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ARTHUR DREWS

DIE PETRUSLEGENDE

DRITTES BIS FÜNFTES TAUSEND


VÖLLIG UMGEARBEITETE AUSGABE
VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS IN JENA
1924
DIE MENSCHHEIT LEBT VON WAHNVOR-
STELLUNGEN UND WILL BETROGEN WERDEN

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSET-


ZUNG IN FREMDE SPRACHEN VORBEHALTEN/COPY-
RIGHT 1924 BY EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA

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VORWORT
Zum drittenmal erscheint hiermit die Petruslegende, und
zwar diesmal in vollständig umgearbeiteter Gestalt, nachdem
sie seit Jahren im Buchhandel vergriffen war. Ihr erstes Er-
scheinen im Jahre 1910 hat ihr heftige Angriffe: nicht nur,
wie zu erwarten war, von römisch-katholischer, sondern auch
von protestantischer Seite zugetragen, offenbar vorwiegend
aus der Befürchtung heraus, daß mit der Leugnung der Ge-
schichtlichkeit des Petrus auch die Jesu ins Wanken geraten
könne. Nachdem sich im Kampfe um die „Christusmythe"
inzwischen herausgestellt hat, auf wie schwachen Füßen die
Annahme eines geschichtlichen Jesus ruht, und nachdem
meine Werke „Das Markusevangelium als Zeugnis gegen
die Geschichtlichkeit Jesu" (1921), „Der Sternhimmel in der
Dichtung und Religion der alten Völker und des Christen-
tums" (1923) und „Die Entstehung des Christentums aus dem
Gnostizismus" (1924) das rein erdichtete Gepräge der Evan-
gelien, wie ich glaube, für jeden, der nur sehen will, außer
Zweifel gestellt haben, dürfte die Behauptung, daß auch hin-
ter der Gestalt des Apostels Petrus keine irgendwie geschicht-
liche Persönlichkeit steht, und die Aufdeckung ihres mythi-
schen Hintergrundes nicht mehr als so gewagt erscheinen.
Was insbesondere von theologischer Seite gegen meine be-
züglichen Ausführungen, z. B. gegen die Gleichsetzung von
Petrus mit Petros (Mithra, Proteus, Petra) eingewendet wor-
den ist, beruht teils auf einer verkehrten Auffassung meiner
Darlegungen — als ob ich einen sprachlichen Zusammenhang
zwischenjenenNamenhättebehaupten wollen — teilsauf offen-
barer Unkenntnis und hat, wenn irgend etwas, nur die Hilf-
losigkeit der betreffenden Kritiker gegenüber den mythologi-
schen Tatsachen enthüllt. Ich habe in dieser Beziehung von
meinen Aufstellungen nichts zurückzunehmen. Was aber
meine Ausführungen über den Aufenthalt des Petrus in Rom
und die Stiftung des Papsttums durch den „Apostelfürsten"
anbetrifft, so weiß ich mich hier mit so vielen vortrefflichen
Forschern einig und stützt sich diese Ansicht auf so un-

1 Drews Petruslegende 1

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widerlegliche Gründe, daß die Gegner erst dann werden be-
anspruchen können, mit ihrer gegenteiligen Annahme ernst
genommen zu werden, wenn sie bessere Beweise als bisher für
ihre Meinung vorzubr ingen haben. Ihre neuerdings so be-
liebte Berufung auf die jüngsten römischen Ausgrabungen
vermag ich als einen solchen Beweis jedenfalls nicht anzu-
sehen. Denn die Ergebnisse dieser Ausgrabungen sind der-
artig, daß nur theologische Verbohrtheit oder Gedankenlosig-
keit und der fromme Glaube, der bekanntlich selbst Berge zu
versetzen imstande ist, sie für die Wahrheit der Überlieferung
in Anspruch nehmen kann. Im übrigen weiß ich nur zu wohl,
wie groß die Leichtgläubigkeit auf religiösem Gebiete ist, wo
das Seelenheil in Frage kommt, und "wie sicher die Kirche
gerade auf diesem Grunde ruht: in der Tat ein „Felsen", auf
dem man eine Kirche errichten kann. Mag sie also auch in
Zukunft ruhig weiter auf ihren „Felsen Petri" pochen: wenn
ich im folgenden den Nachweis zu liefern unternommen habe,
daß dieser „Felsen" nicht Granit, sondern — Pappe ist, so
zähle ich dabei auf solche Leser, denen wirklich an der ge-
schichtlichen Wahrheit und nicht bloß an der Aufrechterhal-
tung der Überlieferung um des Glaubens willen gelegen ist.
Karlsruhe, im Juni 1924 Arthur Drews

2
PETRUS IM NEUEN TESTAMENT
I. IN DEN EVANGELIEN
Matthäus 16,18 u. 19 spricht Jesus zu seinem Jünger Petrus,
als dieser auf die Frage, wer er sei, ihn für den Christus, den
Sohn des lebendigen Gottes, erklärt: „Du bist Petrus, und auf
diesen Felsen will ich meine Gemeinde (ekklesia = Kirche)
bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwälti-
gen. Ich will dir die Schlüssel des Reichs der Himmel geben,
und was du bindest auf der Erde, soll in den Himmeln ge-
bunden sein, und was du lösest auf der Erde, soll in den Him-
meln gelöst sein."
Die Stelle hat die verschiedenartigste Beurteilung erfahren.
Die römisch-katholische Kirche gründet auf sie den sog.
Primat des Petrus, die Ansicht von dem Vorrang dieses Jün-
gers vor allen übrigen, und damit ihre Rechtsansprüche auf
die Herrschaft über die anderen Kirchenbildungen nicht bloß,
sondern auch über die Seelen. Hingegen stimmt die prote-
stantische Kritik im allgemeinen darin überein, daß die Stelle
das Einschiebsel einer späteren Zeit im Interesse der kirch-
lichen Machtansprüche darstelle und die angeführten Worte
im Munde Jesu eine offenbare Unmöglichkeit seien.
Und in der Tat, wenn irgend etwas über Jesus, wie die
Evangelien ihn uns schildern, feststeht, so jedenfalls dies, daß
ihm nichts ferner gelegen haben kann, als eine Gemeinde-
oder Kirchengründung im Sinne des römischen Katholizismus.
Jesus glaubte nach den Evangelien an das nahe bevorstehende
Weltende. Mit dieser Verkündigung soll er seine Sendung an-
getreten haben. Sie bildet den durchgehenden Gegenstand
aller seiner Lehren, die Voraussetzung, die seiner gesamten
Ethik zugrunde liegt und die allein seinen Sittensprüchen erst
ihre erschütternde Kraft und „einzigartige" Färbung ver-
leiht, ohne die sie zu Gemeinplätzen einer bloßen volkstüm-
lichen Moralpredigt herabsinken. Der evangelische Jesus zeigt
sich aufs tiefste überzeugt von der unmittelbaren Nähe des
sog. Himmelreiches, d. h. der messianischen Endzeit und sei-
ner eigene n Wiederkunft in den Wolken des Himmels zur

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Aufrichtung der von allen so sehnsüchtig erwarteten Gottes-
herrschaft. Er zweifelt nicht, daß der Untergang des gegen-
wärtigen Zustandes hereinbrechen und diese Welt zugrunde
gehen werde, noch bevor das gegenwärtige Geschlecht aus-
gestorben sein, ja, vielleicht alsbald, nachdem sein eigenes
Geschick auf Erden sich erfüllt haben würde: und da hätte
er noch kurz vor Toresschluß so etwas wie eine Gemeinde,
eine Kirche gründen sollen ? Das ist genau so unwahrschein-
lich, wie daß er das Abendmahl „zu seinem Gedächtnis" ein -
gesetzt haben sollte, wo er das Ende doch bereits so nahe vor
der Türe sah, daß er mit einer solchen Einsetzung sich selbst
aufs schroffste widersprochen haben würde.
Es kommt hinzu, daß die angeführten Matthäusworte auch
nicht im Einklang stehen mit anderen Äußerungen Jesu, in
denen er nicht nur einem Jünger allein, sondern allen die
Vollmacht zuspricht, zu binden und zu lösen. So heißt es in
demselben Evangelium des Matthäus 18, 18: „Wahrlic h, ich
sage euch, was ihr auf Erden bindet, wird im Himmel ge-
bunden sein, und was ihr löset auf der Erde, wird im Himmel
gelöst sein."1 Es handelt sich dabei dem Zusammenhange
nach um den Erlaß der Sündenschuld. Matth. 19, 28 stellt
Jesus seinen Jüngern zwar die feierliche Ausübung des höch-
sten Richteramtes über Israel bei seiner Verherrlichung in
Aussicht, allein wiederum ohne irgendeinen der Jünger be-
sonders zu bevorzugen. Ja, nach Matth. 20, 20ff. weist er die
Ansprüche der Söhne des Zebedäus oder ihrer Mutter, es
möchte in seinem Reiche einer von ihnen zu seiner Rechten,
der andere zur Linken sitzen, sogar ausdrücklich mit den
Worten ab: „Das Sitzen zu meiner Rechten und Linken habe
ich nicht zu verleihen; das kommt an die, welchen es bereitet
ist von meinem Vater", und er fügt hinzu: „Ihr wisset, daß
die weltlichen Völker herrschen und die Oberherrn Gewalt
haben. Nicht also soll es bei euch sein. Sondern wer unter
euch groß werden will, der soll euer Diener sein, und wer
unter euch der erste sein will, der soll euer Knecht sein."
Jesus verwahrt sich also entschieden gegen jede Rangord-

1
Vgl. Joh. 20, 23.

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nung unter seinen Jüngern und wird nicht müde, die Seinigen
zur Demut zu ermahnen: „Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen
lassen; denn einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder.
Auch Führer sollt ihr euch nicht nennen lassen; denn einer
ist euer Führer, der Christus. Der größte unter euch soll euer
Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt
werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht wer-
den,"1 Es ist schlechterdings unmöglich, zu glauben, daß je -
mand, der dies seinen Jüngern eingeschärft hat, trotzdem
einem einzigen von ihnen eine besondere Stellung über den
anderen sollte zugesprochen haben. Jesus weist nach dem
Evangelium des Johannes den Petrus sogar ausdrücklich in
seine Schranken, als dieser, einen besonderen Vorrang bean-
spruchend, auf den Johannes hindeutet und ihn fragt: ,,Herr,
was soll dieser?" „So ich will," antwortet er ihm, „daß er
bleibe, bis ic h komme, was geht es dich an? Folge du mir
nach." Ähnlich aber weist auch Paulus darauf hin, daß im
Garten Gottes alle gleich seien, Diener des Höchsten, und
Christus der einzige Grund sei, auf den die Seinen bauen
sollten: „Darum rühme sich niemand eines Menschen. Es ist
alles euer. Es sei Paulus oder Apollos, es sei Kephas (Petrus)
oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegen-
wärtige oder Zukünftige: alles ist euer. Ihr aber seid Christi,
Christus aber ist Gottes."2
Wer ist eigentlich dieser Petrus, der nach der angeführten
Matthäusstelle so merkwürdig über seinesgleichen erhöht
wird?
Nach der Darstellung des ältesten und angeblich zuver-
lässigsten Evangelisten Markus führt er ursprünglich den
Namen Simon, ist ein Bruder des Andreas und übt mit die -
sem zusammen das Fischerhandwerk am See Genezareth aus.
Ein offenbar sehr gutgläubiges Menschenpaar. Denn als die
Brüder eines Tages gerade ihre Netze auswerfen und Jesus
an beiden vorbeigeht und ihnen zuruft: „Folget mir nach,
so will ich euch Menschenfischer werden lassen", da lassen
Simon und Andreas alsbald ihre Netze im Stich und folgen
l
Matth. 23, 18ff. 2 I. Kor. 3,21 ff.

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ihm ohne weiteres Besinnen nach, wie magnetisch von ihm
angezogen. 1 Leider ist nur die ganze Geschichte samt dem
Worte von den Menschenfischern dem Alten Testament ent-
lehnt und geht auf die Geschichte des Elisa zurück, der dem
Elias gleichfalls ohne Säumen nachfolgt, als dieser ihn vom
Pflügen fortruft.2 Wir brauchen ihr also keinen Glauben zu
schenken. Abermals tritt Petrus bei Markus hervor, als Jesus
zu Kapernaum seine am Fieber erkrankte Schwiegermutter
heilt.3 Aber auch diese Geschichte verdient kein Vertrauen.
Sie ist, abgesehen davon, daß sie vom Sternhimmel abgelesen
ist, der Heilung des Vaters des Publius durch Paulus in der
Apg. 28, 6ff. nachgebildet.4 Dann erfahren wir Mk. 3, 13ff.,
daß Jesus zwölf Männer um sich versammelt, um sie zur
Verkündigung und mit der Vollmacht auszusenden, die Dä-
monen auszutreiben, bei welcher Gelegenheit er dem Simon
den Namen Petrus, d. h. Fels, gibt. Mk. 5, 37 ist Petrus der-
jenige, der zusammen mit Jakobus und dessen Bruder Jo-
hannes, der Auferweckung der Tochter des Jairus beiwohnen
darf. Da indessen diese ganze Geschichte gleichfalls nur aus
der ähnlichen Totenerweckung des Elias und Elisa5 zusam-
mengesponnen ist,6 so braucht man sich auch hierbei nicht
weiter aufzuhalten. Dann erzählt auch Markus 7 die Ge-
schichte des Petrusbekenntnisses, aber bedeutend kürzer und
schlichter als Matthäus. Auf die Frage Jesu, wer er sei, ant-
wortet Petrus nur einfach: ,,Du bist der Christus." Der wei-
tere Verlauf der Erzählung ist dann freilich ebenso wie bei
Matthäus. Die Leidensweissagung Jesu veranlaßt Petrus, die -
sen zu schelten. Dafür wird er von Jesus zurechtgewiesen
und sogar „Satan" genannt, ohne daß dies recht verständ-
lich wird. Gleich darauf darf er dann allerdings Jesus mit
Jakobus und Johannes auf den Berg begleiten und Jesu Ver-
klärung zuschauen. Dabei erscheinen ihnen die Gestalten des
Moses und Elias, und Petrus ge rät darüber so außer sich,
1
Mk. 1, 16ff. 2 S. mein Werk: Das Markusevangelium als Zeugnis
gegen die Geschichtlichkeit Jesu 1921, 77ff. 3 Mk. 1, 29ff. 4 Mar-
kusevg. 88. 6 1. Kge. 17, 17ff.; 2. Kge. 4, 8ff. 6 Markusevg. 135ff.
7
8, 27 ff.

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daß er nicht weiß, was er sagen soll, und Unsinn redet, wenn
er vorschlägt, für Jesus, Moses und Elias je ein Zelt zu bauen.
Wir erfahren indessen nicht, daß Jesus ihn wegen dieser
Torheit tadelt,1 und entnehmen aus einem Blick auf das Alte
Testament, daß auch die ganze Verklärungsgeschichte in die -
sem ihre Quelle hat: nämlich in der Verklärung des Moses
auf dem Berge Sinai. 2 Wohl aber muß Petrus sich eine solche
Zurechtweisung gefallen lassen, als er auf die Bemerkung
Jesu, alle seine Jünger würden ihn in der Stunde der Gefahr
verlassen, auf das kräftigste beteuert, daß er dies niemals
tun werde.3 Allein auch diese Geschichte ist teils auf Grund
des Weissagungsbeweises des Alten Testaments zustande ge -
kommen, teils im Hinblick auf die petra skandalou, den „Fel-
sen des Ärgernisses" und „Stein des Anstoßes", wie Paulus
Rom. 9, 33 das Jesaiawort 8, 14 wiedergibt, das der Evan-
gelist auf den Namen Petrus, d. h. Felsen oder Stein, be-
zieht.4 Auch die Gethsemanegeschichte mit dem Schlaf der
drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes ist teils dem Alten
Testament, teils der Verklärungsgeschichte sowie dem Gleich-
nis vom Türhüter 5 nachgebildet und entbehrt aller geschicht-
lichen Tatsächlichkeit.6 Und dasselbe gilt auch von der Ver-
leugnung des Petrus,7 die der petra skandalo u des Paulus
und Jesaia nur einen neuen Ausdruck gibt.8 Zuletzt wird
der Name des Petrus im Markusevangelium von dem Engel
am Grabe Jesu erwähnt, der den Weibern aufträgt, „seinen
Jüngern und dem Petrus" mitzuteilen, daß Jesus ihnen nach
Galiläa vorangegangen sei und sie ihn dort wiedersehen wür-
den. Man wird indessen auch dies wohl kaum für eine „ge-
schichtliche Notiz" erachten wollen.
Die Untersuchung des ältesten Evangeliums ergibt also
hiernach nichts, was als „geschichtliche Erinnerung" an Pe-
trus angesehen werden könnte. Sehen wir zu, was die übrigen
Evangelisten dem hinzuzufügen haben.
Da ist zunächst bei Matthäus der Zusatz zur Geschichte
1
Mk. 9, 2ff. 2 Ex. 24; vgl. Markusevg. 182ff. 3 Mk. 14, 26ff.
4
Markusevg. 258. 5 Mk. 13, 33ff. 8 Markusevg. 14, 32ff. 7 Mk.
14, 66 ff. 8 Markusevg. 275ff.
7

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des zur Nachtzeit auf dem See wandelnden Jesus, daß Petrus
sich erbietet, zu ihm zu kommen, aber alsbald auf dem
Wasser von Kleinmut befallen wird und zu sinken droht, von
Jesus jedoch bei der Hand gefaßt und wegen seines Klein-
glaubens gescholten wird. 1 Die Geschichte ist zu offenkun-
dig nur eine dichterische Veranschaulichung der Kraft des
Glaubens und trägt auch ein zu märchenhaftes Gepräge, um
für geschichtlich angesehen werden zu können. Als Jesus
sich über die Reinheit ausspricht und sich dabei eines für
jeden gewöhnlichen Menschen ohne weiteres verständlichen
Gleichnisses bedient, bittet Petrus ihn, dieses Gleichnis zu
deuten.2 Dann fordert Jesus Matth. 17,24 ff. ihn auf, die Angel
in den See auszuwerfen, den ersten Fisch, der heraufkommt,
zu nehmen und ihm das Maul zu öffnen; da werde er das für
die Steuer nötige Geldstück finden: es ist das aber ganz gewiß
doch nur ein — Märchen. 3 Matth. 18, 21 stellt Petrus die
Frage an den Herrn, wie oft er seinem Bruder zu vergeben
habe, um Jesus die Gelegenheit zur Erzählung des Gleich-
nisses vom mitleidslosen Schuldner zu liefern. Man sieht,
unsere geschichtliche Kenntnis der Person des Petrus wird
selbst durch Matthäus, trotz seiner offenbaren Vorliebe für
diesen Jünger, die sich u. a. auch darin äußert, daß er mit
Nachdruck den Petrus als den ersten unter allen Aposteln
aufzählt,4 nicht bereichert.
Als eine solche Bereicherung wird man auch die Geschichte
vom wunderbaren Fischzug bei Lukas 5, 1 ff. nicht ansehen
wollen, gelegentlich dessen Jesus ihn zum „Menschen-
fischer" bestimmt. Handelt es sich doch auch hier nur um
ein uraltes Märchenmotiv, wie es sich u. a. auch in Tausend-
undeiner Nacht verwertet findet. Aber auch die Worte, die
Jesus im Hinblick auf die bevorstehende Verleugnung durch
Petrus nach dem Lukasevangelium 22, 31 an diesen Jünger
richtet, bringen uns nicht weiter: „Simon, Simon, siehe der
Satan hat sich ausgebeten, euch zu sichten wie den Weizen.
1
Matth. 14, 25ff. 2 15, 15. 3 S. mein Werk: Der Sternhimmel in
der Dichtung u. Religion d. alten Völker u. d. Christentums, eine
Einführung in die Astralmythologie 1923, 268. 4 Matth. 10, 2.

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Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aus-
gehe, und du, wenn du dereinst dich bekehrt, stärke deine
Brüder." Sie besagen nur einfach, daß Petrus nach seiner
Verleugnung kraft des Gebetes Jesu bald wieder zu sich selbst
kommen und dann seine Brüder, die noch verzagter sein
werden als er selbst, trösten und aufrichten werde. Sie mit
der Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus zusammen-
zubringen und wohl gar in ihnen die Unerschütterlichkeit und
Unantastbarkeit des kirchlichen Glaubens ausgesprochen zu
finden, blieb wohl nur der katholischen Auslegekunst und
solchen, die das Gras wachsen hören können, vorbehalten. 1
Das ist aber auch alles, was Lukas zu den Berichten des
Matthäus und Markus über Petrus hinzufügt.
Man wird hiernach auch auf den vierten Evangelisten
keine große Hoffnung setzen dürfen. Sein Werk ist zuge-
standenermaßen ganz dogmatisch, und was er an geschicht-
lichen Tatsachen berichtet, das hat er nur einfach den übrigen
drei Evangelien entnommen und sich nach seinen Zwecken
zurechtgelegt, wobei er ganz und gar willkürlich zu Werke
geht. Es ist daher auch keinerlei Gewicht darauf zu legen,
daß Petrus bei Johannes geflissentlich in den Hintergrund
gedrängt wird, um den Lieblings jünger des Herrn, Johannes,
dafür um so entschiedener herauszustreichen. So wird Petrus
hier nicht, wie nach den Synoptikern, an erster, sondern
erst an dritter Stelle von Jesus berufen, und zwar durch
Vermittlung seines Bruders Andreas. 2 Bei der Fußwaschung
kommt der Herr erst an zweiter Stelle zu Petrus, und dieser
weigert sich, seine Füße von Jesus waschen zu lassen, um
aber, als dieser ihm erwidert, daß er dann auch keinen Teil
an ihm habe, sich um so eifriger zur Waschung heranzudrän-
gen. 3 Als Jesus seinen Jüngern mitteilt, daß einer von ihnen
ihn verraten werde, muß Petrus, um zu erfragen, wen er
meint, sich der Vermittlung des Jüngers bedienen, „welchen
Jesus lieb hatte". 4 Dafür zeigt sich Petrus zwar als der mu-
tigste unter allen Jüngern, indem er es nach Johannes ge-
1 2
J. Schnitzler: Hat Jesus das Papsttum gestiftet? 1910, 40ff. Joh.
I, 35ff. 3 13, 5ff 4 13,21ff.
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wesen sein soll, der bei der Gefangennahme Jesu dem Knechte
Malchus das rechte Ohr abhaut, weswegen er freilich von Jesus
zurechtgewiesen wird. 1 Allein am Ostermorgen wird Petrus
beim Gange nach dem Grabe vom Lieblingsjünger Jesu über-
holt:2 eine freilich recht kindliche Erfindung, um diesen Jün-
ger über Petrus zu erheben. Und auch im Nachtrag des Evan-
geliums, wo der fischende Petrus beim Anblick des Herrn sich
ohne weiteres in den See stürzt, um zu diesem hinzuschwim-
men, und abermals einen wunderbaren Fischzug tut, muß er
sich wegen einer Bemerkung über den Lieblingsjünger einen
Tadel von Seiten Jesu zuziehen. 3
Man hört soviel vom evangelischen Petrus reden. Wenn
man aber die Evangelien daraufhin ansieht, so erstaunt man,
wie wenig sie uns eigentlich über diesen mitzuteilen haben,
ganz zu schweigen davon, daß dies alles reine Erfindung ohne
jegliche geschichtliche Wahrheit ist.

2. IN DER APOSTELGESCHICHTE
Zunächst stimmt auch die Apostelgeschichte darin mit den
Evangelien überein, daß sie zwar in ihrem ersten Teile dem
Petrus ihr Hauptinteresse zuwendet und seine Reden und
wunderbaren Taten schildert, ihn aber doch nicht selbst als
obersten Leiter der Gemeinde zeigt, sondern ihn hierin hinter
Jakobus, dem „Bruder des Herrn", zurückstehen und ihn
auch sonst keine Ausnahmestellung einnehmen läßt. Denn
als er den heidnischen Hauptmann Cornelius und dessen
Familie getauft und ohne vorherige Aufnahme in die jüdi-
sche Gemeinde dem Christentum zugeführt hat, da muß er
sich gefallen lassen, von den anderen Aposteln und Brüdern
hierfür zur Rechenschaft gezogen zu werden, und er beruft
sich nicht etwa auf die ihm von Jesus übertragene Gewalt,
zu binden und zu lösen, sondern rechtfertigt sich durch sach-
liche Gründe.4 Auch gibt beim sog. Apostelkonzil, wo über
die Frage der Heidenmission entschieden wird, nicht seine
Rede, sondern die des Jakobus den Ausschlag. 6
1 2
Joh. 18, 10. 20, 3f. 3 ,21,22 4 Apg. 11. 5
15.

