Z ü r c h e r U n t e r l ä n d e r Dienstag, 5.
September 2006
Unterland Das in Regensdorf entwickelte neue Sprachfrühförderprogramm Lezus liegt in gedruckter Form vor
Sprachförderung schon im Kindergarten
Frühe Sprachförderung beugt
Problemen beim Lesen und
Schreiben vor. Drei Unterlän-
der Bildungsfachleute haben
jetzt ein Programm zur
Sprachförderung in Vorschule
und Kindergarten entwickelt.
Claudia Benetti
«Sprachförderung setzt heute nicht
erst an, wenn es in der Volksschule Pro-
bleme mit Lesen und Schreiben gibt»,
sagt Steff Aellig. Der ehemalige Lehrer
und Schulpsychologe hat zusammen
mit anderen Fachleuten aus der Primar-
schule Regensdorf – der Kindergärtnerin
Elsbeth Alt und dem ICT-Verantwortli-
chen und Primarlehrer Steve Bass – ein
Programm zur Sprachförderung in Vor-
schule und Kindergarten entwickelt. Es
heisst «Lezus – Von der Lauterfassung
zur Schrift» und liegt jetzt in gedruckter
Form vor.
«Als Schulpsychologe in Regensdorf
kamen Viert- und Fünftklässler wegen
Problemen beim Lesen und Schreiben
zu mir. Für diese Kinder eine wirkungs-
volle Therapie einzufädeln erwies sich
oft als schwierig und auch sehr kosten-
aufwändig. So richtete ich das Augen-
merk vermehrt auf die frühe Sprachent-
wicklung des Kindes und machte mir
Gedanken zur Prävention von Sprach-
störungen», erzählt Aellig.
Durch das Studium wissenschaftli-
cher Untersuchungen wurde er in sei-
nen Vermutungen schliesslich bestärkt:
Sprachförderung ist am wirksamsten, je
früher sie einsetzt. «Lesen und schrei-
ben lernen steht am Schluss des Spra-
cherwerbsprozesses beim Kind. Des-
halb finden sich die Ursachen für Lese-
und Schreibprobleme oft weit zurück in
der Sprachentwicklung», so Aellig.
Kindergartenkonvent war Start
Gestartet wurde mit dem Lezus-Pro-
jekt anlässlich eines Kindergartenkon-
Mit Bild- und Lauttafeln lernen die Kinder auf spielerische Art. (zvg)
Regensdorf Das neue Sprachfrühförderungsprogramm ist lehrpersonenfreundlich gestaltet
Spielen und Üben stehen bei Lezus im Vordergrund
Das Sprachfrühförderungs-
programm «Lezus – Von der
Lauterfassung zur Schrift» be-
steht aus Handbuch, Übungs-
teil, Film und CD-ROM.
Um mit Lezus zu arbeiten, braucht es
nicht zwingend einen Kurs. «Die Kin-
dergärtnerinnen können sich die theore-
tischen und praktischen Hintergrundin-
formationen auch gut im Selbststudium
aneignen. Im Film zeigen wir, wie
sprachlich komplexe Förderziele im
Kindergartenunterricht spielerisch um-
gesetzt werden», erklärt Elsbeth Alt.
Ziel des Sprachfrühförderungspro-
grammes ist, den Kindern allmählich
die Struktur der deutschen Sprache be-
Zürcher Unterländer Seite 03
Sie haben das neue Sprachfrühförderungprogramm geschaffen: die Autoren Steff Aellig (links) und Elsbeth Alt sowie CD-ROM-Produzent Steve Bass. (David Baer)
vents in Regensdorf. «Es zeigte sich,
dass Frühförderung allgemein begrüsst
wurde und die bestehenden Sprachför-
derprogramme in der Praxis weiterent-
wickelt werden konnten», sagt Aellig.
Ausserdem erklärte sich am Konvent
eine Gruppe um Elsbeth Alt bereit, am
Projekt mitzuarbeiten, und der schul-
psychologische Dienst war bereit, die
Projektleitung zu übernehmen.
Heute, fünf Jahre später, liegt das
Lezus-Programm druckfrisch vor und
ist in Regensdorf seit einem Jahr erfolg-
reich im Einsatz. «Lezus ist ein Jahres-
wusst zu machen, wobei der Fokus auf
der Struktur der gesprochenen Sprache
liegt. Mit Spielen und Übungen zur Bil-
dung von Lauten und Silben werden die
Vorschulkinder gezielt auf den Erwerb
der Schriftsprache vorbereitet. Das Pro-
gramm ist in 13 Förderbereiche aufge-
teilt. «Deren Inhalt orientiert sich an
den Entwicklungsschritten des norma-
len kindlichen Spracherwerbs», so Steff
Aellig.
Die Autoren haben mit ihrer Arbeit
die Vorteile der bereits bekannten und
wissenchaftlich evaluierten Sprachför-
derprogramme – dem Würzburger und
dem Kon-Lab-Trainingsprogramm –
kombiniert. «Was die Lehrperson im
Kindergarten braucht, ist ein mittlerer
Strukturierungsgrad und eine Fülle von
praktischen und direkt umsetzbaren
programm und auf 35 Schulwochen
ausgerichtet. Mit meinen Kindergärtlern
übe und spiele ich daher täglich eine
gute Viertelstunde mit Lauten, Silben,
Wörtern, Reimen und mache ihnen so
die Struktur der gesprochenen Sprache
immer bewusster», sagt Elsbeth Alt und
betont: «Das ist die beste Vorbereitung
auf den Erwerb der Schriftsprache.»
