Nackedeis
Beide Seiten, Deutsche wie Polen, haben inzwischen auf die Anwürfe reagiert - mit einem
klassischen Kompromiss. Der Kurdirektor von Ahlbeck und der Stadtpräsident von
Swinemünde wollen Informationstafeln aufstellen lassen, auf denen darauf hingewiesen
wird, dass sich auf der deutschen Seite FKK-Strände befinden und dass es auf der
polnischen Seite des Strandes untersagt ist, nackt zu baden. Zudem gibt es im
Gastgeberkatalog der Stadt Swinemünde einen Hinweis auf die FKK-Strände auf der
deutschen Seite. Bei der Usedom Tourismus GmbH beschwichtigt man: Es habe nur einige
wenige Proteste gegeben, und eigentlich kämen deutsche und polnische Feriengäste am
Strand gut miteinander aus.
Zum Thema Nun, da der zu Ende gehende Sommer die Neigung zur
Selbstentblößung ohnehin vermindert, ist in der Sache
Nackt wandern: Raus aus den aber Entspannung zu erwarten - erst einmal. Die dem
Klamotten, rein in den Wald
Streit zugrundeliegenden Fakten bestehen freilich weiter.
So muss man verstehen, dass viele Polen wegen ihres
katholischen Glaubens öffentliches Nacktsein abscheulich finden. Umgekehrt würden es
sich die Ostdeutschen nicht bieten lassen, wenn ihr FKK-Verkehr eingeschränkt würde.
Das hat mit der FKK-Bewegung in der DDR zu tun. Eigentlich war Nudismus oder FKK
schon Anfang des 19. Jahrhunderts Ausdruck eines modernen Lebensgefühls. Die erste
FKK-Vereinigung wurde 1906 in Berlin gegründet. In den zwanziger Jahren bekam die
Nacktenmode sogar eine gewisse proletarische Note - also schon lange vor der DDR.
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Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net.
Der erste DDR-Botschafter in Polen war ein Nudist
Ebendort wurde später gern auf Friedrich Wolf verwiesen, der als junger Mann dem
Nudismus huldigte. Er zählte später zu den sozialistischen Dramatikern und war der erste
DDR-Botschafter in Polen - freilich nicht in nudistischen Angelegenheiten. Er war auch der
Vater von Konrad Wolf, dem langjährigen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR
und Regisseur des Films „Solo Sunny“, und Markus Wolf, dem Geheimdienstmitarbeiter im
Generalsrang.
Eine Massenbewegung wurde FKK aber tatsächlich erst in der DDR. 1954 gab es zwar ein
Nacktbadeverbot, weil die Führung der Volkspolizei in den Nackten eine Schmähung der
Sitten sah. Aber so recht konnte sich das nicht durchsetzen. In den siebziger Jahren war
das Nacktbaden weit verbreitet. An Gewässern, an denen das Baden offiziell gar nicht
erlaubt war, wie an Kiesgruben etwa, wurde vielfach nackt gebadet. An offiziellen
Badeseen gab es oft FKK-Abschnitte. 1982 wurden vierzig offizielle Nacktstrände
ausgewiesen, 1988 waren es schon fast sechzig. Offizielle DDR-Publikationen lobten die
„vorwiegend makellosen Sitten“.
FKK war schließlich zur „bevorzugten Badesitte der Erholungsuchenden“ geworden. Und
warum war das so? Vielleicht war das Nacktbaden ein kleiner Protest: Wenn die Gedanken
schon nicht frei sein durften, dann wenigstens die Körper. Außerdem gab es keine
ordentliche Bademode, schon gar keine schicke. (War es das, was Marx mit dem
historischen Materialismus meinte?) Hinzu kam die offizielle Prüderie: Ein Nacktfoto war
nur einmal im Monat in der Zeitschrift „Das Magazin“ erlaubt. So machten sich die DDR-
Bürger ihre Fotos selbst. Gesammelt wurden sie vor einigen Jahren von der „Magazin“-
Redaktion in dem Bildband „Die nackte Republik“. Im Berliner Eulenspiegel-Verlag ist
sogar eine Art Kulturgeschichte der Nackedeis erschienen unter dem Titel „Sommer,
Sonne, Nackedeis. FKK in der DDR“, auch hier mit vielen Privatfotos.
Wie die Ostdeutschen nach dem Ende der DDR auf Kritik an ihren lieben Gewohnheiten
reagierten, liest sich bei dem DDR-Reiseschriftsteller Richard Christ so: „Nacheinander
bedrängte Prüderie bieder-protestantischer oder bayrisch-katholischer Manier eine arglose
heidnische Nacktheit, die sich schon einmal, unter Ulbricht, Anwürfen ausgesetzt sah, weil
die Einheitspartei die Erinnerung an die Freikörperkultur der Arbeiterbewegung zu
verunglimpfen suchte - als bourgeoise Entgleisung. Der Westen setzt in diesem Punkt
Ulbrichts Erbe fort - Geschichte kann sehr zynische Momente haben.“ Und dann wirft
Christ den westdeutschen Reisenden auch noch vor, „Voyeurtourismus in Richtung Ost“ zu
betreiben. Er macht sich über Westdeutsche lustig: Sie würden am Strand allenfalls die
Schuhe ablegen.
Text: F.A.S.
Bildmaterial: ddp, Eulenspiegel Verlag, Eulenspiegel-Verlag
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