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Im übrigen begegnen wir in der Apostelgeschichte dem
Petrus zunächst als dem Anstifter der Wahl des Matthias, der
an Judas' Stelle zum Apostel gewählt wird. 1 Da indes die
ganze Geschichte vom Verrat des Judas, ebenso wie die Ge-
schichte von seinem schrecklichen Tode, auf Erfindung be-
ruht, 2 so ist auch jene Nachricht wertlos. Und ebenso wertlos
ist die Erzählung von der Rede, die Petrus bei Gelegenheit
des Pfingstwunders hält,3 da das ganze Wunder auf Grund von
Joel 3, 1 ff. zusammengefabelt worden und aller geschicht-
lichen Wirklichkeit bar ist. Und sollen wir die zahllosen
Wunder und Zeichen glauben, die der Verfasser der Apostel-
geschichte uns zum besten gibt ? Sie sind ja ganz offensichtlich
nur den Wundern Jesu nachgebildet und dienen blos zur Ver-
anschaulichung der Heilungen und Wundertaten, zu denen
der Heiland in den Evangelien den Seinigen die Vollmacht er-
teilt. So, wenn Petrus und Johannes einen Lahmen am Tor
des Tempels im Namen von Jesus Christus dem Nazaräer hei-
len4 und Petrus dabei wieder eine Rede hält, um diese als-
dann vor den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, von denen
sie zur Verantwortung gezogen werden, durch eine weitere
Rede zu ergänzen. 5 Oder wenn er den Ananias, weil er bei
der kommunistischen Lebensweise der Anhänger Jesu etwas
von seinem Gute zurückbehält, durch seine Strafrede tötet
und gleich darauf auch dessen Frau Sapphira auf dieselbe
einfache Weise vom Leben zum Tode befördert6—eine höchst
unwahrscheinliche Geschichte, die noch dazu ein böses Licht
auf den Apostel wirft, der andere so streng für ein Vergehen
bestraft, das zum mindesten nicht schlimmer ist als das, wel-
ches er selbst durch dessen Verleugnung an seinem Herrn
und Meister begangen hat.
Überhaupt ein merkwürdiger Mann, dieser Petrus! Er heilt
Kranke sogar durch seinen bloßen Schatten! 7 Und als er
mitsamt den übrigen Aposteln eingesperrt wird, da öffnet
ihnen ein Engel bei Nacht die Türen des Gefängnisses, und
sie verkündigen ruhig nach wie vor im Tempel ihre Lehre
1
Apg.1, 15ff. 2 Markusevg. 245ff., 251 ff.; Der Sternhimmel 278ff.
3
Apg. 2, 14ff. 4 3, 1ff. 5 4, 1ff. 6 5, 1ff. 7 5, 15.

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von Jesus. Als sie aber daraufhin von neuem ergriffen und
vor den Hohen Rat gebracht werden, da hält Petrus wieder
eine seiner bekannten Reden, wobei er nicht nur sich selbst
sowie die übrigen Jünger, sondern sogar den heiligen Geist
als Zeugen für die Auferstehung Jesu anführt!1 Dadurch
veranlaßt er den weisen Gamaliel dazu, ebensowohl seine
weissagerische Kraft wie seine völlige Unkenntnis der Ge-
schichte zu offenbaren: denn dieser spricht von Theudas, der
in Wahrheit erst zehn Jahre später unter Claudius seine Em-
pörerrolle gegen Rom gespielt hat, als einem kürzlich er-
schienenen Aufrührer, und läßt Judas den Galiläer, der be-
reits vierzig Jahre vorher einen Aufstand hervorgerufen hatte,
erst nach dem Theudas auftreten. 2 Ja, so mutig sind die Jün-
ger jetzt geworden, daß sie sich auch nichts daraus machen,
mit Ruten gezüchtigt zu werden, weil sie „auf den Namen
Jesu" reden, über ihr Märtyrertum sogar noch froh sind und
nicht ablassen, im Tempel wie zu Hause die frohe Botschaft
von Christus Jesus zu verkündigen. 3
Sogar in Samarien, diesem den Juden wegen seines Götzen-
dienstes so sehr verhaßten Lande, wird jetzt das Evangelium
mit Erfolg gepredigt. Der Zauberer Simon selbst, dem alles
anhängt, weil er sich die ,,große Kraft Gottes" nennt, und der
das Volk mit seinen Zaubereien verführt, nimmt den neuen
Glauben an, und Petrus und Johannes taufen die Bekehrten
auf den heiligen Geist, nachdem sie vorher nur auf den
Namen des Herrn Jesus getauft waren. Dabei weist der sitten-
strenge Petrus den Simon zurecht, weil er ihn darum angeht,
auf die gleiche einfache Weise, nämlich durch bloßes Hand-
auflegen, den heiligen Geist verleihen zu können, und ihm da-
für Geld anbietet.4 Dann setzt Petrus seine Heiltätigkeit fort,
und der heilige Geist, von dem er vorher nur zu oft verfassen
zu sein schien, ist auch ferner mit ihm. Zu Lydda macht er
den gelähmten Äneas von seinem Bette aufstehen. In Joppe
weckt er die verstorbene Tabitha, die so schöne Röcke und
Überkleider anfertigen konnte, vom Tode auf, und zwar ganz
nach dem berühmten Muster der Auferweckung der Tochter
1
Apg. 5, 17ff. 2 5, 36f. 3 5. 40ff. 4 8, 4ff.

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des Jairus durch Jesus. Tabitha, wird uns gesagt, heißt Reh.
Wir haben jedoch alle Veranlassung, anzunehmen, daß der
Name bloß aus dem Talita kumi (Mädchen, stehe auf) ge-
bildet ist, mit welchem Jesus nach Markus die Jairustochter
ins Leben zurückruft, und daß somit auch diese ganze Ge-
schichte ein kleiner sog. „frommer" Betrug ist.1
Es folgt nun die Geschichte vom Hauptmann Cornelius.
Dieser, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, wird durch
einen Engel im Traume aufgefordert, den Petrus zu sich kom-
men zu lassen. Die Abgesandten treffen diesen Petrus nach
einem wunderlichen Gesichte, das er auf dem Dache seines
Hauses gehabt hat, an und führen ihn zu dem heidnischen
Hauptmann. Hier tut er wieder den Mund zu einer seiner be-
rühmten Reden auf, bei welcher der heilige Geist auf alle
Zuhörer, ja, zum großen Erstaunen der gläubigen Juden sogar
auf die ungetauften Heiden fällt, was sich bei ihnen in der
Weise äußert, daß sie Zungen reden und Gott preisen. Darauf-
hin werden sie eiligst von Petrus getauft. Dieser aber wird
von den Aposteln und Brüdern in Judäa dafür zur Rechen-
schaft gezogen, daß er bei unbeschnittenen Männern ein-
getreten sei und mit ihnen zusammen gegessen habe. Als er
ihnen jedoch erzählt, wie alles zugegangen sei, da beruhigen
sie sich und preisen Gott, daß nun auch den Heiden die Buße
zum Leben verliehen sei. 2 Daß wir es auch bei dieser Erzäh-
lung wieder nur mit einer Dichtung zu tun haben, geht u. a.
auch daraus hervor, daß sie der Geschichte des Propheten
Jona im Alten Testamente 3 nachgebildet ist. Hier wird der
Prophet von Jahwe aufgefordert, den Heiden in Ninive zu
predigen, weigert sich anfangs, wird aber alsdann durch ein
Wunder gezwungen, dem Willen Gottes zu gehorchen. Dort
weigert Petrus sich im Traume, von den unreinen Tieren zu
essen, die vom Himmel zu ihm herabgelassen werden, wird
aber durch die Stimme aus der Höhe alsbald trotzdem hierzu
veranlaßt — eine Vorwegnahme seines Verhaltens zu dem
heidnischen Hauptmann. Und der Vater des Petrus führt bei
den Synoptikern den Namen Jona!
1
Apg 9, 32ff. 2 10 u. 11. 3 Jos. 1 u. 2.

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Jetzt aber ergeht es dem Petrus wirklich schlecht. Der
König Herodes läßt ihn ergreifen und ins Gefängnis werfen,
wo er unter strenger Bewachung gehalten wird: offenbar da-
mit nicht abermals ein Engel ihn entwischen lasse. Aber der
König hat die Rechnung ohne den — Engel gemacht. In
der Nacht erscheint dieser trotzdem, weckt den schlafenden
Petrus durch einen Stoß in die Seite und befiehlt ihm, auf-
zustehen. Und siehe! alsbald fallen ihm die Fesseln von den
Händen ab, und nachdem er sich angekleidet, spaziert er
in aller Seelenruhe mit dem Engel durch die Posten hin-
durch ins Freie. Die eisernen Tore des Gefängnisses sprin-
gen von selbst auf. Petrus aber begibt sich, nachdem er
sich von seinem nur zu berechtigten Erstaunen erholt hat,
zum Hause der Maria, der Mutter des Johannes Markus, wo
die Gläubigen in zahlreicher Versammlung im Gebete be-
griffen sind, und erscheint, zuerst von der erfreuten Magd
erblickt, plötzlich mitten unter ihnen. Er hat es seinem
Meister Jesus offenbar gut abgesehen, wie man es machen
muß. Denn die ganze kindische Geschichte ist ganz offen-
sichtlich eine bloße geistlose Nachbildung der Auferstehungs-
geschichte Jesu und seines Erscheinens vor den Jüngern und
weist zugleich auf jene bekannte Geschichte in den „Meta-
morphosen" des Ovid zurück, wo der Fischer Acoetes wegen
seiner Anhänglichkeit an den neuen Gott Dionysos ins Ge-
fängnis gesperrt, aber durch ein Wunder seines Gottes aus
diesem befreit wird. 1
Mit dem Erscheinen unter den Seinigen bzw. mit dem Be-
merken, daß er diesen nach Galiläa vorangegangen sei, und
der Aufforderung, dies den Jüngern mitzuteilen, bricht die
Darstellung des Lebens Jesu in den Evangelien ab. Und in
der Apostelgeschichte sagt Petrus zu den Versammelten:
„Meldet dies dem Jakobus und den Brüdern", „und", heißt
es dann weiter, „ging hinaus und zog an einen andern Ort."2
Es scheint, daß dem Verfasser der Apostelgeschichte, nach-
dem er das Leben des Petrus in der Hauptsache dem Leben
Jesu nacherzählt hat, der Stoff ebenso ausgegangen ist, wie
1
Markusevg. 80. 2 Apg. 12, 17.

14

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dem Verfasser des Markusevangeliums, nachdem er die Ge-
schichte Jesu an der Hand des Lebens eines Moses, Elias und
Elisa erdichtet hat. Denn hinfort ist von ihm in der Apostel-
geschichte nur noch einmal die Rede: nämlich gelegentlich der
Apostelversammlung im Jahre 53 (?), wo er wieder einmal
als der erste das Wort nimmt, unter Hinweis auf den Haupt-
mann Cornelius für sich den Ruhm beansprucht, die Heiden-
mission eröffnet zu haben, und sich im übrigen in dieser
Frage als vernünftiger und weitherziger Mann erweist. Man
weiß nur nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über
die Keckheit, mit welcher hier die Wahrheit auf den Kopf ge-
stellt ist, wenigstens unter der Voraussetzung, daß dasjenige,
was von Paulus berichtet wird, nur irgendwelche geschicht-
liche Tatsächlichkeit besitzt, oder über die Gedankenlosig-
keit des Schreibers der Apostelgeschichte, der uns glauben
machen will, Petrus hätte sich nur so einfach wieder in einer
Stadt einfinden dürfen, in welcher er kürzlich aus dem Ge-
fängnis entkommen war! Oder sollen wir vielleicht glauben,
daß der gütige Engel dem Herodes und seinen Beamten den
Vergessenheitstrank im Interesse des biederen Petrus ge-
reicht habe?1
Nein, auch das, was die Apostelgeschichte uns über ihn be-
richtet, ist nichts als reine Dichtung. Nichts, schlechterdings
gar nichts wissen wir aus den angeführten neutestament-
lichen Quelle n, den Evangelien und der Apostelgeschichte,
von ihm und haben daher, wenn es keine weiteren Zeugnisse
über ihn gibt, das gute Recht, zu sagen: dieser Petrus ist
eine genau so mythische Persönlichkeit, wie sein Herr und
Meister Jesus. Man müßte denn etwa annehmen, daß Hera-
kles zwar dem Mythos, sein Wagenlenker und Gefährte Iolaos
jedoch der Geschichte angehöre.

3. IN DEN PAULUSBRIEFEN
Nun begegnet uns Petrus aber auch in den Briefen des
Apostels Paulus, und zwar hier unter dem aramäischen
1
Apg. 15.

15

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Namen Kephas für Fels: 1. Kor. 3, 22; 9, 5; 15, 5. Im Ga-
laterbrief 2, 9 erscheint er zusammen mit Jakobus und Jo-
hannes unter den „Säulen" der jerusalemischen Urgemeinde
und empfängt den Besuch des Paulus, als dieser drei Jahre
nach seiner Bekehrung aus Arabien wieder nach Jerusalem
zurückkehrt.1 Vor allem aber tritt er zu diesem in eine nähere
Beziehung, als sich, vierzehn Jahre nach diesem ersten Zu-
sammentreffen mit ihm, unter den Aposteln eine Meinungs-
verschiedenheit über die Art der Missionstätigkeit entwickelt
und zu ärgerlichen Streitigkeiten führt, die alsdann auf dem
bereits mehrfach erwähnten „Apostelkonzil" zu Jerusalem
geschlichtet werden. Auf Grund der hier erzielten Einigung
nimmt Petrus nach dem Galaterbriefe keinen Anstand, mit
den Heidenchristen in Antiochia zusammen zu Tische zu
sitzen. Als indessen Leute des zelotischen Jakobus nach
Antiochia kommen, zieht er sich von den Heidenchristen
zurück, aus Furcht, von jenen gescholten zu werden, und
verführt dadurch auch andere, sogar den Barnabas, den Ge-
nossen des Paulus bei seiner Missionstätigkeit, dazu, sich
gleichfalls von den Tischen der Heidenchristen fernzuhalten.
Dafür bezichtigt Paulus ihn der Heuchelei und hält ihm
Öffentlich wegen seiner Unzuverlässigkeit und seines Wankel-
mutes eine harte Strafpredigt.3
Der Galaterbrief gilt als die älteste Urkunde, die wir über
den Apostel Petrus besitzen, da er der älteste Brief des Paulus
und gegen Ende der vierziger oder zu Beginn der fünfziger
Jahre des ersten Jahrhunderts geschrieben sein soll. Das
„Echteste des Echten" versichern uns treuherzig die Theo-
logen. Die Sache ist indessen mehr als zweifelhaft. Der Ga-
laterbrief ist offensichtlich zur Verherrlichung des Apostels
Paulus, und zwar in der besonderen Absicht geschrieben,
dessen vollständige Selbständigkeit, Ursprünglichkeit und
Unabhängigkeit von der Gemeinde in Jerusalem zu erweisen.
Er richtet sich gegen die Apostelgeschichte oder doch wenig-
stens deren Quellenschrift, die von Petrus handelte, und in
welcher Petrus vor allem herausgestrichen war, in der un-
1 2
Ebd. 1, 18 Gal. 2, 11ff.

16

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verkennbaren Absicht, den Paulus über Petrus zu erheben
und diesen in den Augen der Leser möglichst herabzusetzen.
Daher der erregte Ton zu Beginn des Briefes mit seinen Flü -
chen, seinen gereizten Ausfällen gegen die Gegner und Be-
teuerungen. Sein Verfasser will den Glauben erwecken, als
habe er sein Evangelium unmittelbar von Jesus Christus
selbst auf dem Wege einer göttlichen Offenbarung empfangen,
nicht durch menschliche Vermittlung der Jesusanhänger zu
Jerusalem oder Damaskus, wie die Apostelgeschichte es dar-
stellt. Daher die ungeheuere Unwahrscheinlichkeit, daß Pau-
lus nach seiner Bekehrung sich nicht nach Jerusalem be-
geben haben will, wo er Näheres über Jesus hätte erfahren
können, sondern auf drei Jahre nach Arabien verschwindet
und auch bei seiner Rückkehr nach Jerusalem außer Petrus
und Jakobus, dem „Bruder des Herrn", keinen der anderen
Jünger gesehen zu haben behauptet.1 Die Apostelgeschichte
hatte es so dargestellt, daß Paulus und Barnabas von der Ur-
gemeinde zu Jerusalem vor ihre Schranken geladen werden,
um sich wegen ihrer Missionstätigkeit unter unbeschnittenen
Heiden zu verantworten. 2 Demgegenüber läßt der Galater-
brief den Paulus auf Grund einer Offenbarung sich freiwillig
nach Jerusalem begeben, seine Sache aus eigenem freien
Willen verfechten und ihn einen glänzenden Sieg über seine
Gegner davontragen, und er weist es ab, daß die dortigen
„Säulen", nämlich Petrus, Jakobus und Johannes, ihm
irgendwie etwas zu befehlen gehabt hätten. Die Apostelge-
schichte hatte den Petrus als den hingestellt, der die Heiden-
mission begonnen habe, und ihn selbst sich dessen auch ge-
legentlich des Apostelkonzils rühmen lassen. Dafür stellt der
Paulus des Galaterbriefes den Petrus im Hinblick auf sein
Auftreten zu Antiochia bloß und geißelt den großen Apostel
wegen seines wankelmütigen und gesinnungslosen Verhal-
tens in der Frage des Zutischesitzens mit den Heiden, ein
Verhalten, das übrigens um so wunderlicher erscheint, als
Jesus ja selbst mit Zöllnern und Sündern zu Tische gesessen
haben soll und Petrus sich hierauf hätte berufen können.
1 2
Gal. 1, 19. Apg. 15, 1ff.

2 Drews, Petruslegende 17

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Die ganze Erfindung ist wenig geschickt und mehr boshaft
als wahrscheinlich. Sie richtet sich zugleich gegen die Ge-
schichte vom Hauptmann Cornelius in der Apostelgeschichte,
nach welcher Petrus durch eine göttliche Offenbarung die
Erlaubnis zu einem solchen Verhalten empfangen haben soll.
Der Gegensatz ist offenkundig; aber die Behauptungen
des Galaterbriefes sind durchweg so geartet, daß sie schwer-
lich von Paulus selbst zu dem angegebenen Zeitpunkte ge-
schrieben sein können. Man denke auch an die wunderliche
Abmachung, die der Brief auf dem Apostelkonzil getroffen
werden läßt, und nach welcher Paulus den Heiden, die
übrigen Apostel den Juden das Evangelium verkündigen
sollen. Als ob eine solche Unterscheidung sich in der Wirk-
lichkeit hätte durchführen lassen, da doch auch Paulus zu-
meist in den Synagogen vor jüdischen Zuhörern gepredigt
haben soll! Wir haben es für jeden, der nur sehen will,
mit einem ganz späten Machwerk einer Schule oder Rich-
tung zu tun, die auf den Namen des Paulus schwor, so wie
andere auf den des Petrus schworen, und die sich gegen-
seitig darin zu überbieten suchten, ihren Lieblingsapostel
als den hervorragendsten herauszustreichen, ganz unbe-
kümmert um die geschichtliche Wahrheit, aus der sich
die alten Christen überhaupt nichts gemacht zu haben
scheinen. Gibt uns die Apostelgeschichte doch auch beider
Schilderung der Bekehrung des Paulus nur eine Dichtung
auf Grund des Alten Testaments, aber keine Geschichte,
wenn diese Dichtung auch immerhin wahrscheinlicher aus-
gefallen ist als die grobdrähtige Erfindung des Galater-
briefes. Beide können jedenfalls erst zu einer Zeit geschrieben
worden sein, als wirkliche Zeugen der Ereignisse nicht mehr
am Leben waren: im zweiten Jahrhundert, in dessen erstem
Viertel, vielle icht sogar erst um die Mitte dieses Jahrhun-
derts; beide sehen sich für die Lebensereignisse ihrer Hel-
den auf bloße Dichtung angewiesen. Ist doch die Apostel-
geschichte in ihrer heute vorliegenden Gestalt zugestan-
denermaßen ein sehr spätes Werk. Ihre Quellenschrift, die
von Taten des Petrus handelt, braucht darum jedoch nicht
18

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viel früher zustande gekommen zu sein. Wenn aber von
theologischer Seite hier nach wie vor kein Problem gesehen
und der Galaterbrief als ältestes und echtes Schreiben des
Apostels, für die allein maßgebende Urkunde der ältesten
Christenheit erachtet und gepriesen wird, dies aus dem
Römer- und den beiden Korintherbriefen so ungeschickt zu-
sammengestöppelte Machwerk, das ohne jene ganz unver-
ständlich bleibt, am unverständlichsten aber für die Gemeinde
hätte sein müssen, an die er gerichtet gewesen sein soll: so
ist darüber nicht weiter zu streiten. Die Holländer haben den
wahren geschichtlichen Wert oder vielmehr Unwert dieses
sog. Paulusbriefes längst durchschaut,1 und ihnen hat sich
der Schweizer Steck mit seinem Werke „Der Galaterbrief
nach seiner Echtheit untersucht" (1888) angeschlossen. 2
Hat es überhaupt einen Paulus, hat es einen Petrus ge-
geben? Die Frage ist nach dem, was wir bisher über
beide vernommen haben, nur allzu berechtigt. Und die
Antwort? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir wissen es
nicht. Möglich, daß Männer dieses Namens in der urchrist-
lichen Bewegung irgendwelche Rolle gespielt haben. Eine
auch nur halbwegs zuverlässige Nachricht darüber besitzen wir
jedenfalls nicht. Am ersten läßt sich noch die Geschichtlich-
keit des Paulus behaupten, die durch die sogenannten „Wir-
stücke“,den zu seiner Verherrlichung geschriebenen „Reise-
bericht" der Apostelgeschichte allenfalls beglaubigt zu sein
scheint. Indessen ohne Bedenken ist auch dies nicht, da
auch der Reisebericht gehörig zurechtgemacht ist. Wenn es
einen Paulus gegeben hat, so wird er kaum etwas mehr als
der Gründer kleiner Winkelgemeinden gewesen sein und sich
von den übrigen Aposteln höchstens durch eine freiere Stel-
lung zum jüdischen Gesetze unterschieden haben. Wir wissen
nur, daß es im zweiten Jahrhundert zwei Richtungen unter
1
S. auch Whittaker: The Origins of Christianity, 1904. 2 Vgl. van
den Berg van Eysinga: Die holländische radikale Kritik des Neuen
Testaments, 1912, sowie dessen gegen den katholischen Theologen
Valentin Weber gerichteten Aufsatz „Pro domo" in Nieuw Theolo-
gisch Tijdschrift 1923 Heft 5.

2* 19

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den Jesusgläubigen gegeben haben muß, die sich gegenseitig
als Juden- und Heidenchristen bekämpften, von denen diese
sich auf den Apostel Paulus, jene sich auf den Apostel Petrus
berief, und daß der Verfasser der Apostelgeschichte in seiner
Darstellung sie miteinander auszugleichen versucht hat. Was
dabei Wahrheit, was Dichtung ist, läßt sich heute nicht
mehr mit Sicherheit feststellen. Allzu schroff kann aber der
Gegensatz jedenfalls nicht gewesen sein, sonst hatte man sich
von Petrus wohl nicht erzählen können, daß er mit Heiden
zusammen gegessen, von Paulus nicht, daß er zu Jerusalem
die kultischen Gebräuche im Tempel vollzogen habe.1 Es
scheint, daß in den bezüglichen Erzählungen aus dem Leben
der beiden Apostel nur Vorfälle zum Ausdruck gekommen
sind, wie man sie damals vielfach erlebte, und wie sie die eine
Richtung der anderen zum Vorwurf machte.