Die ganze Klasse übt zusammen
Geübt wird jeweils in der ganzen
Gruppe, unabhängig von Jahrgang und
Muttersprache. «So kommen alle in den
Genuss einer gezielten Sprachförde-
rung, keines wird vergessen. Und jene
Kinder, die zusätzlich noch etwas üben
wollen, können dies am Computer mit
einem Lernspiel der CD-ROM machen,
die Steve Bass entwickelt hat», so Alt.
Durch die betont spielerische Kompo-
nente im Lezus-Sprachfrühförderungs-
programm wird auch kein Kind überfor-
dert. «Mit Lauten, Versen und Sprach-
rhythmus wurde im Kindergarten schon
immer gearbeitet, mit Lezus geschieht
dies nun gezielter und unter einer kla-
ren Führung durch die Lehrperson»,
sagt Elsbeth Alt. Gerade dies sei heute,
da in vielen Familien Strukturen fehlten
und viele Eltern nur wenig Zeit für die
Kindererziehung hätten, immer wichti-
ger.
«Wir haben Kinder, die von den El-
tern kaum gefördert werden. Einige wis-
sen beim Eintritt in den Kindergarten
Übungen und Spielen. Diese Lücke ha-
ben wir gefüllt», erklärt Aellig. Lezus ist
als Jahresprogramm konzipiert, das die
Lehrperson mit der ganzen Klasse, also
mit den Grossen und Kleinen zusam-
men, durchführen kann. Dass die Kin-
der in ihren zwei Kindergartenjahren
den Zyklus zweimal durchlaufen, bringt
sie dem Förderziel näher. «Langeweile
konnte ich bei keinem Kind beobach-
ten», so Alt, «im Gegenteil, die Kinder
erinnern sich an die Förderinhalte und
rufen begeistert: ‹Das haben wir doch
gestern schon gemacht!› und meinen
damit das letzte Schuljahr.» (ben)
Lezus – Von der Lauterfassung zur Schrift: Das
neue Sprachfrühförderungsprogramm von
Steff Aellig, Elsbeth Alt und Steve Bass ist im
Schulverlag Bern erschienen und kann unter
www.schulverlag.ch bezogen werden.
Blickpunkt
noch nicht einmal, wie man einen Stift
hält oder wie man einen Purzelbaum
macht. Speziell diese Kinder kann man
nicht einfach über längere Zeit mit Spie-
len und Spielsachen sich selbst überlas-
sen. Sie brauchen einen gut strukturier-
ten Tagesablauf und Führung», sagt Alt
und meint weiter: «Gerade für diese Kin-
der müssten die staatlichen Bildungsan-
gebote viel früher einsetzen.»
Besseres Sprachvermögen
Hauptziel des Lezus-Sprachfrühför-
derungsprogramms ist jedoch die Prä-
vention von Sprachauffälligkeiten. Mit
Blick auf die Ergebnisse der Pisa-Studie
hoffen die Autoren zudem, einen Bei-
trag zur generellen Verbesserung des
Sprachvermögens in der Bevölkerung
zu leisten. In der Untersuchung wurden
Jugendliche aus verschiedenen Ländern
unter anderem bezüglich ihrer Fähig-
keit, komplexe Texte zu verstehen, mit-
einander verglichen. Dabei schnitten die
16-Jährigen in der Schweiz nur mittel-
mässig ab. Auch zeigte sich, dass vor
allem Kinder und Jugendliche mit
Deutsch als Zweitsprache sprachlich
schlechte Voraussetzungen haben für
eine erfolgreiche Integration in Schule
und Beruf.
Lehrmitteltaufe: Das neue Sprachfrühförde-
rungsprogramm Lezus wird heute Dienstag, 5.
September, von 16.15 bis 18 Uhr im Singsaal der
Schule Chrüzächer in Regensdorf eingeweiht.
Das Lehrmittel besteht aus Film, CD-ROM, Theorie- und Übungsbuch.
3
Sprachförderung:
Bedarf ausgewiesen
«Der Bedarf für Sprachfrühförderung
ist ausgewiesen», sagt Steff Aellig und
verweist auf die Ergebnisse einer
deutschen Studie aus Bielefeld.
Untersucht wurden die sprachli-
chen Kompetenzen von Kindern im
Vorschulalter. Resultat: 40 Prozent
der getesteten Kinder wiesen eine
Sprachauffälligkeit auf und mussten
speziell gefördert werden. Besonders
häufig waren Sprachauffälligkeiten
bei den fremdsprachigen Kindern. Ihr
Anteil betrug 70 Prozent. Bei den Kin-
dern mit Muttersprache Deutsch hin-
gegen wurden bei 28 Prozent der un-
tersuchten Kinder Sprachauffälligkei-
ten festgestellt.
«Laut renommierten Sprachent-
wicklungsforscherinnen ist zudem bei
10 bis 15 Prozent der Kinder eines
Jahrgangs eine mehr oder weniger
gravierende Störung in der Sprachent-
wicklung festzustellen – und dies un-
abhängig der Muttersprache», zitiert
Steff Aellig die weiteren Befunde – für
ihn ein Fingerzeig, dass Sprachfrüh-
förderung möglichst allen Kindern zu-
gutekommen sollte, wie dies die «Er-
finder» des Lezus-Programms auch
mit ihrem Projekt verfechten. (ben)