die nicht eingreifen konnten. suchen, hat sich in nur einem Jahr ver- drücken. Griechenland braucht Hilfe.
roni, als die ersten 5000 Bootsflücht- Gründen, aber auch aus Selbstschutz. Ne- nahmelager auf Lampedusa wurde ge- Doch die Flüchtlinge blieben fern, und zehnfacht: auf 36 000 im Jahr 2010. An Dringend.
linge aus Tunesien vor drei Wochen auf ben den etwa 4,2 Millionen legalen Immi- schlossen – Symbol des Erfolgs der Regie- die Geschäfte liefen. Rund 125 italieni-
Lampedusa landeten. Und seit nach dem granten ging Italien 2008 von 650 000 ille- rung im Kampf gegen illegale Einwande- sche Firmen waren zuletzt dort tätig, es
Umbruch in Tunesien und Ägypten auch galen Ausländern im Land aus. Sie galten rung. Dass es längst konkrete Hinweise soll um 40 Milliarden Euro gehen.
die Libyer im Aufstand sind, geistern als Gefahr für die innere Sicherheit. Seit auf Misshandlungen von Flüchtlingen in Natürlich sind auch Waffen im Spiel.
noch ganz andere Zahlen von Rom bis 2004 hatte Italien sich eingesetzt, das Em- Libyen und Aussetzungen in der Wüste ge- Gaddafi soll 2008 beim globalen
Brüssel: 250 000 oder eine halbe, gar eine bargo gegen Libyen zu beenden – in der geben hatte, zählte wenig. UNHCR-Direk- Waffenshopping 1,1 Milliar-
Dreiviertelmillion Menschen könnten sich Hoffnung auf Unterstützung bei der Mi- tor Antonio Guterres sagte im Herbst den Dollar ausgegeben
nach Europa aufmachen. Es brauchte gar grantenabwehr. 2007 schloss die Mitte- 2009, Libyen sei „nicht in der Lage, Asyl- haben. Was er davon
nicht die Drohung des verschanzten Des- Links-Regierung Romano Prodis ein Ab- suchenden einen Schutzraum zu gewäh- zur Abwehr von
poten aus Tripolis, er werde alle Tore auf- kommen mit Tripolis. Libyen sollte Schif- ren“. Nach libyscher Lesart gab es aber im Flüchtlingen oder ge-
machen, damit die Flüchtlinge strömen. fe erhalten und Hilfe für ein Grenzüberwa- Land Gaddafis gar keine Flüchtlinge, son- gen sein ihn lieben-
Der Blick übers Mittelmeer war schon chungssystem. Den entscheidenden Pakt dern nur Illegale, die verhaftet werden. des Volk eingesetzt
tiefbesorgt, nicht nur wegen der potentiel- schloss 2009 die Regierung unter Silvio Wie viele Menschen aus Schwarzafrika hat, erfährt man viel-
len Migranten aus Nordafrika: Die wahre Berlusconi. Rom und Tripolis vereinbar- oder dem Irak in libyschen Gefängnissen leicht. Gas und Öl
Furcht gilt einer unkalkulierbaren Zahl ten, dass Libyen Migranten entweder und Lagern eingesperrt wurden, ist nicht aus Libyen und die
von Zuwanderern aus Schwarzafrika, für noch auf eigenem Gebiet aufhält oder sie gesichert. Experten gehen von Zehntau- Geschäfte erschei-
die mit den bisherigen Regimes die Barrie- von gemeinsamen Schiffspatrouillen auf senden aus. Human Rights Watch hielt nen eigentlich
ren fallen könnten. Ein Albtraum für Itali- dem Meer gestoppt und zurückgeschickt Aussagen fest von Flüchtlingen, die miss- plausibel als Mo-
en mit seinen 7600 Kilometern Küste. Mu- werden. Fünf Milliarden Dollar war Itali- handelt wurden in libyschen Abschiebela- tive für Roms
ammar al-Gaddafi hatte das Land vor- en bereit zu zahlen, offiziell Abfindung gern. Filmaufnahmen zeigen im Sand ver- Kotau vor dem
übergehend erlöst. Italien erinnert sich für die Schuld aus der Kolonialzeit. dorrte Leichen von Menschen, die offen- Irren in Tripolis.
schaudernd, wie von 2005 an immer mehr Schließlich musste Libyen als Energielie- bar aus Libyen in die Wüste geschickt wur- Doch einer der Wichti-
Menschen die Überfahrt ins verheißungs- ferant bei Laune gehalten werden. Italiens den. Dass libysche Militärboote Flüchtlin- gen in Italiens Wirtschaft, der
volle Europa gewagt hatten. 2008, dem Firmen sollten von den Abkommen profi- ge auch einfach unter Feuer nehmen, be- nicht zitiert werden will, hat jetzt
Höchststand, landeten 36 000 Bootsflücht- tieren und Libyens Infrastruktur aufbau- stätigte sich spätestens vergangenes Jahr. gesagt: Im Grunde ging es immer nur
linge in Italien, in alle Mittelmeerländer en. Der Effekt war durchschlagend. Da wurde ein vermeintliches Fluchtschiff um die Flüchtlinge. Illustrationen: J. Mockeviciute; Fotos: AFP (3); AP; dpa (2); Reuters; Scavuzzo/Eidon/Ropi

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