4. MATTHÄUS 16, 18 f.
Immerhin steht so viel fest, daß die Briefe des Paulus, zum
mindesten der Galaterbrief nebst dem Römer- und den beiden
Korintherbriefen, vor den Evangelien oder doch vor ihrer end-
gültigen Fassung, in der sie uns heute vorliegen, geschrieben
sind. Denn nicht nur liegen die beiden zuletzt genannten dem
Galaterbrief zugrunde, sondern der Galaterbrief mitsamt
dem Römer- und ersten Korintherbrief hat auch auf die
Erzählung des Petrusbekenntnisses in den synoptischen
Evangelien eingewirkt. Diese Beeinflussung der Evangelien
durch die genannten Briefe des Paulus ist so offenkundig, der
Wortlaut gerade auch in der Erzählung vom Petrusbekennt-
nis sowohl bei Markus wie bei Matthäus so unbestreitbar
übereinstimmend, daß der hiermit gegebene Zusammenhang
auch von theologischer Seite anerkannt wird. 2 Der Verfasser
der Evangelien hat die Paulusbriefe vor Augen gehabt, als er
seine Geschichte vom Petrusbekenntnis niederschrieb. Das
wird besonders bei Matthäus sichtbar, wo die Worte: „Selig
1 2
Apg. 21, 26; 24, 17f. S. mein Markusevg. I78f.; Sternhimmel
261 ff.

20

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bist du, Simon Bar-Jona, denn Fleisch und Blut hat es dir
nicht offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln" usw.
den Worten des Galaterbriefes 1,15f. nachgebildet sind: ,,Als
es Gott gefiel, seinen Sohn in mir zu offenbaren, wendete ich
mich nicht an Fleisch und Blut." Und wenn der Evangelist
zu den Worten: „Du bist der Christus" den Petrus hinzu-
setzen läßt: ,,der Sohn des lebendigen Gottes", so ist er auch
hierzu durch den Galaterbrief veranlaßt, in dem es sich an
der genannten Stelle ja ebenfalls um die Erkenntnis des
„Sohnes Gottes" handelt. Paulus sollte nach dem Galaterbrief
eine Offenbarung über Jesus unmittelbar durch Gott selbst
erhalten haben. Also mußte nach dem petrinisch gesinnten
Evangelisten auch Petrus eine solche empfangen haben.
Vielleicht meinte der Evangelist mit den Worten „der Sohn
des lebendigen Gottes" wirklich eine Steigerung gegenüber
dem einfachen „Du bist der Christus" bei seiner Vorlage
Markus auszudrücken, wie dies Grill („Das Primat des
Petrus." 1904, 7) behauptet. Im Interesse der Logik wäre es
jedenfalls zu wünschen, da es Matth. 16, 16 ja keineswegs
das erstemal ist, daß Jesus von anderer Seite als der Christus
angesprochen wird. So sagen die Jünger nach der eigenen Dar-
stellung des Matth. 14, 33 schon gelegentlich seines Wandeins
auf dem See zu ihm: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn". Und
auch andere, wie die beiden Blinden, die ihm nachlaufen mit
den Worten: „Erbarme dich unser, du Sohn Davids 1 sowie
die Massen2 erkennen ihn als den erwarteten Messias. Viel-
leicht hat der Evangelist dies aber auch nur selbst vergessen
gehabt und sich einfach ohne Hintergedanken durch die
Worte des Galaterbriefes zu jenem Zusatz bestimmen lassen.
In jedem Falle kann die Abhängigkeit des Matthäus vom
Galaterbrief nicht dazu dienen, unser Vertrauen zur Ge-
schichtlichkeit der Jesusworte Matth. 16, 18ff. zu erwecken.
Und dieses Vertrauen schwindet noch mehr, wenn sich
herausstellt, daß auch die folgenden Worte von Petrus als
dem „Fels" der Kirche durch ganz andere Gründe nahe-
gelegt sind als durch irgendwelche geschichtliche Erinne-
1 2
Matth. 8, 27. Matth. 12, 23.

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rung, von welcher noch dazu weder Markus, der Urevange-
list, der doch der Dolmetscher des Petrus, sein unmittelbarer
Vertrauter, gewesen sein soll, noch Lukas, noch Johannes
etwas wissen. Das Wort „Kirche" (ekklesia), dessen der
Evangelist Jesus sich bei dieser Gelegenheit bedienen läßt,
kommt in keinem anderen Evangelium, „meine Kirche" so-
gar im ganzen Neuen Testamente sonst nicht vor. Wohl aber
findet sich ersteres bei Paulus, wo i. Kor. 3, 11 Christus
selbst als der einzige Felsengrund hingestellt wird, auf wel-
chem der Bau der Gemeinde als „Gottes Bau" errichtet wer-
den soll. 1 Und nun sollte Jesus den Simon im Hinblick auf
seinen Namen Petrus, den er nach Matthäus seinem Jünger
bei dieser Gelegenheit verliehen haben soll, für den Fels der
Kirche erklärt haben? Aber daß der Jünger diesen Namen
erst jetzt erhalten habe, widerspricht nicht bloß den Angaben
des Markus (3, 16), Lukas (6, 14) und Johannes (1, 42): es
stimmt auch nicht mit der eigenen Angabe des Matthäus
10, 2 überein, wonach Simon bereits bei der Aufzählung der
Jünger Petrus genannt wird. 2 Es ist nur das Wortspiel mit
dem Namen Petros und petra (Fels), das den Evangelisten
zu dem Ausspruch vom „Felsen der Kirche" veranlaßt hat.
Bei Paulus fand er den Namen Kephas für Simon, und Röm.
9, 33 las er den Hinweis auf Jes. 8, 14 von dem „Stein des
Anstoßes" und „Felsen des Ärgernisses", den der Herr in
Zion setzen werde, und an welchem die Bewohner Jerusalems
straucheln würden. Dabei dachte er an die Gemeinde Christi,
und dies gab ihm den Einfall ein, diese Gemeinde auf
dem „Felsen-Petrus" errichten zu lassen. Hat doch der
Petrus der Evangelien von einem Felsen gerade am wenigsten
an sich, da sein Charakterbild, wenn man bei der blassen
und verwaschenen Darstellungsweise der Evangelien über-
haupt von einem solchen sprechen kann, zwischen Vermes-
senheit und Verzagtheit, zwischen rascher Entschlossenheit
und kläglicher Willensschwäche in einem solchen Maße
schwankt, daß er im Angesichte der dem Meister drohenden
Gefahr und trotz dessen Bitte, wach zu bleiben, im Garten
1 2
Vgl. auch Eph. 2,20ff. S . G r i l l ; a . a . O . 21ff.

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von Gethsemane schläft, ja, sich geradezu der Untreue schul-
dig macht, indem er seinen Meister in der entscheidenden
Stunde seines Lebens dreimal verleugnet! Daß Jesus unter
allen Jüngern ausgerechnet ihn ganz besonders ausgezeich-
net, ja, ihm die Führerrolle in der zukünftigen Gemeinde
zugewiesen haben soll, wirft kein gutes Licht auf seine
Menschenkenntnis und die Persönlichkeit der übrigen Jünger.
Und daß er dies getan haben sollte, weil Petrus allein unter
allen ihn zuerst als den Christus erkannt haben soll, ist bei
dem sonstigen „Blödsinn" (Volkmar) auch dieses Jüngers
so unwahrscheinlich, daß sich jedes Wort darüber erübrigt.
Die ganze Geschichte vom „Felsen Petri" ist eine nicht ein-
mal geschickte Erfindung auf Grund der angeführten Paulus-
briefe.
Aber auch die „Pforten der Hölle" sowie die „Schlüssel-
gewalt" stammen nicht aus dem Munde eines geschichtlichen
Jesus, sondern, wie ich in meinem „Markusevangelium" und
„Sternhimmel" gezeigt habe, vom Himmelsglobus. Sie sind
dadurch zustande gekommen, daß die Reihenfolge der evan-
gelischen Erzählungen durch den Gang der Sonne durch die
Tierkreiszeichen bestimmt ist und das Petrusbekenntnis sich
hierbei im Zeichen des Skorpions abspielt: im Skorpion aber
befinden sich nach astralmythologischer Denkweise die, »Pfor-
ten der Hölle", und das im Skorpion zugleich mit dem Altar-
Stein auf steigende Sternbild des Kepheus (Kephas) greift nach
der Kassiopeia; Kassiopeia aber galt nach Aratus und Theon
als himmlischer Riegel oder Schlüssel. 1 Und jetzt verstehen
wir auch die merkwürdige Gereiztheit Jesu, wenn er den Pe-
trus, unmittelbar nachdem er ihn wegen seiner Glaubenskraft
gelobt hat, „Satan" schilt und hinzufügt: „Du bist mir ein
Ärgernis, du denkst nicht, was Gott ansteht, sondern was den
Menschen":2 der Skorpion ist das himmlische Zeichen des
Satans,3 und der „Fels" der Kirche ist nach Paulus zugleich
der „Fels des Ärgernisses"!
Daß in der Tat eine genauere Untersuchung der berühmten
Matthäusstelle nichts, auch nicht ein Körnchen von Ge -
1
Sternhimmel 263ff. 2 Matth. 16, 23. 3 Markusevg. 132, 177.

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schichtlichkeit übrigläßt, ist in meinem „Markusevangelium"
und „Sternhimmel" mit vollster Sicherheit nachgewie sen. Es
ist einfach lächerlich, um kein schlimmeres Wort zu ge-
brauchen, wenn die angestellten Verteidiger der Kirche trotz
ihrer offenkundig erdichteten Beschaffenheit noch immer
fortfahren, sich gegen die klar zutage liegende Wahrheit zu
verschließen. Wenn dies von katholischer Seite geschieht, so
ist das am Ende verständlich aus der Erwägung heraus, daß
auf Matthäus 16, 17ff. die ganze weltgeschichtliche Stellung
der römischen Kirche beruht und mit ihr steht und fällt. Daß
jedoch sogar auch protestantische Theologen, wie Keim,
Zahn, Bernhard Weiß, Bolliger und andere, an der Geschicht-
lichkeit jener Stelle festhalten, ist ein trauriges Zeugnis für
die methodische Unklarheit und Verworrenheit, wie sie auch
hier die angeblich rein geschichtlich verfahrende Theologie
entwertet. Man höre nur, wie z. B. Bolliger sich daüber
ausspricht und es ablehnt, die Worte Matth. 16, I7ff. für
einen Zusatz des ersten Evangelisten zu der entsprechenden
Stelle bei Markus anzusehen. Eine solche Annahme soll „aller
gesunden Psychologie", die, wie es scheint, immer auf Seiten
der Gläubigen ist, widersprechen: „Wann haben Interpola -
toren solche Arbeit geleistet ? Die Verse stehen in ihrem Zu-
sammenhang bei Matthäus so trefflich, wie ein Glied an
einem Leibe; sie tragen auch den schlechthin unnachahm-
lichen Duft (!) einer historisch großen Stunde; sie sind auch
in der Form so, wie sie nur den Größten der Erde und auch
ihnen nur in den größten Stunden ihres Lebens gelingt (!).
So etwas macht kein Interpolator." (!) 1 Wir kennen diesen
Ton zur Genüge aus dem Kampfe um die Christusmythe und
erinnern uns dabei des Rousseauschen „So vermag man nicht
zu dichten" und des „palästinensischen Erdgeruchs" des
Herrn v. Soden. Es scheint, daß ein Theologe diese Wendun-
gen immer nur einfach einer dem anderen nachschreibt und
mit solchen Redensarten um sich wirft, ohne sich überhaupt
noch etwas dabei zu denken. Und das nennt man theologische
„Wissenschaft"!
1
Bolliger: Markus der Bearbeiter des Matthäusevangeliums 1902, 86f.

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DER A P O S T E L F Ü R S T
Petrus soll nach Matth. 16, 18f. von Jesus an die Spitze sei-
ner Sendboten gestellt worden sein und insofern der „Apostel-
fürst" sein. Davon wissen die ältesten christlichen Zeugnisse,
wie gesagt, noch nichts. Nach der Apostelgeschichte steht,
wie es scheint, nicht Petrus, sondern Jakobus, der „Bruder
des Herrn", als Leiter an der Spitze der jungen Gemeinde zu
Jerusalem. Und auch Paulus weiß noch nichts von einem
„Apostelfürsten". Er nennt den Petrus unter den Gemeinde-
häuptern neben Jakobus und Johannes nicht einmal an erster
Stelle.1 Wo er sich des Ausdrucks „Apostel" bedient, da ver-
steht er darunter durchaus nichts anderes als einen Missio -
nar, einen Sendboten des Jesusglaubens, und nichts deutet
in seinen Briefen darauf hin, daß er von einer Zwölfzahl der
Apostel, als ursprünglichen Jüngern Jesu, überhaupt etwas
gewußt habe.2 Denn die vielberufene Stelle 1. Kor. 15, 5, wo
es heißt, daß der Auferstandene von den „Zwölfen" gesehen
worden sei, erscheint so verdächtig und ist von so vielen ein-
sichtigen Forschern für ein späteres Einschiebsel erklärt
worden, daß sie als Gegenzeugnis nicht in Betracht kommen
kann. 3 Bekanntlich herrscht auch in den Evangelien hin -
sichtlich der Berufung der ersten Jünger, ihrer Zahl und ihrer
Namen nichts weniger als Einstimmigkeit. Am meisten gibt
aber auch hier die Zwölfzahl zu denken. Denn die Art, wie
diese in die Evangelien eingeführt wird,4 erweckt den drin-
genden Verdacht eines nachträglichen Zusatzes zu dem
Grundtexte, der überhaupt noch nichts von ihr wußte. Und
dieser wird noch dadurch verstärkt, daß die meisten Jünger
in den Evangelien und der Apostelgeschichte überhaupt keine
Rolle spielen, keinerlei Individualität besitzen, sondern bloß
1
Gal. 2, 9. 2 Holsten: Das Evangelium des Paulus 1880, 224f. Vgl.
auch W. Seufert: Der Ursprung und die Bedeutung des Apostolates
in der christl. Kirche der ersten zwei Jahrhunderte, 1887, 46ff.
3
Seufert: a. a.0. 157; vgl. 47f.; 14—23; ferner Brandt: Die evangel.
Geschichte 1893, I4f., 418, 421; P, W. Schmidt: Die Geschichte Jesu
erläutert, 1904, 304f. 4 Matth. 10, 1; Mark. 3, 13ff.; Luk. 6, 12f.;
Joh. 6, 67, 70.

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als Namen zur Vervollständigung der Zwölfzahl dastehen.
Sieht sich doch sogar der sonst so gläubige Geschichtsschrei-
ber Ed. Meyer veranlaßt, eine besondere „Zwölf er quelle" bei
Markus anzunehmen, was ebenfalls nichts anderes heißen
kann, als daß die Zwölfzahl der Jünger keinen ursprüng-
lichen Bestandteil der Überlieferung bildet.
Nun kennt schon das Alte Testament zwölf priesterliche
Teilnehmer beim Genuß der Schaubrote, der dem Abend-
mahle in den Evangelien entspricht.1 Zwölf „Fürsten der
Stämme" werden von Moses, dem alttestamentlichen Vor-
bilde Jesu, erwählt, um ihn in seinem Richteramt zu unter-
stützen,2 und die Erzählung von der Wahl der Zwölf bei
Markus ist unverkennbar dieser Geschichte nachgebildet.3
Mit zwölf von ihm erwählten Helfern durchschreitet Josua,
der sich schon durch seinen Namen als einen Vorgänger Jesu
zu erkennen gibt, den Jordan,4 und dem Josua sollen zwölf
Männer gefolgt sein, die unter dem Namen von Richtern
Israel regierten. Ja, Jesus erwählt, wie das Matthäusevan-
gelium angibt, die Zwölfe ausdrücklich als Vertreter der
zwölf Stämme Israels.5 Die Zwölfzahl der Stämme Israels
aber hängt nachweislich mit den zwölf Tierkreiszeichen zu-
sammen, wie denn im Jakobssegen die zwölf Söhne des Erz-
vaters Jakob auf die Tierkreiszeichen bezogen werden. 6 So
spricht auch die Offenbarung des Johannes, die aller Wahr-
scheinlichkeit nach eine vorchristliche Anschauung zur Dar-
stellung bringt, von „zwölf Aposteln des Lammes",7 und
diese beziehen sich deutlich auf die zwölf Zeichen des Tier-
kreises. Augustinus stellt die zwölf Jünger des Herrn sogar
ausdrücklich mit den Tierkreisbildern im Umkreis der Sonne
zusammen. 8 Und so erscheinen sie auch auf den Kunstuhren
des Mittelalters, z. B. im Münster zu Straßburg, während der
Valentinianer Theodoret bemerkt: „Die zwölf Apostel füllen
in der Kirche denselben Platz aus, welchen die zwölf Tier-
1
Lev. 24, 5ff. 2 Num. 1, 44; Ex. 18, 21ff. 3 Mein Marküsevg. 108ff.
4
Jos. 3, 12; 4, 1ff. 5 a. a. O. 19, 28. 6 Gen. 49. Vgl. Jeremias: Das
Alte Testament im Lichte des alten Orients, 3. Aufl., 1916, 343ff.
7
a. a. O. 31, 14. 8 Civ. Dei XV 20.

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kreiszeichen in der körperlichen Welt einnehmen; wie diese
ihren Einfluß auf die Zeugung äußern, so jene auf die Geburt
der Seelen.1
Mit dieser Zurückführung der zwölf Jünger auf die Tier-
kreiszeichen befinden wir uns also mitten in der altmorgen-
ländischen Mythenwelt, der, wie wir sehen werden, auch die
Gestalt des Apostelfürsten Petrus entstammt. Ist aber die
Zwölfzahl der Jünger jedenfalls ungeschichtlich und offenbar
nur aus der Beziehung des Jesusgottes zur astralen Weltan-
schauung des Morgenlandes hervorgegangen,2 so ist dem
Verdachte nicht mehr auszuweichen, daß die ganze Annahme
von Jüngern Jesu überhaupt keinen geschichtlichen Hinter-
grund besitzt: zumal da die Jünger, abgesehen höchstens
von Petrus, Jakobus und Johannes nur als Nullen hinter
dem Einer Christus hermarschieren und eigentlich auch gar
nicht recht einzusehen ist, was für eine Rolle sie in der Jesus-
geschichte spielen und wozu der Heiland sie eigentlich
brauchte. Die Zwölfe heißen in den Evangelien „Apostel"
oder Sendboten und werden von Jesus auf eine Reise zur
Verkündigung des nahen Messiasreiches und zur Heilung von
Krankheiten ausgeschickt, während sie sonst eigentlich nur
dazu dienen, gewisse Aussprüche Jesu anzuregen und ihm
Gelegenheit zu Gleichnissen und Verhaltungsregeln zu liefern.
Aber wie soll man es verstehen, daß Jesus ihnen die „Voll-
macht" zu solchen Heilungen verleiht, und was kann ihm
daran gelegen gewesen sein, durch zwölf augenscheinlich sehr
unbedeutende, bis zum „Blödsinn" verständnislose Männer
die „frohe Botschaft" verkündigen zu lassen, deren tieferen
Sinn er selbst seinen Zuhörern vorenthalten haben soll? Die
ganze Geschichte der Zwölf hat in den Evangelien gar keinen
Grund und Boden. Sie gibt sich deutlich als eine reine Dich-
tung zu erkennen. 3
Nun war aber „Apostel" nach Epiphanius lange vor Chri-
stus der gebräuchliche Name für die Gehilfen des Hohen-
priesters, die mit diesem eine Körperschaft bildeten, mit ihm
über das Gesetz berieten und vor allem die Aufgabe hatten,
1
Eclog 26. 2 Der Sternhimmel, 1923. 3 S. Christusmythe 1924 52 f

27

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die Weisungen ihres Vorgesetzten den übrigen Gläubigen
mitzuteilen und von den auswärtigen Judengemeinden die
kirchlichen Steuern einzutreiben. 1 Und Jesus galt als der
himmlische Hohepriester! Dabei erklärte der Hohepriester,
um seinen Forderungen den gehörigen Nachdruck zu ver-
leihen, sich ebenso für den Nachfolger des Moses, wie der
Papst in Rom, der „Stellvertreter Christi auf Erden", sich für
den „Nachfolger des Apostels Petrus" und damit Jesu aus-
gibt, und verlangte für seine Sendboten die gleiche Achtung,
wie Moses sie für die zwölf Fürsten der Stämme, der Papst
für seine Kardinale und Bischöfe fordert. Mit der Ausbrei-
tung der jüdischen Religion mußte die Zahl der Apostel auf
siebzig oder zweiundsiebzig erhöht werden, die den ersteren
als Gehilfen an die Seite gestellt oder ihnen untergeordnet
wurden. Sollte doch auch Moses selbst siebzig Älteste als Ge -
hilfen erwählt haben. 2 Auch hatte das Synedrium siebzig
Mitglieder und wurde das Alte Testament angeblich von sieb-
zig Übersetzern aus dem Hebräischen ins Griechische über-
tragen. Daher tritt auch in den Evangelien zu den zwölf
Aposteln ein weiterer Jüngerkreis von siebzig oder zweiund-
siebzig Jüngern hinzu, und Jesus sendet diese nach Luk. 10
zur Verkündigung des Evangeliums in die Welt hinaus, wo-
bei noch der Gedanke mitgespielt haben wird, daß es nach
jüdischer und altchristlicher Vorstellung siebzig oder zwei-
undsiebzig Völker mit ebensoviel verschiedenen Sprachen auf
der Erde geben sollte und somit die entsprechende Zahl der
Jünger auf die weltumfassende Bedeutung Jesu und seines
Reiches hinzudeuten schien. 3 In der sog. „Lehre der zwölf
Apostel" oder Didache, wie sie 1873 aufgefunden und zehn
Jahre später veröffentlicht worden ist, haben wir ein unmittel-
bares Zeugnis der ursprünglich rein jüdischen Apostel vor
uns.4 Sie zeigt uns in einer von späterer Hand christlich über-
1
Gfrörer: Das Jahrhundert des Heils, 1838 II 371ff.; Schürer: Ge-
schichte des jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3. Aufl., 1898—1902,
I 659; III 77—101; Seufert: a. a. O. 8ff., 152 ff. 2 Num. 11,16, 25.
3
Strauß: Leben Jesu, 1835, I § 71. 4 Abgedr. in Henneckes Neu-
testamentl. Apokryphen; vgl. Harnack: Lehre der 12 Apostel. Texte
und Untersuchungen zur Gesch. der altchristl. Literatur II 14, 27.

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arbeiteten Form eine Vorstellungsart, die ein überraschendes
Licht auf die Annahme eines vorchristlichen Jesuskultes
wirft, und läßt erkennen, wie es bereits bei diesem ein Abend-
mahl mit einem Weinsakrament gab, das von zwölf Teil-
nehmern eingenommen wurde.1
Nach alledem kann weder die Zwölfzahl der Jünger noch
die Behauptung, daß Jesus überhaupt Jünger gehabt hat, auf
geschichtliche Wahrheit Anspruch erheben, und damit fällt
auch aus diesem Grunde die Annahme einer Führerschaft
des Petrus unter den Jüngern, sowie einer Erhebung zum
„Apostelfürsten", in sich selbst zusammen, und dieser ent-
hüllt sich als das, was er in Wirklichkeit ist, nämlich
als ein reines Phantasiegebilde im Interesse der Herrschafts-
ansprüche des römischen „Oberhirten".
Aber die Anhänger der „Felsenkirche" sind nicht so leicht
zu überzeugen. Sie weisen auf Joh. 21, 15 ff. hin, wo Jesus
auf die Beteuerung des Petrus, daß er ihn Hebe, sagt: „Weide
meine Lämmer" und dies sogar zweimal wiederholt. Das
soll, so behaupten die Lohnschreiber der römischen Kirche,
die „Stiftungsurkunde" des Primats des Petrus, die „Ver-
leihung des obersten Hirtenamtes" sein! Und das vatika-
nische Konzil hat, wie auf Matth. 16, 17ff. und Luk. 22,31 f.,
so auch auf die angeführte Johannesstelle die päpstliche Un-
fehlbarkeit gegründet. (!) Nun, die Beteiligten müssen es
gewußt haben. Sie waren ja in jenem Augenblick „vom hei-
ligen Geist erleuchtet". Uns anderen aber, die wir nur un-
seren menschlichen Verstand zur Verfügung haben, droht
dieser bei einer solchen, sagen wir einmal — sonderbaren
Auslegung stillzustehen. Denn erstlich soll Petrus durch
jenen Ausspruch ja offenbar von Jesus nur wieder zu Gnaden
in seine Liebe aufgenommen werden, nachdem er durch
seine schmähliche Verleugnung die ihm verliehene Stellung
eines Seelenhirten verscherzt hatte; sodann aber ist die Stelle
zugestandenermaßen ein späterer Nachtrag zum Johannes-
evangelium, das „Weide meine Lämmer" also sicher kein
Ausspruch des geschichtlichen Jesus; und endlich ist auch
1
S. mein Werk: Die Entstehung des Christentums, 1924, 132ff.

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dieser Ausspruch nur einfach dem Sternhimmel entnommen,
da Kepheus, der astrale Stellvertreter des Kephas = Petrus,
öfters als ein Hirte mit seinen Schäfchen dargestellt wurde!
Für gewöhnlich erblickte man in ihm den Vater der Andro-
meda, den Beherrscher des Sonnenlandes Äthiopien, und
stellte ihn als bärtigen Mann in langem gegürtetem Ärmel-
kleide, die Tiara (phrygische Mütze) auf dem Haupte, mit
ausgebreiteten Armen schwebend dar. Darauf spielen die
weiteren Worte des Johannesevangeliums an, wenn Jesus
21, 18 zu Petrus sagt: „Wahrlich, ich sage dir: als du jung
wärest, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du
wolltest. Wenn du aber alt wirst, so wirst du deine Hände
ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen,
wohin du nicht willst." „Das sagte er aber," fügt der Ver-
fasser hinzu, „um zu bezeichnen, mit welchem Tode er Gott
verherrlichen werde." Wie wir noch genauer sehen werden,
soll Petrus zu Rom bei Gelegenheit der neronischen Christen-
verfolgung, und zwar mit dem Kopfe nach unten, gekreuzigt
worden sein. Und Kepheus hat mit seinen ausgebreiteten
Armen die Gestalt eines Kreuzes und hängt am nördlichen
Sternhimmel mit dem Kopf nach unten! 1
Es ist also hiernach wirklich nichts mit der biblischen Be-
gründung des Primats des Petrus. Sie gehört zu jenen un-
geheuerlichen Fälschungen und Täuschungen, wie die Men-
schen sie sich von jeher auf religiösem Gebiete nur zu ruhig
haben gefallen lassen, weil die Gedankenlosigkeit hier, wie
nirgends, um des sog. Seelenheiles willen zu Hause ist und
die Priester infolge hiervon immer leichtes Spiel gehabt
haben, sie zu ihren Zwecken auszunutzen.

1
Markusevg. 265 f.; siehe dort auch die Abbildung auf dem Atlas
Farnese: Abb. 8.

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DER MYTHISCHE HINTERGRUND
DER PETRUSGESTALT
Die Frage erhebt sich, wie wir uns die Entstehung der Petrus-
gestalt in den Evangelien zu erklären haben. Daß sie im Hin-
blick auf den Gegensatz der Petriner und Pauliner erdichtet
ist, und zwar eine recht späte Dichtung darstellt, braucht
nicht noch einmal wiederholt zu werden. Nun hat die Chri-
stusmythe(s.auch mein ,,Markusevangelium" und „Der Stern-
himmel") gezeigt, daß Jesus eine erdichtete Figur ist. Was
dieser Figur zugrunde liegt, ist der Mythus des uralten ephrai-
mitischen Sonnengottes Josua, der zum Passah sowie zur Be-
schneidung in Beziehung stand und in den sog. gnostischen
Sekten, die sich einer besonderen Gottesschau und Kenntnis
der himmlischen Geheimnisse rühmten, als Gekreuzigter ver-
ehrt wurde. Da taucht sofort die Vermutung auf, ob nicht
gewisse mythische Vorstellungen auch auf die Erfindung der
Petrusgestalt eingewirkt haben könnten.
Der Apostel begegnet uns in dem ältesten Evangelium, wie
gesagt, zuerst bei der Berufung des Fischers Simon durch den
vorüberwandelnden Jesus. Die Geschichte spielt unter dem
Gesichtspunkte der Astralmythologie in den Fischen, ent-
sprechend den beiden Fischern Simon und Andreas. Zu
diesem Zeichen stehen die Zwillinge im Geviert, d. h. sie sind
von ihm um 90 Grad entfernt und können daher für sie ein-
treten. Von den Zwillingen, die im Jakobssegen1 mit den
Zwillingssöhnen des Patriarchen gleichgesetzt werden, führt
der eine den Namen Simon oder Simeon und kulminiert oder
befindet sich im oberen Meridian, wenn der östliche oder
nördliche Tierkreisfisch, der Vertreter des Fischers Simon,
untergeht, während Kepheus-Kephas beim Untergang der
Zwillinge aufgeht. Damit ist die Namengebung des Fischer-
jüngers nach astralmythologischer Denkweise unmittelbar
durch den Sternhimmel selbst gegeben. 2

1
Gen. 49, 5 ff. 2 Markusevg. 99; Sternhimmel 14 f.

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I. SIMON – HERAKLES – MELKART
Die himmlischen Zwillinge sind in allen Mythologien ur-
sprünglich Sonnengötter, nämlich im Hinblick auf die Zeit,
wo die Sonne zur Zeit der Frühlingsgleiche in das Sternbild
der Zwillinge eintrat (sog. Zwillingszeitalter). Wir werden
uns daher nicht wundern, wenn eine der ältesten Götter-
gestalten des vorderasiatischen Kulturkreises gleichfalls den
Namen Simon führt. Es ist der Schamas der Babylonier, der
auch unter dem Namen Sem, Sehern, Samdan, Semen verehrt
wurde, im Alten Testament in vermenschlichter Gestalt als
Simson oder Samson („das Sönnchen") auftritt, und von
welchem die Semiten ihren Namen haben. Das Wort Sem
bedeutet nach Ed. Meyer auch „der Name"; danach wären
also die Semiten nur einfach die Leute mit Namen,1 und das
Schemhamphorasch, das heilige Tetragrammaton, war der
Name der vier Buchstaben I E U E, d. h. Jahwe.
In Phönizien war Sem ein anderer Name des Melkart, den
die Griechen Herakles nannten, und der auch in Ägypten und
ganz Nordafrika verehrt wurde. In dem halbheidnischen
Samaria, das gleichfalls von dem Sonnengotte seinen Namen
hat, und dessen Bevölkerung nicht bloß mit den Phöniziern
in lebhaftem Handelsverkehre stand, sondern seit der baby-
lonischen Gefangenschaft stark mit phönizischen Bestand-
teilen durchsetzt war, galt Simon (Semo) mit dem Beinamen
ho Megas, d. h. der große, also der große Semo oder große
Name, auch noch zu Jesu Zeiten als der höchste Gott.2 Der
Gott war also insofern ohne Namen, und das gibt die Er-
klärung des seltsamen Ausspruchs Jesu zu der Samarita-
nerin: „Ihr verehrt, was ihr nicht kennt."3 Daraus hat als-
dann die Apostelgeschichte einen „Magier" (Megas!) oder
Zauberer Simon gemacht, der die Köpfe der Leute verwirrt,
dem alle nachlaufen, klein wie groß, und der sich selbst für
„etwas Großes" (!), die „große Kraft Gottes", ja, für einen
Gott erklärt haben und in Wettbewerb mit dem Evangelium
1
E.Meyer: Geschichte des Altertums, 1884, 214. 2 Justin: Apologie
I 26, 14. 3 Joh. 4, 22; Robertson: The Jesus Problem, 1917, 251 .

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getreten sein soll. 1 Nach Hieronymus 2 wurde dem Simon der
Ausspruch zugeschrieben: „Ich bin das Wort Gottes, der
Paraklet (der Anwalt, s. Joh. 14, 26; 15,26), allmächtig, Gott
alles in allem." Nach Irenäus 3 soll er von sich gesagt haben,
er sei derselbe, der in Judäa als „Sohn" erschienen, in Sa-
marien als „Vater" herabgestiegen und zu den übrigen Völ-
kern als „heiliger Geist" gekommen sei. Nach Justin 4 und
Irenäus 5 soll Simon Magus mit einer gewissen Helena herum-
gezogen sein, die er für eine Verkörperung der göttlichen
Weisheit oder seines ersten Gedankens (ennoia) ausgab.
Nach den pseudoclementinischen Homilien (Predigten) soll
er von ihr behauptet haben, sie sei vom Himmel auf die Erde
herabgekommen, sei die Herrin, die Allmutter, die Substanz
des Daseins, sie in Wirklichkeit jedoch einem Bordell in
Tyrus entnommen haben. Tatsächlich ist die Helena des
Simon Magus keine andere als Selene, die syrische Mond-
göttin Aschera-Astarte, die durch ihren unzüchtigen Kultus
im ganzen Altertum berüchtigt war und vor allem auch in
Tyrus verehrt wurde (daher die Erzählung, daß sie einem
Bordelle dieser Stadt entstamme). In den sog. Rekognitionen6
wird sie selbst geradezu als Luna (Mond) bezeichnet, und
ihre Gemeinschaft mit Simon Magus entspricht nur einfach
dem Umstände, daß dem Sonnengotte des syrisch-phöni-
zischen Glaubens die Mondgöttin als die göttliche Vernunft,
als Ennoia oder Sophia zugeordnet war und beide erst zu-
sammen das ganze Wesen der Gottheit ausdrückten: genau wie
Philo auch vom Logos die Sophia als dessen Mutter unter-
schied. Ebenso war der babylonische Samas mit der Göttin Gula
verknüpft, und zu Simson gesellt sich nach Richter 16, 1 die
„Hure".
Wenn hiernach vom „Geschichtsschreiber" der Apostel-
geschichte tatsächlich ein ursprünglicher Gott in einen bloßen
Menschen umgewandelt und zu Petrus in Beziehung gesetzt
ist, berechtigt dies uns in der Tat dazu, zu fragen, ob nicht
auch der christliche Simon in ähnlicher Weise ursprünglich
1
Apg. 8, 9 ff. 2 Komment. in Matth. 24. 3
Adv. haer. I 23 4
a.a.O.
26 u. 56. 5 a. a. O. 6 II 14.
3 Drews. Petruslegende 33

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eine Art Gott gewesen sein könnte. Geschieht es doch in der
mythologischen Vorstellungsweise nur zu oft, daß die mythi-
sche Verjüngung oder der Doppelgänger eines Gottes, der von
seinen Anhängern an dessen Stelle gesetzt werden soll, im
Kampfe mit seinem älteren Vertreter dargestellt wird. So
wenn Kronos gegen Uranos, Zeus gegen Kronos, Herakles
gegen Zeus oder den Riesen Thurios (den germanischen
Thor) streitet. Und wirklich bekämpft auch der christliche
Simon den heidnischen Semo, der Apostel und Vertreter eines
neuen Erlösungsglaubens denjenigen des alten, nunmehr als
falsch, als Ketzerei erscheinenden Glaubens, und besiegt ihn,
nicht ohne daß der letztere hierbei gezwungen wird, die
höhere Wahrheit des Neuen anzuerkennen. Simon Magus
soll nach der Überlieferung dem Simon Petrus, dem Ver-
kündiger des neuen Glaubens, nach Westen, also der Sonne
nach, vorangegangen und dieser ihm bis nach Rom gefolgt
sein. Die sog. Petrusakten, eines jener zahlreichen kindischen
christlichen Machwerke frühestens aus dem Beginn des drit-
ten, vielleicht sogar erst des vierten Jahrhunderts, erzählen
von dem Wettkampf zwischen Simon Magus und dem
Apostel, bei welchem jener gen Himmel fliegt und auf das
Gebet des Petrus hin kläglich zu Boden stürzt und umkommt.
Dabei wird also Petrus als das „wahre Licht", der Samarita-
ner hingegen als „Finsternis", als ein unwissender Betrüger
hingestellt, der sich nur mit dem von Petrus erborgten Lichte
brüstet. Jedenfalls muß der Kultus des samaritanischen
Simon eine Zeitlang dem Christentum in gewissen Gegenden
ernstliche Schwierigkeiten bereitet haben. Darauf deutet es
u. a. auch hin, wenn Irenäus 1 den Magier Simon als den
„Meister und Urvater aller Ketzereien" bezeichnet und
schriftgläubige Theologen bis auf den heutigen Tag von ihm
nur mit dem Ausdrucke des tiefsten Abscheus sprechen
können. 2
1
a. a. O. I 27. 2 Vgl. über Simon Magus: Chr. Fr. Baur: Die christ-
liche Gnosis, 1835, 302ff.; E. Zeller: Die Apostelgeschichte nach
ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht, 1854, 158ff.;
Robertson a. a. O. 238 ff.

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Nun war mit dem vorderasiatischen Sonnengotte das Sinn-
bild der Himmelssäule verknüpft, wovon der Gott selbst den
Namen Chon, Chijun, Chewan oder Keiwan, d. h. der auf-
recht Stehende (Gestellte) oder die „Säule" (griech. kion),
führte und als Gründer, Stütze und Erhalter des Himmels-
gewölbes, als Träger der Weltordnung angesehen wurde. So
hieß auch Simon Magus nach den Clementinen ho Hestos,
d. h. der Stehende, und wurde in Gestalt einer Steinsäule auf
dem Berge Garizim in Samaria verehrt. In den Petrus -
akten 31 sagt er von sich: „Morgen werde ich euch Gottlose
und Frevler verlassen und werde droben bei Gott meine Zu-
flucht nehmen, dessen Kraft ich bin. Wenn ihr nun gefallen
seid, siehe, ich bin der Stehende. Und ich gehe empor zum
Vater und werde zu ihm sagen: Auch mich, deinen stehen -
den Sohn, haben sie zu Falle bringen wollen; aber ich habe
mich mit ihnen nicht eingelassen, sondern bin zu mir selbst
zurückgekehrt." Sollte es da ohne Bedeutung sein, daß bei Jo-
hannes (18,16,25) auch Simon Petrus ausdrücklich als hestos
(stehend) bezeichnet wird, während die übrigen Evangelisten
ihn bei der gleichen Gelegenheit, nämlich seines Aufenthaltes
im Hofe des großen Rats, als kathemenos (sitzend) darstellen ?2
1
W. B. Smith: Der vorchristliche Jesus, 1905, 2. Aufl. 1910,14 Anm.
Bekanntlich spielt die Säule auch eine eigentümliche Rolle in der
Geschichte Simsons. Als die Männer von Gaza ihn bedrohen, reißt
er die Pfosten (Säulen) ihrer Stadttore aus und trägt sie auf seinen
Schultern hinauf auf die Höhe des Berges vor Hebron (Ri. 16, 3).
Und als er geblendet und gefangen sich in der Gewalt der Philister
befindet und diese ihn zu Gaza zwischen die zwei Säulen der Halle
stellen, in welcher sie das Fest ihres Sieges über den furchtbaren
Gegner feiern, da umschlingt er die eine Säule mit dem rechten, die
andere mit dem linken Arm und reißt sie mitsamt dem Hause, das
auf ihnen ruht, zusammen (ebd. 21 ff.). Wie Simson in Gaza, soll der
tyrische Herakles (Melkart) in Gades (Gaza?) sein Ende gefunden
haben, wo seine Gebeine aufbewahrt wurden (Arnobius: Adv. gentes
I 25, Mela III 6). In Gades aber befanden sich jene berühmten
beiden Säulen, die der tyrische Sonnengott nach Apollodor (II5,10)
und anderen dorthin getragen und an den Grenzen der Erde auf-
gerichtet haben sollte, dort, wo die Sonne untergeht. In Wahrheit
waren die beiden Säulen das Sinnbild des Gottes, und Herakles-
Melkart war der phönizische „Säulengott" schlechthin. Nach Herodot

3* 35

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2.PETROS — MITHRA —ATLAS — PROTEUS —
PETRA
Der zweite Name des „Säulenapostels" Simon ist Petrus oder
Kephas, d. h. Fels oder Stein (griech. petros oder petra).
auch dies erinnert an ein göttliches Wesen: nämlich an den
Mittler und Erlösergott der Perser Mithra (Mithras), den die
Juden durch die babylonische Gefangenschaft kennen lern-
ten, und der um die Wende u, Z. in ganz Vorderasien verehrt
(II 44) befanden sich in seinem Tempel zu Tyrus zwei Säulen, die
eine von Gold, die andere von Smaragd, von denen jene bei Tag,
diese bei Nacht geleuchtet habe: Sinnbilder der Sonne und des Mondes
oder der beiden Wendepunkte im Jahreskreislauf der Sonne, wie
diese am Himmel durch die beiden Äste der dort befindlichen Milch-
straße bezeichnet wurden (Sternhimmel Abb. 2 u. 17). Und auch im
Tempel Salomos, der dem des Melkart zu Tyrus nachgebildet
war, kehren die beiden Säulen wieder: die eine von ihnen führte den
Namen Boas (Kraft), die andere hieß Jachin, d. h. er richtet auf, er
gründet, er erhält. Wahrscheinlich waren diese Säulen zugleich
nichts anderes als ungeheure Phallen, die gewöhnlich vor den
Tempeln standen, so auch vor dem der Atargatis zu Hierapolis in
Syrien: die Urbilder der christlichen Kirchtürme 1 Der säulentra-
gende Herakles war im Altertum ein beliebtes Sinnbild schwerer,
niederdrückender Arbeit. Dabei verknüpfte sich mit den Säulen eine
ähnliche mystische Bedeutung, wie mit dem Kreuze Christi. Ja, der
Gott, der unter dem Gewicht der Säulen gebückt einherschwankt,
findet sich sogar im Neuen Testamente selbst in der Vorstellung des
Heilands wieder, der sein Kreuz trägt und unter dessen Last zu-
sammenbricht. Das zweiarmige Kreuz ist aber auch im Christentume
ganz ebenso ein Sonnenzeichen, das Sinnbild des neuen Lebens und
der göttlichen, durch den Tod Jesu begründeten neuen Weltordnung,
wie die beiden Säulen im Kultus des tyrischen oder libyschen Herakles,
des Schamas oder Simon (Der Sternhimmel 174).'Kein Wunder, wenn
die synoptischen Evangelien dem kreuztragenden Heiland einen
anderen Kreuzträger unterschieben und dieser gleichfalls Simon heißt
und aus Kyrene, d. h. aus Libyen, stammen soll, wo der Mythus vom
säulentragenden Herakles recht eigentlich seine Heimat hatte. Auf
einer antiken Darstellung (abgebildet in Montfaucons „L'antiquité
expliquée" Bd. I Teil 2, 210) sieht man den Herakles die beiden
Säulen dergestalt tragen, daß sie die Form eines (schrägen) Kreuzes
bilden. Da hat man den Ursprung der Erzählung vom kreuztragen-
den Simon von Kyrene! (Mark. 15, 21). Über Simson siehe „Der
Sternhimmel" 140—152.

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wurde. Auch er war ein Sonnengott (Deus Sol invictus), der
Vertreter des gegen die Finsternis kämpfenden und siegen-
den Himmelslichtes, zugleich ein Gott der Heiligkeit, der
Wahrheit und des Lebens. Auch mit seinem Kultus war ein
Weinsakrament, ein „geistlicher Trank", wie Jesus bei Pau-
lus 1 heißt, verbunden: genau wie nach der Apostellehre mit
dem des samaritanischen Josua. Und Mithra selbst hieß der
„Felsgott" schlechthin, der „Felsengeborene" (Petrogenes,
ho ek petras, saxigenus), ja, er wurde wohl geradezu schlecht-
hin als ,,der Fels" (Petros) bezeichnet; teils weil er seinem
ursprünglichen Wesen nach ein Feuergott, der aus dem
Felsen geschlagene Funke, also gleichsam aus dem Felsen
geboren war, teils weil die Sonne des Morgens hinter den
medischen Bergen aufging und dadurch den Gedanken wach-
rief, daß der Gott aus dem Felsen selbst geboren werde, teils
endlich aus astralen Gründen.2 Und dieser Gott oder genauer
der aufs engste mit ihm verbundene und zur Einheit zu-
sammenfließende Zeitgott, Aeon, Zervan akarana, trägt die
Himmelsschlüssel, um, genau wie Jesus, als himmlischer
Heiland und Mittlergott, den Menschen durch die Offen-
barung des göttlichen Erlösungswortes die Himmelspforten
aufzuschließen!
Wie Mithra den Zeitgott, der eigentlich älter ist als er,
ursprünglich die höchste Gottheit, darstellt, neben sich hat
und beide vielfach als ein und dasselbe Wesen erscheinen, so
wird auch Baal-Chon oder Melkart mit dem Himmelsbaal
(Baal samim), dem „Urvater des Alls", zusammengefaßt,
den die Alten wegen seiner Beziehung zur Zeit, als Vernich-
ter alles Daseins, auch wohl Kronos (Chronos = Zeit) ge-
nannt und auf den Planeten Saturn bezogen haben. So wurde
er mit einem Löwenkopfe abgebildet, von einer Schlange um-
ringelt, die ihren Kopf auf den des Gottes legt, mithin als ein
doppelköpfiges Wesen.3 Zugleich aber hat die Mithrareligion
mit dieser Vorstellung des tyrischen Herakles oder Melkart
1
I. Kor. 10, 4. 2 Sternhimmel 179. 3 Über den Sinn dieser Dar-
stellung s. Sternhimmel 176f.; dort auch die bezüglichen Abbil-
dungen 18.

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auch dessen Sinnbild, die Steinsäule, in sich aufgenommen,
und Mithra, der Felsgott, erscheint als der das Himmelsge-
wölbe tragende Säulengott oder als Himmelssäule, die das ge-
samte Weltgebäude stützt. Nach griechischer Vorstellung ist
Atlas der Träger des Himmelsgewölbes. Das aber ist nur
ein anderer Name des Chronos oder Kronos, da dieser auch
wohl mit dem Sternbilde des Drachen gleichgesetzt und an
den Himmelspol versetzt wurde, wo die das Weltgebäude tra-
gende Säule, die Himmelsachse, sich befindet.1 So wundern
wir uns nicht, im Bilderreigen der Mithrareligion neben der
Gestalt des Herakles, dessen zwölf Arbeiten durch die bekann-
ten Zeichen des Tierkreises versinnbildlicht werden,2 auch
derjenigen des Atlas zu begegnen, wie er die Weltkugel trägt,
und dies zwar um so weniger, als Herakles und Atlas auch
sonst in der Vorstellung der Alten vielfach zusammenflössen.
Sollte doch Herakles auf seiner Fahrt zu den Hesperiden dem
Himrnelsriesen seine Last zeitweilig abgenommen und von
diesem nach Clemens Alexandrinus 3 die Kenntnis der himm-
lischen Dinge empfangen haben, die auf den Säulen nieder-
geschrieben war.4 Und verknüpfte sich doch auch mit der
Vorstellung des Atlas die der Säulen: bekanntlich heißt
es bei Homer von Atlas, daß er die ragenden Säulen unter
seiner Aufsicht habe, die Himmel und Erde auseinander
halten. 5 Bei den Griechen galt Atlas als Vater der Plejaden,
deren Aufgang am Morgen den Frühling ankündigte, und die
Phryger schrieben ihm die Erfindung der Sternkunde zu. So
galt er auch in dieser Beziehung als der Vertreter des Anfangs
aller Dinge, als der Beginner des Jahres und insofern als eine
Form des Himmelsbaales selbst, der die göttliche Weltord-
nung stützt und trägt und die Zeiteinteilung des Jahres be-
gründet.6 Nach Lucian7 befand sich demgemäß auch seine
Bildsäule im Tempel zu Hierapolis neben dem Bilde der
Atargatis (Simon-Helena), und die Juden in Assyrien setzten
ihn mit ihrem mythischen Henoc h8 gleich, den sie für den
1
R. Eisler: Weltenmantel und Himmelszelt, 1910,392. 2 Sternhimmel
153—162. 3 Strom. 115, 73. 4Movers: Die Phönizier, 1841 I 98,294.
5
Od. I 52. 6 Movers a. a. O. 659f. 7 De Dea Syria 38. 8 Gen. 5,18 ff.

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Erfinder der Sternkunde ansahen. 1 Als Gott des Anfangs
aller Dinge aber war Atlas nicht bloß der Träger des Himmels-
gewölbes und, als Säulengott, das griechische Gegenbild des
Chijun-Herakles, sondern er war zugleich eine Art Wasser-
gott: in der angeführten Stelle der Odyssee heißt es von ihm,
daß er die Tiefe des gesamten Meeres kenne.2 So aber floß
er wieder mit Proteus, dem Meergott zusammen, der auch
wohl selbst als Träger des Himmelsgewölbes angesehen
wurde; wie denn z. B. bei Virgil in seiner Aeneis XI 262 von
den „Säulen des Proteus" die Rede ist, die im Osten den
Säulen des Atlas oder Herakles im Norden oder Westen ent-
sprechen sollten.
Übrigens ist der griechische Proteus keineswegs erst durch
Vermittlung des Atlas mit dem mithrischen Kronos und
phönizischen Baal samim (Saturn, Kronos) zu einer und der-
selben Gestalt verschmolzen worden. Sein Name, der ihn
nach Preller als das „Uranfängliche der Flut" (die Urflut,
apsu der Babylonier) kennzeichnet, Entspricht dem des ,,Ur-
vaters des Alls", wie der phönizische Himmelsgott, und dem
des Zervan akarana, der „alterslosen Zeit", des ungeschaffe-
nen Allerschaffers, wie der älteste Gott des persischen Götter-
himmels heißt. Die Orphiker stellten ihn mit goldenen Flü -
geln, mannweiblich, stier- oder doppelköpfig, mit einer
Schlange auf seinem Löwenhaupte dar, wie der mithrische
Kronos und phönizische Melkart uns auf den Abbildungen
entgegentritt.4 Dabei gaben sie ihm gleichfalls die Himmels-
schlüssel in die Hand, die bei ihm auf die „Schlüssel des
Meeres" gedeutet wurden. 5 Zu Memphis in Ägypten genoß
er nach Herodot eine besondere Verehrung und, wie Simon
Magus die Helena neben sich gehabt haben soll, so bringt
der griechische Geschichtsschreiber den ägyptischen Proteus
mit der „fremden Aphrodite", d. h. der Aschera, in Zusam-
menhang, deren Tempel sich im Umkreis seines Heiligtums
befunden habe. Hiernach war Proteus ursprünglich nur ein
1
Cumont: Textes et monuments figures relatifs aux mystères de
Mithra, 1898 I 90. 2 Preller: Griech. Mythologie, 1894, 561. 3 a. a.
0. 609. 4 Sternhimmel: Abb. 18. 5 Orph. hymn. 25, 1.

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griechischer Name des phönizischen Himmels- oder Sonnen-
gottes. Und wenn die Griechen ihn vorzugsweise als einen
Gott des Wassers auffaßten, als eine Art Meergreis, der im
Auftrage des Poseidon dessen Herde, die Seetiere, weidete,
so pflegten auch schon die Phönizier ihn mit dem uranfäng-
lichen Wasser, dem Ozean (Okeanos oder Poseidon) gleich-
zusetzen. 1 Freundlich und zutraulich, wie er war, galt Pro-
teus den Griechen doch vor allem als ein unzuverlässiger und
wandelbarer Geist, dessen Launenhaftigkeit und beständiger
Gestaltenwechsel ihn nach Homer zu einem schwer zu fassen-
den Wesen machten. Dabei dachten sie jedoch weniger an
die Launenhaftigkeit und Unbeständigkeit des Meeres als an
die Sonne, die nach astralmythologischer Ansicht sich jeweils
in dasjenige Tierkreisbild verwandelt, in dessen Bereich sie
eintritt. Proteus ist mithin infolge seiner Einerleiheit mit dem
Sonnengotte der große Verwandler und Gestalten Wechsler,
und seine Beziehung zum Wasser schreibt sich daher, daß
die Sonne beim Beginn des Jahres im Zeichen des Wasser-
mannes (Stierzeitalter) stand und ihr Wandern durch die
übrigen Tierkreisbilder als ein Sichverwandeln des Wasser-
mannes in die verschiedenen Gestalten des Tierkreises ge-
deutet wurde.
Nun kennt auch das 68. Kapitel des ägyptischen Toten-
buches einen Gott, der das Amt des Seelenpförtners im Reiche
der Abgeschiedenen versieht und der als solcher den Schlüssel
der Unterwelt besitzt: es ist Petra (Fels), eine Form des Toten-
führers Anubis. Das leitet uns wieder zu Petrus zurück.
Dieser führt, wie gesagt, auch den Namen Simon, den-
jenigen des vorderasiatischen Säulengottes. Er heißt bei Pau-
lus eine „Säule" der Gemeinde zu Jerusalem, und Jesus be-
zeichnet ihn als den „Fels", auf den er seine Gemeinde,
das „Reich der Himmel" gründen will — „die Pforten der
Hölle (Unterwelt) sollen sie nicht überwältigen" — und gibt
ihm den Auftrag: „Weide meine Schäfchen!" Erinnern wir
uns nun des Charakters des Petrus, wie die Evangelien und
Paulus diesen schildern, seiner Zutraulichkeit, aber auch
1
Movers a. a. O. II 1, 112.

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seiner Unbeständigkeit, Unzuverlässigkeit und seines Wan-
kelmutes, wie seiner Wandlungsfähigkeit, so tritt die Ver-
wandtschaft zwischen Petrus und Proteus (die natürlich
keine etymologische der Namen sein soll, wie die Gegner, um
diese ganze Überlegung lächerlich zu machen, ihren Gläu-
bigen einzureden versucht haben!) noch deutlicher hervor.
Ja, der innere Zusammenhang des Petrus, Petra, Proteus,
Herakles oder Simon wird augenscheinlich angesichts des
Umstandes, daß der phönizische Simon ein Fischer (sid;
Baal-Sidon ist Verkleinerungsform von Baal-Sid) genannt
wird,1 zugleich aber ein Schaf- und Rinderhirt ist, und Petrus,
ein Fischer aus Bethsaida (Fisch- oder Fischerhaus, gleich-
bedeutend mit Beth-Sidon), der Stadt des phönizischen Simon
oder Sidon, den Jesus zum „Menschenfischer" ernennt, zum
Wasser in Beziehung steht und das Wunder vollbringt, wie
ein Meergott auf den Wogen zu wandeln!
Auf den Mithrasteinen der ersten Jahrhunderte u. Z. finden
sich neben Herakles auch Atlas und Okeanos (Poseidon) ab-
gebildet. Diese sind aber, wie gesagt, nur andere Formen des
Proteus, des schöpferischen Urstoffs oder der Urkraft, wäh-
rend der tyrische Herakles, der Sohn des „Wassermannes"
Baal-Kronos (Saturn), bei den Griechen als ein Sohn des
Poseidon (Baal-Sidon!) galt und nach Nonnus 2 die Phönizier
den Schiffbau gelehrt haben soll. So berichtet Clemens Alex-
andrmus,3 daß auch Atlas das erste Schiff gezimmert und
hiermit das nach ihm benannte Meer befahren habe. In
Ägypten war Herakles unter dem Namen Horus der Seelen-
schiffer, der die Abgeschiedenen über den Totenstrom ins
Jenseits hinübersetzt, zugleich aber auch der Licht- und
Tagesgott, der mit den auserlesensten Helden in der Sonnen-
barke durch die zwölf Tagesstunden steuert und hierbei gegen
die Ungetüme kämpft, welche die Wasser des Verderbens und
die Pforten der Hölle ausspeien; eine Vorstellung, die in der
Fahrt der Argonauten unter der Führung Jasons, d. h. des
Heilands, ihr griechisches Seitenstück erhalten hat. Das er-
innert an das „Schifflein Petri" oder die „Arche der Kirche",
1
Eisler a. a. O. 731. 2 Dionys XL. 3
Strom. I 75.

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wie sie die Gläubigen durch die Sintflut dieser Welt ans Ufer
des Jenseits steuert, und deren Mastbaum das Kreuz ist.1
Bekanntlich besitzt auch Herakles von Zeus die Macht, zu
binden und zu lösen, denn er bindet den grausigen Höllen-
hund (Kerberos) und löst den Prometheus aus seinen Fes-
seln, d. h. er besiegt den Tod und entbindet das Leben. Nun
steht Petrus auch noch im heutigen Volksglauben zum Was-
ser in Beziehung. Er gilt als Wettermacher, da auch das
Wetter so launenhaft und unbeständig ist, wie der Himmels-
pförtner. Am Tage Peter und Paul darf man nicht in offenen
Gewässern baden, da an diesem Tage das Wasser ein Opfer
zu fordern pflegt. Ja, der Volksglaube hat Petrus geradezu
an die Stelle des Gewittergottes Thor gesetzt, der ja auch
das Wetter macht, die Wolkenschleusen öffnet, also gleich-
falls eine Art göttlicher Pförtner ist, als solcher den Him-
melsschlüssel in Gestalt seines Hammers führt und zu Odin
eine ähnliche Stellung einnimmt, wie der persische Zeitgott
eu Mithra, wie der phönizische Herakles zu Baal samim wie
Petrus zu seinem (jüngeren) Meister Jesus. So kommt es,
daß überall die dem germanischen Himmels- und Wettergott
geweihten heiligen Bäume oder Steinsäulen, wie die Donars-
eiche in Hessen, die Irminsäule auf der Eresburg, durch
Peterskirchen ersetzt worden sind, offenbar weil man sich
hierdurch an den Säulengott Herakles erinnert fühlte, den
schon Tacitus mit Thor gleichgesetzt hat,2 und der christliche
Wasser- und Felsenmann, die „Säule" der Gemeinde zu Jeru-
salem, mit diesem in der Tat auf das innigste verwandt ist.3

3. JANUS
Alle bisher hervorgehobenen Verwandtschaftszüge zwischen
Petrus und den angeführten Göttern fassen sich zusammen
in der Gestalt des römischen Gottes Janus. Schon Dupuis hat
in seinem Werke „Origine de tous les cultes" (1794) auf
1
Sepp: Das Heidentum und dessen Bedeutung für das Christentum,
1853, II 467. 2Germ.34. 3Simrock: Handbuch der deutschen Mytho-
logie, 4. Aufl., 1874, 269 ff.

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die Dieselbigkeit des Petrus und des Janus hingewiesen,1 und
ihm hat sich auch Volney in den späteren Ausgaben seiner
„Ruinen" (1791) angeschlossen. 2 Seinem Wesen nach, wie
schon sein Name sagt, ein alter Licht- und Tagesgott (Dius,
Dianus: Maskulinform von Diana), wie der persische Zeit-
gott und phönizische Himmelsbaal, und zugleich ein gött-
licher Vertreter des Sonne, die siegreich die nächtliche Fin-
sternis verscheucht, galt Janus als der himmlische Schlüssel-
inhaber, als Öffner (Patulcius) wie als Schließer (Clusius),
indem er sowohl im Himmel wie auf Erden über allen Aus-
und Eingang gebietet. Alle zum Himmel empor- und von
ihm herabsteigenden Erscheinungen, die Wolken und die
Winde, aber auch das Meer und die Erde hat er nach Ovid 3
unter seiner Oberaufsicht. Er heißt der „Herr über alle
Türen", von welchem die Türe im Lateinischen ebenso ihren
Namen (janua) hat, wie der Monat, der das Jahr eröffnet
(Januar). Durch ihn allein geht der Weg zu den Göttern des
Lichtes; darum ist er der allgemeine Vermittler zwischen der
Erde und dem Himmel. Er geleitet nicht nur die ab-
geschiedenen Seelen gen Himmel: auch den Gebeten der
Menschen schließt der Gott die Tore des Himmels auf und
verschafft ihnen Eingang bei den übrigen Göttern. 4 So sitzt
er mit den Hören an der Himmelspforte, und selbst der
Götterkönig Jupiter kann ohne seine Erlaubnis nicht in den
Himmel eingehen.
Dabei spielen auch in diese Auffassung des Janus, wie bei
seinen vorderasiatischen Verwandten, einem Kronos (Saturn
und Herakles (Melkart) .astrale Vorstellungen hinein. Janus
hieß bei den Römern ein Stern im Bilde der Jungfrau, und
zwar nahe deren Füßen, der um die Mitternacht der Winter-
sonnenwende, wo die Sonne im Steinbock ihren Jahreskreis-
lauf durch die zwölf Zeichen des Tierkreises antrat, am öst-
lichen Himmel emporstieg und damit den Beginn eines
neuen Zeitabschnitts verkündigte. Der Gott öffnete die Him-
melspforte im Steinbock, und die Sonne trat zunächst in das
1 2
Dreibändige Ausgabe I 292, III 47, III 2, 59. Reclamausgabe 297.
3
Fasti 117ff. 4 a.a.O. 171 ff.

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Zeichen des Wassermannes, der die himmlischen Gewässer
aus seiner Urne ausgießt, und sodann in dasjenige der Fische
ein. Es ist die winterliche Regenzeit, die Zeit der Wasser-
überschwemmung. Um über die Flut hinüberzukommen, be-
darf die Sonne eines Schiffes. Und wirklich befand sich das
„Schiff des Janus" (Argo) um die Mitternacht der Winter-
sonnenwende an seiner höchsten Stelle im oberen Meridian. 1
Es ist das Seelenschiff des Horus, die Sonnenbarke, die
Herakles durch die Tagesstunden steuert, und auf deren Ver-
wandtschaft mit dem „Schifflein Petri" wir schon hinge-
wiesen haben. Im Zeichen der Fische, in welchem Simon
durch Jesus berufen wurde (s. o.) befand sie sich im unteren
Meridian. In der Tat ist ja auch Petrus, als Fischer, ein
Wassermann und, wie Janus, im Besitz des Schiffleins, von
dem aus sich durch ihn, den „Menschenfischer", das Heil
über die ganze Welt verbreitet.2 Auf der anderen Seite gibt
auch Janus, als Zeitgott sowie durch seine Beziehung zum
Wasser, sich als einen Verwandten des Herakles und Proteus
oder des mit ihm gleichen mithrischen Kronos oder Baal
samim (Saturn) zu erkennen, wie denn übrigens die Ge-
stalten des Saturn und Janus im römischen Glauben auch
sonst vielfach ineinander flössen. Wie Herakles, so soll auch
er die Seinigen den Schiffsbau gelehrt haben und galt aus
diesem Grunde zugleich als Gott der Häfen (Portumnus),
und weil der Untergang des Sternes Janus mit dem Beginne
des Frühlings, sein Aufgang mit demjenigen des Winters zu-
sammenfiel, als Eröffner und Beschließer der Schiffahrt,
weswegen er ein Schiff als Kennzeichen hatte. Als Himmels-
schließer wird Janus mit dem Schlüssel in der Linken ab-
gebildet; davon führt er den Namen Claviger: der Schlüssel-
träger, Auch Herakles aber heißt Claviger, nur daß bei ihm
dies Wort der Keulenträger bedeutet, weil clavis im Latei-
nischen der Schlüssel, clava die Keule heißt.
Nun schließt aber Janus nicht bloß die Himmelspforte des
Abends zu und Öffnet sie am Morgen und beim Beginn des
neuen Jahres: als Schließer und Beschließer trifft er auch
1 2
Sternenhimmel: Tafel X Luk. 5, 1 ff

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über die Eröffnung der Kriege und den Schluß des Friedens
die Entscheidung. Hier steht selbst Jupiter, der Himmels-
könig, hinter ihm zurück und handelt lediglich in seinem
Auftrag. Daher pflegt Janus beim Gebete noch vor Jupiter
genannt und bei allen Opfern zuerst bedacht zu werden; ja,
der „Vater Janus", der „Gott des Anfangs", der „Gott aller
Götter", diese älteste aller italischen Göttergestalten, ist,
obwohl sie im späteren Glauben hinter Jupiter, als Ver-
treter des römischen Staates, zurückgetreten ist, doch eine
so bedeutsame Persönlichkeit, daß Janus im Grunde das
wirkliche Haupt, der lenkende Geist des Staates bleibt: wie dies
auch im Namen seines Priesters, des „rex sacrorum", zum
Ausdruck kommt. Wie sehr diese Stellung des „Vaters (pater,
papa) Janus" im römischen Götterhimmel derjenigen des
Papstes, des angeblichen „Nachfolgers des Apostels Petrus",
innerhalb der römisch-katholischen Kirche entspricht, ist in
die Augen fallend. Janus ist der Anführer der zwölf Monate
oder der ihnen entsprechenden Tierkreiszeichen. Petrus führt
die zwölf Apostel an. Und wie sein „Nachfolger auf dem
Bischofsstuhl zu Rom" die Oberherrschaft über die zwölf ur-
sprünglichen Bistümer und damit die Führung der gesamten
Kirchenherrschaft beansprucht, so soll nach Makrobius I 9
auch Janus, als er sich auf dem Janiculum niederließ, zwölf
Altäre, die sich auf die zwölf Monate bezogen, errichtet und
Rom hierauf den Anspruch auf die Oberleitung des italischen
Bundes gegründet haben, weil es die gemeinsamen Heilig-
tümer in seinen Mauern beherbergte.
Janus wird, wie gesagt, mit dem Himmelsschlüssel in der
Linken abgebildet, während er, als Wegegott, in seiner Rech-
ten den Wanderstab, den Krummstab des Osiris, trägt: wie
leicht ließ sich dieser nicht in den Hirtenstab des sog. „Völker-
hirten" umdeuten! Janus ist doppelköpfig, weil er nach Ovid,
als himmlischer Türhüter, gen Morgen wie gen Abend schaut:
wie nahe lag es nicht für solche, die den eigentlichen Sinn
dieser Doppelköpfigkeit nicht verstanden oder nicht ver-
stehen wollten, diese Eigentümlichkeit des Gottes, die er, wie
gezeigt, mit dem mithrischen Kronos und lyrischen Herakles

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teilte, auf eine Doppelheit, eine Zwiespältigkeit oder Zwei-
deutigkeit in seinem Charakter zu beziehen und den „Janus
bifrons", zumal im Hinblick auf den mit ihm gleichen Proteus,
als ein zweideutiges, wandelbares und wankelmütiges Wesen
aufzufassen! Während Paulus und die übrigen Jünger Jesu
in der christlichen Kunst im Vollbesitze ihres Haarschmuckes
dargestellt zu werden pflegen, erscheint Petrus als ein kahl-
köpfiger Greis. Auch darin gleicht er dem römischen Janus.
Am 18. Januar pflegte in Rom das Fest der „Stuhlfeier Petri"
gefeiert zu werden; angeblich zur Erinnerung an den Tag an
welchem Petrus zu Rom das Bischofsamt angetreten habe.1
Es ist der Tag, an welchem das Sternbild der Kassiopeia zu-
gleich mit dem Steinbock des Morgens aus der Dämmerung
emporkam; Kassiopeia aber wurde von den Alten als eine
Art Stuhl (Gebärstuhl) oder Thron angesehen und galt zu-
gleich als der Schlüssel des Janus (Petrus).2

4. JESUS
Wenn Petrus nach Matth. 16, 19 die Schlüssel des Reiches
der Himmel von Jesus übertragen bekommt, so muß dieser ur-
sprünglich in deren Besitz gewesen sein. Und in der Tat wird
Jesus Joh. 10 gleichfalls als ein ,,Herr der Türen" aufgefaßt.
1
H. Lietzmann: Petrus und Paulus ni Rom. Liturgische und archäo-
logische Studien, 1915, 3, 20, 71, 81. 2 In ähnlicher Weise sind auch
noch andere kirchliche Feste durch Vermittlung des Sternhimmels
zustande gekommen. So, wenn die ältere morgenländische Kirche
das Gedächtnis der Apostel Petrus und Paulus am 28. Dezember, die
römische Kirche dieses am 29. Juni feierte. Es sind die Tage, wo die
Zwillinge, sei es am Abend beim Untergange des Steinbocks, sei es
am Morgen beim Aufgang des Krebses über den Horizont herauf-
steigen. Aus demselben Grunde feierte man in der syrischen und arme-
nischen Kirche am 27. Dezember das Fest der Apostel Johannes und
Jakobus und in Rom am 28. Dezember das Gedächtnis der unschul-
digen Kinder von Bethlehem, da die Zwillinge vielfach als Kinder
dargestellt zu werden pflegten (Markusevg. 164), während am
26. Dezember das Fest des ersten Märtyrers Stephanus begangen
wurde, weil das Sternbild der nördlichen Krone oder des Kranzes
(gr. stephanos) beim Aufgang des Steinbocks gegen Ende des De-
zember kulminierte.

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Joh. 10, 3, 7, 9 nennt er sich selbst die Türe zu den Schafen:
„So jemand durch mich eingehet, der wird selig werden und
wird ein- und ausgehen und Weide finden." In der Offen-
barung des Johannes, vielleicht der ältesten Schrift des Neuen
Testaments, die ursprünglich einem vorchristlichen jüdi-
schen Jesusglauben angehört, spricht der Erlöser: „Ich bin
der Erste und der Letzte. Ich bin der Lebendige. Ich war tot.
Und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und
habe die Schlüssel der Hölle und des Todes."1 Es ist also auch
hier der Sonnengott, der ursprünglich die himmlischen
Schlüssel führt; die Sonne als abwärts und aufwärts sich
bewegendes Gestirn, als leidendes, sterbendes und wieder -
auferstehendes Wesen, als der Gott, der sich selbst in den
Tod gibt und begraben wird, um durch seinen eigenen Unter-
gang den übrigen Geschöpfen das Leben zu gewinnen. Durch
die Pforte des himmlischen Feuers im Krebse, wo die Sonne
(während des Widderzeitalters) sich auf der Höhe ihrer
Macht befindet und ihre größte Kraft entfaltet, steigt er in
die himmlische Unterwelt, den unteren Bogen des Tierkreises
hinab, um durch die Wasserpforte im Steinbock durch
die Zeichen des Wassermannes und der Fische hindurch,
wieder emporzusteigen. 2 Als solcher führt er auch den Namen
Dod, Dodo, Dadu, Däud oder David: der Geliebte, und so
heißt es in der Offenbarung vom „Heiligen", dem „Wahr-
haftigen", er habe „den Schlüssel Davids, der auf tut und nie -
mandem zuschließt, der zuschließt und niemandem auftut". 3
Der Sonnengott, der aus der Pforte des himmlischen Feuers
hinausschreitet, um seinen schweren Gang durch das Erden-
leben anzutreten, der in die Pforte der Sintflut und der
Wasserüberschwemmung, d. h. in die Hölle, eingeht, um die
Seelen aus der Dunkelheit und Not des Winters zu erlösen,
dieser Gott ist in der Tat der rechtmäßige Besitzer der Him-
melsschlüssel, d. h. der beiden Pforten am Sternhimmel, und
es entspricht nur seinem Wesen, wenn er im vorderasia -
tischen Kultus als himmlischer Öffner und Schließer dar-
gestellt wird.
1
a. a. 0. I, 17f. 2 Makrobius: Somn. Scip. I 12. 3 a. a. O. 3, 7.

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Aber nicht bloß als ursprünglicher Schlüsselbewahrer er-
scheint Jesus im Neuen Testamente: er ist es auch, auf den
die Bezeichnung des Steines Anwendung findet, von dem
Jes. 8, 14 spricht. Matth. 21, 42, Mark. 12, 10, Luk. 22, 17
bezieht Jesus selbst das Psalmwort 118, 22 f. vom Stein, den
die Bauleute verworfen haben, und der zum Eckstein gewor-
den ist, auf sich. Paulus nennt Christus einen „geistlichen
Felsen" im Hinblick auf den wasser spendenden Felsen, der
Israel in der Wüste erfrischte.1 Und der Verfasser des ersten
Petrusbriefes spricht von ihm als dem „lebendigen Stein",
den Gott zum Eckstein auserlesen habe, und auf dem die
Gläubigen, als gleichfalls lebendige Steine, sich zu einem gei-
stigen Hause aufbauen sollen,2 sowie auch Paulus Christus
als den „Grundstein des Baues Gottes" bezeichnet hatte, den
er zunächst in der Gemeinde von Korinth, sodann aber in der
gesamten Christenheit erblicken wollte.3 Und hatte nicht
auch der Prophet Sacharja von dem mystischen Stein mit
sieben Augen gesprochen, auf welchem das Heil der Zukunft
beruhen sollte ? Und zwar im Zusammenhange mit einem
Jesus oder Josua, jenem Hohenpriester dieses Namens näm-
lich, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft in
ihre alte Heimat nach Jerusalem zurückgeführt haben sollte
und der im Bewußtsein der Juden nur zu leicht mit dem
gleichnamigen Nachfolger des Moses im Führeramte und
weiterhin mit Jesus zusammenfloß?4 Handelt es sich doch
hier um den sog. Eben Schetijja der Rabbinen, jenen vier-
eckigen „Grundstein", der im zweiten Tempel seit der Rück-
kehr der Juden aus der Gefangenschaft die Stelle der früheren
Bundeslade einnahm,5 und den die Rabbinen auf den Messias
bezogen. 6
Man wird es nach alledem nicht so unbegreiflich finden,
wenn alle diese verschiedenen Vorstellungen, die sich an die
höchstverehrten göttlichen Wesen knüpften, schließlich zu
1
1. Kor. 10, 4. 2 a. a. O. 2, 5f. 3 1. Kor. 3, 9, 11. 4 Sach. 3, 9. 5 Jes.
28, 16. 6 Vgl. zum ganzen: Robertson: Christianity and Mythology,
2. Aufl., 1910, 347—352; Pagan Christs: Studies in comparative
hierology, 2. Aufl., 1911, 332f.; Evangelienmythen, 1910, 101ff.

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einem Ganzen verschmolzen und im Zeitalter der allgemeinen
Religionsvermischung dahin führten, daß alle Glaubensrich-
tungen gegenseitig aneinander abgaben. Keine der damals
vorhandenen Religionsformen aber war so sehr geneigt, die
Vorstellungen aller übrigen in sich aufzunehmen, wie der
Mithraismus, die Religion des persischen Stein- und Schlüssel-
gottes.

4 Drews. Petruslegende 49

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P E T R U S ALS M I T H R A
Wir wissen, welche ungeheure Rolle der Mithraismus wäh-
rend der ersten Jahrhunderte u. Z. im religiösen Leben des
Altertums gespielt hat. Seitdem er zur Zeit des Pompejus
(um 70 v. u. Z.) zum ersten Male in den Gesichtskreis des
Abendlandes getreten war, drang der persische „Deus Sol
invictus", der sich damals bereits ganz Vorderasien unter-
worfen hatte, in una ufhaltsamem Siegeszuge nach Westen
vor und verdunkelte mit seinem Glänze alle übrigen Götter,
die er auf seinem Wege antraf, zumal davor allem die Soldaten
dem kriegerischen Mithra zugetan waren und ihm überall
dort Aufnahme verschafften, wo römische Legionen standen.
Besonders nachdem er in Rom seine Verschmelzung mit dem
des phrygischen Attis vollzogen und außerdem noch die Züge
des altitalischen Janus und damit römische Eigenart ange-
nommen hatte, war Mithra der gefährlichste Gegner, den das
Christentum in den ersten Jahrhunderten seiner Entwick-
lung zu bestehen hatte. So groß war die Anziehungskraft, die
der Mithraismus auf hoch und niedrig ausübte, daß es eine
Zeitlang zweifelhaft erscheinen konnte, ob er oder das Chri-
stentum den endgültigen Sieg über die Geister davontragen
sollte. Ja, die Zuneigung einer Reihe von Kaisern, wie Com-
modus (180—192) und Aurelian(27O—275), der den Mithra-
ismus zur Staatsreligion erhob, verschaffte ihm ein solches
Ansehen, daß das Christentum lange nicht dagegen aufzu-
kommen vermochte. Wenn diese Religion trotzdem schließ-
lich der Kirche doch unterlegen ist, so weniger aus inneren
Gründen, als vielmehr aus Gründen teils der Organisation
— der Mithraismus schloß die Frauen vom Kultus aus und
war im ganzen mehr eine Art antiker Freimaurerei, als eine
öffentliche Religionsgemeinschaft —, teils aber auch aus
Gründen der Staatsvernunft, die es in einem entscheidenden
Augenblicke wünschenswert erscheinen ließ, dem jüdischen
Christus den Vorzug vor dem persischen Mithra einzuräumen.
Vor allem war es der Tod des Kaisers Julianus, der, wie
kein anderer Herrscher, dem Mithradienste zugeneigt war,

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was dem Mithrakultus im Abendlande verhängnisvoll wurde.
Denn dieser Tod im Kampfe gegen die Perser, die furchtbar-
sten Feinde des späteren Kaiserreiches (363), wurde als ein
Zeichen dafür angesehen, daß der persische Gott die Ver-
ehrung von Seiten der Fremden nicht wollte, und mußte ihm
vor allem die Anhängerschaft der Soldaten entziehen. Eine der
ersten Regierungshandlungen seines Nachfolgers Jovianus
war die endgültige Wiedereinsetzung des Christentums in seine
früheren Rechte, nachdem schon vorher Constantius (340)
die heidnischen Tempel geschlossen hatte. Damit war die Rolle
des Mithraismus im Abendlande ausgespielt. Mit einem Fana-
tismus, der an Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit jeder Art
ihrer eigenen Verfolgung durch die Heiden nichts nachgab,
stürzten jetzt die Christen sich über den am Boden liegenden
Gegner und setzten alles daran, dessen Spuren möglichst aus-
zulöschen. Und dies ist ihnen denn auch so gut gelungen, daß
der Mithraismus fast anderthalb Jahrtausende aus dem Ge-
dächtnis der Menschen so gut wie gänzlich verschwunden
war und wir erst heute, nach dem grundlegenden und er-
schöpfenden Werke von Cumont über den Mithraismus
wieder anfangen, einen genaueren Einblick in das Wesen
und die Bedeutung des Mithra und des mit ihm verwandten
und verschmolzenen Attis zu gewinnen. 1
Mithra hatte in Rom sein Hauptheiligtum auf dem Vatikan
an der Stelle der heutigen Peterskirche. Dort wurde er zu-
sammen mit dem schon vorher staatlich anerkannten Attis,
dem sterbenden und wiederauferstehenden jungen Gotte des
phrygischen Mysterienglaubens, und dessen Mutter Kybele
verehrt. Bei den dortigen Ausgrabungen der Jahre 1608 und
1609 sind noch Inschriften über Taurobolien und Kriobolien
(Stier- und Widderopfer) gefunden worden, die vom Jahre
305 bis 390 heraufreichen.2 Mithra-Attis führte hier den
1
S. über ihn außer dem genannten Werk von Cumont und dem Aus-
zug aus demselben, im Deutschen unter dem Titel: Die Mysterien
des Mithra, 1903 erschienen, 2. Aufl. 1911, die vortreffliche Dar-
stellung dieser Religion bei Robertson in dessen „Pagan Christs"
288—338; ferner Sternhimmel 163—186. 2 H. Geiser: Rom beim
Ausgang der antiken Welt, 1901, 11; Lietzmann a. a. O. 127.

4* . 51

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Namen Papa: Vater. Und Vater, pater, pater patrum, pater
patratus: Vater der Väter nannte sich zugleich der Ober-
priester dieses Gottes: genau wie der sog. „Heilige Vater",
sein „Nachfolger auf dem Stuhle Petri". Wie jener, trägt
auch er die Tiara oder Mithra, die Kopfbedeckung des Mi-
thra-Attis, als „Krone" auf dem Haupte, ist er angetan mit
den roten Soldatenschuhen der Mithrapriester, im Besitze der
Schlüsselgewalt des Felsgottes, und auch er schreibt sic h die
Kraft zu, zu binden und zu lösen, entsprechend dem Umstände,
daß auf dem vatikanischen Hügel die Gläubigen durch die
feierliche Bluttaufe des angeführten Stier- und Widderopfers
von ihren Sünden losgesprochen wurden.
Kein Zweifel: der christliche Petrus ist nur eine Verdoppe-
lung und Vermenschlichung des persischen Petros oder
Mithra, der so in die Evangelien hineingelangt ist.1 Die Papst-
kirche ist nur die unmittelbare Fortsetzung oder der christ-
liche Ersatz des alten Petroskultus. Dem Erz- oder Ober-
priester der gesamten katholischen Christenheit entsprach
der Archigallus, der höchste Priester oder heidnische Papst
des Mithra-Attiskultus. Dieser hatte seinen Sitz auf dem
Vatikan, verehrte die Sonne als Erlöser und in der Kybele
die „jungfräuliche" Gottesmutter, die man sitzend, mit einem
Knäblein auf dem Schöße darzustellen pflegte, und die in der
Jungfrau Maria ihr christliches Seitenstück besitzt. Er war
ein Eunuch, wie auch die übrigen Gallen oder Attispriester,
und es scheint, daß die Erinnerung hieran in dem kirchlichen
Verbote an die Priester, sich zu verheiraten und Kinder zu
zeugen, wiederaufgelebt ist. Sind doch auch sonst zahlreiche
alte Kultgebräuche des Mithradienstes in denjenigen der
Kirche übergegangen: so vor allem die Lehre vom Fege-
feuer, der Gebrauch des Weihbeckens, die Sitte des Sich-
bekreuzigens. Nicht bloß in der Anrufung von Heiligen und
Schutzpatronen, den persischen Fervers (Fravaschis), zu
denen auch verstorbene Fromme erhoben werden konnten,
1
Auch Grill weist auf die Verwandtschaft des Petrus mit Mithra hin,
jedoch ohne daraus irgendwelche Folgerungen zu ziehen (a. a. O.
61f . )

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und die jeweils einem besonderen Wirkungskreise vorstan-
den: auch in der Art des Gebetes, der Kindertaufe und Firme-
lung sowie dem Abendmahle stimmt das Christentum mit
dem Mithraismus überein. Die Form des Gottesdienstes,
besonders der Messe, (ein Wort, das mit dem persischen myazd
oder mizd, der Bezeichnung des heiligen Kuchens, zusam-
menzuhängen scheint,1 ) die Gebete des Priesters vor dem
Altar, wobei der Priester bald allein, bald mit seinem Diener
zusammen den Gott anruft, das Händefalten und -ausbreiten,
das Niederknien, das Schwingen von Rauchfahnen, der Vor-
trag der Liturgie in einer dem Volke unbekannten toten
Sprache (Zend), der Gebrauch der Hostie sowie Einzelheiten
der priesterliehen Kleidung (Meßgewand, der Ärmelrock, der
breite Gürtel und die Bischofsmütze (Mithra)), der Zehnte
usw. — dies alles hat die christliche Kirche der persischen
Religion entlehnt.2 Aber auch die christliche Kunst der Kata-
komben steht ganz und gar unter mithrischem Einfluß. Und
schließlich hat das Christentum, wie gesagt, auch den persi-
schen Felsgott selbst in seinen eigenen Himmel aufgenom-
men, indem es ihm in der Gestalt des Petrus einen christ-
lichen Mantel umgehängt und den sog. „Apostelfürsten" un-
mittelbar mit Jesus als dessen ersten Jünger und Nachfolger
im Lehramte, als eine ihm untergeordnete Persönlichkeit in
Zusammenhang gebracht hat.
Eine Kirche, die von Rom aus die Welt zu beherrschen
strebte, wie Mithra-Janus es versucht hatte, bedurfte eines
Gottes, der, wie jener, im römischen Erdreich wurzelte und
zu Rom eine nähere Beziehung hatte. Dazu mußte ihr die
Gestalt des Simon Petrus dienen. Die Gläubigen hatten ihn
bisher nur als den sinnbildlichen Vertreter des Judenchristen-
tums gegenüber dem Heidenchristentum des Paulus gekannt.
Jetzt nahm, was vorher ein bloßer Name gewesen war, unter
mithrischem Einfluß bestimmtere Gestalt an: der Gott wurde
zu einem bloßen Menschen, sowie Jesus aus einem ursprüng-
lichen Gotte zu einem Menschen geworden war, um ihn da-
1
Robertson: Pagan Christs 332. 2 Nork: Mythen der alten Perser
als Quellen christlicher Glaubenslehren und Ritualien, 1835, 153 f.

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durch dem Herzen der Gläubigen näherzubringen, und wie die
Kirche später aus Göttern des Heidentums ihre Heiligen und
Märtyrer gemacht hat: ich erinnere an den hl. Dionysius,
den hl. Georg, die hl. Brigitte, an Cosmas und Damian, die
den griechischen Dioskuren entsprechen usw., wie dies schon
der Manichäer Faustus dem Augustinus entgegengehalten
hat.1 So trat Petrus dem christlichen Heiland als dessen erster
Gehilfe an die Seite, und alles, was man sich von Simon, Pro-
teus, Petra, Atlas, Janus und Mithra erzählte, wurde, wenn
auch in noch so abgeblaßter Form, in die Gestalt des Simon
Petrus hineingespiegelt. Denn noch lebte man ja in den Vor-
stellungen der alten Heidengötter, und es war unvermeid-
lich, daß diese mit denjenigen des Christentums die innigste
Verbindung eingingen. Petrus der ,,Fels der Kirche"! Petrus
der Inhaber der Himmelsschlüssel! Auf den Darstellungen
des mithrischen Kronos findet sich neben diesem wohl ein
Hahn abgebildet.2 Den Persern galt dieser als ein besonders
heiliges Tier, wohl wegen seiner Beziehung zum Sonnenauf-
gang, und er gehört aus demselben Grunde auch zur Gestalt
des Janus. So setzt auch das Evangelium den Hahn zu Petrus
in Beziehung: es läßt ihn krähen, als dieser seinen Herrn
dreimal verleugnet. Und dabei gab es nach der Mischna in
Jerusalem gar keine Hühnerzucht eben wegen jener Be-
ziehung des Hahns zum phönizischen Herakles und Mithra.3
Es kann dort also auch kein Hahn gekräht haben!

1
Opp c. F. XX 4. 2 Sternhimmel Tafel XVIII. 3 Brandt a. a. 0. 32f.

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P E T R U S IN R O M
Die Apostelgeschichte hatte den Petrus nach seiner Befreiung
aus dem Gefängnis des Herodes sich „an einen anderen Ort"
begeben lassen und ihn in der Folge nur noch einmal, bei Ge-
legenheit der Apostelversammlung als ersten das Wort neh-
men lassen, ohne zu sagen, wie er dorthin gekommen und
wo er nachher geblieben sei. Das Apostelkonzil soll im Jahre
53 stattgefunden haben. Auch der Galaterbrief setzt die An-
wesenheit des Petrus auf dieser Versammlung voraus und
berichtet von seinem späteren Aufenthalt in Antiochia. Aber
schon vorher, im Jahre 42, soll Petrus unter Claudius (41
bis 54) nach Rom gekommen sein, und man nimmt an, daß
unter jenem,»anderen Orte" der Apostelgeschichte eben Rom
zu verstehen sei.Hier soll nach Eusebius und Hieronymus 1 Pet-
rus später zusammen mit Paulus, der im Jahre 61 als Gefan-
gener nach Rom gebracht sein soll, gewirkt, die römische
Kirche oder Gemeinde gegründet und während eines Viertel-
jahrhunderts (42—63) das Amt des ersten Bischofs verwaltet
haben, um sodann im Zusammenhange mit der ersten Chri-
stenverfolgung unter Nero gemeinsam mit Paulus den Tod
des Märtyrers zu erleiden. 2 Merkwürdigerweise weiß jedoch
die Apostelgeschichte nichts von einem Zusammenwirken
des Petrus und Paulus in Rom. Sie schließt mit den Worten:
„Paulus blieb zwei Jahre (in Rom) in seiner eigenen Miets-
wohnung, empfing alle, die ihn besuchten, und verkündete
das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus ganz offen,
ungehindert."3 Nun erzählt aber die Apostelgeschichte die
Wirksamkeit des Paulus nur einfach derjenigen des Petrus
nach und dichtet beiden Aposteln denselben Lebenslauf an.
Sie würde somit sicher nicht verfehlt haben, die Wirksam-
keit des Petrus neben der des Paulus zu erwähnen, falls
eine solche tatsächlich stattgefunden hätte.
Dagegen sucht der erste Petrusbrief den Glauben an einen
Aufenthalt des Petrus in Rom und einen Zusammenhang mit
Paulus zu erwecken. Er will nämlich durch Silvanus, „den be-
1 2 3
De vir. illustr. I. Grill a. a. O. 64f. a. a. 0. 28, 30 f.

55

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währten Bruder", von welchem bei Paulus 2. Kor. 1, 19 die
Rede ist, geschrieben sein, übersendet Grüße des Petrus von
seinem „Sohn" Markus, auf den das älteste Evangelium zu-
rückgeführt wird, und ist datiert aus „Babylon"; darunter
wurde vielfach Rom verstanden. Aber gerade dies verrät die
unechte Beschaffenheit des Briefes, denn der Name Babylon
für Rom konnte erst aufkommen nach der völligen Zerstörung
Jerusalems durch Hadrian und der gänzlichen Zerstreuung
der Juden in den dreißiger Jahren des zweiten Jahrhunderts.
Auch ist der Brief derartig geschrieben und trägt so deutliche
Spuren der paulinischen Denkweise zur Schau, läßt so wenig
die judenchristliche Auffassung des angeblichen Petrus er-
kennen und ist überdies auch stilistisch so weit davon entfernt,
von dem armen ungebildeten galiläischen Fischer Petrus ver-
faßt sein zu können, daß, von wenigen ganz vernagelten
Köpfen abgesehen, der sog. erste Petrusbrief heute wohl von
niemandem mehr für echt angesehen wird. Er ist offensicht-
lich nur geschrieben, um glauben zu machen, Petrus sei in
Rom gleichzeitig mit Paulus und dessen Anhängern gewesen
und habe Beziehungen zum ältesten Evangelisten gehabt,
um dessen Darstellung dadurch eine um so höhere Glaub-
würdigkeit zu verleihen.
Noch weniger als der erste kann der zweite Petrusbrief
der Feder des Apostels entstammen. Der Verfasser nennt sich
hier „Simeon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi", tut,
als ob er schon recht alt sei, und erinnert seine Leser daran,
wie er mit Jesus zusammen auf dem Berge der Verklärung
geweilt und die himmlische Stimme vernommen habe, die
Jesus für den Sohn Gottes erklärte. Nun ist aber, wenn irgend
etwas, gerade die Verklärungsgeschichte zugestandener-
maßen rein erfunden und bloß alttestamentlichen Vorbildern
nachgedichtet.1 Petrus kann also davon auch nichts berichtet
haben. Der Verfasser erinnert daran, daß er auch den ersten
Petrusbrief geschrieben habe, und sucht ebenfalls den An-
schein zu erwecken, als ob er sich gleichzeitig mit Paulus in
Rom befände, indem er dabei zugleich auf dessen Brief an-
1
Markusevg, 182ff.

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spielt. Man darf jedoch zweifeln, ob die beiden Briefe über-
haupt von demselben Verfasser herstammen. Denn während
der erste Petrusbrief in gewohnter Weise das Ende als nahe
herbeigekommen hinstellt,1 sucht der zweite die Gläubigen
mit sonderbaren Ausflüchten darüber hinwegzutrösten, daß
die von allen ersehnte Wiederkunft des Herrn solange auf
sich warten läßt. Es handelt sich offensichtlich um plumpe
Fälschungen aus der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts,
wenn nicht aus noch späterer Zeit. Und von derselben Art
sind auch die Bruchstücke, die unter dem Titel „Offenbarung
des Petrus" in den Neutestamentl. Apokryphen, hrsg. von
Hennecke, abgedruckt sind.
Aber auch was die Kirchenschriftsteller uns sonst über den
Aufenthalt des Petrus in Rom mitzuteilen haben, verdient
keinerlei Glauben: weder dessen Zusammenkunft mit dem
alexandrinischen Juden Philo, der ein Freund des Petrus ge-
wesen sein soll (!), noch die mehrfachen Reisen, die der Apo-
stel nach und von Rom unternommen haben soll, und die nur
erfunden sind, um seine Anwesenheit auf der Apostelver-
sammlung zu Jerusalem und in Antiochia zu erklären, noch
endlich sein Verhältnis zu Markus und dessen Evangelium.
Das stammt alles bloß von Eusebius, der damit eine kirch-
liche Überlieferung zu begründen und einen Zusammenhang
zwischen Rom und der angeblichen Stiftung des Christen-
tums durch Jesus herzustellen suchte, und sein geschicht-
licher Wert ist von derselben Güte wie das, was die Apostel-,
geschichte über die Reisen und persönlichen Beziehungen des
Paulus mitteilt. Vielleicht kann man die Vorlesung eines Halb-
jahrs mit diesen Fabeleien ausfüllen, nur soll man nicht
meinen, damit irgendwie wissenschaftliche Arbeit zu leisten.
Man könnte mit demselben Rechte etwa auch Sindbads
Reisen und Taten in Tausendundeiner Nacht „wissenschaft-
lich" vor Studenten behandeln.
Welches Zeugnis haben wir denn nun aber für den Auf-
enthalt des Petrus in Rom und seinen dortigen Märtyrertod
zusammen mit dem Apostel Paulus ?
1
a. a. 0. 4, 7.

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Es soll im sog. ersten Brie f des Römers Clemens an die
Korinther enthalten sein, der um 95 geschrieben sein soll.
Unterrichten wir uns zunächst über die Persönlichkeit dieses
Mannes. Nach den sog. pseudoclementinischen Rekogni-
tionen soll er der Sohn eines vornehmen Römers gewesen
sein, der, um die christliche Lehre kennenzulernen (!), nach
Palästina reiste und sich von Petrus im Christentume unter-
richten ließ. Nach dem — übrigens zugestandenermaßen un-
echten — Brief des Clemens an den Apostel Jakobus soll
Petrus ihn zu seinem Nachfolger auf dem römischen Bischofs-
stuhl erwählt haben. Bald soll er dieses Amt tatsächlich aus-
geübt haben, bald auch nur einfach, wie nach Eusebius,1 der
Sekretär des Petrus in Rom gewesen sein. Die Nachrichten
über ihn lauten alle sehr verworren, und die übrigen unter
seinem Namen erhaltenen Schriften, Briefe, Predigten sind
so offenkundige Fälschungen, daß sie selbst bei den Theo-
logen kein Ansehen besitzen. Was aber den angezogenen
Brief betrifft, so soll er diesen bei Gelegenheit eines Streites
geschrieben haben, der in der Gemeinde zu Korinth aus-
gebrochen war, um sie im Namen der römischen Brüder zur
Eintracht zu ermahnen. Das klingt nun freilich nicht gerade
sehr wahrscheinlich. Denn daß die römische Gemeinde gegen
Ende des ersten Jahrhunderts bereits ein solches Ansehen
besessen haben sollte, um durch ein in ihrem Namen ver-
faßtes amtsförmliches Sendschreiben den Korinthern Vor-
schriften zu machen und ihnen, wenn auch in aller Liebe und
Güte, Anweisungen und Rat zu geben, wie sie sich verhalten
sollten, muß Bedenken erregen. Sollte hier nicht viel-
mehr bereits die Kirche der späteren Jahrhunderte sprechen ?
Und blickt nicht durch das ganze Schreiben nur zu deutlich
die Absicht hervor, der römischen Gemeinde einen beson-
deren Vorrang vor alle n übrigen zuzuschreiben? Hervor-
ragende Forscher, wie Semler, Baur, Schwegler, Zeller, Volk-
mar,2 Hausrath,3 Loman,4 van Manen,5 Steck,6 van den
1
Kirchengesch. III 16. 2 Vgl. dessen Abhandlung über Clemens von
Rom und die nächste Folgezeit, Tüb. theol. Jahrb. 1856, 287—369.
Vgl. auch Jesus und die neutestamentl. Schriftsteller II 1909, 239

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Bergh van Eysinga 1 u. a., haben denn auch die Echtheit des
Briefes überhaupt bestritten. Volkmar setzt den Brief in das
Jahr 125, Loman, van Manen und Steck lassen ihn erst um
140 abgefaßt sein, und Hausrath versetzt ihn in die Regie -
rungszeit Hadrians (117—138), wenn nicht erst des Anto-
ninus Pius um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, womit
aber nicht gesagt ist, daß er nicht auch noch späterer Her-
kunft sein könnte, was vielmehr sehr wahrscheinlich ist.
„Wahrheitsliebe", sagt der Geschichtsschreiber Seeck, „war
eine Tugend, die das Christentum sehr niedrig schätzte."2
Die Kirche hat so viele Fälschungen auf dem Gewissen, daß
sie sich nicht wundern darf, wenn man ihren bezüglichen
Angaben überhaupt keinen Glauben mehr entgegenbringt.
Stellt doch auch das ganze Neue Testament insofern eine
Fälschung dar, als keine seiner Schriften vor dem zweiten
Jahrhundert entstanden ist, während diese doch den Anschein
zu erwecken suchen, als gehörten sie bereits der Mitte des
ersten an.
Und was erfahren wir nun aus dem ersten Clemensbrief
über die Person des Petrus? „Aus Eifersucht und Neid",
schreibt er den Korinthern, „wurden die größten und gerech-
testen Säulen verfolgt und kämpften bis zum Tode. Stellen
wir uns die guten Apostel vor Augen: den Petrus, der wegen
ungerechter Eifersucht nicht eine oder zwei, sondern viele
Fährlichkeiten ertrug und so nach Ablegung seiner Zeugen-
schaft zu dem ihm gebührenden Orte der Herrlichkeit wan-
derte. Wegen Eifersucht und Streitsucht zeigte Paulus den
Weg zum Kampfpreise geduldigen Ausharrens: in Banden
war er siebenmal, in die Verbannung floh er, gesteinigt wurde
er, als Herold trat er im Osten und im Westen auf und des-
wegen hat er herrlichen Ruhm für seinen Glauben geerntet.
Denn die ganze Welt hat er Gerechtigkeit gelehrt, bis zum
3
Neutestamentl. Zeitgesch. III 99. 4 Quaestiones Paulinae in Theol.
Tijdschrift 1883, 14ff. 5 Oudchristl. Literaturkund 78. 6 a.a.O. 294fr.
1
Onderzook naar de echtheid von Clemens' eersten brief aan de Co-
rinthiers, 1908. 2 Seeck: Entwicklungsgeschichte des Christentums,
1921, 497.

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äußersten Westen ist er vorgedrungen und vor den Macht-
habern hat er sein Zeugnis abgelegt. So ward er denn aus der
Welt genommen und wanderte an den heiligen Ort, das
größte Vorbild von Geduld."1
Wo ist nun in diesen Worten gesagt, daß Petrus in Rom
gewesen sei ? Man weist darauf hin, daß beide Apostel un-
mittelbar hintereinander erwähnt würden und der römische
Aufenthalt des Paulus aus der Apostelgeschichte feststünde:
also müsse der Schreiber des Briefes die Anwesenheit des
Petrus in Rom vorausgesetzt haben (!). Und was war das
für eine „ungerechte Eifersucht", wegen deren der gute
Apostel so viele Fährlichkeiten ertragen mußte ? Und was für
eine Zeugenschaft hat er abgelegt? Das Wort martyresas
gibt uns hierüber keinen Aufschluß. Denn martys heißt ur-
sprünglich nur einfach soviel wie Zeuge oder Bezeuger (con-
fessor) und bezeichnet nur jemanden, der für die Wahrheit
des christlichen Glaubens zeugt; sei es auf Grund einer per-
sönlichen Beziehung zu Jesus, sei es infolge einer Erschei-
nung des Auferstandenen, durch welche die Wahrheit seines
Evangeliums bestätigt wird, sei es auch nur auf Grund der
Fähigkeit, Weissagungen zu erteilen und damit einen Be-
weis für die Wirksamkeit des heiligen Geistes in der christ-
lichen Gemeinde zu liefern. Martys war somit eine Rang-
stufe, eine Würde innerhalb der Gemeinde, und jemand
konnte ebenso ein martys heißen, der für seinen Glauben
gelitten hatte, wie jemand umgekehrt gelitten haben konnte,
ohne darum als martys angesehen zu werden. So heißt der
mythische Stephanos, der für seinen Glauben gestorben sein
soll, ein martys (Märtyrer): aber nicht deshalb, weil er für
seinen Glauben gestorben sein soll, sondern weil er Christus
geschaut und von ihm gezeugt haben soll, und er würde auch
dann ein Märtyrer genannt worden sein, wenn er nicht an-
geblich von den Juden gesteinigt worden wäre. Erst später,
zur Zeit der staatlich angeordneten Christen Verfolgungen,
im Wettbewerb mit den übrigen Religionen und der ihnen
feindlichen Philosophie, als die Christen die höhere Wahr-
1
Neutestamentl. Apokryph., 1904, 91.

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heit ihres Glaubens durch ihre Standhaftigkeit und ihre Kraft
im Leiden zu bezeugen suchten, verschmolzen die beiden
Begriffe des martys und des Blutzeugen miteinander; und
nun gelangte man naturgemäß dahin, zu denken, auch die -
jenigen, die in früherer Zeit von Christus gezeugt, hätten dies
Zeugnis mit ihrem Tode besiegeln müssen.1 Es ist demnach
nichts weniger als sicher, daß der Verfasser des ersten Cle -
mensbriefes bei seiner Erwähnung der Märtyrerschaft des
Petrus an eine Blutzeugenschaft des letzteren gedacht hat.
Denn wenn er auch von Verfolgungen spricht, denen die
Apostel ausgesetzt gewesen seien, und bemerkt, daß sie „bis
zum Tode kämpften", so sagt er doch nicht, daß sie den Tod
wegen ihres Glaubens erlitten hätten. Den Märtyrertod er-
leiden und bis zum Tode kämpfen, sind aber doch wohl zwei
sehr verschiedene Dinge. Und wenn man aus der angeführten
Stelle herausliest, daß Petrus mit Paulus zusammen den
Märtyrertod erlitten habe, so doch wohl nur, weil Paulus, der
gleich hinter ihm erwähnt wird, nach der Überlieferung
unter Nero umgekommen sein soll; diese Überlieferung,
aber ist eine ganz späte, und tritt mit Bestimmtheit erst
in den sog. Akten des Paulus auf. Ihr Herausgeber in
den Neutestamentl. Apokryphen setzt sie in das Ende des
zweiten Jahrhunderts; möglicherweise aber sind sie noch
jünger und gehören in ihrer vorliegenden Form vielleicht
erst dem fünften Jahrhundert an. 2 Übrigens läßt die Über-
lieferung den Paulus zwar unter Nero, aber durchaus nicht
als ein Opfer der aus Tacitus Annalen XV 44 bekannten nero-
nischen Christenverfolgung sterben.3 Clemens kann also gegen
Ende des ersten Jahrhunderts den Tod der beiden Apostel
auch noch nicht mit der neronischen Verfolgung in Beziehung
gebracht und gemeint haben, daß sie zusammen gestorben
seien.
Aber da heißt es nun an der genannten Stelle weiter: „Zu
1
Hochart: Etudes au sujet de la persécution des chrétiens sous
Néron, 1885, 287ff. 2 Geiser: Geschichte Roms und der Päpste im
Mittelalter I 180; Lietzmann a. a. O. 125. 3 Frey: Die letzten
Lebensjahre des Paulus; biblische Zeit- und Streitfragen, 1910.

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diesen Männern (Petrus und Paulus), die einen heiligen
Lebenswandel geführt haben, ward eine große Menge von
Auserwählten versammelt, die wegen Eifersucht vielfach
Schmach und Qual erduldeten und so zu überaus herrlichen
Vorbildern in unserer Mitte wurden. Wegen Eifersucht wur-
den Frauen verfolgt, die, Danaiden und Dirken, gräßliche
und gottlose Mißhandlungen erduldeten und dadurch zum
sicheren Ziel im Glaubenswettlaufe gelangten und herrlichen
Ehrenpreis empfingen, obwohl sie doch schwach am Leibe
waren." Was mögen sich die Empfänger, an die der Brief
gerichtet gewesen sein soll, bei diesen Worten wohl gedacht
haben? Die gelehrtesten Männer wissen nichts mit ihnen
anzufangen. „Diese Worte", sagt Arnold in seiner Schrift
über „Die neronische Christenverfolgung" (1888), „erschei-
nen gleich auf den ersten Blick (!) als christliches Gegen-
stück der Schilderungen des Tacitus; auch jener redet ja von
,ganz ausgesuchten Strafen', von Schmach und Hohn, mit
dem die Unglücklichen in ihrem Tode mißhandelt wurden,
und von einer Befriedigung der Schaulust der Menge dabei."1
Aber sollte Tacitus bei seiner bekannten Vorliebe für der-
artige Schauergeschichten sich das grausige Bild der auf den
Hörnern der Stiere geschleiften Dirken haben entgehen
lassen? Und was bedeuten jene Danaiden, in deren Gestalt
christliche Frauen verhöhnt und gemartert seien ? Kann man
im Ernste glauben, die langweiligen wasserschöpfenden
Töchter des Danaos hätten ein anziehendes Bild zur Be-
friedigung der Schaulust und des Blutdurstes der Menge ab-
gegeben? Oder wollte der Schreiber des Briefes mit den
Worten „Danaiden und Dirken", die ohne Zusammenhang
mit dem Vorangegangenen und Folgenden im Texte dastehen,
vielleicht nur die christlichen Märtyrer innen in einen Gegen-
satz zu den Frevlerinnen des antiken Mythus stellen? Und
ferner: was bedeutet es, daß jene vielen Männer und Frauen
„aus Eifersucht und Neid" mißhandelt sein sollen und daß der
Fall der Christen in dieser Beziehung mit dem Falle Kains
und Abels, Jakobs und Esaus, Josephs und seiner Brüder,
1
a. a. O. 37
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Moses' und des Ägypters, Aarons und Mirjams, Dathams und
Abirams, Davids und Sauls auf eine Linie gestellt wird?
Renan denkt hierbei an den Hass der Juden gegen die Christen,
wogegen jedoch Joel seine Glaubensgenossen erfolgreich ver-
teidigt hat, zumal da auch Tacitus zu einer solchen Auffassung
nicht die geringste Handhabe bietet.1 Arnold denkt an „De-
nunziationen parteiverblendeter Christen". 2 Nach Lactantius
soll gar die Eifersucht Neros auf die Erfolge ihrer Werbe-
tätigkeit es gewesen sein, was dem Kaiser zur Verfolgung der
Apostel die Veranlassung gegeben habe. Ob aber nicht dem
Schreiber des Clemensbriefes die Ansicht der sehr späten
Petrusakten und anderer apokrypher Schriften vorgeschwebt
hat, wonach der Zauberer Simon, der sich aus Eifersucht
und Neid gegen Petrus mit diesem in einen Wettkampf ein-
ließ, die Christenverfolgung verursacht haben soll ? Und ob
sich diese ganze Stelle mit ihren nichtssagenden Wendungen
und plattrednerischen Allgemeinheiten überhaupt auf die
neronische Verfolgung bezieht und nicht vielmehr Marter, die
christliche Männer und Frauen bei den späteren Verfolgun-
gen zu erdulden hatten, in die Zeit des Nero zurückverlegt
sind? Geht doch nicht einmal das aus dem Clemensbriefe
hervor, daß die „Menge von Auserwählten", die „wegen
Eifersucht vielfache Schmach und Qual erduldeten" und zu
den Aposteln Petrus und Paulus „versammelt" wurden, mit
diesen zur selben Zeit gestorben seien. Die Annahme ent-
springt ja bloß der üblichen gedanklichen Verknüpfung zwi-
schen dem Tode der Apostel und der angeblichen neronischen
Verfolgung: einer Gedankenverbindung, von der es also
sehr zweifelhaft ist, ob sie zur Zeit des Clemens überhaupt
schon bestand, ganz abgesehen davon, daß Paulus und Petrus
doch eben erst im Jahre 66 hingerichtet sein sollen, die
neronische Verfolgung aber bereits im Jahre 64 stattgefun-
den haben soll und überdies eine bloße Legende darstellt.3
Da die Beziehung der angeführten Stelle auf die nero-
1
Manuel Joel: Blicke in die Religionsgeschichte des zweiten christl.
Jahrhunderts II 1183. 2 a. a. 0. 69. 3 Christusmythe II 28—75;
ferner Christusmythe 1924, 145 ff.

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nische Verfolgung so ziemlich die einzige Handhabe zur Be-
stimmung der Entstehungszeit des Briefes bietet und jene
ganz und gar zweifelhaft ist, so schwebt das Datum des
Briefes völlig in der Luft, und der Brief kann ebensogut dem
ersten wie dem vierten Jahrhundert angehören, dem „großen
Jahrhundert literarischer Fälschungen", wie Edwin Johnson
es genannt hat,1 was nur insofern ungenau ist, als das Fäl-
schen im Christentum von jeher eine große Rolle gespielt hat
und wir überhaupt keine andere urchristliche Literatur als
’unechte, untergeschobene oder gefälschte’ besitzen, nur
daß man diese, weil es sich um das Christentum handelt,
höflicherweise mit den schönen Fremdwörtern „pseudepi-
graphisch" oder „apokryph" zu bezeichnen pflegt. Denn auch
die Beziehung der Eingangsworte des Briefes, wo von Fähr-
lichkeiten und Drangsalen die Rede ist, die plötzlich über die
Gemeinde gekommen seien, auf die domitianische Verfol-
gung im Jahre 93 ist nichts weniger als sicher. War doch die
domitianische Verfolgung überhaupt keine Christenverfol-
gung. Der Text des Dio Cassius,2 auf den man sich dafür
stützt, läßt höchstens auf eine Verfolgung solcher schließen,
die, wie Flavius Clemens, der Vetter des Kaisers, zum
„Atheismus" oder zum jüdischen Glauben hinneigten. „Hört
man nur die römischen Quellen, so hat man gar keine
Christenverfolgung unter Domitian; hört man die christ-
lichen, so geht diese Verfolgung weit über Rom hinaus, da
nach Hegesipp auch die Enkel des Judas, als Verwandte
Christi, aus Palästina nach Rom beschieden und verhört
wurden, und nach Eusebius, vielleicht auch schon Irenäus,
damals der Apostel Johannes nach Patmos verbannt wurde.
In diesem Falle kann man nicht sagen, nur Rom sei von der
Heimsuchung betroffen worden, und die Analogie mit der
Schilderung unseres Briefes fällt dahin."3 Es scheint dem-
nach, als ob auch hier erst die blühende Phantasie der Ver-
teidiger des Christentums und der Kirchenväter, die eine
möglichst frühe Leidensgeschichte des Christentums brauch-
ten, eine Verfolgung der Christen als solcher hieraus gemacht
1
Antiqua mater 1887, 304. 2 67, 14. 3 Steck a. a. O. 297.

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hat.1 Und so kann das Endurteil über den ersten Clemens-
brief nur lauten, daß aus ihm weder ein Auf enthalt des Petrus
in Rom, noch sein gewaltsames Ende bei Gelegenheit der
Christen Verfolgung unter Nero erschlossen werden kann. 2
Aber vielleicht leistet uns der Brief des antiochenischen
Bischofs Ignatius an die Römer in dieser Beziehung bessere
Dienste? Der Brief soll etwa im Jahre 107, kurz vor dem
Tode des Ignatius auf seiner Reise nach Rom geschrieben
sein und atmet die Stimmung eines Mannes, der sich bewußt
ist, demnächst wegen seines Glaubens den wilden Tieren vor-
geworfen zu werden. Ob der Verfasser aber wirklich Ver-
anlassung hatte, solches anzunehmen? Von Christen Verfol-
gungen unter Trajan berichtet uns allerdings der berühm-
te Brief des Plinius an seinen Kaiser. Aber dieser Brief ist
unecht. Er entstammt der Feder des Jucundus von Verona
aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, wie Hochart eingehend
nachgewiesen hat.3 Und jedenfalls haben wir keine Veran-
lassung anzunehmen, daß schon unter Trajan die Christen
wegen ihres Glaubens den wilden Tie ren vorgeworfen wur-
den. Die Echtheit des Ignatiusbriefes ist daher auch mit
Recht von den verschiedensten Seiten her bestritten worden.4
Gesetzt aber auch, er wäre unanfechtbar, was erfahren wir
aus ihm über den Aufenthalt des Petrus in Rom? „Nicht wie
Petrus und Paulus befehle ich euch", schreibt Ignatius an die
römische Gemeinde.3 Das ist offenbar zu wenig, um daraus
irgendwelche Schlüsse ziehen zu können.
Und nun gar die Nachricht des Bischofs Dionysius von
Korinth (um 170); Petrus und Paulus hätten zusammen die
Gemeinde zu Korinth gegründet und belehrt, seien nach
1
Vgl. Br. Bauer: Christus und die Cäsaren, 1877, 238ff.; ferner Joel
a. a. 0. 45f. 2 Vgl. Schmiedel: art. Simon Peter in Enzyklop. biblica IV.
Sonderbarerweise weiß Justin (um 150) nichts von einem Aufenthalt
des Petrus in Rom, und Schmiedel rät auch aus diesem Grunde zur Vor-
sicht gegenüber dem Briefe des römischen Clemens und warnt davor,
in diesem ein Zeugnis für einen solchen Aufenthalt finden zu wollen.
3
Hochart a. a. O. 79—143. 4 Vgl. z. B. van den Bergh van Eysinga:
Zur Echtheitsfrage der ignatianischen Briefe, Prot. Monatshefte,
11. Jahrg., 1907, Heft 7 u. 8, 258ff.; 301 ff. 6 a. a. O. 4.

5 Drews, Petruslegende 65

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Italien gekommen, hätten dort das Evangelium verkündet
und beide zugleich den Märtyrertod erlitten! Die Nachricht
steht in schroffstem Widerspruche zu dem, was Paulus selbst
uns i. Kor. 3, 5 ff. über die Gründung der korinthischen Ge-
meinde mitteilt Sie verfolgt offensichtlich nur den Zweck,
die beiden Apostel mit der römischen Kirche in eine nähere
Beziehung zu bringen, und gehört zu jenen zahllosen Fäl-
schungen und Zurechtmachungen, die Eusebius, der uns
jene Nachricht mitteilt, dieser „durch und durch unehrliche
Geschichtsschreiber des Altertums", wie Jakob Burckhardt
ihn genannt hat,1 sich im Interesse der kirchlichen Über-
lieferung gestattet hat.2
So gibt uns auch das Zeugnis des Presbyters Gaius aus
der Zeit des Bischofs Zephyr inus (um 210) keine größere
Gewißheit, der nach demselben trüben Gewährsmann Euse-
bius 3 geschrieben haben soll: „Ich will dir die Trophäen (?)
der Apostel zeigen. Wenn du auf den Vatikan gehst oder auf
die Straße nach Ostia, wirst du die Trophäen derer finden, die
diese Kirche gegründet haben." Die Angabe pflegt allgemein
so gedeutet zu werden, daß Paulus auf der Straße nach Ostia,
Petrus auf dem vatikanischen Hügel den Märtyrertod er-
litten und dort sein Grab (tropaion) besessen habe. Nun findet
sich die erste genauere Darstellung des Todes der beiden
Apostel, wie gesagt, in den Akten des Petrus und Paulus.
Hiernach soll Paulus auf Befehl des Nero enthauptet wor-
den sein, und zwar wie es heißt, auf der Straße nach Ostia,
Petrus aber soll, weil er den Simon Magus in einem vom
Kaiser angeordneten Wettkampf besiegte, dessen Tod her-
beiführte und die Kebsweiber des Agrippa, des Präfekten
Neros, durch seine Predigt zur Keuschheit veranlaßte (!), auf
Anstiften des Agrippa, gekreuzigt worden sein, und zwar mit
dem Kopf nach unten:gemäss seiner eigenen Bitte.Dabei wis-
sen jedoch die Petrusakten nichts von einer allgemeinen Chri-
stenverfolgung unter Nero. Zwar beabsichtigt der Kaiser an-
fangs, alle Schüler des Petrus zu verderben; allein eine nächt-
1 2
Leben Konstantins, 2. Aufl., 1860, 335, 347. Kirchengesch. 2, 25.
3
a. a. O. II 25, 7.

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liehe Erscheinung bringt ihn hiervon ab, so daß die Jünger in
der Zeit, in welcher Petrus das Leben verlassen hatte, „einmü-
tig zusammenblieben, sich freuten und jauchzte n in dem Herrn
und ungestört ihrem Glauben lebten". 1 Wohl aber erzählen
die Paulusakten, wie gleichzeitig mit dem Apostel viele Chri-
sten, die mit jenem gefangen waren, den Tod durch Feuer
erlitten hätten und deren Zahl so groß gewesen sei, daß durch
das Morden selbst die Römer aufgebracht worden seien, weil
sie hiervon eine Schwächung der Volkskraft befürchtet hät-
ten (!).2 Man wird nicht sagen können, daß eine auf diese
phantastische Überlieferung gestützte Nachricht auch nur
den geringsten Glauben verdiene.
Was nun die weiteren Zeugnisse für einen Aufenthalt des
Petrus in Rom betrifft, so sind auch sie ohne jeden Wert.
So, wenn Irenäus, Bischof von Lyon, in der zweiten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts die römische, „jene größte und
älteste, allbekannte Kirche" von Petrus und Paulus begrün-
det und errichtet sein läßt und hinzufügt, die seligen Apo-
stel hätten die Leitung jener Kirche dem Linus übertra-
gen. 3 Auch hier ist die Absicht, die in der Kirche niedergelegte
christliche Lehre unmittelbar auf die Apostel selbst zurückzu-
führen und im Interesse der Einheit des Glaubens eine
lückenlose römische Überlieferung herzustellen, zu un-
verkennbar, als daß auf diese Angabe irgendwelches Gewicht
zu legen wäre.
Ein rein im Dienste der Kirche schreibender Mann, wie
Tertullian, zu Beginn des dritten Jahrhunderts, läßt sich
folgendermaßen vernehmen: „Oh, wie glücklich ist diese
Kirche, in welche die Apostel mit ihrem Blute den Schatz
ihrer Lehre niedergesenkt haben, wo Petrus seinem Herrn
in der Todesart (durch das Kreuz) ähnlich ward, wo Paulus
die Krone des Johannes (des Täufers, den Tod durch das
Schwert) erwirbt!"4 An einer anderen Stelle 5 schreibt er:
„Zuerst hat Nero den beginnenden Glauben mit Blut befleckt.
Damals wurde Petrus (nach Christi Wort) von einem andern
1
a. a. Ö. 41. 2 a . a . O . 2 f f . 3 Adv. haer. III 3,1 u. 2. 4
De~praesr.36
und Adv. Marcionem 4, 5. 5 Scorpiace 15.

5* 67

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gegürtet, als er ans Kreuz geheftet ward; damals hat Paulus
das Bürgerrecht von Rom in höherem Sinne erworben, als
er durch sein erhabenes Martyrium daselbst wiedergeboren
wurde." Allein was ist bei der bekannten Unzuverlässigkeit
und Leichtgläubigkeit jenes Mannes, den Robertson mit
Recht den „närrischsten aller christlichen Väter" genannt
hat, darauf für ein Gewicht zu legen ? Tertullian wiederholt
hier nur einfach die Legenden, die über den Tod der beiden
Apostel zu seiner Zeit im Schwange waren und die in den
Akten des Petrus und Paulus ihre romanhafte Ausschmük-
kung erhalten haben. Aber auch der Alexandriner Clemens,
nach dessen Angabe das Markusevangelium auf Grund der
Predigt des Petrus in Rom entstanden sein soll, kann nicht
als zuverlässiger Zeuge in Frage kommen, schon deshalb
nicht, weil jene Angabe uns wieder nur bei Eusebius 1 auf-
bewahrt ist und dieser sich durch seine Lohnschreiberei im
Dienste der Kirche um alles wissenschaftliche Ansehen ge-
bracht hat.
Es gibt also hiernach kein einziges wirkliches Zeugnis,
durch welches die Anwesenheit des Petrus in Rom bewiesen
würde, und am wenigsten hat er dort als erster das Bischofs-
amt verwaltet. Denn dies widerspricht nicht bloß der Apostel-
geschichte und den Paulusbriefen, die nirgends auf einen
römischen Aufenthalt des Petrus anspielen: es ist auch un-
vereinbar mit der Angabe des Irenäus und der Nachricht des
Eusebius, wonach die Reihe der Vorsteher der römischen Ge-
meinde nicht mit Petrus, sondern mit Linus begonnen habe,
ganz abgesehen davon, daß es während des ersten Jahrhun-
derts in Rom überhaupt noch keinen Bischof gegeben hat.
Was will es demgegenüber besagen, wenn von Seiten der
römischen Altertumsforschung doch immer wieder der Ver-
such gemacht wird, die Gräber der beiden Apostel Petrus und
Paulus an Ort und Stelle nachzuweisen? H. Lietzmann hat
in seiner Schrift „Petrus und Paulus in Rom" (1915) eine mit
vieler höchst überflüssiger Gelehrsamkeit angefüllte Abhand-
lung über den Gegenstand geliefert und darin die Richtigkeit

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der römischen Funde zu bestätigen unternommen. Und was
ist das Ergebnis ? Daß man um 200 in Rom zwei Gräber als
die des Petrus und des Paulus zeigte und daß die Überlieferung
die Gebeine der Apostel im Jahre 258 den beiden Gräbern
entnehmen läßt, um sie ad Catacumbas, d. h. an der via
Appia in der heutigen Kirche St. Sebastiano, beizusetzen, von
wo sie alsdann unter Konstantin wieder an ihren alten. Ort
zurückgebracht und seit der Zeit unberührt daselbst ge-
blieben sein sollen. Die Sache ist so zweifelhaft, daß Lietz-
mann selbst sein Mißtrauen gegen die ersterwähnte Nach-
richt nicht unterdrücken kann. Die Zeit um 200 ist diejenige
des erstarkenden Selbstbewußtseins der römischen Kirche.
Damals hat im sog. Osterstreite ein römischer Bischof zum
ersten Male seine heimische Praxis als für alle Kirchen maß-
gebend hingestellt. Im Kampfe mit der montanistischen
Ketzerei und der Gnosis berief man sich damals mit steigen-
dem Nachdruck auf die apostolische Überlieferung, als deren
Bürgen im Abendlande Petrus und Paulus, die angeblichen
Begründer der Christengemeinde in Rom, angesehen wurden.
„Wenn nun im theologischen Streit eine morgenländische
Kirche ihre besonderen apostolischen Zeugen vorführte und
zur Verstärkung des Eindrucks auf deren noch vorhandene
Gräber hinweisen konnte — wie wir es im Osterstreite
sehen — was lag da nähe r, als auch in Rom nach den Gräbern
des Petrus und Paulus zu suchen und sie schließlich zu
finden? Die Forderungen einer dogmatisch beeinflußten
Praxis haben in der Kirche noch immer über historische Be-
denklichkeiten den Sieg davongetragen (!). Als Ambrosius
im Kampf gegen die Kaiserin Justina eine volkserregende
Hilfe brauchte, fand er die Gebeine des hl. Protasius und
Gervasius. Als Kyrill den. Isiskult zu Menuthis bei Alexandria
lahmlegen wollte, entdeckte er die Reliquien der hl. Kyros
und Johannes sogar unter erschwerenden Umständen. Und
wenn man auch im zweiten Jahrhundert sicher noch nicht
diese unbekümmerte Großzügigkeit des Findens (so !) von bis
dahin unbekannten Heiligen samt ihren Gräbern, besaß, die
wir im vierten und fünften Jahrhundert staunend vermerken:
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es bleibt doch eine recht naheliegende Vermutung, daß die
Römer, um den Orientalen nicht nachzustehen, gegen Ende
des zweiten Jahrhunderts das Bedürfnis empfunden haben,
auch die Gräber ihrer Apostel vorweisen zu können. Von
diesem Wunsche bis zu seiner Erfüllung ist dann nur ein
kleiner Schritt. Wo die Lokaltradition fehlte, konnten Kom-
binationen oder auch Visionen helfend eintreten und zur
— rein historisch gesprochen — völlig willkürlichen Fest-
legung zweier beliebigen Grabstellen führen."1
Nun aber hat man bei den Nachgrabungen in S. Sebastiano
neuerdings Inschriften an den Wänden eingekritzelt gefunden,
die ein sicheres Zeugnis dafür liefern sollen, daß die Gebeine
der beiden Apostel dort wirklich eine Zeitlang geruht haben.
Da heißt es etwa„Petre et Paule in mente noshabeatis!"und
ähnlich. Wir wissen nicht, wann diese Inschriften zustande-
gekommen sind. Es sind bloße Anrufungen an die Apostel.
Aber seit wann bedeuten solche, daß der Leichnam der An-
gerufenen an der betreffenden Stelle beigesetzt sei? Die
Zeugnisse sagen bestenfalls, daß man im dritten oder vierten
Jahrhundert an den zeitweiligen Aufenthalt der Apostel-
leichname ad Catacumbas geglaubt hat.2 Es ist nur die Dienst-
1
Lietzmann a. a. O. 166. 2 Es scheint, daß die Zusammenstellung
der beiden Apostel und ihre Beziehung auf Rom im letzten Grunde
astral bedingt ist. Ihr Fest wurde, wie früher schon bemerkt, am
29. Juni gefeiert. Es ist der Tag des Frühaufgangs der Zwillinge
Castor und PoIlux, der „lucida sidera", die nach Horaz für die Schutz-
geister Roms angesehen wurden. Und wirklich feiert auch der Bischof
Damasus in einer bekannten Inschrift zu St. Sebastiano den Petrus
und Paulus als die „neuen Gestirne" (nova sidera) und spricht von
ihnen in Ausdrücken, die, wie dies auch La Piana bemerkt, den Ge-
danken an die Zwillinge nahelegen:
„Hie abitasse prius sanetos cognoscere debes
Nomina quisque Petri pariter Paulique requiris.
Discipulos oriens misit quod sponte fatemur,
Sanguinis ob meritum Christumque per astra secuti.
Aetherios petiere sinus regnaqua piorum,
Roma suos potius meruit defendere cives.
Haec Damasus vestras referat nova sidera laudes."
(„Wisse, daß hier einstmals Heilige gewohnt haben, und ihre Namen,
wenn du sie erfragen willst, sind die von Petrus und Paulus. Wir

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Willigkeit der römischen Altertumsforscher, die im Interesse
ihres Glaubens aus solchen Dingen Kapital für die Kirche zu
schlagen sucht und unverantwortliche Schlüsse aus närri-
schen Nichtigkeiten zieht. Und derartiges wird alsdann von
der gesamten katholischen Presse als großartige Entdeckung
ausgegeben und als sicherstes Zeugnis für die Wahrheit der
Überlieferung unter die gedankenlose Menge gebracht, und
katholische Geistliche, wie der Konstanzer Pfarrer Gröber,
entblöden sich nicht, zu schreiben, „daß die uralte römische
Tradition vom Aufenthalt und Tod der beiden (Apostel) zu
Rom durch die erfolgreiche Forschungsarbeit der allerletzten
Zeit nicht etwa erschüttert, sondern in überraschender Weise
glänzend bestätigt wurde". 1
Und Lietzmann ? Er hält es auf Grund des ersten Clemens-
briefes (!) für erwiesen, daß Petrus und Paulus in Rom ge-
wesen und unter Nero daselbst den Märtyrertod gestorben
seien. Ja, er glaubt sich durch die Überlieferung, wonach die
Gräber der beiden Apostel nicht zusammen, sondern getrennt
auf rein heidnischen Friedhöfen (an der Straße nach Ostia
und auf dem vatikanischen Hügel) liegen sollen, berechtigt,
die Annahme einer bloßen späteren Erfindung abzuweisen.
Nun, wir wissen nicht, warum man die beiden Gräber an
getrennten Orten hat liegen lassen — man wird schon seine
Gründe gehabt haben. Daß aber die von Lietzmann zu-
gunsten der kirchlichen Überlieferung angeführten Gründe
keine sind und Lietzmann sich ganz einfach von seinen rö-
mischen Gewährsmännern hat auf den Le im locken lassen,
das haben Adolf Bauer in den Wiener Studien (1916) und
George la Piana in „The Harvard Theological Review", 1921,
53—94» sowie in seinem Aufsatz über „The Tombs of Peter
gestehen gern, daß der Orient uns diese Jünger gesandt hat. Durch
das Verdienst ihres Blutes sind sie Christus durch die Sterne gefolgt
und haben die himmlische Zufluchtstätte und das Reich der From-
men erreicht, Rom hat sich das Vorrecht verdient, sie als seine
Bürger zu verteidigen. Damasus berichtet dies zu eurem Preise, ihr
neuen Sterne.") Ob nicht die Kirche St. Sebastiano) am Ende auf der
Stelle eines alten Heiligtums des Castor und Pollux errichtet wor-
den ist? 1 Gröber: Christus lebte, 1923, 37.

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and Paul ad Catacumbas" so überzeugend nachgewiesen,
daß Lietzma nns Entgegnung darauf1 sich überaus klein-
laut und dürftig ausnimmt „Ich stimme", sagt er, „meinem
Kritiker (La Piana) in seiner Schlußfolgerung zu, daß wir
noch weit entfernt sind, einen positiven Beweis für die an-
genommene Überlieferung zu haben. Aber ich glaube noch,
daß durch die jüngsten Ausgrabungen ad Catacumbas die
Wahrscheinlichkeit der von mir ausgesprochenen Ansicht er-
heblich gewachsen ist, und ich hoffe, daß die zukünftige Ar-
beit des Spatens die Ergebnisse befestigen wird, die durch
das Studium der geschriebenen Urkunden gewonnen ist."2
Die ganze Geschichte vom Aufenthalt des Petrus und Paulus
in Rom, von ihrem dortigen Märtyrertod, ihrer zeitweiligen
Beisetzung ad Catacumbas und der endgültigen des Petrus
in St. Peter ist ein großer weltgeschichtlicher — Schwindel.
Ebensogut, wie aus der Überlieferung der Apostelgräber
auf die Anwesenheit des Petrus und Paulus in Rom,
kann man aus dem Umstände, daß man auf Kreta das Grab
des Zeus, in Gades das des Herakles zeigte, schließen,
diese Götter hätten einmal wirklich auf der Erde gelebt und
seien an den genannten Stätten begraben. Von einem Grabe
des Petrus in Rom sprechen ist nicht anders, als wenn man
jemandem das Grab des Jolaos zeigen und ihm einreden
wollte, daß an dieser Stelle die Gebeine des Gefährten des
Herakles beigesetzt seien. Wir wissen nichts von einem ge-
schichtlichen Jesus, nichts von Petrus. Das Grab des „Apostel-
fürsten" unter der Kuppel von St. Peter in Rom ist genau so
erdichtet, wie das sog. „heilige Grab", die Grabstätte Jesu
in Jerusalem.
Und die sonstigen Überbleibsel des Apostels in Rom ? Da
ist zunächst der sog. „Stuhl des Petrus". Er soll angeblich
zum „ersten römischen Bischof" in Beziehung gestanden
haben, gibt sich jedoch in Wahrheit durch seinen Schmuck
als zum Mithrakultus gehörig zu erkennen. Er zeigt nämlich
den Tierkreis sowie die Arbeiten des Sonnengottes (Herakles-
1 a
The Tomb of the Apostles ad Catacumbas, ebd. 147—162. a. a.
0. 162.

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Mithra) auf seiner Vorderseite, ist im Laufe der Jahrhunderte
vielfach erneuert und von de Rossi für den Amtssessel eines
römischen Senators erklärt worden. 1 Man wird aber wohl
kaum fehlgehen, wenn man mit Robertson annimmt, daß
es sich hierbei ursprünglich um den Sessel des mithrischen
„Pater patrum" handelt und daß er eben aus dem Grunde
über die Jahrhunderte hinübergerettet worden ist, weil man
ihn dem römischen Papste zuschrieb, der sich auch hiermit
als Nachfolger des mithrischen Papstes einfach auf dessen
Stuhl gesetzt hat.2
Man hat den „Stuhl des Petrus" in den sechziger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts eine Zeitlang öffentlich aus-
gestellt, aber ihn seither den Blicken der neugierigen Menge
wieder entzogen, und man hat gewiß sehr recht daran getan.
Statt dessen zeigt man in Rom, um die Herzen derer zu
erfreuen, die nicht alle werden, die Richtstätte auf dem
Vatikan und den Kerker, in welchem der Apostel wegen
seines Glaubens geschmachtet haben soll. Man zeigt die
Kirche Santa Pudenziana an der Stelle des Hauses des Sena-
tors Pudens, der Petrus zeitweilig bei sich beherbergt haben
und von ihm mit seiner ganzen Familie getauft sein soll.
Sogar der Tisch ist noch vorhanden, an welchem der Apostel
bei jener Gelegenheit das hl. Meßopfer dargebracht, sowie
das Gefäß, mit welchem er die Taufe an Aquila, Priscilla und
anderen vorgenommen haben soll. An der Stelle, wo dem
aus dem Gefängnis geflüchteten Petrus — wir wissen aus der
Apostelgeschichte: er besaß Übung in dieser Sache—Christus
erschienen und ihn dadurch zur Umkehr bewogen haben soll,
befindet sich das Kirchlein „Domine quo vadis". In der
Kirche S. Pietro in vinculis werden die Ketten aufbewahrt,
mit denen er im Kerker gefesselt war. Ja, sogar die Köpfe
der beiden Apostel Petrus und Paulus soll Papst Urban V.
im 14. Jahrhundert (!) wieder aufgefunden haben, und der
Sakristan zeigt heute gegen ein entsprechendes Trinkgeld am
Querschiff der Laterankirche das Ciborium, in dem sie auf-
1 a
S. die Abbildung bei Kraus: Roma sotteranea 505. Robertson:
Pagan Christis 336 f.

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bewahrt werden. Und endlich haben wir in der Peterskirche,
unmittelbar unter der großen Kuppel des Michelangelo, das
„Grab des Apostelfürsten" vor uns! Leider sind alle diese
schonen Dinge nur für große und kleine — Kinder, für alle
diejenigen da, die betrogen sein wollen, und sie zeugen für
den römischen Petrus und Stifter des Papsttums ungefähr so
viel, wie der ungenähte Rock zu Trier, die Präputien und
Kreuzüberbleibsel an anderen Orten für die Geschichtlichkeit
Jesu oder wie der Eindruck des Pferdehufes auf der Roßtrappe
im Harz für das Dasein eines leibhaftigen Teufels.
Inzwischen beweist der protestantische Theologe Lietz-
mann die Wahrheit der Petrusüberlieferung, und ein Harnack
schreibt in seiner „Chronologie der altchristlichen Literatur"
(1897): „Der Märtyrertod des Petrus in Rom ist einst aus
tendenziös-protestantischen, dann aus tendenz-kritischen
Vorurteilen bestritten worden. In beiden Fällen hat der Irr-
tum der Erkenntnis wichtiger geschichtlicher Wahrheiten
(welcher?) Vorschub geleistet, also seine Dienste getan. Daß
er aber ein Irrtum war, liegt heute für jeden Forscher, der
sich nicht verblendet, am Tage. Der ganze kritische Appa-
rat, mit dem Baur die alte Tradition bestritten hat, gilt heute
mit Recht für wertlos." (!) Sollte es hiernach nicht für die
protestantischen Theologen an der Zeit sein, so bald als mög-
lich wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche
zurückzukehren und dem Papst ihre Huldigungen darzu-
bringen? 1
1
Über die Art, wie die erwähnten Dinge in römisch-katholischen
Gelehrtenkreisen bebandelt zu werden pflegen, lese man den bezüg-
lichen Abschnitt über Petrus in Wetzers und Weltes großem Kirchen-
lexikon. Zum ganzen: außer den bereits erwähnten Schriften von
Schnitzer und Grill, besonders auch Lipsius: Die Quellen der römi-
schen Petrussage (1872); ferner Zeller: Vorträge und Abhandlungen,
1877,213 ff.; W, Soltau: Petrus und der päpstliche Primat. Sammlung
gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, 1900; G. I. P. I.
Bolland: Petrus en Rome (Leiden 1899) sowie die bezügliche Dar-
stellung bei Hausrath a. a. O. 26—43 und Griffith-Thomas: The
Apostle Peter, Outline studies in his life, charakter and writings,
2. Aufl. 1910; Ch. Guignebert: La primauté de St. Pierre et la venue
de Pierre a Rome, 1909.

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PETRUS UND DAS PAPSTTUM
Ein Aufenthalt des Petrus in Rom ist nach alledem nicht
nachweisbar. Wir wissen von Petrus überhaupt rein gar
nichts: er ist eine ganz und gar im Nebel des Mythus ver-
schwimmende Gestalt. Damit ist auch schon die Frage be-
antwortet, ob Jesus das Papsttum gestiftet hat. Schnitzer
hat in einer eingehenden Untersuchung nachgewiesen, daß
nichts, schlechterdings nichts zu dieser Annahme berechtige,
und was seine katholischen Kollegen hiergegen eingewendet
haben, ist derartig, daß man sich fragt, wie es möglich ist,
so etwas für Wissenschaft auszugeben.
Die älteste Kirchengeschichte weiß nichts davon, daß Petrus
eine besonders überragende und führende Stellung in der
christlichen Gemeinde eingenommen habe: weder die Apo-
stelgeschichte, noch die Paulusbriefe, noch selbst der erste
Clemensbrief, der nicht im Namen eines Bischofs Petrus, son-
dern der römischen Gemeinde abgefaßt ist und ein römisches
Bistum überhaupt noch nicht kennt. Ein solches ist erst etwa
von der Mitte des zweiten Jahrhunderts an nachweisbar, wo
Anicet (155—166) als dessen erster Vertreter erscheint. Selbst
Irenäus räumt den ganz besonderen Vorrang nicht dem
römischen Bischof als Nachfolger des Petrus, sondern der
römischen Gemeinde und zwar deshalb ein, weil sie von
Petrus und Paulus begründet sein soll. Auch den „Felsen-
mann" und „Schlüsselverwalter" kennt Irenäus noch nicht.
Er erwähnt das Petrusbekenntnis nur erst im Sinne des Mar-
kusevangeliums und liefert durch die Art seiner Anführung
dieser Evangelienstelle den schlagenden Beweis dafür, daß
er von Matth,16,18 u.19, jene Verse, die vom „Felsen" und der
„Schlüsselgewalt" handeln, noch keine Ahnung gehabt hat.
Und dasselbe gilt auch von Justin und Clemens Alexandrinus
(um 210), Erst unter dem Bischof Victor im letzten Jahr-
zehnt des zweiten Jahrhunderts oder Zephyrinus (198—217)
scheint die Legende aufgekommen zu sein, daß Petrus der
erste Bischof von Rom gewesen sei und 25 Jahre lang das
Bischofsamt daselbst verwaltet habe. Und hiermit im Zu-

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sammenhange verschwindet die Person des Paulus, der bis
dahin als Mitbegründer der römischen Gemeinde gegolten
hatte, aus der Überlieferung, um allen Glanz und Ruhm da-
für auf dem Haupte des Petrus zurückzulassen. Aber erst
Kallistus (217—222) hat sich selbst ausdrücklich für den
Nachfolger des „Apostelfürsten" Petrus ausgegeben, indem
er dabei die Matthäusworte von Petrus dem Felsenmanne
und von der Binde- und Lösegewalt unmittelbar auf sich be-
zogen und für seine Persönlichkeit in Anspruch genommen
hat. Darüber entrüstet sich zwar der Afrikaner Tertullian,
verweist ihm sein selbstherrliches Auftreten als unerhörte
Anmaßung und verspottet den „apostolischen", den „Ober-
priester", den „Bischof der Bischöfe",1 jedoch ohne selbst an
der Annahme zu rütteln, daß Jesus wirklich die Schlüssel-
gewalt dem Petrus verliehen habe, worauf er selbst schon um
200 in seiner Schrift „De praescriptione haereticorum" (22)
verwiesen hatte.2
Damals also, um die Wende vom zweiten zum dritten
Jahrhundert muß die bezügliche Matthäusstelle 16, 18, 19
zustandegekommen sein, und zwar im Hinblick auf ge-
wisse Vorgänge und ketzerische Regungen innerhalb der
Kirche, die es wünschenswert erscheinen ließen, das römi-
sche Bistum offenbarungsgeschichtlich und schriftgemäß
durch ein Wort des Heilands selbst zu befestigen und zu
unterbauen und der dortigen Kirche dadurch zugleich den
Vorrang vor allen übrigen zu sichern. Es war die Zeit des
Commodus (gest. 192), desjenigen unter den Kaisern, der ein
so lebhaftes Interesse für den Mithrakult bekundete, daß
dieser von jetzt an in Rom geradezu zur Modesache wurde,
während seine dem Christentume günstig gesinnte Nebenfrau
Marcia mit dem Bischof Victor in innigster persönlicher Be-
ziehung stand. 3 Da mag sich wohl leicht der Gedanke des
persischen Petros demjenigen des christlichen Petrus und
umgekehrt untergeschoben haben und eine Art Ausgleich
zwischen beiden Religionen dadurch hergestellt sein, daß
1
De pudicitia I 13, 21. 2 Schnitzer a. a. O. 45ff.; Grill a.a.O. 65ff.
3
Dio Cassius LXXII 4.
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Petros-Mithra dem christlichen Gedankenkreise eingeglie -
dert und in der Gestalt des Felsenmannes und Schlüssel-
bewahrers Petrus zum unmittelbaren Nachfolger Jesu und
„Apostelfürsten" in Rom erhöht wurde. Von jeher hat ja die
Kirche sich dadurch am einfachsten der heidnischen Götter
zu erwehren gewußt, daß sie ihnen ein christliches Mäntel-
chen umgehängt und sie unter Zuhilfenahme einer erfunde-
nen Geschichte in die Schar ihrer Heiligen auf genommen hat.
Der römische Kaiser Commodes selbst hat sich als Claviger, d.
h. als Herakles-Mithra, mit dem Löwenfell als Kopfbedeckung
und der clava (Keule) auf der Schulter in einer der schönsten
auf dem Esquilin gefundenen Porträtbüsten aus dem Alter-
tume darstellen lassen. Wurde doch auch Mithra selbst mit der
Keule in Zusammenhang gebracht: „Hoch erhob sich Mithras
ewige Keule, die Wüstenbefruchterin", heißt es im Jescht
Mithra, und „mit der Keule schlug Mithra die Dämonen",
und der christliche Apostelfürst Petrus, als der wahre Fels,
wurde zu seinem Gegenbilde in der Gestalt des den Himmels-
schlüssel (clavis) tragenden Petros-Mithra. So ist der Papst
allerdings der unmittelbare Nachfolger des Petrus als des
Oberhauptes der römischen Kirche, aber nicht eines ge-
schichtlichen Apostels Petrus, sondern des persischen Mitla -
gottes, und der Mithraismus hat in der römisch-katholischen
Kirche nur in christlicher Aufmachung seine Fortsetzung
gefunden, um in dieser Gestalt das alte Ziel des römischen
Reiches, die Gewinnung der Weltherrschaft, zu erreichen.
Die Petruslegende ist, wie Adolf Bauer gegen Lietzmann
bemerkt, ein schlagendes Beispiel dafür, wie auch rein er-
dichtete Geschichten nichtsdestoweniger von weltgeschicht-
licher Bedeutung werden und die Geschicke der Menschheit
durch Jahrtausende hindurch bestimmen können. Mundus
vult decipi: die Welt will betrogen werden. Das muß uns auch
vorsichtig gegen die Annahme eines geschichtlichen Jesus
machen. Es gibt keinen wirklichen Beweis dafür, daß dieser
etwas anderes war als einer der übrigen vielen Heilsgötter
des Altertums. Seine Geschichte ist genau so erdichtet, wie
diejenige des Petrus und des Paulus. „Tu es Petrus et super

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hanc petram aedificabo ecclesiam meaml" „Du bist Petrus,
der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!"
In Riesenbuchstaben stehen diese Worte in der Kuppel über
dem angeblichen Grabe des Apostelfürsten in Rom geschrie -
ben, und die Gläubigen lesen es erschauernd und ersterben
in Ehrfurcht vor dem Anblick der geheiligten Stätte. Aber
diese Ehrfurcht ist auch hier geschichtlich genau so unbe-
gründet, wie die vor dem heiligen Grabe in Jerusalem. Denn
so wenig, wie Jesus an der bezeichneten Stätte beigesetzt ist,
so wenig auch Petrus in der nach ihm genannten Peterskirche.
Die Übertragung der Schlüsselgewalt hat niemals stattgefun-
den. Der Petrus der katholischen Christenheit hat nie gelebt.
Seine Statue in der Peterskirche zu Rom, dessen vorgestrekte
Zehe von den Küssen der Gläubigen erglänzt, ist nur ein
Sinnbild frommer Einfalt und Gedankenlosigkeit. Der angeb-
liche „Fels der Kirche" besteht nicht. Das hindert freilich
nicht, daß er nicht noch weiterhin jahrhundertelang für wirk-
lich angesehen und als solcher von den Gläubigen verehrt
werden wird. Auch die Kaaba zu Mekka ist nur ein schwar-
zer Stein, zu dem die Frommen aus allen Teilen des Mor-
genlandes gepilgert kommen, ihm ihre Huldigungen darzu-
bringen. Und solange es noch Gläubige gibt, wird er auch
nichts von seinem alten Glanz verlieren und sich als eine
Art wundertätiger Gott erweisen. Fragt sich nur, wie lange
die Menschheit noch Glauben und Aberglauben miteinander
verwechseln, sich von Priestern gängeln und ihre Andacht
an Dinge verschwenden wird, die das Zeichen der Täuschung
so deutlich zur Schau tragen, wie das Grab des Petrus und
alles, was mit diesem zusammenhängt. Aber schon beginnt die
Wissenschaft auch hier mit ihrem unbeirrbaren Lichte im-
mer deutlicher die Grabesfinsternis zu erhellen, und siehe da!
es zeigt sich, daß auch dies Grab — leer ist

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INHALTSÜBERSICHT Seite

VORWORT. . ........................................................................... 1
PETRUS IM NEUEN TESTAMENT........................................ 3
1. In den Evangelien ............................................................... 3
2. In der Apostelgeschichte .................................................. 10
3. In den Paulusbriefen .......................................................... 15
4. Matthäus 16, 18 f ................................................................. 20
DER APOSTELFÜRST .............................................................. 25
DER MYTHISCHE HINTERGRUND DER PETRUS-
GESTALT ............................................................................. 31
I.Simon — Herakles — Melkart ........................................ 32
2. Petros — Mithra — Atlas — Proteus — Petra . . 36
3. Janus ....................................................................................... 42
4. Jesus ........................................................................................ 46
PETRUS ALS MITHRA ........................................................... 50
PETRUS IN ROM ........................................................................ 55
PET RUS UND DAS PAPSTTUM ........................................ 75

DRUCK DER ROSSBERG'SCHEN BUCHDRUCKEREI / LEIPZIG

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